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Michel Chossudovsky GLOBAL BRUTAL Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg Aus dem Englischen von Andreas Simon Zweitausendeins

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Michel Chossudovsky

GLOBAL BRUTAL

Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg

Aus dem Englischen von Andreas Simon

Zweitausendeins

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Der entfesselte Welthandel,

die Armut,

der Krieg Michel Chossudovsky, einer der intellektuellen „Aktivisten“ der Bewegung von Seattle und Genua, macht in diesem Buch eine entschiedene Gegenrechnung zu den Glücksverheißungen einer rein marktrationalen Globalisierung auf. Er hat sich in Somalia ebenso umgesehen wie in Ruanda, die Verhältnisse in Indien und Vietnam studiert, sich mit Lateinamerika, der Russischen Fördera-tion und den Staaten des ehemaligen Jugoslawien befasst — und er kommt in seinen Beispielen aus allen Teilen der Welt immer zu demselben Schluss: Die weltweite Handelsfreiheit führt mitnichten zur besten aller Welten, sondern zu Unsicherheit, Armut und Krieg. Die vom We-sten beherrschten internationalen Großbanken verdienen an insta-bilen Finanzmärkten. Die internationalen Konzerne, unter dem Druck der von ihnen selbstverschuldeten Überproduktion, setzen auf die Ausweitung der Märkte in den Entwicklungs- oder Trans-formationsländern — was nur geht, wenn sie deren produktive Ba-sis zerstören. Diese Länder hängen immer mehr an der kurzen Leine von Weltbank, IWF und WTO, werden rekolonialisiert, also zu offenen ökonomischen Territorien ohne eigene Regelungskom-petenz und ohne Vetomöglichkeiten. Die Allianz der Reichen forciert die Globalisierung der Armut, der Umweltzerstörung, der sozialen Apartheid, des Rassismus und der ethnischen Zwietracht. Nach der Ära des Kalten Krieges rutschen große Teile der Weltbevölkerung jetzt in eine beispiellose wirt-schaftliche und soziale Krise, brutaler als die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre. Ganze Volkswirtschaften brechen zusammen, gan-ze Zivilgesellschaften werden zerstört, Arbeitslosigkeit und Elend nehmen überhand.

http://www.zweitausendeins.de/

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Nichts an diesen Entwicklungen ist

unabwendbar. Die Einsichten, zu denen

Chossudovskys Untersuchungen verhel-

fen, sind ein bedeutsamer Schritt hin zu

jenem hingebungsvollen Kampf, der

nötig sein wird, diese Entwicklungen

umzukehren.

Noam Chomsky

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Deutsche Erstausgabe. 1. Auflage, April 2002. 2. Auflage, Juni 2002. / 3. Auflage, Juni 2002. 4. Auflage, August 2002. / 5. Auflage, August 2002. 6. Auflage, September 2002. / 7. Auflage, September 2002. 8. Auflage, Oktober 2002. / 9. Auflage, Oktober 2002. 10. Auflage, Oktober 2002.1 / 11. Auflage, Oktober 2002. 12. Auflage, November 2002. / 13. Auflage, November 2002. 14. Auflage, November 2002. / 15. Auflage, Dezember 2002. I)ie Originalausgabe ist 1997 unter dem Titel »The Globalisation of Poverty. Impacts of IMF and World Bank Reforms« bei Third World Network, Penang, Malaysia, erschienen. Copyright © 1997, 2001 by Michel Chossudovsky. Die deutsche Ausgabe basiert auf der 2. erweiterten Auflage der englischsprachigen Originalausgabe und wurde zusätzlich um Vorwort, Teil VII und Nachwort bereichert. Alle Rechte für die deutsche Ausgabe und Übersetzung Copyright © 2002 by Zweitausendeins, Postfach, D-60.381 Frankfurt am Main. www.Zweitausendeins.de Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Textteile. Der gewerbliche Weiterverkauf und der gewerbliche Verleih von Büchern, CDs, CD-ROMs, DVDs, Videos, Downloads oder anderen Sachen aus der Zweitausendeins-Produktion bedürfen in jedem Fall der schrift-lichen Genehmigung durch die Geschäftsleitung vom Zweitausendeins Versand in Frankfurt am Main. Lektorat und Glossar: Klaus Gabbert (Büro W, Wiesbaden). Register der deutschen Ausgabe: Ekkehard Kunze (Büro W, Wiesbaden). Korrektorat: Sandra Wulff, Hamburg. Umschlaggestaltung: Sabine Kauf, Plön. Satz und Herstellung: Dieter Kohler GmbH, Nördlingen. Druck und Einband: Freiburger Graphische Betriebe. Printed in Germany. Dieses Buch gibt es nur bei Zweitausendeins im Versand, Postfach, D-60.381 Frankfurt am Main, Telefon 069-420 8000, Fax 069-415.003. Internet www.Zweitausendeins.de, E-Mail [email protected]. Oder in den Zweitausendeins-Läden in Berlin, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Freiburg, 2x in Hamburg, in Hannover, Köln, Mannheim, München, Nürnberg, Saarbrücken, Stuttgart. In der Schweiz über buch 2000, Postfach 89, CH-8910 Affoltern a. A. ISBN 3-86.150-441-3

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Inhalt Der 11. September. Vorwort zur deutschen Ausgabe 8 Vorbemerkung 14 Einleitung 24 Teil I Globale Armut und makroökonomische Reform 28 1. Die Globalisierung der Armut 29 2. Globale Unwahrheiten 38 3. Kontrolle durch Kredite 48 4. Die Weltbank und die Frauenrechte 61 5. Die globale Niedriglohnökonomie 64 Teil II Afrika 76 6. Somalia: Die wahren Gründe des Hungers 77 7. Wirtschaftlicher Völkermord in Ruanda 83 8. Neue Apartheid im südlichen Afrika 100 9. Äthiopien: Die Zerstörung der Landwirtschaft und Artenvielfalt 108 Teil III Süd- und Südostasien 115 10. Indien: Die indirekte Herrschaft des IWF 116 11. Bangladesch: Unter Vormundschaft 124 12. Die Zerstörung Vietnams nach dem Krieg 130 TEIL IV Lateinamerika 146 13. Verschuldung und Demokratie in Brasilien 147 14. Schocktherapie in Peru 158 15. Verschuldung und Drogen in Bolivien 170 TEIL V Die ehemalige Sowjetunion und die Balkanländer 175 16. Die Russische Föderation: Abstieg in die Dritte Welt. 176 17. Die »Balkanisierung« Jugoslawiens 188 TEIL VI Die Neue Weltordnung 202 18. Strukturanpassung in den Industrieländern 203 19. Die globale Finanzkrise 208 20. Der Wirtschaftskrieg 216

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21. Die Rekolonialisierung Koreas 222 22. Der brasilianische Finanzbetrug 232 TEIL VII Krieg und Globalisierung 238 23. Wer stand hinter den Terrorattacken? 239 24. Staatsterrorismus und US-Außenpolitik 250 25. Die verborgenen Ziele des Krieges 259 26. Amerikas Kriegsmaschine 267 Nachwort 276 Anmerkungen 279 Literatur 294 Glossar 302 Register (nur in Print-Ausgabe)

Über den Autor 306

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Meiner jüngsten Tochter Rosalba

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Der 11. September. Vorwort zur deutschen Ausgabe Nach den tragischen Ereignissen des 11. September haben sich die USA mit einer gewaltigen Demonstration militärischer Macht in ein kriegeri-sches Abenteuer gestürzt, das die Zukunft der Menschheit bedroht.

Nur wenige Stunden nach dem Terrorangriff auf das World Trade Cen-ter und das Pentagon wurden Osama Bin Laden und seine al-Qaida-Organisation ohne Beweise als »Hauptverdächtige« identifiziert. Außen-minister Colin Powell nannte die Angriffe »einen Akt des Krieges«, Präsi-dent George W. Bush bekräftigte in einer Fernsehansprache an die Nation am selben Abend, dass er »keinen Unterschied zwischen den Terroristen« machen würde, »die diese Taten begangen haben, und den ausländi-schen Regierungen, die ihnen Unterschlupf gewähren«. Der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey wies auf die »staatliche Unterstützung« der Terroristen durch eine oder mehrere ausländische Regierungen hin. »Ich glaube«, so sagte der ehemalige nationale Sicherheitsberater Lawrence Eagleburger, »wir werden, nachdem wir in dieser Weise angegriffen wor-den sind, unsere ganze Stärke demonstrieren und furchtbare Vergeltung üben.«1

In der Zwischenzeit plapperten die westlichen Medien die offiziellen Verlautbarungen nach und stimmten »Strafaktionen« gegen zivile Ziele in Zentralasien und dem Nahen Osten zu: »Wenn wir die Stützpunkte und Lager unserer Angreifer hinlänglich aufgeklärt haben, müssen wir sie in Schutt und Asche legen und das Gastland der Terroristen offen oder ver-deckt destabilisieren – unter Minimierung, aber Inkaufnahme von Kolla-teralschäden.«2 Der Öffentlichkeit als »Kampagne gegen den internatio-nalen Terrorismus« präsentiert, dient der Einsatz der amerikanischen Kriegsmaschine in Wahrheit jedoch der Ausweitung der amerikanischen Einflusssphäre nicht nur in Zentralasien und im Nahen Osten, sondern auch auf dem indischen Subkontinent und in Fernost. Die USA sind zu-dem darauf aus, eine dauerhafte militärische Präsenz in Afghanistan zu etablieren, das eine strategische Position an der Grenze zur früheren So-wjetunion, zu China und dem Iran einnimmt. Afghanistan liegt außerdem in unmittelbarer Nähe von fünf Atommächten: Russland, China, Indien, Pakistan und Kasachstan.

Dieser Krieg findet statt auf der Höhe einer globalen Wirtschaftskrise, die gekennzeichnet ist vom Niedergang staatlicher Institutionen, von wachsender Arbeitslosigkeit, dem Zusammenbruch des Lebensstandards in allen großen Weltregionen einschließlich Westeuropas und Nordameri-kas und dem Ausbruch von Hungersnöten in weiten Teilen der Welt. Die-se Krise ist weit gravierender als jene der 30er Jahre. Darüber hinaus führt der Krieg nicht nur zur massiven Verlagerung der Wirtschaftstätig-

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keit vom zivilen Sektor in den militärisch-industriellen Komplex, er be-schleunigt auch die Beseitigung des Wohlfahrtsstaates in den westlichen Ländern.

Krieg und Globalisierung stehen in enger Beziehung. Die globale Wirt-schaftskrise, die den Ereignissen vom 11. September vorausging, hat ihre Wurzeln in den »Marktreformen« der Neuen Weltordnung. Seit der Asienkrise 1997 sind die Finanzmärkte eingebrochen, eine Volkswirt-schaft nach der anderen geriet in eine tiefe Wirtschaftskrise, ganze Län-der wie Argentinien und die Türkei wurden von ihren internationalen Gläubigern übernommen, wodurch Millionen von Menschen in elende Ar-mut gestürzt wurden.

Die Krise nach dem 11. September kündigt in vieler Hinsicht das Ende der westlichen Sozialdemokratie und das Ende einer Ara an. Die Legitimi-tät des globalen Systems »freier« Märkte ist gestärkt und hat einer neu-en Welle von Deregulierungen und Privatisierungen Tür und Tor geöffnet. Das wird schließlich zur privatwirtschaftlichen Übernahme aller öf-fentlichen Dienstleistungen und der staatlichen Infrastrukturen führen, einschließlich der Elektrizität, der kommunalen Wasserversorgung und Kanalisation, der Autobahnen usw.

Darüber hinaus wurde besonders in den USA und in Großbritannien, aber auch in den meisten Ländern der Europäischen Union (EU) das Rechtssystem verändert. Der Rechtsstaat wurde außer Kraft gesetzt und die Fundamente für einen autoritären Staat gelegt, ohne dass die wich-tigsten Stützen der Zivilgesellschaft dagegen in nennenswertem Umfang opponiert hätten. Ohne jede Debatte wird der »Krieg gegen den Terro-rismus« gegen die so genannten »Schurkenstaaten« als notwendig er-achtet, um die Demokratie zu »schützen« und die innere Sicherheit zu stärken.

Statt nach den geschichtlichen Gründen des Krieges zu suchen, be-schränkt man sich auf bloße Parolen wie den »Kampf gegen das Böse« und die »Jagd auf Osama Bin Laden«. Solche Verkürzungen und Entstel-lungen sind Teil einer sorgfältig geplanten Propagandakampagne. Die Ideologie der »Schurkenstaaten«, die das Pentagon bereits während des Golfkrieges 1991 entwickelte, dient als Rechtfertigung, um aus »humani-tären Gründen« Krieg gegen Länder zu führen, die sich nicht der Neuen Weltordnung und den Grundannahmen des Systems »freier« Märkte fü-gen.

Seit dem Amtsantritt von George W Bush haben Militär und Geheim-dienste in enger Abstimmung mit der Wall Street erkennbar die Zügel der Außenpolitik übernommen. Da die Entscheidungen hinter den verschlos-senen Türen der CIA und des Pentagons fallen, verkommen die zivilen politischen Institutionen der USA einschließlich des Kongresses immer mehr zur Fassade. Während in den Augen der Öffentlichkeit weiter die

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Illusion einer funktionierenden Demokratie vorherrscht, ist der US-Präsident zu einer bloßen Kühlerfigur geworden.

Noch im Herbst 1999, also im Vorfeld des Präsident-schaftswahlkampfes, demonstrierte der Gouverneur Bush in außenpoliti-schen Belangen weitgehende Ahnungslosigkeit: »In zu vielen politischen Fragen, besonders jenen globalerer Natur; klingt Bush häufig, als läse er vom Spickzettel ab. Wagt er sich an internationa-le Themen, ist seine Unvertrautheit mit Händen zu greifen, und selbst sein unerschütterliches Selbstvertrauen schützt ihn nicht davor, Fehler zu machen.«3 Und als ihn ein Journalist im Sommer 2000 fragte, was er über die Taliban denke, »zuckte er nur ratlos die Schultern. Der Journa-list musste ein bisschen nachhelfen (>Diskriminierung gegen Frauen in Afghanistan<), damit Bush wach wurde: >Die Taliban in Afghanistan! Natürlich. Repressalien. Ich dachte, Sie sprechen über irgendeine Rockgruppe.< So gut informiert über das Aus-land ist also der mögliche künftige US-Präsident.«4

Wer entscheidet in Washington? Angesichts einer großen militärischen Operation, die Auswirkungen auf unser aller Zukunft und die globale Si-cherheit hat – ganz zu schweigen vom Einsatz von Atomwaffen – ‚ ist diese Frage von höchster Bedeutung. Übt der Präsident, abgesehen von sorgfältig eingeübten Reden, wirkliche politische Macht aus, oder ist er nur ein Werkzeug?

Unter der Neuen Weltordnung bestimmen die Militärplaner des Au-ßenministeriums, des Pentagons und der CIA die Außenpolitik der USA. Sie unterhalten auch Kontakte zu Vertretern des IWF, der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO). Die internationale Finanzbürokratie in Washington wiederum, verantwortlich für die mörderischen Wirt-schaftsreformen, die sie der Dritten Welt und den meisten Ländern des ehemaligen Ostblocks aufzwingt, pflegt enge Beziehungen zum Finanz-establishment der Wall Street.

Die Mächte hinter diesem System sind die globalen Banken und Fi-nanzorganisationen, der militärisch-industrielle Komplex, die Öl- und Energiegiganten, die Biotech-Konzerne sowie mächtige Medien- und Kommunikationsunternehmen mit ihren gefälschten Nachrichten und of-fenkundigen Verzerrungen der Weltereignisse.

Unter der Reagan-Regierung verwandten hochrangige Vertreter des Außenministeriums Erlöse aus dem illegalen Drogenhandel dazu, Waffen-lieferungen an die Contras in Nicaragua zu finanzieren.

Es ist bittere Ironie, dass diese Verantwortlichen für die »lran-Contragate«-Affäre heute Schlüsselpositionen im engen Führungskreis um George W Bush bekleiden.

»Bush hat sich Leute aus den zwielichtigsten Teilen der Re-publikanischen Partei der 80er Jahre auserkoren, jene, die an der Iran-Contra-Affäre beteiligt waren. Seine erste diesbezügliche Ernennung, die

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von Richard Armitage als stellvertretender Außenminister; passierte im März ohne Aufsehen per Akklamation den Senat. Armitage diente in den Reagan-Jahren als Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, zu-ständig für internationale Sicherheitsfragen, aber seine erneute Er-nennung 1989 durch die Administration von George Bush wurde auf-grund von Kontroversen über die Iran-Contra-Affäre und andere Skanda-le zurückgezogen. Nach der Ernennung von Armitage berief Bush Junior Elliot Abrahms, Staatssekretär im Außenministerium unter Reagan, in den Nationalen Sicherheitsrat, zuständig für Demokratie, Menschenrechte und internationale Operationen, ein Posten, dessen Besetzung vom Senat nicht gebilligt werden muss. Abrahms hatte zugegeben, in den Anhörun-gen über die Iran-Contra-Affäre zweimal den Kongress belogen zu haben, wurde aber später von George W. Bush begnadigt.«3

Armitage war auch während des Afghanistankrieges der Sowjets und danach einer der Hauptarchitekten hinter der verdeckten, mithilfe des Drogenhandels finanzierten Unterstützung der Mudschaheddin und der militanten Islamisten. Daran hat sich nichts Grundlegendes geändert: Sie ist immer noch fester Bestandteil der US-Außenpolitik. Darüber hinaus haben sich, wie ausgiebig dokumentiert, durch den milliardenschweren Drogenhandel illegale Mittel angehäuft, welche die CIA zur Finanzierung weiterer Operationen verwendet!

Nach dem 11. September lenken die USA staatliche Mittel in die Finan-zierung des militärisch-industriellen Komplexes um, Sozialprogramme werden zusammengestrichen, staatliche Budgets umstrukturiert und Steuergelder in die Aufrüstung des Polizei- und nationalen Sicherheitsap-parats kanalisiert. Der Kampf gegen den Terrorismus wird als Legitima-tionsgrundlage benutzt, um das Rechtssystem zu untergraben und den Rechtsstaat zu zerstören.

Dabei sollen die neuen Gesetze die Bürger gar nicht in erster Linie vor dem Terrorismus schützen, sondern vor allem das System des freien Marktes absichern. In Wirklichkeit geht es darum, die Bürgerrechte zu unterminieren und nicht zuletzt die Entwicklung einer schlagkräftigen Protestbewegung gegen den Krieg und auch gegen die Globalisierung von vornherein zu unterbinden.

In den USA kriminalisiert das im Oktober 2001 verabschiedete Geset-zespaket zur Bekämpfung des Terrorismus (Patriot Act) friedliche Prote-ste gegen die Globalisierung. Im Sinne dieses Gesetzes sind alle Aktivitä-ten, die dazu führen könnten, »die Politik einer Regierung durch Ein-schüchterung und Zwang zu beeinflussen«, als terroristische Verbrechen interpretierbar, also z.B. auch »eine Protestdemonstration, durch die eine Straße blockiert und ein Krankenwagen an der Durchfahrt gehindert wird. Insgesamt stellt das neue Gesetz einen der umfassendsten Angriffe auf die bürgerlichen Freiheitsrechte in den letzten 50 Jahren dar. Es dürfte

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uns kaum mehr Sicherheit bringen, aber es macht uns mit Sicherheit un-freier.«7

Die vom Kongress abgesegneten Antiterrorgesetze stammen direkt von den Militärs, der Polizei und den Geheimdiensten. Tatsächlich wurden mehrere Merkmale der Gesetze schon vor den Terrorangriffen vom 11. September; in Reaktion auf die Protestbewegung gegen die Globalisie-rung, entworfen.

Im November 2001 unterzeichnete Präsident George W. Bush einen Erlass zur Einrichtung von Militärtribunalen, vor denen künftige Terroris-musprozesse verhandelt werden sollen: »Mit dieser Direktive liegt es im Ermessen des Präsidenten, ob Personen aus den USA oder auch aus an-deren Ländern, die nicht die US-Staatsbürgerschaft haben und die der Beihilfe zum Terrorismus beschuldigt werden, vor einem dieser Tribunale der Prozess gemacht wird. Dies sind keine Kriegsgerichte, die die Rechte der Angeklagten weit mehr respektieren… Justizminister John Ashcroft erklärte ausdrücklich, dass Terroristen keinen verfassungsmäßigen Schutz genössen. Diese Gerichte dienen nicht der Rechtsfindung, es sind >Aburteilungsgerichte<.« 8

Mit den neuen Gesetzen ist die Macht von FBI und CIA erheblich ge-stärkt worden. Sie können nun z.B. Nichtregierungsorganisationen (NGO), Gewerkschaften, Journalisten und Intellektuelle routinemäßig abhören und überwachen. Die neuen Gesetze ermöglichen es daher der Polizei, ganz gewöhnliche Bürger auszuspionieren:

»Die neuen Gesetze ermächtigen dieses Geheimgericht, in allen mögli-chen Strafgerichtsverfahren Abhörungen und geheime Wohnungsdurch-suchungen anzuordnen – und nicht nur auf Geheimdienstinformationen aus dem Ausland zurückzugreifen. Das FBI darf nun Einzelpersonen und Organisationen abhören, ohne an die strengen Anforderungen der Ver-fassung gebunden zu sein… Umfassende Lektüre von E-Mails wird er-laubt, noch bevor der Empfänger sie öffnet. Tausende von Unterhaltun-gen werden abgehört oder gelesen werden, die nichts mit dem Verdäch-tigen oder irgendeinem Verbrechen zu tun haben.

Die neuen Gesetze enthalten viele andere Ausweitungen von Befugnis-sen für Fahndung und Strafverfolgung, darunter den vermehrten Einsatz von verdeckten Ermittlern, um Organisationen zu infiltrieren, längere Gefängnisstrafen und die lebenslange Überwachung von manchen Straf-tätern, die ihre Strafe bereits abgesessen haben. Sie stellen zusätzliche Tatbestände unter Todesstrafe und verlängern bei anderen die Ver-jährungsfristen.

Die Gesetze definieren ferner eine Reihe neuer Verbrechen. Am be-drohlichsten für abweichende Meinungen und oppositionelle Haltungen gegen die Regierungspolitik ist die Erweiterung des Tatbestandes des Terrorismus. Er wird vage als Akt definiert, der menschliches Leben be-droht, Strafgesetze verletzt und >möglicherweise darauf zielt, die Zivil-

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bevölkerung einzuschüchtern oder Zwang auf sie auszuüben<… Damit hätten auch die Demonstrationen in Seattle gegen die WTO als terrori-stisch eingestuft werden können. Diese Verschärfung ist ebenso bedroh-lich wie überflüssig, denn es gibt bereits zahlreiche Gesetze, die zivilen Widerstand unter Strafverfolgung stellen, ohne solche altehrwürdigen Proteste als terroristisch zu qualifizieren und mit strengen Gefängnisstra-fen zu belegen

Die US-Regierung versteht den Krieg gegen den Terrorismus als dau-erhaften Krieg, ein Krieg ohne Grenzen. Der Terrorismus macht uns allen Angst, aber es ist ebenso beunruhigend, dass unsere Regierung im Na-men der Terrorismusbekämpfung bereit ist, auch die verfassungsmäßi-gen Freiheitsrechte dauerhaft aufzuheben.«9

Osama Bin Laden und seine al-Qaida dienen als einzige Begründung für diesen Krieg. Die Bush-Regierung benutzt die Kampagne gegen den internationalen Terrorismus nicht nur, um die umfangreiche Bombardie-rung ziviler Ziele in Afghanistan zu rechtfertigen, sondern auch, um mit den Maßnahmen gegen den inneren Terrorismus die verfassungsmäßigen Rechte und den Rechtsstaat in den USA außer Kraft zu setzen.

Von den westlichen Medien entsprechend zurechtfrisiert, ist Osama Bin Laden der neue Bösewicht. Er ist zugleich der Grund und die Folge von Krieg und sozialer Verelendung. Er wird zudem für die Toten unter der afghanischen Zivilbevölkerung verantwortlich gemacht, die doch Opfer der US-Bombardierungen sind. US-Verteidigungsminister Donald Rums-feld schloss noch vor den Angriffen auf Afghanistan »den eventuellen Einsatz von Atomwaffen« als Teil der Kampagne gegen Osama Bin La-dens al-Qaida nicht aus.10

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Vorbemerkung Nur wenige Wochen nach dem blutigen Militärputsch in Chile am 11. Sep-tember 1973, bei dem die gewählte Regierung von Präsident Salvador Allende gestürzt wurde, ordnete die Militärjunta unter General Augusto Pinochet die Anhebung des Brotpreises von elf auf 40 Escudos an. Diese enorme Steigerung von 364 Prozent von einem auf den anderen Tag war Teil einer wirtschaftlichen Schocktherapie, das Werk einer Gruppe von Ökonomen, die man die »Chicago Boys« nannte.

Zur Zeit des Militärcoups lehrte ich am Wirtschaftsinstitut der Katholi-schen Universität von Chile. Dort wimmelte es von Ökonomen, die in Chi-cago ausgebildet worden waren und der neoliberalen Lehre des Chicagoer Wirtschaftsprofessors Milton Friedman folgten. Am 11. September, nach der Bombardierung des Präsidentenpalastes La Moneda, verhängten die neuen Militärherrscher eine 72-stündige Ausgangssperre. Als die Univer-sität nach einigen Tagen wieder öffnete, jubilierten die Chicago Boys. Nur wenige Wochen später wurden mehrere meiner Kollegen von der Wirt-schaftsfakultät in Schlüsselpositionen der Militärregierung berufen.

Während die Lebensmittelpreise in den Himmel schossen, wurden die Löhne eingefroren, um »wirtschaftliche Stabilität« zu sichern und den »Inflationsdruck« abzuwehren. Über Nacht wurde das gesamte Land in elendigste Armut gestürzt. In weniger als einem Jahr stieg der Brotpreis in Chile um das 36fache. 85 Prozent der chilenischen Bevölkerung wur-den unter die Armutsschwelle getrieben.

Diese Ereignisse haben meine Arbeit als Ökonom tief geprägt. Ich er-lebte mit eigenen Augen, wie durch die Manipulation der Preise, der Löh-ne und Zinssätze das Leben von Menschen zerstört wurde. Eine ganze Volkswirtschaft wurde destabilisiert. Ich begann zu verstehen, dass die makroökonomische Reform weder neutral war – wie die Hauptströmung der Volkswirtschaftslehre behauptet – noch von den breiteren Prozessen sozialer und politischer Transformation getrennt werden konnte. So kon-zentrierte ich mich in meinen frühen Arbeiten auf die Funktion, die der so genannte »freie Markt« als gut organisiertes Instrumentarium wirtschaft-licher Repression in der Wirtschaftspolitik der chilenischen Militärjunta erfüllte.

Zwei Jahre später kehrte ich als Gastprofessor der Universidad Nacio-nal de Córdoba im industriellen Kernland Argentiniens nach Lateinameri-ka zurück. Mein Aufenthalt fiel mit dem militärischen Staatsstreich von 1976 zusammen. Zehntausende von Menschen wurden verhaftet, ver-schleppt und ermordet. Die militärische Machtübernahme in Argentinien war eine exakte Kopie des von der CIA gelenkten Putsches in Chile. Auch

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hier folgten den Massakern und Menschenrechtsverletzungen »marktlibe-rale« Reformen, dieses Mal unter Aufsicht der Gläubiger Argentiniens in New York.

Die tödlichen Wirtschaftsrezepte des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Rahmen der »Strukturanpassungsprogramme« waren damals noch nicht zur offiziellen Politik geworden. Aber die wirtschaftlichen Maß-nahmen in Chile und Argentinien im Stil der Chicago Boys waren eine Generalprobe für Dinge, die noch kommen sollten. Bald trafen die Verdik-te des freien Marktsystems ein Land nach dem anderen. Seit dem Aus-bruch der Schuldenkrise in den 80er Jahren wendete der IWF die glei-chen wirtschaftlichen Gesundungsrezepte in mehr als 150 Entwicklungs-ländern an. Ausgehend von meinen früheren Arbeiten in Chile, Argentini-en und Peru begann ich, die globalen Auswirkungen dieser Reformen zu untersuchen, und kam zu der Überzeugung, dass eine Neue Weltordnung Gestalt gewann, die sich unerbittlich von Armut und wirtschaftlichen Verwerfungen nährte.

In der Zwischenzeit wurden die meisten Militärregimes Lateinamerikas durch parlamentarische »Demokratien« ersetzt, betraut mit der schreck-lichen Aufgabe, die Volkswirtschaften ihrer Länder im Rahmen der von der Weltbank betriebenen Privatisierungsprogramme unter den Hammer zu bringen.

1990 kehrte ich an die Katholische Universität von Peru zurück, wo ich nach dem Militärputsch von 1973 in Chile gelehrt hatte. Ich kam in Lima an, als gerade der Wahlkampf um die Präsidentschaft voll entbrannt war. Die Wirtschaft des Landes steckte in der Krise. Die scheidende populisti-sche Regierung von Präsident Alan Garcia war vom IWF auf die schwarze Liste gesetzt worden, hatte also keine Kredite mehr bekommen. Neuer Präsident von Peru wurde am 28. Juli 1990 Alberto Fujimori. Und nur wenige Tage darauf schlug die wirtschaftliche Schocktherapie mit voller Wucht zu. Peru wurde abgestraft, weil es sich nicht den Diktaten des IWF gebeugt hatte: Der Preis von Benzin stieg um das 31fache, der Brotpreis um mehr als das Zwölffache an einem einzigen Tag. Der IWF – in enger Beratung mit dem US-Finanzministerium – zog hinter den Kulissen die Fäden. Diese Reformen – durchgeführt im Namen der Demokratie – wa-ren noch weit vernichtender als jene, die in Chile und Argentinien unter der Faust der Militärherrschaft zustande gekommen waren.

In den 80er und 90er Jahren bereiste ich ausgiebig Afrika. Die Feldfor-schung für die erste Ausgabe dieses Buches begann in Ruanda, das sich damals trotz des hohen Armutsniveaus noch selbst mit Nahrungsmitteln versorgen konnte. Aber seit Anfang der 90er Jahre wurde die funktionie-rende Volkswirtschaft Ruandas zerstört, seine einst blühende Land-wirtschaft destabilisiert. Der IWF hatte die Öffnung des heimischen Mark-tes für billige US-amerikanische und europäische Getreideüberschüsse

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verlangt, angeblich mit dem Ziel, die ruandischen Bauern zu größerer »Wettbewerbsfähigkeit« zu ermutigen (siehe Kapitel 7).

Von 1992 bis 1995 unternahm ich weitere Feldforschungen in Indien, Bangladesch und Vietnam und kehrte nach Lateinamerika zurück, um meine Untersuchung über Brasilien abzuschließen. In allen Ländern, die ich besuchte, einschließlich Kenias, Nigerias, Ägyptens, Marokkos und der Philippinen, beobachtete ich das gleiche Muster wirtschaftlicher Ma-nipulation und politischer Einmischung durch die internationalen Finanz-organisationen in Washington. In Indien wurden als direkte Folge der IWF-Reformen Millionen von Menschen in den Hunger getrieben. In Viet-nam, einer der prosperierendsten Reiswirtschaften, brachen lokale Hun-gersnöte aus, die eine direkte Konsequenz der Aufhebung der Preiskon-trollen und Deregulierung des Getreidemarktes waren.

Nach dem Kalten Krieg, auf der Höhe der Wirtschaftskrise, reiste ich in mehrere Städte und ländliche Gebiete Russlands. Die vom IWF geförder-ten Reformen waren in eine neue Phase getreten und machten nun auch den Ländern des ehemaligen Ostblocks schwer zu schaffen. Ab dem Jahr 1992 sind weite Teile der ehemaligen Sowjetunion vom Baltikum bis Ost-sibirien in bitterste Armut gestürzt worden.

Die Arbeiten an der ersten Auflage dieses Buches waren Anfang 1996 beendet, mit Ausnahme einer detaillierten Studie über den wirtschaftli-chen Zerfall Jugoslawiens (s. Kapitel 17). Dort wurde von den Weltbank-ökonomen ein »Bankrottprogramm« auf den Weg gebracht, dem 1989/90 etwa 1100 Industrieunternehmen zum Opfer fielen. Über 614.000 Arbeitnehmer verloren ihren Job. Aber das war erst der Anfang einer viel durchgreifenderen wirtschaftlichen Zerstückelung des jugosla-wischen Bundesstaates.

Seit der Veröffentlichung der ersten Auflage hat sich die Welt drama-tisch verändert. Die Globalisierung der Armut hat mittlerweile alle großen Regionen der Erde einschließlich Westeuropas und Nordamerikas erfasst. Eine Neue Weltordnung wurde errichtet, die die nationale Souveränität und die Rechte der Bürger untergräbt. Die neuen Regeln der 1994 ge-gründeten Welthandelsorganisation (WTO) sichern den weltgrößten Ban-ken und multinationalen Konzernen verbriefte Rechte zu. Die öffentlichen Schulden sind explodiert und die staatlichen Institutionen zusammenge-brochen, während die Anhäufung privaten Reichtums unerbittlich voran-schreitet.

Die neuen Kapitel dieser zweiten Ausgabe wenden sich einigen der Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts zu: der Fusionswelle und der Kon-zentration von wirtschaftlicher Macht in der Hand der Konzerne, dem Zusammenbruch der Volks- und Lokalwirtschaften, der Krise der Finanz-märkte, dem Ausbruch von Hunger und Bürgerkrieg sowie dem Abbau des Wohlfahrtsstaates in den meisten westlichen Ländern.

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Ich bin vielen Menschen in vielen Ländern zu Dank verpflichtet, die mir Einsicht in die Wirtschaftsreformen in ihren Ländern gaben und mir bei den Untersuchungen vor Ort behilflich waren, im Verlauf meiner Arbeit kam ich in Kontakt mit Bauern, Industriearbeitern, Lehrern, Beschäftig-ten im Gesundheitswesen, Staatsbediensteten, Mitgliedern von For-schungsinstitutionen, Universitätsprofessoren und Mitgliedern von Nicht-regierungsorganisationen, mit denen ich Bande der Freundschaft und Solidarität geschlossen habe. Dieses Buch ist ihrem Kampf gewidmet.

Ich danke dem Social Sciences and Humanities’ Research Council of Canada und dem Faculty of Social Sciences’ Research Committee der Universität von Ottawa für ihre Unterstützung. Die in diesem Buch ver-tretenen Ansichten sind meine eigenen.

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Einleitung Die Menschheit ist nach der Ara des Kalten Krieges in eine wirtschaftliche und soziale Krise beispiellos rascher Verarmung großer Teile der Weltbe-völkerung gestürzt. Ganze Volkswirtschaften brechen zusammen, Ar-beitslosigkeit nimmt überhand. In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, in Asien und Lateinamerika sind regionale Hungersnöte ausge-brochen. Diese Globalisierung der Armut – die die Errungenschaften der Entkolonialisierung nach dem Krieg weitgehend umgekehrt hat – begann in der Dritten Welt zusammen mit der Schuldenkrise der frühen 80er Jahre und der Durchsetzung der mörderischen Auflagen des Internationa-len Währungsfonds (IWF).

Die Neue Weltordnung nährt sich von menschlicher Armut und der Zerstörung der natürlichen Umwelt. Sie schafft soziale Apartheid, schürt Rassismus und ethnische Kämpfe, sie höhlt die Rechte von Frauen aus und stürzt häufig Länder in zerstörerische Auseinandersetzungen zwi-schen verschiedenen Volksgruppen. Seit den 90er Jahren hat sie ihren Zugriff auf alle großen Weltregionen ausgedehnt, einschließlich Nordame-rikas, Westeuropas, der Länder des ehemaligen Ostblocks sowie der neu-en Industrienationen Südostasiens und des Fernen Ostens.

Diese weltweite Krise ist vernichtender als die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre. Sie hat weit reichende geopolitische Auswirkungen: Die wirt-schaftlichen Verwerfungen werden begleitet von regionalen Kriegen, dem Auseinanderbrechen von Nationalstaaten und in einigen Fällen der Zer-störung ganzer Länder. Es ist bei weitem die schwerste Wirtschaftskrise in der modernen Geschichte.

Die Rezession nach dem Kalten Krieg. In der ehemaligen So-wjetunion war der wirtschaftliche Niedergang seit 1992 gravierender als der, den das Land im Zweiten Weltkrieg erlitten hatte – direkte Folge der tödlichen »Medizin« des IWF. Nach der Vollbeschäftigung und relativen Preisstabilität der 70er und 80er Jahre schoss die Inflation in die Höhe, Realeinkommen wie Beschäftigung brachen zusammen und die Gesund-heitsversorgung wurde drastisch zurückgefahren. Als Folge haben sich Cholera und Tuberkulose mit alarmierender Geschwindigkeit über weite Regionen der ehemaligen Sowjetunion ausgebreitet.

Dieses Muster in der ehemaligen Sowjetunion wiederholte sich in ganz Osteuropa und auf dem Balkan. Eine Volkswirtschaft nach der anderen brach zusammen. In den baltischen Ländern (Litauen, Lettland und Est-land) ging die Industrieproduktion ebenso wie in den Kaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan um bis zu 65 Prozent zurück. In Bulgarien waren die Renten 1997 auf zwei Dollar im Monat gesunken.1 Die Welt-

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bank räumte ein, dass 90 Prozent der Bulgaren unterhalb der von ihr definierten Armutsschwelle von vier Dollar am Tag lebten.2 Teile der Be-völkerung in ganz Osteuropa und auf dem Balkan, die kein Geld mehr für Elektrizität, Wasser und Transportmittel hatten, wurden brutal margina-lisiert.

In Ostasien war die Finanzkrise von 1997 – gekennzeichnet von speku-lativen Angriffen gegen nationale Währungen – in hohem Maße für den Niedergang der asiatischen »Tigerstaaten« Indonesien, Thailand und Ko-rea verantwortlich. Die Stützungsvereinbarungen mit dem IWF unmittel-bar nach dem Finanz-Crash führten praktisch über Nacht zu einem abrupten Sinken des Lebensstandards. In Korea (s. Kapitel 21) wurden nach der »Vermittlung« des IWF – erreicht nach hochrangigen Konsulta-tionen mit den weltgrößten Geschäfts- und Handelsbanken – »jeden Tag im Durchschnitt mehr als 200 Firmen geschlossen… 4000 Arbeitnehmer wurden jeden Tag auf die Straße gesetzt.«3 Zur gleichen Zeit stürzten die Löhne in Indonesien inmitten gewalttätiger Straßenkämpfe von 40 auf 20 Dollar im Monat; und der IWF bestand auf der Abkoppelung der Löhne vom Preisindex als Mittel, um den Inflationsdruck abzuschwächen.

In China droht durch die Privatisierung oder den erzwungenen Bank-rott von Tausenden von Staatsunternehmen 35 Millionen Arbeitnehmern die Entlassung. Nach einer jüngsten Schätzung gibt es in Chinas ländli-chen Gegenden 130 Millionen überschüssige Arbeitskräfte.4 Die Vorhersa-ge der Weltbank von 1990, dass in China mit der Durchführung von »Marktreformen« die Armut im Jahr 2000 auf 2,7 Prozent fallen würde, klingt heute wie bittere Ironie.5

In Großbritannien führten bereits während der Thatcher-Ära strenge Sparmaßnahmen zur langsamen Auflösung des Sozialstaates. Die Maß-nahmen zur wirtschaftlichen »Stabilisierung«, die der Inflationsbekämp-fung dienen sollen, drückten das Einkommen der arbeitenden Bevölke-rung und schwächten die Rolle des Staates. Seit den 90er Jahren ent-halten die Rezepte, die in vielen Industrieländern der Genesung der Wirt-schaft dienen sollen, viele der wesentlichen Zutaten der strukturellen Anpassungsprogramme, die IWF und Weltbank den Ländern in der Drit-ten Welt und Osteuropa aufzwingen.

Im Gegensatz zu den Entwicklungsländern werden die Reformen in Eu-ropa und Nordamerika jedoch ohne die Vermittlung des IWF durchge-setzt. Die Anhäufung großer öffentlicher Schuldenberge in den westlichen Ländern hat den Finanzeliten einen politischen Hebel an die Hand gege-ben und sie mit der Macht ausgestattet, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierungen zu diktieren. Unter dem Einfluss des Neoliberalismus sind überall die öffentlichen Ausgaben gestutzt und Sozialprogramme gestrichen worden. Die staatliche Politik betreibt die Deregulierung des Arbeitsmarktes; auf dem Programm stehen die Abkoppelung der Ein-

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kommen vom Preisindex, Teilzeitbeschäftigung, Frühpensionierung und die Erzwingung »freiwilligen « Lohnverzichts.

Gleichzeitig werden frei werdende Arbeitsplätze nicht neu besetzt, d.h. die Last der Arbeitslosigkeit wird auf die jüngeren Altersgruppen abge-wälzt und mithin einer ganzen Generation der Weg in den Arbeitsmarkt verbaut. Die Regeln des Personalmanagements in den USA lauten: »>Zerschlagt die Gewerkschaften<, >Bringt die alten gegen die jüngeren Arbeitnehmer auf<, >Ruft Streikbrecher<, >Kürzt die Löhne und die be-triebliche Krankenversicherung«<.6

Seit den 80er Jahren ist ein großer Teil der Arbeitnehmer in den USA aus gewerkschaftlich abgesicherten, gut bezahlten Arbeitsstellen in Nied-riglohnjobs abgedrängt worden. Westliche Städte verelenden; die Le-bensverhältnisse in den amerikanischen Ghettos und Slums sind in vieler Hinsicht auf das Niveau der Dritten Welt gesunken. Während die offizielle Arbeitslosenrate in den USA in den 90er Jahren sank, stieg die Anzahl der Menschen in niedrig bezahlten Teilzeitjobs sprunghaft an. Sinkt die Mindestlohnbeschäftigung weiter, werden große Teile der arbeitenden Bevölkerung völlig aus dem Arbeitsmarkt verdrängt: »Die wirklich brutale Seite der Rezession trifft im Wesentlichen die Gemeinschaften der neuen Einwanderer in Los Angeles, wo sich die Arbeitslosenzahlen verdreifacht haben und es kein soziales Netz gibt. Die Menschen befinden sich im freien Fall, ihr Leben fällt buchstäblich auseinander wenn sie ihre Niedrig-lohnjobs verlieren.«7

Währenddessen reißt die wirtschaftliche Umstrukturierung tiefe Gräben zwischen den sozialen Klassen und ethnischen Gruppen auf. Das Klima in den großen Metropolen ist von sozialer Apartheid gekennzeichnet und durch die Stadtlandschaften ziehen sich ebenso unsichtbare wie scharfe Trennlinien. Der Staat reagiert mit zunehmender Repression, um die so-ziale Unzufriedenheit in den Griff zu bekommen und den zivilen Aufruhr zu bändigen.

Die Welle von Firmenzusammenschlüssen, Rationalisierungen und Fa-brikschließungen betrifft alle Segmente der Arbeitnehmerschaft, denn die Rezession schlägt auch auf die Haushalte der Mittelklasse und die oberen Einkommensschichten durch. Forschungsbudgets werden beschnitten, Wissenschaftler, Ingenieure und Akademiker werden entlassen, und hoch bezahlte Beamte und Manager der mittleren Ebene werden zwangsweise in den Ruhestand geschickt.

Mittlerweile haben sich die Errungenschaften der frühen Nachkriegszeit durch die Verschlechterung der Arbeitslosenversicherung und die Privati-sierung der Pensionsfonds weitgehend ins Gegenteil verkehrt. Schulen und Krankenhäuser werden geschlossen und damit die Bedingungen für eine umfassende Privatisierung der sozialen Dienste geschaffen.

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Das Elend der Billiglohnökonomie. Die Globalisierung der Armut voll-zieht sich in einer Phase schneller technologischer und wissenschaftlicher Fortschritte. Obwohl diese die potentielle Fähigkeit des Wirtschaftssy-stems enorm erhöhen, notwendige Güter und Dienstleistungen zu produ-zieren, hat der Produktivitätsschub nicht dazu geführt, die globale Armut zu vermindern. Das weltweite Absinken des Lebensstandards zu Beginn des neuen Jahrtausends ist nicht das Ergebnis einer Knappheit produkti-ver Ressourcen.

Im Gegenteil: Es sind gerade die Rationalisierung, die Um-strukturierung der Unternehmen und die Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer in der Dritten Welt, die zu vermehrter Arbeitslosigkeit und beträchtlich niedrigeren Einkommen der städtischen Arbeitnehmer und der Bauern geführt haben. Diese neue internationale Wirtschaftsord-nung nährt sich von Armut und billiger Arbeit. Die hohe Arbeitslosigkeit in den Industrienationen und Entwicklungsländern dient dazu, die Real-löhne zu drücken. Arbeitslosigkeit wird internationalisiert, wobei das Ka-pital auf der ständigen Suche nach billigerer Arbeit von einem Land zum anderen wandert. Der International Labor Organization (ILO) zufolge sind weltweit eine Milliarde Menschen, fast ein Drittel der globalen Erwerbsbe-völkerung, von Arbeitslosigkeit betroffen.8

Die Weltarbeitslosigkeit dient als Hebel, um weltweit die Lohnkosten zu regulieren: Weil in der Dritten Welt und dem ehemaligen Ostblock über-schüssige Billigarbeitskräfte die Arbeit erledigen können, lassen sich auch die Löhne in den Industrieländern drücken. Die Reallöhne in der Dritten Welt und in Osteuropa sind bis zu 70-mal niedriger als in den USA, West-europa und Japan. Praktisch alle Berufsgruppen, auch hoch qualifizierte und wissenschaftliche Berufe, sind davon betroffen.

Während die herrschende ökonomische Lehre die »effiziente Verteilung knapper Ressourcen« einer Gesellschaft betont, dementieren die bitteren sozialen Realitäten die Konsequenzen dieser Verteilungslogik. Fabriken werden geschlossen, kleine und mittlere Unternehmen werden in den Bankrott getrieben, qualifizierte Arbeitnehmer und Staatsbedienstete entlassen. Im Namen der »Effizienz« liegen Humankapital und Produkti-onsstätten brach. Der unerbittliche Druck zur »effizienten« Nutzung der gesellschaftlichen Ressourcen auf mikroökonomischer Ebene führt zur genau entgegengesetzten Situation auf der makroökonomischen Ebene. Der moderne Kapitalismus scheint völlig unfähig zu sein, diese ungenutz-ten menschlichen und materiellen Ressourcen zu mobilisieren. Reichtum durch spekulative und kriminelle Geschäfte. Diese globa-le wirtschaftliche Umstrukturierung fördert die Stagnation des Angebots notwendiger Güter und Dienstleistungen, während sie Investitionen in die lukrative Luxusgüterindustrie umlenkt. Statt auf produktive Wirtschafts-tätigkeit konzentriert sich die Kapitalbildung zunehmend auf spekulative

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und betrügerische Transaktionen, die wiederum Störungen auf den gro-ßen Finanzmärkten der Welt verursachen.

Eine privilegierte Minderheit hat große Reichtümer auf Kosten der gro-ßen Mehrheit der Weltbevölkerung angehäuft. Die Zahl der Milliardäre allein in den USA stieg von 13 im Jahr 1982 über 149 im Jahr 1996 auf über 300 im Jahr 2000. Der globale Club der Milliardäre – mit etwa 450 Mitgliedern – verfügt über ein weltweites Gesamtvermögen, das deutlich über dem Bruttosozialprodukt der Gruppe der einkommensschwächsten Länder liegt, wo 59 Prozent der Weltbevölkerung leben.9 Der private Reichtum der Familie Walton aus Arkansas etwa, der die Einzelhandels-kette Wal-Mart gehört (85 Mrd. Dollar) – einschließlich der Erbin Alice Walton und der Brüder Robson, John, Jim und Mutter Helen – ‚ ist mehr als doppelt so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt von Bangladesch (33,4 Mrd. Dollar) mit einer Bevölkerung von 127 Millionen Menschen und ei-nem Pro-Kopf-Einkommen von 260 Dollar im Jahr.

Darüber hinaus vollzieht sich die Kapitalakkumulation zunehmend au-ßerhalb der realen Ökonomie, nicht durch produktive und kommerzielle Wirtschaftstätigkeit: »Erfolge am Aktienmarkt der Wall Street (also Spe-kulationsgewinne durch Aktienhandel) waren für den größten Teil der Zu-nahme von Milliardären im letzten Jahr (1996) verantwortlich.«10 Zu-gleich fließen Milliarden von Dollar aus spekulativen Transaktionen auf geheime Nummernkonten in den mehr als 50 Steueroasen auf der gan-zen Welt. Nach einer konservativen Schätzung der US-Investmentbank Merrill Lynch beträgt der Reichtum von Privatpersonen auf privaten Bankkonten in Steueroasen 3,3 Billionen Dollar.11 Der IWF beziffert das Vermögen von Konzernen und Privatpersonen in Steueroasen auf schät-zungsweise 5,5 Billionen Dollar, eine Summe, die sich auf 25 Prozent des gesamten Welteinkommens beläuft.12 Die weitgehend illegal erworbenen Reichtümer der Eliten der Dritten Welt auf Nummernkonten wurden in den 90er Jahren auf 600 Mrd. Dollar geschätzt, davon ein Drittel in der Schweiz.13

Die »Marktreformen« begünstigen die Zunahme illegaler Aktivitäten und die Internationalisierung der Verbrechenswirtschaft. In Lateinameri-ka und Osteuropa konnten kriminelle Syndikate durch die von der Welt-bank geförderten Privatisierungsprogramme illegale Mittel in den Erwerb von Staatseigentum investieren. Den Vereinten Nationen (UN) zufolge betragen die Einkünfte transnationaler Verbrecherorganisationen weltweit etwa eine Billion Dollar, das entspricht dem Bruttosozialprodukt der Gruppe der ärmsten Länder mit einer Bevölkerung von drei Milliarden Menschen.14 Diese UN-Schätzung schließt den Drogen- und Waffenhandel und den Schmuggel von Nuklearmaterial ein, ebenso wie die Gewinne aus der von der Mafia kontrollierten Dienstleistungsökonomie (z.B. Prostitution, Glücksspiel, Wechselstuben usw.). Was diese Zahlen nicht angemessen vermitteln, ist die Größenordnung der Investitionen krimineller Organisationen in die legale Wirtschaft und die beträchtliche

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Organisationen in die legale Wirtschaft und die beträchtliche Kontrolle, die sie über reguläre Unternehmen gewonnen haben.

Kriminelle Gruppen arbeiten regelmäßig mit solchen Unternehmen zu-sammen und investieren in eine Vielzahl legaler Aktivitäten, die nicht nur einen Deckmantel für Geldwäsche bieten, sondern auch einen bequemen Weg darstellen, Reichtum außerhalb der kriminellen Ökonomie anzuhäu-fen. Einem Beobachter zufolge »erzielen organisierte Verbrechergruppen bessere Ergebnisse als die meisten Fortune 500-Unternehmen… mit Or-ganisationen, die eher General Motors ähneln als der traditionellen sizi-lianischen Mafia«.15 Vor einem Unterausschuss des US-Kongresses er-klärte FBI-Direktor Jim Moody, dass kriminelle Organisationen in Russ-land »mit ausländischen Verbrechergruppen zusammenarbeiten, darunter italienischen und kolumbianischen… Der Übergang zum Kapitalismus (in der ehemaligen Sowjetunion) bot neue Gelegenheiten, die rasch von kri-minellen Organisationen ausgenutzt wurden.«16 Die Krise der Überproduktion und die Verdrängung der Kleinpro-duzenten. Die Expansion der Produktion im globalen Kapitalismus ver-dankt sich der Minimierung der Beschäftigung und Löhne. Dadurch sinkt allerdings die Verbrauchernachfrage nach notwendigen Waren und Dienstleistungen. Einer unbegrenzten Produktionskapazität steht eine be-grenzte Konsumkapazität gegenüber. Die Folge dieses Missverhältnisses ist Überproduktion in nie gekanntem Ausmaß. Die Unternehmen können in diesem System also nur expandieren, wenn gleichzeitig Produktions-kapazität beseitigt wird, d.h. »überschüssige« Unternehmen Bankrott gehen und liquidiert werden. Wenn aber ganze Industriezweige brach fallen, erwirtschaften die davon betroffenen direkten Erzeuger kein Ein-kommen mehr, mit dem sie am Warenreichtum partizipieren könnten. Entgegen dem von der herrschenden ökonomischen Lehre verkündeten Theorem Jean Baptiste Says schafft Angebot nicht seine eigene Nachfra-ge. Seit den frühen 80er Jahren hat die Überproduktion von Gütern zu einem starken Verfall der (realen) Preise geführt, mit vernichtenden Kon-sequenzen besonders für die Rohstoffproduzenten, aber auch den Ferti-gungssektor in der Dritten Welt.

In den Entwicklungsländern werden ganze Industriezweige, die für den Binnenmarkt produzieren, auf Anordnung der Weltbank und des IWF in den Bankrott getrieben. Der informelle urbane Sektor – der historisch eine wichtige Rolle bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze spielte – wird als Folge von Währungsabwertungen, der Liberalisierung von Importen und der Überschwemmung der heimischen Märkte durch – zum Teil hoch subventionierte – Erzeugnisse aus den Industrieländern unterhöhlt.

Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Stagnation bzw. eines Minus-wachstums in Osteuropa, der ehemaligen Sowjetunion und den Subsaha-raländern verzeichnen die größten Konzerne der Welt ein beispielloses

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Wachstum und konnten ihren Anteil am Weltmarkt in nie gekannter Wei-se ausdehnen. Dieser Prozess vollzieht sich jedoch weitgehend durch die Verdrängung vorhandener Produktionskapazitäten, d.h. auf Kosten loka-ler regionaler und nationaler Produzenten.

Sofern kleine und mittelgroße Unternehmen »vor Ort« in den Bankrott getrieben werden, sind sie gezwungen, für globale Großhändler zu pro-duzieren, während große multinationale Konzerne durch das System der Lizenzvergabe die Kontrolle über die lokalen Märkte erlangen. Kapital-kräftige Großunternehmen (die Lizenzgeber) gewinnen auf diese Weise die Kontrolle über menschliche Ressourcen, billige Arbeitskräfte und das örtliche Unternehmertum und eignen sich so einen großen Teil des Ein-kommens kleiner lokaler Firmen und/oder Einzelhändler an, während der unabhängige Produzent (der Lizenznehmer) einen Großteil der Investitio-nen tragen muss.

Ein paralleler Prozess lässt sich auch in Westeuropa beobachten. Die politische Umgestaltung der Europäischen Union (EU) im Rahmen des Maastrichter Vertrags begünstigt zunehmend die herrschenden Finanzin-teressen auf Kosten der Einheit der europäischen Gesellschaften. Die Staaten fördern bewusst die Bildung privater Monopole; das Großkapital zerstört das Kleinkapital in allen seinen Formen. Durch den Druck zur Bildung einheitlicher Wirtschaftsblöcke in Europa und Nordamerika wer-den regionale und lokale Unternehmer an die Wand gedrückt, das Wirt-schaftsleben in den Städten verändert sich grundlegend, weil das Klein-unternehmertum verdrängt wird. Der »freie Handel« und die wirtschaftli-che Integration verschaffen globalen Unternehmen größere Mobilität, während beides zugleich durch institutionelle Barrieren die Bewegung des kleinen, lokalen Kapitals verhindert. Die von Großunternehmen dominier-te wirtschaftliche Integration fördert unter dem Anstrich politischer Ein-heit häufig soziale Gegensätze und Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb nationaler Gesellschaften. Konsens und Krieg. Diese hier nur angedeuteten Prozesse werden ge-tragen von einem Konsens, der in wahrhaft überwältigender Weise he-gemonial geworden ist und dem die Regierungen auf der ganzen Welt vorbehaltlos verpflichtet sind: dem Neoliberalismus. Allüberall werden die gleichen ökonomischen Rezepte befolgt. Unter der Schirmherrschaft von IWF, Weltbank und WTO schaffen die marktliberalen Reformen gün-stige Bedingungen für global operierende Banken und multinationale Konzerne. Tatsächlich jedoch handelt es sich gar nicht um eine System »freier« Märkte: Trotz der neoliberalen Rhetorik nämlich stellen die von IWF und Weltbank eingeforderten »strukturellen Anpassungsprogramme« nur einen neuen interventionistischen Rahmen dar.

Denn die 1944 in Bretton Woods geschaffenen Institutionen des IWF und der Weltbank sowie die 1995 gegründete WTO sind Bürokratien, Re-

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gulierungsinstitutionen, die unter einem zwischenstaatlichen Schirm zu-gunsten mächtiger wirtschaftlicher und finanzieller Interessen operieren. Hinter diesen globalen Institutionen stehen Wall-Street-Banker und die Chefs der weltgrößten Wirtschaftskonzerne. An ihren Treffen und Konsul-tationen hinter verschlossenen Türen nehmen außerdem die Repräsen-tanten mächtiger globaler Wirtschaftslobbys teil, darunter der Internatio-nalen Handelskammer (ICC), des Trans Atlantic Business Dialogue (TABD) – die bei ihren jährlichen Zusammenkünften die größten west-lichen Konzerne mit Politikern und WTO-Vertretern zusammenbringen – ‚ des United States Council for International Business (USCIB), des In-ternationalen Wirtschaftsforums in Davos (bzw. im Januar 2002 erstmals in New York), des in Washington beheimateten Institute of International Finance (IIF), das die größten Banken und Finanzorganisationen der Welt repräsentiert, sowie anderer Organisationen. Weitere, halb verdeckt ar-beitende Organisationen, die eine wichtige Rolle bei der Formung der Institutionen der Neuen Weltordnung spielen, sind z.B. die Trilaterale Kommission, die Bilderberg-Gruppe und der Council on Foreign Relations (CFR).

Die makroökonomischen Reformen und die fortwährend radikalisierte Handelsliberalisierung, die dieses mächtige Konglomerat der Globalisie-rungsagenten erzwingt, fördern die »friedliche« Rekolonialisierung von Ländern durch bewusste Manipulation der Marktkräfte. Obwohl dazu kein offener Einsatz von Gewalt erforderlich ist, stellt die rücksichtslose Durchsetzung dieser Wirtschaftsreformen dennoch eine Form der Krieg-führung dar. In diesem allgemeineren Sinne sind Krieg und Globalisie-rung keine getrennten Probleme.

Was geschieht mit Ländern, die sich weigern, sich den westlichen Ban-ken und multinationalen Konzernen zu öffnen, wie es die WTO verlangt? Militär und Geheimdienste des Westens pflegen den Kontakt zum Finanz-establishment. Die internationalen Finanzinstitutionen arbeiten auch mit der NATO und ihren verschiedenen »Friedens«-Missionen zusammen, ganz zu schweigen von der Finanzierung des dann fälligen Wiederauf-baus.

Zu Beginn des dritten Jahrtausends gehen Krieg und »freie Märkte« Hand in Hand. Der Krieg ist gewissermaßen das multilaterale Investiti-onsabkommen der letzten Instanz. Er zerstört physisch, was durch Dere-gulierung, Privatisierung und die Erzwingung von »Marktreformen« noch nicht vernichtet wurde. Direkte kriegerische Kolonialisierung und die Er-richtung westlicher Protektorate erfüllen de facto den Zweck, westlichen Banken und multinationalen Konzernen ungehinderten Zugang zu den betreffenden Märkten zu verschaffen, so dass sie – wie in den Bestim-mungen der WTO verlangt – global wie auf einem nationalen Markt agie-ren können. Die »Raketendiplomatie« von heute wiederholt die Kanonen-bootdiplomatie, die im 19. Jahrhundert zur Durchsetzung des »Freihan-

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dels« diente. Nach den Opiumkriegen warnte Caleb Cushing, der 1844 von den USA nach China entsandt worden war, um die Öffnung der chi-nesischen Häfen auszuhandeln, die kaiserliche Regierung Chinas, dass »die Weigerung, den amerikanischen Forderungen nachzukommen, als Einladung zum Krieg aufgefasst werden könnte«.17 Entwaffnet die Neue Weltordnung! Die Ideologie des freien Marktes stützt neue und brutale Formen staatlicher und suprastaatlicher Intervention, die auf der bewussten Manipulation von Marktkräften beruhen. Die Be-dingungen des WTO-Abkommens zur Sicherung des freien Handels si-chern tatsächlich die Rechte der weltgrößten Banken und multinationalen Konzerne. Dagegen verlieren die Bürger in den einzelnen Ländern das Recht auf politische Beteiligung, weil die Durchsetzung internationaler Handelsabkommen durch die WTO auf nationaler und internationaler Ebene in keiner Weise demokratisch legitimiert ist. So drohen die Verein-barungen der WTO die nationalen Gesellschaften zu entmachten, wäh-rend sie das internationale Finanzestablishment mit ausgedehnten Be-fugnissen ausstatten. Der Neoliberalismus mit seiner Rhetorik der »guten Regierungsführung« (good governance) und des freien Marktes bietet den Herrschenden eine nur fadenscheinige Rechtfertigung.

Die Neue Weltordnung basiert auf dem »falschen Konsens« von Wa-shington und Wall Street, der das System freier Märkte als einzige mögli-che Wahl auf dem schicksalhaften Weg zu globalem Wohlstand verord-net. Alle politischen Parteien, einschließlich der Grünen, der Sozialdemo-kraten und der ehemaligen Kommunisten, heulen heute mit im Rudel derjenigen, die diese Neue Weltordnung beschwören.

Auf die Globalisierungsskeptiker die sich in den letzten Jahren immer vernehmlicher zu Wort gemeldet haben und nun anfangen, die Festung des G8-Kartells zu bestürmen, kommen in Zukunft schier unlösbare Auf-gaben zu. Sie müssen die hinterhältigen Verbindungen von Politikern und Vertretern der internationalen Finanzorganisationen aufdecken. Sie müs-sen alles daransetzen, staatliche Institutionen und zwischenstaatliche Organisationen aus der Umklammerung des Finanzestablishments zu befreien. Sie müssen der eklatanten Konzentration von Eigentum und privatem Reichtum entgegentreten, dem spekulativen Handel und der Geldwäsche Hindernisse in den Weg legen, Steueroasen austrocknen, für den Wiederaufbau des Wohlfahrtsstaats kämpfen. Sie müssen eine breite Koalition mit der Friedensbewegung eingehen, da das Militär, die Aufrü-stung und die Sicherheitsdienste des Westens nicht nur unmittelbar den Weltfrieden bedrohen, sondern grundsätzlich auch die herrschenden Wirtschafts- und Finanzinteressen stützen. Sie müssen den globalen Me-dien und den von ihnen fabrizierten Nachrichten, mit denen die Welterei-gnisse verzerrt dargestellt werden, eine eigene Öffentlichkeit entgegen-stellen, um das »falsche Bewusstsein«, das unsere Gesellschaften durch-

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dringt und kritische Debatten im Ansatz erstickt, aus den Köpfen zu ver-treiben.

Wir müssen diesen Kampf auf breiter Linie führen – in allen Ländern und in allen Gesellschaftsbereichen. Wir müssen uns über nationale, eth-nische und soziale Grenzen hinweg verständigen, vernetzen und vereini-gen. Wir müssen auf beispiellose Weise solidarisch und international handeln und der Wall-Street-Globalisierung die Globalisierung unseres Widerstandes entgegensetzen. Um die Armut zu beseitigen und einen dauerhaften Weltfrieden zu sichern, müssen wir die Neue Weltordnung entwaffnen.

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TEIL 1 Globale Armut und makroökonomische Reform

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1. Die Globalisierung der Armut Seit den frühen 80er Jahren zwingen IWF und Weltbank den Entwick-lungsländern als Bedingung für Umschuldungsverhandlungen und neue Kredite Programme zur »makroökonomischen Stabilisierung« und »Strukturanpassung« auf. Diese Programme haben zur Verarmung Hun-derter Millionen von Menschen geführt. Entgegen dem Geist der Verein-barungen von Bretton Woods, wo IWF und Weltbank 1944 aus der Taufe gehoben wurden, zielen diese Strukturanpassungsprogramme nicht auf wirtschaftlichen Wiederaufbau und stabile Wechselkurse; sie sind viel-mehr zu einem großen Teil dafür verantwortlich, nationale Währungen zu destabilisieren und die Wirtschaften von Entwicklungsländern zu ruinie-ren.

In den betreffenden Ländern kollabiert die Binnenkaufkraft, brechen Hungersnöte aus, müssen Krankenhäuser und Schulen geschlossen wer-den, bleibt nunmehr Hunderten Millionen von Kindern das Recht auf ele-mentare Bildung versagt. In mehreren Regionen der unterentwickelten Welt haben die Reformen zu einem Wiederaufleben von Infektions-krankheiten geführt, darunter Tuberkulose, Malaria und Cholera. Obwohl es der Weltbank offiziell obliegt, die Armut zu bekämpfen und zum Um-weltschutz beizutragen, hat sie mit ihrer Unterstützung für große Was-serkraftwerke und agrarindustrielle Projekte tatsächlich den Prozess der Entwaldung und der Zerstörung der natürlichen Umwelt beschleunigt und Beihilfe zur erzwungenen Umsiedlung und Vertreibung von mehreren Millionen Menschen geleistet. Die globale Geopolitik des Internationalen Währungsfonds. Die makroökonomische Umstrukturierung von Volkswirtschaften nach dem Kalten Krieg diente den geopolitischen Interessen des Westens. Struktur-anpassung wurde zu einem Mittel, um die Wirtschaften des ehemaligen Ostblocks zu unterminieren und das System der Staatsbetriebe zu zer-stören. Seit den späten 80er Jahren verabreichten IWF und Weltbank ihre »bittere Medizin« zur vermeintlichen Gesundung der Wirtschaft ganz Osteuropa, Jugoslawien und der ehemaligen Sowjetunion – mit vernich-tenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen (siehe Kapitel16 und 17).

Strukturanpassungsprogramme werden seit den 90er Jahren auch in den Industrieländern durchgeführt, wenngleich die Mechanismen, mit denen sie durchgesetzt werden, hier anders sind. Obwohl die makroöko-nomischen Therapien der westlichen Regierungen meist weniger brutal ausfallen als jene, die den Ländern des Südens und Ostens zugemutet

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werden, sind die theoretischen und ideologischen Konzepte weitgehend ähnlich. Auch hier dienen die Reformen denselben globalen Finanzinter-essen. Der Monetarismus ist im weltweiten Maßstab das Zaubermittel schlechthin, und der Prozess der globalen wirtschaftlichen Umstrukturie-rung trifft auch die reichen Länder ins Herz. Die Konsequenzen sind Ar-beitslosigkeit, niedrige Löhne und die Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung. Sozialausgaben werden gekürzt, viele Leistungen des Wohl-fahrtsstaates zurückgenommen, die Zerstörung von kleinen und mittle-ren Betrieben begünstigt. Mangel- und Unterernährung treffen heute auch die Armen in den Städten des reichen Westens. Einer jüngsten Stu-die zufolge werden 30 Millionen Menschen in den USA als »hungrig« klas-sifiziert.1

Die Auswirkungen der Strukturanpassungen, wozu auch die Schwä-chung der sozialen Rechte von Frauen und umweltschädliche Konsequen-zen der Wirtschaftsreformen zählen, sind hinlänglich dokumentiert. Ob-wohl die Institutionen von Bretton Woods die sozialen Härten der Anpas-sungsprogramme einräumen, ist keine Änderung ihrer Politik in Sicht. Tatsächlich werden seit Anfang der 90er Jahre die Auflagen des IWF und der Weltbank mit dem Zusammenbruch des Ostblocks – heute im Namen der »Bekämpfung der Armut« – immer härter und unerbittlicher.

In über 150 verschuldeten Ländern gleichzeitig setzt der IWF die glei-che »Tagesordnung« von strenger Haushaltsdisziplin, Währungsabwer-tung, Handelsliberalisierung und Privatisierung durch. Schuldnernationen verlieren ihre wirtschaftliche Souveränität und Kontrolle über die Steuer- und Geldpolitik. Sie geraten unter wirtschaftliche Vormundschaft. Ihre Zentralbanken und Finanzministerien werden – häufig im Verein mit den örtlichen Bürokratien – reorganisiert, die staatlichen Institutionen ge-schwächt oder beseitigt. Unter Umgehung demokratischer Mitbestim-mung etablieren die internationalen Finanzorganisationen allenthalben »Parallelregierungen«, und Länder, die sich die »Leistungsziele« des IWF nicht aufnötigen lassen, kommen auf die schwarze Liste – sie erhalten keine Kredite mehr.

Obwohl im Namen von Demokratie und der so genannten »guten Re-gierungsführung« (good governance) betrieben, erfordern die Struktuan-passungsprogramme tatsächlich die Stärkung der internen Sicherheitsap-parate und militärischen Nachrichtendienste in den betroffenen Ländern: Politische Repression geht – mit dem geheimen Einverständnis der Eliten der Dritten Welt – Hand in Hand mit »ökonomischer Repression«.

Für die Geberländer und Gläubiger der Entwicklungsländer sind »gute Regierungsführung« und Mehrparteienwahlen zusätzliche Bedingungen für Umschuldungen und neue Kredite. Doch allein schon das Wesen der Wirtschaftsreformen schließt eine echte Demokratisierung aus. Ihre Um-setzung erfordert nämlich entgegen dem Geist des angelsächsischen Li-beralismus unweigerlich die Rückendeckung durch das Militär und eine

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autoritäre Staatsmacht. So begünstigen die Strukturanpassungen Scheininstitutionen und eine nur vorgetäuschte parlamentarische Demo-kratie, die ihrerseits den Prozess der wirtschaftlichen Umstrukturierung unterstützt.

In der gesamten Dritten Welt herrschen Verzweiflung und Hoffnungs-losigkeit unter einer durch das Spiel der Marktkräfte verarmten Bevölke-rung. In Tunis kam es im Januar 1984 zu Hungeraufständen vor allem arbeitsloser Jugendlicher. In der venezolanischen Hauptstadt Caracas wurden 1989 Unruhen und Volksaufstände gegen das IWF-Anpas-sungsprogramm brutal unterdrückt. Nachdem er rhetorisch den IWF be-schuldigt hatte, »einen wirtschaftlichen Totalitarismus« zu praktizieren, »der nicht mit Kugeln, sondern durch Hunger tötet«, erklärte Präsident Carlos Andres Pérez den Ausnahmezustand und schickte Infanterie- und Marineeinheiten in die Elendsviertel (barrios de ranchos) auf den Hügeln über der Stadt. Die Anti-IWF-Unruhen wurden durch eine 200-prozentige Steigerung des Brotpreises ausgelöst. Auf Männer, Frauen und Kinder wurde unterschiedslos geschossen: »Das Leichenschauhaus von Caracas berichtete von 200 Toten allein in den ersten drei Tagen… und warnte, dass ihm die Särge ausgingen.«2

Inoffiziell kamen bei den Unruhen mehr als 1000 Menschen ums Leben. Im selben Jahr schloss das nigerianische Militär nach Studentenunruhen gegen die IWF-Anpassungen sechs Uni-versitäten. In Marokko brachen 1990 erst ein Generalstreik, dann ein Volksaufstand gegen die vom IWF gestützten Reformen aus. In Mexiko erhoben sich 1993 die Zapatisten in der Region Chiapas im Süden des Landes. Ebenfalls 1993 kam es in der Russischen Föderation zu Protesten gegen die IWF-Reformen. Nach einem Putschversuch wurde das russi-sche Parlament erstürmt. In Ecuador führten Massenproteste gegen die Übernahme des US-Dollars als nationaler Währung im Januar 2000 zum Rücktritt des Präsidenten. Im April desselben Jahres protestierten Tau-sende von Bauern in Bolivien gegen die Privatisierung der Wasser-ressourcen des Landes und die Durchsetzung von Nutzungsgebühren. Die Liste ist lang und wird immer länger.

Wirtschaftliche Strukturanpassungen mit ihrer bewussten Manipulation von Marktkräften schließen »ökonomische Völkermorde« nicht aus. Ver-glichen mit den früheren Perioden der Kolonialgeschichte, die besonders durch erzwungene Arbeit und Sklaverei geprägt waren, sind die sozialen Auswirkungen noch vernichtender. Die Anwendung struktureller Anpas-sungsprogramme in etlichen Schuldnerländern begünstigt die Internatio-nalisierung einer makroökonomischen Politik unter direkter Kontrolle von IWF und Weltbank, die sich zugunsten mächtiger finanzieller und politi-scher Interessen auswirkt, wie sie z.B. im Pariser und Londoner Club und durch die G7-Länder vertreten sind. Diese neue Form der ökonomischen und politischen Herrschaft – eine Form des »Marktkolonialismus« – un-terjocht Menschen und Regierungen durch das scheinbar neutrale Spiel

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der Marktkräfte. Die in Washington angesiedelte Bürokratie der interna-tionalen Finanzorganisationen wurde von den internationalen Gläubigern und multinationalen Konzernen mit der Ausführung eines globalen öko-nomischen Plans beauftragt, der den Lebensunterhalt von mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung betrifft. Die Zerstörung der Volkswirtschaften. Zu keiner Zeit in der Ge-schichte hat der – mit makroökonomischen Instrumenten manipulierte – »freie« Markt eine so wichtige Rolle für das Schicksal souveräner Staaten gespielt.

Die Umstrukturierung der Weltwirtschaft unter Führung von IWF und Weltbank nimmt Entwicklungsländern zunehmend die Möglichkeit, ihre Volkswirtschaften eigenständig aufzubauen. Stattdessen machen die in-ternationalen Finanzorganisationen aus diesen Ländern offene Wirt-schaftsgebiete und verwandeln ihre Volkswirtschaften in Reservoirs billi-ger Arbeitskräfte und natürlicher Ressourcen. Die Verabreichung der bit-teren »Wirtschaftsmedizin« des IWF trägt dazu bei, die Warenpreise wei-ter zu drücken, weil sie einzelne Länder gleichzeitig zwingt, ihre Volks-wirtschaften auf einen schrumpfenden Weltmarkt einzustellen.

Den Kern des globalen Wirtschaftssystems bildet eine strukturelle Un-gleichheit des Handels, der Produktion und Kredite zwischen reichen und armen Ländern. Im Jargon der Weltbank gehören zu letzteren die Low income countries (LIC) und die Low middle income countries (LMIC) – die UNO spricht etwas zurückhaltender von Least developed countries (LLDC) und von Less developed countries (LDC). Zur Jahrtausendwende leben über sechs Milliarden Menschen auf der Erde, fünf Milliarden davon in armen Ländern. Während die reichen Länder mit etwa 15 Prozent der Weltbevölkerung über annähernd 80 Prozent des weltweiten Einkommens verfügen, müssen sich fast 60 Prozent der Weltbevölkerung – die Gruppe der Länder mit niedrigem Einkommen einschließlich Indiens und Chinas mit einer Bevölkerung von über 3,5 Milliarden Menschen – mit lediglich 6,3 Prozent des gesamten Welteinkommens bescheiden, mit weniger als dem Bruttoinlandsprodukt von Frankreich und seinen Überseeterritorien. Bei einer Bevölkerung von über 600 Millionen Menschen beläuft sich das Bruttoinlandsprodukt der gesamten Subsaharastaaten Afrikas annähernd auf die Hälfte dessen, was allein in Texas erwirtschaftet wird. Zusam-mengenommen verfügen die Länder mit niedrigem und mittlerem Ein-kommen (darunter auch die ehemaligen »sozialistischen« Länder und die frühere Sowjetunion), die etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung reprä-sentieren, über annähernd 20 Prozent des Gesamteinkommens der Welt.

Man darf dabei nicht vergessen, dass der Anteil der Dritten Welt am globalen Gesamteinkommen seit dem Ausbruch der Schuldenkrise be-ständig zurückgegangen ist. Während der Anteil der Länder mit niedri-gem Einkommen an der Weltbevölkerung in den drei Jahren zwischen

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1988 und 1991 um über zwei Prozent zunahm, sank ihr Anteil am Welt-einkommen von 5,4 auf 4,9 Prozent. Allein der entsprechende Anteil der Subsaharastaaten fiel im selben Zeitraum von 0,9 auf 0,7 Prozent.

1993 führte die Weltbank eine neue Berechnungsgrundlage für den Vergleich des Pro-Kopf-Einkommens ein. Die in Tabelle 1.1 enthaltenen Zahlen basieren auf dieser neuen Methode, nach der sich ein höherer Anteil der Länder mit niedrigem Einkommen am Welteinkommen berech-net als während der 80er Jahre. Tabelle 1.1 Anteile an Weltbevölkerung und Welteinkommen (1998)

Bevölke- Anteil an Pro-Kopf- Gesamt- Rung (in der Weltbe- Einkommen Einkommen Welt Millionen) völkerung (in US-$) (in Mrd. kom (in %) US-$) (in %)

Länder mit 3.515 59,6 520 1.828 6,3 niedrigem Einkommen Länder mit 1.496 25,4 2.950 4.413 15,3 mittlerem Einkommen alle armen 5.011 85 1.250 6.264 21,7 Länder Subsahara- 628 10,6 480 301 1 Länder Südasien 1.305 22,1 430 561 1,9 China 1.239 21 750 929 3,2 ehemalige 395 6,7 1.965 776 2,7 UdSSR und Osteuropa gesamte 4.616 78,3 1.180 5.447 18,9 Dritte Welt* alle reichen 885 15 25.510 22.576 78,3 Länder** gesamte Welt 5.897 100 4.890 28.836 100 Quelle: Schätzung nach Daten des World Development Report der Weltbank, 1999/2000, Washington, DC. 2000, 5. 230f.

*einschließlich Türkei und Mexiko **reiche Länder sind solche mit hohem Einkommen

Anmerkung: Alle armen Länder sind die Gesamtheit aller Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Zur gesamten Dritten Welt gehören alle armen Län-der außer der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropa.

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In vielen verschuldeten Ländern der Dritten Welt waren die realen Gehäl-ter im modernen Sektor bereits Anfang der 90er Jahre um mehr als 60 Prozent gefallen. Im informellen Sektor sah es sogar noch kritischer aus. In Nigeria z.B. fiel das Mindesteinkommen unter der Militärregierung von General Ibrahim Babangida im Verlauf der 80er Jahre um 85 Prozent. Die Löhne in Vietnam lagen unter zehn Dollar im Monat, während der Preis für Reis infolge des von der Regierung in Hanoi durchgeführten Pro-gramms des IWF auf das Weltmarktniveau anstieg. Ein Lehrer mit Uni-versitätsabschluss in einer weiterführenden Schule in Hanoi z.B. bekam 1991 ein Monatsgehalt von 15,2 Dollar (siehe Kapitel 12).3 In Peru stie-gen über Nacht der Brotpreis um das 12fache und die Kraftstoffpreise um das 31fache, Folge des von IWF und Weltbank unterstützten »Fuji-schocks«, den Präsident Fujimori im August 1990 durchführte. Die realen Mindestlöhne dagegen sanken in Relation zu ihrem Niveau Mitte der 70er Jahre um mehr als 90 Prozent (siehe Kapitel 14). Die »Dollarisierung« der Preise und der Abstieg des Ostblocks. Die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank führen der Tendenz nach in den betroffenen Ländern zu einer »Dollarisierung« der Binnenpreise, was heißt: Die Inlandspreise von Grundnahrungsmitteln steigen zunehmend auf Weltmarktniveau. Die neue Weltwirtschaftsord-nung basiert also einerseits auf der Angleichung der Warenpreise in ei-nem voll integrierten Weltmarkt und vertieft andererseits die globalen Einkommensdisparitäten. So liegen die Löhne (und Lohnkosten) in der Dritten Welt und in Osteuropa bis zu 70-mal niedriger als in OECD-Ländern.

Zu diesen Diskrepanzen zwischen den Staaten kommen extreme Un-terschiede zwischen den Einkommensgruppen innerhalb der einzelnen Länder. In vielen Ländern der Dritten Welt verfügen die oberen 20 Pro-zent der Bevölkerung über mehr als 60 Prozent des Nationaleinkommens und haben 70 Prozent der ländlichen Haushalte ein Pro-Kopf-Einkommen, das nur zwischen zehn und 20 Prozent des nationalen Durchschnitts be-trägt. Diese enormen – und sich weiterhin vergrößernden – Einkom-mensunterschiede zwischen den Ländern und innerhalb ihrer Volkswirt-schaften sind die Konsequenz der Struktur des Warenhandels und der ungleichen internationalen Arbeitsteilung, die den Ländern der Dritten Welt und in jüngerer Zeit auch den ehemaligen Ostblockstaaten einen untergeordneten Status im Weltwirtschaftssystem zuweisen.

Bis in die frühen 90er Jahre wurden die Staaten Osteuropas und die Sowjetunion als Teil des industrialisierten Nordens angesehen, d.h. man hielt sie in puncto materiellen Verbrauchs, Erziehung, Gesundheit, wis-senschaftlicher Entwicklung usw. für grob vergleichbar mit den OECD-Ländern. Obwohl die Durchschnittseinkommen insgesamt niedriger wa-

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ren, sprachen westliche Experten den Ostblockländern besonders in den Bereichen Gesundheit und Bildung erhebliche Errungenschaften zu.

Heute, mehr als zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, sind die ehemaligen Ostblockländer als Folge der IWF-Reformen verarmt und werden von der Weltbank zusammen mit den Ländern niedrigen und mittleren Einkommens der Dritten Welt als »Entwicklungsländer« einge-stuft. Die zentralasiatischen Republiken Kasachstan und Turkmenistan gelten neben Syrien, Jordanien und Tunesien als einfache LMIC, während die Russische Föderation mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 3000 Dol-lar neben Brasilien immerhin an der Obergrenze dieser Kategorie einge-ordnet wird. Das also ist das Ergebnis des Kalten Krieges: die nunmehri-ge Zugehörigkeit Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion zur »Drit-ten Welt«. Die Welthandelsorganisation – nicht legitimiert, aber mächtig. Die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) 1994 markiert eine weite-re Phase in der Entwicklung des Wirtschaftssystems der Nachkriegszeit, an deren Ende nun ein neues Machtdreieck aus IWF, Weltbank und WTO steht. Durch eine effektivere »Überwachung« der Wirtschaftspolitik von Entwicklungsländern können die drei wohlkoordinierten internationalen Institutionen die Souveränität nationaler Regierungen immer weiter ein-schränken.

Die neue Welthandelsordnung, die sich mit dem Abschluss der Urugu-ay-Runde in Marrakesch 1994 herausbildete, bestimmt auch die Bezie-hung zwischen den internationalen Finanzorganisationen in Washington und den nationalen Regierungen neu. Die Durchsetzung der wirtschaftli-chen Auflagen des IWF und der Weltbank beruht seither nicht länger auf bi- oder multilateralen Kreditvereinbarungen, die ja rechtlich nicht bin-dend sind. Viele der Eckpfeiler der Strukturanpassungsprogramme wie Liberalisierung des Handels, Privatisierung und Öffnung für ausländische Investoren sind nun in den Vertragsbestimmungen der WTO fest veran-kert worden, um die Grundlage für eine strenge und sanktionsbewehrte Überwachung der Mitgliedsstaaten sowie die Durchsetzung von Bedin-gungen nach internationalem Recht zu schaffen.

Die Deregulierung des Handels nach den Regeln der WTO, verbunden mit einem erweiterten Schutz geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen), ermöglicht es multinationalen Konzernen, lokale Märkte zu durchdringen und ihre Kontrolle über praktisch alle Bereiche der nationalen Fertigungs-sektoren, der Landwirtschaft und Dienstleistungsökonomie auszuweiten.

In diesem neuen wirtschaftlichen Umfeld spielen internationale Verein-barungen, die von Regierungsvertretern in zwischenstaatlichen Verhand-lungen getroffen werden, bei der Umformung von Volkswirtschaften eine entscheidende Rolle. Die Vertragsklauseln der WTO stellen nach Ein-schätzung einiger Beobachter »eine Charta für multinationale Konzerne«

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dar. Sie erschweren es Nationalstaaten, ihre Volkswirtschaften nach ei-genem Gusto zu regulieren, und bedrohen nationale Sozialprogramme, Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen und Initiativen auf kommunaler Ebene. Während somit die globalen Konzerne ausgedehnte Machtbefu-gnisse erhalten haben, besteht die Gefahr, dass durch die WTO-Verträge die nationalen Regelungskompetenzen entwertet werden.

Die WTO wurde nach der Unterzeichnung einer von hohen Ministerial-beamten hinter verschlossenen Türen getroffenen »technischen Verein-barung« ins Leben gerufen. Selbst die in Marrakesch 1994 vertretenen Politiker waren nicht in allen Belangen über die WTO-Statuten informiert, auf die die Technokraten sich in separaten Sitzungen verständigt hatten. Voraussetzung der WTO-Mitgliedschaft ist die Annahme sämtlicher Ver-einbarungen der Uruguay-Runde: Alle »Resultate der Runde (sind) aus-nahmslos zu akzeptieren«.4

Nach dem Treffen in Marrakesch stimmten die nationalen Parlamente der 550-seitigen Vereinbarung (nebst ihren zahlreichen Anhängen) in der Regel ohne Debatte zu, sofern sie überhaupt formal ratifiziert wurde. Die WTO-Vertragsbestimmungen, die sich aus dieser »technischen Vereinba-rung« ergaben, wurden also einschließlich des darin geregelten Schlich-tungsverfahrens wie nebenbei zu internationalem Recht erhoben. Die Vereinbarung von Marrakesch von 1994, die die WTO als multilaterale Institution begründet, unterlief den demokratischen Prozess in jedem der Mitgliedsländer. Sie greift in eklatanter Weise in nationales Recht und die Verfassungen der Mitgliedsstaaten ein, während sie globalen Banken und multinationalen Konzernen ausgedehnte Rechte verleiht und sie mit gro-ßer Macht ausstattet.

Der Schaffung der Welthandelsorganisation mit der Schlussakte der Uruguay-Runde ist, mit anderen Worten, illegal, ihr fehlt in eklatanter Weise jegliche politische Legitimation. Wie beiläufig wurde in Genf eine totalitäre zwischenstaatliche Institution installiert, die unter internationa-lem Recht mit dem Mandat ausgestattet ist, die Wirtschafts- und Sozial-politik einzelner Länder zu überwachen und zu maßregeln – unter Verlet-zung der Souveränitätsrechte nationaler Regierungen. In ähnlicher Weise werden durch das WTO-Abkommen Autorität und Eingriffsmöglichkeiten mehrerer UN-Organisationen kurzerhand neutralisiert, darunter die der UNCTAD und die der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die WTO-Vereinbarungen stehen nicht nur im Widerspruch zu gültigem nationalen und internationalen Recht, sondern auch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948: Wer die WTO als legitime Organisation an-sieht, plädiert praktisch dafür, die Menschenrechtserklärung der UNO auf unbestimmte Zeit auszusetzen bzw. aufzuheben.

Die Regeln der WTO verletzen nicht nur in eklatanter Weise internatio-nales Recht, sie legitimieren auch Handelspraktiken, die an kriminelle Handlungen grenzen, einschließlich des Raubs geistigen Eigentums durch

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multinationale Konzerne. Sie schwächen die Rechte von Pflanzenzüchtern und öffnen durch die Patentierbarkeit ganzer Organismen, Zelllinien oder auch nur einzelner (sogar menschlicher) Gene der genetischen Manipula-tion durch Biotechnologiekonzerne Tür und Tor (siehe Kapitel 9).

Auch im Finanzsektor haben die WTO-Vereinbarungen weit reichende Konsequenzen. Im Rahmen des General Agreement on Trade in Services (GATS) legitimieren sie groß angelegte finanzielle und spekulative Mani-pulationen, die sich gegen die Entwicklungsländer richten – mit der Fol-ge, dass diese Länder eine eigenständige Geldpolitik preisgeben müssen.

Die Regeln der WTO geben Banken und Multis das Recht, die Markt-kräfte zu ihrem Vorteil zu manipulieren, nationale Institutionen zu desta-bilisieren, einheimische Produzenten in den Bankrott zu treiben und schließlich die Kontrolle über ganze Länder zu übernehmen. Mit einem Satz: Sie leisten der Rekolonialisierung Vorschub.

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2. Globale Unwahrheiten Die G7-Staaten und globale Organisationen wie IWF, Weltbank und WTO leugnen die wachsende globale Armut. Soziale Realitäten werden ver-deckt, offizielle Statistiken manipuliert, ökonomische Konzepte auf den Kopf gestellt. Währenddessen bombardieren die Medien die Öffentlichkeit mit strahlenden Bildern globalen Wachstums und Wohlstands. Die Welt-wirtschaft soll angeblich durch den Schub der »Marktreformen« boomen: »Rosige Zeiten sind wieder angebrochen…‚ eine wunderbare Gelegenheit nachhaltigen und steigenden globalen Wachstums wartet darauf, ergrif-fen zu werden.«5 Ohne jede Debatte oder Diskussion wird die »solide makroökonomische Politik«, also das ganze Spektrum von strengen Sparmaßnahmen, Deregulierung, Rationalisierung und Privatisierung, als Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg verkündet.

Der dominante Wirtschaftsdiskurs setzt sich auch immer stärker an Universitäten und Forschungsinstituten auf der ganzen Welt durch. Kriti-sche Analysen stoßen auf große Hindernisse; die soziale und wirtschaftli-che Realität wird nur noch durch die Brille fiktiver wirtschaftlicher Rela-tionen gesehen, die dem Zweck dienen, die wahre Funktionsweise des globalen Wirtschaftssystems zu verbergen. Die Mainstream-Ökonomen produzieren Theorien ohne Fakten (»reine Theorie«) und Fakten ohne Theorien (»angewandte Wirtschaftswissenschaften«). Das herrschende ökonomische Dogma erlaubt keinen Widerspruch, das tragende theoreti-sche Paradigma steht nicht zur Debatte. Die Hauptaufgabe der Universi-täten ist es, loyale und verlässliche Ökonomen auszubilden, die unfähig sind, die sozialen Fundamente der globalen Marktökonomie aufzudecken. In ähnlicher Weise werden auch zunehmend die Intellektuellen der Drit-ten Welt für das neoliberale Paradigma gewonnen. Die Internationalisie-rung der Wirtschafts-»Wissenschaften« läuft dem Prozess globaler wirt-schaftlicher Umstrukturierung vorbehaltlos hinterher.

Dieses offizielle neoliberale Dogma schafft auch sein eigenes »Gegen-paradigma«, eine moralische Kritik, die »nachhaltige Entwicklung« und »Bekämpfung der Armut« einfordert. Doch häufig werden dabei die poli-tischen Fragen und Probleme im Hinblick auf Armut, Umweltschutz und Frauenrechte verzerrt und geschönt. Diese Kritik fordert die neoliberalen Rezepte nur selten heraus und entwickelt sich eher neben und in Harmo-nie mit dem offiziellen neoliberalen Dogma als in Opposition zu ihm.

Innerhalb dieser harmlosen Strömung der Globalisierungskritik, die vom Forschungsestablishment großzügig finanziert wird, finden Entwick-lungsforscher und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGO) eine komfortable Nische. Ihre Rolle ist es, den Anschein einer kritischen De-

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batte zu erwecken, ohne die sozialen Grundlagen des globalen Marktsy-stems aufzudecken. Die Weltbank spielt in dieser Hinsicht eine Schlüssel-rolle. Sie fördert Forschungen über die »Milderung der Armut« und die »sozialen Dimensionen der Anpassung«, was dieser Organisation ein »menschliches Antlitz« verleiht und den Anschein erweckt, als engagiere man sich dort für sozialen Wandel. Doch insoweit dabei kein funktionaler Zusammenhang zu den wesentlichen makroökonomischen Reformen hergestellt wird, stellt diese Kritik nur selten eine Bedrohung der Ziele neoliberaler Wirtschaftspolitik dar. Die Manipulation der Armutszahlen. Die Legitimität der Marktrefor-men beruht auf der Illusion, dass Globalisierung zu langfristigem Wohlstand führt. Diese Illusion wird durch die eklatante Manipulation wirtschaftlicher und sozialer Daten aufrechterhalten, unter anderem der Armutszahlen. Die Weltbank »schätzt«, dass 18 Prozent aller Menschen in der Dritten Welt »extrem arm« sind, 33 Prozent werden als »arm« bezeichnet. In ihrer maßgeblichen Studie über globale Armut legt diese Organisation die »obere Armutsgrenze« willkürlich auf ein Pro-Kopf-Einkommen von einem Dollar am Tag fest, was einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 370 Dollar entspricht.6 Bevölkerungsgruppen in einzelnen Ländern mit einem Pro-Kopf-Einkommen von über einem Dollar am Tag werden ebenso willkürlich als »nicht arm« bezeichnet. Mit ande-ren Worten: Durch die grobe Manipulation der Einkommensstatistik setzt die Weltbank alles daran, die Armen in den Entwicklungsländern als eine Minderheit darzustellen.

Wie willkürlich diese Armutsschwelle ist, zeigen die Beispiele Latein-amerika und Karibik. Hier sollen laut Weltbank nur 19 Prozent der Bevöl-kerung »arm« sein – eine grobe Verzerrung, wenn man weiß, dass das Bureau of the Census in den USA, wo das jährliche Pro-Kopf-Einkommen bei über 25.000 Dollar liegt, einen von sieben Amerikanern als arm ein-stuft (vgl. Tabelle 2.1).7 Tabelle 2.1 Armut in ausgewählten G7-Staaten nach nationalen Stan-dards Land Armutsniveau

(Prozentsatz der Bevölkerung unter der Armutsgrenze) USA (1996) * 13,7

Kanada (1995) ** 17,8 Großbritannien (1993) *** 20,0

Italien (1993) *** 17,0

Deutschland (1993) *** 13,0 Frankreich (1993) *** 17,0 Quellen: *US Bureau of the Census; **Center for international Statistics, Cana-dian Council on Social Development; ***European Information Service

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Die subjektiven und voreingenommenen Schätzungen der Weltbank be-rücksichtigen also in keiner Weise die tatsächlichen Bedingungen im je-weiligen Land. Mit der Liberalisierung der Warenmärkte sind die Preise für Grundnahrungsmittel in den Entwicklungsländern auf Weltmarktni-veau gestiegen. Der dekretierte Standard von einem Dollar hat daher keine rationale Basis: Bevölkerungsgruppen mit einem Pro-Kopf-Einkommen auch von zwei, drei oder sogar fünf Dollar sind einfach arm, d.h. ihnen fehlt das Geld für Grundnahrungsmittel, Kleidung, Wohnung, Gesundheit und Bildung.

Sobald die Schwelle von einem Dollar am Tag erst einmal festgelegt ist, wird die »Berechnung« des nationalen und globalen Armutsniveaus zu einer rein arithmetischen Übung, denn die Armutsindikatoren werden auf der Basis dieser Annahme mechanisch bestimmt. Die Daten werden dann in schöne Tabellen eingetragen und erlauben Prognosen über sin-kende Armutsniveaus im 21. Jahrhundert.

Diese Armutsprognosen basieren auf einer rein hypothetischen Wach-stumsrate des Pro-Kopf-Einkommens. Die Zunahme des Einkommens kommt dann angeblich einer entsprechenden Abnahme des Armutsni-veaus gleich. Nach Berechnungen, die die Weltbank Ende der 80er Jahre angestellt hat, sollte z.B. die Armut in China von 20 Prozent 1985 auf 2,9 Prozent im Jahr 2000 sinken.8 In ähnlicher Weise sollte das Armutsniveau in Indien, wo nach den offiziellen Daten mehr als 80 Prozent der Bevölke-rung ein Pro-Kopf-Einkommen von weniger als einem Dollar am Tag ha-ben, von 55 Prozent 1985 auf 25 Prozent im Jahr 2000 fallen – obwohl also das Weltbankkriterium von einem Dollar am Tag gar nicht erfüllt wird.9

Die gesamte Schätzungsmethode nach der »Ein Dollar am Tag«-Regel hat rein gar nichts mit der realen Lebenssituation zu tun. Was die Men-schen vor Ort für Essen, Wohnung und soziale Dienste ausgeben müssen, wird nicht analysiert; wie die konkreten Bedingungen in verarmten Dör-fern oder städtischen Slums tatsächlich aussehen, wird nicht überprüft. So ist die Schätzung der Armutsindikatoren durch die Weltbank eine rein numerische Übung und dient gewöhnlich dem Zweck, die Globalisierung der Armut zu verbergen.

Die Vereinten Nationen beten die Unwahrheiten der Weltbank nach. Ohne stützende Beweise behauptet die so genannte Human Development Group des United Nations Development Programme (UNDP), dass »der Fortschritt in der Verminderung der Armut im Verlauf des 20. Jahrhun-derts bemerkenswert und beispiellos« sei. Die »Schlüsselindikatoren der menschlichen Entwicklung« im späten 20. Jahrhundert hätten »sich sehr günstig entwickelt«.10 Das UNDP hat einen »Armutsindex« auf Basis der grundlegendsten Indikatoren für Armut erstellt: »einer kurzen Lebens-

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spanne, mangelnden Zugangs zu Bildung sowie zu öffentlichen und priva-ten Ressourcen«.11 Basierend auf diesen Kriterien gelangt die Gruppe zu Armutsschätzungen, die mit der tatsächlichen Situation in den einzelnen Ländern nicht das Geringste zu tun haben. Der Armutsindex für Kolumbi-en, Mexiko und Thailand z.B. liegt bei zehn bis elf Punkten (siehe Tabelle 2.2). Die soziale Realität dieser Länder wird fast nach Belieben zu-rechtgebogen: Die Bewertungen des UNDP lassen auf Erfolge bei der Be-kämpfung der Armut in der Subsahararegion Afrikas, dem Nahen Osten und Indien schließen, die den Daten und dortigen Armutsschätzungen völlig widersprechen. Tabelle 2.2 Der Armutsindex des UNDP: Ausgewählte Entwicklungsländer Land Armutsniveau

(Prozentsatz der Bevölkerung unter der Armutsgrenze) Trinidad und Tobago 4,1 Mexiko 10,9 Thailand 11,7 Kolumbien 10,7 Philippinen 17,7 Jordanien 10,9 Nicaragua 27,2 Jamaika 12,1 Irak 30,7 Ruanda 37,9 Papua-Neuguinea 32,0 Nigeria 41,6 Simbabwe 17,3 Quelle: Human Development Report 1997, Tabelle 1.1, S. 21 Tatsächlich vermitteln die Armutsschätzungen des UNDP ein noch ver-zerrteres und irreführenderes Bild als die der Weltbank. Nur 10,9 Prozent der mexikanischen Bevölkerung z.B. werden vom UNDP als »arm« be-zeichnet. Doch diese Schätzung widerspricht der Situation in den letzten 20 Jahren: Massenarbeitslosigkeit, der Zusammenbruch der sozialen Dienste, ver-armte Kleinbauern und ein dramatischer Niedergang der Reallöhne durch mehrere Währungsabwertungen prägten die Realität Mexikos. Zweierlei Maß. Bei der Schätzung der Armut herrscht zweierlei Maß. Das Ein-Dollar-Kriterium der Weltbank gilt nur für Entwicklungsländer. Sowohl die Weltbank als auch das UNDP verkennen die Existenz von Ar-mut in Westeuropa und Nordamerika. Außerdem widerspricht der Stan-dard von einem Dollar am Tag der Definition und den Methoden zur Mes-sung von Armut in westlichen Staaten.

Im Westen beruhen die Methoden zur Messung von Armut auf den Mindestaufwendungen der Haushalte für lebensnotwendige Ausgaben wie

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Essen, Kleidung, Wohnung, Gesundheit und Bildung. In den USA z.B. setzte die Social Security Administration in den 60er Jahren eine Armuts-schwelle fest, die auf den »Minimalaufwendungen für angemessene Er-nährung« beruhte und dann mit drei multipliziert wurde, um andere Aus-gaben einzuschließen. Dieses Maß basierte auf einem breiten Konsens in der US-Administration.12 Die Armutsschwelle lag 1996 in den USA dem-zufolge bei einem Jahreseinkommen von 16.036 Dollar für eine vierköpfi-ge Familie (zwei Erwachsene, zwei Kinder). Diese Zahl übersetzt sich in ein Pro-Kopf-Einkommen von elf Dollar am Tag (verglichen mit dem Kri-terium von einem Dollar am Tag, das die Weltbank für Entwicklungslän-der gelten ließ). In den USA lebten danach insgesamt 13,7 Prozent der Gesamtbevölkerung und 19,6 Prozent der großstädtischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.13

Weder UNDP noch Weltbank vergleichen die Armutsniveaus zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Vergleiche dieser Art würden sie ohne Zweifel in Verlegenheit bringen, da die Armutsindikatoren, die sie für die Dritte Welt gelten lassen, in einigen Fällen unter den offiziellen Armutsniveaus der USA, Kanadas und der EU liegen. In Kanada – das dem UNDP-Entwicklungsindex zufolge den ersten Platz unter allen Staa-ten belegt – leben nach dem Armutsindex des UNDP 17,4 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsschwelle, verglichen mit 10,9 Prozent in Mexiko und 4,1 Prozent in Trinidad und Tobago.14

Würden die Methoden des US Bureau of the Census (die auf den Min-destkosten für eine angemessene Ernährung beruhen) umgekehrt auf die Entwicklungsländer angewandt, müsste die überwältigende Mehrzahl der Weltbevölkerung als »arm« eingestuft werden. Die Weltbank würde ohne Zweifel argumentieren, dass »westliche Standards« und Definitionen von Armut nicht auf Entwicklungsländer übertragbar seien. Doch jüngste Be-lege bestätigen, dass die Einzelhandelspreise für Güter des täglichen Be-darfs dort nicht nennenswert niedriger sind als in den USA und Westeu-ropa. Tatsächlich liegen aufgrund von Deregulierung und »freiem Han-del« die Lebenshaltungskosten in vielen Städten der Dritten Welt heute höher als in den USA.

Außerdem legen Untersuchungen über das verfügbare Budget privater Haushalte für mehrere lateinamerikanische Länder nahe, dass wenig-stens 60 Prozent der dortigen Bevölkerung nicht einmal die Mindestmen-ge an Kalorien und Proteinen zur Verfügung steht. Dies gilt z.B. für Peru, wo es 83 Prozent der Bevölkerung an der ausreichenden täglichen Ka-lorien- und Proteindosis fehlt (siehe Kapitel 14). Die Situation in den Subsaharastaaten und Südasien ist noch ernster. Dort leidet die Mehrheit der Bevölkerung an chronischer Unterernährung.

Die Armutsschätzungen von Weltbank und UNO sind also größtenteils Übungen von Bürokraten in Washington und New York, für die die Reali-täten vor Ort ein Buch mit sieben Siegeln sind. Der Armutsbericht des

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UNDP z.B. weist eine Abnahme der Kindersterblichkeit in den Subsahara-ländern von einem Drittel bis der Hälfte aus. Tatsächlich aber ist dort die Armut gestiegen und die öffentliche Gesundheitsvorsorge zusammenge-brochen. Was der Bericht verschweigt, ist die Tatsache, dass durch die Schließung von Krankenhäusern und massive Entlassungen von ausge-bildetem Personal, das für die Registrierung der Sterblichkeitsdaten zu-ständig war – häufig ersetzt durch Freiwillige, die kaum lesen und schrei-ben können – ‚ lediglich die registrierte Sterblichkeit gesunken ist. Der vermeintliche Fortschritt verdankt sich also schlicht dem Zusammenbruch verlässlicher Datenerhebungen über Sterblichkeit und Krankheit.

Das ist die Realität, die von den Armutsstudien der Weltbank und des UNDP bewusst verborgen wird. Ihre Armutsindikatoren stellen die Situa-tion in den einzelnen Ländern und den Ernst der globalen Armut eklatant falsch dar. Sie dienen dem Zweck, die Armen als Minderheit von unge-fähr 20 Prozent der Weltbevölkerung darzustellen.

Armutsniveaus und Prognosen über künftige Entwicklungen werden so frisiert, dass sie die Politik der »freien Märkte« und den »Washingtoner Konsens« über makroökonomische Reformen verteidigen und stützen. Das »freie« Marktsystem wird als das effektivste Mittel präsentiert, um die Armut zu lindern, während man die verheerenden sozialen Auswir-kungen der makroökonomischen Reformen leugnet. Sowohl Weltbank als auch UNDP verweisen auf den Nutzen der technologischen Revolution und den Beitrag von Auslandsinvestitionen und Handelsliberalisierung, ohne zu erkennen, wie diese globalen Trends wachsende Armut nähren.

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3. Kontrolle durch Kredite Wie sind souveräne Länder unter die Vormundschaft der internationalen Finanzorganisationen geraten? Als sie erst einmal verschuldet waren, konnten IWF und Weltbank ihnen bei Verhandlungen über neue Kredite strenge Bedingungen aufzwingen (so genannte conditionalities), die im Sinne der Interessen der staatlichen und privaten Gläubiger erheblich in ihre Wirtschaftspolitik eingreifen.

Die Schuldenlast der Entwicklungsländer ist seit den frühen 80er Jah-ren ständig gestiegen, trotz der verschiedenen Umschuldungs-, Um-schichtungs- und Schuldenkonversionsprogramme. Tatsächlich haben diese Verfahren in Verbindung mit neuen, an politische Bedingungen ge-knüpften Krediten von IWF und Weltbank im Rahmen von Strukturanpas-sungsprogrammen die Schulden der Entwicklungsländer noch vermehrt, während sie gleichzeitig dafür sorgten, dass sie ihrem Schuldendienst nachkommen, also rechtzeitig ihre Zinsen zahlen konnten.

1970 beliefen sich die langfristigen Schulden der Entwicklungsländer aus staatlichen und privaten Quellen auf insgesamt annähernd 62 Mrd. Dollar. Im Laufe der 70er Jahre stiegen sie um das Siebenfache und er-reichten 1980 481 Mrd. Dollar. 1998 betrug die Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer nahezu zwei Billionen Dollar, 32-mal so viel wie 1970 (siehe Tabelle 3.1). Zahlungsunfähig durch immer neue Schulden. Während die Warenpreise purzelten und seit Beginn der 80er Jahre zu einem Rückgang der Export-erträge der Entwicklungsländer führten, floss ein immer größerer Anteil davon in den Schuldendienst (siehe Tabelle 3.1 bis 3.4). Bis Mitte der 80er Jahre waren die Entwicklungsländer zu Nettoexporteu-ren von Kapital zugunsten der reichen Länder geworden. Mit anderen Worten: Die tatsächlichen Kapitalrückflüsse aus dem Schuldendienst überstiegen den Zufluss neuen Kapitals in Form von Krediten, Auslands-investitionen und Auslandsbeihilfen.15 Bis etwa 1985 hatten die interna-tionalen Finanzorganisationen die Schulden im Namen der Ge-schäftsbanken und staatlichen Gläubiger weitgehend refinanziert. Als jedoch viele der Kredite, die multilaterale Organisationen zu Beginn der Schuldenkrise gewährt hatten, fällig wurden, verlangten IWF und Welt-bank ihre Rückzahlung, da nach dem Abkommen von Bretton Woods die-se Schulden nicht umgeschuldet werden konnten.

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Tabelle 3.1 Auslandsschulden der Entwicklungsländer (in Mrd. US-Dollar) Jahr Auslands- Langfristige Kurzfristige Kredite des schulden Verschuldung Verschuldung IWF 1980 658 481 164 12 1981 672 498 159 14 1982 745 557 168 20 1983 807 633 140 33 1984 843 675 132 36 1985 990 809 141 40 1986 1218 996 179 43 1987 1369 1128 198 43 1988 1334 1092 207 35 1989 1403 1134 237 32 1990 1510 1206 269 35 1991 1594 1265 291 38 1992 1667 1305 324 38 1993 1776 1391 345 40 1994 1921 1523 355 44 1995 2066 1626 378 61 1996 2095 1650 385 60 1997 2317 1783 463 71 1998* 2465 1958 412 96 Quelle: Weltbank, World Debt Tables, mehrere Ausgaben, Washington, DC.

*vorläufige Zahlen Anmerkung: Die Daten vor 1985 beziehen sich auf die Angaben aller Länder ge-genüber der Weltbank und sind nicht direkt mit jenen nach 1985 vergleichbar.

Tabelle 3.2 Verhältnis von Gesamtverschuldung zum Export von Gütern und Dienstleistungen (%) Jahr Alle Ent- Stark verschuldete Länder mit wicklungs- niedrigem mittlerem länder Einkommen Einkommen 1980 132,3 96,9 194,2 1981 140,0 1982 174,9 209,0 274,5 1983 200,0 272,2 297,5 1984 180,0 261,2 284,3 1985 212,1 290,1 315,9 1986 201,7 515,0 353,0 1987 193,6 522,1 362,9 1988 176,9 489,0 315,5 1989 169,9 515,4 293,5 1990 161,6 457,1 294,5 1991 175,3 498,6 331,5 1992 166,7 494,8 310,9 1993 168,6 530,0 307,2 1994 162,8 529,4 290,9 1995 151,4 458,1 290,1 1996 137,4 358,6 297,1 1997 129,0 321,8 290,8 1998 146,2 Quelle: Weltbank, World Debt Tables, mehrere Ausgaben, Washington, DC.

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Schuldenmanagement und makroökonomische Reformstehen in enger, fast symbiotischer Beziehung. Das Schuldenmanagement soll sicherstellen, dass die einzelnen Schuldnerländer weiterhin ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen und ihre Zinsen pünktlich zahlen. Durch finanz-technische Kniffe und die Kunst des Umschuldens wird dabei die Rückzahlung der Hauptschuld gestundet, zugleich aber die Zahlung der Zinsen erzwungen. Die Schulden werden durch Beteiligungen ersetzt, und Staaten, die kurz vor dem Bankrott stehen, bekommen neues Geld, damit sie ihre Zinsrückstände auf die Altschulden zahlen können. So wird kurzfristig die Zahlungsunfähig-keit dieser Länder abgewendet – ein Prozess, der sich laufend wiederholt. Dabei ist die Bereitwilligkeit der Schuldnerländer die wirtschaftspolitischen Auflagen der Gläubiger und Kreditgeber zu erfüllen, das wichtigste Kriteri-um, da diese andernfalls einer Umschuldung nicht zustimmen.

Tabelle 3.3 Anteil der Exporterlöse, die in den Schuldendienst fließen (%) Jahr Alle Ent- Stark verschuldete Länder mit wicklungs- niedrigem mittlerem länder Einkommen Einkommen 1980 14,0 9,6 37,1 1981 13,0 1982 27,3 19,1 46,8 1983 27,3 22,8 40,5 1984 25,0 28,7 38,0 1985 30,4 34,1 42,3 1986 25,9 31,2 39,1 1987 23,9 25,7 31,2 1988 22,9 29,1 36,1 1989 20,3 24,9 32,4 1990 18,3 23,0 26,5 1991 18,6 23,0 29,3 1992 17,1 22,2 30,9 1993 17,6 17,4 31,4 1994 16,6 20,0 27,9 1995 17,0 19,9 31,3 1996 17,2 15,3 36,0 1997 17,0 13,2 42,2 1998 17,6 Quelle: Weltbank, World Debt Tables, mehrere Ausgaben, Washington, D.C. Anmerkung: Der Anteil der Exporterlöse, die in den Schuldendienst fließen, ist das Verhältnis von Schuldendienstzahlungen (Zinsen und Tilgung) zum Export von Gü-tern und Dienstleistungen.

Das Ziel besteht darin, die Legitimität des Schuldendienstes aufrechtzu-erhalten und die Schuldnerländer in einer Zwangsjacke zu halten, die ihnen eine unabhängige eigene Wirtschaftspolitik unmöglich macht. So entstand eine neue Generation von Krediten, die an wirtschaftspolitische Auflagen geknüpft sind. Man gibt Geld, um Ländern »bei der Anpassung zu helfen«. Aber diese Kreditvereinbarungen der Weltbank enthalten strenge Auflagen, policy conditionalities: Die Kredite werden dem jeweiligen Staat nur dann

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gewährt, wenn die Regierung Reformen zur Strukturanpassung zustimmt und einen genauen Zeitplan für ihre Umsetzung einhält.

Tabelle 3.4 Anteil der Exporterlöse, die in den Schuldendienst fließen (nach geografischen Regionen in %) Jahr Ostasien Europa Latein- Mittlerer Süd- Sub- u. Pazifik u. Zentral- amerika Osten und asien sahara- asien u. Karibik Nordafrika länder 1980 13,6 18,1 36,9 20,3 11,6 11,0 1981 7,1 12,8 21,6 20,5 10,2 9,9 1982 18,0 20,4 47,6 21,3 14,5 19,3 1983 18,6 20,2 42,1 23,0 17,7 22,4 1984 18,3 22,4 38,9 22,3 18,2 25,5 1985 25,1 25,5 42,7 23,8 22,6 30,8 1986 26,0 26,6 46,9 30,9 28,7 31,3 1987 25,0 19,4 37,4 15,9 27,5 23,4 1988 19,1 18,7 39,6 17,5 26,2 27,2 1989 16,8 17,1 32,1 16,9 26,8 17,9 1990 15,3 16,8 26,3 14,7 27,6 17,8 1991 13,4 20,5 26,2 16,8 25,0 16,4 1992 13,1 12,8 28,9 16,2 24,7 15,7 1993 14,7 12,4 30,0 15,5 23,7 14,9 1994 12,0 14,6 27,5 15,4 25,6 14,0 1995 12,8 13,8 26,1 14,9 24,6 14,5 1996 13,0 11,4 32,3 11,4 22,0 14,2 1997 11,3 11,5 35,5 13,2 20,3 12,8 1998 12,0 13,3 33,8 13,5 17,9 14,9 Quelle: Weltbank, World Debt Tables, mehrere Ausgaben, Washington, P.C. Anmerkung: Der Anteil der Exporterlöse, die in den Schuldendienst fließen, ist das Verhältnis von Schuldendienstzahlungen (Zinsen und Tilgung) zum Export von Gü-tern und Dienstleistungen. Die Einhaltung der IWF-Auflagen im Rahmen der Struktur-anpassungsprogramme wiederum ist nicht nur die Voraussetzung für neue Kredite von multilateralen Institutionen, sie bedeutet auch grünes Licht für den Pariser und Londoner Club, ausländische Investoren, Geschäftsbanken und bilaterale Geldgeber. Länder, die sich weigern, ihre Wirtschaftspolitik im Sinne des IWF zu ändern, sehen sich dagegen ernsten Schwierigkeiten bei der Umschuldung und/oder der Erlangung neuer Entwicklungskredite und internationaler Hilfe gegenüber. Der IWF kann außerdem jederzeit die nationale Wirtschaft durch die Blockade kurzfristiger Kredite zur Stützung des Warenhandels empfindlich stören.

Die internationalen Finanzorganisationen gewähren die Kredite also nur, wenn die Kreditnehmer umfassende Programme zur makroökonomischen Stabilisierung und wirtschaftlichen Strukturreform durchführen. Die Kredit-vergabe ist, anders als bei konventionellen projektbezogenen Krediten, nicht an ein Investitionsprogramm, sondern an wirtschaftspolitische Vorga-ben gebunden, deren Umsetzung der IWF und die Weltbank genau überwa-chen. Wenn ein Schuldnerland die Auflagen nicht erfüllt, kann die Auszah-

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lung ausgesetzt und das betreffende Land von der Koordinationsgruppe der bilateralen und multilateralen Geldgeber auf eine schwarze Liste verbannt werden.16

Doch diese Kredite kommen gar nicht der realen Wirtschaft der Entwick-lungsländer zugute, da nichts davon investiert wird. Sie erfüllen hingegen einen anderen Zweck: Die Anpassungskredite ziehen Ressourcen von der heimischen Wirtschaft der kreditnehmenden Länder ab und ermutigen die-se, weiterhin große Mengen von Konsumgütern aus den reichen Ländern zu importieren, darunter auch Grundnahrungsmittel. Das Geld, das z.B. für die »Anpassung« der Landwirtschaft eines Landes gewährt wird, ist nicht etwa für Investitionen in agrarische Projekte gedacht. Die Kredite können viel-mehr nach freiem Ermessen für Warenimporte verwendet werden, auch für langlebige Konsum- und Luxusgüter.17 Als Folge stagniert die Inlandswirt-schaft, ihre Zahlungsbilanzkrise verschärft sich, und die Schuldenlast nimmt weiter zu.

Die neuen Sofortkredite (quick disbursing loans) – theoretisch zur Erhö-hung der Warenimporte gedacht – stellen »fiktives Geld« dar, weil die den Schuldnerländern gewährten Beträge unfehlbar niedriger sind als der Rück-fluss aus dem Schuldendienst – die Zinszahlungen der Schuldnerländer an private und staatliche Gläubiger in den reichen Ländern übersteigen also die von dort bezogenen Kreditmittel. Stellen wir uns beispielsweise ein Entwick-lungsland mit einer Gesamtverschuldung von zehn Milliarden Dollar vor, bei dem eine Milliarde Dollar (jährliche) Zinsrückstände beim Pariser und Lon-doner Club angefallen sind. Durch gesunkene Exporterträge ist das Land jedoch unfähig, den Verpflichtungen aus dem Schuldendienst nachzukom-men. Falls es keine neuen Kredite zur Rückzahlung der alten Schulden er-hält, wird sich sein Zahlungsrückstand erhöhen, und es kommt auf die in-ternationale schwarze Liste.

In unserem Beispiel wird nun ein Sofortkredit von 500 Mio. Dollar als Zahlungsbilanzhilfe gewährt, der zum Import von Waren dienen soll. Der Kredit wirkt als Katalysator: Er ermöglicht, dass die Exporterlöse des Lan-des in den Schuldendienst umgelenkt werden, so dass das Land die Fristen bei seinen privaten und staatlichen Gläubigern einhalten kann. Auf diese Weise wird die eine Milliarde Dollar rückständiger Zinsen aus dem Schul-dendienst durch einen neuen Kredit von 500 Mio. Dollar eingetrieben.

Der Nettokapitalabfluss beträgt somit 500 Mio. Dollar. Der Kredit ist »fik-tiv«, weil das Geld, das von IWF oder Weltbank vorgestreckt wird, sofort wieder an die staatlichen und/oder privaten Gläubiger zurückfließt. Außer-dem ist die Schuldenlast des Nehmerlandes nun um 500 Mio. Dollar ge-stiegen, weil der neue Kredit dazu verwendet worden ist, um die Zinsen auf die Altschulden zu bedienen, und nicht etwa, um diese selbst zu vermin-dern. Absichtserklärungen und Rahmenpapiere. Vor Kreditverhandlungen muss ein Nehmerland immer glaubhaft machen, dass es substanzielle Re-formen in die Wege leitet, und sich »zu ernsthaften Wirtschaftsreformen

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verpflichten«. Dies geschieht häufig in Form einer Absichtserklärung (Letter of Intent) an den IWF, in der die jeweilige Regierung die Maximen ihrer Wirtschaftspolitik und beim Schuldenmanagement darlegt. Mit einem so genannten Schattenprogramm kann der IWF einzelnen Ländern wirtschafts-politische Richtlinien und technische Ratschläge an die Hand geben, noch bevor es zu Kreditverhandlungen kommt. Schattenprogramme werden für Länder ausgearbeitet, deren Wirtschaftsreformen – nach Meinung des LWF – »nicht auf dem richtigen Kurs« sind (z.B. Brasilien unter den Präsidenten Fernando Collor de Mello und Itamar Franco von 1990 bis 1994). Solche Programme in Form einer technischen Hilfe durch IWF und Weltbank steck-ten auch die wirtschaftspolitischen Leitlinien in den Ländern des ehemaligen Ostblocks und in Vietnam ab, bevor sie formal Mitglieder der Bretton-Woods-Institutionen wurden und/oder Kreditvereinbarungen unterzeichne-ten.

Eine »zufriedenstellende Leistung« nach Maßgabe des Schattenpro-gramms ist die Vorbedingung aller Kreditverhandlungen. Sobald die Kredite bewilligt werden, unterziehen IWF und Weltbank das betroffene Land vier-teljährlich einer strengen Prüfung, ob die Leistungsziele weiter eingehalten werden. Die Auszahlungen in mehreren Tranchen können unterbrochen werden, wenn der Reformkurs nicht eingehalten wird. In diesem Fall kommt das betreffende Land wieder auf die schwarze Liste und hat Sanktionen im Handel und bei den Kapitalflüssen zu befürchten. Die Auszahlungen können auch dann unterbrochen werden, wenn das Land seinen Schuldendienst nicht leistet. Die technische Hilfe von IWF und Weltbank bleibt ihm jedoch in der Regel erhalten: Dann wird ein neues Schattenprogramm (wie im Fall von Kenia 1991) ausgearbeitet, das zu einer neuen Runde politischer Ver-handlungen führt.

In ihren Vereinbarungen verpflichten IWF und Weltbank viele Schuldner-länder dazu, ihre Prioritäten in einem so genannten »politischen Rahmen-papier« (Policy Framework Paper) darzulegen, das häufig zusammen mit der bereits erwähnten Absichtserklärung und einem technischen »Memorandum über die Wirtschafts- und Finanzpolitik« eingereicht wird (siehe Kasten 3.1).

Obwohl offiziell ein von den nationalen Instanzen ausgearbeitetes Regie-rungsdokument, wird das Rahmenpapier nach einem festgelegten Standard-format unter strenger Aufsicht von IWF und Weltbank verfasst. Es gibt in dieser Hinsicht eine klare Arbeitsteilung zwischen den Schwesterorgani-sationen: Der IWF wickelt die entscheidenden politischen Verhandlungen im Hinblick auf den Wechselkurs und das Budgetdefizit ab, während sich die Weltbank über ihre Vertretung im Land und ihre zahlreichen Expertendele-gationen weit stärker um den tatsächlichen Reformprozess kümmert. Kasten 3.1 Absichtserklärung

Mr. Michel Camdessus Managing Director

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International Monetary Fund

Washington, D.C. 20.431

USA

Sehr geehrter Herr Camdessus,

1. Die Ziele des wirtschaftlichen und finanziellen Anpassungsprogramms Guineas

für den Dreijahreszeitraum von 1999 – 2001 werden in einem aktualisierten

politischen Rahmenpapier in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank vorbereitet und Ihnen ge-

trennt zugesandt. 2. Das beiliegende Memorandum über die Wirtschafts- und Finanzpolitik, basie-

rend auf dem genannten politischen Rahmenpapier, legt die Ziele und Politik fest, welche die Regierung von Guinea von 1999 – 2001 verfolgen will. Zur Unterstützung dieser Ziele und Politik bittet die Regierung hiermit um die drit-te jährliche Ziehung im Rahmen der Erweiterten Strukturanpassungsfazilität (Enhanced Structural Adjustment Facility, ESAF) in einer Höhe von SZR 23,6 Mio. (30 Prozent der Quote). In diesem Zusammenhang bittet Guinea auch um die Verlängerung des ursprünglichen dreijährigen Verpflichtungszeitraums der ESAF bis zum 12. Januar 2001.

3. Die Regierung von Guinea wird dem Fonds alle gewünschten Informationen überdieFortschrittebei der Durchführung der wirtschafts- und finanzpolitischen

Maßnahmen und der Erfüllung der Ziele des Programms zukommen lassen.

4. Die Regierung von Guinea hält die Politik und die Maßnahmen, die im beige-fügten Memorandum dargelegt sind, für angemessen, um die Ziele ihres Pro-

gramms zu erreichen. Sie wird jede weitere Maßnahme ergreifen, die für die-

sen Zweck erforderlich werden könnte. Während des Zeitraums der dritten jährlichen ESAF-Ziehung wird sich die Regierung mit dem Managing Director

über die Ergreifung jedweder Maßnahmen beraten, die angemessen sein

könnten – auf Initiative der Regierung, oder wann immer der Managing Direc-tor eine solche Konsultation wünscht. Darüber hinaus wird sich die Regierung

nach der dritten jährlichen ESAF-Ziehung und so lange Guinea noch ausste-

hende finanzielle Verpflichtungen gegenüber dem Fonds hat, die sich aus Kre-diten der Vereinbarung ergeben, mit dem Fonds von Zeit zu Zeit beraten, auf

Initiative der Regierung, oder wann immer der Managing Director Konsultatio-

nen über Guineas Wirtschafts- und Finanzpolitik wünscht. 5. Die Regierung von Guinea wird mit dem Fonds die erste Überprüfung ihres

Programms, das durch die dritte jährliche Ziehung unterstützt wird, nicht spä-

ter als am 30. Juni 2000 und die zweite Überprüfung nicht später als am 31. Dezember 2000 durchführen.

Mit freundlichen Grüßen Ibrahima Kassory Fofana Chérif Bah

Wirtschafts- und Präsident der Zentralbank

Finanzminister von Guinea

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Der IWF begutachtet einmal im Jahr die Wirtschaftsleistung eines Landes im Rahmen der »Konsultationen nach Artikel IV«, wobei »Konsultation« nur ein Euphemismus für die regelmäßige Überprüfung der Wirtschaft eines Mit-gliedslandes ist. Diese Überprüfung bietet neben der strengeren viertel-jährlichen Überprüfung der Leistungsziele unter den Kreditvereinbarungen die Basis der so genannten »Aufsichtstätigkeit des IWF« über die Wirt-schaftspolitik der Mitglieder.

Die Weltbank ist in vielen Ministerien der kreditnehmenden Länder prä-sent. Die dort durchgeführten Reformen in Gesundheit, Bildung, Industrie, Landwirtschaft, Verkehr, Umwelt usw. liegen in ihrer Zuständigkeit. Außer-dem überwacht die Weltbank seit den späten 80er Jahren die Privatisierung von Staatsunternehmen, die Struktur öffentlicher Investitionen und die Zu-sammensetzung öffentlicher Ausgaben durch die so genannte Überprüfung öffentlicher Ausgaben (Public Expenditure Review). Phase eins: »Wirtschaftliche Stabilisierung«. Für die internationalen Finanzorganisationen besteht strukturelle Anpassung aus einer kurzfristigen makroökonomischen Stabilisierung – dazu gehören Abwertung der Wäh-rung, Preisliberalisierung und strenge Haushaltspolitik – und mittelfristig angelegten so genannten »notwendigen« Strukturreformen. Die Stabilisie-rungsvorgaben richten sich sowohl auf die Verminderung des Haushaltsdefi-zits als auch auf die Verbesserung der Zahlungsbilanz: »Geringe Haushalts-defizite helfen, die Inflation zu kontrollieren und Probleme bei der Zah-lungsbilanz zu vermeiden. Ein realistischer Umtauschkurs macht sich durch größere internationale Wettbewerbsfähigkeit bezahlt und unterstützt die Konvertibilität der Währungen.«18

Als Vorbedingungen auch nur der Verhandlungen über Strukturanpas-sungskredite wird vom IWF häufig eine Währungsabwertung verlangt. Der IWF argumentiert stets, dass der Umtauschkurs »überbewertet« sei. Der Umtauschkurs ist bei weitem das wichtigste Instrument der makroökonomi-schen Reform: Eine Währungsabwertung – einschließlich der Vereinheitli-chung des Wechselkurses und der Beseitigung von Umtauschbeschränkun-gen – wirkt sich fundamental auf Angebot und Nachfrage innerhalb einer Volkswirtschaft aus. Sie hat unmittelbar einen abrupten Preisanstieg zur Folge und führt zu einer dramatischen Verringerung der realen Einkommen, während sie gleichzeitig den in harter Währung ausgedrückten Wert der Lohnkosten senkt. Eine Abwertung reduziert zudem den Dollarwert der Staatsausgaben und erleichtert so die Freisetzung von Staatseinnahmen für die Bedienung der Auslandsschulden. Deshalb ist die Destabilisierung der nationalen Währung das verborgene Kernziel von IWF und Weltbank.

Nach den Bestimmungen von Artikel 8 des IWF-Abkommens drängt der IWF auf die Vereinheitlichung des Umtauschkurses. Länder die Artikel 8 akzeptieren, verpflichten sich damit auch, ohne Zustimmung des IWF keine Devisenkontrollen zu verhängen.

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Die sozialen Auswirkungen der vom IWF betriebenen Währungsabwer-tungen sind brutal und stellen sich unmittelbar ein: Die heimischen Preise für Grundnahrungsmittel, wichtige Arzneien, Kraftstoff und öffentliche Dien-ste steigen über Nacht. Eine Abwertung löst unweigerlich Inflation und die »Dollarisierung« der heimischen Preise aus. Gleichzeitig zwingt der IWF die jeweilige Regierung, als Teil der wirtschaftlichen Maßnahmen ein so ge-nanntes »Antiinflationsprogramm« durchzuführen. Dieses hat jedoch wenig mit den wirklichen Gründen der Inflation zu tun – also mit der Abwertung. Es beruht auf einer Schwächung der Nachfrage und läuft so gut wie immer auf die Entlassung von Staatsbediensteten, auf drastische Kürzungen von Sozialprogrammen und die Abkoppelung der Löhne vom Preisindex hinaus. In den Subsaharaländern z.B. halbierte die vom IWF und dem französischen Finanzministerium erzwungene Abwertung des Franc der West- und Zen-tralafrikanischen Währungsunion 1994 mit einem Federstrich den realen Wert der Löhne und der – in harter Währung ausgedrückten – Staatsausga-ben und ermöglichte es so, die Staatseinnahmen in massivem Umfang in den Schuldendienst umzulenken.

In einigen Fällen sorgten die Währungsabwertungen für eine Belebung der exportorientierten Landwirtschaft. Häufiger jedoch nutzten Abwertun-gen nur den großen Plantagen und agrarindustriellen Exporteuren, deren Lohnkosten sich dadurch verringerten. Der kurzfristige Vorteil der Abwer-tungen verpufft unweigerlich, wenn konkurrierende Länder der Dritten Welt in ähnlichen Vereinbarungen mit dem IWF gleichzeitig zur Abwertung ihrer Währungen gezwungen werden.

Dass die Abwertung – und nicht etwa die Ausweitung der Geldmenge – den Hauptfaktor der Inflationsspirale darstellt, wird vom IWF notorisch ge-leugnet. Er erzwingt stattdessen eine strenge Beschränkung der Geldmen-ge, um »den Inflationsdruck« zu bekämpfen, mit der Folge, dass die jewei-lige Regierung ihre realen Ausgaben kürzen, die Reallöhne der Staatsbe-diensteten reduzieren und Entlassungen vornehmen muss.

Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass diese Auswirkungen einer Währungsabwertung den sozialen Druck verstärken, die Nominallöhne zu erhöhen, um die dramatische Abnahme der Realeinkommen auszugleichen, aber die Vereinbarungen mit dem IWF verbieten die Koppelung der Real-löhne (und auch der Sozialausgaben) an den Preisindex. Der IWF verlangt vielmehr die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Beseitigung aller Tarif-vereinbarungen und der gesetzlichen Mindestlohngarantien. Als Argument zugunsten der Abkoppelung der Löhne vom Preisindex dient der »inflatio-näre Druck« der grundsätzlich als zu hoch gebrandmarkten Lohnforderun-gen.

Zu den Auflagen, die Kreditnehmer zu erfüllen haben, gehört auch die Umstrukturierung ihrer Zentralbank. Der IWF fordert die Unabhängigkeit der Zentralbank von der politischen Macht, um der »Neigung von Regierun-gen zu inflationstreibender Geldpolitik« entgegenzuwirken.19 In der Praxis bedeutet dies, dass der IWF, nicht die Regierung, geschweige denn das Par-lament die Geldmenge kontrolliert. Die Vereinbarung zwischen der Regie-

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rung und dem IWF verhindert also die Finanzierung von Staatsausgaben und die Bereitstellung von Krediten durch die Zentralbank mittels Geld-schöpfung. Im Interesse der Gläubiger ist der IWF somit in der Lage, die Finanzierung einer realen Wirtschaftsentwicklung praktisch zu lähmen. Da dem betreffenden Land damit die Möglichkeit genommen ist, geldpolitisch interne Ressourcen zu mobilisieren, wird es zunehmend von internationalen Finanzierungsquellen abhängig, was einer weiteren Auslandsverschuldung Vorschub leistet.

Mit ihren Kreditbedingungen erzwingen die Bretton-Woods-Institutionen drastische Kürzungen in allen staatlichen Einzeletats. Zu Beginn der Schul-denkrise beschränkten sie sich noch darauf, ein Gesamtziel für das Haus-haltsdefizit eines kreditnehmenden Landes zu fixieren, um Staatseinnahmen für den Schuldendienst freizusetzen. Seit den späten 80er Jahren überwacht die Weltbank jedoch auch die Struktur der öffentlichen Ausgaben und über-prüft genau den Etat jedes Ministeriums (Public Expenditure Review). Ihre immer währende Empfehlung ist dabei, »kosteneffektive«, also laufende Ausgaben in so genannte »gezielte Ausgaben« (targeted expenditures) um-zuwandeln. Die Überprüfung der Haushaltsausgaben dient dabei angeblich der »kosteneffizienten und effektiven« Verminderung der Armut.

Bei den Sozialausgaben versuchen JWF und Weltbank, das Prinzip der Kostendeckung durchzusetzen. Von den Kreditnehmern verlangen sie, sich Schritt für Schritt aus grundlegenden Gesundheits- und Bildungsdiensten zurückzuziehen. »Gezielte« Ausgaben im sozialen Sektor sollen lediglich be-sonders schwachen Gruppen der Gesellschaft (vulnerable groups) zugute kommen. Dass diese Auflagen für den weitgehenden Zusammenbruch des Bildungs- und Gesundheitssektors in der Dritten Welt verantwortlich ist, versteht sich von selbst.

Zu den Kreditvereinbarungen mit dem IWF gehören auch genau festge-legte Ziele zum Abbau des Haushaltsdefizits. Seit den frühen 90er Jahren arbeitet der IWF dabei jedoch nicht mehr mit festen Zielgrößen, sondern mit »beweglichen Zielen«. Zunächst soll das Haushaltsdefizit auf fünf Pro-zent des Bruttoinlandsprodukts reduziert werden. In folgenden Kre-ditverhandlungen senkt der IWF das Ziel dann auf 3,5 Prozent, um der »in-flationären Wirkung« der Staatsausgaben zu begegnen. Sobald das Ziel von 3,5 Prozent erreicht ist, besteht der IWF darauf, das Haushaltsdefizit auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken usw. Dadurch ver-schlimmert sich schließlich die Finanzkrise des Staates, bis er schließlich auch noch für die letzten Investitions- und Sozialprogramme nicht mehr aufkommen kann – zugunsten kurzfristig frei werdender Mittel zur Bedie-nung der Auslandsschulden.

Da für alle laufenden Ausgaben und staatlichen Entwicklungsinvestitionen genaue Obergrenzen festgelegt werden, hat der Staat nicht länger das Recht, seine eigenen Ressourcen für den Aufbau der Infrastruktur, für Stra-ßen, Krankenhäuser usw. zu mobilisieren. Die Gläubiger bestimmen also nicht nur über alle großen öffentlichen Investitionsprojekte, sondern ent-scheiden auch im Rahmen des »öffentlichen Investitionsprogramms«, das

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mit technischer Hilfe der Weltbank aufgelegt wird, welche Art von Infra-struktur sie selber finanzieren wollen und welche nicht – mit dem Ergebnis, dass die notwendigen wirtschaftlichen und sozialen Infrastrukturinvestitio-nen dramatisch beschnitten werden.

Das von der Weltbank bestimmte öffentliche Investitionsprogramm ver-pflichtet den Kreditnehmer zu internationalen Ausschreibungen (competitive bidding). So fällt häufig die Vergabe öffentlicher Arbeiten an internationale Generalunternehmer. Diese schöpfen einen Großteil des Geldes durch eine Vielzahl von Beratungs- und Managementhonoraren ab. Örtliche Baufirmen (ob öffentlich oder privat) werden meist vom Ausschreibungsprozess ausge-schlossen, auch wenn lokale Firmen als Subunternehmer der multinationa-len Firmen unter Einsatz örtlicher Arbeitskräfte mit sehr niedrigen Löhnen einen Großteil der tatsächlichen Arbeiten ausführen. Das Geld aus den Kre-diten für Infrastrukturmaßnahmen wird, mit anderen Worten, weitgehend zugunsten multinationaler Firmen » recyclet «.

Obwohl die Finanzierung einzelner Projekte in Form zinsgünstiger Kredite mit erweiterten Rückzahlungsfristen durchaus gewährt wird, sind die tat-sächlichen Kosten für das betreffende Land (und die damit verbundenen Zinsen) außerordentlich hoch. Die Praxis öffentlicher Investitionsprogramme unter Aufsicht der Weltbank führt somit zur Vergrößerung der Auslandsver-schuldung und trägt zur Demobilisierung heimischer Ressourcen bei.

IWF und Weltbank behaupten, dass es notwendig sei, Preisverzerrungen zu beseitigen. Zu ihrem Programm gehören daher vor allem die Deregulie-rung der heimischen Getreidepreise und die Liberalisierung des Imports von Grundnahrungsmitteln, was sich dann unmittelbar auf die Kostenstruktur der meisten Wirtschaftsbereiche auswirkt.

Die Preise für Ölprodukte sowie für die staatliche Daseinsvorsorge wer-den hingegen unter Aufsicht der Weltbank reguliert, d.h. erhöht. Der Preis-anstieg bei Kraftstoffen und der öffentlichen Wasser-, Gas- und Elektrizi-tätsversorgung – häufig um mehrere hundert Prozent – führt unweigerlich zur Destabilisierung der heimischen Produktion. Der hohe Benzinpreis – weit höher als auf dem Weltmarktniveau – schlägt auf die Kostenstruktur der heimischen Industrie und Landwirtschaft durch. So werden zum einen die Produktionskosten häufig künstlich über die heimischen Verkaufspreise der Waren getrieben, was kleine und mittlere Produzenten scharenweise in den Bankrott treibt. Zum anderen wirken sich die von der Weltbank er-zwungenen Preissteigerungen bei Ölprodukten als »interner Transitzoll« aus, der die heimischen Erzeuger von ihrem eigenen Markt abschneidet, weil die hohen Benzinpreise den internen Güterverkehr belasten. In den Subsaharastaaten z.B. sind die von den internationalen Finanzorganisatio-nen auferlegten hohen Transportkosten der entscheidende Grund, warum die Bauern ihre Erzeugnisse nicht zum städtischen Markt bringen, was die ohnehin stark subventionierten Landwirtschaftsimporte aus Europa und den USA weiter begünstigt.

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Phase zwei: »Strukturreform«. Auf die makroökonomische »Stabilisie-rung« – Grundbedingung für die Gewährung von Überbrückungskrediten durch den IWF und für die Umschuldung der Auslandsschulden beim Pariser und Londoner Club – folgt die Durchführung so genannter »notwendiger« Strukturreformen. Dazu gehören vor allem die Liberalisierung des Handels, die Deregulierung des Bankensektors, die Privatisierung von Staatsunter-nehmen und von Ackerland, eine Steuerreform, die »Bekämpfung der Ar-mut« und »gute Regierungsführung«.

Für die Institutionen von Bretton Woods stehen Zölle grundsätzlich der Entwicklung der Exportwirtschaft im Wege, und die Begünstigung des hei-mischen Marktes auf Kosten des Exportsektors führe ebenso grundsätzlich zur Fehlverteilung von Ressourcen. Dafür gibt es jedoch kaum Belege.

Natürlich gehören zur Liberalisierung des Handels immer die Beseitigung von Importquoten und die Senkung und Vereinheitlichung von Zöllen. Aber die nunmehr geringeren Zolleinnahmen ziehen unmittelbar die Staatsfinan-zen in Mitleidenschaft, vergrößern das Haushaltsdefizit und hindern die Be-hörden auch daran, die Verwendung knapper Devisen selektiv zu rationie-ren. Mittelbar – und ganz im Gegensatz zu allen Beteuerungen, durch die Beseitigung von Quoten und die Reduzierung von Schutzzöllen die heimi-sche Industrie »wettbewerbsfähiger« machen zu wollen – führt die Liberali-sierung des Handels unweigerlich zum Zusammenbruch des heimischen, für den Binnenmarkt produzierenden Fertigungssektors. Die Maßnahmen fa-chen auch die Einfuhr von Luxusgütern an, während die Steuerlast der obe-ren Einkommensgruppen als Folge der niedrigeren Importzölle auf Autos und langlebige Gebrauchsgüter abnimmt. Importierte Konsumgüter erset-zen nicht nur die heimische Produktion; der durch das geliehene Geld der verschiedenen Sofortkredite getragene Konsumrausch trägt schließlich auch zum weiteren Anschwellen der Auslandsschulden bei.

Die aufgenötigte Strukturanpassung erlaubt es den Gläubigern, das Real-vermögen verschuldeter Länder durch Privatisierungsprogramme zu über-nehmen und somit Verbindlichkeiten aus dem Schuldendienst einzutreiben. Deshalb geht die Umschuldung eines Landes regelmäßig mit der Privatisie-rung seiner Staatsunternehmen einher – auch wenn dazu gegebenenfalls die Verfassung geändert werden muss (so etwa in Brasilien, siehe Kapitel 13). Die profitabelsten Staatsunternehmen werden von ausländischem Ka-pital oder Joint Ventures übernommen, häufig im Tausch gegen Schulden. Die Erlöse aus diesen Verkäufen fließen über das jeweilige Finanzministeri-um dem Londoner und dem Pariser Club zu.

Unter der Anleitung der Weltbank wird in Schuldnerländern gemeinhin das Steuersystem von Grund auf verändert, was sich in Angebot und Nach-frage ebenfalls meist negativ auf die heimische Produktion auswirkt. Die Einführung einer Mehrwert- oder Verkaufssteuer und Veränderungen in der Struktur der direkten Besteuerung führen unweigerlich zu einer größeren Steuerlast für niedrige und mittlere Einkommensgruppen. Die Weltbank drängt dabei auch auf die Registrierung von Kleinbauern und von Betrieben des informellen städtischen Sektors. Während die heimischen Erzeuger

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Steuern unterworfen werden, genießen Joint Ventures und internationales Kapital regelmäßig großzügige Steuerbefreiungen, um ausländische Investi-tionen anzulocken.

Reformen in der Landwirtschaft werden häufig im Rahmen der sektoralen Anpassungskredite der Weltbank durchgeführt und neue Gesetze zur Rege-lung des Eigentums an Grund und Boden dann gleich mit technischer Hilfe ihrer Rechtsabteilung ausgearbeitet. Die Reformen bestehen in der förmli-chen Regelung überkommener Gewohnheitsrechte und in der Vergabe von Landrechten an Bauern, fördern aber faktisch die Konzentration von Acker-land in den Händen weniger. Tendenziell bewirken die neuen gesetzlichen Regelungen, dass Kleinbauern ihr Land verlieren und/oder durch Hypo-theken belasten müssen, während der kommerzielle Agrarsektor wächst und sich eine Klasse landloser Saisonarbeiter bildet.

Außerdem tragen die Maßnahmen häufig dazu bei, unter dem Mantel der Modernität die Rechte der alten Großgrundbesitzer wiederherzustellen, die bezeichnenderweise häufig zu den Vorkämpfern der wirtschaftlichen »Libe-ralisierung« gehören.

Die Privatisierung von Grund und Boden dient auch dem Ziel, Mittel für den Schuldendienst freizusetzen, da die Erlöse aus den von der Weltbank angeratenen Verkäufen staatlicher Ländereien vom jeweiligen Finanzmini-sterium an die internationalen Gläubiger weitergeleitet werden.

Die Zentralbank eines Schuldnerlandes, das sich den Bedingungen von IWF und Weltbank beugen muss, verliert die Kontrolle über die Geldpolitik: Die Zinssätze werden von den Geschäftsbanken auf dem »freien Markt« bestimmt, also im Zweifelsfall beträchtlich erhöht. Damit gibt es dann für die einheimische Landwirtschaft und Industrie keine günstigen Kredite mehr. Steigende Zinsen verstärken zudem die Teuerung und umgekehrt. Die Nominalzinsen steigen durch periodische Abwertungen und die daraus folgende »Dollarisierung« der heimischen Preise auf völlig überhöhte Ni-veaus. Die Deregulierung des Bankensystems führt auch zum Zustrom »heißen Geldes«, das von den künstlich hohen Zinsen angelockt wird.

Die internationalen Finanzorganisationen fordern auch die Privatisierung der staatlichen Entwicklungsbanken und die Deregulierung des kommerziel-len Bankensystems. Da ausländische Geschäftsbanken mit der 1994 unter-zeichneten Schlussakte der Uruguay-Runde unter dem Schirm des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) freien Zugang zum heimischen Bankensektor jedes Mitgliedslandes erhalten haben, führt diese Deregulie-rung zur Verdrängung der heimischen Privatbanken. Die Umstrukturierung des Bankensektors vollzieht sich im Rahmen eines so genannten An-passungsprogramms für den Finanzsektor (Financial Sector Adjustment Program, FSAP) und verfolgt nicht zuletzt das Ziel, mit den Privatisierungs-erlösen für die ehemals staatlichen Banken den internationalen Zahlungs-verpflichtungen nachkommen zu können.

Der IWF besteht auf der »Transparenz« und der »völligen Freizügigkeit« des Devisenverkehrs durch elektronische Transfers. Dies ermöglicht es aus-

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ländischen Unternehmen, ihre Gewinne in Devisen ungehindert in ihr Hei-matland abzuführen.

Durch dieses Kriterium wird jedoch noch ein weiteres wichtiges Ziel er-reicht, denn die Liberalisierung der Kapitalflüsse fördert die Rückkehr »ge-flüchteten« Kapitals. Dabei handelt es sich häufig um »schwarzes« oder »schmutziges« Geld, das seit den 60er Jahren von den Eliten der Dritten Welt auf Bankkonten in Steuerparadiesen transferiert wurde. »Schmutziges Geld« stammt aus illegalem Handel und/oder kriminellen Geschäften, wäh-rend »schwarzes Geld« der Besteuerung entzogen wurde.

Die Liberalisierung der Kapitalflüsse dient also den Interessen der Gläubi-ger, denn so lässt sich in Steuerparadiesen deponiertes »schmutziges« und »schwarzes« Geld für den Schuldendienst kanalisieren. Und für die privile-gierten sozialen Klassen ist dies eine bequeme Möglichkeit, große, illegal erworbene Geldbeträge zu waschen.

Dieser Prozess funktioniert wie folgt: Harte Währung wird von einem Bankkonto eines Steuerparadieses in den Interbankenmarkt eines Entwick-lungslandes transferiert, ohne dass dort nach der Herkunft der Mittel ge-fragt würde. Die Devisen werden dann in die heimische Währung umge-tauscht und dazu verwendet, Staatsvermögen und/oder öffentliches Land zu erwerben, das die Regierung im Rahmen des Privatisierungsprogramms der Weltbank veräußert. Die Devisenerlöse aus diesen Verkäufen fließen wie-derum dem Finanzministerium zu, das sie für den Schuldendienst verwen-det.

Seit den späten 80er Jahren ist die »Bekämpfung der Armut« eine Bedin-gung bei den Kreditvereinbarungen der Weltbank geworden. Doch auch dieses hehre Ziel kommt in Wirklichkeit vor allem dem Schuldendienst zu-gute. Denn »nachhaltige Armutsverminderung« unter der Herrschaft der Bretton-Woods-Institutionen geht mit einer radikalen Kürzung der Sozial-budgets einher. Der eigens eingerichtete Sozialfonds (Social Emergency Fund), der als flexibler Mechanismus für das »Armutsmanagement« geprie-sen wird, trägt bestenfalls zur selektiven und symbolischen Unterstützung der Armen bei.

Dieser Sozialfonds zielt nämlich nicht auf die Bekämpfung von Armutsur-sachen, sondern bietet ein »sozialtechnisches« Instrumentarium für das »Armutsmanagement«, um die mit ihr verbundenen Konflikte zu minimalen Kosten für die Gläubiger zu entschärfen. So genannte »gezielte Program-me«, kombiniert mit Kostendeckungs- und Privatisierungsgeboten im Ge-sundheits- und Bildungswesen, sollen einen »effizienteren« Weg darstellen, um den »Zielgruppen« (den Armen) zu helfen.

Der Sozialfonds sanktioniert also den Rückzug des Staates aus dem so-zialen Sektor und überlässt die bloße Verwaltung der Armut privaten Hilfs-organisationen. Diverse NGO, die sich durch Spenden oder internationale Hilfsprogramme finanzieren, haben so nach und nach viele genuine Regie-rungsaufgaben übernommen. Kleingewerbliche Produktionsstätten und Handwerksprojekte, die als Subunternehmen für Exportfirmen arbeiten, Gemeindeprogramme in Sachen Ausbildung und Beschäftigung und anderes

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mehr sollen der »sozialen Absicherung« dienen. Das sichert einzelnen Ge-meinden und Quartieren ein karges Überleben, während zugleich das Risiko sozialer Aufstände eingedämmt wird. Die Konsequenzen der Strukturanpassungen. Die vermeintliche Lösung der Schuldenkrise führt zu immer weiterer Verschuldung. Das Paket des IWF zur wirtschaftlichen Stabilisierung soll der Theorie zufolge Ländern hel-fen, ihre Wirtschaft umzustrukturieren, um Außenhandelsüberschüsse zu erzielen und so die Schulden zurückzahlen und einen wirtschaftlichen Erho-lungsprozess einleiten zu können. Doch genau das Gegenteil geschieht, denn es ist gerade der von den Gläubigern aufgezwungene Prozess des »Gürtel-enger-Schnallens«, der die wirtschaftliche Erholung und die Mög-lichkeit dieser Länder zur Schuldentilgung vereitelt: 1. Die neuen, an politische Bedingungen geknüpften Kredite, mit denen die

alten Schulden zurückgezahlt werden sollen, tragen zur Erhöhung der Schuldenlast bei.

2. Die Liberalisierung des Handels führt meist zu einer Verschärfung der Zahlungsbilanzkrise. Weltmarktimporte, zu deren Gunsten neue Sofort-kredite bewilligt werden, verdrängen eine große Bandbreite heimischer Waren.

3. Mit dem Abschluss der Uruguay-Runde und der Gründung der WTO be-steht ein weit größerer Anteil der Importrechnungen aus »Dienstleistun-gen«, darunter der Bezahlung von Urheberrechten. Mit anderen Worten: Die Importrechnung steigt auch ohne entsprechende Einfuhr (»produzier-ter«) Waren.

4. Das strukturelle Anpassungsprogramm hat zu einer beträchtlichen Aus-trocknung projektbezogener Kredite geführt und Kapitalbildung in allen Bereichen verhindert, die nicht direkt den Interessen der Exportwirt-schaft dienen.

Das Paket zur wirtschaftlichen Stabilisierung zerstört die Möglichkeit eines endogenen wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses, der von den Schuldner-ländern selbst gesteuert wird. Die Reformen von IWF und Weltbank zerstö-ren in brutaler Weise deren Sozialprogramme, machen die Kämpfe der nachkolonialen Ära und die in der Vergangenheit erzielten Fortschritte prak-tisch mit einem Federstrich zunichte. In der ganzen unterentwickelten Welt gibt es ein gleich bleibendes Muster: Die Sparmaßnahmen führen zur Schwächung staatlicher Institutionen und zur Reorganisation der nationalen Wirtschaft zugunsten einer weltmarktorientierten Produktion. Diese Maß-nahmen gehen weit über die Beseitigung der Importsubstitutionsindustrien hinaus. Sie zerstören die gesamte Struktur der heimischen Ökonomie. Das Reformpaket von IWF und Weltbank stellt somit ein in sich stimmiges Pro-gramm für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch der Schuld-nerländer dar.

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Ironischerweise räumt der IWF selbst das Scheitern seiner Politik ein. Ein hochrangiger Vertreter des IWF kommt zu dem Schluss: »Obwohl es im letzten Jahrzehnt etliche Studien über das Thema gab, kann man nicht mit Sicherheit sagen, ob die Programme >funktioniert haben< oder nicht… Auf der Grundlage vorhandener Studien kann man sicherlich nicht sagen, ob die Durchführung der vom Fonds unterstützten Programme zu einer Abschwä-chung der Inflation und höherem Wachstum geführt haben. Tatsächlich stellt sich häufig heraus, dass die Programme im Zusammenhang mit einem Anstieg der Inflation und einem Sinken der Wachstumsrate stehen.«20

So ruft die Forschungsabteilung des IWF denn erst einmal nach »verbes-serten Bewertungsmethoden«. Doch auf welche Kriterien, Kategorien und Daten der IWF künftig zurückgreifen wird: Es ist unabweisbar, dass seine Programme genau das Gegenteil der erwünschten Effekte bewirken.

Als Rechtfertigung ihrer Maßnahmen verweisen die Organisationen von Bretton Woods auf die mikroökonomische Effizienz ihrer Programme. Die »sozialen Kosten« makroökonomischer Stabilisierung müssten gegen den wirtschaftlichen Nutzen abgewogen werden. Das Motto von IWF und Welt-bank lautet entsprechend: »Kurzfristiger Schmerz zugunsten langfristigen Nutzens« (short-term pain for long-term gain>.

Obwohl sie die sozialen Härten der Anpassung anerkennen, führen IWF und Weltbank gerne ins Feld, dass ihre Maßnahmen Schlimmeres verhüten: »Die Situation ist schlecht, aber sie wäre ohne die Maßnahmen zur Struk-turanpassung weit schlimmer.« Ein Bericht der Weltbank drückte es vor ein paar Jahren so aus: »Afrikas enttäuschende wirtschaftliche Leistung belegt nicht etwa, dass die Anpassungserfordernisse verfehlt wären, sondern nur eine verfehlte Anpassung… Mehr – nicht weniger – Anpassung würde den Armen und der Umwelt helfen… Anpassung ist der notwendige erste Schritt auf dem Weg zu nachhaltiger Armutsverminderung.«21

Obwohl das wirtschaftspolitische Paket doch die ökonomische Effizienz beflügeln und eine rationalere, marktwirtschaftlichen Mechanismen folgende Verteilung produktiver Ressourcen ermöglichen soll, führt es tatsächlich zu einer massiven Vergeudung menschlicher und materieller Ressourcen. Das Gegenstück der »mikroökonomischen Effizienz« besteht in programmierten Einsparungen und Einschränkungen auf makroökonomischem Niveau. Damit ist der Rechtfertigung der verhängten Maßnahmen alle Grundlage entzogen.

Die sozialen Auswirkungen dieser Reformen – darunter auf das Gesund-heits- und Erziehungswesen, auf die sozialen Rechte von Frauen und auf die Umwelt – sind ausgiebig dokumentiert.22 Aus Geldmangel werden Lehrer entlassen und ganze Bildungseinrichtungen geschlossen. Im Gesundheits-sektor kommt es zu einem allgemeinen Zusammenbruch der Versorgung und Vorbeugung, weil medizinische Ausrüstung und Medikamente fehlen und sich Arbeitsbedingungen und Bezahlung des medizinischen Personals verschlechtern. Der Mangel an Mitteln für laufende Ausgaben wird zum Teil durch die Erhebung von Nutzungs- und Einschreibgebühren ausgeglichen, z.B. also etwa durch Arzneikostenbeteiligung und kommunale Schulgebüh-

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ren. Damit müssen Kranke und Eltern für Ausgaben aufkommen, die zuvor dem jeweiligen Gesundheits- oder Erziehungsministerium oblagen.

Wesentliche soziale Dienste des Staates werden auf diese Weise teilpriva-tisiert, und große Bevölkerungsgruppen besonders in ländlichen Gebieten, die nicht in der Lage sind, die verschiedenen Gebühren zu bezahlen, bleiben de facto von medizinischer Versorgung und Bildung ausgeschlossen. Das Prinzip der Kostendeckung – eines der obersten Gebote der Strukturanpas-sung – vergrößert auch auf diese Weise die Armut.

Dazu nur ein Beispiel. In den Subsaharastaaten ist es prompt zu einem Wiederaufleben von ansteckenden Krankheiten gekommen, die man unter Kontrolle glaubte. Dazu gehören Cholera, Gelbfieber und Malaria. Auch in Lateinamerika sind Malaria und Denguefieber seit Mitte der 80er Jahre wie-der dramatisch auf dem Vormarsch. Der Ausbruch von Beulenpest und Tu-berkulose in Indien 1994 hing eindeutig mit der Verschlechterung der kommunalen Sanitär- und Gesundheitsinfrastruktur zusammen, die die Budgetkürzungen im Rahmen der von IWF und Weltbank geförderten Struk-turanpassungen erzwungen hatten.23

Die internationalen Finanzorganisationen räumen zwar die sozialen Kon-sequenzen der Strukturanpassung in vollem Umfang ein, doch für sie han-delt es sich um Sonderprobleme, um »unerwünschte Nebeneffekte « in ei-nem Sektor der Gesellschaft – eben dem sozialen Sektor – ‚ die nach dem herrschenden Dogma nicht mit der Funktionsweise ihres ökonomischen Mo-dells in Zusammenhang stehen.

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4. Die Weltbank und die Frauenrechte Die Weltbank ist zur Verfechterin der Frauenrechte geworden und drängt nationale Regierungen, »mehr in Frauen zu investieren, um die Ungleichheit der Geschlechter zu vermindern und der wirtschaftlichen Entwicklung einen Schub zu geben«.24 Mit dem in allen Entwicklungsländern aufgelegten Pro-gramm Women in Development (WID) diktiert die Weltbank die Grundre-geln der Geschlechterpolitik. Das Programm zielt auf einen »marktorientier-ten« Ansatz zur Gleichstellung der Geschlechter: Auch Maßnahmen zur Her-stellung von Chancengleichheit und zur Förderung der Rechte von Frauen sollen sich demnach an »Kosten« und »Effizienz« orientieren.

Obwohl die Weltbank die Möglichkeit eines »Scheiterns der Märkte« ein-räumt – und folglich die Notwendigkeit staatlicher Interventionen, um Frau-enrechte zu schützen – ‚ behauptet sie, dass »freie Märkte« auf breiter Linie die Selbstbestimmung von Frauen und die Erreichung von Ge-schlechtergleichheit fördern: »Es ist entscheidend, dass Regierungen die Führung übernehmen, wo Märkte nicht in vollem Umfang den Nutzen ge-sellschaftlicher Investitionen in Frauen realisieren… Investitionen in Frauen sind entscheidend, um wirtschaftliche Effizienz und Wachstum zu erzielen… Die Bank soll die Gleichheit der Geschlechter als eine Frage sozialer Gerech-tigkeit fördern und die Teilhabe von Frauen an der wirtschaftlichen Entwick-lung stärken.«25

Maßnahmen zur Stärkung der Märkte und zur Förderung des Wettbe-werbs sollen zu größerer Gleichheit der Geschlechter beitragen. Die Welt-bank behauptet, dass Strukturanpassungsprogramme den wirtschaftlichen Status von Frauen verbessern, räumt jedoch auch ein, dass es »Risiken« für Frauen gibt, die aus den Kürzungen der Sozialausgaben und der Be-schneidung staatlicher Programme herrühren.

Bei der Frauenförderung agiert die Weltbank wie eine Aufpasserin. Sie bestimmt die Konzepte, methodischen Kategorien, ja sogar das relevante Datenmaterial, anhand deren die Geschlechterproblematik in einem Land analysiert wird. Sie nimmt Einfluss auf staatliche Stellen, wenn es um Frau-enbeauftragte oder gar um Frauenministerien geht. Und weil die Weltbank die Hauptquelle zur Finanzierung von Frauenprojekten ist, übernehmen na-tionale Frauenorganisationen, die von diesen Mitteln abhängig sind, häufig deren Geschlechterperspektive. Dabei ist die Weltbank an einer Stärkung der Rechte von Frauen nur so weit interessiert, wie sich das mit der ge-wohnten Perspektive des freien Marktes vereinbaren lässt, weshalb dann eben auch manchmal gegen die Frauenbewegung Position bezogen werden muss.

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Die internationalen Finanzorganisationen wollen also die »Stärkung der Frauen« durch die üblichen makroökonomischen Rezepte erreichen: Wäh-rungsabwertung, strenge Haushaltsdisziplin, die Einführung von Gebühren für Gesundheit und Erziehung, die Abschaffung von staatlichen Krediten, die Liberalisierung des Handels, die Deregulierung des Getreidemarktes, die Beseitigung gesetzlicher Mindestlohngarantien usw. Anders ausgedrückt: Voraussetzung für die Finanzierung von Frauenprojekten im Rahmen des WID-Programms ist also, dass sich die Situation der Frauen durch die Erfül-lung der wirtschaftspolitischen Bedingungen von Weltbank und IWF ver-schlechtert.

Wo die Weltbank z.B. Frauen auf dem Land in geringem Umfang Kredite gewährt, geht solchen symbolischen Projekten unfehlbar die Auflösung der staatlichen Entwicklungsbanken, ein dramatischer Anstieg der Zinssätze und die Abschaffung von ländlichen Kreditkooperativen voraus. Das Gleiche gilt für die Programme zur Armutsbekämpfung. Diese beruhen auf der vo-rausgehenden Durchführung makro-ökonomischer Reformen, die erst die Massenarmut bewirken. Programme zur Armutsbekämpfung zielen auf ein-zelne, besonders betroffene Gruppen: benachteiligte Frauen, Frauen der Urbevölkerung, weibliche Haushaltsvorstände, Flüchtlinge, Migrantinnen und behinderte Frauen. Die strukturellen Ursachen der Armut dagegen und die Rolle der makroökonomischen Reformen bei ihrer Entstehung werden geleugnet.

Ein weiteres Aktionsfeld der Weltbank ist die Gewährung von Stipendien und/oder eher symbolischen Subventionen für Mädchen (Letting Girls Learn), damit sie das Schulgeld sowie die Kosten für Schulbücher und Un-terrichtsmaterialien aufbringen können.26 Gerade die von der Weltbank be-triebenen Budgetkürzungen im Bildungssektor haben jedoch dazu geführt, dass zuvor Lehrer entlassen wurden, sich die Arbeitszeit der übrigen Lehrer verdoppelte und wieder einklassige Dorfschulen eingerichtet wurden. Jeden-falls sind seit der (Wieder-)Einführung des Schulgeldes in vielen Ländern der Dritten Welt die Schülerzahlen – von Jungen und Mädchen – gesunken.

In weiten Teilen der Welt sind zudem Gesundheitsprogramme für Mütter und Kinder der Strukturanpassung zum Opfer gefallen. Die Belege bestäti-gen ein Ansteigen der Mütter- und Kindersterblichkeit, was der von der Weltbank durchgesetzten Forderung nach Kostendeckung im Gesund-heitswesen zuzuschreiben ist.

Für die Weltbank ist die von ihr angestrebte »Marktgesellschaft« eine Sa-che von Männern und Frauen. Frauen gelten dabei als Angehörige einer be-sonderen Kategorie, als gehörten sie einer eigenen sozialen Schicht an. Die Konfrontation zwischen Männern und Frauen gilt daher als eine Hauptquelle sozialer Konflikte. In der Perspektive der Weltbank ist der soziale Status von Frauen allein von der familiären Geschlechterbeziehung bestimmt. Wel-che Auswirkungen die Globalisierung auf Frauen hat, wird dagegen nicht thematisiert. Für die Weltbank spielen die Konzentration von Reichtum und die Wirtschaftsmacht großer Unternehmen für die Rechte der Frauen keine Rolle.

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Die Schaffung einer modernen Gesellschaft und die Selbstbestimmung der Frauen durch den »freien Markt« sind für sie die Königswege zur Her-stellung der Gleichheit der Geschlechter. Das System des globalen Handels und der globalen Finanzwirtschaft wird dabei ebenso wenig in Zweifel ge-zogen wie die Rolle von IWF, WTO und Weltbank selber. Doch dieses globa-le Wirtschaftssystem, das auf billiger Arbeit und der Akkumulation privaten Reichtums beruht, stellt letztlich eines der wichtigsten Hindernisse für die Herstellung der Geschlechtergleichheit dar. Mehr noch: Die neoliberale Ge-schlechterperspektive, wie sie die Gebergemeinschaft über ihre Organisa-tionen vertritt, zielt weitgehend darauf ab, nationale Gesellschaften zu spal-ten, die Frauenbewegung zu schwächen und die Solidarität zwischen Frauen und Männern in ihrem Kampf gegen die Neue Weltordnung zu untergraben.

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5. Die globale Niedriglohnökonomie Mit der Globalisierung der Armut geht die Restrukturierung der Volkswirt-schaften der Entwicklungsländer und eine Neubestimmung ihrer Rolle in der neuen Weltwirtschaftsordnung einher. Die bereits erläuterten makroökono-mischen Reformen auf nationaler Ebene spielen eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der Löhne und Lohnkosten weltweit. Die globale Armut ist da-bei ein »Input« auf der Angebotsseite; das globale Wirtschaftssystem speist sich aus billiger Arbeit. Industrielle Standortverlagerungen. Kennzeichnend für die heutige Weltwirtschaft ist die Abwanderung eines erheblichen Teils der Industrie-produktion aus den entwickelten kapitalistischen Ländern an Standorte in den Entwicklungsländern, die über billige Arbeitskräfte verfügen. Die Ent-wicklung der auf Niedriglohnarbeit beruhenden Exportindustrie begann in den 60er und 70er Jahren in Südostasien in der arbeitsintensiven Fertigung. Zunächst auf ein paar Exportenklaven wie Hongkong, Singapur, Taiwan und Südkorea sowie auf einige wenige Branchen beschränkt, gewann die Verla-gerung an billige Produktionsstandorte im Ausland in den 70er und 80er Jahren an Schwung.

Obwohl die Dritte Welt weiterhin eine Rolle als wichtiger Rohstofferzeuger spielt, ist die heutige Weltwirtschaft nicht länger durch den traditionellen Gegensatz zwischen Industrie- und Rohstoffproduktion gekennzeichnet. Daher hat auch die Debatte über die Terms of Trade zwischen Rohstoff- und Industrieproduzenten an Aktualität eingebüßt. Ein immer größerer Anteil der weltweiten Fertigung – und zwar in fast allen Branchen – findet heute in Südostasien, China, Lateinamerika und Osteuropa statt.

Diese weltweite Entwicklung zur Billiglohnproduktion technologisch zu-nehmend höherwertiger und schwerindustrieller Güter beruht auf der Schrumpfung der Inlandsnachfrage in den einzelnen Nationalökonomien der Dritten Welt und der Herausbildung einer billigen, stabilen und diszipli-nierten Industriearbeitnehmerschaft in einem relativ sicheren politischen Umfeld. Begünstigt wird dieser Prozess durch die Zerstörung des für den Binnenmarkt produzierenden Fertigungssektors in den Entwicklungsländern – also der Importsubstitutionsindustrie – und die Entstehung einer auf billi-ger Arbeit basierenden Exportwirtschaft. Mit dem Abschluss der Uruguay-Runde in Marrakesch und der Gründung der WTO 1994 haben sich diese »Billiglohnfreihandelszonen« auf alle Entwicklungsländer ausgedehnt.

Das heimliche Ziel der den Schuldnerländern von den Bretton-Woods-Organisationen auferlegten Strukturanpassungen ist der Rückgang der Lohnkosten. Die sinkenden Löhne in der Dritten Welt und in Osteuropa er-

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leichtern die Standortverlagerung der Wirtschaftstätigkeit von den reichen in die armen Länder.

So unterstützt die Globalisierung der Armut die Entwicklung einer welt-weiten Billiglohnexportwirtschaft. Die Möglichkeiten der Produktion sind an-gesichts der Masse verarmter Arbeiter auf der ganzen Welt immens. Im Gegensatz dazu treiben die armen Länder keinen Handel untereinander: Arme Leute stellen keinen Markt für die Waren dar, die sie produzieren. Anders als der französische Ökonomen Jean Baptiste Say verkündet hat, schafft Angebot eben nicht seine eigene Nachfrage. Die Verbrauchernach-frage ist auf annähernd 15 Prozent der Weltbevölkerung beschränkt: auf die reichen Länder sowie kleine Wohlstandsoasen in der Dritten Welt und den ehemaligen Ostblock.

»Exportiere oder stirb« ist das Motto der Billiglohnökonomie, während Importsubstitution und die Produktion für den Inlandsmarkt obsolete Kon-zepte sind. Die einzelnen Länder sind aufgefordert, sich nach Maßgabe ihrer »komparativen Vorteile« zu spezialisieren, die im Überfluss und den niedri-gen Kosten ihrer Arbeit liegen. Das Geheimnis des wirtschaftlichen »Er-folgs« ist die Exportförderung. Unter strenger Aufsicht von Weltbank und IWF wird in einer Vielzahl von Entwicklungsländern simultan der Export der gleichen, nicht-traditionellen Güter gefördert. Diese Staaten, zu denen heu-te die Billigproduzenten der osteuropäischen Länder hinzugekommen sind, werden zu einem mörderischen Konkurrenzkampf gezwungen. Jeder will in dieselben europäischen und nordamerikanischen Märkte exportieren, und so zwingt das Überangebot die Produzenten der Dritten Welt, ihre Preise zu senken. Die Erzeugerpreise von Industriegütern purzeln auf den Weltmärk-ten in ganz ähnlicher Weise wie die Rohstoffpreise. Der Wettbewerb zwi-schen und innerhalb von Entwicklungsländern drückt die Löhne, Erlöse und Preise. So führt die Exportförderung letztlich zu niedrigeren Warenpreisen und geringeren Exporteinnahmen, aus denen die Auslandsschulden bezahlt werden müssen. Es ist bittere Ironie, dass ausgerechnet die erfolgreichsten Exportwirtschaften unter den Entwicklungsländern auch die größten Schuld-nernationen der Welt sind.

Darüber hinaus schlagen die Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisie-rung, die dem Süden und Osten aufgezwungen werden, auch auf die Wirt-schaften der reichen Länder durch: Armut in der Dritten Welt trägt zu einer globalen Schrumpfung der Importnachfrage bei, die wiederum das Wirt-schaftswachstum und die Beschäftigung in den OECD-Ländern in Mitleiden-schaft zieht.

Strukturanpassung verwandelt die Volkswirtschaften in offene Wirt-schaftsräume. Länder werden zu bloßen Territorien, zu Billiglohn- und Roh-stoffreservoirs. Aber weil dieser Prozess auf der Globalisierung der Armut und der weltweiten Verminderung der Verbrauchernachfrage beruht, kann die Exportförderung in der unterentwickelten Welt nur in einer begrenzten Zahl von Ländern Erfolg haben. Die gleichzeitige Ausweitung der Exporttä-tigkeit in einer großen Anzahl von Ländern führt also zu größerer Konkur-renz zwischen den Entwicklungsländern, sowohl bei der Rohstoffproduktion

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als auch in der Fertigung. Soweit die Weltnachfrage nicht steigt, steht der Schaffung neuer Produktionskapazitäten in einigen Ländern der wirtschaftli-che Niedergang und Zerfall an anderen Standorten der Dritten Welt gegen-über.

Wenn es in einem Land der Dritten Welt erfolgreiche Arbeitskämpfe gibt, aufgrund deren die Löhne erhöht werden, kann das transnationale Kapital seine Produktionsstandorte ohne weiteres in andere Billiglohnländer verla-gern oder durch Untervergabe Produktion auslagern. Die Existenz von »Re-serveländern« mit einem Überschuss an billigen Arbeitskräften drückt also tendenziell auf die Löhne in den aktiveren (Billiglohn-)Exportwirtschaften z.B. in Südostasien, Mexiko, China und Osteuropa. Diese weltweite »Über-schussbevölkerung« bedingt die internationale Wanderung von Produktiv-kapital in ein und demselben Industriesektor von einem Land zum anderen. Aus der Sicht des Kapitals gehören die nationalen Arbeitskräftereserven zu einem einzigen internationalen Reservepool, innerhalb dessen Arbeitnehmer aus verschiedenen Ländern in offene Konkurrenz zueinander gebracht wer-den. Die Weltarbeitslosigkeit wird so zu einem Hebel der globalen Kapital-akkumulation, welche die Lohnkosten in jeder der nationalen Wirtschaften bestimmt.

Daher hat in vielen exportorientierten Billiglohnländern der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt und an der Wertschöpfung dramatisch ab-genommen. Während die Löhne der Beschäftigten in den Industrieländern annähernd 40 Prozent der Wertschöpfung in der Produktion ausmachen, liegt der entsprechende Prozentsatz in Lateinamerika und Südostasien nur etwa bei 15 Prozent. Die Entindustrialisierung des Nordens. Der Entwicklung der Billiglohn-exportfabriken in der Dritten Welt entspricht die Stilllegung von Industrie-standorten in fortgeschrittenen Ländern. Die erste Welle von Fabrikschlie-ßungen betraf weitgehend die arbeitsintensiven Bereiche der Leichtindu-strie. Seit den 80er Jahren sind jedoch alle Sektoren der westlichen Wirt-schaft und alle Kategorien von Beschäftigten diesem Prozess ausgesetzt. Dies belegt die Umstrukturierung von Unternehmen der Luftfahrtindustrie, die Auslagerung der Autoproduktion nach Osteuropa und in die Dritte Welt, die Schließung von Stahlstandorten usw.

Die Entwicklung der exportorientierten Fertigungsindustrie südlich des Rio Grande an der Grenze zwischen USA und Mexiko war während der 80er Jahre begleitet von Entlassungen und Arbeitslosigkeit in den US- und kana-dischen Industriezentren. In ähnlicher Weise verlagern japanische Konzerne einen bedeutenden Teil ihrer Fertigung an Standorte in Thailand oder auf den Philippinen, wo Industriearbeiter für drei oder vier Dollar am Tag – oft genug unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns – arbeiten. Der deutsche Kapitalismus dehnt sich über die Oder-Neiße-Grenze wieder in seinen alten »Lebensraum« aus. In Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei liegen die Lohnkosten für Fabrikarbeiter mit etwa 120 Euro im Monat beträchtlich niedriger als in der EU. Im Gegensatz dazu haben Arbei-

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ter in deutschen Autofabriken Bruttostundenlöhne von etwa 25 Euro. Trotz brachliegender Fabriken und hoher Arbeitslosenraten in der ehemaligen DDR war es daher für deutsche Unternehmen profitabler, ihre Produktion nach Osteuropa zu verlegen.

Durch jeden Arbeitsplatz, der in den Industrieländern verloren geht und in die Dritte Welt verlagert wird, sinkt der Verbrauch in diesen Ländern. Fabrikschließungen und Entlassungen werden in der Presse gewöhnlich als isolierte und unzusammenhängende Fälle von Umstrukturierungen einzelner Unternehmen dargestellt, doch ihre kombinierten Auswirkungen auf die Re-allöhne und die Beschäftigung sind verheerend. Die Verbrauchermärkte schrumpfen, weil eine große Zahl von Firmen in mehreren Ländern gleich-zeitig ihre Belegschaften reduziert. Schwacher Konsum wiederum schlägt auf die Produktion zurück und trägt zu einer weiteren Spiralumdrehung von Fabrikschließungen und Bankrotten bei.

Im Norden wird die Schrumpfung der Verbraucherausgaben noch von der Deregulierung des Arbeitsmarktes verschärft: von der Abkoppelung der Löhne vom Preisindex, Teilzeitarbeit, Frühpensionierung und der Erzwin-gung »freiwilliger« Lohnkürzungen. Da ausscheidende Arbeitnehmer nicht ersetzt werden, müssen die jüngeren Altersgruppen die Last der Arbeitslo-sigkeit tragen. Einer ganzen Generation ist so der Zugang zum Arbeitsmarkt erheblich verstellt worden.

Der Prozess der Industrieabwanderung aus den Industriestaaten, der zur Schwächung der Marktnachfrage beiträgt, untergräbt damit zugleich die Bemühungen der Entwicklungsländer, Fertigprodukte auf den schrumpfen-den Märkten des Westens zu verkaufen. Ein Teufelskreis: Gerade die Aus-weitung der Produktion durch ihre Verlagerung in den Süden und Osten treibt über steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Verbrauchsausgaben im Norden und Westen die Weltwirtschaft tendenziell in eine globale Stagnati-on, wenn nicht gar Rezession.

Die Standortverlagerung der Produktion findet zunehmend auch inner-halb der Handelsblöcke statt. Sowohl Westeuropa als auch Nordamerika entwickeln jeweils eigene »Billiglohnhinterhöfe« an ihren unmittelbaren geografischen Grenzen. In Europa ist es die Oder-Neiße-Grenze zu Polen, in Nordamerika der Rio Grande zwischen den USA und Mexiko, die beide die Hoch- von der Niedriglohnwirtschaft trennen.

Oder und Neiße auf der einen und der Rio Grande auf der anderen Seite unterscheiden sich allerdings insofern voneinander als die eine Grenze tat-sächlich die vorläufige Grenze des Maastrichter Vertrages ist, der die Frei-zügigkeit der Arbeitskräfte innerhalb der EU garantiert, die andere Grenze hingegen mitten in der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) liegt. Dennoch trennt der Rio Grande zwei ganz unterschiedliche Arbeitsmärkte: Die »Immobilität der Arbeitskräfte«, weniger der Freihandel und der Abbau der Zollgrenzen ist daher das zentrale Merkmal der NAFTA.

Dieses Freihandelsabkommen erlaubt es US-Firmen, ihre Lohnkosten um mehr als 80 Prozent zu reduzieren, indem sie die Produktion nach Mexiko auslagern und an dortige Subunternehmen vergeben. Das ist beileibe nicht

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auf die Fertigungsindustrie oder den Einsatz unqualifizierter Arbeitskräfte beschränkt: Nichts hindert die Verlagerung auch der amerikanischen High-tech-Industrie nach Mexiko, wo Ingenieure und Wissenschaftler für ein paar hundert Dollar im Monat angeheuert werden können. Standortverlagerung betrifft potentiell einen großen Anteil der Wirtschaft der USA und Kanadas einschließlich des Dienstleistungssektors.

Die NAFTA beruht von Anbeginn auf der Schrumpfung der Beschäftigung und der Reallöhne. Die Industrieverlagerung nach Mexiko zerstört Arbeits-plätze in den USA und Kanada und drückt die Reallöhne. Deshalb verschärft die NAFTA die Wirtschaftsrezession: Arbeiter, die in den USA und Kanada entlassen werden, finden in der übrigen Wirtschaft keine neue Verwendung, und durch die Abwanderung der alten entstehen keine neuen Wachstumsin-dustrien. Die Schrumpfung der Verbraucherausgaben, die aus den Entlas-sungen und Fabrikschließungen resultiert, führt zu einem allgemeinen Rückgang des Absatzes und der Beschäftigung und zu weiteren Entlassun-gen in der Industrie.

Durch die NAFTA können amerikanische und kanadische Unternehmen darüber hinaus den mexikanischen Markt durchdringen und die dort heimi-schen Unternehmen verdrängen. Die Industriekonzentration wächst, kleine und mittlere Unternehmen werden vernichtet und ein Teil der mexikani-schen Dienstleistungswirtschaft wird durch Lizenzvergabe übernommen. So exportieren die USA ihre Rezession nach Mexiko. Mit Ausnahme eines klei-nen Marktes privilegierten Verbrauchs begünstigen Armut und niedrige Löh-ne in Mexiko nicht gerade eine wachsende Verbrauchernachfrage. In Kana-da führte das Freihandelsabkommen, das 1992 mit den USA unterzeichnet wurde, zum Niedergang der Zweigwerke US-amerikanischer Firmen, die alsbald ihre Tochtergesellschaften geschlossen und sie durch regionale Ver-kaufsbüros ersetzt haben.

Die Bildung der NAFTA hat folglich, ganz im Gegensatz zu den gängigen Vorurteilen, in allen drei Ländern zur Verschärfung der Wirtschaftsrezession beigetragen. Auch hier führt die Expansion der Produktion durch Standort-verlagerung zur Schrumpfung der Verbraucherausgaben. Luxusverbrauch und »parasitäre Wirtschaft«. Die wachsende Konzen-tration von Einkommen und Reichtum in der Hand einer Minderheit, die nicht nur in den entwickelten Ländern, sondern auch in kleinen Wohlstands-oasen in der Dritten Welt und Osteuropas zu Hause ist, hat zu einem dyna-mischen Wachstum der Luxuswirtschaft geführt, die sich um Reisen und Freizeit, Autos, Unterhaltungselektronik, moderne Telekommunikation usw. dreht. Die »Drive-in«- und »Duty free«-Kultur die sich vor allem um die Knotenpunkte des Luftverkehrs gebildet hat, ist der Brennpunkt der moder-nen Konsum- und Freizeitwirtschaft für Besserverdienende, in denen sich riesige finanzielle Ressourcen bündeln.

Während sich das Spektrum der Konsumgüter, die dem Lebensstil oberer Einkommensschichten dienen, grenzenlos erweitert hat, schrumpft seit der Schuldenkrise in den frühen 80er Jahren das Verbrauchsniveau der großen

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Mehrheit der Weltbevölkerung. 85 Prozent aller Menschen müssen sich in ihrem Verbrauch mit den Grundnahrungsmitteln und lebens-notwendigen Waren begnügen.

Dieses dramatische Wachstum des Luxusverbrauchs verschafft – im Ver-ein mit den steigenden Militärausgaben – einer von Rezession bedrängten Weltwirtschaft eine Atempause, steht jedoch im Kontrast zur Stagnation der Sektoren, die notwendige Güter und Dienstleistungen produzieren. In der Dritten Welt und in Osteuropa stagnieren Nahrungsmittelproduktion, Woh-nungsbau und wichtige soziale Dienste, während der Luxusverbrauch der alten und neuen Eliten floriert. Die soziale Ungleichheit und Einkommens-disparität in Ungarn und Polen sind heute mit den Zuständen in Latein-amerika vergleichbar. Ein Porsche Carrera konnte z.B. vor zehn Jahren bei einem Vertragshändler im Zentrum von Budapest für die bescheidene Summe von 9.720.000 Formt erworben werden. Ein durchschnittlicher un-garischer Industriearbeiter hätte dafür den Verdienst von 70 Jahren Arbeit hinblättern mussen.27

Das globale Produktionssystem richtet sich daher zunehmend auf be-grenzte Märkte aus, auf hohe Einkommensgruppen im Norden sowie auf kleine Oasen des Luxusverbrauchs im Süden und Osten, während gerade dort die vorherrschenden Niedriglöhne die proklamierte Entwicklung der Massenkaufkraft blockieren. Jene, die produzieren, sind nicht diejenigen, die konsumieren – das ist ein wesentliches Merkmal der globalen Billiglohn-wirtschaft.

Mit dem Niedergang der Fertigungsindustrie hat sich in den reichen Län-dern eine »parasitäre Wirtschaft« entwickelt, die praktisch nichts mehr pro-duziert. Sie konzentriert sich auf den Dienstleistungssektor und schöpft die Gewinne aus der Fertigung in der Dritten Welt ab. Die Hochtechnologie-Wirtschaften, die auf der Verfügungsmacht über industrielles Know-how, Produktdesign, Forschung und Entwicklung basieren, ordnen sich die Sekto-ren der materiellen Produktion unter. Oder anders: Die materielle Produkti-on wird der nicht-materiellen unterworfen, indem sich der Dienstleistungs-sektor die Wertschöpfung des Fertigungssektors aneignet. Darüber hinaus werden außer den Zahlungen für Urheberrechte und Lizenzen für die Nut-zung westlicher und japanischer Technologie die Gewinne der Produzenten in der Dritten Welt unweigerlich durch den Zwischen-, Groß- und Einzelhan-del der Industrieländer aufgezehrt. Die Wachstumsschwerpunkte in den entwickelten Ländern liegen vor allem in der Dienstleistungswirtschaft, dem Immobilienhandel, der kommerziellen und finanziellen Infrastruktur, der Kommunikation und dem Verkehr statt in der materiellen Produktion.

Damit findet eine offenkundige »Entindustrialisierung« der Industrielän-der statt. Die Bedeutung des Begriffs »Industrie« hat sich grundlegend ge-ändert. Die Wachstumsschwerpunkte der Hochtechnologie erleben eine ra-sche Entwicklung auf Kosten der alten traditionellen Industrien, die sich seit Beginn der industriellen Revolution in den fortgeschrittenen Ländern ent-wickelten.

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Wir haben es mit einer Weltwirtschaft zu tun, in der die Mehrheit der Volkswirtschaften Fertigwaren für den Export in die Märkte der OECD-Länder produziert. Von einigen wichtigen Ausnahmen wie Südkorea, Brasili-en und Mexiko abgesehen können diese Länder jedoch nicht als »neu indu-strialisiert« angesehen werden, denn ihre »Industrialisierung« verdankt sich weitgehend der Standortverlagerung der Produktion aus den Industrielän-dern in Billiglohnregionen der Dritten Welt. Sie ist durch die Umformung der Weltwirtschaft bedingt.

Die parasitäre Wirtschaft eignet sich die Gewinne der Direkterzeuger an. Zwar wird die materielle Produktion in Billiglohnwirtschaften der Dritten Welt ausgelagert, doch findet das größte Wachstum des Bruttoinlandspro-dukts in den reichen, importierenden Ländern statt. Es ist in dieser Hinsicht »importbedingt«: Mit billiger Arbeit produzierte Importe (Rohstoffe und Fer-tigprodukte) schaffen ein korrespondierendes Einkommenswachstum in der Dienstleistungswirtschaft der reichen Länder.

Die vom IWF geförderten Strukturanpassungen tragen ebenfalls zur Kon-solidierung der parasitären Wirtschaft bei:

Da dadurch jedes Entwicklungsland gezwungen ist, das gleiche Spektrum von Rohstoffen und Industriewaren für den Weltmarkt zu produzieren, muss es mit anderen Ländern konkurrieren. Die Kanäle des internationalen Han-dels ebenso wie des Groß- und Einzelhandels in den Industrieländern werden jedoch durch monopolistische Konzerne kontrolliert. Diese Dualität zwischen Wettbewerb und Monopol ist ein grundlegendes Merkmal des glo-balen Handelssystems. Dem mörderischen Wettbewerb zwischen den direk-ten Produzenten aus den diversen Ländern unter den Bedingungen globalen Überangebots steht die monopolistische Kontrolle einiger weniger globaler Unternehmen über den internationalen Handel, die Industriepatente und den Groß- und Einzelhandel gegenüber. Der Handel macht die Gewinne. Weil Güter, die in Entwicklungsländern produziert werden, zu sehr niedrigen internationalen (Fob-)Preisen28 impor-tiert werden, ist der offizielle Wert der OECD-Importe aus Entwicklungslän-dern im Vergleich zu dem des gesamten Handelsvolumens und der In-landsproduktion relativ gering. Doch sobald diese Waren in die Groß- und Einzelhandelskanäle der reichen Länder einfließen, multipliziert sich ihr Wert um das Mehrfache. Die Einzelhandelspreise von Waren, die in der Dritten Welt produziert werden, sind häufig zehnmal höher als die Importpreise. So schafft die Dienstleistungswirtschaft der reichen Länder eine »Wertschöp-fung« ohne materielle Produktion, wenngleich zugunsten des eigenen Brut-toinlandsprodukts. Der Einzelhandelspreis von Kaffee z.B. liegt sieben- bis zehnmal über dem Fob-Preis und annähernd 20-mal über dem Preis, der den Pflanzern in der Dritten Welt gezahlt wird.

Das Gros der Gewinne der Rohstoffproduzenten eignen sich somit der Zwischen-, Groß- und Einzelhandel der Industrieländer an. Bei den Indu-striewaren, die in Billiglohnländern hergestellt werden, verhält es sich kaum anders. So werden z.B. 60 Prozent der in den USA verkauften Schuhe in

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chinesischen Ausbeuterbetrieben hergestellt. Die Gewinne aus dem Verkauf der Schuhe in den USA fließen natürlich nicht den chinesischen Arbeitern zu, die extrem niedrige Löhne erhalten (siehe Kasten 5.1), sondern den US-Unternehmen – und sorgen für ein höheres Bruttoinlandsprodukt der USA.

Kasten 5.1

Löhne in chinesischen Fabriken, die für US-Einzelhändler produzieren »Frauen, die in der Produktion von Timberland-Schuhen in der Pou Yuen-Fabrik V, Zhongshan Stadt in der Provinz Guangdong beschäftigt sind, arbeiten 14 Stunden am Tag. Die Fabrik stellt Mädchen von 16 und 17 Jahren für 22 Cents in der Stunde ein (16 Dollar für eine 70-Stunden-Woche). In einer Fabrik, die Kathie Lee(Gifford)-Handtaschen für Wal-Mart produziert, betrugen die höchsten Löhne sieben Dollar in der Woche oder acht US-Cents in der Stunde. Die Löhne für die bestbezahlten 14 Prozent der Arbeiter in Qin Shi lagen bei 18 Dollar im Monat.« In einer anderen Fabrik, die Stereoanlagen für Autos herstellt, erhielten junge Frauen 31 US-Cents pro Stunde. Sie »sitzen gebeugt über Mikro-skopen, in die sie neun Stunden am Tag sechs Tage in der Woche star-ren, um Feinteile der Stereoanlagen zu löten.« »Die Unternehmen (die in China operieren) stellen nur allein stehende Frauen vom 17. bis zum 25. Lebensjahr ein.« Danach, wenn sie schließ-lich »aufgebraucht« sind, »werden sie durch eine neue Schar junger Frauen ersetzt. Niemand hält es unter diesen Bedingungen lange aus, daher gehen die Frauen entweder von selbst oder werden nach dem 26. Lebensjahr aus dem Betrieb gedrängt. In jedem Fall werden sie durch ei-ne neue Schar junger Frauen ersetzt und die Arbeit geht weiter.« Wenn eine Frau schwanger wird, so will es das ungeschriebene Gesetz, »wird sie gefeuert«. Jon E. Dougherty, »Brutal Chinese Working Conditions Benefit Wal-Mart«, unter: WorldNetDaily.com, September 2000

Nehmen wir ein Beispiel. Zahlen aus Fabriken in Bangladesch geben ein grobes Bild von der Kostenstruktur und der Gewinnverteilung in der Beklei-dungsexportindustrie: Der Fabrikpreis von einem Dutzend Hemden beträgt 36 bis 40 Dollar (Fob). Sämtliche Ausrüstungsgüter und Rohmaterialien wurden importiert. Die Hemden werden dann im Einzelhandel in den USA zu einem Stückpreis von etwa 22 Dollar – bzw. 264 Dollar für das Dutzend – verkauft. Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken der Bekleidungsindustrie in Bangladesch wird mit etwa 20 Dollar im Monat entlohnt, wenigstens 50-

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mal weniger, als Arbeiter in der nordamerikanischen Bekleidungsindustrie verdienen. Ergebnis also: Weniger als zwei Prozent des Gesamtwarenwertes fließen den direkten Produzenten (den Arbeitern) in Form von Löhnen zu. Ein weiteres Prozent stellt den Gewinn des »konkurrenzfähigen« unabhän-gigen Drittweltproduzenten dar.

Der Bruttoaufschlag zwischen dem Fabrikpreis und dem Einzelhandels-preis (also 264 – 38 = 226 Dollar für ein Dutzend Hemden) teilt sich im Wesentlichen in drei Komponenten: 1. die Profite des internationalen Zwischenhandels, der Groß- und Einzel-

händler bis hinunter zu den Ladenbesitzern (der größte Anteil am Brutto-aufschlag),

2. die realen Kosten für Transport, Lagerung usw. 3. die Zölle, die bei der Einfuhr in die Industrieländer auf die Waren erhoben

werden, und die indirekten Steuern (Mehrwertsteuer), die beim Einzel-handelsverkauf fällig werden.

Obwohl der Einzelhandelspreis siebenmal höher als der Fabrikpreis ist, fließt der Profit nicht notwendigerweise den Einzelhändlern in den Industrielän-dern zu. Einen großen Anteil des vom Groß- und Einzelhandel erwirtschafte-ten Gewinns schöpfen mächtige Immobilienfirmen und Banken ab.

Man darf nicht übersehen, dass der Importfluss aus der Dritten Welt für die reichen Länder auch ein Mittel zur Erwirtschaftung von Steuereinnah-men ist – und zwar in Form von Verkaufs- und/oder Mehrwertsteuern. In Westeuropa liegt die Mehrwertsteuer bei weit über zehn Prozent des Einzel-handelspreises. Die Steuereinnahmen hängen daher von der Struktur des ungleichen Warentauschs ab: Im Falle der Bekleidungsindustrie schöpfen die Finanzämter der reichen Länder fast so viel ab, wie die produzierenden Länder verdienen, und annähernd viermal so viel, wie die Arbeiter in der Bekleidungsindustrie des produzierenden Landes als Lohn erhalten (siehe Tabelle 5.1). In der globalen Wirtschaft kauft das Kapital Arbeitsleistungen auf separa-ten und sehr unterschiedlichen nationalen Arbeitsmärkten ein. Der Großteil der Lohnkosten – für Transport, Lagerung, in Groß- und Einzelhandel – fällt in den Hochlohnmärkten der reichen Länder an. Wenn ein Einzelhandelsbe-schäftigter in einem Industrieland ein Monatsgehalt bekommt, das minde-stens 40-mal höher ist als das eines Fabrikarbeiters in Bangladesch, dann entfällt eben auf Ersteren ein entsprechend größerer Anteil an den Gesamt-lohnkosten für Produktion und Vertrieb der Ware.

Dennoch wäre es verfehlt, von einer »ungleichen Tauschbeziehung« zwi-schen den Industriearbeitern in Bangladesch und den Einzelhandelsbeschäf-tigten in den USA auszugehen. Alle verfügbaren Daten sprechen dafür, dass die Beschäftigten im Dienstleistungssektor der reichen Länder extrem un-terbezahlt sind. Ihre Löhne (die eine echte Wertschöpfung – d.h. Realkosten – darstellen) bilden darüber hinaus nur einen relativ kleinen Prozentsatz der Gesamtverkaufserlöse.

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Tabelle 5.1 Verteilung der Einnahmen aus der Fertigung in der Dritten Welt

Aufteilung der Einnahmen: Menge in Prozentsatz des Ein Dutzend Hemden aus der US-Dollar Verkaufspreises Produktion einer Billiglohnfabrik der Dritten Welt 1. Einnahmen des Drittweltlandes 8,00 2,7 1.1 Löhne 5,00 1,7 1.2 Nettogewinn 3,00 1,0 2. Einnahmen des Industrielandes 284,60 97,3 2.1 aus Industrieländern importiertes 30,00 10,2 Material, Zubehör und Ausrüstung 2.2 Fracht und Kommissionen 4,00 1,4 2.3 Zölle auf Fob-Preis 4,00 1,4 2.4 Löhne im Groß- und Einzelhandel 10,00 3,4 2.5 Bruttogewinn, Miete und andere 210,00 71,8 Einkommen von Vertriebsunter- nehmen 2.6 Verkaufssteuern (zehn Prozent 26,60 9,1 des Einzelhandelspreises> zugunsten des Industriestaates 3. Gesamteinzelhandelspreis 292,60 100,0 (einschließlich Verkaufssteuern)

Anmerkung: Die Margen für Fracht und Kommissionen, Zölle und Verkaufs-steuern entsprechen nach der verfügbaren Information realistischen Niveaus. Es waren allerdings keine Informationen über die Lohnkosten im Groß- und Einzel-handel verfügbar. Die Einzelhandelsvertriebskosten für ein Dutzend Hemden wur-den zur Illustration auf etwa 25 Prozent des Fob-Preises (10 Dollar) geschätzt.

In unserem Beispiel liegen die Lohnkosten für die Produktion von einem Dutzend Hemden in Bangladesch bei fünf Dollar, was 25 bis 30 Stunden Arbeit zu 15 bis 20 US-Cents in der Stunde entspricht. Angenommen, ein Beschäftigter im US-Einzelhandel verdient fünf Dollar in der Stunde und verkauft währenddessen sechs Hemden, so sind die Lohnkosten für die Pro-duktion von einem Dutzend Hemden mit fünf Dollar halb so hoch wie die Lohnkosten im Einzelhandel, die sich für diese zwölf Hemden auf zehn Dol-lar belaufen. Diese jedoch stellen immer noch einen relativ kleinen Prozent-anteil des Gesamtpreises (292,60 Dollar einschließlich Steuern) dar d.h. der Löwenanteil des Reingewinns fließt den Kaufleuten und Ladenbesitzern in den reichen Ländern zu.

Während die Unternehmen der Dritten Welt nahezu unter vollkommenen Konkurrenzbedingungen arbeiten, sind die Käufer ihrer Produkte quasimo-nopolistische Handelsgesellschaften und multinationale Firmen. Der Netto-gewinn, der dem »wettbewerbsfähigen« Unternehmer in der Dritten Welt zufließt (3 Dollar), beträgt ungefähr ein Prozent des Gesamtwertes der Wa-re. Weil die Fabriken der Dritten Welt auf einem von Überangebot gekenn-zeichneten Weltmarkt arbeiten, sinken die Fabrikpreise tendenziell und drücken die Gewinnmarge der Produzenten auf ein Minimum. Dieser Prozess

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erleichtert es internationalen Zwischen- und Großhändlern, ihre Gewinne noch zu steigern. Mobile und immobile Sektoren. Die Standortabwanderung der materiel-len Produktion in Billiglohnländer umfasst alle international »mobilen« Sek-toren. » Mobile Sektoren« sind solche, die durch Auslandsinvestitionen in Billiglohnländern oder durch Vergabe von Unterverträgen an unabhängige Produzenten in der Dritten Welt von einem geografischen Standort zu einem anderen verlegt werden können. Zu den »immobilen Sektoren« der Indu-strieländer gehören im Gegensatz dazu Wirtschaftstätigkeiten, die sich ih-rem Wesen nach international keine neuen Standorte suchen können: Bau-wesen, öffentliche Arbeiten, Landwirtschaft und die meisten Dienst-leistungen.

Während sich das Kapital frei von einem Arbeitsmarkt zum anderen be-wegt, werden Arbeitskräfte daran gehindert, internationale Grenze zu über-schreiten. Die nationalen Arbeitsmärkte sind in der Regel geschlossene Be-reiche mit streng bewachten Grenzen. So ist z.B. im Rahmen der NAFTA mexikanischen Arbeitern der Grenzübertritt in die USA weitgehend ver-wehrt, um sie innerhalb der Billiglohnwirtschaft zu halten. Für Bau-, öffent-liche und landwirtschaftliche Arbeiten, die aufgrund ihrer Ortsgebundenheit nicht international mobil sind, sind jedoch Kontingente von Saisonarbeitern erlaubt – mit dem erwünschten Nebeneffekt, die Löhne der amerikanischen und kanadischen Arbeiter zu drücken sowie die Rolle der Gewerkschaften zu unterminieren.

Mit den Standortverlagerungen verändert sich die Industriestruktur der fortgeschrittenen Länder grundlegend. Die alten Industriezentren ver-schwinden: Das »Fabriksystem« geht unter. Ein beträchtlicher Teil der Be-schäftigten in den Industrieländern arbeitet nun in den neuen Wachstums-polen: in der Dienstleistungswirtschaft, in »nichtmateriellen« Wirt-schaftssektoren und in den neuen Industrien der Informationssysteme, der Telekommunikation usw.

Die Dualität zwischen materiellen und nichtmateriellen bzw. mobilen und immobilen Sektoren ist für das Verständnis des Strukturwandels der Welt-wirtschaft von zentraler Bedeutung. Globale Rezession ist mit dem dynami-schen Wachstum der neuen Hochtechnologie-Sektoren durchaus nicht un-vereinbar. Design, Technologie und Know-how gehören den internationalen Unternehmen und werden von ihnen kontrolliert. Die nichtmaterielle Pro-duktion und die Kontrolle über geistige Eigentumsrechte ordnen sich die materielle Produktion unter. Die nichtmateriellen Sektoren eignen sich die Gewinne der materiellen Industrieproduktion an.

Der unglaubliche Schub, der in den 80er und 90er Jahren die Telekom-munikation, Computertechnologie und Produktionstechnik erfasst hat, stellt einen entscheidenden Hebel im Prozess der industriellen Standortverlage-rung dar: Die Unternehmenszentralen stehen nunmehr mit ihren Produkti-onsstandorten und Montagefabriken auf der ganzen Welt in unmittelbarem Kontakt und verfügen damit über ein machtvolles Instrument weltweiter

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Kontrolle und Aufsicht. Global agierende Firmen minimieren die Lohnkosten weltweit durch ihre Fähigkeit, sich Produktionsstandorte (oder Subunter-nehmer) in Billiglohnländern überall auf der Welt zunutze zu machen.

Obwohl die technologische Revolution in den Industrieländern neue Be-rufsfelder entstehen lässt, vermindert sie den Arbeitskräftebedarf der Indu-strie erheblich. Neue, von Robotern bediente Montagebänder werden ge-baut, während die Arbeitnehmer der vorhandenen Produktionsstätten ent-lassen werden. Der technologische Wandel in Verbindung mit der Standort-abwanderung und der Umstrukturierung der Unternehmen begünstigt daher tendenziell neue Fusionswellen und Übernahmen in den Schlüsselindustrien.

Zugleich werden auch bestimmte Dienstleistungen an Billiglohnstandorte in der Dritten Welt und Osteuropa ausgelagert. Ein Teil der Dienstleistungs-wirtschaft gehört somit nicht mehr zum »immobilen« Sektor. Unternehmen und Finanzinstitute können bei etlichen Bürotätigkeiten ihr Personal redu-zieren: Die Buchführungssysteme großer Firmen z.B. lassen sich heute pro-blemlos und via Computernetze und E-Mail unter beträchtlichen Einsparun-gen in Entwicklungsländern betreiben, wo qualifizierte Buchhalter und Com-puterspezialisten für weniger als 100 Dollar im Monat beschäftigt werden können. Auch Aufträge in Sachen Daten- und Textverarbeitung können in dieser Weise an Subunternehmen etwa auf den Philippinen vergeben wer-den, in denen Büropersonal unter schlechten Arbeitsbedingungen für zwei oder drei Dollar am Tag arbeitet. Da mehr als 70 Prozent der Beschäftigten in den Industrieländern im Dienstleistungssektor arbeiten, sind die potenzi-ellen Auswirkungen einer Standortverlagerung auf die Löhne und die Be-schäftigung – ganz zu schweigen von den sozialen Konsequenzen – schier unabsehbar.

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TEIL II

Afrika

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6. Somalia: Die wahren Gründe des Hungers 1993 führte das US-Militär die Operation »Restore Hope« unter dem Schirm der Vereinten Nationen durch. Ziel des Einsatzes war es, der verarmten Bevölkerung Somalias zu Hilfe zu kommen. Dürre, das Vordringen der Wü-ste und Bürgerkrieg galten offiziell als Gründe der Hungersnot. Die tödlichen Wirtschaftsreformen, welche die ausländischen Gläubiger Somalia in den Jahren vor der Krise aufgezwungen hatten, wurden nie erwähnt Bis in die 70er Jahre hinein war Somalia eine ländliche Tauschwirtschaft von Hirtennomaden und Kleinbauern, in der die Hälfte der Bevölkerung noma-disch lebte. Trotz der wiederkehrenden Dürren konnte sich das Land prak-tisch selbst mit Nahrungsmitteln versorgen und war auf entsprechende in-ternationale Hilfe so gut wie gar nicht angewiesen. Erst danach nahm die kommerzielle Viehhaltung – begünstigt durch die Privatisierung von Brun-nen und Weideland sowie durch Ansiedlungsprogramme – beträchtlich zu, wodurch die Hirten zu verarmen begannen. Wie in anderen Entwicklungs-ländern auch nahm allmählich der Anbau von Agrarprodukten für den Ex-port das beste Land in Anspruch, was den Anbau von Nahrungsmitteln für den Eigenbedarf schwächte und dem Kleinbauerntum das Leben erschwerte. Viehverkäufe machten bis 1983 etwa 80 Prozent der Exporteinnahmen aus, bis dann diese Quote aufgrund der Geldüberweisungen von somalischen Arbeitern in den Öl- und Golfstaaten zu sinken begann. Die Intervention von IWF und Weltbank Anfang der 80er Jahre trug zur Ver-schlimmerung der Krise der somalischen Landwirtschaft bei. Die Wirt-schaftsreformen untergruben das fragile Gleichgewicht von nomadischer Vieh- und sesshafter Ackerbauwirtschaft, das sowohl durch Geldgeschäfte als auch durch traditionellen Tauschhandel gekennzeichnet war. Der Regie-rung von Somalia wurde ein sehr strenges Sparprogramm aufgezwungen, in erster Linie damit das Land beim Pariser Club die Zinsen seiner Schulden zahlen konnte. Einen Großteil der Schulden, etwa 20 Prozent, hielten IWF und Weltbank.1 Einem Projektbericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge »sperrt sich unter den großen Empfängern der Schulden-dienstzahlungen Somalias nur der IWF gegen eine Umschuldung… Tatsäch-lich hilft der IWF bei der Finanzierung eines Anpassungsprogramms, zu des-sen Hauptzielen es gehört, die Schulden an ihn zurückzuzahlen.«2 Die Zerstörung der Selbstversorgung. Das Strukturanpas-sungsprogramm verstärkte Somalias Abhängigkeit von Importgetreide. Von Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre stieg die Nahrungsmittelhilfe mit einer Zuwachsrate von 30 Prozent pro Jahr um das l5fache und entsprach

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schließlich mehr als 35 Prozent des Verbrauchs.3 In Verbindung mit den ge-stiegenen Warenimporten führte die Einfuhr von billigem Überschussgetrei-de und Reis, die auf dem heimischen Markt verkauft wurden, zur Verdrän-gung der lokalen Erzeuger und zu einer bedeutenden Veränderung der Ess-gewohnheiten zum Schaden der traditionellen Feldfrüchte Mais und Sorg-humhirse. Der vom IWF erzwungenen Abwertung des somalischen Schilling folgten in periodischen Abständen weitere Abwertungen, die zu einem Preisanstieg von Kraftstoff, Dünger und anderen landwirtschaftlichen Einsatzgütern führten. Das wirkte sich unmittelbar auf die landwirtschaftli-chen Erzeuger aus, besonders in der regenabhängigen Landwirtschaft, aber auch im Bewässerungsfeldbau. Die Kaufkraft der Stadtbevölkerung schwand dramatisch, staatliche Subventionen wurden gekürzt, die Infrastruktur brach zusammen, und die Deregulierung des Getreidemarktes und der Zu-strom von Nahrungsmittel-»Hilfen« führten zur Verarmung der bäuerlichen Gemeinden.4

In dieser Zeit eigneten sich außerdem Staatsbedienstete, Armeeoffiziere und Kaufleute mit guten Beziehungen zur Regierung einen Großteil des be-sten Ackerbaulandes an.5 Statt die Nahrungsmittelproduktion für den heimi-schen Markt zu fördern, ermutigten die Kreditgeber den Anbau so genann-ter »hochwertiger« landwirtschaftlicher Exportprodukte – Obst, Gemüse, Ölsamen und Baumwolle – auf dem besten bewässerten Land. Der Zusammenbruch der Viehwirtschaft. In den frühen 80er Jahren stiegen zudem als Folge der Währungsabwertung die Preise für importierte Tierarzneimittel. Die Weltbank ermutigte dazu, von den Hirtennomaden Gebühren für Veterinärleistungen zu erheben, auch für die Impfung des Viehs. Ein privater Markt für Tiermedikamente wurde gefördert. Die Funk-tionen, die das Viehministerium bei der Gesundhaltung der Viehbestände ausgeübt hatte, wurden zurückgeschraubt, und die Kosten seiner tierärztli-chen Labordienstleistungen sollten in vollem Umfang durch Gebühren ge-deckt werden. Der Weltbank zufolge »sind die Veterinärleistungen für die Entwicklung des Viehs in allen Regionen entscheidend und können weitge-hend vom Privatsektor erfüllt werden… Da nur wenige Tierärzte in entlege-nen Weidegebieten praktizieren werden, wird eine verbesserte Versorgung des Viehs auch von >Para-Veterinären< abhängen, die aus Arzneiverkäufen bezahlt werden.«6

Die Privatisierung der veterinärmedizinischen Versorgung war verbunden mit fehlenden Notreserven für die Fütterung des Viehs in Dürrezeiten, der Kommerzialisierung der Wasserversorgung und der Vernachlässigung von Erhaltungsmaßnahmen für Wasser und Weideland. Die Ergebnisse waren absehbar: Die Herden wurden dezimiert, der Anteil der Hirtennomaden an der Bevölkerung ging zurück. Das versteckte Ziel dieses Programms be-stand darin, die Nomaden mit ihrer traditionellen Tauschwirtschaft zu besei-tigen. Die Weltbank bewertet die »Anpassungen« der Herdengrößen – also die Abnahme der Viehbestände – in den Subsaharastaaten grundsätzlich

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positiv, da sie die Herden einseitig als Ursache für Umweltzerstörungen be-trachtet.7

Der Zusammenbruch der veterinärmedizinischen Versorgung diente indi-rekt den Interessen der reichen Länder: Als 1984 in Somalia die Rinderpest ausbrach, importierten Saudi-Arabien und die Golfstaaten schlagartig kein Vieh mehr aus Somalia und bezogen ihr Rindfleisch stattdessen aus Austra-lien und der EU. Der Bann auf Viehimporte aus Somalia wurde jedoch nicht aufgehoben, als die Epidemie vorüber war. Die Zerstörung des Staates. Die Umstrukturierung der Staatsausgaben unter Aufsicht von IWF und Weltbank spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Zerstörung der landwirtschaftlichen Nahrungsmittelproduktion. Die Agrarinfrastruktur brach zusammen und die Ausgaben für die Landwirt-schaft sanken im Vergleich zu Mitte der 70er Jahre um etwa 85 Prozent. Der IWF hinderte die somalische Regierung daran, die heimischen Ressourcen zu mobilisieren. Es wurden strenge Ziele zur Begrenzung des Haushaltsdefi-zits festgelegt. »Hilfe« gewährten die Kreditgeber außerdem nicht in Form von Kapital und Ausrüstungsgütern, sondern nur als Nahrungsmittelhilfe, die dann vom Staat auf dem heimischen Markt verkauft wurde, um damit einen Fonds zu alimentieren, aus dem Entwicklungsprojekte finanziert wer-den konnten. So wurde der Verkauf von Nahrungsmittelhilfe die Hauptein-nahmequelle des Staates, wodurch die Kreditgeber in die Lage kamen, den gesamten Haushalt zu kontrollieren.

Durch die Wirtschaftsreformen brachen die Gesundheits- und Erziehungs-programme zusammen. Bis 1989 nahmen die Ausgaben im Gesundheitswe-sen im Vergleich zum Niveau von 1978 um 78 Prozent ab. Im Bildungsbe-reich beliefen sich nach Zahlen der Weltbank die wiederkehrenden Ausga-ben pro Schüler 1989 nur noch auf etwa vier Dollar im Jahr – 1982 waren es 82 Dollar im Jahr. Von 1981 bis 1989 sanken die Schülerzahlen trotz eines beträchtlichen Anstiegs der Kinder im schulfähigen Alter um 41 Pro-zent. Schulbücher und Unterrichtsmaterialien verschwanden aus den Klas-senzimmern. Der Zustand der Schulgebäude verschlechterte sich, fast ein Viertel der Grundschulen wurde geschlossen, und die Gehälter der Lehrer sanken auf ein jämmerliches Niveau.

Das Programm von IWF und Weltbank führte die somalische Wirtschaft in einen Teufelskreis: Durch die Dezimierung der Herden brach unter den Hir-tennomaden Hunger aus, was wiederum die Getreideerzeuger zu spüren bekamen, die ihre Erzeugnisse an sie verkauften oder gegen Vieh tausch-ten. Das gesamte soziale Geflecht der Weidewirtschaft war zerstört. Der Zusammenbruch der Deviseneinnahmen durch die sinkenden Viehexporte und Geldüberweisungen der somalischen Arbeiter aus den Golfstaaten bela-stete die Zahlungsbilanz und den Staatshaushalt und führte zum Zusam-menbruch der staatlichen Wirtschafts- und Sozialprogramme.

Die Kleinbauern ihrerseits wurden durch die Dumpingpreise des subven-tionierten US-Getreides auf dem heimischen Markt und den Kostenanstieg der landwirtschaftlichen Einsatzgüter verdrängt. Weil die Stadtbevölkerung

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verarmte, schrumpfte auch der Nahrungsmittelverbrauch. Die staatliche Unterstützung für die Bewässerung der Anbauflächen wurde eingestellt, und die staatlichen Farmen sollten unter Aufsicht der Weltbank geschlossen oder privatisiert werden.

Nach Schätzungen der Weltbank waren die Gehälter im öffentlichen Dienst bis 1989 im Vergleich zu 1975 um 90 Prozent gesunken. Das Durch-schnittsgehalt im öffentlichen Sektor war auf drei Dollar im Monat gefallen, was in der Summe nur 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachte. Zwar schlug die Weltbank eine Anhebung der Gehälter vor, aber dieses Ziel sollte bei gleichem Budget durch die Entlassung von 40 Prozent der Staats-bediensteten und die Beseitigung von Zusatzvergütungen erreicht werden. Mit diesem Plan wäre der öffentliche Dienst in einem Land mit sechs Millio-nen Einwohnern bis 1995 auf nur 25.000 Beschäftigte geschrumpft. Mehre-re Kreditgeber bekundeten reges Interesse an der Finanzierung der Kosten zur Reduzierung der Staatsbediensteten.

Um das drohende Desaster abzuwenden, unternahm die internationale Runde der Kreditgeber den Versuch, die wirtschaftliche und soziale Infra-struktur des Landes wiederherzustellen, die Kaufkraft zu stärken und den öffentlichen Dienst wieder aufzubauen: Die makroökonomischen Anpas-sungsmaßnahmen, die sie im Jahr vor dem Zusammenbruch der Regierung von General Siad Barre im Januar 1991 auf dem Höhepunkt des Bürgerkrie-ges vorschlugen, verlangten jedoch eine weitere Reduzierung der öffentli-chen Ausgaben, die Umstrukturierung der Zentralbank, die Liberalisierung des Kreditwesens (die den Privatsektor praktisch ruinierte) und die Auflö-sung der meisten Staatsunternehmen.

1989 betrugen die Verpflichtungen aus dem Schuldendienst 194,6 Pro-zent der Exporteinnahmen. Der Kredit des IWF wurde wegen des Zahlungs-rückstands Somalias gestrichen. Die Weltbank stimmte im Juni 1989 einem Strukturanpassungskredit in Höhe von 70 Mio. Dollar zu, dessen erste Tran-che zwar noch ausbezahlt, dessen zweite aufgrund der schlechten makro-ökonomischen Leistung Somalias ein paar Monate später eingefroren und der im Januar 1991, nach dem Zusammenbruch der Regierung von Siad Barre, ganz gestrichen wurde. Die Zahlungsrückstände an die Kreditgeber sollten vor Bewilligung neuer Kredite und Umschuldungsverhandlungen erst einmal beglichen werden. Somalia steckte in der Zwangsjacke von Schul-dendienst und struktureller Anpassung. Die somalische Lektion. Die somalische Erfahrung zeigt, wie ein Land durch die gleichzeitige Gewährung von Nahrungsmittelhilfe und die Durch-führung makroökonomischer Reformen nach dem Muster von IWF und Weltbank verwüstet werden kann. Es gibt viele Somalias in der unterent-wickelten Welt, und das hier durchgeführte Wirtschaftsreformpaket ähnelt denen, die in über hundert Entwicklungsländern durchgesetzt wurden. Aber es gibt noch einen weiteren bedeutsamen Aspekt: In ganz Afrika zerstören IWF- und Weltbankprogramme die nomadische und kommerzielle Viehhal-tung in ähnlicher Weise wie in Somalia. Der (zollfreie) Import von subven-

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tioniertem Rindfleisch und Milchprodukten aus der EU hat zur Vernichtung der afrikanischen Weidewirtschaft geführt. Europäische Rindfleischimporte nach Westafrika nahmen seit 1984 um das Siebenfache zu: »EU-Rindfleisch von niedriger Qualität wird zum halben Preis des lokal produzierten Flei-sches verkauft. Die Herdenbesitzer in der Sahelzone müssen die Erfahrung machen, dass niemand ihre Herden kaufen will. «8

Die Erfahrungen Somalias zeigen, dass Hunger im späten 20. Jahrhun-dert keine Konsequenz von Nahrungsmittelknappheit ist. Im Gegenteil, Hungersnöte werden durch das globale Überangebot von Getreide ausge-löst. Seit den 80er Jahren ist der Getreidemarkt unter Aufsicht der Welt-bank dereguliert, sind die US-Getreideüberschüsse systematisch eingesetzt worden, um die Bauern zu ruinieren und die nationale Nahrungsmittelpro-duktion zu destabilisieren, die unter diesen Umständen viel verwundbarer gegenüber den Wechselfällen von Dürren und Umweltkrisen wird.

Auf dem ganzen Kontinent richtete sich das Muster der »sektoralen An-passung« in der Landwirtschaft unter Aufsicht der Bretton-Woods-Institutionen unzweideutig auf die Zerstörung einer gesicherten Ernährung. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt wurde verstärkt, die Nahrungsmittelhilfe für die Subsaharastaaten wuchs seit 1974 um mehr als das Siebenfache, und die kommerziellen Getreideimporte haben sich mehr als verdoppelt. Zwischen 1974 und 1993 stiegen die Getreideimporte in die Subsaharastaa-ten von 3,72 Mio. Tonnen auf 8,47 Mio. Tonnen und nahm die Nahrungsmit-telhilfe von 910.000 Tonnen auf 6,64 Mio. Tonnen zu.9

Die Nahrungsmittelhilfe blieb jedoch nicht mehr nur auf die Dürreländer des Sahelgürtels beschränkt, sondern floss auch in Länder, die sich bis vor kurzem mehr oder weniger selbst mit Nahrungsmitteln versorgen konnten. Simbabwe, das einst als Brotkorb Südafrikas galt, wurde 1992 von der Hungersnot und Dürre im südlichen Afrika hart getroffen. Die Ernteerträge von Mais, der vor allem in den weniger fruchtbaren Landesteilen angebaut wird, sanken um 90 Prozent. Doch ironischerweise erlebte der für den Ex-port angebaute Tabak – unterstützt durch moderne Bewässerung, Kredite und Forschung – auf der Höhe der Dürre eine prächtige Ernte.10 Während der Hunger die Bevölkerung zwang, Termiten zu essen, floss ein Großteil der Exporteinnahmen von Simbabwe in den Schuldendienst der Auslands-schulden.

Unter den Strukturanpassungen gaben die Bauern zunehmend den tradi-tionellen Nahrungsfeldbau auf. In Malawi, einst ein Nettoexporteur von Nah-rungsmitteln, fiel die Maisproduktion 1992 um 40 Prozent, während sich der Tabakanbau zwischen 1986 und 1993 verdoppelte. 150.000 Hektar besten Landes wurden für die Tabakkultivierung umgewidmet.11 In den gesamten 80er Jahren wurden afrikanischen Staaten strenge Sparmaßnahmen aufge-zwungen. Die Ausgaben für die ländliche Entwicklung wurden drastisch ge-kürzt, was zum Zusammenbruch der landwirtschaftlichen Infrastruktur führ-te. Das Weltbankprogramm machte aus Wasser eine Ware, die kostendek-kend an verarmte Bauern verkauft wurde. Aufgrund fehlender Mittel waren die Staaten gezwungen, sich aus der Bewirtschaftung und Bewahrung der

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Wasserressourcen zurückzuziehen. Wasserstellen und Bohrbrunnen trockne-ten aufgrund mangelnder Wartung aus oder wurden privatisiert und an lo-kale Händler oder reiche Bauern verkauft. In semiariden Gebieten führt die-se Kommerzialisierung des Wassers und der Bewässerungsanlagen zum Zusammenbruch der gesicherten Nahrungsmittelversorgung und zu Hun-gersnöten.12

Zwar spielen bei Hungersnöten auch klimatische Faktoren eine Rolle, doch die Hungersnöte im Zeitalter der Globalisierung sind von Menschen gemacht. Sie sind nicht die Folge von Nahrungsmittelknappheit, sondern einer Struktur des globalen Überangebots, das die gesicherte Nahrungsmit-telversorgung untergräbt und die nationale Produktion von Nahrungsmitteln in den armen Ländern zerstört. Gesteuert vom internationalen Agrarbusi-ness führt dieses Überangebot letztlich zur Verarmung der Bauern auf der ganzen Welt. Darüber hinaus sind es die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank, die in direkter Beziehung zu den Ursachen von Hunger stehen, weil sie alle Bereiche der Wirtschaftstätigkeit in den Städten und auf dem Land systematisch untergraben, die nicht direkt den Interes-sen des globalen Marktsystems dienen.

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7. Wirtschaftlicher Völkermord in Ruanda Die ruandische Krise, die 1994 zu den ethnischen Massakern führte, wurde in den westlichen Medien als Epos menschlichen Leids dargestellt, doch was die Journalisten dabei sorgfältig übersahen, waren ihre sozialen und wirt-schaftlichen Ursachen. In unseren Breiten hält man ethnische Konflikte und Bürgerkriege für beinahe unvermeidliche und typische Etappen von Gesell-schaften, die auf dem schmerzlichen Weg von Ein-Parteien-Staaten zu de-mokratischen Systemen und freien Märkten sind. Die Brutalität der Massa-ker schockierte die Weltöffentlichkeit, aber was die internationalen Medien verschwiegen, war die tiefe Wirtschaftskrise, die dem Bürgerkrieg voraus-ging. Tatsächlich aber hatte die Umstrukturierung der Landwirtschaft unter Aufsicht von IWF und Weltbank die Bevölkerung in bittere Armut und Ver-elendung gestürzt.

Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, die unmittelbar auf den Zusammenbruch des internationalen Kaffeemarktes und die Durchsetzung umfassender makroökonomischer Reformen durch die Bretton-Woods-Institutionen folgte, verschlimmerte die köchelnden ethnischen Spannungen und beschleunigte den politischen Zusammenbruch des Landes. 1987 be-gann das Quotensystem des internationalen Kaffeeabkommens zu bröckeln, die Weltpreise stürzten in den Keller, und der staatliche Fonds d´Égalisation zur Stabilisierung der Kaffeepreise, der den ruandischen Kaffeebauern Fest-preise garantierte, musste sich erheblich verschulden. Als das Kaffeeab-kommen 1989 auf politischen Druck Washingtons zugunsten großer US-Kaffeehändler vollends scheiterte und der Kaffeepreis verfiel, versetzte das der Wirtschaft Ruandas einen tödlichen Schlag. Nach einem historischen Treffen der Kaffeeproduzenten in Florida stürzten die Kaffeepreise innerhalb von Monaten um mehr als 50 Prozent.13 Für Ruanda und mehrere andere afrikanische Länder war der Absturz der Preise vernichtend. Die Erzeuger-preise fielen auf weniger als fünf Prozent des US-Einzelhandelspreises. Der Verfall der internationalen Kaffeepreise ermöglichte es den reichen Ländern, enorme Gewinne auf Kosten der direkten Erzeuger zu machen. Das Erbe des Kolonialismus. Worin liegt die Verantwortung des Westens für diese Tragödie? Erstens ist zu betonen, dass der Konflikt zwischen den Volksgruppen der Hutu und Tutsi in Ruanda weitgehend eine Folge des Ko-lonialsystems war, von dem sich bis heute noch viele Merkmale erhalten haben. Seit dem späten 19. Jahrhundert hatte die frühe deutsche Ko-lonialbesatzung den in Nyanza residierenden Tutsi-König (mwami) benutzt, um Militärposten zu etablieren. Es war jedoch vor allem die von den Belgi-ern 1926 durchgeführte Verwaltungsreform, die entscheidend die sozio-

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ethnischen Beziehungen Ruandas formte. Die Belgier machten sich die Kon-flikte zwischen den Hutu und Tutsi gezielt zunutze, um ihre territorialen Ansprüche durchzusetzen. Die traditionellen Häuptlinge wurden von der Kolonialadministration benutzt, um Zwangsarbeiter zu rekrutieren. Die Häuptlinge übernahmen für die Kolonialherren Auspeitschungen und andere körperliche Züchtigungen. Solche Bestrafungen wurden unter direkter Auf-sicht des belgischen Kolonialverwalters vorgenommen, der für das jeweilige Gebiet zuständig war. Ein Klima der Angst und des Misstrauens breitete sich aus, die Solidarität in den Gemeinden brach zusammen, und die traditionel-len Klientelbeziehungen wurden missbraucht, um den Interessen der Kolo-nialisten zu dienen. Das Ziel war, ethnische Rivalitäten zu nähren, um poli-tische Kontrolle zu gewinnen und die Solidarisierung der beiden ethnischen Gruppen der Tutsi und Hutu zu unterbinden, die sich unweigerlich gegen das Kolonialregime gerichtet hätte. Der dynastische Tutsi-Adel erhielt au-ßerdem die Verantwortung für die Steuereintreibung und die Rechtspre-chung. Die Wirtschaft der Gemeinden wurde unterminiert, indem die Belgier die Bauern zwangen, statt Nahrungspflanzen »Kolonialwaren« anzubauen. Gemeindeland wurde in Privatland umgewandelt, das ausschließlich mit Ex-portpflanzen kultiviert wurde, den so genannten cultures obligatoires.14

Historiker wurden von der Kolonialregierung mit der Aufgabe betraut, die mündliche Überlieferung von Ruanda Urundi aufzuzeichnen und zu verzer-ren. Die historische Erinnerung wurde verfälscht: Die Monarchie des mwami wurde ausschließlich mit der Tutsi-Dynastie identifiziert, während man die Hutu als beherrschte Kaste darstellte.15 Ausweise wurden ausgegeben, auf denen die »ethnische Zugehörigkeit« verzeichnet war, die willkürlich festge-legt wurde: Tutsi waren alle Viehbesitzer, Hutu alle Bauern.

Aus den aufgezwungenen sozioethnischen Gegensätzen entwickelten die Belgier eine neue soziale Klasse, die so genannten »nègres évolués«, die sich aus der Tutsi-Aristokratie rekrutierten. Die Kolonialmacht führte zudem ein Schulsystem ein, um die Söhne der Häuptlinge zu erziehen und das afri-kanische Personal heranzubilden, das sie brauchte. Auch die verschiedenen christlichen Missionen und Gemeinden wurden für die Zwecke der belgi-schen Kolonialherrschaft eingespannt. Die Geistlichen drängten die Bauern z.B. häufig, sich auf Exportkultivierung umzustellen. Die ethnischen Gegen-sätze, die seit den 20er Jahren in der ruandischen Bevölkerung genährt wurden, haben bis heute tiefe Spuren hinterlassen.

Seit der Unabhängigkeit 1962 wurden die Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht und zu den internationalen Kreditgebern weit komplexer. Aber bei allen militärischen, wirtschaftlichen und humanitären Interventio-nen, die seit Beginn des Bürgerkrieges 1990 unternommen wurden, blieb es das Hauptziel, nach dem Prinzip »Teile und herrsche« eine Volksgruppe ge-gen die andere auszuspielen. Die Krise in Ruanda wurde Gegenstand stän-diger Konferenzen der Kreditgeber in Paris, von Waffenstillstandsvereinba-rungen und Friedensgesprächen. Die Gebergemeinschaft überwachte und koordinierte die verschiedenen Initiativen mit einem Geflecht von Bedin-gungen und Gegenbedingungen. Die Freigabe von multilateralen und bilate-

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ralen Darlehen seit Ausbruch des Bürgerkrieges wurde von der Bedingung abhängig gemacht, einen Demokratisierungsprozess unter strenger Aufsicht der Geber in Gang zu setzen. Die westliche Hilfe für die Unterstützung einer Mehrparteiendemokratie wiederum war in einer fast symbiotischen Bezie-hung davon abhängig, ob die ruandische Regierung eine Einigung mit dem IWF erzielte usw. Diese Bemühungen waren um so illusorischer, als die tat-sächliche politische Macht in Ruanda seit dem Zusammenbruch des Kaffee-marktes 1989 weitgehend bei den Geldgebern lag. Ein Kommunique des US-Außenministeriums von Anfang 1993, das die Fortsetzung der bilatera-len Hilfe der USA an den Reformwillen der Regierung und an Fortschritte bei der Demokratisierung knüpfte, illustriert die Situation lebhaft.

Das im August 1993 unterzeichnete Arusha-Friedensabkommen beruhte auf einer bloß formalen Gleichstellung der Ethnien und war, wie die Geber-gemeinschaft sehr wohl wusste, von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Die brutale Verarmung der Bevölkerung, verursacht durch den Krieg ebenso wie durch die IWF-Reformen, schloss einen echten Demokra-tisierungsprozess aus. Das Abkommen sollte die Bedingungen für »gute Regierungsführung« (good governance) schaffen – ein neuer Begriff im Vo-kabular der Geber – und unter der Schirmherrschaft der ausländischen Gläubiger Ruandas die Bildung einer Scheinkoalitionsregierung aus mehre-ren Parteien ermöglichen. Tatsächlich heizte das formale Konzept der Mehr-parteiendemokratie, das die Geber in Ruanda verwirklicht sehen wollten, die Gegensätze unter den verschiedenen politischen Fraktionen des Regimes nur noch weiter an. Wenig überraschend kündigte die Weltbank an, die Auszahlung der ausgehandelten Kredite auszusetzen, als die Frie-densverhandlungen zum Stillstand kamen.16 Die Wirtschaft seit der Unabhängigkeit. Die Entwicklung des postkolo-nialen Systems spielte eine entscheidende Rolle für die Vorgeschichte der ruandischen Krise. Obwohl es tatsächlich Erfolge bei der Diversifizierung der nationalen Wirtschaft gab, blieb die kolonial geprägte, auf Kaffee beruhende Exportwirtschaft, die von der belgischen Verwaltung eingeführt worden war, weitgehend erhalten und sorgte für 80 Prozent der ruandischen Devisenein-nahmen. Es bildete sich eine Rentier-Klasse mit Interessen im Kaffeehandel und engen Verbindungen zur politischen Macht heraus. Das Armutsniveau war hoch, doch während der 70er und der ersten Hälfte der 80er Jahre wurden dennoch wirtschaftliche und soziale Erfolge erzielt: Das reale Brut-toinlandsprodukt wuchs von 1965 bis 1989 um durchschnittlich 4,9 Prozent im Jahr, wesentlich mehr Kinder erhielten eine Schulbildung, und die Infla-tion gehörte mit weniger als vier Prozent im Jahr zu den niedrigsten in den Subsaharastaaten.17

Obwohl die Landwirtschaft Ruandas mit starkem demografischen Druck – 3,2 Prozent Bevölkerungswachstum pro Jahr –, Fragmentierung der Land-parzellen und Bodenerosion zu kämpfen hatte, konnte sie neben der Ent-wicklung der Exportwirtschaft auf lokaler Ebene bis zu einem gewissen Grad die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln sichern. Kaffee wurde von annä-

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hernd 70 Prozent der ländlichen Betriebe angebaut, machte jedoch nur ei-nen kleinen Anteil des Gesamteinkommens aus. Es hatte sich eine Vielzahl anderer Einnahmequellen entwickelt, darunter der Verkauf traditioneller Grundnahrungsmittel und von Bananenbier auf den städtischen Märkten.18

Bis in die späten 80er Jahre waren die Importe von Getreide einschließlich der Nahrungsmittelhilfen im Vergleich zu anderen Ländern in der Region minimal. Die Situation begann sich jedoch Anfang der 80er Jahre mit einer deutlichen Abnahme der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln pro Kopf der Bevölkerung zu verschlechtern. Bis zu dieser Zeit waren die lokalen Produ-zenten – in offenem Gegensatz zur üblichen Handelsliberalisierung, die die Weltbank forderte – durch Importbeschränkungen für Nahrungsmittel ge-schützt.19 Mit der Durchführung des Strukturanpassungsprogramms 1990 wurde dieser Schutz jedoch aufgehoben.

Die wirtschaftlichen Grundlagen des ruandischen Staates nach der Unab-hängigkeit blieben extrem fragil. Ein großer Anteil der Staatseinnahmen hing vom Kaffee ab, mit dem Risiko, dass ein Verfall der Kaffeepreise eine Krise der Staatsfinanzen auslösen würde. Als die Schuldenkrise begann, floss ein größerer Teil der Erlöse aus dem Kaffee- und Teeverkauf in den Schuldendienst, und der Druck auf die Kleinbauern erhöhte sich weiter.

Die Exporteinnahmen gingen zwischen 1987 und 1991 um 50 Prozent zu-rück. Dies führte zu einem Zerfall staatlicher Institutionen. Als die Kaffee-preise abstürzten, brach auf dem Land überall Hunger aus. Nach den Zah-len der Weltbank schrumpfte zwischen 1981 bis 1986 das Brutto-inlandsprodukt pro Kopf lediglich um 0,4 Prozent, aber zwischen 1987 und 1991, also nach dem Einbruch des Kaffeemarktes, um 5,5 Prozent. Die Intervention von IWF und Weltbank. Im November 1988 reiste eine Delegation der Weltbank nach Ruanda, um die öffentlichen Ausgaben des Landes zu überprüfen. Sie sprach eine Reihe von Empfehlungen aus, um Ruanda wieder auf den Pfad nachhaltigen Wachstums zu bringen. Die Weltbankdelegation präsentierte der Regierung zwei mögliche Szenarien. Das erste mit dem Titel »Kein Strategiewandel« behandelte die Option, das alte System staatlicher Planung beizubehalten, während das zweite – » Strategiewandel « – die Schritte zu einer makroökonomischen Reform und einen »Übergang zum freien Markt« beschrieb. Nach sorgfältigen ökonomi-schen »Simulationen« der möglichen Resultate kam die Weltbank mit einem Schuss Optimismus zu dem Schluss, dass bei der Annahme des zweiten Szenarios in Ruanda das Niveau des Verbrauchs zwischen 1989 und 1993 deutlich steigen würde, die Handelsbilanz verbessert werden könnte und die Investitionen zunähmen. Die Berechnungen legten auch eine bessere Ex-portleistung und eine substanziell niedrigere Außenverschuldung nahe. Die-se Ziele sollten erreicht werden, wenn die üblichen Rezepte angewandt würden: Handelsliberalisierung und Abwertung, Beendigung staatlicher Subventionen für die Landwirtschaft, also vor allem die Auflösung des staat-lichen Fonds zur Stützung des Kaffeepreises (Fonds d’Égalisation), Privati-sierung von Staatsunternehmen und Entlassung von Staatsbediensteten.

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Das Szenario des Strategiewandels setzte sich durch. Die Regierung hat-te, angesichts der Verheißung eines Schuldenerlasses von 46 Mio. Dollar (der dann auch 1989 gewährt wurde), keine Wahl. Im November 1990 wur-de der ruandische Franc um 50 Prozent abgewertet, kaum sechs Wochen nach dem Einfall der Rebellenarmee der Patriotischen Front Ruandas (FPR) aus Uganda.

Die Entwertung sollte den Kaffeeexporten einen Schub geben. Sie wurde der Öffentlichkeit als Mittel zur Wiederbelebung der vom Krieg verwüsteten Wirtschaft präsentiert. Es war nicht überraschend, dass genau das Gegen-teil eintrat und die schon durch den Bürgerkrieg schwierige Lage noch schlimmer wurde. Nach relativer Preisstabilität löste die Abwertung des ru-andischen Franc eine Inflation und den Zusammenbruch der Reallöhne aus. Ein paar Tage nach der Abwertung wurden beträchtliche Preiserhöhungen für Kraftstoff und Güter des Grundbedarfs bekannt gegeben. Der Verbrau-cherpreisindex stieg von 1,0 Prozent 1989 auf 19,2 Prozent 1991. Die Zah-lungsbilanz verschlechterte sich dramatisch, und die Auslandsverschuldung, die sich seit 1985 bereits verdoppelt hatte, stieg zwischen 1989 und 1992 um weitere 34 Prozent auf insgesamt 804,3 Mio. Dollar. Der staatliche Ver-waltungsapparat war in Unordnung, die Staatsunternehmen wurden in den Bankrott getrieben und der öffentliche Dienst brach zusammen.20 Gesund-heits- und Erziehungssystem hielten dem Druck der vom IWF auferlegten Sparmaßnahmen nicht stand: Trotz der von den Kreditgebern unterstützten flankierenden Sozialausgaben erhöhte sich die Mangelernährung bei Kindern dramatisch; die Zahl der Malariafälle nahm im Jahr nach Beginn des IWF-Programms um 21 Prozent zu, vor allem aufgrund fehlender Arzneimittel in den öffentlichen Gesundheitsstationen; und die Einführung von Schulgebüh-ren für die Grundschule führte zu einem massiven Rückgang der Schüler-zahlen.21

Die Wirtschaftskrise erreichte 1992 ihren Höhepunkt, als die ruandischen Bauern aus Verzweiflung an die 300.000 Kaffeesträucher ausrissen.22 Trotz der steil ansteigenden Preise auf dem Inlandsmarkt hatte die Regierung den Erzeugerpreis von Kaffee nach der Vereinbarung mit IWF und Weltbank auf dem Niveau von 1989 eingefroren (125 ruandische Franc pro Kilo). Der Re-gierung war es aufgrund der Kreditbedingungen der Weltbank nicht erlaubt, staatliche Mittel für den Fonds d’Égalisation bereitzustellen. Außerdem er-höhten die lokalen Kaffee- und Zwischenhändler ihre Gewinnmargen erheb-lich, was die Kaffeebauern noch stärker unter Druck setzte.

Im Juni 1992 ordnete der IWF eine weitere Abwertung an, die auf der Höhe des Bürgerkrieges zu einer weiteren Preisexplosion bei Kraftstoff und Grundbedarfsgütern führte.23 Die Kaffeeproduktion ging in einem einzigen Jahr um weitere 25 Prozent zurück. Aber für die Bauern war es nicht ein-fach, zur Kultivierung von Nahrungspflanzen zurückzukehren. Die letzten Erlöse aus dem Kaffeeanbau reichten kaum noch aus, um Nahrungsmittel zu kaufen, und auch landwirtschaftliche Einsatzgüter wurden aufgrund der gesunkenen Einnahmen der Produzenten immer unerschwinglicher. Die Kri-se der Kaffeewirtschaft schlug daher auf die Produktion traditioneller

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Grundnahrungsmittel zurück, was zu einem erheblichen Pro-duktionsrückgang von Maniok, Bohnen und Sorghumhirse führte. Das Spar-kassensystem der Kooperativen, das Kredite für Kleinbauern bereitstellte, zerfiel ebenfalls. Durch die von IWF und Weltbank empfohlene Liberalisie-rung des Handels und die Deregulierung des Getreidemarktes gelangten hoch subventionierte Importe billiger Nahrungsmittel aus den reichen Län-dern nach Ruanda und destabilisierten die lokalen Märkte.

Unter dem System des »freien Marktes«, das Ruanda aufgezwungen wurde, geriet die gesamte Landwirtschaft in eine Krise. Die Unordnung des staatlichen Verwaltungsapparats verdankte sich nicht nur dem Bürgerkrieg, sondern war auch das Ergebnis der Sparmaßnahmen und der sinkenden Gehälter im öffentlichen Dienst – eine Situation, die zwangsläufig das Klima allgemeiner Unsicherheit verschärfte.

Der Ernst der Situation in der Landwirtschaft wurde ausführlich von der Food and Agriculture Organization (FAO) dokumentiert, die vor weit verbrei-tetem Hunger in den Südprovinzen warnte.24 Ihr Anfang 1994 veröffentlich-ter Bericht wies auf den totalen Zusammenbruch der Kaffeeproduktion als Ergebnis des Krieges und der Schwächung des staatlichen Vermarktungssy-stems hin, das mit Unterstützung der Weltbank abgebaut wurde. Rwandex, die halbstaatliche Firma zur Verarbeitung und für den Export des Kaffees, hatte den Betrieb weitgehend eingestellt.

Die Entscheidung zur Abwertung war bereits am 17. September 1990 noch vor Ausbruch der Feindseligkeiten bei einem hochrangigen Treffen in Washington zwischen IWF und einer Delegation unter Leitung des ruandi-schen Finanzministers Benoît Ntigurirwa gefallen. Der IWF gab grünes Licht: Schon Anfang Oktober, als gerade die Kämpfe begannen, flossen Millionen von Dollar so genannter »Zahlungsbilanzhilfe« in die Kassen der ruandi-schen Zentralbank. Diese von der Zentralbank verwalteten Mittel hatten die Geber für Warenimporte vorgesehen, doch wahrscheinlich wurde ein be-trächtlicher Teil dieser Sofortmittel vom Regime (und seinen verschiedenen politischen Fraktionen) in Waffenkäufe aus Südafrika, Ägypten und Osteu-ropa umgeleitet.25 Der Kauf von Kalaschnikows, schwerer Artillerie und Gra-natwerfern vollzog sich im Rahmen des bilateralen militärischcn Hilfspakets, das Frankreich gewährte. Dazu gehörten unter anderem Milan- und Apila-Raketen, ganz zu schweigen von einem Mystère-Falcon-Jet für den persönli-chen Gebrauch von Präsident Juvénal Habyarimana.26 Seit Oktober 1990 wurde die Stärke der Streitkräfte darüber hinaus praktisch über Nacht von 5000 auf 40.000 Mann erhöht, was unter den Bedingungen sparsamer Haushaltsführung unweigerlich einen beträchtlichen Zustrom ausländischer Gelder erforderte. Die neuen Soldaten rekrutierten sich weitgehend aus den Scharen städtischer Arbeitsloser, deren Zahl seit dem Zusammenbruch des Kaffeemarktes 1989 dramatisch angeschwollen war. Tausende von Straftä-tern und müßigen Jugendlichen aus einer entwurzelten Bevölkerung wurden in die zivile, aber von den Streitkräften organisierte und bewaffnete Miliz eingezogen, die für die Massaker verantwortlich war.

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Insgesamt waren seit Beginn der Feindseligkeiten, die zeitlich mit der Abwertung und dem ersten »Schwall« frischen Geldes im Oktober 1990 zu-sammenfielen, 260 Mio. Dollar zur Auszahlung freigegeben worden, mit beträchtlichen bilateralen Beiträgen von Frankreich, Deutschland, Belgien, der EU und den USA. Während die neuen Kredite teilweise in den Schulden-dienst und in die Aufrüstung des Militärs flossen, deutet vieles darauf hin, dass der Großteil der Hilfsmittel weder produktiv verwendet noch zur Linde-rung des Hungers in den betroffenen Gebieten benutzt wurde.

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Weltbank durch ihre für zins-günstige Kredite zuständige Tochter, die International Development Asso-ciation (IDA), 1992 die Privatisierung des ruandischen Staatsunternehmens Electrogaz angeordnet hatte. Der Erlös aus dieser Privatisierung war eigent-lich dem Schuldendienst vorbehalten. In einer Kreditvereinbarung, die von der Europäischen Investitionsbank und der Caisse Francaise de Développe-ment mitfinanziert wurde, sollte die ruandische Regierung nach Erfüllung der Kreditbedingungen die bescheidene Summe von 39 Mio. Dollar zu-rückerhalten, um sie nach freiem Ermessen für Warenimporte zu verwen-den.27 Die auf der Höhe des Bürgerkrieges durchgeführte Privatisierung schloss auch Entlassungen von Mitarbeitern und einen sofortigen Anstieg des Elektrizitätspreises ein, was zusätzlich dazu beitrug, den öffentlichen Dienst in den Städten zu lähmen. Eine ähnliche Privatisierung wurde bei Rwandatel, der staatlichen Telekommunikationsfirma, im September 1993 durchgeführt.28

Die Weltbank überprüfte sorgfältig die Projektanträge Ruandas für öf-fentliche Investitionen und empfahl, diese Liste auf die Hälfte zusammenzu-streichen. Vor allem für die Landwirtschaft verlangte sie eine erhebliche Verringerung der staatlichen Investitionen, darunter des Landgewinnungs-programms, mit dem die Regierung begonnen hatte, Sümpfe tro-ckenzulegen, um dem ernsten Mangel an Ackerland abzuhelfen – für die Weltbank ein »unprofitables« Unterfangen.

Die Weltbank würde zweifellos behaupten, dass die Lage noch erheblich schlimmer geworden wäre, wenn man sich für das erste Szenario entschie-den hätte. Diese Argumentation klingt jedoch im Falle Ruandas besonders absurd. Die Weltbank bewies keinerlei Feingespür und schenkte den zu er-wartenden Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Schocktherapie auf ein Land am Rande des Bürgerkriegs keinerlei Beachtung. »Nichtökonomische Varia-blen« schloss sie bewusst aus ihren »Simulationen« aus. Ein US-Protektorat in Zentralafrika. Seit Beginn des ruandischen Bür-gerkrieges 1990 war es das versteckte Ziel Washingtons, eine amerikani-sche Einflusssphäre in dieser Region zu etablieren, die historisch von Frank-reich und Belgien dominiert wird. Um Frankreich zu verdrängen, unterstütz-ten die USA die FPR und sorgten für Bewaffnung und Ausrüstung deren mili-tärischen Arms, der Patriotischen Armee (RPA).

Seit Mitte der 80er Jahre wurde die Regierung des Nachbarlandes Ugan-da unter Präsident Yoweri Museveni zu Washingtons Vorzeigedemokratie in

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Afrika. Uganda wurde auch zur Basis von Guerillabewegungen im Sudan, in Ruanda und im Kongo. Chef der militärischen Aufklärung der ugandischen Streitkräfte war Generalmajor Paul Kagame. Kagame lies sich im Army Command and Staff College in Leavenworth im US-Bundesstaat Kansas ausbilden, das sich auf Kriegführung und Militärstrategie spezialisiert hat, und kehrte 1990, kurz nach dem Einfall der RPA in Ruanda, zurück, um sich an die Spitze der Truppen zu stellen.

Vor Ausbruch des ruandischen Bürgerkrieges war die RPA tatsächlich Teil der ugandischen Armee. Erst kurz vor ihrer Invasion in Ruanda im Oktober 1990 konstituierte sie sich als eigene Streitmacht. Über Nacht füllten sich die Reihen der IFA mit ugandischen Soldaten, übernahmen Tutsi-Offiziere aus der ugandischen Armee die Führungspositionen. Während des gesam-ten Krieges erhielt die RPA Nachschub von Militärbasen der ugandischen Armee in Uganda. Faktisch handelte es sich also um eine Invasion des ugandischen Militärs, die der Öffentlichkeit dann als Befreiungskrieg einer von Tutsi geführten Guerillaarmee präsentiert wurde.

Die Militarisierung Ugandas. Die Militarisierung Ugandas war fester Bestandteil der US-Außenpolitik. Großbritannien und die USA hatten den Aufbau der ugandischen Armee und der RPA unterstützt. Die Briten sorgten für die militärische Ausbildung auf dem Militärstützpunkt Jinja: »Seit 1989 unterstützt Amerika gemeinsame Angriffe der FPR und Ugandas auf Ruan-da… 1991 gab es mindestens 56 >Situationsberichte< in den Akten des US-Außenministeriums… Während die amerikanischen und britischen Bezie-hungen zu Ruanda stärker wurden, eskalierten die Feindseligkeiten zwi-schen Uganda und Ruanda… Im August 1990 hatte die FPR begonnen, mit Wissen und voller Billigung des britischen Geheimdienstes eine Invasion vorzubereiten.«29

Truppen der RPA und der ugandischen Armee unterstützten auch John Garangs People’s Liberation Army in ihrem Sezessionskrieg im Südsudan. Mit versteckter Hilfe der CIA stand Washington fest hinter diesen Initiati-ven.30

Darüber hinaus wurden ugandische Offiziere im Rahmen der »Africa Cri-sis Reaction Initiative« auch von US-Spezialkräften in Zusammenarbeit mit einer Söldnerfirma trainiert – der Military Professional Resources Inc. (MPRI) –, die gute Kontakte zum US-Außenministerium unterhält. Die MPRI leistete auch während der jugoslawischen Bürgerkriege sowohl den kroati-schen Streitkräften als auch der Kosovo-Befreiungsarmee ähnliche Hilfestel-lung und trainierte in jüngerer Zeit im Rahmen der US-Militärhilfe das ko-lumbianische Militär. Die ugandischen Auslandsschulden. Die makroökonomischen Reformen in Uganda unter Aufsicht des IWF dienten weitgehend der Verfolgung geo-politischer Ziele der USA. Der Anstieg der Auslandsverschuldung unter Prä-sident Museveni fiel zeitlich mit den Bürgerkriegen in Ruanda und dem Kon-go zusammen. Bei der Wahl Musevenis zum Präsidenten 1986 beliefen sich

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die Auslandsschulden auf 1,3 Mrd. Dollar. Mit dem Zustrom frischen Geldes explodierten die Auslandsschulden 1997 über Nacht auf beinahe das Dreifa-che, nämlich auf 3,7 Mrd. Dollar. Tatsächlich hatte Uganda zu Beginn seines »wirtschaftlichen Erholungsprogramms« keine Schulden bei der Weltbank. 1997 dagegen schuldete das Land allein der Weltbank zwei Milliarden Dol-lar.31

Wohin floss das Geld? Die ausländischen Kredite an die Regierung Muse-venis waren für den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau des Landes bestimmt. Nach dem langen Bürgerkrieg forderte das vom IWF unterstützte »wirtschaftliche Stabilisierungsprogramm« die massive Kürzung aller zivilen Programme.

Im Namen der Kreditgeber überwachte die Weltbank den ugandischen Haushalt. Im Rahmen des so genannten »Public Expenditure Review« war die Regierung verpflichtet, die genaue Verwendung der Mittel in jedem Res-sort zu offenbaren. jeder einzelne Ausgabenposten – darunter auch das Budget des Verteidigungsministeriums – unterlag somit der genauen Kon-trolle der Weltbank. Doch trotz der Sparmaßnahmen, die alle zivilen Ausga-ben betrafen, erlaubten die Kreditgeber dass die Verteidigungsausgaben ungebremst anstiegen.

Ein Teil des für zivile Programme vorgesehenen Geldes wurde in die Fi-nanzierung der ugandischen Armee umgelenkt, die sich damit an militäri-schen Operationen in Ruanda und im Kongo beteiligen konnte. Die ugandi-schen Auslandskredite wurden folglich dazu benutzt, militärische Operatio-nen im Sinne Washingtons zu finanzieren – bezahlen musste die Rechnung dafür letztlich das ugandische Volk. Tatsächlich hatten die Einsparungen bei den Sozialausgaben die Umlenkung von Staatseinnahmen zugunsten des ugandischen Militärs erleichtert. Die Finanzierung beider Bürgerkriegsparteien. Auch Ruanda unter der Regierung Habyarimana finanzierte seine Militärausgaben mit Auslandskre-diten. In grausamer Ironie wurden so beide Bürgerkriegsparteien von den-selben Kreditgebern finanziert, wobei die Weltbank die Aufsicht führte.

Dem Habyarimana-Regime stand ein großes Arsenal militärischer Ausrü-stung zur Verfügung, darunter 83 mm-Raketenwerfer, französische Blindici-de, belgische und deutsche Kleinwaffen, automatische Gewehre wie Ka-laschnikows aus Ägypten, China und Südafrika sowie gepanzerte AML-60-und M3-Fahrzeuge.32 Ein Teil der Waffenkäufe wurde durch direkte franzö-sische Militärhilfe finanziert; gleichzeitig wurden Kredite der Weltbanktoch-ter IDA, des African Development Fund (AfDF), des European Development Fund (EDF) sowie Deutschlands, der USA, Belgiens und Kanadas für die Finanzierung der damaligen Streitkräfte und späteren Interhamwe-Milizen abgezweigt.

Eine genaue Untersuchung der Regierungsakten, Berichte und der Korre-spondenz, die ich 1996 und 1997 in Ruanda gemeinsam mit dem belgischen Ökonomen Pierre Galand durchführte, bestätigte, dass viele der Waffenkäu-fe außerhalb der offiziellen Militärhilfeabkommen mit verschiedenen Zwi-

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schen- und privaten Waffenhändlern ausgehandelt wurden. Diese Transak-tionen – als normale Staatsausgaben verbucht – waren in dem Staatsbud-get enthalten, das die Weltbank detailliert kontrollierte. Große Mengen von Macheten und anderes Gerät, die 1994 bei den Massakern eingesetzt wur-den, waren als »zivile Waren« klassifiziert und über reguläre Handelskanäle eingeführt worden.

Nach den Akten der ruandischen Nationalbank wurden einige der Impor-te unter Verletzung der mit den Kreditgebern ausgehandelten Verträge fi-nanziert. Importrechnungen der Bank zeigen, dass annähernd eine Million Macheten über verschiedene Kanäle importiert wurden, darunter Radio Mille Collines, eine Organisation, die mit den Interhamwe-Milizen verbunden war und zu ethnischem Hass aufstachelte.

Das Geld war von den Gebern für die wirtschaftliche und soziale Entwick-lung Ruandas vorgesehen. Es war eindeutig festgelegt, dass keine Mittel für den Import von »Waffen, Munition und anderem Material« verwendet wer-den durften.33 Tatsächlich war die Kreditvereinbarung mit der Welt-banktochter IDA noch strenger. Das Geld durfte auch nicht für den Import von zivilen Gütern wie Kraftstoff, Nahrungsmittel, Arzneimittel, Kleidung und Schuhe verwendet werden, die »für paramilitärische Zwecke bestimmt sind«. Dennoch bestätigen die Bücher der ruandischen Nationalbank, dass die Regierung Habyarimana das Geld der Weltbank verwendete, um den Import von Macheten als »zivile Waren« zu finanzieren.

Die Weltbank entsandte eine Armee von Beratern und Rechnungsprüfern, um die wirtschaftlichen Fortschritte von Habyarimanas Regierung im Rah-men der Kreditvereinbarung zu überprüfen. Die Verwendung der Kredite für den Import von Macheten und anderen Mordinstrumenten tauchte in dem unabhängigen Rechnungsprüfungsbericht, den Regierung und Weltbank im Rahmen der Kreditvereinbarung in Auftrag gaben, nicht auf. 1993 beschloss die Weltbank, die Auszahlung der zweiten Tranche ihres IDA-Kredits auszu-setzen. Der Weltbankdelegation zufolge hatte es unglückliche »Fehler« und »Verzögerungen« in der Umsetzung der wirtschaftspolitischen Auflagen ge-geben. Die Marktreformen waren nicht länger »auf Kurs«, die Bedingungen – einschließlich der Privatisierung des Staatseigentums – nicht erfüllt wor-den. Die Tatsache, dass sich das Land in einem Bürgerkrieg befand, wurde nicht einmal erwähnt. Wofür das Geld ausgegeben wurde, war nie ein The-ma.

Obwohl die Weltbank die zweite Tranche des IDA-Kredits eingefroren hatte, war das 1991 bewilligte Geld auf einem Sonderkonto der Banque Bruxelles Lambert in Brüssel deponiert worden. Dieses Konto blieb für das ehemalige, nun im Exil befindliche Regime auch noch zwei Monate nach den ethnischen Massakern vom April 1994 offen und zugänglich. Vertuschungen und neuerliche IWF-Reformen. Nach dem Bürgerkrieg schickte die Weltbank eine Delegation nach Kigali, um einen so genannten »Vervollständigungsbericht« (completion report) zu erstellen. Das war das übliche Vorgehen, bei dem man sich weitgehend auf makroökonomische,

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nicht auf politische Fragen konzentrierte. Der Bericht räumte ein, dass »die Kriegsanstrengungen die (ehemalige) Regierung veranlasst hatten, die Aus-gaben beträchtlich zu erhöhen, weit über die Haushaltsziele hinaus, die un-ter dem Strukturanpassungsprogramm vereinbart waren«. Die Zweckent-fremdung des Weltbankgeldes wurde nicht erwähnt. Stattdessen wurde die Regierung Habyarimana dafür gelobt, dass sie »vor allem 1991 eine echte und große Anstrengung unternahm, die heimischen und externen Finanzun-gleichgewichte zu vermindern, Verzerrungen zu beseitigen, die das Export-wachstum und die Diversifizierung behinderten, und Marktmechanismen für die Ressourcenverteilung einzuführen«. Die Massaker an Zivilisten wurden nicht erwähnt. Aus der Sicht der Geber war »nichts passiert«. Tatsächlich fand sich im Bericht der Weltbank nicht einmal ein Hinweis darauf, dass es vor dem April 1994 überhaupt einen Bürgerkrieg gegeben hatte.

1995, kaum ein Jahr nach dem Völkermord, nahmen die ausländischen Kreditgeber Ruandas Gespräche mit der nun von den Tutsi geführten Regie-rung über die Schulden des ehemaligen Regimes auf, die zur Finanzierung der Massaker benutzt worden waren. Die FPR entschloss sich, die Legitimi-tät der »verhassten Schulden« von 1990 bis 1994 voll anzuerkennen. Der starke Mann der FPR, Vizepräsident Paul Kagame, instruierte das Kabinett, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen und die Weltbank nicht um ei-nen Erlass dieser Schulden zu bitten. Unter dem Druck Washingtons wollte die FPR darüber keinerlei Verhandlungen, nicht einmal einen informellen Dialog mit den Kreditgebern führen.

So wurde die Legitimität der Schulden aus der Kriegszeit offiziell nie in-frage gestellt. Stattdessen hielt man das Prozedere ein, das die Kreditgeber sorgfältig festgelegt hatten, um ihre prompte Rückzahlung sicherzustellen. 1998 wurde bei einer Sonderkonferenz der Kreditgeber in Stockholm ein multilateraler Treuhandfonds in Höhe von 55,2 Mio. Dollar gebildet, um den Wiederaufbau nach dem Krieg zu finanzieren.34 Tatsächlich aber war nichts von dem Geld für Ruanda bestimmt, es sollte nur für die Zinszahlungen auf die »verhassten Schulden« an die Weltbanktochter IDA, die African Deve-lopment Bank und den Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Ent-wicklung (IFAD) dienen.

Mit anderen Worten: Das »frische Geld«, das Ruanda schließlich zurück-zahlen muss, wurde geliehen, damit das Land den Schuldendienst für die Kredite leisten konnte, mit denen die Massaker finanziert worden waren. Unter dem Banner des Wiederaufbaus wurden die Altschulden nach dem Krieg lediglich durch neue ersetzt. So wurden die blutigen Schulden weiß-gewaschen, sie verschwanden aus den Büchern – und mit ihnen die Verantwortung der Kreditgeber. Mehr noch: Dieser Betrug war auch noch an die Bedingung geknüpft, die neue Welle von IWF- und Weltbank-Reformen zu akzeptieren.

»Wiederaufbau und Versöhnung«. Unter dem Banner von »Wieder-aufbau und Versöhnung« wurde Ruanda eine bittere Medizin zur wirtschaft-lichen Gesundung verschrieben. Tatsächlich war das Reformpaket, das dem

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Land nach dem Krieg aufgezwungen wurde, weit strenger als zu Beginn des Bürgerkrieges 1990. Obwohl das Pro-Kopf-Einkommen von 360 Dollar auf 140 Dollar sowie die Löhne und die Beschäftigung auf ein erbärmliches Ni-veau gefallen waren, verlangte der IWF die Einfrierung der Gehälter im öf-fentlichen Dienst zusammen mit einer massiven »Verschlankung« im Bil-dungs- und im Gesundheitssektor, um die Stabilität der Wirtschaft wieder-herzustellen. Verbleibendes Staatsvermögen sollte an ausländisches Kapital zu günstigen Preisen verkauft werden. Eine Reduzierung des öffentlichen Dienstes wurde auf den Weg gebracht.35 Die Gehälter im öffentlichen Sektor sollten 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten, so ge-nannte »unqualifizierte Staatsbedienstete« (vor allem Lehrer!) sollten ent-lassen werden – mit dem Ziel, die eingesparten Staatseinnahmen für den Schuldendienst zu verwenden und die Schulden Kigalis beim Pariser Club im Tausch gegen »Marktreformen« umzuschulden.

Statt die Streichung der verhassten Schulden zu verlangen, hieß die von Tutsi geführte FPR-Regierung die Bretton-Woods-Institutionen mit offenen Armen willkommen. Sie brauchte grünes Licht vom IWF zum Ausbau ihrer Armee.

Trotz der Sparmaßnahmen stiegen die Verteidigungsausgaben weiter. Das Muster, das sich zwischen 1990 und 1994 herausgebildet hatte, setzte sich fort. Die seit 1995 gewährten Entwicklungskredite wurden nicht ver-wendet, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes, sondern um die militärische Aufrüstung zu finanzieren, dieses Mal die der RPA. Und deren Aufbau vollzog sich unmittelbar vor Ausbruch des Bürgerkrieges im ehemaligen Zaire.

Bürgerkrieg im Kongo. Nach der Etablierung des US-freundlichen Re-gimes in Ruanda 1994 intervenierten von der USA ausgebildete ruandische und ugandische Kräfte im ehemaligen Zaire – unter Präsident Mobutu Sese Seko eine Hochburg der Franzosen und Belgier. Wie ausgiebig dokumen-tiert, hatten US-Spezialkräfte – vor allem Green Berets von der 3rd Special Forces Group aus Fort Bragg, North Carolina – die RPA ausgebildet. Damit setzten die USA die verdeckte Unterstützung und Militärhilfe fort, die sie der RPA vor 1994 gewährt hatten. Die tragischen Folgen des ruandischen Bür-gerkrieges einschließlich der Flüchtlingskrise hatten die Bühne für die Teil-nahme ugandischer Truppen und der RPA am Bürgerkrieg im Kongo berei-tet:

»Washington pumpte Militärhilfe in Kagames Armee, und US-Spezialkräfte und anderes Militärpersonal trainierten Hunderte von ruan-dischen Soldaten. Aber Kagame und seine Kollegen hatten ihre eigenen Pläne. Während die Green Berets die Ruandische Patriotische Armee trai-nierten, bildete diese Armee selbst heimlich zairische Rebellen aus… Nach Darstellung der US-Vertreter in Ruanda diente ihr Engagement bei der Armee fast ausschließlich der Schulung in Menschenrechten. Aber die Übungen der Spezialkräfte deckten auch andere Bereiche ab, darunter

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Kampftraining… Hunderte von Soldaten und Offizieren wurden für die US-Ausbildungsprogramme angeworben, sowohl in Ruanda als auch in den USA selber… Geführt von US-Spezialkräften lernten die Ruander Tarn-techniken, Bewegungen in kleinen Gruppen, Truppenführung, Teament-wicklung usw…. Während die Ausbildung voranging, trafen sich US-Offizielle regelmäßig mit Kagame und anderen hochrangigen ruandischen Führern, um die fortdauernde militärische Bedrohung durch die (ehemali-ge ruandische) Regierung (im Exil) aus Zaire zu erörtern… Der Schwer-punkt der militärischen Gespräche zwischen Ruanda und den US-Vertretern hatte sich eindeutig vom Schutz der Menschenrechte zur Be-kämpfung eines Aufstands verlagert… Mit Unterstützung von Museveni (dem ugandischen Präsidenten) entwickelte Kagame einen Plan, die (von Laurent Désiré Kabila geführte) Rebellenbewegung in Ostzaire zu unter-stützen… Die Operation begann im Oktober 1996, nur wenige Wochen nach Kagames Reise nach Washington und dem Abschluss der Ausbildung durch die US-Spezialkräfte… Sobald der Krieg (im Kongo) begann, ge-währten die USA Ruanda >politische Hilfe<… Ein Vertreter der US-Botschaft in Kigali reiste zahlreiche Male nach Ostzaire, um enge Verbin-dungen zu Kabila aufzubauen. Bald waren die Rebellen vorangekommen. Nachdem sie die zairische Armee mithilfe der ruandischen Truppen in die Flucht geschlagen hatten, marschierten sie mit nur wenigen größeren mi-litärischen Auseinandersetzungen in sieben Monaten durch Afrikas dritt-größte Nation. Mobutu floh im Mai 1997 aus der Hauptstadt Kinshasa, Kabila übernahm die Macht und änderte den Namen des Landes in Kon-go… US-Vertreter leugnen, dass es in Zaire während des Krieges US-Militärpersonal in ruandischen Truppen gab, obwohl seit den ersten Kriegstagen unbestätigte Berichte über die Anwesenheit von US-Beratern in der Region zirkulierten.«36

Amerikanische Bergbauinteressen. Bei diesen militärischen Operationen im Kongo ging es um die ausgedehnten Bodenschätze Ost- und Südzaires, darunter strategische Reserven von Kobalt, das für die US-Verteidigungsindustrie von entscheidender Bedeutung ist. Während des Bürgerkrieges, noch mehrere Monate vor dem Sturz Präsident Mobutus, hatte Laurent Kabila in seiner Basis in Goma, Ostzaire, Bergbau-konzessionen mit mehreren Minengesellschaften aus den USA und Großbri-tannien neu verhandelt, darunter American Mineral Fields mit Sitz in Hope, Arkansas, der Heimatstadt von Präsident Bill Clinton .37

Zurück in Washington, waren IWF-Vertreter in der Zwischenzeit damit beschäftigt, die makroökonomische Situation Zaires zu analysieren. Man verlor keine Zeit. Bereits jetzt traf man die Entscheidungen für die wirt-schaftliche Agenda nach Mobutu. In einer im April 1997 veröffentlichten Studie, kaum einen Monat bevor Präsident Mobutu Sese Seko aus dem Land floh, hatte der IWF als Teil des wirtschaftlichen Erholungsprogramms emp-fohlen, die Zentralbank »sofort und vollständig« daran zu hindern, weiteres Geld zu drucken.38 Und ein paar Monate nach der Machtübernahme der Re-

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gierung von Laurent Kabila in Kinshasa ordnete der IWF an, die Gehälter im öffentlichen Dienst einzufrieren, um die »makroökonomische Stabilität wie-derherzustellen«. Von Hyperinflation erodiert, waren die Gehälter im öffent-lichen Sektor auf 30.000 Neue Zaires im Monat gefallen, das Äquivalent von einem US-Dollar.39

Die Forderungen des IWF bedeuteten, die gesamte Bevölkerung weiterhin in elender Armut zu halten. Sie schlossen von Beginn an einen sinnvollen Wiederaufbau nach dem Krieg aus und fachten dadurch den Bürgerkrieg im Kongo, dem fast zwei Millionen Menschen zum Opfer fielen, noch weiter an.

Der unerklärte Krieg zwischen Frankreich und den USA. Der Bür-

gerkrieg in Ruanda war ein brutaler Kampf um die politische Macht zwi-schen der von Frankreich unterstützten Hutu-Regierung Habyarimanas und der von Tutsi geführten FPR, die Geld und Militärhilfe aus Washington be-kam. Beide Mächte nutzten dabei unter tätiger Mithilfe der CIA und des französischen Geheimdienstes die ethnischen Rivalitäten bewusst aus, um ihre geopolitischen Ziele zu verfolgen. Der ehemalige französische Entwick-lungshilfeminister in der Regierung von Premierminister Henri Balladur, Bernard Debré, drückte es so aus: »Man vergisst dabei, dass Frankreich auf der einen Seite war, während die Amerikaner auf der anderen standen und die Tutsi mit Waffen versorgten, die ihrerseits die Ugander bewaffneten. Ich will keine Kraftprobe zwischen den Franzosen und den Angelsachsen an die Wand malen, aber die Wahrheit muss gesagt werden.«40

Neben direkter militärischer Hilfe für die Kriegsparteien spielten bei der Finanzierung des Konflikts auch Entwicklungskredite eine wichtige Rolle. Mittel der ugandischen wie der ruandischen Auslandskredite wurden in die Unterstützung des Militärs und der Paramilitärs umgelenkt. Die Aus-landsschulden Ugandas stiegen um mehr als zwei Milliarden Dollar, d.h. noch wesentlich schneller als die Ruandas, wo sie zwischen 1990 und 1994 um annähernd 250 Mio. Dollar anwuchsen. Im Rückblick war die RPA, die sowohl durch US-Militärhilfe wie durch Ugandas Auslandskredite finanziert wurde, weit besser ausgerüstet und ausgebildet als die Forces Armées Rwandaises (FAR), die Präsident Habyarimana gestützt hatten. Von Beginn an hatte die RPA einen entschiedenen militärischen Vorteil über die FAR.

Nach Aussage von Paul Mugabe, einem ehemaligen Mitglied des Ober-kommandos der FPR, war es Generalmajor Paul Kagame persönlich, der im April 1994 den Abschuss der Maschine von Präsident Habyarimana befahl, um die Kontrolle über das Land zu übernehmen. Dieser sei sich völlig dar-über im Klaren gewesen, dass die Ermordung von Habyarimana Massaker an Tutsi-Zivilisten auslösen würde. RPA-Kräfte hatten zu dieser Zeit überall in Kigali Stellung bezogen, taten jedoch nichts, um dies zu verhindern:

»Die Entscheidung von Paul Kagame, das Flugzeug von Präsident Ha-byarimana abzuschießen, war der Auslöser eines in der ruandischen Ge-schichte beispiellosen Dramas, und Generalmajor Paul Kagame traf die-se Entscheidung in vollem Bewusstsein. Kagames Ehrgeiz verursachte

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die Auslöschung all unserer Familien: Tutsi, Hutu und Twa. Wir verloren alle. Kagames Machtübernahme kostete eine große Anzahl von Tutsi das Leben und führte zum unnötigen Exodus von Millionen von Hutu, von denen viele unter dem Befehl der Rädelsführer unschuldig waren. Einige naive Ruander riefen Kagame als ihren Retter aus, aber die Zeit hat ge-zeigt, dass er es war, der das Leid und Unglück verursacht hat… Kann Kagame dem ruandischen Volk erklären, warum er Claude Dusaidi und Charles Muligande nach New York und Washington schickte, um die UN-Militärintervention aufzuhalten, die entsandt werden sollte, um das ru-andische Volk vor dem Völkermord zu schützen? Der Grund hinter der Vermeidung dieser Militärintervention war, der FPR-Führung die Über-nahme der Regierung in Kigali zu erlauben und der Welt zu zeigen, dass sie – die FPR – diejenigen waren, die den Völkermord beendeten. Wir werden uns alle daran erinnern, dass der Völkermord drei Monate dau-erte, obwohl Kagame gesagt hatte, er könne ihn innerhalb einer Woche stoppen. Kann Generalmajor Kagame erklären, warum er die UN-Mission in Ruanda bat, das Land binnen Stunden zu verlassen, während die UN die Möglichkeit untersuchten, die Truppen in Ruanda zu verstärken, um dem Völkermord Einhalt zu gebieten?«41

Paul Mugabes Aussage über den Abschuss von Habyarimanas Flugzeug

wird von Geheimdienstdokumenten und Informationen gestützt, die in einer Anhörung des französischen Parlaments präsentiert wurden. Eine unlängst veröffentlichte Studie von Wayne Madsen verweist auch auf die Komplizen-schaft hochrangiger Vertreter der Vereinten Nationen:

»Die dramatischste Offenbarung betrifft den Verbleib des Sprachrecor-ders oder der >Black Box< der abgeschossenen Mystére Falcon 50. UN-Vertretern zufolge, die mit den UN-Flugbewegungen in der Region zu tun hatten, wurde die Black Box heimlich ins UN-Hauptquartier in New York gebracht, wo sie bis heute geblieben ist… UN-Quellen besagen, dass Daten der Black Box auf Druck der US-Regierung von der UN zu-rückgehalten wurden…‚ (und) die kanadische Richterin Louise Arbour, die als Sonderstaatsanwältin beim Internationalen Kriegsverbrechertri-bunal den ruandischen Völkermord untersuchte, ordnete an, dass die Ereignisse, die zum Abschuss des Flugzeugs am 6. April 1994 führten, nicht untersucht werden sollten. UN-Ermittler wurden von Arbour ange-wiesen, sich nur mit den Ereignissen nach dem Abschuss der Maschine zu befassen. Außerdem ordnete Arbour… ihre Untergebenen an…‚ ihre Ermittlungen einzustellen, als klar wurde, dass sie zu der Schlussfolge-rung führten, dass die FPR und ihre amerikanischen Geldgeber an der Planung des Angriffs auf das Flugzeug beteiligt gewesen waren. Dazu gehörten Beweise, dass FPR-Truppen am Abend des Angriffs drei Haupt-zufahrten zum internationalen Flughafen Kayibanda kontrollierten und europäische Söldner, die von der FPR und dem US-Geheimdienst bezahlt wurden, nahe gelegene Lagerhäuser benutzten, die von einer Schweizer

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Firma gemietet worden waren, um den Raketenangriff auf die Mystére Falcon zu planen und durchzuführen. Außerdem fanden UN- und kanadi-sche Ermittler Beweise, dass die kanadische Entwicklungshilfeagentur der FPR-Regierung in den Jahren 1996 und 1997 humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe gewährte, die stattdessen für Waffenkäufe benutzt wurde. Als dies den internen Rechnungsprüfern der Entwicklungs-hilfeagentur bekannt wurde, stellte die kanadische Regierung die Unter-suchung abrupt ein.«42

Madsen zufolge wurden diese »verdeckten Aktivitäten zugunsten der USA

und Kanadas« vom damaligen UN-Untergeneralsekretär Kofi Annan unter-stützt, der für die Friedensmission verantwortlich war und in engem Kontakt zu der damaligen US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, sowie zu Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrats der USA stand. »Besonders der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali wurde von den USA herausgehalten, denen es 1996 gelang, ihn loszuwerden und durch Annan zu ersetzen.«43

Die Einrichtung eines angloamerikanischen Protektorats. Trotz der

guten diplomatischen Beziehungen zwischen Paris und Washington und der scheinbaren Einheit der westlichen Militärallianz handelte es sich um einen unerklärten Krieg zwischen Frankreich und den USA. Durch die Unterstüt-zung der Aufrüstung der ugandischen und ruandischen Armeen und die di-rekte Intervention im kongolesischen Bürgerkrieg trägt Washington direkte Verantwortung für die ethnischen Massaker im Osten Kongos und den Tod mehrerer hunderttausend Menschen, die in Flüchtlingslagern starben. Gene-ralmajor Paul Kagame war ein Werkzeug Washingtons. Der Verlust afrikani-scher Leben spielte keine Rolle. Der Bürgerkrieg in Ruanda und die ethni-schen Massaker waren integraler Bestandteil der US-Außenpolitik, sorgfältig durchgeführt nach genauen strategischen und wirtschaftlichen Zielen.

Die US-Politiker waren sich voll bewusst, dass eine Katastrophe drohte. Tatsächlich hatte die CIA das US-Außenministerium in einem vertraulichen Memorandum vier Monate vor dem Völkermord unterrichtet, dass die Ver-einbarungen von Arusha scheitern und »über eine halbe Million Menschen sterben würden, wenn die Feindseligkeiten wieder aufgenommen werden«. Diese Information wurde vor den Vereinten Nationen zurückgehalten: »Erst als der Völkermord vorüber war, wurde die Information an Generalmajor Roméo Dallaire (der die UN-Truppen in Ruanda befehligte) weitergege-ben.«44

Das Ziel Washingtons war es, Frankreich zu verdrängen, die französische Regierung, die das Habyarimana-Regime unterstützt hatte, zu diskreditieren und unter Generalmajor Paul Kagame ein angloamerikanisches Protektorat zu installieren. Die USA taten bewusst nichts, um die Massaker zu verhin-dern.

Als die UN-Truppen entsandt werden sollten, versuchte Kagame, ihre Stationierung zu verzögern, und wollte eine Friedensmission erst akzeptie-

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ren, wenn die RPA die Kontrolle über Kigali übernommen hatte. Kagame »fürchtete, die vorgeschlagene UN-Truppe von mehr als 5000 Soldaten könnte intervenieren, um ihr (der RPA) den Sieg zu rauben«.45 In der Zwi-schenzeit beschloss der Sicherheitsrat nach Beratungen und einem Bericht von Generalsekretär Boutros Boutros Ghali, die Intervention zu verschie-ben.

Der Völkermord in Ruanda von 1994 diente ausschließlich strategischen und geopolitischen Zielen. Die ethnischen Massaker versetzten Frankreichs Glaubwürdigkeit einen schweren Schlag, was der USA ermöglichte, einen neokolonialen Vorposten in Zentralafrika zu etablieren. Nach der ur-sprünglich entschiedenen Orientierung auf Frankreich und Belgien ist die ruandische Hauptstadt Kigali unter der von Tutsi geführten FPR-Regierung heute entschieden angloamerikanisch geworden. Englisch ist die beherr-schende Sprache in der Regierung und im Privatsektor. Viele Privatfirmen, die einst Hutu gehörten, wurden 1994 von Tutsi übernommen, die aus dem Exil in anglophonen Ländern Afrikas, den USA und Großbritannien zurück-kehrten.

Mehrere frankophone Länder in den Subsaharastaaten haben militäri-sche Kooperationsverträge mit den USA geschlossen. Diese Länder sind von Washington auserkoren, dem Beispiel Ruandas zu folgen. In der Zwischen-zeit verdrängt der Dollar im frankophonen Westafrika rasch den CFA-Franc, der über die West- und Zentralafrikanische Währungsunion an den französi-schen Franc gekoppelt war und nun an den Euro gekoppelt ist.

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8. Neue Apartheid im südlichen Afrika Unter Präsident Nelson Mandela entwickelte die rechtsgerichtete burische Freiheitsfront (FF) unter Führung von General Constand Viljoen den Plan eines »Nahrungsmittelkorridors«, der sich über den südlichen Teil des Kon-tinents von Angola bis Mosambik erstrecken sollte. In der Ära nach der Apartheid will sich das burische Agrarbusiness durch Großinvestitionen in den kommerziellen Ackerbau, die Verarbeitung von Nahrungsmitteln und Ökotourismus in die Nachbarstaaten ausbreiten. Die Gewerkschaften der Buren im Oranjefreistaat und im östlichen Transvaal fungieren dabei als Partner. Das Ziel ist, Farmen jenseits der Grenzen Südafrikas zu gründen, die Weißen gehören.46

Der »Nahrungsmittelkorridor« bedeutet jedoch nicht Nahrung für die lo-kalen Menschen. Im Gegenteil, die Bauern werden bei der Umsetzung die-ses Planes ihr Land verlieren, aus Kleinbauern werden Farmarbeiter oder Pächter auf großen Plantagen, die den Buren gehören. Als Schirmorganisa-tion, zu der auch mehrere rechtsgerichtete Organisationen wie die erwähnte FF von Viljoen und der geheime Afrikaner Broederbond gehören, dient die südafrikanische Landwirtschaftskammer. Als Kommandeur der südafrikani-schen Streitkräfte während des Apartheid-Regimes war General Viljoen an Angriffen auf so genannte »Ziele« des African National Congress (ANC) be-teiligt, darunter an Sprengstoffanschlägen auf Anti-Apartheid-Aktivisten und Regimekritiker.47 Obwohl die Freedom Front im Vergleich etwa zur extrem rechten Afrikaner Weerstandsbeweging noch gemäßigt ist, handelt es sich um eine rassistische politische Bewegung, die dem so genannten »Afrikaner Volksstaat« verpflichtet ist.

Trotzdem erhielt die Initiative von Landwirtschaftskammer und FF die politische Unterstützung des ANC und den persönlichen Segen von Präsi-dent Nelson Mandela.

In Diskussionen mit Mandela hatte Viljoen argumentiert, dass »die An-siedlung südafrikanischer Landwirte die Wirtschaften der Nachbarländer stimulieren und den Ansässigen Nahrungsmittel und Beschäftigung ver-schaffen würde und dadurch der Zustrom von illegalen Immigranten nach Südafrika gehemmt werden könnte«.48 Viljoen traf sich auch mit EU- und UN-Vertretern sowie mit Delegierten anderer Geber-Organisationen zu Ge-sprächen über landwirtschaftliche Investitionen der Buren.49

Die Regierung Südafrikas ihrerseits verhandelte im Namen der Landwirt-schaftskammer und der FF mit verschiedenen afrikanischen Regierungen. Die ANC-Regierung war begierig, die Expansion des burischen Agrarbusi-ness in die Nachbarländer zu erleichtern. So bat Mandela z.B. die tansani-sche Regierung, burische Landwirte ins Land zu lassen, da sie bei der Ent-wicklung der Landwirtschaft helfen könnten. Die Kammer nahm Kontakt

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zu zwölf afrikanischen Ländern auf, die an weißen südafrikanischen Farmern interessiert sein könnten.50 1994 gewährte die Regierung des Kongo einigen Buren 99-jährige Pachtverträge für Ackerland. Mandela unterstützte das Projekt und forderte die afrikanischen Nationen auf, »die Immigranten als eine Art ausländischer Hilfe zu akzeptieren«.51

Ein früherer Treck weißer Landwirte nach Sambia und in den Kongo An-fang der 90er Jahre hatte gemischte Ergebnisse gehabt. Anders als beim Projekt der südafrikanischen Landwirtschaftskammer war es dabei nicht um die Interessen der burischen Agrarier und des Agrarbusiness gegangen, sondern – ohne politische und finanzielle Unterstützung und den Segen des neuen Südafrika – um die Ansiedlung einzelner (häufig bankrotter) buri-scher Farmer.

Auf Druck von Weltbank und WTO begrüßten die Nachbarländer über-wiegend den Zustrom burischer Investitionen.

Die Enteignung der Bauern. Der »Nahrungsmittelkorridor« der Buren wird schließlich die vorhandene Landwirtschaft in den jeweiligen Ländern ersetzen. Dazu gehört nicht nur die Aneignung von Land, sondern auch die Übernahme ihrer wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur, was zu höhe-rer Armut der Landbevölkerung führen wird. Er wird die Subsis-tenzwirtschaft und den kleinbäuerlichen Anbau von Feldfrüchten schwächen, die lokalen landwirtschaftlichen Märkte verdrängen und die endemischen Hungersnöte in der Region verschärfen. Für Jen Kelenga, den Sprecher ei-ner Initiative für mehr Demokratie im Kongo (ehemals Zaire), verfolgen die Buren mit dieser Initiative den Zweck, neues Land zu gewinnen und in den neuen Gebieten ihre »rassistische Lebensweise« durchzusetzen.52

Der »Nahrungsmittelkorridor« könnte die ländlichen Regionen des südli-chen Afrika tief greifend verändern, erfordert er doch die großflächige Ent-wurzelung und Verdrängung von Kleinbauern. Der Plan sieht vor, Millionen von Hektar besten Ackerlandes an das südafrikanische Agrarbusiness aus-zuhändigen. Die Buren werden kommerzielle Großfarmen leiten, die ländli-che Bevölkerung als »Arbeitspächter« und Saisonarbeiter benutzen und damit die Apartheid in die südafrikanischen Nachbarländer »exportieren«.

Die Agrarinvestitionen der Buren gehen Hand in Hand mit der von der Weltbank geförderten Reform des Bodenrechts. Häufig nämlich verlangen die Kreditgeber die Enteignung von landwirtschaftlichen Flächen als Bedin-gung für eine Umschuldung beim Pariser Club. Das Land von Kleinbauern, das formal dem Staat gehört, wird oft zu sehr niedrigen Preisen verkauft oder in 50- bis 99-jährigen Verträgen an das internationale Agrarbusiness verpachtet. Die kargen Erlöse der Landverkäufe fließen in den Dienst der Auslandsschulden.

Die Weltbank hat auch Veränderungen im Bodenrecht der Region durch-gesetzt, die Millionen von kleinen Landbesitzern ihre Rechte nehmen könn-ten. Von einigen Abweichungen abgesehen sind die Gesetze in einzelnen Ländern – entworfen unter technischer Anleitung der Rechtsabteilung der Weltbank – praktisch identisch: »Der Verfassung (von Mosambik) zufolge

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sind Grund und Boden Eigentum des Staates und können nicht verkauft oder mit Hypotheken belastet werden. Besonders die USA und die Weltbank üben starken Druck aus, das Land zu privatisieren und Hypotheken zu er-lauben.«53

Südafrikanische Unternehmen und Banken beteiligen sich auch an Priva-tisierungsprogrammen im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme in einzelnen afrikanischen Ländern und kaufen zu Niedrigstpreisen Staatsei-gentum an Minen, öffentlichen Versorgern und in der Landwirtschaft. So kamen Musterfarmen, landwirtschaftliche Forschungsstationen, staatliche Plantagen, Zuchtstationen usw. unter den Hammer. Mit der Deregulierung der Agrarmärkte auf Rat der Weltbank werden die staatlichen Vermark-tungssysteme entweder beseitigt oder von privaten Investoren übernom-men.

Trotz der vorgeschlagenen Landgesetzgebung verkünden die südafrikani-sche Landwirtschaftskammer und die Weltbank, dass die traditionellen Landrechte der Bauern in den betroffenen Ländern geschützt werden. Wo traditionelles Landrecht gilt, sollen Kleinbauern Gebiete erhalten, in un-mittelbarer Nachbarschaft zu den kommerziellen Farmen der Weißen. In der Praxis bedeutet dieser »Schutz« jedoch, dass ein Großteil der Landbevölke-rung auf kleine Anbauflächen (Gemeindeland) gepfercht wird, während der Löwenanteil des besten Ackerlandes verkauft oder an private Investoren verpachtet wird. Damit können zugleich bäuerliche Gemeinden, die in gro-ßen Gebieten Fruchtwechsel betreiben, und Hirtennomaden in Zukunft für alle möglichen Verletzungen – der Landrechte kommerzieller Farmen ver-folgt werden – für Übertretungen, die ihnen häufig gar nicht bewusst sind. Verarmt durch die makroökonomischen Reformen, ohne Zugang zu Krediten und modernen landwirtschaftlichen Einsatzgütern, werden diese traditionel-len Enklaven zu »Arbeitsreservoirs« für das Agrarbusiness.

Burenfarmen in Mosambik. Die südafrikanische Landwirtschafts-

kammer verfolgt derartige Investitionspläne im Kongo, in Sambia, Angola und Mosambik. Der mosambikanische Präsident Joaquim Chissano und Nel-son Mandela unterzeichneten eine zwischenstaatliche Vereinbarung, die dem Agrarbusiness der Buren Investitionen in mindestens sechs Provinzen auf etwa acht Millionen Hektar Land erlauben: »Mosambik braucht techni-sches Know-how und Geld, und wir haben die Leute… Wir ziehen ein Gebiet vor, das nicht stark bevölkert ist, denn zu viele Leute auf dem Land sind eine Achillesferse… Für die Buren kommt Land gleich nach Gott und der Bibel.«54

Für die Konzessionsgebiete der südafrikanischen Landwirtschaftskammer in Mosambik soll die »sozialistische« Frelimo-Regierung die Gewährleistung der Landrechte sicherstellen. Klein- und Subsistenzbauern, die fast nie Landrechte besitzen, werden entweder vertrieben oder erhalten randständi-ges Land.55 Mitglieder des Militärs und Regierungsminister, die Geschäfts-partner des internationalen Agrarbusiness werden wollen, erhalten dagegen Konzessionen über Millionen Hektar von Land, das bereits von Bauern be-

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siedelt ist. Zur Absicherung möglicher ausländischer Investoren schlug die Weltbank zusammen mit bilateralen Kreditgebern die exakte Kartierung und Registrierung ausgedehnter Landgebiete durch Luftaufnahmen vor.56

In der mosambikanischen Provinz Niassa wurde das beste Ackerbauland für 50 Jahre an Buren verpachtet. »>Es gibt so viele schöne, fruchtbare Orte, unter denen man auswählen kann<«, so Egbert Hiemstra, der zwei Farmen in Lydenburg besitzt und eine dritte in Mosambik gründen möchte.57 Angesichts des symbolischen Preises von 15 US-Cents pro Hektar im Jahr ist der Pachtvertrag ein regelrechtes Geschenk.

Durch die Gründung von Mosagrius, einem Joint Venture, hat sich die Landwirtschaftskammer nun fest im fruchtbaren Tal des Lugenda-Flusses etabliert. Aber die Buren haben ihren Blick auch auf die landwirtschaftlichen Flächen entlang des Sambesi und Limpopo sowie auf die Straßen und Ei-senbahnstrecken gerichtet, die Lichinga, die Hauptstadt der Provinz Niassa, mit dem Hochseehafen Nagala verbinden. Insgesamt geht es etwa um 170.000 Hektar.58 Die Absicht der burischen Farmer ist es, »die Hochgras-landgebiete mit Mais, Weizen und Rindern zu entwickeln, verbunden mit agrarindustrieller Weiterverarbeitung für den Exportmarkt. Im Tiefgrasland werden wir eine Reihe tropischer Obstbäume pflanzen und moderne Obst-saftfabriken bauen. Unsere Landwirtschaftsinsitute werden in dem Gebiet Forschungsstationen aufbauen, um die Initiative der südafrikanischen Landwirtschaftskammer zu unterstutzen… Schließlich möchten wir auch in die Baumwollgebiete der Provinzen Nampula und Cabo Delgado gehen. «59

Die verfügbare Infrastruktur einschließlich diverser staatlicher Gebäude und Unternehmen geht auf die Investoren über; mehrere Farmen in Staats-besitz in der Provinz Niassa werden den Buren überlassen, zusammen mit der Technischen Schule in Lichinga. Die landwirtschaftliche Forschungsstati-on wird ebenfalls übernommen: »Sie wollen raus, sie suchen Investitionen der Buren, um die Forschungsstation in Gang zu halten.« Schließlich beab-sichtigt das burische Agrarbusineß, auch die Pflanzenzucht der Regierung in der Provinz Niassa Zu übernehmen.

Beim Mosagrius-Projekt soll der »Hauptantrieb von erfolgreichen südafri-kanischen Landwirten kommen, die heute neues Land suchen und in der Lage sind, beträchtliches Kapital zu mobilisieren«. Sie werden ihre neuen Farmen von Südafrika aus betreiben und weiße Buren als Manager und Auf-seher nach Mosambik schicken. »Bäuerliche Familien, die gute Leistungen gezeigt haben, aber nicht über genügend Kapital verfügen, kommen eben-falls infrage. Die Landwirtschaftskammer wird ihnen Geld zur Verfügung stellen.« Allerdings gibt es keine Pläne für die burischen Farmer, die auf-grund des wirtschaftlichen Liberalisierungsprogramms Pretorias in den Bankrott getrieben werden. Immerhin haben diese Landwirte vielleicht eine Chance, als Manager auf burischen Farmen in Mosambik zu arbeiten.

Die Buren werden ihre schwarzen Vorarbeiter, Traktoristen und Techniker mitbringen. Der Repräsentant der South African High Commission in Maputo drückt es so aus: »Jeder burische Landwirt wird zur Beaufsichtigung der lokalen Arbeiter seine zahmen Kaffer mitbringen«.

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Die südafrikanische Landwirtschaftskammer hat die ausgewiesenen Ge-biete sorgfältig per Helikopter kartiert, landwirtschaftliche Forschungsinsti-tute aus Südafrika haben bereits Untersuchungen durchgeführt und Um-welt-, Klima- und soziale Bedingungen analysiert. Südafrikanische Demo-grafen wurden als Berater hinzugezogen, um die Auswirkungen der Ver-drängung der ländlichen Bevölkerung abzuschätzen. Die Schaffung »ländlicher Townships«. Dem Plan der Land-wirtschaftskammer zufolge werden die ländlichen Gemeinden auf dem an Buren verpachteten Land in Niassa zu »ländlichen Townships«‚ ähnlich wie unter dem Apartheid-Regime: »Man wird es so machen, dass man Dörfer an der Straße in der Nähe (weißer) Farmen entwickelt. Diese Dörfer sind sorg-fältig in der Nähe von Anbauflächen geplant, so dass die Farmarbeiter hin und her pendeln können. Die Dörfer erhalten etwas Infrastruktur und ein Stück Land für jeden Haushalt, so dass die Farmarbeiter ihre eigenen Ge-müsegärten anlegen können.«60

Falls die mosambikanischen Bauern nicht wenigstens rudimentäre Land-rechte innerhalb oder neben den verpachteten Gebieten erhalten, werden sie zu landlosen Farmarbeitern oder »Arbeitspächtern« werden. Im System der »Arbeitspächter«, das die Buren im 19. Jahrhundert in Südafrika ein-führten, erbringen schwarze bäuerliche Haushalte Arbeitsleistungen bzw. Frondienste im Tausch gegen das Recht, ein kleines Stück Land zu bestel-len. Formal seit 1960 von der nationalistischen Regierung verboten, ist die »Arbeitspacht« in vielen Teilen Südafrikas erhalten geblieben, auch in Transvaal und KwaZulu-Natal. Mittlerweile wird den Pächtern ein (sehr nied-riger) Nominallohn gezahlt, weitgehend zur Verschleierung der (ungesetzli-chen) Feudalbeziehung. Seit 1995 versucht der Minister für Landfragen die-se Praxis gesetzlich abzuschaffen.61

Die ländlichen Townships in den Pachtgebieten stellen ein Reservoir billi-ger Arbeitskräfte für die weißen kommerziellen Farmer dar, da die Löhne in Mosambik beträchtlich niedriger sind als in Südafrika. Dennoch bezeichnete der Vertreter des IWF, Sergio Leite, bei einer Konferenz von Kreditgebern 1995 den gesetzlich festgelegten Mindestlohn für Saisonarbeiter von mage-ren 18 Dollar im Monat im Hinblick auf internationale Standards als »über-trieben« und versäumte nicht, auf die inflationäre Wirkung zu hoher Löhne hinzuweisen.62

Die Verschlechterung der Rechte der Arbeiter und die Deregulierung des Arbeitsmarktes auf Anraten des IWF ermöglichen es den Buren nicht nur, ihren mosambikanischen Arbeitern extrem niedrige Löhne zu zahlen, son-dern auch den Forderungen der schwarzen Landarbeiter in Südafrika zu entkommen. Die Investitionen in Nachbarländern verschaffen dem Agrarbu-siness außerdem eine bessere Position bei seiner Lobbyarbeit, um die Land-reform der ANC-Regierung und deren Programme für »positive Diskriminie-rung« in Südafrika zu hintertreiben.

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Ausländische Hilfen. Die großen Geschäftsbanken Südafrikas, die Welt-bank und die EU unterstützen das Projekt entschlossen. Der »Nahrungsmit-telkorridor« ist zu einem integralen Bestandteil der Strukturanpassungspro-gramme von IWF und Weltbank geworden. Willie Jordaan, Sekretär der südafrikanischen Landwirtschaftskammer, erklärt: »Die Kammer hat sich bemüht, ihre Politik mit der Weltbank und dem IWF in Übereinstimmung zu bringen, und beansprucht, zu einer internationalen Entwicklungsagentur zu werden.« Die Kammer möchte Verträge mit Geberorganisationen schließen und in ihrem Namen »Hilfsprogramme im Ausland« durchführen.63

Obwohl der Westen den Kampf des ANC gegen das Apartheid-Regime unterstützt hatte, leistet er nun, in der Ära nach der Apartheid, finanzielle Hilfe für eine rassistische burische Entwicklungsorganisation. Unter dem Deckmantel der »Hilfe im Ausland« tragen die westlichen Geldgeber so zur Ausweitung der Apartheid in die Nachbarländer Südafrikas bei. Die EU stell-te der südafrikanischen Landwirtschaftskammer Geld aus einem Entwick-lungspaket zur Verfügung, das von Brüssel ausdrücklich für Südafrikas Wie-deraufbau- und Entwicklungsprogramm verwendet werden sollte. Einem EU-Sprecher zufolge war das Projekt »das Beste, was seit 30 Jahren aus Afrika zu hören war«.64 Der EU-Botschafter in Südafrika, Erwan Fouéré, be-kräftigte nach einer Unterredung mit General Viljoen, dass dieser mit weite-ren EU-Geldern rechnen könne, falls das Projekt gelinge, um die Kosten der Ansiedlung burischer Landwirte in den Nachbarländern Südafrikas zu dek-ken. Dass der Plan Kleinbauern ihrer Landrechte beraubt und das System der »Arbeitspacht« wieder einführt, das in Südafrika unter der Apartheid geherrscht hatte, war offenkundig nicht Gegenstand des Gesprächs.

Ein Großteil des Ufers des Niassa-Sees – einschließlich eines 160 km lan-gen Streifens im Rift Valley von Meponda bis Mapangula, der sich weiter nördlich zur Ilha Sobre o Lago in der Nähe der tansanischen Grenze er-streckt – wurde für einen »ökologisch nachhaltigen« Tourismus mit ergän-zenden und begleitenden Erschließungsprojekten ausgewiesen. Angestrebt wurden auch südafrikanische Investitionen in Fischerei und Aquakultur am Niassa-See, die die lokale Fischereiindustrie verdrängen würden.65

Mit der Vereinbarung wurde Mosagrius auch mit der Entwicklung und dem Betrieb des Niassa-Wildreservats an der tansanischen Grenze betraut. Zum Reservat gehört ein ausgedehntes Gebiet von 20.000 Hektar, das für »nachhaltigen Ökotourismus« genutzt werden soll. Die südafrikanische Landwirtschaftskammer soll das gesamte Gebiet einzäunen und gehobene Unterkünfte für Touristen am Rand des Wildparks schaffen. Wohlhabende Einzeltouristen sollen – »in streng kontrollierten Gebieten« – auch die Mög-lichkeit zur Jagd erhalten. Nach Auskunft des Sekretärs von Mosagrius »könnte es erforderlich sein, die Wildbestände aufzustocken, damit die Tou-risten auch einen originalgetreuen Eindruck bekommen«. Ein Experte des südafrikanischen Ministeriums für Naturschutz assistiert der Landwirt-schaftskammer bei der Planung des Unternehmens und stellt Finanzmittel bereit. Gespräche mit finanzkräftigen Privatinvestoren über Investitionen in Hotels und in den Wildpark stehen vor dem Abschluss.

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Für ein noch weit größeres Projekt erhielt James Ulysses Blanchard III. ein rechtsgerichteter texanischer Tycoon, eine Konzession über ein riesiges Gebiet, zu dem das Maputo-Elefantenreservat und die angrenzende Halbin-sel Machangula gehörten. Während des mosambikanischen Bürgerkrieges finanzierte Blanchard die Renamo, jene Rebellenorganisation, die direkt vom Apartheid-Regime unterstützt und von der südafrikanischen Armee ausgebildet wurde. »Aber nun hat es den Anschein, dass der Mann, der einst einer Rebellenarmee Geld für einen Krieg von unglaublicher Zerstö-rung und Brutalität gab – das US-Außenministerium schrieb einmal von den Gräueltaten der Renamo, sie seien schlimmer als jene des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha – ‚ wahrscheinlich mit der Kontrolle über ein riesiges Stück Land in der reichsten Provinz von Mosambik belohnt wird.«66

Blanchard beabsichtigt, einen so genannten »Dream Park« am Indischen Ozean zu bauen. Ein schwimmendes Hotel soll Touristen Luxusunterkünfte für 600 bis 800 Dollar pro Nacht und ein Kasino bieten. Große Landparzellen in Manchangula wurden außerdem an Agrarinvestoren aus Eastern Trans-vaal vergeben. Die örtlichen Gemeinden in Blanchards Pachtgebiet werden enteignet. John Perrot, der Generalmanager, drückt es so aus: »Wir werden hierher kommen und (zu den örtlichen Dorfbewohnern) sagen: >Okay, jetzt wohnt ihr in einem Nationalpark. Euer Dorf wird entweder umzäunt, oder die wilden Tiere werden direkt über eure Hauptstraße laufen.<«67

An diesem Wettlauf um Land beteiligt sich auch eine religiöse Organisati-on. Die mosambikanische Regierung erklärte sich bereit, der in den Nieder-landen angesiedelten Maharishi Heaven on Earth Company mehrere Millio-nen Hektar so genannten »ungenutzten« Landes zu überlassen. Präsident Joaquim Chissano ist ein Anhänger des Maharishi Mahesh Yogi, dem Grün-der der Naturgesetzpartei. Seit der Unterzeichnung der Vereinbarung im Juli 1993 scheint die Regierung jedoch von dem Geschäft Abstand genommen zu haben und erklärt nun, dass die Maharashi-Kirche »so behandelt« würde »wie jeder andere ausländische Investor auch, nicht besser und nicht schlechter«.68

Die Aufteilung des nationalen Territoriums. Ein autonomes Territorium, ein »Staat im Staate« wird in der Provinz Niassa entwickelt: Mosagrius, nicht die Staats- oder Provinzregierung, bestimmt allein über die Vergabe der Landnutzungsrechte und Konzessionsgebiete. Außerdem ist das Territo-rium als Freihandelszone ausgewiesen, was die ungehinderte Bewegung von Waren, Kapital und Menschen (gemeint sind die weißen Südafrikaner) er-laubt. Alle Investitionen in den Konzessionsgebieten »werden frei von Zöllen oder sonstigen Steuern sein«.69

Durch solche Konzessionen, die ausländischen Investoren in verschiede-nen Landesteilen gewährt wurden, wird das nationale Territorium Mosam-biks wie zu Kolonialzeiten in getrennte »Korridore« aufgeteilt, wobei jeder der Korridore separat in den Weltmarkt integriert ist. Dieses System unter-höhlt die Volkswirtschaft des Landes.

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Der Niedergang des mosambikanischen Staatsapparates begünstigt die Zerstückelung der nationalen Wirtschaft und die Umwandlung ganzer Re-gionen des Landes – z.B. der Niassa-Provinz – in Konzessionsgebiete oder »Korridore« unter der politischen Obhut von Kreditgebern, NGO und aus-ländischen Investoren. So entstehen de facto Parallelregierungen, die zu-nehmend das staatliche System umgehen. In mehreren Gebieten in Nord-mosambik stellt die ehemalige, vom Apartneid-Regime unterstützte Rebel-lengruppe Renamo, die ebenfalls Verbindungen zu den Gebern aufgebaut hat, mittlerweile die lokale Regierung. Nach dem Krieg wurden mehrere Re-namo-Führer zu Geschäftspartnern südafrikanischer Unternehmen in Mo-sambik, auch bei Investitionsprojekten der südafrikanischen Landwirt-schaftskammer: »Es könnte scheinen, dass es ein geheimes Einverständnis im Rahmen des Friedensabkommens (von 1992) gibt, der Renamo und ih-ren Unterstützern Land zu geben.«70

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9. Äthiopien: Die Zerstörung der Landwirtschaft und

Artenvielfalt Die von IWF und Weltbank aufgezwungene »Wirtschaftstherapie « ist zu ei-nem großen Teil verantwortlich für den Ausbruch der Hungersnöte und für die soziale Verwüstung in Äthiopien. Sie hat der bäuerlichen Wirtschaft ver-nichtenden Schaden zugefügt und Millionen von Menschen verarmen lassen. In Komplizenschaft mit US-Regierungsstellen haben diese Organisationen auch US-Biotech-Unternehmen die Möglichkeit gegeben, traditionelles Saat-gut und Kulturpflanzen zu enteignen und unter dem Deckmantel von Kata-strophen- und Hungerhilfe die Einführung ihres eigenen, genetisch modifi-zierten Saatgutes zu betreiben. Krise am Horn von Afrika und die Verheißung des »freien Marktes«. Mehr als acht Millionen Menschen in Äthiopien – 15 Prozent der Bevölkerung des Landes – lebten nach den Reformen in Hungergebieten. Die Löhne in den Städten brachen zusammen, und arbeitslose Saisonarbeiter auf dem Land und landlose Bauern wurden in erbärmlichste Armut getrieben. Ohne nähere Analyse machen die internationalen Hilfsorganisationen allein klima-tische Faktoren für das Ausbleiben der Ernte und die darauf folgende Kata-strophe verantwortlich. Was die Massenmedien nicht offen legen, ist die Tatsache, dass – ganz unabhängig von der Trockenheit und dem Grenzkrieg mit Eritrea – mehrere Millionen Menschen in den blühendsten Ackerbaure-gionen ebenfalls Hunger litten. Ihre Not ist nicht die Konsequenz von Ge-treidemangel, sondern die der »freien Märkte« und der »bitteren Medizin«, die IWF und Weltbank ihnen durch ihr Strukturanpassungsprogramm ver-ordnet haben.

Äthiopien produziert mehr als 90 Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs. Doch auf der Höhe der Krise schätzte die Food and Agriculture Organization (FAO) den Nahrungsmittelmangel im Jahr 2000 auf 764.000 Tonnen Getrei-de, also auf ein Minderangebot von 13 Kilo pro Person und Jahr.71 In Amha-ra lag die Getreideproduktion 1999 und 2000 um 20 Prozent über dem Be-darf. Und doch waren 2,8 Millionen der dort ansässigen Menschen – 17 Pro-zent der Bevölkerung – in Hungerzonen eingeschlossen und der FAO zufolge vom Hungertod bedroht. Obwohl der saisonale Getreideüberschuss in Am-hara über 500.000 Tonnen betrug, wurde der »Bedarf an Nahrungsmittelhil-fe« von der internationalen Gemeinschaft auf fast 300.000 Tonnen ge-schätzt. Ähnlich war die Situation in Oromiya, der bevölkerungsreichsten Provinz, wo nach Schätzung der FAO 1,6 Millionen Menschen vom Hunger-tod bedroht waren, trotz der mehr als 600.000 Tonnen überschüssigen Ge-treides. In beiden Regionen, in denen zusammen 25 Prozent der Bevölke-rung leben, war also Nahrungsmittelknappheit eindeutig nicht der Grund für

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Hunger, Armut und soziales Elend. Doch dafür gaben die verschiedenen internationalen Hilfsorganisationen und landwirtschaftlichen Forschungsin-stitute keine Erklärung.

In Äthiopien kam 1991 nach einem langen und zerstörerischen Bürger-krieg eine Übergangsregierung ins Amt. Nach dem Sturz des sowjetfreundli-chen Regimes von Oberst Mengistu Haile Mariam wurde hastig ein von vie-len Gebern finanziertes »Rettungs- und Wiederaufbauprogramm« aufgelegt, um die annähernd neun Milliarden Dollar Auslandsschulden in den Griff zu bekommen, die sich während der Mengistu-Regierung aufgetürmt hatten. Äthiopiens Außenschulden beim Pariser Club wurden im Tausch gegen weit-reichende Wirtschaftsreformen umgeschuldet. Mit Unterstützung des US-Außenministeriums verordnete der IWF dem Land die übliche bittere Medi-zin zur Gesundung der Wirtschaft. Gefangen in der Zwangsjacke von Schul-den und Strukturanpassung, verpflichtete sich die neue Übergangsregierung unter Führung der Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) trotz der marxistischen Überzeugungen ihrer Führer auf durchgrei-fende Marktreformen. Für Washington wurde Äthiopien neben Uganda bald zum Vorzeigeland für freie Märkte im Afrika nach dem Kalten Krieg.

Während der Sozialetat im Rahmen der Strukturanpassung zusammen-gestrichen wurde, vervierfachten sich die – teilweise aus dem frischen Geld-segen der Entwicklungskredite finanzierten – Militärausgaben seit 1989.72 Da Washington beide Seiten des äthiopisch-eritreischen Grenzkrieges unter-stützte, stiegen die US-Waffenverkäufe sprunghaft. Die Beute teilten sich die Waffenproduzenten und die Konzerne der Agrarindustrie. In der Ära nach dem Kalten Krieg sicherten sich die Agrarkonzerne das einträgliche Geschäft, Nothilfe an kriegsverwüstete Länder zu liefern. Aufgrund der wachsenden Militärausgaben, die mit geborgtem Geld finanziert wurden, floss nun die Hälfte der äthiopischen Exporterlöse in den Schuldendienst.

In Washington entwarfen IWF und Weltbank im Namen der Übergangs-regierung ein politisches Rahmenpapier (Policy Framework Paper), das ge-nau die von Äthiopien zu ergreifenden Maßnahmen festlegte und zur Unter-zeichnung durch den Finanzminister nach Addis Abeba geschickt wurde. Die darin festgelegten strengen Sparmaßnahmen schlossen praktisch die Mög-lichkeit eines sinnvollen Wiederaufbaus und der Wiederherstellung der ver-wüsteten Infrastruktur des Landes nach dem Krieg aus. Die Gläubiger ver-langten die Liberalisierung des Handels und eine umfassende Privatisierung der öffentlichen Versorgungsunternehmen, Finanzinstitute, staatlichen Far-men und Fabriken. Wie so oft wurden auch hier Staatsbedienstete auf die Straße gesetzt, die Löhne eingefroren und die Arbeitsgesetze annulliert, um es den Staatsunternehmen zu ermöglichen, ihre überschüssigen Arbeiter loszuwerden. Währenddessen wucherte die Korruption. Die Beratungsfirma Price Waterhouse Coopers wurde mit der Aufgabe betraut, den Verkauf von Staatseigentum zu koordinieren, das an ausländisches Kapital zu Billigprei-sen versteigert wurde.

Die Reformen führten zur Kürzung der Budgettransfers von der Zentral-regierung an die Provinzen, so dass den Regionen eigene Mittel fehlten. Das

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Auseinanderbrechen des föderalen Haushaltssystems, unterstützt von meh-reren Gebern, wurde als »Regionalisierung« und »Dezentralisierung« ver-kauft. IWF und Weltbank wussten genau, was sie taten. Der IWF drückte es so aus: »Die Fähigkeit (der Provinzen) zu effektiven und effizienten Ent-wicklungsinterventionen ist sehr unterschiedlich, ebenso wie ihre Fähigkeit, Einnahmen einzutreiben.«73

Spenden als strategische Investitionen. Nach dem Muster der 1991 in Kenia durchgeführten Reformen (siehe Kasten 9.1) wurde der äthiopische Agrarmarkt bewusst zugunsten der Agrarkonzerne manipuliert. Die Welt-bank verlangte die schnelle Aufhebung der Preiskontrollen und aller Sub-ventionen an die Bauern. Die Transport- und Frachtpreise wurden deregu-liert, was die Nahrungsmittelpreise in entfernten, von Dürre betroffenen Gegenden in die Höhe trieb. Der Markt für landwirtschaftliche Einsatzgüter wie Düngemittel und Saatgut wurde privaten Händlern übergeben, darunter Pioneer Hi-Bred International, das mit dem staatlichen Saatgut-monopolisten Ethiopia Seed Enterprise (ESE) eine lukrative Partnerschaft einging.74

Kasten 9.1

Hunger im Brotkorb Die von IWF und Weltbank erzwungenen »freien Getreidemärkte«

zerstören in Afrika die bäuerliche Wirtschaft und untergraben eine siche-re Versorgung mit Nahrungsmitteln. Malawi und Simbabwe hatten einst üppige Getreideüberschüsse. Ruanda konnte sich bis 1990 mit Nah-rungsmitteln praktisch selbst versorgen. Doch dann ordnete der IWF an, den heimischen Markt mit EU- und US-Getreideüberschüssen zu überflu-ten, was viele Kleinbauern in den Bankrott stürzte. 1991 und 1992 traf der Hunger Kenia, Afrikas erfolgreichsten Nahrungsmittelproduzenten. Die Regierung in Nairobi war zuvor auf eine schwarze Liste gesetzt wor-den, weil sie nicht die Rezepte des IWF befolgt hatte. Die Deregulierung des Getreidemarktes war eine der Bedingungen für Kenias Umschuldung bei den staatlichen Kreditgebern des Pariser Clubs.

Danach bemühte sich Präsident Daniel arap Moi beim IWF um grünes

Licht für die Aufhebung der Sanktionen. Die internationalen Kreditgeber hatten gefordert, dass der kenianische Staat nicht länger die Nahrungs-mittelverteilung in entlegenen Gebiete unterstützen dürfe und auf jede Regulierung des Agrarmarktes verzichten müsse. Das vorhersehbare Er-gebnis: Die Preise für Grundnahrungsmittel in Kenias semiariden östli-chen und nordöstlichen Regionen an der Grenze zu Äthiopien und Soma-lia schossen in die Höhe. Nach UN-Angaben waren beinahe zwei Millionen Menschen in Hungergebieten eingeschlossen. Die Krise beschränkte sich allerdings nicht auf Kenias semiaride Regionen. Der Hunger griff auch auf

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das Rift Valley über, das blühende landwirtschaftliche Kernland Kenias. Im ganzen Land waren Nahrungsmittel vorhanden, aber die Kaufkraft war unter dem Ansturm der vom IWF betriebenen Reformen zusammen-gebrochen. Überschüssiges Getreide wurde exportiert.

Zu Beginn der Reformen in Äthiopien »spendete« die US-Entwicklungshilfebehörde USAID große Mengen US-Dünger im Tausch ge-gen Marktreformen: »Verschiedene landwirtschaftliche Produkte werden zur Verfügung gestellt im Tausch gegen eine Reform des Getreidemarktes… und die Beseitigung von Nahrungsmittelsubventionen… Die Reformagenda kon-zentriert sich auf Liberalisierung und Privatisierung im Düngemittel- und Transportsektor im Tausch gegen die Finanzierung von Düngemitteln und den Import von Lastwagen… Diese Initiativen haben uns ein Entée ver-schafft, um auf wichtige politische Fragen Einfluss zu nehmen.«75

Die Vorräte an gespendetem US-Dünger waren bald erschöpft, trugen aber dazu bei, lokale Düngemittelproduzenten zu verdrängen. Dieselben Unter-nehmen, die sich im Düngerimportgeschäft engagierten, kontrollierten über lokale Zwischenhändler auch den heimischen Düngergroßhandel.

Kommerzielle Farmen und bewässerte Anbauflächen, wo Dünger und er-tragreiches Saatgut eingesetzt worden waren, konnten ihre Ernten steigern. Insgesamt führte die Hilfe jedoch zu größerer wirtschaftlicher und sozialer Polarisierung auf dem Land. Auf den weniger ertragreichen marginalen An-bauflächen sanken die Ernteerträge der armen Bauern erheblich. Und dort, wo die Erträge gestiegen waren, befanden sich die Bauern nun in der Um-klammerung der Saatgut- und Düngemittelhändler.

1997 gab das Carter Center in Atlanta – das aktiv den Einsatz von Gen-technik in der Maiszucht fördert – stolz bekannt, dass »Äthiopien zum er-sten Mal zu einem Nahrungsmittelexporteur« geworden sei.76 Doch die grausame Ironie war, dass die Kreditgeber die Auflösung von Getreidenot-reserven anordneten, die nach der Hungersnot von 1984 bis 1985 angelegt worden waren. Die äthiopischen Behörden fügten sich.

Statt die Getreidenotreserven des Landes aufzustocken, exportierte Äthiopien Getreide, um seinen Schuldendienstverpflichtungen nachzukom-men. Annähernd eine Million Tonnen der Ernte von 1996 gingen in den Ex-port – ein Quantum, das nach den Zahlen der FAO bei weitem ausgereicht hätte, um den Getreidemangel von 1999 und 2000 auszugleichen. Tatsäch-lich wurden die gleichen Grundnahrungsmittel (vor allem Mais), die expor-tiert worden waren, ein paar Monate später reimportiert. Der Weltmarkt hatte die Getreidereserven Äthiopiens konfisziert.

Zum Ausgleich wurden US-Überschüsse von genetisch verändertem Mais – der in der EU verboten ist – in Form von Nahrungsmittelhilfe am Horn von Afrika verteilt. Die USA hatten einen bequemen Mechanismus gefunden, um ihre Lager von genmanipuliertem Getreide zu entsorgen. Die Konzerne kauften nicht nur die äthiopischen Exporte auf, sondern verdienten auch noch an der Bereitstellung von Hilfslieferungen von Getreide zurück nach

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Äthiopien: Während der Hungersnot von 1998 bis 2000 erhielten Giganten des Getreidehandels wie Archer Daniels Midland und Cargill Inc. einträgliche Aufträge für Maislieferungen.77 Genmanipulierte Hilfslieferungen und patentiertes Saatgut. Die in kriegsverwüsteten Ländern abgestoßenen US-Getreide-Überschüsse dienen auch dazu, die Landwirtschaft armer Länder zu schwächen. USAID »spende-te« 1999 und 2000 etwa 500.000 Tonnen Mais und Maisprodukte an Hilfs-organisationen, darunter das World Food Programme, das eng mit dem US-Landwirtschaftsministerium zusammenarbeitet. Mindestens 30 Prozent die-ser Lieferungen, die von US-Agrarkonzernen beschafft wurden, bestanden aus überschüssigen Beständen genetisch manipulierten Getreides.78

Befördert durch den Grenzkrieg mit Eritrea und das Elend von Tausenden von Flüchtlingen, floss so kontaminierte Nahrungsmittelhilfe nach Äthiopien, die den einheimischen Genpool und die Kulturpflanzen des Landes bedrohte. Die Hilfslieferungen dienten den Nahrungsmittelgiganten gleichzeitig als Einfallstor, um die Kontrolle über Äthiopiens Saatgutbanken zu erringen. »Afrika«, so stellte die Umweltorganisation Biowatch Südafrika fest, »wird als Mülleimer der Welt behandelt… Ungetestete Nahrungsmittel und Saatgut zu spenden ist kein Akt der Freundlichkeit, sondern ein Versuch, Afrika noch weiter in die Abhängigkeit von ausländischer Hilfe zu locken.«79

Darüber hinaus floss ein Teil der Nahrungsmittelhilfe in das Programm »Nahrung für Arbeit«, das dazu diente, die heimische Produktion noch wei-ter zugunsten von Getreideimporten zu schwächen. Im Rahmen dieses Pro-gramms wurden verarmte und landlose Bauern im Tausch gegen ge-spendeten US-Mais zur Arbeit in ländlichen Infrastrukturprojekten herange-zogen.

In der Zwischenzeit ging das Einkommen kleiner Kaffeebauern schlagar-tig zurück. Während Pioneer Hi-Bred sich in der Saatgutverteilung und -vermarktung positionierte, drang die Cargill Inc. durch ihre Tochter Ethiopi-an Commodities in den Markt für Getreide und Kaffee ein.80 Bei den über 700.000 Kleinbauern mit weniger als zwei Hektar Land, die zwischen 90 und 95 Prozent des äthiopischen Kaffees produzierten, führte die Deregulierung der landwirtschaftlichen Kredite in Verbindung mit geringen Abnahme-preisen zu steigender Verschuldung und Landlosigkeit, besonders in Ostgo-jam dem Brotkorb Äthiopiens.

Die Agrarkonzerne eigneten sie die traditionelle Saatgutvielfalt Äthiopi-ens an (Gerste, Teff, Kichererbsen, Sorghumhirse usw.), veränderten sie genetisch und ließen sich die veränderten Sorten patentieren: »Statt Ent-schädigung und Respekt bekommen die Äthiopier heute… Rechnungen von ausländischen Unternehmen, die sich einheimische Arten >patentieren< ließen und nun Bezahlung für ihre Verwendung verlangen.«81 Die Grundla-gen dafür hatte das Privatisierungsprogramm von IWF und Weltbank gelegt, das auch auf eine »wettbewerbsfähige « Saatgutindustrie zielte. Das staatli-che Saatgutmonopol Ethiopian Seed Enterprises schloss sich mit Pioneer Hi-Bred zusammen, um an Kleinbauern hochgezüchtetes und genetisch verän-

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dertes Saatgut zusammen mit Herbiziden zu verteilen. Die Vermarktung des Saatguts wurde mit finanzieller und technischer Hilfe der Weltbank auf ein Netzwerk privater Subunternehmer und Saatgutfirmen übertragen. Der tra-ditionelle Tausch von Saatgut unter den Bauern sollte im Rahmen des Welt-bankprogramms durch ein marktorientiertes System »privater Saatgutpro-duzenten und -verkäufer« ersetzt werden.82

Das landwirtschaftliche Forschungsinstitut Äthiopiens wiederum arbeitete mit dem Internationalen Zentrum zur Verbesserung von Mais und Weizen (CIMMYT) zusammen, um neue Kreuzungen zwischen mexikanischen und äthiopischen Maissorten zu entwickeln.83 Gegründet in den 40er Jahren von Pioneer Hi-Bred International mit Unterstützung der Ford- und Rockefeller-Stiftungen, stand das CIMMYT von Anfang an in enger Beziehung zum US-Agrarbusiness. Zusammen mit dem britischen Norman Borlaug Institute fungiert es als Forschungsarm und Sprachrohr der Saatgutkonzerne. Der Rural Advancement Foundation zufolge verdienen US-Landwirte »bereits jedes Jahr 150 Mio. Dollar durch den Anbau von Gerstensorten, die aus äthiopischen Stämmen entwickelt wurden. Doch niemand in Äthiopien schickt ihnen eine Rechnung.«84

Die Auswirkungen der Hungersnot. Die Hungersnot von 1984 und 1985 hatte die traditionellen äthiopischen Kulturpflanzen und Saatgutreserven ernsthaft bedroht. Als Reaktion darauf legte das damalige Mengistu-Regime durch sein Pflanzenforschungszentrum und in Zusammenarbeit mit der ein-heimischen NGO Seeds of Survival ein Programm zur Bewahrung der äthio-pischen Artenvielfalt auf.85 Dieses Programm, das unter der Übergangsre-gierung fortgesetzt wurde, verband geschickt »die Bewahrung und Verbes-serung der Feldfrüchte in den ländlichen Gemeinden mit unterstützenden Diensten des Staates«. Unter Beteiligung von etwa 30.000 Bauern entstand ein ausgedehntes Netz mit Standorten auf Höfen und geschützten Flächen. 1998, gleichzeitig mit dem Ausbruch der Hungersnot von 1998 bis 2000, ordnete die Regierung die Beendigung des Programms an.86

Das versteckte Ziel war die Verdrängung der traditionellen Sorten und Kulturpflanzen aus den dörflichen Pflanzenzuchtanstalten, die durch ein Tauschsystem über 90 Prozent der Bauern mit Saatgut versorgten. Wie die vorangehende bedrohte auch die Hungersnot von 1998 bis 2000 den Erhalt der Saatgutbanken: »Die Getreidereserven, die dieser Bauer normalerweise einlagert, um harte Zeiten zu überstehen, sind aufgebraucht. Wie 30.000 andere Haushalte im Galga-Gebiet hat seine Familie auch die Saatgutbe-stände für die nächste Ernte gegessen.«87 Ähnlich erging es den Kaffeebau-ern. Hier war die genetische Basis der arabischen Bohnen durch den Zu-sammenbruch der Erzeugerpreise und die Verarmung der Kleinbauern be-droht.

Die Hungersnot – selbst zu einem großen Teil das Produkt der Wirt-schaftsreformen, die IWF, Weltbank und US-Regierung zugunsten von Großkonzernen durchgesetzt haben – hatte also den Effekt, Äthiopiens Ar-tenvielfalt zum Nutzen der Biotech-Firmen zu zerstören. Die »Schenkun-gen« des World Food Program und von USAID begünstigten das Eindringen

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von Agrar- und Biotech-Konzernen in das landwirtschaftliche Kernland Äthiopiens. Derartige Notprogramme sind daher nicht die Lösung, sondern die Ursache des Hungers. Indem sie die Bauern bewusst in Abhängigkeit von genetisch verändertem Saatgut bringen, bereiten sie künftigen Hun-gersnöten den Boden.

Heute, 17 Jahre nach der letzten großen Hungersnot, der eine Million Menschen zum Opfer fielen, geht in Äthiopien wieder der Hunger um. Die-ses Mal laufen acht Millionen Menschen Gefahr zu verhungern. Wir wissen, dass daran nicht nur das Wetter schuld ist.

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TEIL III

Süd- und Südostasien

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10. Indien: Die indirekte Herrschaft des IWF

Indirekte Herrschaft hat in Indien eine lange Tradition, da schon unter der britischen Kolonialregierung die Kaste der Rajputen und die Fürstenstaaten ein recht großes Maß an Autonomie genossen. Im Gegensatz dazu berichtet der indische Finanzminister unter der Vormundschaft von IWF und Weltbank unter Umgehung des Parlaments und des demokratischen Prozesses direkt den internationalen Finanzorganisationen in Washington. Das indische Bud-get, formal aufgestellt von indischen Beamten in Neu-Delhi, ist zu einem bloß nachvollziehenden, überflüssigen Dokument geworden, sind doch die wichtigsten Posten bereits in den Kreditvereinbarungen mit Weltbank und IWF geregelt. Der »chirurgische Eingriff« von 1991. Die Stützungsaktion des IWF für die Minderheitsregierung der Kongresspartei unter Premierminister P. V. Narasimha Rao von 1991 war auf den ersten Blick nicht so dramatisch wie in vielen hoch verschuldeten Ländern Lateinamerikas und Osteuropas, die einer Schockbehandlung durch den IWF unterzogen wurden. Indien schien nicht unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und gesell-schaftlicher Auflösung zu stehen. Das Land erlebte keine Hyperinflation, und sein Devisenmarkt war nicht aus den Fugen geraten. Doch die sozialen Auswirkungen auf die 900 Millionen Einwohner waren vernichtend: Weit verbreiteter chronischer Hunger und soziales Elend waren direkte Folge der Wirtschaftsreformen. Das Programm von IWF und Weltbank begann in Indien nach dem Fall der Regierung der Janata-Dal-Partei unter Vishwanath Pratap Singh 1990 und der Ermordung von Rajiv Gandhi während des Wahlkampfes in Tamil Nadu 1991. Die Regierung wurde verpflichtet, 47 Tonnen Gold zur »sicheren Ver-wahrung« in den Tresoren der Bank von England zu hinterlegen, um die Forderungen der internationalen Kreditgeber zu befriedigen.1 Aber die IWF-Vereinbarung, die kurz darauf umgesetzt wurde, sollte Indien bestenfalls eine kurze Atempause verschaffen: Angesichts einer Verschuldung von über 80 Mrd. Dollar lieferten die IWF- und Weltbankkredite kaum genug flüssige Mittel, um den Schuldendienst von sechs Monaten zu leisten, und genau dafür waren sie von Anfang an vorgesehen.

Der »chirurgische Eingriff« der neuen Wirtschaftspolitik, den der LWF 1991 dem Land verordnete, forderte von der indischen Regierung die Kür-zung der Ausgaben für Sozialprogramme und Infrastrukturmaßnahmen, die Beseitigung staatlicher Subventionen und von Preisstützungen (einschließ-lich der Subvention von Nahrungsmitteln) sowie den Verkauf der profitable-ren Staatsunternehmen zu einem »guten Preis« an große Privatunterneh-men und ausländisches Kapital. Weitere Reformmaßnahmen sahen die Schließung einer großen Zahl so genannter »kranker Staatsunternehmen«

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vor, die Liberalisierung des Handels, den freien Zugang ausländischen Kapi-tals zum indischen Markt sowie große Reformen des Banken-wesens, der Finanzinstitute und der Steuerstruktur.

Die Kreditvereinbarungen mit dem IWF zusammen mit dem Strukturan-passungskredit der Weltbank, die im Dezember 1991 unterzeichnet wurden – Inhalt und Bedingungen sind ein streng gehütetes Staatsgeheimnis – soll-ten Indien »helfen«, seine Zahlungsbilanzschwäche zu überwinden sowie das Haushaltsdefizit und den Inflationsdruck zu vermindern. Das von IWF und Weltbank geschnürte Paket erreichte jedoch das genaue Gegenteil: Es trieb die Wirtschaft in eine Stagflation – der Reispreis stieg in den Monaten nach den wirtschaftlichen Maßnahmen von 1991 um mehr als 50 Prozent – und verschärfte die Zahlungsbilanzkrise als Folge gestiegener Kosten für importierte Rohstoffe und Luxusgüterimporte. Außerdem trieb die Liberali-sierung des Handels in Verbindung mit der Schrumpfung der Binnenkauf-kraft und dem freien Zugang ausländischen Kapitals eine große Zahl von indischen Produzenten in den Bankrott.

Zur sozialen Absicherung wurde 1991 ein eigener Fonds eingerichtet (National Renewal Fund). Dieses von den Weltbankberatern vorgesehene und für »gefährdete soziale Gruppen« gedachte Sozialprogramm schuf frei-lich keinen angemessenen Ausgleich für die geschätzten vier bis acht Millio-nen öffentlichen und privaten Beschäftigten (der insgesamt 26 Millionen gewerkschaftlich organisierten Erwerbstätigen), die als Folge des Pro-gramms entlassen werden sollten. Mit dem Fonds sollte nur der Widerstand der Gewerkschaften beschwichtigt werden. In der Textilindustrie sollte an-nähernd ein Drittel der Arbeiter ihren Job verlieren. Ein Großteil der Auto- und Maschinenbauindustrie sollte durch den Zustrom ausländischen Kapitals und durch Joint Ventures verschwinden. Die G7-Staaten waren begierig darauf, ihre Rezession nach Indien zu exportieren. Westliche und japanische Konzerne saßen schon in den Startlöchern, um den indischen Markt zu er-obern. Sie sahen ihre Chance gekommen, mithilfe der GATT-Bestimmungen über den Schutz geistigen Eigentums das indische Patentrecht von 1970 zu beseitigen, um Produktpatente anzumelden und sich genetisch veränderte Kulturpflanzen schützen zu lassen – eine Möglichkeit, praktisch die Kontrolle über einen großen Teil der indischen Wirtschaft zu gewinnen.

Diese »Abwicklungspolitik« – (exit policies), die einen umfassenden Poli-tikwechsel markieren sollte, trug nichts zur Lösung der schwerwiegenden Probleme von Bürokratisierung und Missmanagement in den staatlichen Unternehmen Indiens bei und gab auf die Notwendigkeit einer Modernisie-rung der indischen Industrie keine sinnvolle Antwort. Obwohl das IWF-Programm Indien die Möglichkeit einer eigenständigen, nationalen kapitali-stischen Entwicklung verweigerte – ebendas war sein verstecktes Ziel – ‚ erhielten die Reformen dennoch die Unterstützung der großen Unterneh-merfamilien Indiens, die eine fragile Allianz mit der Immobilienlobby aus den oberen Kasten eingingen. Die Familien der Tatas und Birlas identifizier-ten sich zunehmend mit ausländischem Kapital und der globalen Marktwirt-schaft statt mit den nationalen Interessen. Die Tendenz zur Konzentration

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des Eigentums in Indien wächst. Vorzugskredite für kleine und mittlere Un-ternehmen werden beseitigt und die großen Unternehmerfamilien dringen in Partnerschaft mit ausländischem Kapital rasch in eine Vielzahl von Berei-chen vor, die zuvor kleinen Industriebetrieben vorbehalten waren.

Große Industrieunternehmen sahen in dem von Regierung und IWF vor-geschlagenen Richtungswechsel »eine Gelegenheit, die Arbeitsgesetze zu ändern und unsere Arbeiter loszuwerden. Für uns ist es profitabler, Unter-verträge mit kleinen Fabriken abzuschließen, die nicht organisierte Gele-genheitsarbeiter beschäftigen.«2 Bata, der multinationale Schuhproduzent, zahlte Anfang der 90er Jahre seinen gewerkschaftlich organisierten Arbei-tern 80 Rupien am Tag, umgerechnet drei US-Dollar. Mit den Reformen der Arbeitsgesetzgebung konnte er sie nun entlassen und Unterverträge mit unabhängigen Schustern für nicht mehr als 25 Rupien am Tag – etwa ein Dollar – schließen. In der Juteindustrie, in kleinen Maschinenbaubetrieben und in der Bekleidungsindustrie neigen die großen Unternehmensmonopole zu Verträgen mit Subunternehmern, um ihre besser bezahlte, abgesicherte Belegschaft zu reduzieren. Die Armen werden ausgeraubt… Statt die Arbeitsgesetzgebung auszu-weiten, um Gelegenheits- und Saisonarbeiter zu schützen, schlug das IWF-Programm vor, den Armen durch völlige Abschaffung der Arbeitsgesetze »zu helfen«, da angeblich »diese Gesetze die Arbeitsaristokratie« begünsti-gen und den nicht gewerkschaftlich organisierten Teil der Erwerbstätigen »diskriminieren«. Weder die Regierung noch der IWF befassten sich mit den sozialen Auswirkungen der neuen Wirtschaftspolitik auf die Arbeiter in der Landwirtschaft, auf Handwerker und Kleinunternehmer.

In Indien sind mehr als 70 Prozent der ländlichen Haushalte, insgesamt über 400 Millionen Menschen, Kleinbauern oder landlose Feldarbeiter. In Gebieten mit künstlicher Bewässerung werden Landarbeiter 200 Tage im Jahr beschäftigt, in der natürlich bewässerten Landwirtschaft etwa 100 Ta-ge. Die Streichung von Subventionen für Düngemittel – eine ausdrückliche Bedingung der IWF-Vereinbarung – und die gestiegenen Preise für landwirt-schaftliche Einsatzgüter und Kraftstoffe trieben eine große Anzahl kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe in den Bankrott. Der Preis für chemischen Dünger schoss unmittelbar nach Einführung der neuen Wirt-schaftspolitik um 40 Prozent in die Höhe.

In der Folge wurden Millionen von landlosen Farmarbeitern aus den un-teren Kasten, die bereits weit unter der Armutsgrenze lebten, von der neu-en Wirtschaftspolitik von Finanzminister Manmohan Singh jeder Existenz-grundlage beraubt. Diese Menschen wurden von der Wirtschaftspolitik zu einer verachteten Kaste, zu neuen »Unberührbaren« gemacht. Für die Eli-ten der oberen Kasten sind es Menschen, die nicht wirklich zählen. Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Medizin des IWF auf diese Teile der Er-werbsbevölkerung wurden geflissentlich übersehen. Für den nicht organi-sierten Teil der Erwerbstätigen trafen der IWF und die indische Regierung

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keinerlei Vorkehrungen. Für die häuslichen Kleinproduzenten, so Finanzmi-nister Singh, »gibt es keine Probleme, da die Löhne sinken werden«.3

In Tamil Nadu z.B. betrug 1992 der von der Provinzregierung festgelegte Mindestlohn für Landarbeiter 15 Rupien am Tag (0,57 Dollar). Die Arbeits-gesetze wurden jedoch nicht durchgesetzt, und die tatsächlichen Löhne der Landarbeiter lagen mit Ausnahme der Erntesaison beträchtlich niedriger. Für das Pflanzen von Reis z.B. erhielten die Arbeiter drei bis fünf Rupien am Tag; auf dem Bau bekamen Männer zehn bis 15 Rupien und Frauen acht bis zehn Rupien am Tag.4 Vielleicht mit der Ausnahme von Kerala und West-bengalen waren die gesetzlichen Mindestlohnregelungen zum Schutz der Rechte von Landarbeitern weitgehend ineffektiv.

Auf der Autobahn zwischen Hyderabad und Bangalore kann man beo-bachten, wie Kinderarbeiter in den Dhone-Kalksteinminen schwere Lasten in Bambuskörben eine Treppe von etwa 60 Stufen hinauftragen, von wo aus der Kalkstein in hohe Öfen geschüttet wird. Erwachsene Arbeiter und Kinder erhalten 9,5 Rupien am Tag: »Wir müssen hier trotz des giftigen Qualms, der Hitze und des Staubes arbeiten, weil die Löhne höher sind als für die Arbeit auf dem Land.«5

… oder durch Hungertod entsorgt. In der Zeit nach der Un-abhängigkeit war der Hungertod in Indien weitgehend auf entlegene Stam-mesgebiete z.B. in Tripura oder Nagaland beschränkt. Das ist heute anders. Die Indizien häufen sich, dass Hunger seit der Einführung der neuen Wirt-schaftspolitik 1991 weit verbreitet ist. Eine Studie über den Hungertod un-ter Webern in einer relativ wohlhabenden ländlichen Gemeinde in Andhra Pradesh, die in den Monaten nach der Einführung der neuen Wirtschaftspoli-tik durchgeführt wurde, macht die sozialen Auswirkungen des IWF-Programms deutlich. Mit der Währungsabwertung und der Aufhebung der Kontrollen für Baumwollgarnexporte führten die sprunghaft gestiegenen heimischen Preise für Baumwollgarn zu einem Zusammenbruch des nach pancham (24 Meter) berechneten Preises, den der Zwischenhändler im so genannten Verlagssystem an die Weber bezahlte: »Radhakrishnamurthy und seine Frau waren in der Lage, drei bis vier panchams im Monat zu we-ben, was ihnen ein mageres Einkommen von 300 bis 400 Rupien für eine sechsköpfige Familie einbrachte. Dann kam am 24. Juli 1991 der Bundes-haushalt, der Preis für Baumwollgarn stieg sprunghaft an und die Mehrko-sten wurden auf die Weber abgewälzt. Radhakrishnamurthys Famili-eneinkommen sank auf 240 bis 320 Rupien im Monat.«6

Der Weber Radhakrishnamurthy aus dem Dorf Gollapalli im Distrikt Gu-tur starb am 4. September 1991 an Hunger. Zwischen dem 30. August und dem 10. November 1991 wurde von mindestens 73 Hungertoden in nur zwei Distrikten von Andhra Pradesh berichtet. Statt die Armut zu beseitigen, wie der damalige Weltbankpräsident Lewis Preston behauptete, trug das Programm von IWF und Weltbank tatsächlich dazu bei, die Armen zu »be-seitigen«. Verbunden mit einem 50-prozentigen Anstieg des Reispreises, der auf die Abwertung und die Streichung der Subventionen für Nahrungs-

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mittel und Dünger folgte, sanken die Realeinkommen der Weber in den sechs Monaten nach Einführung des IWF-Programms 1991 um mehr als 60 Prozent.7 Es gab 3,5 Millionen Handwebstühle in ganz Indien, die eine Be-völkerung von 17 Millionen Menschen ernährten.

Eine ähnliche Situation herrscht in den meisten kleinbäuerlichen und städtischen Heimarbeitsbetrieben vor, die im Rahmen des Verlagssystems arbeiten. Es gibt in Indien z.B. mehr als eine Million Diamantenschleifer, von deren Einkünften fast fünf Millionen Menschen leben. Die großen Dia-mantenexporteure in Bombay importieren Rohdiamanten aus Südafrika und schließen über Zwischenhändler Unterverträge mit ländlichen Werkstätten in Maharashtra. Sieben von zehn in Westeuropa und den USA verkauften Diamanten werden in Indien geschliffen. Während Diamanten in den reichen Ländern »die besten Freunde einer Frau« sein sollen, ist in Indien Armut die notwendige Voraussetzung dieses profitablen Exportgeschäfts. Ein großer Exporteur drückt es so aus: »Schmuck herzustellen ist billige Arbeit.« Zwar sind die Nah-rungsmittelpreise gestiegen, »aber wir haben die Zahlungen an die Arbeiter in den Dörfern nicht erhöht. Durch die Abwertung sind unsere Dollarlohnko-sten gesunken, wir sind wettbewerbsfähiger und geben den Gewinn an un-sere Kunden in Übersee weiter.«8 Zugunsten des Exports. Das Programm von IWF und Weltbank empfahl, wie stets, die Aufhebung der gesetzlichen Mindestlohngarantien und die Abkoppelung der Löhne vom Preisindex. Die vorgeschlagene »Liberalisie-rung« des Arbeitsmarktes verstärkte jedoch nur die despotischen Sozialbe-ziehungen auf dem Arbeitsmarkt und leistete in der Praxis der Ausbeutung der unteren Kasten, der Halbsklaverei und der Kinderarbeit Vorschub. Auf-grund der von der Weltbank durchgesetzten Aufhebung der Obergrenze für Landbesitz wurden immer mehr Kleinbauern verdrängt sowie Gemeindeland zunehmend von Feudalherren und Großbauern enteignet. Die Liberalisie-rung des Bankensystems – z.B. durch Beseitigung der ländlichen Kreditko-operativen – trug zur Stärkung von Geldverleihern in den Dörfern bei.9

So verwandelte sich das IWF-Programm in ein Instrument für »wirt-schaftlichen Völkermord«: Mehrere hundert Millionen Menschen – Landar-beiter, Handwerker, kleine Händler usw. – mussten mit einem täglichen Pro-Kopf-Einkommen von erheblich weniger als 50 US-Cents überleben, während die heimischen Preise nach der Logik der IWF-Maßnahmen auf Weltmarktniveau stiegen.10 Als die Reis- und Getreidepreise im Jahr nach Einführung der neuen Wirtschaftspolitik im Juli 1991 um mehr als 50 Pro-zent stiegen und die durchschnittlichen Arbeitstage sowohl in der natürlich als auch in der künstlich bewässerten Landwirtschaft sanken, wurden weite Teile der ländlichen Bevölkerung in chronischen Hunger getrieben – ein in diesem Maßstab seit den großen Hungersnöten in Bengalen in den frühen 40er Jahren beispielloser Prozess.11 Im Gegensatz dazu stand dem Sinken des heimischen Nahrungsmittelverbrauchs ein Anstieg der Reisexporte ge-genüber. Das Unternehmen Tata Exports charakterisierte die Lage so: »Die

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Abwertung war sehr gut für uns. In Verbindung mit der Aufhebung von Mengenbegrenzungen bei Reisexporten erwarten wir eine Zunahme unserer Reisverkäufe auf dem Weltmarkt von 60 Prozent.«12

Die Reformen von IWF und Weltbank speisen sich aus der Armut der Menschen und dem Schrumpfen des heimischen Marktes. Obwohl die indi-sche Bevölkerung erheblich größer ist als die aller OECD-Länder zusam-mengenommen (annähernd 750 Millionen), bewirken die auferlegten Wirt-schaftsreformen, dass sich die indische Wirtschaft in erheblichem Umfang auf den Export ausrichtet. In der Logik des Strukturanpassungsprogramms ist der einzig erfolgversprechende Absatzmarkt der Markt der reichen Län-der. Das IWF-Programm führt zur Schrumpfung des heimischen Verbrauchs und orientiert Indiens Produktion auf den internationalen Markt. Armut ist ein »Input« auf der Angebotsseite: Die Arbeitskosten in Dollar sind gering, also ist es die heimische Kaufkraft auch. Nach den IWF-Maßnahmen fielen z.B. die Verkäufe von Stoff in Indien auf acht Meter pro Kopf – kaum aus-reichend für einen Sari und eine Bluse. 1965 waren es noch 16 Meter und 1985 immerhin zehn Meter gewesen. Polarisierung und Parallelregierung. Zusammen mit den se-paratistischen Bewegungen in Kaschmir Punjab und Assam, Unruhen in Am-ritsar und einem unsicheren Waffenstillstand an der pakistanischen Grenze hat die wirtschaftliche Medizin des IWF zu einer weiteren Polarisierung der indischen Gesellschaft geführt und möglicherweise die Vorbedingungen für den Zerfall des indischen Bundesstaates geschaffen. Die vom IWF aufge-zwungenen Sparmaßnahmen haben die Spannungen zwischen der Bundes-regierung und Bundesstaaten verschärft sowie dazu beigetragen, die reli-giösen und ethnischen Konflikte zu vertiefen.

Die wirtschaftspolitischen Reformen fanden bei der Kongresspartei ein höchst zwiespältiges Echo. Mehrere Minister wandten sich offen gegen das IWF-Paket. Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise hat den Rückhalt der Kongresspartei im Volk weiter geschwächt, nachdem sich bereits durch die Annäherung an Israel seit dem Golfkrieg – die sich zum Teil dem Druck der USA verdankte – ihr Image als säkulare Partei eingetrübt hatte, was zur Stärkung der Muslimischen Liga führte.

Sowohl hinduistische als auch islamistische Fundamentalisten nähren sich aus der Armut der Massen. Die größte Oppositionspartei, die hinduisti-sche Bharatiya Janata Party, verurteilte die Politik der »offenen Tür« der Regierung rhetorisch. Unter Berufung auf Mahatma Gandhis Konzept von swadeshi (Eigenständigkeit) rief den fundamentalistische Zweig der Janata-Partei zu einem massiven Boykott ausländischer Waren auf. Die National Front und die Leftist Front, geführt von der (marxistischen) Kommunisti-schen Partei Indiens, wiederum fürchteten, dass bei einem Sturz der Min-derheitsregierung der Kongresspartei die Janata-Partei an die Macht kom-men könnte. Als die Janata-Partei 1996 tatsächlich die Wahl gewann, führte jedoch die von ihr gestellte Regierung weitgehend die zu Beginn der 90er Jahre begonnenen IWF-Reformen fort.

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Die internationale Bürokratie der Weltfinanzorganisationen in Washing-ton hat in Indien eine »Parallelregierung« installiert, die sich auf diese in-ternen sozialen, religiösen und ethnischen Gegensätze Indiens stützt (»Teile und herrsche«). Seit der Zeit des Ausnahmezustands Mitte der 70er Jahre und noch weit stärker seit der Rückkehr Indira Gandhis an die Macht 1980 sind Vertreter des IWF und der Weltbank in entscheidende Beraterpositio-nen in den Ministerien der Zentralregierung eingerückt. Es überrascht daher nicht, wenn der IWF das Gefühl hat, dass »es insgesamt leicht war, mit in-dischen Regierungsvertretern zu verhandeln…‚ verglichen mit anderen Ländern der Dritten Welt, wo man eine Menge düsterer Mienen am Ver-handlungstisch sieht. Das wirtschaftliche Denken ging weitgehend in die gleiche Richtung, ihre Haltung war äußerst versöhnlich.«13

Unter strenger Aufsicht des IWF werden vierteljährlich die Fortschritte überprüft. Mit einem computerisierten System, das im Finanzministerium installiert ist, haben Vertreter des IWF und der Weltbank nicht später als sechs Wochen nach Ablauf jedes Quartals Zugang zu den entscheidenden makroökonomischen Daten Indiens. »Wir nehmen die Überwachung sehr genau«, so der Vertreter des IWF in Neu-Delhi, »wir überprüfen exakt die Informationen, die wir erhalten… Wir achten sorgfältig darauf, dass sie (die Vertreter der indischen Regierung) nicht mogeln.« Etwa 40 zentrale Varia-blen der Wirtschaftsentwicklung werden überprüft: »Wir haben in die Ver-einbarung auch zehn strukturelle Zielgrößen eingeschlossen. Das sind keine ausdrücklichen Bedingungen der Kreditvereinbarung, sie gehören in den weiteren Rahmen von Strukturreformen, denen sich die Regierung nach unserem Wunsch öffnen soll.«

Trotz der genauen Vorgaben in den Kreditvereinbarungen ging es dem IWF jedoch vor allem darum, den Zusammenbruch des Staatshaushalts zu erzwingen, dem indischen Staat jeden Bewegungsspielraum und die Kon-trolle über die wichtigsten Instrumente der Steuer- und Geldpolitik zu neh-men. Seine Bedingungen vereitelten praktisch von Anbeginn die Möglichkeit wirtschaftlichen Wachstums. Der IWF war jedoch bei den Zahlen nicht pin-gelig. Tatsächlich kommt es ihm auf die »strukturellen Zielgrößen« an, nicht auf die quantitativen Ziele. Was zählt, ist das beiderseitige Einverständnis über Bedingungen, die in den Kreditvereinbarungen nicht notwendigerweise offen genannt werden: »Die Regierung muss uns Signale geben, dass sie sich in die richtige Richtung bewegt.«

Zur Beziehung der Regierung zu den Washingtoner Finanz-Organisationen gehört, dass IWF und Weltbank im Namen des indischen Finanzministeriums entscheidende politische Dokumente direkt selbst ver-fassen. Leicht belustigt vermerkte die indische Presse, dass sowohl das Memorandum über die Wirtschaftspolitik vom 27. August 1991 – ein ent-scheidendes Dokument in der ersten Übereinkunft der Regierung mit dem IWF – als auch der Begleitbrief an den IWF-Direktor Michel Camdessus in »amerikanischer Schreibweise« verfasst waren – also sehr wahrscheinlich von IWF-Vertretern in Washington stammten –, nicht in der britischen Schreibweise und Diktion, die indische Beamte üblicherweise benutzen.14

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Ein Cartoon brachte es so auf den Punkt: »Ja, Sir, es gibt schreckliche Feh-ler in Grammatik, Buchstabierung und Syntax. Aber ich habe es nicht ge-schrieben, Sir. Es kam, mit der Bitte um Unterschrift, von der Weltbank.«15

Ein paar Tage vor der Haushaltsdebatte am 29. Februar 1992 wurde offen-kundig, dass der Finanzminister die Hauptpunkte des Haushaltsvorschlags nicht nur zuvor in einem Brief an den damaligen Weltbankpräsidenten Lewis Preston hatte »durchsickern« lassen. Das Budget war vielmehr bereits inte-graler Bestandteil der Vereinbarung über den Strukturanpassungskredit mit der Weltbank gewesen, die im Dezember 1991 unterzeichnet worden war.16

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11. Bangladesch: Unter Vormundschaft Im August 1975 putschte in Bangladesch das Militär, ermordete Präsident Mujibur Rahman und etablierte eine Militärjunta. Unterstützt wurden die Putschisten von maßgeblichen Figuren des eigenen Geheimdienstes und vom CIA-Büro in der amerikanischen Botschaft in Dhaka.17 Schon in den Monaten vor dem Mord hatte das US-Außenministerium einen Plan für einen »stabilen politischen Übergang« für die Zeit nach der militärischen Macht-übernahme ausgearbeitet.

IWF und Weltbank unterstützten das US-Konzept, denn bereits im Jahr zuvor hatten Dhakas internationale Gläubiger die Bildung eines »Hilfskon-sortiums« unter Aufsicht der Weltbank gefordert. Das erste Wirtschaftspa-ket für Bangladesch, das Mitte der 70er Jahre geschnürt wurde, enthielt be-reits alle wichtigen Zutaten späterer Strukturanpassungsprogramme. In vielerlei Hinsicht war Bangladesch ein Testfall, an dem der IWF seine wirt-schaftlichen Gesundungsrezepte noch vor Ausbruch der Schuldenkrise An-fang der 80er Jahre erproben konnte. Sein wirtschaftliches Stabilisierungs-programm mit den später üblichen Zutaten wie Abwertung und Preisliberali-sierung trug zur Verschärfung des Hungers bei, der in mehreren Regionen des Landes ausgebrochen war.

Nach dem Sturz und der Ermordung Rahmans machten die USA weitere Militärhilfe von der Bedingung abhängig, dass Bangladesch der vom IWF verordneten Politik treu bliebe. Das US-Außenministerium rechtfertigte sein Hilfsprogramm für das neue Militärregime damit, dass die Politik der neuen Regierung »pragmatisch und blockfrei« sei. Die USA wollten die Blockfrei-heit des Landes unterstützen und Bangladesch in seiner wirtschaftlichen Entwicklung helfen.18

Scheindemokratie und die Macht der Kontrolleure. Seit sich General Zia ur Rahman, der 1981 selbst ermordet wurde, 1975 zum Präsidenten putschte, stand Bangladesch unter ständiger Überwachung der internatio-nalen Kreditgeber. Dies setzte sich unter der Herrschaft von General Hus-sain Mahommad Ershad (bis 1990) fort. Der Staatsapparat unterstand mit dem geheimen Einverständnis der herrschenden Militärclique der festen Kontrolle der internationalen Finanzorganisationen und des »Hilfskonsorti-ums«, das seit seiner Einrichtung einmal im Jahr in Paris zusammenkam. Zu diesen Treffen wird die Regierung in Dhaka gewöhnlich eingeladen und entsendet dann Beobachter.

Der IWF hatte im vierten Stock der Zentralbank ein Verbindungsbüro eingerichtet, die Weltbank war mit Beratern in den meisten Ministerien prä-sent. Auch die von Japan kontrollierte Asian Development Bank spielte eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des wirtschaftspolitischen Reformkurses. Ein monatliches Arbeitstreffen unter Leitung des Weltbankbüros in Dhaka

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gab den verschiedenen Gebern und Organisationen Gelegenheit, die wesentlichen Elemente der staatlichen Wirtschaftspolitik effizient – und an den Ministerien vorbei – zu koordinieren.

1990 führte eine wachsende Opposition gegen die Militärdiktatur zum Rücktritt von Ershad, dem Bestechlichkeit und Korruption vorgeworfen wur-de. Nach der zwischenzeitlichen Bildung einer provisorischen Regierung brachten jedoch auch die folgenden Parlamentswahlen und die daraus her-vorgegangene Regierung von Begum Khaleda Zia, der Witwe von Zia ur Rahman, keinen grundlegenden Wandel der staatlichen Institutionen mit sich. In vielerlei Hinsicht wurde Kontinuität gewahrt: So erhielten viele der ehemaligen Günstlinge von General Ershad Schlüsselpositionen in der neu-en »Zivil«-Regierung.

Die vom IWF finanzierten Wirtschaftsreformen trugen zur Entstehung ei-ner Rentier-Wirtschaft bei, die von nationalen Eliten kontrolliert wurde und weitgehend vom Außenhandel und von der Zweckentfremdung von Hilfsgel-dern abhing. Mit der Wiederherstellung einer »parlamentarischen Demo-kratie« stärkten mächtige Militärs ihre Geschäftsinteressen.19 Die Regie-rungspartei Bangladesh Nationalist Party stand unter dem Schutz der domi-nanten Militärclique.

Mit der Wiederherstellung der formalen Demokratie 1991 wurde Hasina Wajed von der Awami-Liga, die Tochter des ermordeten Präsidenten Muji-bur Rahman, Oppositionsführerin. Das öffentliche Interesse konzentrierte sich auf die parlamentarische Rivalität zwischen der »Witwe« und der »Wai-sen«; die Geschäfte der Machtcliquen, einschließlich der Militärführer, mit den »Hilfsorganisationen« und Kreditgebern blieben dagegen praktisch un-beachtet. Tatsächlich stützten die Kreditgeber im Namen »guter Regie-rungsführung« (good governance) eine Scheindemokratie, die von den Streitkräften kontrolliert wurde und in der die fundamentalistische Bewe-gung Jamaat-i-islami großen Einfluss genoss. In mancher Hinsicht war Be-gum Khaleda Zia eine fügsamere politische Marionette als der abgesetzte Militärdiktator Ershad.

Nun hatte also das »Hilfskonsortium« die Kontrolle über die öffentlichen Finanzen von Bangladesch übernommen. Dies geschah jedoch nicht nur durch die Erzwingung einer strengen Steuer- und Geldpolitik. Die Kreditge-ber überwachten die Verwendung der Geldmittel und die Entscheidungen über Entwicklungsprioritäten auch ganz direkt. »Wir wollen nicht für jedes Investitionsprojekt eine Vereinbarung treffen«, sagte ein Weltbankberater. »Was wir wollen, ist Disziplin. Gefällt uns die Liste der Projekte? Welche Projekte sollten beibehalten werden? Gibt es Schwachpunkte in der Li-ste?«20

Darüber hinaus gewann die Weltbank durch die Vereinbarungen über ei-nen Kredit zur Verwaltung der öffentlichen Ressourcen (Public Resources Management Credit) die Kontrolle über den gesamten Haushaltsprozess. Sie überwachte die Mittelzuweisung an die einzelnen Ministerien und kon-trollierte, wie sie dort genau verwendet wurden: »Natürlich können wir nicht den Haushalt für sie aufstellen! Die Verhandlungen sind in dieser Hin-

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sicht komplex. Trotzdem stellen wir sicher, dass sie sich in die richtige Rich-tung bewegen… Unsere Leute arbeiten mit den Leuten in den Ministerien zusammen und zeigen ihnen, wie man die Haushalte vorbereitet.«

Das Hilfskonsortium kontrollierte auch die Reform des Bankensystems, die während der Regierung von Khaleda Zia durchgeführt wurde. Entlassun-gen wurden angeordnet, Staatsunternehmen geschlossen. Eine strenge Haushaltsführung hinderte die Regierung daran, interne Ressourcen zu mo-bilisieren. Für die meisten öffentlichen Investitionsprojekte forderte das Hilfskonsortium zudem internationale Ausschreibungen. Statt einheimischer Firmen erhielten große internationale Generalunternehmer die Aufträge. Die Kapitalbildung im eigenen Land wurde somit vereitelt. Die Zerstörung der Selbstversorgung. Der IWF erzwang auch die Besei-tigung der Subventionen für die Landwirtschaft und trug so dazu bei, dass in den frühen 80er Jahren eine Vielzahl kleiner und mittlerer bäuerlicher Betriebe aufgeben musste. Das Ergebnis war, dass immer mehr landlose Bauern auf marginales, regelmäßig von Überflutungen bedrohtes Land ab-gedrängt wurden. Durch die Liberalisierung der landwirtschaftlichen Kredite nahm außerdem die Aufsplitterung der Landparzellen zu, die durch den de-mografischen Druck bereits beträchtlich beansprucht waren. Auch die tradi-tionellen Wucherer und dörflichen Geldverleiher wurden dadurch gestärkt.

Weil Kleinbauern keine Kredite mehr erhielten, konnten die Besitzer von Bewässerungsgerätschaften ihre Position als neue Rentier-Klasse stärken. Diese Entwicklungen führten jedoch nicht – wie z.B. im Punjab – zur Moder-nisierung der Landwirtschaft durch die Herausbildung einer Klasse reicher Agrarunternehmer. Das Strukturanpassungsprogramm vereitelte vielmehr von Anfang an die Entwicklung einer kapitalistischen Landwirtschaft. Außer der Vernachlässigung der landwirtschaftlichen Infrastruktur verlangten IWF und Weltbank die Liberalisierung des Handels und die Deregulierung des Getreidemarktes. Diese Politik war für die Stagnation des heimischen Nah-rungsmittelanbaus mitverantwortlich.

Ein eklatantes Beispiel für die vom IWF aufgezwungene Restrukturierung ist die Juteindustrie. Trotz des Zusammenbruchs der Weltpreise und trotz der synthetischen Konkurrenzprodukte, die von großen multinationalen Tex-tilkonzernen produziert werden, war sie eine der größten Devisenquellen Bangladeschs. Empfand man die Juteindustrie des Landes als unlauteren Wettbewerb? Der IWF jedenfalls forderte als Bedingung für seinen zinsgün-stigen Strukturanpassungskredit die Schließung von einem Drittel der Jute-betriebe (öffentliche und private Unternehmen) und die Entlassung von 35.000 Arbeitern. Obwohl sie Abfindungen erhalten sollten, hatte der IWF vergessen, die Auswirkungen der Umstrukturierung auf drei Millionen ländli-che Haushalte – 18 Millionen Menschen – zu bedenken, deren Überleben vom Juteanbau abhing.

Die USA nutzten die Deregulierung des Getreidemarktes auch dazu, sich unter dem Deckmantel der »Nahrungsmittelhilfe« ihrer Getreideüberschüsse zu entledigen. Das Programm »Nahrung für Arbeit« unter Federführung von

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USAID sollte öffentliche Arbeiten in den Dörfern finanzieren. Doch indem man die verarmten Bauern mit Getreide statt mit Geld entlohnte, destabili-sierte man zugleich die lokalen Getreidemärkte.

Mit diesen Getreideverkäufen konnten die Amerikaner zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens konnte auf diese Weise hoch subventionier-tes US-Getreide unmittelbar mit den örtlich produzierten Grundnahrungs-mitteln konkurrieren und die Entwicklung der heimischen Erzeugung schwä-chen. Zweitens wurden aus den Verkäufen von US-Getreide ein Fonds ge-bildet, dessen Mittel in von USAID kontrollierte Entwicklungsprojekte flossen – was wiederum die Abhängigkeit Bangladeschs von importiertem Getreide aufrechterhielt. Aus Geldern des Fonds wurde z.B. Anfang der 90er Jahre das Bangladesh Agricultural Research Institute finanziert. USAID bestimmte durch die Fi-nanzierung, auf welchen Gebieten vorrangig geforscht werden sollte.

Einiges deutet darauf hin, dass Bangladesch durch die Gewinnung von bewässertem Ackerland und eine umfassende Agrarreform die Selbstver-sorgung mit Lebensmitteln hätte erreichen können.21 Durch die Entwicklung einer angemessenen Infrastruktur ließe sich außerdem, wie unlängst eine Studie nahe legte, das Überschwemmungsrisiko deutlich reduzieren.

Das Strukturanpassungsprogramm stellte jedoch ein wesentliches Hin-dernis auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele dar. Erstens verhinderte es die Entwicklung einer unabhängigen Landwirtschaftspolitik. Zweitens dek-kelte es durch das von der Weltbank beaufsichtigte öffentliche Investitions-programm bewusst die staatlichen Investitionen in die Landwirtschaft. Diese »programmierte« Stagnation des heimischen Nahrungsmittelanbaus diente ebenfalls den Interessen der US-Getreideproduzenten, denn die vom Hilfs-konsortium auferlegte Haushaltsdisziplin verhinderte die Mobilisierung hei-mischer Ressourcen zur Unterstützung der Landwirtschaft. Das Schicksal der heimischen Industrie. Der Unabhängigkeitskrieg hat-te den ohnedies nicht sonderlich entwickelten industriellen Sektor vollends ausgeblutet und zur massiven Abwanderung von Unternehmern und qualifi-zierten Beschäftigten geführt.22 Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krie-ges waren umso vernichtender, als das Hilfskonsortium Bangladesch keine Atempause verschaffte, um die kriegszerstörte Wirtschaft wieder aufzubau-en und seine menschlichen Ressourcen zu entwickeln.

Das in mehreren Phasen durchgeführte Strukturanpassungsprogramm versetzte dem industriellen Sektor des Landes einen tödlichen Schlag. Der makroökonomische Rahmen, den IWF und Weltbank dem Land aufnötigten, untergrub die bestehende Industriestruktur, während er gleichzeitig die Ent-wicklung neuer, für den heimischen Markt produzierender Industrien ver-hinderte.

Aufgrund der kleinteiligen Landwirtschaftsbetriebe und des Mangels an herstellendem Gewerbe gab es in Bangladesch auf dem Land so gut wie keine Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft. Städtische Industrie war weitgehend auf die exportorientierte Bekleidungsindustrie beschränkt, die

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stark auf billige Arbeitskräfte aus ländlichen Gebieten angewiesen war. Für den ständigen Vertreter des IWF in Dhaka sind in Bangladesch aber nur solche Industrien lebensfähig, die den Überfluss an billigen Arbeitskräften für den Export nutzen: »Was wollen Sie in diesem Land schützen? Es gibt hier nichts zu schützen. Die Leute hier wollen einen dauerhaften Schutz, aber ihr einziger komparativer Vorteil liegt in den arbeitsintensiven Indu-strien.«23

Aus der Sicht des IWF sollte die Bekleidungsindustrie die Hauptquelle städtischer Beschäftigung bilden. 1992 gab es etwa 300.000 Arbeiter in der Bekleidungsindustrie, zu 70 Prozent Frauen. 16 Prozent dieser Beschäftigten waren Kinder zwischen zehn und 14 Jahren. 74 Prozent aller Arbeiter ka-men aus verarmten ländlichen Gebieten.24 Die Produktion in den Fabriken war und ist durch obligatorische Überstunden und despotisches Manage-ment gekennzeichnet. Die Löhne lagen, Überstunden inklusive, bei etwa 20 Dollar im Monat. In jenem Jahr 1992 wurde eine öffentliche Versammlung von Arbeitern der Bekleidungsindustrie von den Sicherheitskräften brutal unterdrückt. Die Regierung sah in den Forderungen der Arbeiter eine Be-drohung der Zahlungsbilanz. Das Elend der Anpassung. Obwohl viele Hilfsorganisationen und NGO sinnvolle Basisprojekte unterstützen, stellen mehrere der Projekte zur »Be-kämpfung der Armut« in Wirklichkeit eine einträgliche Einkommensquelle für qualifizierte Berufsgruppen und Beamte dar, statt den Armen zu helfen. Über die verschiedenen Ausführungsorganisationen in Dhaka sind die örtli-chen Eliten zu Entwicklungsmaklern und Zwischenhändlern geworden, die im Namen der internationalen Kreditgeber handeln. So dienten die für die Armen auf dem Land vorgesehenen Mittel häufig der Bereicherung von Mili-täroffizieren und Beamten, die die abgezweigten Hilfsgelder dann in Ge-schäfte und Immobilien investierten, darunter Bürogebäude, Luxusapart-ments usw.

Mit einer Bevölkerung von über 130 Millionen gehört Bangladesch zu den ärmsten Ländern der Welt. Das Pro-Kopf-Einkommen lag 1991 bei 170 Dol-lar im Jahr. Die jährlichen Gesundheitsausgaben beliefen sich auf etwa 1,5 Dollar pro Kopf, von denen weniger als 25 US-Cents für lebenswichtige Arz-neimittel aufgewendet wurden.25 Mit Ausnahme der Kosten für die Gebur-tenkontrolle betrachtete das Hilfskonsortium die Sozialausgaben dennoch als übertrieben: 1992 und 1993 forderte es von der Regierung eine weitere Runde »kosteneffektiver« Budgetkürzungen im Sozialbereich.

Zur Unterernährung im Land hinzu kommt ein verbreiteter Vitamin-A-Mangel aufgrund der einseitigen Reisernährung. Viele Kinder und Erwachse-ne besonders in ländlichen Gegenden sind aufgrund dieses Mangels erblin-det.

In mehreren Regionen des Landes herrscht chronischer Hunger. Das Hilfskonsortium für Bangladesch drängte bei seinem Treffen in Paris 1992 die Regierung von Khaleda Zia, die Durchführung der Reformen zu be-schleunigen, um die Armut zu »bekämpfen«. Der Regierung wurde in Über-

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einstimmung mit den neuen Richtlinien des Weltbankpräsidenten Lewis Pre-ston davon in Kenntnis gesetzt, dass die Kreditgeber nur solche Länder un-terstützen würden, die ernsthafte Anstrengungen zur Bekämpfung der Ar-mut unternähmen.

Bei der Flutkatastrophe 1991 starben 140.000 Menschen. Die meisten von ihnen waren landlose Bauern, die in regelmäßig von Überschwemmun-gen bedrohte Gebiete verdrängt worden waren. Zehn Millionen Menschen, beinahe zehn Prozent der Bevölkerung, wurden obdachlos.26 In den offiziel-len Statistiken tauchen jedoch nicht die Menschen auf, die nach dem Desa-ster verhungerten. Obwohl die Hilfsorganisationen und Kreditgeber die schädliche Rolle klimatischer Faktoren unterstrichen, wurde die Hungersnot von 1991 durch die vom IWF unterstützte Wirtschaftspolitik verschärft. Er-stens führten die von den Kreditgebern seit den 70er Jahren erzwungenen Obergrenzen für staatliche Investitionen in die Landwirtschaft und den Hochwasserschutz zur Stagnation der Landwirtschaft. Zweitens trieb die Abwertung kurz nach der Flutkatastrophe 1991 den Einzelhandelspreis von Reis im Jahr nach dem Desaster um 50 Prozent in die Höhe. Und die Hun-gersnot war umso gravierender, als sich die privilegierten städtischen Eliten an der Nothilfe der Kreditgeber bereicherten.

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12. Die Zerstörung Vietnams nach dem Krieg Ein Geheimabkommen, das 1993 in Paris getroffen wurde, verlangte von Hanoi als Bedingung für die Gewährung frischer Kredite und die Aufhebung des US-Embargos die Anerkennung der Schulden des gestürzten Saigon-Regimes von General Nguyen Van Thieu. Das war als hätte man von Viet-nam Entschädigungen für den Krieg gegen die USA verlangt.

Die Errungenschaften vergangener Kämpfe und die Hoffnungen einer ganzen Nation werden heute beinahe mit einem Federstrich ausgelöscht. Eine neue Phase wirtschaftlicher und sozialer Vernichtung hat begonnen, die ohne Entlaubungsmittel, Splitter- und Napalmbomben auskommt. Die scheinbar neutralen und »wissenschaftlichen« Werkzeuge der ma-kroökonomischen Politik unter Federführung von IWF und Weltbank stellen nach dem Vietnamkrieg ein ebenso effektives und scheinbar gewaltloses Instrument der Rekolonialisierung Vietnams und der Verarmung von Millio-nen von Menschen dar. Die Umschreibung der Kriegsgeschichte. 1940 ernannte die Vichy-Regierung Admiral Jean Decoux zum Generalgouverneur, um die Bedingun-gen für Indochinas Integration in die japanische Einflusssphäre zu verhan-deln, während Frankreichs Kolonialgebiete formal unter dem Mandat der Vichy-Administration blieben. 1944 erkannte Washington die Vietminh-Front an, die gegen das Vichy-Regime und die japanischen Besatzungstruppen gekämpft hatte. Das Office of Strategic Services (OSS), Vorläufer der CIA, versorgte sie mit Waffen und finanziellen Mitteln. Als am 2. September 1945 auf dem Ba-Dinh-Platz in Hanoi die Unabhängigkeit erklärt und die Demokratische Republik Vietnam ausgerufen wurde, fanden sich an der Seite von Ho Chi Minh amerikanische Agenten des OSS. Beinahe 30 Jahre Geschichte trennen dieses Ereignis von der nicht minder bedeutsamen Kapi-tulation von General Duong Vanh Minh in der Unabhängigkeitshalle in Sai-gon am 30. April 1975, die das Ende des Vietnamkrieges und den Beginn des nationalen Wiederaufbaus markierte. Die Zerstörungen, die der Krieg in Vietnam hinterließ, riefen von Anbe-ginn an eine Atmosphäre der Hilflosigkeit und der politischen Lähmung her-vor. Zusätzlich behindert wurde der Wiederaufbau einer zivilen Wirtschaft durch das – von den USA anfänglich verdeckt unterstützte – kambodschani-sche Pol-Pot-Regime, durch das sich Vietnam im Dezember 1978 zu einer Intervention veranlasst sah, die kurz darauf ihrerseits die chinesische Inva-sion an der Nordgrenze Vietnams zur Folge hatte. Die Wiedervereinigung des Landes führte zwei Landesteile zusammen, die eine sehr unterschiedli-che sozioökonomische Entwicklung genommen hatten. Engstirnig setzte die

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neue kommunistische Regierung im Süden die Richtlinien des Zentralkomi-tees durch, mit wenig Einsicht, wer dort die wirtschaftlich tragenden Kräfte waren: Der Kleinhandel in Ho-Chi-Minh-Stadt wurde unterdrückt, die Land-wirtschaft am Mekong unter heftigem Widerstand der mittelständischen Bauern hastig kollektiviert. Die politische Repression zog nicht nur jene Be-reiche der Gesellschaft in Mitleidenschaft, die Verbindungen zum Saigoner Regime gehabt hatten, sondern auch viele, die Gegner von General Thieu gewesen waren.

Seitdem hat sich das internationale Umfeld gravierend gewandelt. Die Veränderungen des globalen Marktsystems und der Zusammenbruch des Sowjetblocks – der Vietnams wichtigster Handelspartner gewesen war – schlugen auf die heimische Wirtschaft durch und brachten die vietnamesi-sche Volkswirtschaft in Unordnung. Die Kommunistische Partei Vietnams (KPV) war unfähig, ein kohärentes Programm für den wirtschaftlichen Wie-deraufbau zu formulieren. Innerhalb der Parteiführung hatten sich schon in den 80er Jahren tiefe Gräben aufgetan.

Heute, nach mehr als 50 Jahren Kampf gegen die Fremdherrschaft, wird die Geschichte des Vietnamkrieges vorsichtig umgeschrieben: Der Neolibe-ralismus wird mit technischer Hilfe von IWF und Weltbank zur offiziellen Doktrin der KPV. Beamte und Intellektuelle sind aufgerufen, das neue Dog-ma im Namen des Sozialismus bedingungslos zu unterstützen. Seit der 1986 begonnenen »Erneuerung« (doi moi) gelten Hinweise auf die brutale Rolle der USA im Krieg zunehmend als unpassend. Die Führung der KPV hat kürzlich die »historische Rolle« der USA bei der »Befreiung« Vietnams von der japanischen Besatzung 1945 unterstrichen. Gleichzeitig sind die Symbo-le der US-Zeit langsam auf die Straßen Ho-Chi-Minh-Stadts zurückgekehrt. Im ehemaligen »Museum Amerikanischer Kriegsverbrechen«, heute in »Ausstellungshaus für Verbrechen des Aggressionskrieges« umbenannt, kann man Modelle jener US-Kampfjets mit Coca-Cola-Emblemen auf dem Rumpf kaufen, die bei US-Bombenüberfällen eingesetzt wurden – neben einer großen Auswahl von Handbüchern über ausländische Investitionen und makroökonomische Reform. Kein einziger Text über die Geschichte des Krieges findet sich darunter. Die Zeichen eines einsetzenden Konsumrau-sches vor dem Museum stehen in scharfem Kontrast zu den Bettlern, Stra-ßenkindern und Versehrten, von denen viele Kriegsveteranen sind, die an der Befreiung Saigons 1975 beteiligt waren. Der neue Vietnamkrieg. Viele westliche Medien haben noch unlängst das stilisierte Bild eines Landes gezeichnet, das durch die Mechanismen des freien Marktes in den Status eines künftigen »asiatischen Tigers« aufge-rückt ist. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein: Die Wirt-schaftsreformen, die 1986 unter Federführung von IWF und Weltbank auf den Weg gebracht wurden, haben nach den brutalen Nachkriegsjahren eine neue historische Phase wirtschaftlicher und sozialer Verwüstung eingeleitet und zur Verarmung des vietnamesischen Volkes geführt.

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Der erste Schritt erfolgte 1984/85, noch vor der Einleitung der »Erneue-rung«, auf dem 6. Parteikongress der KPV, durch die Zerstörung der viet-namesischen Währung: Die wiederholten Abwertungen, die an den spekta-kulären Sturz des Piastre zur Zeit des Saigoner Regimes 1973 im Jahr nach dem Pariser Abkommen und dem Rückzug der amerikanischen Kampftrup-pen erinnerten, heizten die Inflation an und führten zur »Dollarisierung« der heimischen Preise.27 Heute wird Vietnam erneut von Dollarnoten über-schwemmt. Sie haben den heimischen Dong bereits als Anlagewährung er-setzt. Zwar überwacht die Weltbank die Geldemission der vietnamesischen Zentralbank genau, doch de facto hat die US-Notenbank die Verantwortung für die Geldemission beim ehemaligen Kriegsgegner übernommen, denn sie gewährt dem Land in massivem Umfang eigene Kredite. Die Illusion von wirtschaftlichem Fortschritt und Wohlstand in Vietnam, die in der westlichen Presse beschworen wird, macht sich am schnellen Wachstum kleiner, jedoch ins Auge springender Konsumenklaven westlichen Stils fest, die weitgehend auf Ho-Chi-Minh-Stadt und Hanoi beschränkt sind. Doch die bitteren wirt-schaftlichen und sozialen Realitäten sprechen eine andere Sprache: steil ansteigende Lebensmittelpreise, lokale Hungersnöte, massive Entlassungen städtischer Arbeiter und Staatsbediensteter und die Zerstörung der Sozial-programme.

Vietnam erhielt niemals Reparationszahlungen, doch es wurde als Vorbe-dingung für die Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und die Aufhe-bung des US-Embargos im Februar 1994 gezwungen, die Rechnung für die multilateraIen Schulden zu bezahlen, die das von den USA gestützte Re-gime in Saigon gemacht hatte. Bei der Konferenz der Kreditgeber in Paris im November 1993 wurden großzügig Kredite und »Hilfs-«Gelder in einer Gesamthöhe von 1,86 Mrd. Dollar gewährt, um die Marktreformen Vietnams zu unterstützen, doch unmittelbar nach der Konferenz fand ein weiteres (separates) Treffen mit dem Pariser Club der staatlichen Gläubiger statt, dieses Mal hinter verschlossenen Türen.28 Auf der Tagesordnung: die Um-schuldung der vom Saigoner Regime vor 1975 aufgenommenen Kredite. Wer gab wem grünes Licht? Der IWF stimmte zwar den Wirtschaftsrefor-men Vietnams vor der Pariser Geberkonferenz zu. Es waren jedoch letztlich die Ergebnisse der Verhandlungen mit dem Pariser Club, die entscheidend für die Zustimmung Washingtons waren. Und erst nach der formalen Aufhe-bung des Embargos durften die multi- und bilateralen Auszahlungen be-ginnen.

Die Rückzahlung der Zahlungsrückstände von 140 Mio. Dollar die das Saigoner Regime dem IWF schuldete, war auch Bedingung für neue Kredite. Zu diesem Zweck bildeten Japan und Frankreich, die ehemaligen Kolonial-herren Vietnams, ein so genanntes »Komitee der Freunde Vietnams«‚ um Hanoi das Geld zu leihen, das es zur Rückzahlung der alten Schulden an den IWF brauchte. Durch die volle Anerkennung der Legitimität dieser Schulden hatte Vietnam de facto akzeptiert, Kredite zurückzuzahlen, die zur Unterstützung der US-Kriegsanstrengungen verwendet worden waren. Iro-nischerweise wurden diese Verhandlungen unter Beteiligung des ehe-

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maligen Finanz- und stellvertretenden Premierministers in der südvietna-mesischen Militärregierung von General Duong Vanh Minh geführt, die das US-Militär 1963 nach der Ermordung von Präsident Ngo Dinh Diem und sei-nes jüngeren Bruders eingesetzt hatte. Nguyen Xian Oanh, ein bedeutender Ökonom, der zufällig zuvor auch beim IWF beschäftigt war, besetzte die Position des Wirtschaftsberaters von Premierminister Vo Van Kiet. Er hatte seit Beginn der 80er Jahre eng mit Kiet zusammengearbeitet, als dieser kommunistischer Parteisekretär in Ho-Chi-Minh-Stadt war.29 Die Zerstörung der Volkswirtschaft. Durch die scheinbar harmlosen Me-chanismen des »freien« Marktes – und ohne Krieg und physische Vernich-tung über das Land bringen zu müssen – haben die Reformen in Vietnam ein massives Zerstörungswerk angerichtet und zu einem enormen Abbau von Produktionskapazität geführt: Mehr als 5000 von 12.300 Staatsbetrie-ben wurden bis 1994 geschlossen oder in den Bankrott getrieben. Die Fol-gen trafen das Land umso härter, als der Handel mit den Ländern des ehe-maligen Ostblocks zusammengebrochen war. 1990 wurden Regeln zur Li-quidierung von Staatsunternehmen und eine weitere »Rationalisierung« der industriellen Basis durch Umstrukturierung der verbliebenen Unternehmen beschlossen.30 Fast eine Million Arbeiter und etwa 136.000 Staatsbedienste-te – die Mehrzahl Lehrer und Beschäftigte im Gesundheitswesen – wurden bis Ende 1992 entlassen.31 Ziel des Regierungsbeschlusses Nr. 111 war die Entlassung von weiteren 100.000 Arbeitern bis Ende 1994 eine Reduzierung des öffentlichen Dienstes um 20 Prozent. Darüber hinaus wurden mit dem Rückzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha 500.000 Soldaten demobilisiert Zudem kehrten 250.000 »Gastarbeiter« aus Osteuropa und dem Nahen Osten zurück, mit nur geringen Aussichten auf Beschäftigung.

Den Zahlen der Weltbank zufolge reichte das Wachstum des privaten Sektors nicht aus, um die Neuzugänge auf dem Arbeitsmarkt unterzu-bringen. Bei steigenden Preisen waren die Realeinkommen jener, die noch Arbeit hatten, auf ein erbärmliches Niveau gefallen. Die Staatsbediensteten konnten von ihren Gehältern in Höhe von umgerechnet 15 Dollar im Mo-nat nicht leben, so dass sie neben ihrer Arbeit eine Vielfalt anderer Aktivitä-ten einschließlich unerlaubter Nebenjobs entwickelten, was zu hohen Abwe-senheitsraten und de facto zu einer Lähmung des gesamten Verwaltungs-apparates führte Mit Ausnahme der Joint Ventures, wo sich der nominelle, nicht aber der tatsächlich ausgezahlte Mindestlohn auf 30 bis 35 Dollar im Monat belief, gibt es keine gesetzliche Mindestlohngarantie oder irgendwel-che Richtlinien für die Bindung der Löhne an den Preisindex. »Die marktli-berale Politik der Partei lautet, dass auch der Arbeitsmarkt frei sein soll-te.«32

Obwohl viele Staatsbetriebe nach westlichen Standards extrem ineffi-zient und nicht wettbewerbsfähig waren, verdankt sich ihr Untergang der bewussten Manipulation der Marktkräfte: Die Umstrukturierung des staatli-chen Bankensystems und der Finanzinstitute einschließlich der Kreditkoope-rativen auf Gemeindeebene bewirkte, dass alle mittel- und langfristigen

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Kredite für heimische Produzenten eingefroren wurden. Kurzfristige Kredite gab es nur gegen 35 Prozent Zinsen pro Jahr. Außerdem war es dem Staat unter der mit dem IWF ausgehandelten Vereinbarung nicht erlaubt, die staatseigenen Betriebe oder den aufkeimenden Privatsektor finanziell zu unterstützen.

Der Untergang der staatlichen Wirtschaft war auch die Folge eines äu-ßerst diskriminierenden Steuersystems: Während die Staatsunternehmen – nun ohne alle Subventionen und Staatskredite – als Erbe des alten Plansy-stems weiterhin 40 bis 50 Prozent ihrer Gewinne als Gewinnsteuer abführen mussten, genossen ausländische Investoren und Joint Ventures großzügige Ausnahmen und Steuerbefreiungen. Die Gewinnsteuer wurde zudem nicht mehr regelmäßig von Privatunternehmen eingetrieben.

Das versteckte Ziel der Reformen war – wieder einmal! – ‚ Vietnams in-dustrielle Basis zu destabilisieren: Schwerindustrie, Öl und Gas, natürliche Ressourcen und Bergbau, Zement- und Stahlproduktion sollten neu organi-siert und von ausländischem Kapital übernommen werden, wobei japani-sche Konzerne die entscheidende und dominierende Rolle spielten. Das wertvollste Staatsvermögen sollte Joint Ventures zufallen. Die Führung kümmerte sich in keiner Weise darum, die industrielle Basis zu stärken oder auch nur zu erhalten. Sie unternahm keine Anstrengungen, eine eigenstän-dige Wirtschaft zu entwickeln. Unter den Kreditgebern herrschte die Ansicht vor, die Schrumpfung der Staatswirtschaft sei erforderlich, um Platz für die spontane Entwicklung eines vietnamesischen Privatsektors zu schaffen. Staatliche Investitionen, so die Auffassung, würden die private Kapitalbil-dung verhindern. Doch die Reformen zerschlugen nicht nur die staatliche Wirtschaft, sie verhinderten auch den Übergang zu einem nationalen Kapi-talismus.

Vietnamesische Unternehmensgruppen waren kapitalschwach. Es fehlte an Krediten, und der Staat gab praktisch keinerlei Unterstützung. Zusam-mengenommen vereitelten diese Faktoren die Entwicklung eines heimischen Privatsektors. Zwar gab es geringfügige Anreize für die Viet Kieu (Auslands-vietnamesen), aber zu großen Teilen verfügte die vietnamesische Diaspora ganz anders als etwa die Auslandschinesen einschließlich der Kriegsflücht-linge und der späteren Boat People nur über geringe finanzielle Ressourcen oder Ersparnisse. Von einigen Ausnahmen abgesehen konzentrierten sich ihre Aktivitäten zumeist auf familieneigene Geschäfte und mittlere Unter-nehmen im Dienstleistungssektor.

Ein eklatantes Beispiel für wirtschaftliche Manipulation durch Marktre-formen ist die vietnamesische Stahlindustrie. Beinahe acht Millionen Tonnen Bomben und eine reiche Beute an hinterlassener militärischer Ausrüstung hatten Vietnams Schwerindustrie mit reichlich Metallschrott versorgt. Das war der einzige fassliche Beitrag der USA zum Wiederaufbau der Nach-kriegszeit, und die Ironie der Geschichte war, dass ebendieser »Beitrag« durch die Politik der »offenen Tür« wieder zurückgenommen worden ist: Große Mengen von Metallschrott wurden frei ausgeführt, zu Preisen, die er-heblich unter dem Weltmarktniveau lagen. Während die Produktion in den

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fünf großen Stahlwerken Vietnams wegen Rohstoffknappheit ins Stocken geriet (ganz zu schweigen vom Einfuhrverbot von Metallschrott für Staats-unternehmen), wurde 1994 mit einem japanischen Konsortium, bestehend aus Kyoei, Mitsui und Itochu, ein Joint Venture für ein Werk in der Provinz Ba-Ria Vung Tau gegründet, das nun Metallschrott zu Weltmarktpreisen zurück nach Vietnam importiert.

Die Austrocknung des Binnenhandels. Durch die bewusste Manipulation der Marktkräfte wurden die heimischen Produzenten wortwörtlich von ihrem eigenen Markt ausgeschlossen, selbst in Bereichen, wo man ihnen einen komparativen Vorteil zusprach. Zölle wurden beseitigt und die vietna-mesische Leichtindustrie großenteils von einem massiven Zustrom impor-tierter Konsumgüter verdrängt. Ende der 80er Jahre musste das Land einen beträchtlichen Anteil seiner mageren Deviseneinnahmen für den Import von Konsumgütern aufwenden – Kapital, das so der heimischen Industrie entzo-gen wurde. Die Reformen erlaubten es exportierenden Staatsbetrieben, ihre Deviseneinnahmen nach freiem Ermessen für Importe zu verwenden. Es entwickelte sich ein Netzwerk zwischen den Managern der staatseigenen Betriebe im Import-Export-Geschäft, lokalen Beamten und privaten Händ-lern. Sie vergeudeten die Deviseneinnahmen und steckten große Geldsum-men in die eigene Tasche. Mit den Marktreformen konnten sich viele Staatsbetriebe der staatlichen Kontrolle entziehen und engagierten sich in vielfältigen illegalen Aktivitäten. Mit der Einstellung staatlicher Zuschüsse und dem Einfrieren der Kredite wurden produktive Tätigkeiten aufgegeben.

In den neuen Bereichen der Leichtindustrie und weiterverarbeitenden Industrie, die als Folge der Politik der offenen Tür gefördert wurden, ist vietnamesischen Unternehmen der heimische Markt versperrt. Bekleidungs-hersteller, die mit billigen Arbeitskräften arbeiten und Joint Ventures einge-gangen sind oder als Subunternehmer für ausländisches Kapital arbeiten, exportieren gewöhnlich ihre gesamte Produktion. Im Gegensatz dazu wird der heimische Markt Vietnams mit importierter Gebrauchtbekleidung und Fabrikausschuss aus Hongkong beliefert, was zum Verschwinden von Schneidern und Kleinproduzenten in der informellen Wirtschaft geführt hat.

Die Reformen förderten die »wirtschaftliche Balkanisierung« der vietna-mesischen Regionen, von denen jede separat in den Weltmarkt integriert ist. Die Deregulierung der Transportindustrie führte zu steil angestiegenen Frachtkosten, nachdem erst einmal die staatlichen Transportgesellschaften in den Bankrott getrieben worden waren.

Durch das von der Weltbank empfohlene Einfrieren der Budgettransfers von der Zentralregierung an die Provinzregierungen und Gemeindeverwal-tungen waren die Provinzen und Kommunen zudem zunehmend »frei«, um ihre eigenen Investitionen und Handelsbeziehungen zu ausländischen Un-ternehmen aufzubauen, zum Schaden des Binnenhandels. Die Provinzen handelten zahlreiche Investitions- und Handelsabkommen aus. Sie stellten ausländischen Investoren Land zur Verfugung und gewährten Konzessionen, die es ausländischem Kapital in einer vollkommen unregulierten Umgebung

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erlaubten, die Waldressourcen Vietnams zu plündern. Angesichts der Haus-haltskrise stellten diese Vereinbarungen häufig das einzige Mittel dar mit denen die Zentral- und Provinzregierungen ihre Ausgaben einschließlich der Gehälter der Staatsbediensteten noch decken konnten.

Außerdem stellen Verbindungen zu ausländischen Unternehmen und Joint Ventures angesichts des extrem niedrigen Verdienstes von Staatsbe-diensteten (15 bis 30 Dollar im Monat) unweigerlich eine Möglichkeit dar, das Gehalt in Form von Beratungshonoraren, Aufwandskonten, Reisespesen usw. aufzubessern. Durch solche Leistungen – immer in harter Währung bezahlt – können sich ausländische Geldgeber und Baufirmen die treuen Dienste von höheren Kadern und örtlichen Behördenvertretern sichern. Der Staat ist bankrott und durch die Vereinbarungen mit den Kreditgebern un-fähig, seine Beschäftigten angemessen zu entlohnen. Ausländische Gene-ralunternehmer und Hilfsorganisationen eignen sich nicht nur »Humankapi-tal« aus Forschungsinstituten und Ministerien an, sie werden zur Hauptein-kommensquelle hoher und mittlerer Beamter, die mit dem Management von ausländischem Handel und Investitionen zu tun haben.

Die Zerrüttung der Staatsfinanzen. Die Reformen haben die öffentli-chen Finanzen in eine Zwangsjacke gesteckt. Geldschöpfung und Geldemis-sion sind der Zentralbank ohne Zustimmung des IWF verboten. Es ist auch nicht erlaubt, Staatsunternehmen Kredite zu geben oder sie zu finanzieren. Diese stürzten aufgrund des Mangels an staatlichen Krediten und staatlicher Finanzierung in den Bankrott. Der Bankrott der Staatsunternehmen wieder-um führte zum Zusammenbruch der Steuereinnahmen und höhlte die öf-fentlichen Finanzen aus.

Eine ähnliche Situation besteht bei den staatlichen Banken. Sie sind vom Niedergang der Dong-Einlagen betroffen, da die Bevölkerung ihre Ersparnis-se nun lieber in Form von Dollarreserven anlegt, ganz zu schweigen von der Aufhebung der staatlichen Subventionen, der strengen Rücklagenbedingun-gen und der hohen Gewinnsteuer. Das Schrumpfen des Kreditvolumens und die zunehmende Zahlungsunfähigkeit von Staatsunternehmen trieben die staatlichen Banken ihrerseits in Konkurs, zum Vorteil der zahlreichen aus-ländischen und Joint-Venture-Banken, die in Vietnam operieren. 1994 hat-ten mehr als 10.000 der 12.300 Unternehmen bei den staatlichen Banken hohe Schulden.

Den Staatsunternehmen war es jedoch nicht erlaubt, ausländische Ban-ken direkt um Kredite zu bitten. Andererseits hatten die ausländischen Ban-ken durch die Möglichkeit, den vietnamesischen Staatsbanken Lombardkre-dite zu gewähren, Zugang zum lukrativen kurzfristigen Kreditmarkt.

Die Reformen trugen zu einem niederschmetternden Zusammenbruch der öffentlichen Investitionen bei. Von 1985 bis 1993 sank der Anteil der staatlichen Kapitalausgaben am Bruttoinlandsprodukt um 63 Prozent, von 8,2 auf 3,1 Prozent. In der Land- und Forstwirtschaft war der Rückgang mit 90 Prozent noch dramatischer, von 1,0 auf 0,1 Prozent des Brut-toinlandsprodukts. Und in der Industrie und Bauwirtschaft fielen die Kapi-

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talausgaben sogar von 2,7 auf 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ein Rückgang von 96 Prozent.33

IWF und Weltbank dekretierten in ihren Kreditvergabebedingungen feste Obergrenzen für alle laufenden und investiven Ausgaben, um das Haus-haltsdefizit zu reduzieren. Dem Staat war es daher faktisch nicht mehr er-laubt, seine eigenen Ressourcen für den Ausbau der öffentlichen Infrastruk-tur, für Straßen und Krankenhäuser usw. zu mobilisieren. Die Gläubiger wurden also nicht nur »Makler« aller großen öffentlichen Investitionsprojek-te, sondern befanden darüber hinaus, welche dieser Projekte überhaupt für die Infrastruktur Vietnams wünschenswert wären und welche nicht. Es er-übrigt sich zu sagen, dass der Prozess der Finanzierung öffentlicher Investi-tionen wiederum Schulden verursachte, die den Zugriff der Gläubiger auf die Wirtschaftspolitik weiter verstärkten.

Da die Pariser Geberkonferenz vom November 1993, auf der insgesamt über 1,8 Mrd. Dollar multi- und bilateraler Kredite gewährt wurden, zudem auf internationalen Ausschreibungen für die bewilligten öffentlichen Investi-tionsprojekte bestand, fiel deren Ausführung natürlich internationalen Gene-ralunternehmern zu, die sich für Beratungs- und Managementdienste teu-er bezahlen ließen – Geld, das Vietnam schließlich zurückzahlen muss. Ein-heimische Firmen – sowohl öffentliche wie private – durften sich an diesen Ausschreibungen nicht beteiligen. Sie konnten lediglich mit den internatio-nalen Firmen separate Unterverträge abschließen, so dass die tatsächlichen Bauarbeiten großenteils von den sehr billigen örtlichen Arbeitskräften aus-geführt wurden. Heimkehr ins japanische Reich. Mit den vollzogenen Reformen ist Viet-nam auf dem Weg der Wiedereingliederung in die japanische Einflusssphäre – eine Situation, die an den Zweiten Weltkrieg erinnert. Die dominante Posi-tion des japanischen Kapitals verdankt sich der Kontrolle Nippons über mehr als 80 Prozent der Kredite für Investitionsprojekte und die Infrastruk-tur. Diese Kredite, vergeben von Japans Overseas Economic Cooperation Fund und der Asian Development Bank, unterstützten die Expansion der großen japanischen Handelsgesellschaften und transnationalen Konzerne.

Mit der Aufhebung des US-Embargos im Februar 1994 beeilte sich auch das amerikanische Kapital, seine Position in dieser von Japan – und zu ei-nem geringeren Teil von der EU – dominierten hochprofitablen Investitions- und Handelsarena zurückzuerobern. Allerdings haben die Japaner nicht nur bei den Schlüsselinvestitionen einen Vorsprung, sie kontrollieren auch viele der langfristigen Kredite an Vietnam. Konfrontationen zwischen Washington und Japan sind wahrscheinlich, wenn die amerikanischen Konzerne versu-chen, ihre alten Positionen in Südvietnam vor 1975 – z.B. in der Ölförde-rung vor der Küste – zurückzugewinnen. Andere wichtige Spieler sind Ko-rea, Taiwan und Hongkong. Hier sind die Einflusssphären allerdings klarer getrennt: Während sich die asiatischen Tiger auf den Fertigungssektor und die weiterverarbeitende Exportindustrie konzentrieren, teilen sich japani-

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sche und europäische Konzerne die großen Infrastrukturprojekte und die Ausbeutung von Öl, Gas und natürlichen Ressourcen.

Japan kontrolliert ferner einen großen Teil der Kredite zur Finanzierung von Konsumimporten. Der stete Strom japanischer Markenprodukte nach Vietnam wird weitgehend von geliehenem Geld aufrechterhalten, angefacht vom Zustrom von Hunderten Millionen von Dollar, die Japan und multila-terale Banken, darunter die Asian Development Bank, die Weltbank und der IWF, als Sofortkredite gewähren. Diese Kredite – im offiziellen Jargon als »Zahlungsbilanzhilfe« bezeichnet – sollen ausdrücklich dem Warenimport dienen. Verwaltet von der vietnamesischen Zentralbank, werden sie in Form von Devisenquoten an Tausende von Staatsunternehmen ausgezahlt, die im Importhandel tätig sind. Dadurch beschleunigt sich die Überflutung mit Konsumgütern, wodurch wiederum die Auslandsschulden wachsen. Mit Aus-nahme einiger weniger größerer Staatsunternehmen – und jener, die im Importhandel tätig sind – haben die Reformen dazu beigetragen, ganze Sektoren der Volkswirtschaft abzuwickeln. Die einzige Überlebensmöglich-keit für nationale Unternehmen besteht im einträglichen Importgeschäft und in Joint Ventures, bei denen der ausländische Partner Zugang zu Kre-diten (in harter Währung) und die Kontrolle über Technologie, Preisgebung und die Abführung der Gewinne hat. Der gesamte internationale Handel Vietnams ist, von den niedrigeren Rängen bis zu höchsten Vertretern des Staates, zudem anfällig für Korruption und Bestechung durch ausländische Firmen.

Trotz der Wirtschaftskrise ging das amtlich registrierte Wachstum des vietnamesischen Bruttoinlandsprodukts zunächst jedoch nicht zurück. Es nahm sogar zu, vor allem aufgrund der raschen Umstellung der Wirtschaft auf den Auslandshandel, woran in erheblichem Umfang die neuen export-orientierten Joint Ventures beteiligt waren. Ebenso führte der künstlich an-gefachte Zustrom importierter Waren zu einer Expansion des kommerziellen Sektors und seines Anteils am Bruttoinlandsprodukt. Doch dieses Wirt-schaftswachstum wurde von Schulden gespeist. Die Last des Schul-dendienstes wuchs von 1983 bis 1993 um mehr als das Zehnfache – auch weil Vietnam Ende 1993 gegenüber dem Pariser Club die »faulen Kredite« des Saigoner Regimes anerkannt hatte. Der Ausbruch von Hungersnöten. Unter Anleitung der Weltbank und der Food and Agriculture Organization (FAO) gaben die Behörden ab Mitte der 80er Jahre die Politik der örtlichen Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln auf, durch die regionale Lebensmittelknappheiten hatten verhindert werden sollen. In den Hochlandgebieten Zentralvietnams wurden die Bauern ermu-tigt, sich auf ihre besonderen Vorteile zu besinnen, also den Anbau von Nahrungsmitteln einzustellen und sich statt dessen der Produktion »hoch-wertiger« Exporterzeugnisse zuzuwenden. Der übermäßige Anbau von Kaf-fee, Maniok, Cashewnüssen und Baumwolle führte indes alsbald in Verbin-dung mit dem Absturz der Weltmarktpreise und den hohen Kosten für im-

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portierte landwirtschaftliche Einsatzgüter zum Ausbruch regionaler Hun-gersnöte.

Ironischerweise ließ ausgerechnet der Wechsel zum Exportanbau die Net-todeviseneinnahmen sinken, weil die staatlichen Handelsfirmen große Liefe-rungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse nur mit erheblichen Verlusten an internationale Abnehmer verkauften konnten. »Wir bewegen die Bauern dazu, Maniok und Baumwolle zu produzieren, aber sie können nicht mit Pro-fit exportieren, weil die internationalen Preise gefallen sind… Daher sind die staatlichen Handelsgesellschaften gezwungen, Kaffee oder Maniok mit Ver-lusten auszuführen. Es gelingt ihnen jedoch, diese Verluste auszugleichen, weil sie die Devisenerlöse benutzen, um damit Konsumgüter zu importieren. Sie machen auch große Gewinne durch Preisaufschläge auf importierten Dünger.«34

Die staatlichen Exportgesellschaften wiesen somit zwar Buchgewinne aus, trugen aber tatsächlich zum Wachstum der Verschuldung (in Devisen) bei, indem sie regelmäßig Grundnahrungsmittel unter Weltmarktpreis ver-kauften. In vielen der Gebiete, in denen Nahrungsmangel herrschte, blieben wegen des Überangebots auf dem Weltmarkt die Bauern auf ihren Exporter-zeugnissen sitzen. So brach Hunger aus, weil die Bauern weder ihre Export-produkte verkaufen noch ihre eigenen Lebensmittel anbauen konnten.

Zu einer ähnlichen Situation kam es bei den Staatsunternehmen, die im Reishandel tätig waren. Sie zogen den Export mit finanziellen Verlusten vor, statt den Reis auf dem heimischen Markt zu verkaufen. Durch die vollstän-dige Deregulierung des Getreidemarktes, wo der Verkauf nun in den Hän-den privater Händler lag, stiegen die heimischen Preise besonders in den Gebieten, wo Nahrungsmangel herrschte. Obwohl also Reis unter Welt-marktpreis ausgeführt wurde, kam es in Gebieten, in denen der Reisanbau zugunsten der »regionalen Spezialisierung« aufgegeben worden war, zur Mangelversorgung. 1994 räumten die Behörden z.B. ein, dass in der Provinz Lai Cai an der Grenze zu China 50.000 Menschen von Hunger betroffen wa-ren. Obwohl sich die Nahrungsmittelknappheit in Lai Cai über einen Zeit-raum von fünf Monaten aufgebaut hatte, ohne dass Nothilfe bereitgestellt wurde, blieben zwei Millionen Tonnen Reis im Mekong-Delta unverkauft, weil die staatlichen Reishandelsgesellschaften zusammengebrochen waren.

Der Hunger machte sich auch in großen Städten und im Mekong-Delta breit, wo Nahrungsmittelüberschuss herrschte. 25,3 Prozent der erwachse-nen Bevölkerung mussten täglich mit weniger als 1800 Kalorien auskom-men.35 In den Städten waren wegen der Abwertung des Dong zusammen mit der Beseitigung von Subventionen und Preiskontrollen die Preise für Reis und andere Grundnahrungsmittel stark gestiegen, während die Löhne und Gehälter tief gefallen waren und die Arbeitslosigkeit weiter um sich griff.

Die Weltbank gab diesen Effekt offen zu: »Natürlich wird das Problem der Verfügbarkeit in den von Nahrungsmittelknappheit betroffenen Gebieten nicht über Nacht verschwinden, da der Privatsektor üblicherweise auf Preis-anreize reagiert und die Verbraucher in diesen Gebieten nicht die Kaufkraft

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haben, um die Preise zahlen zu können, die in den Überschussregionen für Getreide erzielt werden. Tatsächlich ist es gegenwärtig finanziell lohnender, Reis aus Vietnam zu exportieren, als ihn in die Mangelregionen innerhalb des Landes zu transportieren. Während der private Getreidehandel expan-diert, kann die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in den Mangelregionen tatsächlich anfangs sinken, bevor sie sich verbessert.«36

Von dieser Situation waren Kinder am schlimmsten betroffen. Selbst die Weltbank musste wiederum einräumen: »Vietnam hat einen höheren Anteil von untergewichtigen und wachstumsgehemmten Kindern (in der Größen-ordnung von 50 Prozent) als jedes andere Land in Süd- und Südostasien mit Ausnahme Bangladeschs… Wachstumshemmungen und Schulabbrüche haben zweifellos beträchtlich zugenommen. Es ist auch möglich, dass die makroökonomische Krise, die sich in den Jahren von 1984 bis 1986 vertief-te, zu einer Verschlechterung des Ernährungsstatus geführt hat.«37

Außerdem ist einer Untersuchung zufolge Vitamin-A-Mangel, der Blindheit verursachen kann und auf eine ausschließlich auf Getreide beruhende Er-nährung zurückgeht, unter Kindern in allen Regionen des Landes außer in Hanoi und dem Südosten Vietnams weit verbreitet. Die Situation gleicht der in Bangladesch (siehe Kapitel 11). Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft. Die vietnamesische Land-wirtschaftspolitik kam den Interessen des internationalen Agrarbusiness weit entgegen: Selbst in Regionen wie dem Mekong-Delta, das günstige Bedingungen für den Reisanbau bietet, wurden die Bauern zur exportorien-tierten Produktion von Zitronen, Mais, Cashewnüssen usw. ermutigt. Die staatliche Landwirtschaftsbank stellte kurzfristige Kredite zu 2,5 Prozent Zinsen im Monat zur Verfügung, damit von internationalen Getreidemultis Maissämlinge eingeführt werden konnten. Der geerntete Mais wurde dann von Proncoco zurückgekauft, einem französisch-vietnamesischen agrarin-dustriellen Joint Venture, das sowohl exportiert als auch Tierfutter auf dem heimischen Markt verkauft, um Fleischprodukte für Taiwan und Hongkong zu produzieren.38 Solche kurzfristigen Kredite gab es nur für kommerzielle Feldfrüchte. Sie mussten innerhalb von 180 Tagen zurückbezahlt werden – also in viel kürzerer Zeit als für den Anbau und die Vermarktung der Pro-dukte erforderlich.

Dennoch kam es von 1987 bis 1989 und abermals 1992 zu einem beein-druckenden Anstieg der Reisproduktion, der Vietnam den Rollenwechsel vom Nettoimporteur zum Exporteur von Reis erlaubte. Dieses gelang, bei schrumpfenden Anbauflächen, durch den Wechsel zu neuen, ertragreicheren Sorten und verstärkten Einsatz von chemischem Dünger und Pestiziden. Die Kleinbauern mussten deshalb mit beträchtlich höheren Kosten fertig wer-den. Die Regierung hatte sich aus der Bereitstellung von landwirtschaftli-chen Einsatzgütern zurückgezogen und hing nun von Importen ab: »Unsere Produktivität ist gestiegen, aber nicht unser Einkommen. Wir müssen für die neuen Saatsorten, Insektizide und Dünger bezahlen. Die Transportko-sten sind gestiegen. Wenn die Kosten weiter wachsen, werden wir den Ak-

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kerbau nicht fortsetzen können. Wir sind immer mehr auf Arbeit außerhalb der Landwirtschaft angewiesen, im Handwerk und in den Städten. In der Landwirtschaft reicht das Geld nicht zum Überleben.«39

Im Delta des Roten Flusses zahlten Kleinbauern an das International Rice Research Institute (IRRI), das von der Weltbank und der Rockefeller Foun-dation unterstützt wird, Gebühren für eine neue Reissorte, die in lokalen Pflanzenzuchtstationen gezogen wurde. Landwirtschaftliche For-schungsinstitute, die keine Mittel mehr vom Staat erhielten, waren in das einträgliche Geschäft der Entwicklung und Produktion von Saatgut einge-stiegen.

Die Steigerung der Reisproduktion hat jedoch ihren Höhepunkt über-schritten. Seit 1987 vernachlässigt der Staat die Bewässerungsinfrastruktur, was sich auf die künftige Produktion auswirken wird. Große Be- und Ent-wässerungssysteme werden nicht mehr ausreichend gepflegt. Die Weltbank empfiehlt Kostendeckung und die Kommerzialisierung der Was-serressourcen, räumt jedoch ein, dass »Bauern außerhalb des Mekong-Deltas zu arm sind, um gegenwärtig höhere Raten (für die Bewässerungs-gebühr) bezahlen zu können«.40 Das Risiko wiederkehrender Überflutungen und Trockenheiten ist aufgrund des Zusammenbruchs der für Betrieb und Wartung zuständigen Staatsunternehmen ebenfalls gestiegen. Ähnlich steht es um andere staatliche Dienste und Leistungen: »Die Bereitstellung von Dienstleistungen zur Unterstützung der Landwirtschaft – Dünger, Saatgut, Schädlingskontrolle, Veterinärdienste, Maschinenservice, Forschung und Beratung bei der Ausweitung der Anbauflächen – war bis in die späten 80er Jahre vor allem eine staatliche Aufgabe… Dieses System funktioniert zwar noch auf dem Papier, ist aber in der Realität… weitgehend zusammenge-brochen. Diese Unterstützungsleistungen wurden bei vermarktbaren Pro-dukten oder Dienstleistungen mit einigem Erfolg halb privatisiert, bei den übrigen funktionieren sie kaum. In der betreffenden Bürokratie leben viele Staatsbedienstete von Nebenjobs, während 8000 Abgänger von Agrarschu-len >arbeitslos< sein sollen.«

Im Oktober 1993 wurde von der Nationalversammlung ein neues Boden-recht verabschiedet. Rechtsexperten der Weltbank hatten am Gesetzestext mitgeschrieben und den zuständigen Regierungsstellen dessen Auswirkun-gen erläutert:

»Die ausländischen Experten der Weltbank glauben, dass das Bodenrecht für unsere besonderen Bedingungen geeignet ist. Wenn die Bauern kein Kapital oder keine Ressourcen haben, können sie das Land >transferieren<, in die Städte ziehen und da in einem >gehobenen< Haushalt arbeiten… Der Mangel an Grund und Boden ist nicht die Quelle der Armut. Den Armen fehlt es an Wissen und Erfahrung, und sie haben nur eine begrenzte Ausbildung. Sie haben außerdem zu viele Kinder.«41

Unter dem neuen Gesetz kann Ackerland frei beliehen oder »transfe-riert«, d.h. verkauft werden – offiziell nur an ein staatliches Bankinstitut, aber in der Praxis jedoch auch an private Geldverleiher. Auch mit Hypothe-ken belastetes Land kann bei Zahlungsunfähigkeit verkauft werden.

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Die Konsequenz war besonders im Süden die Rückkehr von Wucherei und Landpacht. Die bäuerliche Wirtschaft wurde wie gegen Ende der französi-schen Kolonialzeit wieder zu einem Kampf um Land und Kredite gezwungen. Im Süden ist die Konzentration an Landbesitz bereits recht fortgeschritten. Hier sind vor allem mittelgroße Plantagen entstanden, darunter zahlreiche Joint Ventures mit ausländischem Kapital. Landlose Bauern, die einen wach-senden Anteil der ländlichen Bevölkerung ausmachen, müssen sich in den Städten einen Gelderwerb suchen oder sich für etwa 50 US-Cents pro Tag als Saisonarbeiter auf diesen Plantagen verdingen.

Gegen Ende des Vietnamkrieges, in der Phase der so genannten »Viet-namisierung«, führten die Amerikaner im Süden ein Landverteilungspro-gramm durch, um die ländlichen Gebiete zu »befrieden«. Das heutige Landwirtschaftsministerium erkennt die damals gewährten Rechte an Grund und Boden nicht nur an, es hält das US-Programm aus Kriegszeiten über-haupt für ein nützliches Modell: »Unsere gegenwärtige Politik besteht darin, das US-Landverteilungsprogramm jener Zeit nachzuahmen, uns fehlen al-lerdings ausreichende Finanzmittel.« Die Tausende von Bauern jedoch, die ihre Dörfer verließen, um an der Seite der Befreiungsarmee zu kämpfen, haben keinen formalen Anspruch auf Ackerland.

Die Zerstörung des Bildungswesens. Vielleicht am dramatischsten

wirkten sich die Reformen in den Bereichen Gesundheit und Bildung aus. Dabei war gerade die Alphabetisierung eines der Kernziele des Kampfes gegen die französische Kolonialherrschaft.

Von 1954 an – nach der Niederlage der Franzosen bei Dien Bien Phu – bis 1972 hatte sich der Schulbesuch um das Siebenfache erhöht, von 700.000 auf fast fünf Millionen Kinder in Grund- und weiterführenden Schulen. Nach der Wiedervereinigung 1975 wurde im Süden eine Alphabetisierungs-kampagne gestartet. Angaben der UNESCO zufolge gehörten danach die Alphabetisierungsrate (90 Prozent) und die Schulbeteiligung in Vietnam zu den höchsten in Südostasien.

Die Reformen haben das Erziehungssystem durch massive Kürzungen des Bildungsetats, Senkung der Lehrergehälter und die Kommerzialisierung von weiterführenden Schulen, der Berufs- und höheren Bildung durch Schul- und Studiengebühren zerstört. Bildung ist dabei, sich in eine Ware zu ver-wandeln. Im offiziellen Jargon der UN-Behörden müssen dazu »Konsumen-ten von (Erziehungs-)Dienstleistungen höhere Gebühren zahlen, so dass Bildungsinstitutionen ermutigt werden, sich selbst zu finanzieren, sowie Anreize für die Privatisierung von Bildung und Ausbildung geschaffen wer-den, wo dies angemessen ist«.42

Die Reformen haben damit praktisch alles zuvor Erreichte rückgängig gemacht, einschließlich der Alphabetisierungsfortschritte seit 1945, und einen beispiellosen Rückgang des Schulbesuchs bewirkt. Die Pflicht zur Ent-richtung von Schulgebühren ist nun in der 1992 novellierten Verfassung verankert. Offiziellen Angaben zufolge ging der Anteil von Grund-schulabsolventen, die danach die vierjährige Mittelschule besuchen, von 92

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Prozent 1986/87 (vor Einführung der Schulgebühren) auf 72 Prozent 1989/90 zurück – ein Rückgang von mehr als einer Million Schülern. Von insgesamt 922.000 Schülern verließen 231.000 die Oberschule vor dem Abschluss. So wurde in den ersten drei Jahren der Reformen fast eine drei viertel Million Kinder aus den weiterführenden Schulen gedrängt, obwohl gleichzeitig die Anzahl der Kinder im schulfähigen Alter um mehr als sieben Prozent stieg. Zwar liegen keine jüngeren Zahlen über die Schulbeteiligung vor, aber es gibt keine Anhaltspunkte, dass sich dieser Trend umgekehrt hat.43 Die verfügbaren Zahlen aus den 80er Jahren belegen eine Abgänger-quote von 0,8 Prozent pro Jahr in den Grundschulen. Zwar stieg danach die Gesamtzahl der Schüler, aber nicht in dem Maße wie die der Kinder im schulfähigen Alter. Die strukturelle Unterfinanzierung wird in den kommen-den Jahren zu einer raschen Erosion der Grundschulbildung führen.

Der vietnamesische Staat stellt im Jahr pro Kind durchschnittlich drei bis vier Dollar für die Grundschulbildung bereit (1994). Im Delta des Roten Flusses mussten die Eltern 1994 für Schulmaterial und Bücher, die zuvor vom Staat gestellt wurden, den Gegenwert von 100 Kilo Reis pro Kind und Jahr bezahlen, ein beträchtlicher Anteil des Haushaltsverbrauchs.

Dennoch brachten Regierung und Kreditgeber ihre »Sorge« zum Aus-druck, dass durch den raschen Rückgang der Schulbeteiligung die »Kosten je Einheit« gestiegen seien und es nun ein »Überangebot« von Lehrern ge-be.44 Im »reduzierten« Schulsystem sollte daher größeres Gewicht auf »Qualität statt Quantität« gelegt werden, was den Kreditgebern zufolge die Entlassung überschüssiger Lehrer erforderte. Alle Ebenen des Erziehungssy-stems sind von den Kürzungen betroffen: Auch Kindertagesstätten werden geschlossen und in Zukunft kommerziell betrieben.

Kostendeckung wurde auch an den Universitäten und allen höheren Bil-dungseinrichtungen durchgesetzt. Institute für angewandte Forschung wur-den aufgefordert, ihre Kosten durch Kommerzialisierung ihrer Forschungs-ergebnisse aufzubringen: »Universitäten und Forschungsinstitute sind so schlecht finanziert, dass ihr Überleben von der Schaffung unabhängiger Ein-kommensquellen abhängt.« Der Staat deckte, nur 25 Prozent der Gehälter und anderer Betriebsausgaben in der Forschung.45 Forschungsinstituten wurden allerdings Vorzugszinsen für kurzfristige Kredite eingeräumt: 1,8 Prozent pro Monat statt 2,3 Prozent.

Für die Berufs- und technische Ausbildung einschließlich der Ausbildungs-stätten für Lehrer wurden im Rahmen der Richtlinien, auf die man sich mit den ausländischen Geberorganisationen geeinigt hatte, genaue Obergren-zen für die Teilnehmer- und Studentenzahlen festgesetzt. Das Ergebnis: Die Entwicklung von Humankapital und die qualifizierte Ausbildung erlebten einen beträchtlichen Rückschlag.

So sind es heute die ausländischen Geberorganisationen, die in Vietnam die finanzielle Kontrolle und Aufsicht über die meisten Forschungs- und Ausbildungsinstitutionen in Händen halten. Sie verteilen selektiv Zusatzge-hälter in Devisen, vergeben Forschungsaufträge usw. und diktieren gleich-

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zeitig die Forschungsschwerpunkte und die Entwicklung der akademischen Lehrpläne.

Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Die unmittelbarste Auswirkung der Reformen im Gesundheitswesen war der Zusammenbruch der Distriktkrankenhäuser und kommunalen Gesundheitszentren. Bis 1989 stellten die Gesundheitseinrichtungen kostenlose medizinische Beratung und Arzneimittel. Die Auflösung der Krankenhäuser im Süden, wo die Ge-sundheitsinfrastruktur erst nach der Wiedervereinigung 1975 aufgebaut worden war, ist insgesamt weiter fortgeschritten. Mit den Reformen wurden ein Gebührensystem, das Prinzip der Kostendeckung und der Verkauf von Arzneimitteln auf dem freien Markt durchgesetzt. Der Verbrauch wichtiger Medikamente nahm im öffentlichen Gesundheitswesen um 89 Prozent ab, was die einheimische pharmazeutische Industrie und die Hersteller medizi-nischer Güter in den Bankrott trieb.46

Bis 1989 ging die heimische Produktion von Pharmazeutika im Verhältnis zu 1980 um 98,5 Prozent zurück. Heute haben importierte Pharmazeutika, ausschließlich auf dem »freien« Markt zu extrem hohen Preisen verkauft, weitgehend heimische Marken ersetzt. Ein beträchtlich geschrumpfter, aber hochprofitabler kommerzieller Markt für internationale Pharmakonzerne hat sich entwickelt. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Arzneimitteln, die auf dem freien Markt gekauft werden, belief sich 1993 auf einen Dollar pro Jahr, was selbst die Weltbank für zu niedrig hielt.47 Die Auswirkungen auf die Gesund-heit der Bevölkerung sind verheerend.

Die Regierung strich unter Anleitung der Kreditgeber auch die Unterstüt-zung für medizinische Ausrüstung und Wartung zusammen. Dies führte praktisch zur Lähmung des gesamten Gesundheitssystems. Die realen Ein-kommen von medizinischem Personal und die Arbeitsbedingungen haben sich dramatisch verschlechtert: Das monatliche Gehalt von Ärzten in einem Distriktkrankenhaus lag 1994 unter 15 Dollar im Monat. Scharenweise ver-ließen aufgrund dieser Entwicklung Ärzte und Hilfspersonal das öffentliche Gesundheitswesen. Eine Untersuchung bestätigte schon 1991, dass die meisten Gesundheitszentren in den Gemeinden nicht mehr funktionsfähig waren.

In Vietnam leben seither gefährliche Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Durchfallerkrankungen wieder auf. Eine Studie der Weltge-sundheitsorganisation (WHO) bestätigte, dass die Zahl der Malariatoten in den ersten vier Jahren der Reformen um das Dreifache gestiegen war – bei einem steilen Preisanstieg für Malariamittel. Diese Tendenz wird von Anga-ben aus den Kommunen vollauf bestätigt: »Der Gesundheitszustand war früher viel besser. Es gab eine jährliche Gesundheitsuntersuchung auf Tu-berkulose, heute gibt es keine Medizin mehr um Malaria zu behandeln. Die Bauern haben kein Geld, um ins Distrikthospital zu gehen. Sie können sich die Gebühren nicht leisten.«48

Auch die Weltbank räumte den Zusammenbruch des Gesundheitssystems ein, die zugrunde liegenden makroökonomischen Ursachen erwähnte sie

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freilich nicht: »Trotz seiner beeindruckenden Leistung in der Vergangenheit siecht das vietnamesische Gesundheitswesen zur Zeit dahin… Die Mittel-knappheit im Gesundheitssektor ist so akut, dass es unklar ist, wo die Ba-siseinrichtungen in Zukunft die Mittel finden werden, um den Betrieb auf-rechtzuerhalten.«49

Obwohl die Weltbank zugab, dass die staatlichen Programme zur Ein-dämmung von Durchfallerkrankungen, Malaria und akuten Infektionen der Atemwege in der Vergangenheit »zu den erfolgreichsten Gesundheitslei-stungen in Vietnam gehörten«, bestanden ihre vorgeschlagenen Lösungen in der Kommerzialisierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung und der massiven Entlassung von überschüssigen Ärzten und Personal. Sie drängte darauf, die Gehälter für Gesundheitspersonal im Rahmen eines eingefrore-nen Budgets zu erhöhen: »Eine Erhöhung der Gehälter des staatlichen Ge-sundheitspersonals wird fast notwendigerweise von einer erheblichen Redu-zierung der Beschäftigtenzahl im Gesundheitswesen ausgeglichen.«50

So bauen die Reformen den sozialen Sektor in brutaler Weise ab, ma-chen die vierzigjährigen Anstrengungen und Kämpfe der Vietnamesen zu-nichte und zerstören alle in der Vergangenheit erreichten Fortschritte. Es sieht ganz danach aus, als hätte das gesamte vietnamesische Volk den Vietnamkrieg doch noch verloren.

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TEIL IV Lateinamerika

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13. Verschuldung und Demokratie in Brasilien

Fernando Collor de Mello wurde im Dezember 1989 als erster Präsident Bra-siliens demokratisch ins Amt gewählt. Er steht für das Ende der Militärdikta-tur und den Übergang zu einer neuen autoritären Demokratie unter direkter Kontrolle der ausländischen Gläubiger und der Washingtoner Finanzor-ganisationen. Ein paar Wochen nach dem Klimagipfel in Rio im Juni 1992 kam eine Untersuchungskommission des Kongresses zu dem Ergebnis, dass Collor über seinen Sprecher und ehemaligen Wahlkampfleiter in einen mil-lionenschweren Betrugsskandal verstrickt war. Bestechungsgelder für Staatsaufträge an Baufirmen waren auf geheime Konten geleitet oder für persönliche Ausga-ben des Präsidentenhaushalts abgezweigt worden, darunter für die Garde-robe seiner Frau Rosane. Die Öffentlichkeit konzentrierte sich auf den politi-schen Skandal und die Schande des Präsidenten: Die Einschaltquoten der Kongressanhörungen waren höher als bei den Olympischen Spielen. Damit erfüllte dieser Skandal eine wichtige Funktion bei der Umstrukturierung des brasilianischen Staates. Brasiliens Schuldensaga: Prolog. In der Zwischenzeit wurde hinter der Bühne, der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit entzogen, ein Multimilliarden-Dollar-Geschäft zwischen Collors Finanzminister und Brasiliens internationa-len Gläubigern ausgehandelt. Diese Verhandlungen fanden von Juni bis September 1992 hinter verschlossenen Türen statt und fielen zeitlich mit dem Amtsenthebungsverfahren zusammen. Mehrere Minister traten zurück und distanzierten sich öffentlich vom Präsidenten. Der international angese-hene Finanzminister Marcilio Marques Moreira jedoch hielt die Stellung und sorgte für die notwendige Verbindung zum IWF und zu den privaten Gläubi-gern. Die Schwächung des Staates, begleitet von der Instabilität der Börse von Sao Paulo und Kapitalflucht, erfüllte auch den Zweck, die Regierung weiter unter Druck zu setzen. Im Juni 1992, zu Beginn des Skandals, gab Präsident Collor die Aufnahme der Verhandlungen mit den Geschäftsbanken bekannt. Eine vorläufige Vereinbarung über die Umschuldungsformel (im Rahmen des Brady-Plans1) für Schulden in Höhe von 44 Mrd. Dollar an in-ternationale Banken wurde kurz vor dem Amtsenthebungsverfahren gegen Collor am 29. September 1992 dem Senat vorgelegt. Es war ein Ausver-kauf: Die Last des brasilianischen Schuldendienstes sollte sich als Folge des Deals beträchtlich vergrößern.

Die Kampagne für das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten hatte die öffentliche Aufmerksamkeit wirkungsvoll von den wahren sozialen Problemen abgelenkt. Zu dieser Zeit war die große Mehrheit der Bevölke-rung bereits durch den »Collor-Plan« verarmt, den die umstrittene Wirt-schafts- und Finanzministerin Zelia Cardoso de Mello im März 1990 auf den

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Weg gebracht hatte, bevor sich dann ihr Nachfolger Marcilio Marques Morei-ra an einer orthodoxeren, doch ebenso schädlichen Wirtschaftstherapie ver-suchte.

Eine zentrale Säule des Collor-Plans war die von den Gläubigern erzwun-gene Abwertung des Cruzeiro. Die Inflation fiel von über 900 Prozent auf immerhin etwa 250 Prozent pro Jahr. Durch den Anstieg der Realzinsen, den der IWF 1991 Brasilien verordnete, stiegen die Inlandsschulden und floss jede Menge »heißes« und »schmutziges« Geld in Brasiliens Bankensy-stem. Etwa 300 große Finanz- und Industrieunternehmen machten enorme Gewinne, die in hohem Maße für eine »profitgesteuerte Inflation« verant-wortlich waren. Der Anteil des Aktienkapitals am Bruttoinlandsprodukt stieg von 45 Prozent 1980 auf 66 Prozent Anfang der 90er Jahre. Die Demokratie hatte – im Bund mit den internationalen Gläubigern – den brasilianischen Wirtschaftseliten wirkungsvoller zugearbeitet als die vorangehenden Militär-regimes.

Das geheime Ziel des IWF bestand darin, die Gläubiger zu unterstützen und zugleich die Zentralregierung zu schwächen. 90 Mrd. Dollar für die Zinszahlungen hatte Brasilien bereits in den 80er Jahren aufbringen müs-sen, fast so viel wie die Gesamtschuldenlast in Höhe von 120 Mrd. Dollar. Aber es ging gar nicht darum, diese Schulden einzutreiben. Brasiliens inter-nationale Gläubiger waren vielmehr an einer dauerhaften Verschuldung des Landes interessiert. Das war die Voraussetzung, um die brasilianische Volkswirtschaft zum eigenen Vorteil umstrukturieren zu können, Vorausset-zung auch für die weitere Ausplünderung der natürlichen Ressourcen und der Umwelt sowie für die Übernahme der profitabelsten Staatsunterneh-men. Das Staatsvermögen sollte im Tausch gegen Schulden privatisiert werden, die Lohnkosten würden als Folge der Abkoppelung der Löhne vom Preisindex und durch die angestrebten Entlassungen sinken. So war die Ar-mut nicht bloß eine unbeabsichtigte Folge der Reformen, sie war vielmehr eine ausdrückliche Bedingung der Vereinbarung mit dem IWF. 1. Akt: Der Collor-Plan. Wer sind die Protagonisten der brasilianischen Schuldensaga?

Der im März 1990 aufgelegte Collor-Plan war ein ungewöhnlicher Cock-tail, der eine interventionistische Geldpolitik mit Privatisierungen im IWF-Stil, Handelsliberalisierung und einem frei schwankenden Wechselkurs ver-band. Ein Haushaltsdefizit von 31 Mrd. Dollar sollte beseitigt, 360.000 Bun-desbedienstete sollten entlassen und sechs Ministerien abgeschafft werden. Schreckensbleich verweigerte der Kongress einem Eckpunkt dieses Plans die Zustimmung: Statt der 360.000 durften nur 14.000 Staatsbedienstete gegen Abfindung entlassen werden. Viele von ihnen wurden später unter Präsident Itamar Franco wieder eingestellt.

Mit hochfliegenden Plänen, der Inflation den Garaus zu machen, fror Fi-nanzministerin Zelia Cardoso de Mello in einem naiven monetaristischen Experiment die Sparkonten ein. Diese Maßnahmen machten allerdings weit-gehend der Wirtschaftstätigkeit den Garaus. Die Arbeitslosigkeit stieg auf

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Rekordniveaus, und die Einfrierung der Bankkonten zog kleine Firmen in Mitleidenschaft, was allein 1990 zu 200.000 Entlassungen führte. Die Ge-werkschaften reagierten auf den Collor-Plan im September 1990 mit einem Streik, der von mehr als einer Million Arbeitern getragen wurde. Der Öko-nom Paul Singer kam zu einem eindeutigen Urteil: »Der Schock war grau-sam, monströs und unnötig.«

Natürlich zielte der Collor-Plan darauf ab, mit den Einsparungen im Etat Auslandsschulden bedienen zu können. Die Rückzahlungskonditionen für diese Schulden waren jedoch mit einem Makel behaftet, den der stramm nationalistische José Sarney, Colbors Amtsvorgänger, noch 1989 durchge-setzt hatte: Sehr zur Verstimmung der internationalen Banken hatte er ih-nen ein Teilmoratorium abgerungen, das den Schuldendienst auf 30 Prozent der insgesamt fälligen Zinszahlungen beschränkte.

Der IWF erteilte dem Collor-Plan seinen Segen, doch ein im September 1990 bewilligter Sofortkredit von zwei Milliarden wurde noch zurückgehal-ten. Der Direktor des IWF, Michel Camdessus, erklärte: »Bevor ich den Exekutivrat (des IWF) um Zustimmung bitte, muss ich sicherstellen, dass sich die Verhandlungen mit den Banken in die richtige Richtung bewegen und die Ergebnisse befriedigend sind.«

Ein paar Wochen später nahm die Regierung wieder die Schuldenver-handlungen mit den internationalen Gläubigern auf. Jorio Dauster, Collors Chefunterhändler, argumentierte wenig überzeugend, dass »die Schulden-zahlungen auf Brasiliens Zahlungsfähigkeit abgestimmt sein müssen«.2 Die von Citicorp geführte und aus 22 Geschäftsbanken bestehende Berater-gruppe schlug zurück, indem sie gegen die Kreditvereinbarung mit dem IWF ihr Veto einlegte und die multilateralen Banken instruierte, Brasilien kein neues Geld zu leihen, solange das Land nicht seine rückständigen Zinsen in Höhe von acht Milliarden Dollar beglichen hätte. Bei einem Treffen in Wa-shington stellten sich die G7-Staaten hinter dieses Veto. Das US-Finanzministerium wies nun die Weltbank und die Interamerican Develop-ment Bank (IDB) an, alle neuen Darlehen an Brasilien vorerst auszusetzen. Der IWF, auch in Reaktion auf präzise Direktiven von den Geschäftsbanken und einschlägigen Regierungsstellen in Washington, vertagte daraufhin sei-ne Beschlussfassung.

Die brasilianische Regierung steckte in einem Teufelskreis: Die Bewilli-gung frischer Mittel vom IWF, auf die das Land dringend angewiesen war, um seine Schulden bei den Geschäftsbanken bedienen zu können, wurde von der Beratungsgruppe ebendieser Geschäftsbanken blockiert. Eine un-mögliche Situation. Die Regierung hatte alle Bedingungen des IWF erfüllt – und dennoch blieb Brasilien auf der schwarzen Liste. Würde das Land die Forderungen seiner privaten Gläubiger nicht erfüllen, könnte dies leicht zum Vorwand für weitere Repressalien und internationale Ächtung werden. Die Spannungen wuchsen. Im April 1991 beschuldigte Finanzministerin Zelia Cardoso de Mello die G7-Staaten bei einer Konferenz der IDB im japani-schen Nagoya verärgert, durch die Blockade multilateraler Kredite unfairen politischen Druck auszuüben.3

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2. Akt: Einwilligung in den »Washingtoner Konsens«. Die Konferenz in Nagoya markierte einen wichtigen Wendepunkt. Die nationale Rhetorik und die Beschuldigungen gegen die internationale Finanzgemeinde wurden als unzeitgemäß und unpassend betrachtet. Zelia Cardoso wurde Anfang Mai entlassen und durch Marcilio Marques Moreira ersetzt, was die US-Regierung und die internationalen Finanzorganisationen ausdrücklich be-grüßten.4 Als früherer Botschafter in Washington hatte Marques Moreira enge persönliche Beziehungen zu dem IWF-Direktor Michel Camdessus und zu David Mulford geknüpft, dem Unterstaatssekretär des US-Finanzministeriums. Zelia Cardosos Unterhändler Jorio Dauster wurde eben-falls entlassen, zugunsten von Pedro Malan, einem Berater der IDB und ehemaligen Exekutivdirektor der Weltbank. Malans über zehnjährige Ver-bindungen zur Washingtoner Szene und Marques Moreiras persönliche Kon-takte waren in der zweiten Hälfte der Präsidentschaft von Colbor wichtige Faktoren für den Verlauf der brasilianischen Schuldenverhandlungen.

Im Juni 1991 schickte der IWF eine neue Delegation nach Brasilia, gelei-tet von José Fajgenbaum. Der IWF fühlte sich nun nicht mehr an den Ein-spruch der Beratungsgruppe der Geschäftsbanken unter Führung der Citi-corp gebunden. Neue Verhandlungen über makroökonomische Reformen sollten beginnen. Fajgenbaum erklärte, dass »strukturelle Wirtschaftsrefor-men« nötig seien, »die auch Änderungen der Verfassung erforderten«, wenn Brasilien eine neue Kreditvereinbarung mit dem IWF erreichen wolle.5

Durch das Parlament ging ein Aufschrei. Dem IWF wurde »unerhörte Einmi-schung in die inneren Angelegenheiten« vorgeworfen. Collor verlangte vom IWF, Fajgenbaum als Kopf der Delegation durch »eine qualifiziertere Per-son« abzulösen – ein »populistischer Erfolg für Präsident Colbor« in seinem Kampf mit dem IWF, schrieb die New York Times.6

Obwohl der Vorfall als »unglückliches Missverständnis« bezeichnet wurde, deckte sich Fajgenbaums Ansinnen weitgehend mit der etablierten Praxis des IWF. Der IWF forderte die Verabreichung einer weit stärkeren Medizin zur wirtschaftlichen Gesundung, damit ein größerer Anteil der Staatsein-nahmen in den Schuldendienst an die Geschäftsbanken fließen konnte. Doch mehrere Artikel der Verfassung von 1988 standen diesen Zielen im Weg. Der IWF war sich völlig darüber im Klaren, dass die Haushaltsziele ohne massive Entlassungen von Staatsbediensteten nicht erfüllt werden könnten, was allerdings wegen der bislang verbrieften Arbeitsplatzsicherheit eine Verfassungsänderung zur Voraussetzung hatte. Ebenfalls auf der Ta-gesordnung standen die in der Verfassung festgelegten Budgettransfers vom Bund an die Bundesstaaten und Kommunen, die eingeschränkten Mög-lichkeiten der Bundesregierung, Sozialausgaben zu kürzen und Einnahmen in den Schuldendienst umzulenken, sowie die deklarierten Be-standsgarantien für die Staatsunternehmen. Vom Standpunkt des IWF und der Geschäftsbanken aus war also eine Verfassungsänderung zwingend.

Die zweite Verhandlungsrunde mit dem IWF wurde Ende 1991 abge-schlossen: Nach Beratungen mit Präsident George Bushs Finanzminister

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Nicholas Brady und US-Unterstaatssekretär David Mulford stimmte Michel Camdessus einer neuen Vereinbarung zu.7 Präsident Collor de Mello übergab die zweite, von Marcilio Marques Moreira ausgearbeitete Absichtserklärung (Letter of Intent) bei einem Arbeitsfrühstück während des lateinamerikani-schen Gipfels im kolumbianischen Cartagena im Dezember persönlich an Michel Camdessus (die erste von Zelia Cardoso vom September 1990 war ja, wie wir uns erinnern, zerrissen worden). Im Januar 1992 wurde diese Absichtserklärung vom IWF gebilligt.

Die neue Kreditvereinbarung in Höhe von zwei Milliarden Dollar verpflich-tete die brasilianische Regierung über einen Zeitraum von 20 Monaten zu weit destruktiveren Wirtschaftsreformen. Die Anpassung des Haushaltes war besonders brutal: 65 Prozent der laufenden Ausgaben waren bereits für den Schuldendienst vorgesehen, und der IWF verlangte noch weitere Kür-zungen des Sozialetats.

Zu dieser Vereinbarung gehörte auch die ausdrückliche Übereinkunft, die Verhandlungen mit dem Pariser Club wieder aufzunehmen und mit den Ge-schäftsbanken eine befriedigende Vereinbarung über die Bedienung der Zahlungsrückstände zu erzielen. Für Marcilio Marques Moreira stellte die Einigung mit den Privatbanken »ein neues Kapitel voller Möglichkeiten dar. Dies ist das >neue Brasilien<, das sich wieder in die internationale Gemein-schaft einfügt: dynamisch, wettbewerbsfähig und souverän.«8 3. Akt: Nach der Amtsenthebung Collors. Der dritte Akt der Schulden-saga begann im Dezember 1992 mit der Amtseinführung von Itamar Franco als geschäftsführendem Präsidenten. Es war ein unbeholfener Anfang: Der neue Präsident versprach, die Reallöhne anzuheben, die Preise für öffentli-che Versorgungsleistungen zu senken und das Privatisierungsprogramm zu modifizieren, ohne zu erkennen, dass ihm infolge der ein Jahr zuvor unter-zeichneten Vereinbarung mit dem IWF die Hände gebunden waren. Trotz einer beeindruckenden Kongressmehrheit gelang es Itamar Francos Kabi-nett nicht, die Einwilligung der Washingtoner Organisationen zu erhalten.

Francos populistische Erklärungen missfielen sowohl den Gläubigern als auch den nationalen Eliten. Der IWF beschloss, mit der neuen Regierung viel härter umzugehen: Drei Finanzminister wurden während der sieben Monate der Präsidentschaft von Itamar Franco ernannt, doch keiner von ih-nen stieß beim IWF auf Gegenliebe. In der Zwischenzeit hatte der IWF seine Rechnungsprüfer geschickt, um die Fortschritte bei der Umsetzung der Kre-ditvereinbarungen zu überwachen. Die vierteljährlichen Ziele zur Verminde-rung des Haushaltsdefizits waren nicht erreicht worden – und konnten es ohne Verfassungsänderung auch nicht. Obwohl ein vom IWF verlangtes Steuerreformgesetz den Kongress passiert hatte, kamen die IWF-Prüfer zu dem Schluss, dass Brasilien nicht mehr »auf Kurs« sei. Die Auszahlung des Sofortkredits wurde ausgesetzt, Brasilien stand wieder auf der schwarzen Liste, und die Verhandlungen mit dem IWF über die Wirtschaftsreformen mussten noch einmal von vorn beginnen.

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Bei einem weiteren Frühstückstreffen, dieses Mal mit Itamars zweitem Finanzminister Paulo Haddad in Washington im Februar 1993, bestand Mi-chel Camdessus darauf, ein neues Wirtschaftsprogramm auszuarbeiten, das dem IWF innerhalb von 60 Tagen zur Billigung vorgelegt werden sollte. Der IWF machte zudem klar, dass kein Sofortkredit gewährt würde, bevor keine abschließende Vereinbarung mit den Geschäftsbanken unterzeichnet wäre, und es daher notwendig sei, die Terminpläne für die politische Reform und die Umschuldung abzustimmen.9

Man verlor keine Zeit. Ein paar Wochen später traf eine IWF-Delegation in Brasilia ein, geführt von jenem berüchtigten Jose Fajgenbaum, der zwei Jahre zuvor die Notwendigkeit einer Verfassungsreform angedeutet hatte. Auf Seiten des IWF war die Kontinuität des Personals gewährleistet – nicht so bei den Brasilianern. Paulo Haddad war nicht länger im Amt. Bei der An-kunft der Delegation herrschte im Team des Wirtschaftsministeriums helles Durcheinander, denn ein paar Tage zuvor hatten der Wirtschafts- und der Finanzminister ihre Ressorts getauscht. Nun sollte Itamar Francos dritter Finanzminister, Eliseu Resende, Ende April nach Washington fliegen, um Camdessus zu treffen. Er wurde im Mai entlassen.10

4. Akt: Ein marxistischer Soziologe als Finanzminister. Eine neue Phase der Schuldensaga begann, als Fernando Henrique Cardoso, ein pro-minenter Intellektueller und marxistischer Soziologe, zum Finanzminister ernannt wurde. Die Wirtschaft, zuerst etwas besorgt, war bald beruhigt: Trotz seiner linken Schriften – unter anderem über Themen wie Abhän-gigkeit und Entwicklung »im peripheren Kapitalismus« – stellte sich der neue Minister bedingungslos hinter die Lehrmeinungen des Neoliberalismus: »Vergessen Sie alles, was ich geschrieben habe«, sagte er bei einem Tref-fen mit führenden Bankern und Vertretern der Industrie. Ein paar Jahre früher war Cardoso wegen seiner kritischen Analyse der sozialen Klassen in Brasilien noch zum »Intellektuellen des Jahres« gewählt worden.

Etwa im Juli 1993 hatte sich Präsident Itamar Franco praktisch von der realen politischen Macht verabschiedet und überließ die Durchführung der Wirtschaftsreformen seinem neuen Minister. Als ehemals oppositioneller Senator verstand Cardoso nur zu gut, dass die Ratifizierung der IWF-Refor-men nur durch die Manipulation der öffentlichen Meinung und breiten Rück-halt in der Legislative glücken konnte. Der Öffentlichkeit wurde eingeredet, dass die vorgeschlagene Abkoppelung der Löhne von der Preisentwicklung das einzige Mittel sei, die Inflation zu bekämpfen. Im Juni 1993 gab Car-doso Haushaltskürzungen von 50 Prozent in den Bereichen Erziehung, Ge-sundheitswesen und Regionalentwicklung bekannt und wies auf die Not-wendigkeit von Verfassungsänderungen in der kommenden Legislaturperi-ode des Kongresses hin. Cardosos Vorschlag wurde vom Kongress gebilligt, und die Löhne konnten (real) um bis zu 31 Prozent fallen, was den öffentli-chen Kassen – und den Gläubigern! – geschätzte Einsparungen von elf Milli-arden Dollar brachte.11

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5. Akt: Die Umschuldung. Die Schuldensaga trat im April 1994 in ihre letzte Phase, als in New York eine Vereinbarung mit den privaten Ge-schäftsbanken über die Umschuldung von 49 Mrd. Dollar besiegelt wurde. Der Deal war sorgfältig von Cardoso und William Rhodes, dem Vizepräsi-denten der Citybank, der die Interessen von 750 internationalen Gläubi-gerbanken vertrat, ausgehandelt worden.12

Im Gegensatz zu den vorangehenden Verhandlungsrunden wurden dieses Mal feste Stichtage für die Ratifizierung großer Gesetze festgelegt, darunter für die Änderungen der Verfassung von 1988. Der IWF übernahm für die Geschäftsbanken die Aufgabe, den Gesetzgebungsprozess zu überwachen. Allerdings lief Cardoso trotz seiner Bemühungen, die öffentliche Meinung zu täuschen und die Reformen zu sichern, um die verschiedenen Reformen durch das »souveräne« Parlament zu boxen, die Zeit davon. Der Stichtag des 16. März 1995 für die Unterzeichnung einer weiteren Absichtserklärung mit dem IWF konnte nicht eingehalten werden.

Obwohl die Vereinbarung vom 15. April 1994 mit den Geschäftsbanken formal gegen das übliche Procedere verstieß, zu dem eigentlich ein zuvor bewilligter IWF-Sofortkredit gehört, um ein zu vereinbarendes Umschul-dungsprogramm abzusichern, kam man dennoch zu der Überzeugung, dass die Wirtschaftsreformen nun »auf Kurs« waren. Michel Camdessus erklärte, dass er von den bereits unternommenen Schritten beeindruckt sei, und ver-sprach, eng mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Cardoso seinerseits – der in der Zwischenzeit zum Präsidentschaftskandidaten ernannt worden war – erklärte, das Versprechen des IWF zu weiterer Kooperation nach Er-füllung der Kernpunkte des Wirtschaftsprogramms sollte ausreichende Ge-währ bieten, die Umschuldungsvereinbarung in Kraft zu setzen. Trotz »un-glücklicher Verzögerungen« im parlamentarischen Prozess war die Haupt-bedingung – die massive Freisetzung staatlicher Mittel zugunsten der Gläu-biger – erfüllt: Die Legislative hatte den vom IWF aufgenötigten Haushalts-reformen sowie der Schaffung eines Sozialfonds (Social Emergency Fund) nach den Kriterien der Weltbank zugestimmt. Die Abstimmung im Kongress zugunsten einer ersten Verfassungsänderung verpflichtete die Regierung, den Bundeshaushalt einschließlich öffentlicher Investitionen um 43 Prozent zu kürzen und die dadurch eingesparten Staatseinnahmen in den Schulden-dienst umzuleiten.

Die von den Gläubigern auferlegten Maßnahmen versetzten den Sozial-programmen Brasiliens, die sich bereits im fortgeschrittenen Zustand des Verfalls befanden, den Todesstoß. Der neu aufgelegte Sozialfonds wurde aus Budgetkürzungen im regulären Sozialetat finanziert. Seine Einführung war eine wichtige politische Wegscheide: Sie markierte das Ende der Sou-veränität Brasiliens in der Sozialpolitik. Von nun an wurden die betreffenden Budgets und Organisationsstrukturen im Namen der internationalen Gläubi-gerbanken direkt von den Washingtoner Finanzorganisationen überwacht. Der Zusammenbruch und die Zerstörung der staatlichen Sozialprogramme und die Streichung eines Teils des staatlichen Pensionsplans waren Vorbe-dingungen für die Unterzeichnung der Vereinbarung. Die Reformen drückten

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durch eine Gehaltsobergrenze für den öffentlichen Sektor13 außerdem ge-zielt die Reallöhne und stellten alle Arbeitsverträge auf eine neue Wäh-rungseinheit, den Real, um. Die Währungsreform, die ein neues Gesetz er-forderte, war vorher bei hochrangigen Treffen hinter verschlossenen Türen in enger Beratung mit der Washingtoner Bürokratie der internationalen Fi-nanzorganisationen erarbeitet worden. Winston Fritsch, der für Wirt-schaftspolitik zuständige brasilianische Staatssekretär, hatte im Oktober 1993 unbedacht an die Presse durchsickern lassen, dass er »dem IWF die Grundzüge eines Planes zur Abkoppelung der Löhne und Gehälter vom Preisindex« übergeben werde.14

Die wirtschaftliche Therapie des IWF definierte auch die in der Verfassung von 1988 festgelegte Beziehung zwischen Zentralregierung und Bundes-staaten grundlegend neu. Das vorgeschlagene Modell einer Haushaltsstruk-turreform entsprach der Reform, welche die internationalen Gläubiger 1990 Jugoslawien aufgezwungen hatten (siehe Kapitel 17): Transferzahlungen der Bundesregierung an die Bundesstaaten und Kommunen, die für Ge-sundheit, Erziehung und Wohnungsbau vorgesehen waren, wurden einge-froren, die Bundesstaaten sollten »Haushaltsautonomie« erhalten und die Einsparungen, die dem Finanzminister des Bundes dadurch zuflossen, soll-ten in die Zinszahlungen umgeleitet werden.

Cardoso hatte viel besser »funktioniert« als seine Vorgänger im Finanz-ressort. Der Erfolg bei der Ausführung des IWFProgramms wurde belohnt. Der Finanzminister gewann die Präsidentschaftswahlen von 1994, unter-stützt von einer massiven, viele Millionen Dollar teuren Medienkampagne und einer stillschweigenden Übereinkunft mit den Großunternehmen des Landes, die Preise während der Wahlkampagne nicht zu erhöhen. Mit der von Cardoso eingeführten neuen Währung waren zwar Löhne und Gehälter von der Preisentwicklung abgekoppelt, doch die bemerkenswert niedrige Inflationsrate in den Monaten vor seiner Wahl zum Präsidenten sorgte da-für, dass er besonders unter den ärmsten Bevölkerungsteilen, die am Rand des Arbeitsmarktes überlebten, Unterstützung fand.15

Die Kontinuität mit dem autoritären demokratischen Regime von Fernan-do Collor de Mello war gesichert. Ein hochrangiger Manager einer der größ-ten Gläubigerbanken Brasiliens drückte es 1993 so aus: »Collor hatte eine gespaltene Persönlichkeit: Er war auf die Wirtschaftsreform verpflichtet und wirkte als Triebkraft bei der Umsetzung dessen, was das brasilianische Volk wollte… Sein zweites Kabinett unter Finanzminister Marcilio Marques Moreira war das beste. Heute tut Fernando Henrique Cardoso das Gleiche mit gerin-gerer Geschwindigkeit… Um die vom IWF festgelegten Defizitziele zu errei-chen, muss der Kongress die Haushaltskürzung von sechs Milliarden Dollar akzeptieren, weitere sechs Milliarden Dollar werden aus der Verfassungsän-derung kommen müssen, im Wesentlichen durch die Entlassung von Staatsbediensteten… Was wir in Brasilien brauchen würden, ist eine >wei-che Pinochet-Regierung<, vorzugsweise zivil, wie Fujimori. Das Militär ist keine Option.«

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Epilog: »Armutsmanagement« zu minimalen Kosten. Die von den Wa-shingtoner Finanzinstitutionen durchgesetzte Politik beschleunigte die Ver-treibung von landlosen Bauern und führte zur Bildung eines nomadisieren-den Arbeitskräfteheers, das von einer Großstadt zur nächsten zieht. In den Städten entwickelten sich ganz neue Schichten von Armen, die sich sozial von den Favela-Bewohnern unterschieden: Tausende von Arbeitern und Angestellten, die bis dahin in Wohngebieten der Mittel- und Unterklassen gelebt hatten, wurden vertrieben, sozial marginalisiert und häufig in die Slums abgedrängt.

Der von Cardoso 1994 eingerichtete Sozialfonds steckte den Rahmen für ein »Armutsmanagement« ab, das die soziale Sprengkraft der Reformen zu minimalen Kosten für die Gläubiger entschärfen sollte. Die zur »Hilfe für die Armen« aufgelegten so genannten »gezielten Programme« (targeted pro-grams), verbunden mit Kostendeckungsrichtlinien und der Privatisierung von Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen, stellten angeblich einen »effizienteren« Weg als die herkömmlichen Sozialprogramme dar. Gleichzei-tig sollte sich die Sozialversicherung durch beträchtliche Beitragserhöhun-gen für versicherungspflichtige Arbeitnehmer zunehmend selbst finanzieren. Der Staat zog sich aus der Verantwortung für viele Sozialleistungen zurück und überließ sie freien Trägern, die aus dem Sozialfonds finanziert wurden. Aus Mitteln des Fonds wurden auch die Abfindungen für die Staatsbe-diensteten bezahlt, die infolge der Verfassungsreform ihren Arbeitsplatz verloren.

Der Sozialfonds wurde im Namen der »Armutsmilderung« eingerichtet und ist in mancher Hinsicht die Fortführung der so genannten »Bürgerkam-pagne gegen den Hunger«, die nach Collors Amtsenthebungsverfahren 1992 initiiert wurde. Diese Kampagne stärkte seinem Nachfolger Itamar Franco bei dessen zögerlicher Haltung gegenüber dem IWF den Rücken und diente seinem Populismus als Sprachrohr. Ursprünglich also eine breite de-mokratische Basisbewegung gegen alle Einschnitte in die staatlichen Sozial-leistungen, verlor die Initiative bald ihren Schwung. Obwohl offiziell unab-hängig, beteiligten sich an ihr sowohl die Regierung als auch die oppositio-nelle Arbeiterpartei. Zudem gab es zwischen dem Kopf der Kampagne, Her-bert de Souza, und Alcyr Calliary, dem Präsidenten der Bank von Brasilien, eine Vereinbarung: Ausgerechnet die Bank von Brasilien, ein mächtiger Arm des Zentralstaates, war nun damit betraut, im ganzen Land lokale Komitees für die Antihungerkampagne zu gründen. Mehr als zwei Drittel dieser »Ba-siskomitees« wurden von Beschäftigten dieser Bank von Brasilien kontrol-liert.16 Der mächtige Geschäftstycoon Roberto Marinho, der das Globo-Fernsehnetz kontrolliert, bot der Kampagne seinerseits freie Werbespots im Stil Hollywoods zur besten Sendezeit an.

Armut und Hunger wurden in der brasilianischen Presse in stilisierter, sensationsheischender Form porträtiert. Aufgrund ihrer Alimentierung durch die Finanzeliten zog die Kampagne keine Verbindung zwischen der wirt-schaftlichen »Medizin« des IWF und dem Hunger in Brasilien. Als sich die Wirtschaftskrise vertiefte, diente die »Bürger«-Initiative dem nützlichen

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Zweck, die Aufmerksamkeit von den wirklichen politischen Problemen abzu-lenken. Sie suchte einen breiten nationalen Konsens, vermied die Kontro-verse und hielt sich mit direkten Anklagen der Regierung oder der privile-gierten sozialen Eliten Brasiliens tunlicherweise zurück.

Die wichtigsten Armutsindikatoren, die die Kampagne ins Feld führte, ba-sierten auf Berechnungen eines regierungsnahen Wirtschaftsforschungsin-stituts, des Instituto de Pesquisa Econômica, das nun mit der Erforschung von Hunger und Armut beauftragt worden war. In grober Manipulation der Daten legten die Ergebnisse des Instituts den Schluss nahe, dass nur 21 Prozent der brasilianischen Bevölkerung unter der kritischen Armutsschwel-le lebten.17 Zweierlei Maß: Nur 32 Millionen Brasilianer sollten danach arm sein, verglichen mit 35,7 Millionen US-Amerikanern.

Damit wurde die Armut, der doch seit Beginn der Collor-Regierung breite Schichten bis hin zur Mittelklasse anheim gefallen waren, auf das Problem einer Minderheit reduziert, was wiederum die Politik der selektiven und »zielgruppenorientierten« Armutsbekämpfung legitimierte.

Der Sozialfonds diente zur Legitimation des schon zuvor begonnenen Rückzugs des Staates aus der Sozialpolitik. Diverse nichtstaatliche Organi-sationen auf unterster Ebene übernahmen nun die Aufgaben des »Armuts-managements« und sprangen mehr schlecht als recht für die Kommunen ein, die infolge des Strukturanpassungsprogramms keine Mittel mehr erhiel-ten. So konnte immerhin die Gefahr sozialer Unruhen eingedämmt werden.

Ein Beispiel für kleinteiliges »Armutsmanagement« dieses Stils findet sich in Pirambu, einem wuchernden Slumgebiet mit 250.000 Einwohnern in der nordostbrasilianischen Stadt Fortaleza. Pirambu wurde unter verschiedene internationale Hilfsorganisationen und NGO aufgeteilt. Im Stadtteil Couto Fernandes unterstützte die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusam-menarbeit (GTZ) die Einrichtung eines modellhaften »Gemeindemanage-ments«. Diese »Mikrodemokratie«‚ eingerichtet unter den wachsamen Au-gen der Geldgeber, diente nicht zuletzt dem Zweck, die Entwicklung von unabhängigen sozialen Basisbewegungen zu schwächen. Mit deutschen Gel-dern wurden die Gehälter von ausländischen Experten finanziert, während die Investitionsmittel für kleine Fertigungsbetriebe durch einen von der ört-lichen Kommune verwalteten Umlauffonds selbst aufgebracht werden soll-ten.

Das Armutsmanagement in ländlichen Gebieten diente den gleichen all-gemeinen Zielen: Die Bauernbewegung sollte zugunsten der mächtigen Großgrundbesitzer geschwächt werden, während man Millionen von landlo-sen Bauern, die vom Agrarbusiness entwurzelt und verdrängt worden wa-ren, ein mageres Überleben sicherte. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm im Sertao z.B. einer regelmäßig von Dürre heimgesuchten Region im Nord-osten Brasiliens, sicherte 1993 1,2 Millionen landlosen Bauern eine minima-le Vergütung von umgerechnet 14 Dollar im Monat.19 Sie wurden jedoch häufig von Großgrundbesitzern angeheuert – auf Kosten also der Bundesre-gierung. Die Verteilung von US-Getreideüberschüssen durch Regierungs- oder Hilfsorganisationen im Rahmen des Nahrungsmittelhilfsprogramms der

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USA an verarmte brasilianische Bauern diente dem Zweck, die lokale Nah-rungsmittellandwirtschaft zu schwächen und Kleinbauern zu entwurzeln. Die »Bürgerkampagne gegen Hunger« übernahm die Verteilung.

Integraler Bestandteil des Strukturanpassungsprogramms von IWF und Weltbank war auch die Marginalisierung der Kleinbauern. Die für Besiedlung und Agrarreform zuständige brasilianische Behörde, INCRA, verteilte zu-sammen mit anderen Regierungsstellen Landparzellen und unterstützte die Bildung von Kooperativen landloser Bauern. Doch dabei handelte es sich unfehlbar um marginales oder von Dürren betroffenes Land, das nicht die Interessen der Großgrundbesitzer berührte. In den Staaten Pará, Amazonas und Maranhao beteiligten sich mehrere internationale Geldgeber, darunter die Weltbank und die japanische Hilfsorganisation JICA, über das INCRA auch an der Finanzierung von Ansiedlungsprojekten als Arbeitsreservoir für große Plantagen.20 Und zuletzt darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Ver-fassungsänderungen auch die traditionellen Landrechte der Ureinwohner in Mitleidenschaft zogen – ein Prozess, der durch die Umwandlung von India-nerreservaten im Amazonasgebiet in Besiedlungsgebiete für Plantagenarbei-ter unter Federführung des INCRA bereits im Gang war.21

Halten wir also fest: Die vom IWF geförderten Reformen trugen in Brasilien zur sozialen Pola-

risierung und Verarmung großer Bevölkerungsteile, auch der Mittelklasse bei. Durch den Zusammenbruch der föderalen Haushaltsstruktur wächst das Risiko einer Balkanisierung, im Süden macht sich zunehmender Separatis-mus breit. In fataler Regelmäßigkeit kommt es zu Menschen-rechtsverletzungen aller Art, die Gewalt in den Städten und auf dem Land nimmt zu. Seit der Präsidentschaft von Fernando Collor de Mello hat sich de facto eine Parallelregierung entwickelt, die regelmäßig in Washington Be-richt erstattet. Und unter Fernando Henrique Cardoso haben die Gläubiger die Kontrolle über die staatliche Verwaltung und die Politiker des Landes vollends gewonnen. Der Staat ist bankrott, sein Vermögen wird durch das Privatisierungsprogramm beschlagnahmt.

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14. Schocktherapie in Peru Am 8. August 1990 verkündete der peruanische Premierminister Juan Hur-tado Miller in einer Rede an die Nation den »Fujischock«, benannt nach Prä-sident Alberto Fujimori: »Unsere Hauptziele sind, das Haushaltsdefizit zu reduzieren und die Preisverzerrungen zu beseitigen.« Über Nacht stiegen die Preise für Treibstoff um 2968 Prozent und für Brot um mehr als 1150 Prozent. Im wahren Geist des angelsächsischen Liberalismus wurden diese Preise nicht vom »freien« Markt, sondern durch einen Erlass des Präsiden-ten »fixiert« – eine Form von »Planliberalismus«. Der Fujischock sollte der Hyperinflation das Genick brechen. Erkauft wurde dies allerdings mit dem Anstieg der Lebensmittelpreise um 446 Prozent in einem einzigen Monat! Die Inflation fiel im ersten Jahr der neuen Regierung auf bescheidene 2172 Prozent.

Viele Länder in Lateinamerika erlebten eine Schockbehandlung, doch das Ausmaß der wirtschaftlichen Manipulation in Peru war beispiellos. Die sozia-len Konsequenzen waren vernichtend: Während ein Landarbeiter in den Nordostprovinzen Perus im August 1990 umgerechnet 7,50 Dollar im Monat verdiente – das Äquivalent von einem Hamburger und einer Limonade –, lagen die Verbraucherpreise in Lima höher als in New York.22 Das Realein-kommen sank im Laufe des Augusts um 60 Prozent (siehe Tabelle 14.1). Mitte 1991 belief sich das Niveau des Realeinkommens auf weniger als 15 Prozent seines Werts von 1974 – ein Verlust von 85 Prozent. Die durch-schnittlichen Gehälter von Staatsbediensteten fielen im ersten Jahr der Re-gierung von Fujimori um 63 Prozent und um 92 Prozent im Vergleich zu 1980.23 Mitte der 80er Jahre hatte der IWF Peru wegen der nur rhetorischen Absichtserklärungen von Präsident Alan Garcia, den Schuldendienst auf zehn Prozent der Exporterlöse beschränken zu wollen, auf die schwarze Li-ste gesetzt. Tabelle 14.1: Die Auswirkungen der Schocktherapie vom August 1990 auf die Verbraucherpreise in Peru (prozentuale Zunahme) Stadtgebiet Lima, August 1990 INEI* Cuanto** Lebensmittel und Getränke 446,2 288,2 Transport und Kommunikation 571,4 1428,0 Gesundheits- und medizinische 702,7 648,3 Dienstleistungen Mieten, Treibstoff und Elektrizität 421,8 1035,0 Verbraucherpreisindex 397,0 411,9

* Instituto Nacional de Estadistica (INEI), Anuario estadistico 1991; ** Cuanto. Peru en numeros, Kapitel 21, Lima 1991

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Historischer Hintergrund. Perus erstes makroökonomisches Stabilisie-rungsprogramm wurde Mitte der 70er Jahre nach dem Staatsstreich von 1975 gegen die populistische Militärdiktatur von General Velasco Alvarado initiiert. Durchgeführt wurden die Wirtschaftsreformen von der Militärjunta unter General Morales Bermudez, dem Nachfolger von Velasco, als Bedin-gung für die Umschuldung bei Geschäftsbanken und internationalen Organi-sationen. Diese Reformen waren direkt mit den Gläubigerbanken ohne Be-teiligung des IWF ausgehandelt worden. 1978 wurde mit der Umsetzung eines zweiten Wirtschaftspakets begonnen, dieses Mal im Rahmen einer formalen Vereinbarung mit dem IWF.

Diese früheren Wirtschaftsreformen vor Beginn des Struk-turanpassungsprogramms Anfang der 80er Jahre orientierten sich an dem chilenischen Modell, das General Augusto Pinochet seit 1973 mit den so genannten »Chicago Boys« umsetzte: marktorientierten Ökonomen, deren geistige Mentoren zwei Chicagoer Wirtschaftsprofessoren waren, Milton Friedman und Arnold Harberger. Dessen Konditionen fielen, verglichen mit den wirtschaftspolitischen Kreditbedingungen des Strukturanpassungspro-gramms zu Beginn der 80er Jahre, insgesamt weniger streng und kohärent aus.

Die makroökonomischen Reformen in der zweiten Hälfte der 70er Jahre waren dennoch der Beginn eines historischen Verarmungsprozesses in Peru: Mehrere Abwertungen in kurzer Folge lösten eine Inflationsspirale aus, die reale Kaufkraft im modernen städtischen Sektor sank von 1974 bis 1978 um annähernd 35 Prozent. Diese Schrumpfung der Reallöhne – und Lohn-kosten – führte jedoch nicht zur Stärkung des Exports, wie IWF und Welt-bank behauptet hatten.

Mit der Amtseinführung von Präsident Fernando Belaúnde Terry 1980 wurde die makroökonomische Politik stringenter. Seine Politik, energisch unterstützt vom IWF, trug dazu bei, den Staat und das unter Velasco Alva-rado geschaffene System von Staatsunternehmen zu schwächen. Ausländi-sche Konzerne erhielten großzügige Explorations- und Ausbeutungs-konzessionen, z.B. Occidental für die Ölförderung. Auch die Senkung der Zollbarrieren schwächte die Schlüsselsektoren der Volkswirtschaft. Der Staatsanteil am Bankensektor wurde zurückgefahren, internationale Banken – darunter Chase Manhattan, Commerzbank, Manufacturer’s Hannover und die Bank von Tokio – wurden ermutigt, sich in die peruanischen Geschäfts-banken einzukaufen und Tochterunternehmen zu gründen.24

Die Belaúnde-Regierung setzte dieses vom LWF unterstützte Programm 1981/82 in Kraft, ganz zu Anfang der Schuldenkrise. Das Land wurde auf-grund der Handelsliberalisierung mit importierten Waren überflutet. Gleich-zeitig brachen die Exporterlöse ein, die Terms of Trade verschlechterten sich. Die Kombination dieser beiden Faktoren trug zur Verschärfung der Handelsbilanzkrise bei. In der Folge ging das Bruttoinlandsprodukt um 12 Prozent im Jahr 1982 zurück, die Inflationsrate erreichte 1983 über 100 Prozent.

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Von 1980 bis 1983 nahm die Unterernährung bei Kindern dramatisch zu. 1985 fiel der geschätzte Lebensmittelverbrauch im Vergleich zu 1975 um 25 Prozent. Im Laufe der fünfjährigen Präsidentschaft von Belaúnde (1980 – 1985) sank der reale Wert des garantierten Mindestlohns (remuneración minima vital) um mehr als 45 Prozent. Die realen Löhne und Gehälter schrumpften durchschnittlich um 39,5 bzw. 20,0 Prozent. Die unorthodoxe Wirtschaftspolitik der APRA – und ihr Scheitern. Die Regierung der Acción Popular von Präsident Fernando Belaúnde Terry war diskreditiert. Im Wahlkampf von 1985 präsentierte die oppositionelle Alianza Popular Revolucionaria Americana (APRA) ein alternatives Wirt-schaftsprogramm. Nach ihrem Wahlsieg stellte die neue APRA-Regierung von Präsident Alan Garcia im Juli 1985 einen wirtschaftlichen Notplan vor (Plano Económico de Emergencia), mit dem sie in offene Konfrontation zu den internationalen Finanzorganisationen in Washington trat. Dieses Pro-gramm richtete sich direkt gegen die üblichen wirtschaftlichen Rezepte des IWF.

Zu Beginn der Präsidentschaft Garcías überstieg die jährliche Inflations-rate 225 Prozent. Als Reaktion darauf bestand das Regierungsprogramm aus der Reaktivierung der Verbrauchernachfrage. Die Preise von Gütern des täglichen Bedarfs und öffentliche Dienstleistungen wurden eingefroren, die Zinsen gesenkt und der Wechselkurs stabilisiert. Die Wirtschaft hatte unter der Regierung Belaúnde stagniert und verfügte über beträchtliche Überka-pazitäten. Daher konnte die APRA-Regierung die Wirtschaftstätigkeit auf der Nachfrageseite beleben, ohne übermäßigen Inflationsdruck auf die Pro-duktionskosten auszuüben.25

García hatte sich im Wahlkampf darauf verpflichtet, den Bauern höhere Erzeugerpreise zu sichern, um die Produktion wieder zu beleben und eine Einkommensumverteilung zugunsten der ländlichen Regionen zu bewirken. Nach einer Schätzung der Weltbank gelang ihm im ersten Jahr seiner Amts-zeit eine Verbesserung der Terms of Trade zwischen Land und Stadt um 75 Prozent und ein deutliches kurzfristiges Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion.26

Für die städtische Wirtschaft verfügte die Regierung Lohn- und Gehalts-erhöhungen, die etwas über der Inflationsrate lagen. Sie legte ein zeitlich begrenztes Beschäftigungsprogramm auf und verfolgte eine expansive Haushaltspolitik. Die realen Zinsen für Kredite wurden gesenkt. Verschiede-ne Steueranreize und Subventionen sollten die Wiederbelebung der Ge-samtnachfrage zusätzlich stützen. Die Steuererleichterungen kamen jedoch weitgehend der Wirtschafts- und Finanzelite des Landes zugute. Dadurch wurden in der Folge das Steueraufkommen und die Devisenreserven des Landes geschwächt.

Bei seinem Amtsantritt verkündete García zudem ein Moratorium für den Schuldendienst: Die Zinszahlungen sollten zehn Prozent der Exporteinnah-men nicht überschreiten. Die internationale Finanzgemeinschaft setzte Peru daraufhin umgehend auf die schwarze Liste. Der Zustrom frischen Geldes

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kam zum Stillstand, die internationalen Geschäftsbanken entzogen dem Land ihre Unterstützung und von 1986 an erhielt Peru keine Kredite mehr auf dem freien Kapitalmarkt. Auch staatliche Organisationen und die Regie-rungen der OECD-Länder kürzten ihre Zahlungen an Peru erheblich.27

Trotz des Moratoriums stiegen die Auslandsschulden Perus dramatisch – während der APRA-Regierung um neun Prozent jährlich.28 García scheiterte ganz eindeutig mit seiner Haltung zum Schuldendienst: Die tatsächlichen Schuldendienstzahlungen verschlangen zwischen 1985 und 1989 durch-schnittlich 20 Prozent der Exporterlöse. Durch die Einfrierung neuer Kredite, ganz zu schweigen von der Kapitalflucht in Steuerparadiese, vollzog sich in dieser Zeit eine massive Abwanderung realer Kapitalressourcen.

In den ersten 18 Monaten der APRA-Regierung wuchs das Bruttoinlands-produkt deutlich. Vor allem mit Hilfe der eingefrorenen Preise konnte die Inflation gesenkt werden. Die »Dollarisierung« der Volkswirtschaft nahm ab, und der Verbrauch stieg deutlich an.

Aber das Programm ließ sich nur kurzfristig durchhalten. Für die expansi-ve Haushaltspolitik, mit der das Wirtschaftswachstum zunächst gefördert worden war, erwies sich auf Dauer die Steuerbasis als zu dünn. Indirekte Steuern waren gesenkt worden, Steuerhinterziehungen eher die Regel als die Ausnahme, und die verschiedenen Subventionen und Steuerbefreiungen großer Unternehmen wurden mit Defiziten und einer Ausweitung der Geld-menge finanziert. Das System war anfällig für Korruption und Spekulation. Die Devisenbewirtschaftung mit unterschiedlichen Wechselkursen, die als Instrument zur Einkommensumverteilung dienen sollte, nützte letztlich den Reichen der peruanischen Gesellschaft.29

1988 sanken die Devisenreserven auf minus 252 Mio. Dollar.30 Trotz der allgemein gestiegenen Kaufkraft war ein Großteil der Deviseneinnahmen des Landes in Form von Subventionen und Steuerbefreiungen den Wirt-schaftseliten zugute gekommen. Der Staat hatte eine klassisch keynesia-nisch-antizyklische Politik zur Unterstützung der Gesamtnachfrage begon-nen, ohne fundamentalere Strukturprobleme anzugehen. Obwohl die Maß-nahmen unter den Bedingungen extremer Stagnation und mangelnder Aus-lastung der Industriekapazitäten einen gewissen Grad an technischer Kohä-renz bewiesen, gelang es damit nicht, über kurzfristige Erfolge hinaus die wirtschaftliche Erholung aufrechtzuerhalten.

In der Praxis bediente die APRA-Regierung mit ihren verschiedenen Re-gulierungsinstrumenten angestammte Interessen. Das Wirtschaftsmodell war von engen technischen Vorstellungen und populistischer Rhetorik ge-tragen: Die APRA verfügte nicht über die erforderliche soziale Basis oder den politischen Willen, um substanzielle und nachhaltige wirtschaftliche und soziale Reformen in Sachen Steuern, Regionalisierung, Wiederbelebung der Landwirtschaft und Unterstützung des informellen Sektors umzusetzen.

Über die populistische Rhetorik hinaus war die APRA-Regierung nicht zu Maßnahmen bereit, die sich direkt gegen die angestammten Interessen der Wirtschaftselite richteten. 1987 kündigte sie die Verstaatlichung des Ban-kensektors an. In ihrer Rhetorik bezeichnete die Regierung das Vorhaben

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als »Demokratisierung des Kreditwesens«, ohne ein genauer definiertes politisches Mandat. Den Geschäftsbanken und Finanzinstituten fiel es nicht schwer die Initiative durch einen langen Rechtsstreit zu vereiteln, der letzt-lich zur Aufgabe des Projektes führte. Das Vorhaben markierte das Ende der populistischen »Flitterwochen« der APRA mit der Finanzelite. Es führte zu Streit innerhalb der Partei, diskreditierte die Regierung und schuf in der Wirtschaft ein Klima der Unsicherheit und des Misstrauens, das nach Ein-schätzung mancher Beobachter die Hyperinflation von 1988 bis 1990 auslö-ste. Die Wirtschaftseliten erklärten der Regierung den Krieg.

In ähnlicher Weise ging die APRA-Regierung in ihrer Endphase die Frage der Eigentumsrechte an. Sie konzentrierte sich lediglich auf die Registrie-rung von Eigentumstiteln, was immerhin kleinbäuerlichen Betrieben und solchen der informellen Wirtschaft formale Eigentumsrechte verschafft hät-te. Die Frage nach der Konzentration von Grund und Boden, die zu Kollisio-nen mit den Latifundienbesitzern geführt hätte, wurde dagegen sorgfältig vermieden.

Anfang 1987 begann sich die Wirtschaftstätigkeit wieder abzuschwächen. Innerhalb von wenigen Monaten kehrte sich die Aufwärtsbewegung der Re-aleinkommen um. Zwischen Dezember 1987 und Oktober 1988 fielen die Realeinkommen um 50 bis 60 Prozent, die Gehälter der Staatsbediensteten um zwei Drittel.31 Bis Mitte 1988 lagen die Reallöhne 20 Prozent unter dem Niveau von 1985.

Im Juli 1988 beschloss die Regierung einen neuen Notplan, diesmal ein orthodoxeres Programm zur Inflationsbekämpfung, das im September in Kraft gesetzt wurde. Es enthielt die wichtigsten Zutaten des üblichen IWF-Programms, freilich ohne neoliberale Ideologie und die Unterstützung inter-nationaler Gläubiger.

In vieler Hinsicht gab das Paket vom September 1988 die Richtung für die wirtschaftlichen Schockmaßnahmen vor, welche die Regierung Fujimori im August 1990 durchführte. Alle wesentlichen Elemente waren vorhanden: Abwertung und Vereinheitlichung des Wechselkurses, Preiserhöhungen für öffentliche Dienstleistungen und Benzin, substanzielle Kürzungen der Staatsausgaben sowie die Einführung des Prinzips der Kostendeckung für die meisten Staatsunternehmen. Zum Paket gehörte auch die Abkoppelung von Löhnen und Gehältern vom Preisindex.

Dennoch: Das Scheitern des unorthodoxen Wirtschaftspakets von Präsi-dent Alan García spricht nicht zwingend für die neoliberalen Konzepte. Das Wirtschaftsprogramm war von Anfang an zweischneidig. Die APRA versäum-te es, Gewinnmargen und Preispolitik der mächtigen kommerziellen und agrarindustriellen Interessen zu regulieren. Keynesianische Instrumente wurden mechanisch eingesetzt, ohne fundamentalere Strukturprobleme anzugehen. Um erfolgreich zu sein, erforderte das Programm den Zustrom von Devisen. Genau das Gegenteil trat ein: Der Nettoabfluss von Kapital setzte sich ungebrochen fort. Die internationalen Gläubiger behielten die peruanische Zahlungsbilanz fest im Griff.

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Die Wiederherstellung der IWF-Herrschaft und der Fujischock. Im Wahlkampf von 1990 trat Alberto Fujimori gegen den Schriftsteller Mario Vargas Llosa und dessen Koalition demokratischer Oppositionskräfte an. Vargas Llosa schlug zur Lösung der peruanischen Wirtschaftskrise eine Schockbehandlung vor. Fujimoris Partei, Cambio 90, lehnte die neoliberalen Rezepte ab und versprach ein Wirtschaftsprogramm, das zu einer »Stabili-sierung ohne Rezession« führen sollte: Beseitigung der Hyperinflation bei gleichzeitigem Schutz der Kaufkraft der Arbeiter.32 In den Monaten vor seiner Amtseinführung als Präsident am 28. Juli 1990 hatte Fujimori eine expansive Wirtschaftspolitik ins Auge gefasst. Dieses Programm war jedoch rein fachlich angelegt und nur von einem geschlosse-nen Kreis von Wirtschaftsexperten und Ökonomieprofessoren diskutiert worden. Wie es politisch durchzusetzen wäre, blieb offen.

Doch Fujimori sah sich starkem internen und externen Druck zugunsten eines orthodoxen, vom IWF finanzierten Reformpakets ausgesetzt. Schon im Flugzeug nach Washington auf dem Weg zu einem Treffen mit Michel Camdessus, dem IWF-Direktor, soll der frisch gewählte Präsident nach-denklich zu seinem wichtigsten Wirtschaftsberater gesagt haben: »Wenn der Wirtschaftsschock funktionieren sollte, wird mir das peruanische Volk sicher vergeben.« Als er von seinen Treffen mit Perus internationalen Gläu-bigern in Washington und Tokio zurückkehrte, war der Präsident zu einem unnachgiebigen Befürworter einer »kräftigen Medizin« zur wirtschaftlichen Gesundung Perus geworden. Sein Politikwechsel wurde nur in seiner unmit-telbaren politischen Umgebung bekannt; das peruanische Volk, das sich gegen die wirtschaftliche Schocktherapie Vargas Llosas ausgesprochen hat-te, erfuhr nichts davon.

Fujimoris Richtungswechsel führte zu Differenzen innerhalb seines wirt-schaftlichen Beraterstabs. Der gewählte Präsident knüpfte nun enge Bande zu einer anderen Gruppe von Ökonomen, die fest auf den Washingtoner Konsens und das IWF-Paket verpflichtet waren. Seine wichtigsten Wirt-schaftsberater traten kurz vor seiner Amtseinführung zurück. In aller Eile wurde mit fachlichem Beistand von IWF und Weltbank ein neues Paket zur wirtschaftlichen Stabilisierung geschnürt, das sich nicht wesentlich vom Wahlprogramm Vargas Llosas unterschied.

Der Fujischock vom August 1990 stimmte nicht nur mit den Rezepten des IWF überein, er ging weit über das hinaus, was normalerweise von einem verschuldeten Land als Bedingung für Verhandlungen über seine Umschul-dung erwartet wurde. Trotz der immer gravierenderen Armut in den letzten Monaten der APRA-Regierung hielt die Regierung in Lima jetzt eine weitere Senkung der Realeinkommen für notwendig, um den Inflationsdruck zu mil-dern. Man sah die Gründe für Perus Hyperinflation auf der Nachfrageseite, was ein weiteres Sinken der Löhne und Sozialausgaben erfordere, zusam-men mit massiven Entlassungen im öffentlichen Sektor.

Die Choleraepidemie von 1991 – weitgehend die Folge der Armut und des Zusammenbruchs des öffentlichen Gesundheitswesens seit der Regierung von Belaúnde – war auch dem vom IWF finanzierten Programm zuzuschrei-

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ben. Weil der Preis für Öl zum Befeuern von Kochherden um das Dreißig-fache stieg, konnten es sich die Menschen in den pueblos jovenes von Lima nicht länger leisten, Wasser abzukochen oder sich warmes Essen zuzuberei-ten.

Die Aufmerksamkeit der internationalen Presse richtete sich auf die Cho-lera, an der nach offiziellen Zahlen innerhalb von sechs Monaten annähernd 200.000 Menschen erkrankten und 2000 starben, während der allgemeinere soziale Zerstörungsprozess verdeckt blieb: Seit dem Fujischock vom August 1990 erreichte die Tuberkulose epidemische Ausmaße, angefacht von Man-gelernährung und dem Zusammenbruch des staatlichen Impfprogramms. Der Kollaps der öffentlichen Gesundheitsversorgung in der Region Selva führte zum Wiederaufleben von Malaria, Denguefieber und Leishmaniose.33 Öffentliche Schulen, Universitäten und Krankenhäuser waren infolge eines unbegrenzten Streiks der Lehrer und Beschäftigten im Gesundheitswesen geschlossen worden. Diese Staatsbediensteten verdienten durchschnittlich umgerechnet 45 bis 70 Dollar im Monat (Juli 1991) – 40-mal weniger als in den USA.

Über 83 Prozent der Bevölkerung konnten nach einer Schätzung von Mit-te 1991 ihren Minimalbedarf an Kalorien und Proteinen nicht decken. Die registrierte Quote der Mangelernährung bei Kindern betrug landesweit 38,5 Prozent und war damit die zweithöchste in Lateinamerika. Eins von vier Kindern in der Sierra starb vor dem fünften Lebensjahr, in der Hauptstadt Lima war es eins von sechs. Die registrierte Fruchtbarkeitsrate betrug 4,8 – vier Lebendgeborene pro Mutter –, was nahe legt, dass es in der Sierra im Durchschnitt einen Kindstod pro Familie gab. Dennoch wurde Fujimori von der internationalen Finanzgemeinschaft für seine erfolgreiche Wirtschaftspo-litik gelobt. Amtshilfe und »fiktives« Geld. »Nehmen Sie ein ernsthaftes Wirt-schaftsprogramm in Angriff, und wir werden Ihnen helfen.« Die Durchfüh-rung dessen, was der IWF mit den Worten von Martin Hardy, dem Leiter der IWF-Delegation, die 1991 Peru besuchte, ein »ernsthaftes Wirtschaftspro-gramm« nennt, ist gewöhnlich die Voraussetzung für die Bewilligung einer Überbrückungsfinanzierung durch eine »internationale Unterstützergruppe«. Die internationalen Finanzorganisationen verbanden mit der Durchführung des Wirtschaftspakets von 1990 keine Versprechen. Es war ein »IWF-Schattenprogramm« (siehe Kapitel 3) ohne damit verbundene Kredite. Ob-wohl der IWF keinen unzulässigen Druck ausübte, gab er deutlich zu ver-stehen, dass Peru auf der schwarzen Liste bleiben würde, solange es sich nicht an die Wirtschaftsrezepte des IWF hielte.

Die Fujimori-Regierung führte das Wirtschaftspaket jedoch vor der Un-terzeichnung einer Kreditvereinbarung und vor einer Einigung über die Um-schuldung von Perus Auslandsschulden durch. Sobald diese Maßnahmen vollzogen waren, blieb somit wenig übrig, was Peru in den Verhandlungen noch in die Waagschale werfen konnte. Zudem begann die Regierung sofort nach der »wirtschaftlichen Stabilisierungsphase« vom August 1990 mit ei-

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ner Reihe großer Strukturreformen (»Phase zwei«), in Übereinstimmung mit den IWF-Rezepten.

Die Fujimori-Regierung hatte erwartet, dass der wirtschaftliche Schock vom August sofort den Weg zur Bildung einer internationalen Unterstüt-zungsgruppe und zur Bewilligung eines »Rettungspakets« öffnen würde. Dazu fühlten sich die Gläubiger jedoch nicht so recht veranlasst. Schließlich zahlte Peru ja bereits getreulich all seine laufenden Schul-dendienstverpflichtungen und seine makroökonomische Politik entsprach den Vorgaben des IWF.34 Aus Sicht der internationalen Gläubiger gab es daher keine Notwendigkeit, Peru einen »Gefallen« zu tun.

Angesichts dessen, dass Vertreter von IWF und Weltbank fest im Mini-sterium für Wirtschaft und Finanzen mitarbeiteten, war es natürlich schwie-rig für die Regierung, eine unabhängige Position bei Verhandlungen mit dem IWF zu beziehen. Carlos Bolona z.B. im regulären Sold des IWF, war an Peru »ausgeliehen«, um dem Minister als hochrangiger Berater zur Seite zu stehen.35

Zu Beginn ging es der Regierung vor allem darum, von der schwarzen Liste des IWF gestrichen zu werden, indem sie bedingungslos akzeptierte, die Zahlungsrückstände ohne den geringsten Schuldennachlass an IWF und Weltbank zu begleichen. Die ausstehenden Schulden wurden 1991 auf ins-gesamt 14 Mrd. Dollar geschätzt, davon 2,3 Mrd. Dollar allein bei den inter-nationalen Finanzorganisationen. Dieses Ziel sollte durch die Aushandlung neuer Kredite der internationalen Finanzorganisationen zur Rückzahlung der Altschulden erreicht werden. Nicht ein Dollar von diesem Geld gelangte tat-sächlich nach Peru. Diese neuen Kredite waren Geld, das die internationalen Finanzorganisationen an sich selbst zahlten. Peru musste mit dem Ausgleich seiner Schuldendienstrückstände sofort beginnen und die neuen Kredite über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren zurückzahlen. Direkte Folge war, dass sich die Schuldendienstverpflichtungen Perus 1991 mehr als ver-doppelten, von 60 Mio. Dollar auf 150 Mio. Dollar – im Monat. Das Militär und die Guerilla. Peru hielt sich getreu an das Washingtoner Modell von »Demokratisierung«. Vor der Amtseinführung im Juli 1990 zog sich Fujimori täglich auf das Armeegelände in Lima zurück, um mit dem Oberkommando der Armee Gespräche zu führen. Der gewählte Präsident und das Militär vereinbarten eine großzügige Reorganisation der Armee. Die bedingungslose Unterstützung der Streitkräfte war notwendig, um den zivi-len Widerstand zu brechen und das IWF-Programm durchzusetzen. Ein paar Tage vor dem Fujischock wurde über das ganze Land der Ausnahmezustand verhängt. Am 8. August 1990 bezogen Militär und Sicherheitskräfte in der gesamten Innenstadt von Lima mit Truppen, bewaffneter Bereitschaftspoli-zei und gepanzerten Fahrzeugen Position.

Unter dem Deckmantel der parlamentarischen Demokratie übernahm das Militär eine aktivere Rolle in der zivilen Administration. Die Situation war in mancher Hinsicht mit der Entwicklung in Uruguay Anfang der 70er Jahre

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vergleichbar, wo das Militär hinter der zivilen Regierung von Präsident Juan María Bordaberry die eigentliche Macht in Händen hielt.

Die Sparmaßnahmen des IWF bluteten die staatlichen Programme aus. Die Ausgaben für Gesundheit und Bildung wurden zusammengestrichen, die Verwaltung in den Regionen brach zusammen. Diese Schwächung des Staa-tes diskreditierte die Zentralregierung und spielte der Guerilla (Sendero Luminoso, »Leuchtender Pfad«) in die Hand.

Der Sendero Luminoso war in den 60er Jahren während der Regierungs-zeit von Belaúnde in den Untergrund gegangen und hatte seither in einigen Regionen der Selva und Sierra eine Parallelregierung etabliert. Manche Lan-desteile waren der Kontrolle des peruanischen Staates auch völlig entzogen.

Bestandteil des so genannten Befriedungsprogramms, dem sich bis in die 80er Jahre alle gewählten oder durch einen Putsch an die Macht ge-kommenen Präsidenten verpflichtet fühlten, war eine Militärverwaltung in weiten Teilen der Sierra. Deren notorische Übergriffe führten dem Leuch-tenden Pfad aber bloß immer neue Anhänger zu und heizten die Rebellion weiter an. Wie ausgiebig von Amnesty International dokumentiert, ließen sich Armee und Polizei im ganzen Land willkürliche Verhaftungen, außerge-richtliche Exekutionen, Folter an politischen Gefangenen, Misshandlungen von Familienangehörigen Oppositioneller und von vermeintlichen »Sympa-thisanten« zuschulden kommen. Die Bekämpfung der Guerilla ging mit einer weitgehenden Beschneidung der Bürgerrechte einher.36 Seit 1988 bedrohten rechtsgerichtete Todesschwadronen unter dem Namen »Comando Rodrigo Franco« zudem linke Persönlichkeiten und Gewerkschaftsführer.

Für Fujimori war der Kampf gegen die Guerilla ein willkommener Vorwand für die systematische Einschüchterung der zivilen Opposition gegen das IWF-Programm. Unter seiner Präsidentschaft wurden willkürliche Folter und Exekutionen weitaus systematischer betrieben. Für die Strategie der Ein-schüchterung und Ermordung oppositioneller Gewerkschafter, Bauern- und Studentenführer war direkt das militärische Oberkommando verantwortlich. Im so genannten »schmutzigen Krieg« (la guerra sucia) gegen den Leuch-tenden Pfad war die offizielle Linie bei der Behandlung von Verdächtigen: keine Gefangenen, keine Verwundeten (»ni prisoneros, ni heridos«). So stand es in einem geheimen Armeedokument, das 1991 an die Presse durchsickerte.37 Das Elend der Landwirtschaft. Das IWF-Programm hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Mit Ausnahme des illegalen Kokaan-baus schrumpfte die landwirtschaftliche Produktion im Jahr nach der Schockbehandlung vom August erheblich.

Die Verarmung der Landbevölkerung verschlimmerte sich, weil mächtige agrarindustrielle Monopole weiterhin die Vermarktungs- und Vertriebskanäle kontrollierten. 1990 führten die wirtschaftlichen Maßnahmen zu abrupten Preissteigerungen bei Benzin, landwirtschaftlichen Einsatzgütern und Kre-diten. In vielen ländlichen Gebieten der Sierra stiegen die Pro-duktionskosten weit über die Erzeugerpreise. Das Ergebnis war der Bankrott

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kleiner unabhängiger Bauern. In der Sierra verarmten etwa 800.000 Produ-zenten von Wolle und Alpaka, die zum ärmsten Teil der Landbevölkerung gehörten, noch mehr, weil 1990/91 die realen Preise für diese Erzeugnisse weiter sanken.

Die Privatisierung von Ackerland unterhöhlte die vorherrschende Land-wirtschaft von Kleinproduzenten (parcelenos) und landwirtschaftlichen Ge-meinschaften (comunidades agricolas). Das Landgesetz von 1991 forderte eine Minimalgröße von zehn Hektar pro Hof, was zur Stärkung und Kon-solidierung mittelgroßer Parzellen und Betriebe führte. Parceleros, die durch die Wirtschaftsreformen Bankrott gegangen waren, mussten ihr Land ver-kaufen oder aufgeben.38 Die beginnende Konzentration des Besitzes an Grund und Boden war jedoch nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft. Auf-grund neuer Vergaberichtlinien blieben Betriebe unter zehn Hektar von nun an von landwirtschaftlichen Krediten ausgeschlossen. Die mittelgroßen Be-triebe gerieten durch Hypotheken auf ihr neu erworbenes Land in Abhän-gigkeit von den Interessen der Banken und des Handels.

Obwohl die bäuerlichen Gemeinschaften formal vor der Landprivatisie-rung geschützt waren, trugen die gestiegenen Kraftstoff- und Transportko-sten dazu bei, sie vom Markt zu drängen. Da die Erzeugerpreise unter die Produktionskosten fielen, waren viele bäuerliche Gemeinschaften, die zuvor ihre Überschüsse auf den lokalen Märkten verkauft hatten, gezwungen, sich ganz aus der kommerziellen Landwirtschaft zurückzuziehen.

De facto kehrte die Subsistenzwirtschaft zurück. Kommerzielle landwirt-schaftliche Einsatzgüter wie Saatgut, Dünger usw. konnten sich die Bauern nicht mehr leisten. Immer stärker mussten sie auf rein traditionelle Anbau-methoden zurückgreifen, so dass das Einkommen der Kleinbauern und bäu-erlichen Gemeinschaften dramatisch sank. Sie konnten schließlich ohne an-dere Einkommensquellen nicht länger überleben und wurden zunehmend zu einem Arbeitskräftereservoir für die kommerzielle Landwirtschaft. Vom Nutzen des illegalen Drogenhandels. Der Wirtschaftsschock vom August 1990 schuf die Bedingungen für eine weitere Zunahme des Drogen-handels. Verarmte Bauern wanderten aus der Sierra in die klassischen Ko-kaanbaugebiete des Alto-Huallaga-Tals ab oder versuchten in der Sierra selber Koka als Exportprodukt anzubauen.

Peru ist der bei weitem größte Produzent von Kokablättern auf der Welt, aus denen das Kokain hergestellt wird. Es produziert mehr als 60 Prozent der gesamten Weltproduktion. Sowohl Peru als auch Bolivien (der zweit-wichtigste Kokaproduzent, siehe Kapitel 15) sind Direktproduzenten und verkaufen die Kokapaste an kolumbianische Drogenkartelle, die sie zu Pul-ver weiterverarbeiten. Mit der Schwächung des Medellin-Kartells und dem Aufstieg des Cali-Kartells in den frühen 90er Jahren gewann der peruani-sche und bolivianische Drogenhandel größere Autonomie, die Vermark-tungs- und Verarbeitungskanäle verlagerten sich. In Peru entwickelte sich

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ein Zwischenhandel, das peruanische Bankensystem wurde zum »sicheren Hafen« für den Transfer von Drogengeldern in und aus dem Land.

Jede Menge Dollarscheine aus der Drogenwirtschaft flossen in den infor-mellen Devisenmarkt an den Straßenecken Limas, den mercado Ocona. Seit Anfang der 80er Jahre hatte die Zentralbank den Ocona-Straßenmarkt peri-odisch genutzt, um ihre schwindenden Devisenreserven aufzufüllen. 1991 kaufte die Zentralbank auf dem informellen Devisenmarkt schätzungsweise acht Millionen Dollar am Tag. Ein Großteil davon kam den peruanischen Auslandsschulden zugute.

Perus Fähigkeit, seine Verpflichtungen aus dem Schuldendienst zu erfül-len, hängt also großenteils vom Recycling von Drogendollar in den Devi-senmarkt ab.

Mit der vom IWF erzwungenen Einfrierung der Löhne und Staatsausgaben wurde auch die Geldemission durch die Zentralbank dramatisch beschnit-ten. Ironischerweise führte diese strenge Geldpolitik in Verbindung mit der Flut der illegal ins Land gekommenen Ocona-Dollar bereits seit 1991 zur Aufwertung des einheimischen Sol im Verhältnis zum Dollar – sehr zum Un-gemach des IWF, der auf eine reale Abwertung zur Unterstützung des Ex-portsektors gedrängt hatte.

Die Versuche der USA, den Kokaanbau zu unterbinden, gingen in Peru einher mit Strategien zur »Pazifizierung« und zur Bekämpfung der Rebel-lenbewegung. US-Armee und US-Drogenbehörde arbeiteten eng zusam-men, kooperierten mit den peruanischen Sicherheitskräften und richteten in Santa Lucia in der Region Huallaga einen militärischen Stützpunkt ein. Die von dort aus vorgetragenen Militäroperationen fügten allerdings dem Leuch-tenden Pfad keinen weiteren Schaden zu, sondern brachten ihm vielmehr eine gewisse Unterstützung bei den Kokaproduzenten ein. Außerdem enga-gierte sich unter Fujimori das Militär selbst stärker in der Vermarktung der Kokapaste und beim Waschen von Drogengeldern.

Das im Mai 1991 mit den USA unterzeichnete Antidrogenabkommen machte die Gewährung weiterer Unterstützung ausdrücklich vom Kampf gegen die Drogen abhängig. Ein US-Senator bekundete bei einer Aus-schusssitzung: »Wirtschaftshilfe wird nur unter der Bedingung gewährt, dass Anstrengungen zur Drogenkontrolle unternommen werden und eine solide Wirtschaftspolitik verfolgt wird.«39 Doch ironischerweise hatte eben-diese »solide Wirtschaftspolitik« einen großen Anteil am raschen Wachstum der Drogenwirtschaft, denn es waren genau diese Wirtschaftsreformen, die ja erst die Abwanderung verarmter Bauern in die Kokaproduktion begün-stigt hatten.

Die makroökonomische Politik unter Fujimori einschließlich der Privatisie-rung von Ackerland und der Reform des landwirtschaftlichen Kreditwesens vereitelte außerdem praktisch von Anfang an die Möglichkeit einer alternati-ven Entwicklung des Alto Huallaga-Tals, wie sie im Antidrogenabkommen anvisiert wurde. Diesem Plan zufolge sollte Koka durch Tabak, Mais und andere Kulturpflanzen ersetzt werden. Doch als Folge der vom IWF geför-derten Reformen, deren Durchführung auch vom Antidrogenabkommen ver-

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langt wurde, war die kommerzielle Landwirtschaft in der Huallaga-Region mit Ausnahme der Kokaproduktion nicht mehr lebensfähig.

So wurde ausgerechnet der illegale Drogenhandel durch die Strukturan-passung gestärkt.

Nicht nur das peruanische Militär war (und ist) in den illegalen Drogen-handel verwickelt, sondern auch die CIA selbst hat immer wieder Drogen-geld gewaschen, um verdeckte Operationen zu finanzieren und proamerika-nische und paramilitärische Gruppen auf der ganzen Welt zu unterstützen.40

Wenn es der US-Regierung wirklich um eine Austrocknung des Drogen-handels ginge, hätte sie Peru nicht gezwungen, unter Federführung des IWF eine Wirtschaftspolitik durchzuführen, die darauf hinausläuft, die Position der Drogenhändler im Bund mit dem Militär zu stärken. So aber dementier-te Washington seine eigenen Verlautbarungen. Die eine bürokratische Frak-tion tat alles dafür, den Drogenhandel aus der Welt zu schaffen, die andere alles dafür, ihn als Quelle schmutzigen, aber willkommenen Geldes zu erhal-ten. Die Stärkung der Drogenwirtschaft diente schließlich den Interessen der internationalen Gläubiger Perus, weil sich dadurch Dollareinkünfte er-wirtschaften ließen, die Peru für seinen Schuldendienst brauchte.

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15. Verschuldung und Drogen in Bolivien Bolivien gilt bei den internationalen Finanzorganisationen als ein erfolgrei-ches Modell für Strukturanpassung, das von anderen Ländern, die ihre Wirt-schaft stabilisieren und einen nachhaltigen Prozess des Wirtschaftswach-stums erreichen wollen, nachgeahmt werden sollte. Es fällt auf, wie sehr sich die bolivianische und peruanische Strukturanpassung ähneln. Beide Volkswirtschaften hängen in hohem Maße von illegalen Kokaexporten als Hauptdevisenquelle ab. In beiden Ländern ist das »Recycling« von Drogen-dollar ein Mittel, um ihre Auslandsschulden zu bedienen. Der Bankrott der Stabilisierungspolitik. Im September 1985 begann die Regierung von Victor Paz Estenssoro mit ihrem »Dekret 21.016« eine or-thodoxe Stabilisierungspolitik zur Bekämpfung der Inflation und Beseitigung interner und externer Ungleichgewichte. Das Wirtschaftspaket enthielt alle wesentlichen Zutaten des IWF-Strukturanpassungsprogramms: Die Wäh-rung wurde abgewertet, der Wechselkurs vorgegeben und eine Devisenbör-se eingerichtet. Ferner wurden die Staatsausgaben gekürzt, etwa 50.000 Staatsbedienstete entlassen, alle Preiskontrollen beseitigt, die Löhne vom Preisindex abgekoppelt und der Arbeitsmarkt dereguliert. Zum Paket gehör-te auch die Liberalisierung des Handels und eine beträchtliche Senkung der Importzölle.41

Dem Stabilisierungsprogramm folgte die Umstrukturierung der staatli-chen Bergbauindustrie – im Klartext: die Schließung unprofitabler Minen und die Entlassung von 23.000 Arbeitern.

Der Architekt des wirtschaftlichen Anpassungspakets war der damalige Finanzminister Gonzalo Sánchez de Lozada, der später (1993) Präsident Boliviens wurde. Er beschrieb die Ereignisse nach Einführung der neuen Wirtschaftspolitik im August 1985 so: »Sobald wir mit den Maßnahmen be-gonnen hatten, hatten wir einen Generalstreik, das Land war im September 1985 zehn Tage lang gelähmt… Am zehnten Tag erklärten die Gewerk-schaftsführer einen Hungerstreik, das war ihr großer Fehler. Das war der Moment, in dem wir den Ausnahmezustand erklärten. Paz hatte gehofft, dass die Leute der Meinung wären, dass es so nicht weitergehen konnte. Daher ließen wir die Gewerkschaftsführer verhaften und brachten sie ins Landesinnere. Damit verlor die Arbeiterbewegung ihre Sprecher.«42

Trotzdem gelang es damals, die Inflation innerhalb von wenigen Monaten unter Kontrolle zu bringen. Davor hatte sie bei annähernd 24.000 Prozent im Jahr gelegen. Das Ziel der Preisstabilität wurde jedoch durch die »Doll-arisierung« der Preise erzielt, nicht durch die wirtschaftlichen Stabilisie-rungsmaßnahmen: »Da die meisten Preise de facto an den Wechselkurs

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gebunden waren, bedeutete die Stabilisierung des Letzteren beinahe auto-matisch eine Stabilisierung der Ersteren.«43

Man handelte einen Schuldenerlass aus, dem zufolge staatliche Geber Boliviens Schulden von den Geschäftsbanken mit erheblichen Nachlässen »zurückkaufen« sollten. Dieser Schuldenrückkauf war an die Übernahme des IWF-Programms geknüpft.

Das Stabilisierungspaket führte zu einem erheblichen Sinken der Be-schäftigung und der Realeinkommen. Das niedrige Lohnniveau wiederum schlug auf den informellen urbanen Sektor und die Landwirtschaft durch. Der kumulative Effekt von reduzierter Kaufkraft, dem Abbau der Handels-schranken und dem Zustrom billiger Nahrungsmittelimporte untergrub die bäuerliche Wirtschaft, die sehr stark vom Binnenmarkt abhängig war. In ähnlicher Weise trug die Aufhebung der Zölle zur Verdrängung der nationa-len Fertigungsindustrie bei. Die Warenimporte blühten, weitgehend auf Ko-sten der heimischen Produktion.

Die Staatseinnahmen und -ausgaben waren bereits während der Regie-rung von Hernán Siles Zuazo in der ersten Hälfte der 80er Jahre dramatisch zurückgegangen. Doch unmittelbar nach den Wirtschaftsreformen von 1985 wurden die realen Staatsausgaben – besonders in den Bereichen Bildung und Gesundheit – um weitere 15 Prozent gekürzt.44 Obwohl die Löhne im modernen Sektor nach offiziellen Zahlen nur um 20 Prozent sanken, fiel die Beschäftigtenzahl auf ein erbärmliches Niveau. Durch den Rückgang der Beschäftigung im modernen Sektor, vor allem durch Entlassungen, war der Rückgang der Einkommen also beträchtlich höher als 20 Prozent.

Das 1985 begonnene IWF-Programm trug zur Stagnation aller großen Sektoren der Volkswirtschaft bei – Bergbau, Industrie und Landwirtschaft – ‚ mit Ausnahme der illegalen Kokawirtschaft und des städtischen Dienstlei-stungssektors. Die bolivianische Wirtschaftsreform hatte also ganz ähnliche Auswirkungen wie in Peru (siehe Kapitel 14).

Die Stagnation in der vom staatlichen Minenkonsortium COMIBOL domi-nierten Bergbauindustrie resultierte aus der Schließung »unprofitabler« Mi-nen und dem gleichzeitigen Zusammenbruch des internationalen Zinn-markts. Die Verschlechterung der Terms of Trade verschärfte die Auswir-kungen der Wirtschaftsreformen noch zusätzlich.

Viele entlassene Bergleute investierten ihre Abfindungen in den Kauf von Land in den Kokaanbaugebieten. Kapital und Arbeitskraft flossen so in die Kokawirtschaft. Die neue Wirtschaftspolitik bot den von COMIBOL entlasse-nen Arbeitern keine alternative Beschäftigungsquelle.

Der Fertigungssektor, der vor allem für den Binnenmarkt produzierte, wurde als Folge der Importliberalisierung teilweise verdrängt, besonders Betriebe der Textil- und Agrarindustrie. Der Schwund der internen Kaufkraft und die Zunahme des Schmuggels taten ein Übriges, um Fertigungsbetriebe in den Bankrott zu treiben.

Was die Landwirtschaft anbelangt, so müssen wir zunächst drei Sektoren voneinander unterscheiden:

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1. Die kleinbäuerliche Wirtschaft (economia campesina) besteht vor allem aus kleinen landwirtschaftlichen Betrieben (parceleros) und bäuerlichen Gemeinschaften (comunidades campesinas), die sich in den Andentälern und auf dem Altiplano konzentrieren. Die bäuerliche Wirtschaft ist das Ergebnis der Agrarreform der 50er Jahre und der Auflösung des Groß-grundbesitzes. Wie in Peru leben die bäuerlichen Gemeinschaften des Hochlandes unter dürftigen Bedingungen: 97 Prozent der Landbevölke-rung werden als »arm« eingestuft, zwischen 48 und 77 Prozent befinden sich in »kritischer Armut«.45

2. Die kommerzielle Landwirtschaft produziert weitgehend für den Export-markt und ist durch mittlere und große Plantagen gekennzeichnet, be-sonders in den neuen landwirtschaftlichen Besiedlungsgebieten im Tief-land (llanos orientales) z.B. im Gebiet von Santa Cruz.

3. Und dann gibt es noch den weit verbreiteten Anbau von Koka, die zu Ko-kapaste weiterverarbeitet und exportiert sowie auf dem heimischen Markt verkauft wird.

Die neue Wirtschaftspolitik schwächte die bäuerliche Landwirtschaft. Die lokalen Getreidemärkte waren vom Zustrom vor allem billiger Weizenimpor-te betroffen, die zum Teil aus Lebensmittelhilfen bestanden, sowie durch Schmuggel aus Argentinien und Brasilien. Der Zustrom drückte die realen Preise für die in Bolivien produzierten Grundnahrungsmittel. Die realen Großhandelspreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse sanken in den drei Jahren nach Einführung der neuen Wirtschaftspolitik 1985 um 25,9 Prozent.

Der Rückgang der realen Erzeugerpreise war außerdem von einem be-trächtlichen Anstieg der Gewinnmargen von Groß- und Einzelhändlern be-gleitet: Händler und Zwischenhändler schöpften zum Nachteil der Direkt-produzenten einen größeren Anteil des Überschusses ab. Der dramatische Anstieg der Transportkosten war ebenfalls ein wichtiger Faktor für den Ein-kommensrückgang der Bauern und die wachsende Kluft zwischen Erzeuger- und Großhandelspreisen.

Das vom IWF geförderte Programm von 1985 steigerte die Produktion landwirtschaftlicher Exporterzeugnisse mitnichten – Ausnahme bestenfalls kommerziell angebaute Sojabohnen aus den Tieflandgebieten. Wie in Peru kam es auch in Bolivien zur Verlagerung der traditionellen Exportlandwirt-schaft in die Kokawirtschaft. Der Drogenstaat. Die bolivianische Wirtschaftselite einschließlich der Ge-schäftsbanken war in den illegalen Drogenhandel eingebunden, wobei die Geld- und Devisenpolitik der Regierung den Geschäftsbanken bei der Geld-wäsche sehr entgegenkam: Das Bankgeheimnis für Devisentransaktionen wurde eingeführt und dadurch die Rückkehr von ins Ausland transferierten Kapitals begünstigt. Auf solche Dollarkonten wurden auch die Erlöse einge-zahlt, die bolivianische Zwischenhändler im Drogenhandel erzielten.

Ungewöhnlich hohe Zinsraten trugen das ihre dazu bei, »heißes« Geld in die bolivianischen Geschäftsbanken zu locken, führten aber zugleich zu ei-

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nem deutlichen Rückgang der produktiven Investitionen. Von 1986 bis 1988 betrugen die Kreditzinsen (in Dollar) zwischen 20 und 25 Prozent im Jahr, die Kredite für Landwirtschaft und Fertigungsindustrie jedoch wurden einge-froren.46

Obwohl ihre makroökonomische Politik die Drogenwirtschaft und Geldwä-sche unmittelbar unterstützte, erließ die Regierung auf Druck der US-Antidrogenbehörde auch Gesetze zur Bekämpfung der Kokaproduktion. In diesem Rahmen wurden mobile Einheiten zur Kontrolle der Kokaanbau-gebiete aufgestellt. Sie gingen jedoch vor allem gegen kleine Kokaprodu-zenten vor, häufig in traditionellen Anbaugebieten, richteten aber nur wenig gegen den Drogenhandel und die mächtigen Interessen aus, die an der Vermarktung und am Export von Kokapaste beteiligt waren. Alles deutet darauf hin, dass diese Einheiten selbst von der Drogenmafia kontrolliert wurden.47

Die Kokawirtschaft genoss unter der Militärdiktatur von García Meza (1980 – 1982) – einem Regime, das international allgemein als »Kokainre-gierung« bezeichnet wurde – von allerhöchster Ebene staatlichen Schutz.48 Daran hat sich auch nach der Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie nichts Wesentliches geändert. Wichtige Finanz- und Indus-trieinteressen haben weiterhin Verbindungen zum Kokahandel, und Erlöse aus dem Drogenhandel dienen immer noch zur Finanzierung von Investitio-nen in moderne Wirtschaftssektoren.

Seit Mitte der 70er Jahre wurde die Entwicklung der städtischen Dienst-leistungswirtschaft für die oberen Einkommensschichten weitgehend von der Drogenwirtschaft finanziert. Drogengelder flossen in die heimische Wirt-schaft zurück und dienten zur Finanzierung von Immobilien, Einkaufszen-tren, Touristik- und Unterhaltungsinfrastruktur usw. Das vom IWF geförder-te Programm verstärkte diese Tendenz.

Mit der neuen Wirtschaftspolitik von 1985 gab die herrschende MNR-Partei unter Gonzalo Sánchez de Lozada ihre populistische Haltung und ihre traditionelle Verbundenheit mit den Gewerkschaften auf und suchte die Un-terstützung der rechtsgerichteten Acción Democratica Nacional (ADN) des ehemaligen Diktators Hugo Banzer. Banzer war mutmaßlich seit Mitte der 70er Jahre eine Schlüsselfigur im illegalen Drogenhandel, und es gibt ein-deutige Beweise, dass Mitglieder seiner Partei zusammen mit hochrangigen Militärs mit der Drogenmafia in Verbindung standen.49

Der »Pakt für Demokratie« zwischen MNR und ADN ermöglichte es der Regierung, verschiedene Gesetze für ihre neue Wirtschaftspolitik durchs Parlament zu bringen, darunter die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Unterdrückung der Arbeiterbewegung.

Auch als 1989 Paz Zamora von der MIR, der revolutionären Linken, Präsi-dent wurde, blieb Banzers nationalistische Partei an der Regierungskoalition beteiligt. Paz Zamora wurde bei der Präsidentschaftswahl von 1989 zwar nur Drittstärkster nach Hugo Banzer und dem Kandidaten der MNR, Gonzalo Sánchez de Lozada, wurde aber durch eine politische Vereinbarung mit Ge-

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neral Banzer zum Präsidenten gewählt, wofür dessen Partei Schlüsselposten im Kabinett erhielt.

Die Regierungskoalition zwischen ADN und MIR verfolgte die makroöko-nomische Politik weiter, die 1985 unter der MNR mit der neuen Wirtschafts-politik begonnen worden war. Die ADN und ihr Führer Hugo Banzer sicher-ten auf diese Weise in zwei demokratisch gewählten Zivilregierungen die politische Kontinuität und den Fortbestand der engen Verbindungen zwi-schen Regierungspolitik und den Interessen des illegalen Kokahandels.

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TEILV Die ehemalige Sowjetunion und die Balkanländer

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16. Die Russische Föderation: Abstieg in die Dritte Welt Der Kalte Krieg war ein Krieg ohne materielle Zerstörung. Der Westen hat gewonnen und diktiert die Bedingungen der Nachkriegszeit. Dabei spielen die Instrumente der makroökonomischen Politik eine ebenso entscheidende wie grausame Rolle, um die Wirtschaft des Besiegten abzuwickeln. Die Re-formen in der ehemaligen Sowjetunion zielen nicht, wie gemeinhin behaup-tet wird, auf den Aufbau einer Marktwirtschaft und einer sozialen Demokra-tie im westlichen Stil ab, sondern auf die Neutralisierung des ehemaligen Feindes. Sie sollen verhindern, dass sich Russland zu einer großen kapita-listischen Macht entwickelt.

Phase 1: Die Schocktherapie vom Januar 1992. Im Herbst 1992 er-läuterte mir ein russischer Wirtschaftswissenschaftler: »Wir leben in Russ-land in einer Nachkriegssituation, aber es, gibt keinen Wiederaufbau. Der Kommunismus und das >Reich des Bösen< sind besiegt, aber der Kalte Krieg, obwohl offiziell beendet, hat seinen Höhepunkt immer noch nicht er-reicht. Den G7-Staaten geht es darum, das Herz der russischen Wirtschaft, den militärisch-industriellen Komplex und unsere Hightech-Industrien zu zerschlagen. Das Ziel des IWF-Wirtschaftsprogramms ist es, uns zu schwä-chen und die Entwicklung einer rivalisierenden kapitalistischen Macht zu verhindern.«1 Die Schockbehandlung im Stil des IWF, die im Januar 1992 in Russland einsetzte, war von Anfang an darauf abgestellt, den Übergang zu einem nationalen Kapitalismus zu verhindern – d.h. zu einer kapitalistischen Volkswirtschaft, die von einer einheimischen Unternehmerklasse kontrolliert und, wie etwa in anderen großen westlichen Nationen, vom Staat wirt-schafts- und sozialpolitisch abgesichert wird. Für den Westen, so muss man daraus schließen, war nun nicht mehr der Sozialismus, sondern der Kapita-lismus der eigentliche Gegner. Ganz offensichtlich ging es um die Fragen: Wie zähmt und unterwirft man den russischen Bären, wie schöpft man die Kompetenzen, die Wissenschaftler, die Technologie ab, wie kauft man das Humankapital auf, wie eignet man sich das geistige Eigentum an? »Wenn der Westen glaubt, dass er uns in einen Ausfuhrhafen für Hochtechnologie verwandeln und unsere Wissenschaftler mit 40 Dollar im Monat abspeisen kann, täuscht er sich gewaltig. Die Leute werden sich dagegen wehren.«

Während die bittere Medizin des IWF einseitig die Interessen der russi-schen Händler und Wirtschaftsmafiosi förderte, brachte sie ihren Patienten um, zerstörte die Volkswirtschaft und trieb die Staatsunternehmen in den Bankrott. Durch bewusste Manipulation der Marktkräfte bestimmten die

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Reformen, welche Sektoren der Wirtschaft überleben sollten. Offizielle An-gaben belegen einen Rückgang der Industrieproduktion von 27 Prozent im ersten Jahr nach den Reformen, manche Ökonomen halten 50 Prozent für wahrscheinlicher.2

Die von Boris Jelzin umgesetzten IWF-Reformen erwiesen sich faktisch als Trittleiter für Russlands Abstieg in die Dritte Welt. Sie gleichen aufs Haar den strukturellen Anpassungsprogrammen, die den Schuldnerländern in Lateinamerika und den Subsaharastaaten aufgezwungen wurden. Der Har-vard-Ökonom Jeffrey Sachs, Berater der russischen Regierung, empfahl Russland die gleiche makroökonomische Radikalkur wie Bolivien, wo er 1985 als Wirtschaftsberater des damaligen Finanzministers Gonzalo Sánchez de Lozada seine Duftmarke gesetzt hatte (siehe Kapitel 15). Aber die durchgeführte Preisliberalisierung beseitigte mitnichten die verzerrte Preisstruktur des Sowjetsystems. Das »Antiinflationsprogramm« von IWF und Weltbank stellte vielmehr einen in sich geschlossenen Plan zur Verar-mung großer Teile der Bevölkerung dar. Die Verbraucherpreise stiegen 1992 um mehr als 9900 Prozent.3 Wie bei den Stabilisierungsprogrammen in der Dritten Welt wurde die Inflation weitgehend durch die »Dol-larisierung« der heimischen Preise und den Zusammenbruch der nationalen Währung herbeigeführt.

Der Brotpreis stieg um mehr als das Hundertfache, von 13 bis 18 Kope-ken im Dezember 1991 (vor den Reformen) auf über 200 Rubel im Oktober 1992. Der Preis für in Russland produzierte Fernseher erhöhte sich von 800 auf 85.000 Rubel. Die Löhne stiegen im Gegensatz dazu nur um annähernd das Zehnfache, d.h. die Realeinkommen sanken um mehr als 80 Prozent. Milliarden von lebenslang ersparten Rubeln wurden vernichtet. Einem Ver-treter des IWF zufolge war es notwendig, die »Liquidität aufzusaugen. Die Kaufkraft war zu groß.«4 Die Regierung »entschied sich für einen möglichst großen >Knall<, um die Geldreserven der Privathaushalte gleich zu Beginn des Reformprogramms zu beseitigen«.5 Ein Berater der Weltbank sagte, diese Ersparnisse der ehemaligen Sowjetbürger seien ohnehin nicht real gewesen: »Sie wurden nur als solche wahrgenommen, weil die Leute nichts kaufen durften.«6 Ein Ökonom der Russischen Akademie der Wis-senschaften sah es anders: »Unter dem kommunistischen System war un-ser Lebensstandard nie wirklich hoch. Aber jeder hatte Arbeit, die Grundbe-dürfnisse konnten gedeckt werden, und die wesentlichen sozialen Dienste standen, obwohl nach westlichen Standards zweitklassig, jedermann frei zur Verfügung. Aber nun ähneln die sozialen Bedingungen in Russland denen der Dritten Welt.«7

Das Durchschnittseinkommen lag unter zehn Dollar im Monat (1992/93), der Mindestlohn (1992) bei drei Dollar im Monat. Ein Universitätsprofessor verdiente umgerechnet acht Dollar, eine Bürokraft sieben, eine qualifizierte Krankenschwester an einer städtischen Klinik sechs Dollar.8 Da die Preise vieler Verbrauchsgüter rasch auf Weltmarktniveau stiegen, reichten diese Gehälter kaum, um Lebensmittel zu kaufen. Ein Wintermantel kostete um-gerechnet 60 Dollar, der Gegenwert von neun Monatslöhnen.

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Dieser Zusammenbruch des Lebensstandards ist in der russischen Ge-schichte beispiellos. Selbst während des Zweiten Weltkriegs, so die verbrei-tete Meinung in der Bevölkerung, gab es mehr zu essen.

Kasten 16.1

Der Lebensstandard in ganz Osteuropa stürzt ab »In Rumänien stiegen die Benzin- und Dieselpreise, die sich bereits An-

fang Januar 1997 verdoppelt hatten, nach der Schockbehandlung des IWF noch einmal um etwa 50 Prozent, der Preis von Bahnkarten um 80 Prozent, die Telefonkosten um 100 Prozent und die für die Elektrizität um 500 Pro-zent… Der IWF und die Weltbank, hinter den Kulissen die Architekten des Plans, stimmten einem Kredit von 400 Mio. Dollar zu, um die am schwer-sten von den Maßnahmen Betroffenen zu entschädigen. Aber angesichts von Millionen Familien, die in diesem Winter bereits auf eine Kost von Kohl und Kartoffeln reduziert sind, besteht die große Gefahr sozialer Unruhen.«

Colin Woodard, »New Leader Aims to Break Romania of Authoritarian-

ism«, San Francisco Chronicle, 24. Februar 1997, S. A 10

Nach den Richtlinien von IWF und Weltbank sollen sich, dem bekannten Muster zufolge, die Sozialprogramme in der Russischen Föderation von nun an selbst finanzieren: Schulen, Krankenhäuser und Kindergärten, ganz zu schweigen von staatlich geförderten Einrichtungen für Sport, Kultur und Kunst, wurden angewiesen, sich durch die Erhebung von Gebühren ihre eigenen Einkommensquellen zu verschaffen.9 Chirurgische Eingriffe koste-ten zwei bis sechs Monatseinkommen; nur die Neureichen konnten sich noch Operationen leisten. Nicht nur Krankenhäuser auch Theater und Muse-en wurden in den Bankrott getrieben. Viele der Errungenschaften des So-wjetsystems in Gesundheit, Erziehung, Kultur und den Künsten – von west-lichen Wissenschaftlern weithin anerkannt – wurden zunichte gemacht.

Auf gewisse Weise blieb dennoch die Kontinuität zum alten Regime erhal-ten. Unter der Maske einer liberalen Demokratie hielt sich der totalitäre Staat. Es entstand eine eigentümliche Mischung aus Spätstalinismus und »freiem« Markt. Jelzin und seine Günstlinge, über Nacht zu glühenden Ver-fechtern des Neoliberalismus geworden, ersetzten ein totalitäres Dogma durch ein anderes, taten alles dazu, die soziale Realität zu schönen, ließen die offiziellen Statistiken über die Realeinkommen fälschen. So konnte noch Ende 1992 der IWF weithin unwidersprochen behaupten, dass der Lebens-standard seit Beginn des Reformprogramms »gestiegen« sei10, und das rus-sische Wirtschaftsministerium die Ansicht vertreten, dass »die Löhne schneller steigen als die Preise«.11 Bloß der berühmte Mann auf der Straße

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hatte so seine eigenen Einsichten: »Die Leute sind ja nicht dumm, wir glau-ben der Regierung einfach nicht. Wir wissen, dass die Preise um das Hun-dertfache gestiegen sind.«12

Das Erbe der Perestrojka und die neue »Basar-Bourgeoisie«. In der Zeit der Perestroika bestand die Hauptquelle des Reichtums darin, irgend-welche kontingentierten und daher notorisch knappen Güter mithilfe von Bestechung und Korruption zu staatlich regulierten Preisen zu ergattern und dann auf dem freien Markt mit Gewinn weiterzuverkaufen. Diese Schatten-geschäfte, an denen sich vor allem Beamte und Parteimitglieder gütlich ta-ten, wurden unter Michail Gorbatschow im Mai 1988 mit dem Gesetz über die Kooperativen legalisiert.13 Nun war die Gründung von Privatunterneh-men und privaten Kooperativen erlaubt, die neben dem System der Staats-betriebe wirtschaften sollten. In vielen Fällen wurden diese Kooperativen von Managern der Staatsunternehmen gegründet. Sie verkauften die von ihrem Staatsunternehmen produzierten Waren zum offiziellen Preis an ihre privaten Kooperativen, d.h. an sich selbst, um sie dann auf dem freien Markt mit großem Gewinn weiterzuverkaufen. 1989 wurde den Kooperati-ven auch erlaubt, ihre eigenen Geschäftsbanken zu gründen und Devisen-geschäfte abzuwickeln. Durch die Beibehaltung eines dualen Preissystems förderten die Unternehmensreformen von 1987 bis 1989 auf diese Weise statt echten kapitalistischen Unternehmertums persönliche Bereicherung, Korruption und die Entwicklung einer »Basar-Bourgeoisie«.

Als aus der Sowjetunion die Russische Föderation wurde, verbarg sich das Geheimnis der ursprünglichen Akkumulation im Prinzip des schnellen Geldes. Die Devise lautete: Den Staat bestehlen, also das Staatseigentum häppchenweise billig kaufen und teuer weiterverkaufen. Die Wiege der neu-en russischen Biznesmany, Ableger der kommunistischen Nomenklatura der Breschnew-Zeit, liegt in der Entwicklung eines »Apparatschik-Kapitalismus«. »Adam biss in den Apfel, und damit kam über den Sozialis-mus die Sünde.«14 Wenig überraschend unterstützten die »Demokraten« das IWF-Programm bedingungslos – was deutlich macht, dass die IWF-Reformen einseitig die Interessen dieser neuen, sich ungeniert berei-chernden Händlerklasse förderten. Die Jelzin-Regierung machte sich un-zweideutig die Aspirationen der Dollar-Elite zu Eigen. Durch die Reformen galt der Rubel nicht länger als sichere Wertanlage. Er stürzte in den Keller, weil die normalen Bürger es vorzogen, ihre Ersparnisse in Dollar anzulegen. Der Dollar wurde nicht nur an der Devisenbörse des Interbankenmarktes gehandelt, sondern er wechselte auch an den Straßenkiosken in der ganzen ehemaligen Sowjetunion frei über den Tresen: »Die Leute kaufen Dollar zu jedem Preis.«15

Die wirtschaftlichen Reformen haben erheblich dazu beigetragen, die Zi-vilgesellschaft zu zerstören und die sozialen Beziehungen erodieren zu las-sen. Das Privatisierungsprogramm mit seiner Plünderung des Staatseigen-tums begünstigte Geldwäsche, Kapitalflucht und die allgemeine Krimina-lisierung der Wirtschaftstätigkeit. Das organisierte Verbrechen durchdringt

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den ganzen Staatsapparat und stellt eine machtvolle Lobby dar, die Jelzins makroökonomische Reformen auf breiter Linie unterstützte. Einer jüngsten Schätzung zufolge war die Hälfte der russischen Geschäftsbanken bis 1993 unter die Kontrolle lokaler Mafias geraten. Die Hälfte des Immobilienbesit-zes in der Moskauer Innenstadt war dem organisierten Verbrechen anheim gefallen.16

Russische Händler konnten staatlichen Unternehmen Öl, Nichteisenmetal-le und strategische Rohstoffe in Rubel abkaufen und in harter Währung an Firmen aus der EU zum zehnfachen Preis weiterverkaufen. Rohöl kostete 1992 z.B. 5200 Rubel (17 Dollar) pro Tonne und ließ sich, wenn erst einmal ein korrupter Beamter durch Bestechung zum Abstempeln einer Exportli-zenz bewogen worden war, auf dem Weltmarkt für 150 Dollar pro Tonne weiterverkaufen.«17 Der Gewinn solcher Transaktionen floss entweder in – importierte – Luxusgüter oder auf ein Bankdepot in einer Steueroase. Ob-wohl offiziell illegal, wurden Kapitalflucht und Geldwäsche durch die Deregu-lierung des Devisenmarktes und die Reformen des Bankensystems erleich-tert. Die Kapitalflucht aus der Russischen Föderation wurde während der ersten Phase der IWF-Reformen auf über eine Milliarde Dollar im Monat ge-schätzt. Und es spricht einiges dafür, dass daran auch prominente Mitglie-der des politischen Establishments beteiligt waren.

Während der allgemeine Lebensstandard zusammengebrochen ist, die Armut rapide um sich gegriffen hat, Industrie und Landwirtschaft darnieder-liegen, ist zugleich ein dynamischer Markt für Luxusgüter entstanden. In den schicken Dollar-Geschäften Moskaus geben sich die Neureichen die Klinke in die Hand. Sie blicken auf die heimischen Waren herab und bevor-zugen Mercedes, BMW, Pariser Haute Couture, ganz zu schweigen von im-portiertem »russischen« Wodka hoher Qualität aus den USA zu 345 Dollar für die Kristallglasflasche – vier Jahreseinkommen eines durchschnittlichen Arbeiters.

Die enormen Profite der neuen Wirtschaftselite werden auch dazu be-nutzt, Staatseigentum »zu einem guten Preis« zu kaufen oder es von den Managern und Belegschaften zu erwerben, sobald es im Rahmen des Anteil-scheinsystems (Voucher) der Regierung privatisiert ist. Weil der Buchwert von Staatseigentum zum jeweiligen Rubelwert künstlich niedrig gehalten wurde (und der Rubel so billig war), konnte man Staatseigentum praktisch für einen Appel und ein Ei kaufen. Schätzungen zufolge entsprach ein realer Vermögenswert von 300.000 Dollar einem Buchwert von lediglich 1000 Dol-lar. Eine Hightech-Raketenfabrik war für eine Million Dollar zu haben, ein Hotel in Moskau kostete weniger als eine Wohnung in Paris. Als im Oktober 1992 die Moskauer Stadtverwaltung eine große Anzahl von Wohnungen ver-steigerte, begannen die Gebote bei einem Rubel.

Die ehemalige Nomenklatura, die neuen Geschäftseliten und die lokalen Mafiosi sind die Einzigen, die Geld und Beziehungen haben, um Eigentum zu erwerben, doch fehlten ihnen sowohl die Fähigkeiten als vermutlich auch die Ambitionen, die russische Industrie zu managen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie eine entscheidende Rolle beim Aufbau der russischen Wirtschaft

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spielen werden. Wie in vielen Ländern der Dritten Welt gedeihen diese »Händlereliten« vor allem durch ihre Beziehung zu ausländischem Kapital.

Die Wirtschaftsreformen begünstigen außerdem die Verdrängung der na-tionalen Produzenten – ob staatlich oder privat – und die Übernahme großer Sektoren der Wirtschaft durch ausländisches Kapital. Viele ausländische Unternehmen ziehen es allerdings vor, mit kleinen Investitionen durch die Hintertür auf den russischen Markt zu gelangen. Dies geschieht häufig über Joint Ventures oder den Kauf heimischer Unternehmen zu sehr niedrigen Preisen. Marlboro und Philip Morris, die amerikanischen Tabakgiganten, ha-ben z.B. bereits die Kontrolle über die staatlichen Produktionsstätten ge-wonnen. British Airways hat sich über Air Russia, ein Joint Venture mit Ae-roflot, Zugang zu den inländischen Flugrouten verschafft. Während wichtige Unternehmen der Leichtindustrie meist geschlossen und ihre Produktion durch Importe ersetzt werden, sind es vor allem die gewinnträchtigeren Be-reiche der russischen Wirtschaft einschließlich der Hightech-Unternehmen des militärisch-industriellen Komplexes, die an Joint Ventures fallen.

Das ausländische Kapital hat jedoch im Großen und Ganzen eine abwar-tende Haltung eingenommen. Die politische Situation ist unsicher, die Risi-ken sind groß: »Wir brauchen Garantien hinsichtlich des Grundeigentums und der Gewinnrückführung in harter Währung.«18

Ausverkauf und Balkanisierung. Damit Russland nicht als eigenständige Macht auf dem Weltmarkt auftreten kann, zielen die aufgeherrschten Re-formen vor allem darauf ab, die einheimische Hightech-Industrie zu schwä-chen, zu zerschlagen und ihre dann verbliebenen Kapazitäten im Verein mit westlichen Partnern für den Export umzurüsten. Es ist ein höchst einträgli-ches Geschäft. Lockheed und Boeing, Rockwell International und andere haben ein Auge auf die russische Luft- und Raumfahrtindustrie geworfen. Amerikanische und europäische Hightech-Firmen – darunter Rüstungsfirmen – können die Dienste von russischen Spitzenwissenschaftlern in Bereichen wie Glasfaseroptik, Computerdesign, Satellitentechnik, Nuklearphysik, um nur ein paar zu nennen, für ein durchschnittliches Monatsgehalt unter 100 Dollar einkaufen, mindestens 50-mal weniger als in Silicon Valley. Es gibt 1,5 Millionen Wissenschaftler und Ingenieure in der ehemaligen Sowjetuni-on – für das westliche Kapital eine beträchtliche Reserve an billigem »Hu-mankapital«. Ein großer Teil des militärisch-industriellen Komplexes untersteht dem Ver-teidigungsministerium. Unter seiner Aufsicht werden verschiedene Konver-sionsprogramme durchgeführt, die mit der NATO und den westlichen Ver-teidigungsministerien ausgehandelt wurden und ebenfalls das Ziel der De-mobilisierung verfolgen. Die AT&T Beil Laboratories haben z.B. durch ein Joint Venture die Dienstleistungen eines ganzen Forschungslabors am Insti-tut für Allgemeine Physik in Moskau erworben. McDonnell Douglas hat eine ähnliche Vereinbarung mit dem Institut für Mechanische Forschung getrof-fen.19

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Kasten 16.2

General Eiectric kauft russische Flugzeugmaschinenfabrik 1996 gewann General Electric mit einer »Investition« von 300.000 Dol-lar die Kontrolle über die riesige russische Flugzeugmotorenfabrik in Ry-binsk am Ufer der Wolga. Während der Sowjetära bestückte die Fabrik mit einer Belegschaft von 22.000 Arbeitern 80 Prozent aller Militär- und 60 Prozent aller Zivilflugzeuge mit ihren Motoren. Die Reformen hatten Rybinsk in den Bankrott getrieben, Vermögenswerte und Buchwert des Unternehmens wurden von westlichen Finanzanalysten extrem unterbe-wertet: Das Kapital des Joint Venture wurde willkürlich auf 600.000 Dol-lar festgesetzt. General Electric wird nicht nur die Produktion von Flugzeugmotoren für Zivilflugzeuge übernehmen, es wird durch die Lieferung von Motoren für Militärjets an das russische Verteidigungsministerium gleichzeitig einer von Russlands wichtigsten Rüstungsproduzenten.

Bei einem der Konversionsprojekte wurden Militärgerät und Industriean-lagen in Metallschrott »umgewandelt« und auf dem Weltrohstoffmarkt ver-kauft. Die Erlöse aus diesen Verkäufen wurden in einen Fonds des Verteidi-gungsministeriums eingezahlt und konnten dann für Importe von Kapital-gütern, den Schuldendienst oder Investitionen in Privatisierungsprogramme verwendet werden.

Seit den Reformen von 1992 und dem Zusammenbruch vieler staatlicher Banken schossen in der ehemaligen Sowjetunion an die 2000 Geschäfts-banken aus dem Boden, davon 500 allein in Moskau. Mit dem Zusammen-bruch der Industrie werden nur die stärksten dieser Geldinstitute und solche mit Verbindungen zu internationalen Banken überleben. Diese Situation begünstigt die Durchdringung des russischen Bankensystems durch auslän-dische Geschäfts- und Joint-Venture-Banken.

Das IWF-Programm zielte außerdem darauf, die Rubel-Zone abzuschaf-fen und den Handel zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken zu untermi-nieren. Die neuen Staaten wurden von Anfang an dazu ermutigt, mit tech-nischer Hilfe des IWF eigene Währungen und Zentralbanken einzuführen. Dieses Vorgehen förderte die wirtschaftliche Balkanisierung: Mit dem Zu-sammenbruch der Rubelzone entwickelten sich kleinere Wirtschaftsmächte, die einseitig den engen Interessen lokaler Tycoons und Bürokraten dienten.

Zwischen Russland und der Ukraine entwickelten sich bittere Finanz- und Handelsstreitigkeiten. Obwohl der Außenhandel mit dem Westen liberalisiert wurde, bauten beide Länder zwischen sich die Grenzen aus, die die freie Bewegung von Waren und Menschen innerhalb der GUS verhindern.

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Phase II: Die IWF-Reformen in der Sackgasse. Die vom IWF geförder-ten Reformen gerieten unter dem kommissarischen Premierminister Jegor Gaidar Ende 1992 in eine Sackgasse. Im Parlament und in der Zentralbank formierte sich Opposition. Der IWF räumte ein, dass möglicherweise bis zu 40 Prozent der Industriebetriebe geschlossen werden müssten, wenn die Regierung ihr Ziel der Haushaltskonsolidierung erreichen wolle. Der Präsi-dent der Zentralbank, Victor Geraschtschenko, traf mit Unterstützung von Arkadij Volskij von der Bürgerunion – in Personalunion Vorsitzender des Verbandes der Industriellen und Arbeitgeber – die Entscheidung, gegen den Rat des IWF die Kredite für Staatsunternehmen auszuweiten und gleichzei-tig die Ausgaben für Gesundheit, Erziehung und Renten drastisch zu kürzen.

Nach der Absetzung von Jegor Gaidar als Premierminister und der Beru-fung Victor Tschernomyrdins zu seinem Nachfolgen im Dezember 1992 lief die Beziehung zwischen Regierung und Parlament auf eine Konfrontation zu. Die Legislative nutzte ihre Kontrollrechte über die Haushalts- und Geld-politik, um die reibungslose Umsetzung des IWF-Programms zu blockieren. Das Parlament verabschiedete Gesetze, die die Privatisierung der staatli-chen Industrie verlangsamten, ausländischen Banken Beschränkungen auf-erlegten und die Vollmachten der Regierung beschnitten, die Subventionen und Sozialausgaben nach den Forderungen des IWF zu kürzen.

Die Opposition gegen die Reformen kam vor allem aus der herrschenden politischen Elite, der gemäßigten Mitte, zu der auch ehemalige Mitarbeiter von Jelzin gehörten. Als parlamentarische Minderheit befürwortete die Bür-gerunion zusammen mit Arkadij Volskijs Unternehmerverband die Ent-wicklung eines nationalen Kapitalismus, während die starke Rolle des Zen-tralstaates erhalten bleiben sollte. Auch die wichtigsten parlamentarischen Gegenspieler Jelzins wie vor allem Aleksander Ruzkoj und Ruslan Chasbula-tow können nicht einfach als kommunistische Hardliner abgetan werden.

Der Regierung gelang es nicht, sich gegen die Legislative durchzusetzen. Nach Monaten der politischen Zuspitzung und einem Volksentscheid, in dem sich Jelzin das Plazet für seine »Reformpolitik« geholt hatte, löste er qua Erlass am 21. September 1993 beide Häuser des Parlaments auf.

Zwei Tage später, am 23. September, gab der IWF-Direktor Michel Cam-dessus zu erkennen, dass die zweite Tranche eines IWF-Kredits von drei Milliarden Dollar nicht ausgezahlt würde, weil Russland vor allem aufgrund der Interventionen des Parlaments seine Verpflichtungen nicht erfüllt hatte. Im April 1993 hatte Präsident Clinton auf dem asiatisch-pazifischen Wirt-schaftsgipfel in Vancouver erklärt, dass westliche Hilfe für Russland an die Durchführung demokratischer Reformen gebunden sei. Die Bedingungen von IWF und westlichen Gläubigern konnten jedoch nur durch die Kaltstel-lung des Parlaments erreicht werden. Als bewaffnete Anhänger Ruzkojs und Chasbulatows das Moskauer Ratbaus besetzten, mussten erst präsidenten-treue Truppen das Weiße Haus am 4. Oktober 1993 stürmen, bevor es Jel-zin endgültig gelang, die politischen Abweichler aus den Reihen der Nomen-klatura in Moskau und den Regionen zu neutralisieren. Jetzt war der Weg für Reformen nach dem Muster des IWF frei.

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Die G7-Staaten unterstützten Jelzins Dekret zur Auflösung beider Häuser des Parlaments im Voraus. Ihre Botschaften waren informiert. Dem Präsi-dentenerlass vom 21. September folgte sofort eine Welle weiterer Erlasse zur Beschleunigung der Wirtschaftsreformen und zur Erfüllung der IWF-Kreditbedingungen, die die russische Regierung im Mai unterzeichnet hatte: Die Kredite an die Staatsunternehmen wurden umgehend beschränkt, die Zinsen erhöht und die Privatisierungen und Handelsliberalisierung beschleu-nigt. Finanzminister Boris Fjodorow, nun von jeder parlamentarischen Kon-trolle befreit, erklärte: »Wir können jeden Haushalt beschließen, den wir wollen.«20

Jelzin hatte den Zeitpunkt seines Erlasses gut gewählt: Sein Finanzmini-ster sollte am 25. September bei einem Treffen der G7-Finanzminister Be-richt erstatten; Außenminister Andrej Kosyrew weilte gerade in Washington, wo er mit Clinton zusammentraf; die Jahreskonferenz von IWF und Welt-bank sollte am 28. September in Washington beginnen; und schließlich war der 1. Oktober der Stichtag für eine Entscheidung über einen IWF-Sofortkredit vor einem Treffen des Londoner Clubs der Gläubigerbanken unter Vorsitz der Deutschen Bank am 8. Oktober. Und am 12. Oktober woll-te Jelzin nach Japan reisen, um Verhandlungen über das Schicksal der Kuri-leninseln im Tausch gegen einen Schuldenerlass und japanische Hilfe aufzu-nehmen.

Nach der Auflösung des Parlaments drückten die G7-Staaten »ihre große Hoffnung aus, dass die jüngsten Entwicklungen Russland helfen werden, einen entscheidenden Durchbruch auf dem Weg zu Marktreformen zu erzie-len«. Der deutsche Finanzminister Theo Waigel erklärte, die russischen Füh-rer müssten deutlich machen, dass sie die Wirtschaftsreformen fortsetzten, da sie andernfalls die internationale Finanzhilfe verlieren würden. Und Mi-chel Camdessus verlieh seiner Erwartung Ausdruck, dass die politischen Entwicklungen in Russland dazu beitragen würden, den Prozess der Wirt-schaftsreform zu beschleunigen.

Doch trotz der westlichen Ermutigungen war der IWF noch nicht bereit, Russland grünes Licht zu geben. Zentralbankpräsident Victor Gerascht-schenko, der für die Bürgerunion eintrat, kontrollierte immer noch die Geld-politik. Eine IWF-Delegation, die Ende September 1993 auf der Höhe der Parlamentsrevolte nach Moskau reiste, um den Fortgang des Reformprozes-ses zu überprüfen, informierte Michel Camdessus, dass die »bereits verkün-deten Pläne der Regierung zur Kürzung von Subventionen und Beschrän-kung der Kredite ungenügend« seien.21

Die Auswirkungen der Wirtschaftserlasse vom September 1993 machten sich sogleich bemerkbar. Die Entscheidungen, die Energiepreise weiter zu liberalisieren und die Zinsen anzuheben, dienten dem Ziel, große Sektoren der russischen Industrie rasch in den Bankrott zu treiben. Als Mitte Oktober 1993 Roskhlebprodukt, das staatliche Getreidehandelsunternehmen, dere-guliert wurde, stiegen die Brotpreise über Nacht von 100 auf 300 Rubel.22

Und diese zweite Welle der Verarmung brach über das russische Volk her-ein, nachdem es bereits im Vorjahr mit einem geschätzten Kaufkraftverlust

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von 86 Prozent hatte fertig werden müssen!23 Da alle Subventionen aus der Staatskasse finanziert worden waren, konnte das eingesparte Geld, wie vom IWF verlangt, in die Bedienung der russischen Auslandsschulden umgelenkt werden.

Die Reform der Haushaltsstruktur, die Finanzminister Boris Fjodorow nach dem Coup vom September 1993 vorschlug, folgte dem Weltbankpro-gramm für Schuldnerländer der Dritten Welt. Es forderte die »Finanzauto-nomie« der Teilrepubliken und der diversen politischen Instanzen durch die Kürzung der Transferleistungen der Zentralregierung und die Umlenkung der staatlichen Finanzressourcen in den Schuldendienst. Die Folge war der Zusammenbruch der Staatsfinanzen, die wirtschaftliche und politische Bal-kanisierung und die Ausweitung der Kontrolle westlichen und japanischen Kapitals über die Wirtschaft der russischen Regionen. »Hilfe« wird zur Zwangsjacke. Bis 1993 hatten die Reformen zu einer massiven Plünderung des Reichtums Russlands und einem beträchtlichen Kapitalabfluss geführt. Das Zahlungsbilanzdefizit lag 1993 bei 40 Mrd. Dol-lar, was etwa der vom Tokioter G7-Gipfel im August des Jahres gewährten »Hilfe« (43 Mrd. Dollar) entsprach. Doch der Großteil dieser westlichen Hilfe war fiktiv: Sie erfolgte weitgehend in Form von Krediten und diente dem nützlichen Zweck, Russlands Auslandsschulden zu vergrößern – zu jener Zeit etwa 80 Mrd. Dollar – und den westlichen Gläubigern einen noch bes-seren Zugriff auf die russische Wirtschaft zu verschaffen. Nur weniger als drei Mrd. wurden tatsächlich ausgezahlt.

Die Umschuldungsvereinbarung mit dem Pariser Club für die Schulden bei staatlichen Gläubigern bot, obwohl auf den ersten Blick großzügig, Russ-land nur eine kurze Atempause. Dabei ging es lediglich um die in der So-wjetzeit gemachten Schulden – um insgesamt 17 Mrd. Dollar, von denen schließlich zwei sofort getilgt werden mussten und die anderen 15 mit einer tilgungsfreien Frist von fünf Jahren über einen Zeitraum von zehn Jahren umgeschuldet wurden. Die massiven Schulden der Regierung unter Jelzin – weitgehend ja eine Folge der Wirtschaftsreformen – waren von den Ver-handlungen von vornherein ausgenommen.

Was die bilateralen Verpflichtungen anging, so bot Präsident Clinton auf dem bereits erwähnten Gipfel in Vancouver magere 1,6 Mrd. Dollar, 970 Mio. davon in Form von Krediten vor allem für Nahrungsmittelkäufe von US-Farmern. Die restlichen 630 Mio. Dollar bestanden aus russischen Zah-lungsrückständen für US-Getreide und wurden durch das »Food for Pro-gress«-Programm des US-Landwirtschaftsministeriums finanziert. Durch die Nahrungsmittelhilfe im Rahmen dieses Programms fand sich Russland un-versehens auf einer Stufe mit den afrikanischen Entwicklungsländern des Subsaharagebiets wieder. Ähnlich verhielt es sich mit der bilateralen Hilfe Japans an Russland. Der Großteil waren Mittel zur Absicherung japanischer Firmen, die in Rußland investierten.24

Das Ergebnis der Ausschaltung der parlamentarischen Opposition im September und Oktober 1993 war, dass sich Moskaus Strategie bei den

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Schuldenverhandlungen mit den Geschäftsbanken umgehend änderte. Wie-der war das Timing von entscheidender Bedeutung. Das russische Verhand-lungsteam forderte beim Treffen des Londoner Clubs Anfang Oktober 1993 in Frankfurt – nur vier Tage nach Erstürmung des Weißen Hauses – weder die Abschreibung der Schulden noch auch nur einen Teilerlass. Die getroffe-ne Vereinbarung sah nur eine zeitlich verschobene Rückzahlung vor: 24 von 38 Mrd. Dollar der Schulden bei privaten Gläubigern sollten umgeschuldet werden. Moskaus Verhandlungsteam akzeptierte sämtliche Bedingungen – bis auf eine: Die Russen weigerten sich, eine Klausel zu akzeptieren, nach der die Gläubigerbanken Rechtsansprüche auf russische Staatsunternehmen und Staatsvermögen hätten geltend machen können, falls das Land seinen Schuldendienstverpflichtungen nicht nachkäme. Für die Geschäftsbanken war das keine bloße Formalität: Der Zusammenbruch der russischen Wirt-schaft, die Zahlungsbilanzkrise und gewachsenen Verbindlichkeiten aus dem Schuldendienst an den Pariser Club trieben Russland in ein »technisches Moratorium«, d.h. de facto in die Zahlungsunfähigkeit.

Die ausländischen Kreditgeber erwogen auch Mechanismen, um die rus-sischen Devisenreserven – bei der Zentralbank und auf den Dollarkonten der russischen Geschäftsbanken – in den Schuldendienst umzulenken, und schielten auch nach den Devisenbeständen von Russen in Steueroasen.

Die drohende Zahlungsunfähigkeit verlieh der Beziehung zwischen Mos-kau und seinen Gläubigern eine neue Qualität: Wie ein unterwürfiges und fügsames Regime der Dritten Welt saß die russische Regierung nun in der Zwangsjacke von Schulden und Strukturanpassung gefangen. Nun konnten die Staatsausgaben brutal zusammengestrichen werden, um staatliche Mit-tel für die Bezahlung der Gläubiger freizusetzen.

Während sich die Krise vertiefte, wurden die russischen Bürger immer mehr in die Vereinzelung getrieben und damit verwundbarer. Formal war eine »Demokratie« errichtet worden, aber die neuen, den Massen enthobe-nen politischen Parteien bedienten vor allem die Interessen von Geschäfte-machern und Apparatschiks. Die Auswirkungen des Privatisie-rungsprogramms auf die Beschäftigung waren vernichtend: Über 50 Prozent der ehedem staatlichen Industriebetriebe waren bis 1993 in den Bankrott getrieben worden. Zudem befanden sich ganze Städte im Ural und in Sibiri-en, die unmittelbar in den militärisch-industriellen Komplex einbezogen und von Staatskrediten und staatlichen Versorgungsleistungen abhängig waren, in der Auflösung. 1994 erhielten nach offiziellen Zahlen die Arbeitnehmer in 33.000 verschuldeten Unternehmen, darunter staatliche Industriebetriebe und Kolchosen, keine regelmäßigen Lohnzahlungen mehr.25 Wenn schon den Politikern und Finanzgewaltigen der G7-Staaten das elende Schicksal der übergroßen Mehrheit der russischen Bürger gleichgül-tig ist, dann sollten sie wenigstens im Interesse des Weltfriedens die Kon-sequenzen ihrer Handlungen sorgfältig überdenken. Die globalen geopoliti-schen Gefahren und Sicherheitsrisiken bei einer weitergehenden Zersetzung und Auflösung der Russischen Föderation sind unabsehbar.

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Kasten 16.3 Sibirien: Wirtschaftlicher und sozialer Ruin Eine Folge der strengen Haushaltspolitik war, dass Moskau die Transferzah-lungen an die Region Sibirien kürzte, die 70 Prozent des Staatsgebiets aus-macht und einen Großteil des russischen Öls und Gases, 100 Prozent seiner Diamanten und die meisten anderen Edelsteine produziert. Die Sparmaß-nahmen führten zu dramatischen Kürzungen der Lieferungen von Treibstoff und notwendigen Verbrauchsgütern an die elf Millionen Einwohner Sibiriens. Alexandre Nazarow zufolge, Gouverneur des Autonomen Bezirks Tschukotka im äußersten Nordosten Russlands, wurde nur noch die Hälfte der Mittel aus Moskau für die jährlichen Lieferungen in entlegene Gebiete ausgezahlt. Konfrontiert mit einer drohenden Katastrophe, ist ganz Sibirien zu einer neuen Grenzregion geworden, die von der Gnade ausländischer Öl- und Bergbaugesellschaften abhängt.

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17. Die »Balkanisierung« Jugoslawiens Als schwer bewaffnete US- und NATO-Truppen den Frieden in Bosnien si-cherten, stellten Presse und Politiker die westliche Intervention im ehemali-gen Jugoslawien als noble, wenn auch schmerzlich späte Reaktion auf den Ausbruch ethnischer Massaker und Menschenrechtsverletzungen dar. Nach dem Friedensabkommen von Dayton im November 1995 beeilte sich der Westen, sein Selbstbild als Retter der Südslawen aufzupolieren und an den »Wiederaufbau« der neu entstandenen »souveränen« Staaten zu gehen.

Die Gründe für den Krieg waren schnell gefunden, die öffentliche Mei-nung im Westen wurde geschickt getäuscht. Nach der landläufigen Auffas-sung, wie sie sich in den Schilderungen Warren Zimmermanns, des ehema-ligen US-Botschafters in Jugoslawien, zeigte, war das Elend des Balkans Ergebnis eines »aggressiven Nationalismus«, das unvermeidliche Resultat von tief verwurzelten ethnischen und religiösen, historisch verankerten Spannungen.26 Außerdem wurde viel Aufhebens vom »Machtspiel« auf dem Balkan und vom Aufeinanderprallen politischer Persönlichkeiten gemacht: Franjo Tudjman und Slobodan Milosevic, so sagte man, hätten Bosnien-Herzegowina in Stücke gerissen.27

Was unter der Flut von Bildern und eigennützigen Analysen verschüttet wurde, sind die wirtschaftlichen und sozialen Gründe des Konflikts. Die tiefe Wirtschaftskrise, die dem Krieg vorausging, ist lange vergessen. Die strate-gischen Interessen Deutschlands und der USA an der Auflösung Jugosla-wiens bleiben unerwähnt, ebenso wie die Rolle der Auslandsgläubiger und der internationalen Finanzorganisationen. In den Augen der globalen Medien tragen die Westmächte keine Verantwortung für die Verarmung und Zerstö-rung einer Nation von 24 Millionen Menschen.

Doch durch ihre Beherrschung des globalen Finanzsystems trugen die westlichen Mächte dazu bei, in Verfolgung ihrer nationalen und gemeinsa-men strategischen Interessen die jugoslawische Wirtschaft auf die Knie zu zwingen, und fachten die schwelenden sozialen und ethnischen Konflikte des Landes an. Nun sind es die kriegsverwüsteten Nachfolgestaaten Jugo-slawiens, die versuchen müssen, die Gunst der Gnadenbeweise der interna-tionalen Finanzgemeinschaft zu erlangen.

Während sich die Welt noch auf Truppenbewegungen und Waffenstill-stände konzentrierte, waren die internationalen Finanzorganisationen längst eifrig dabei, die Auslandsschulden des ehemaligen Jugoslawien von den Nachfolgestaaten einzutreiben und den Balkan in einen sicheren Hafen für freies Unternehmertum zu verwandeln. Mit dem von NATO-Gewehren gesi-cherten bosnischen Friedensabkommen präsentierte der Westen Ende 1995 ein »Wiederaufbau«-Programm, das dieses geschundene Land seiner Sou-veränität in einem Maße beraubte, wie es in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr geschehen war. Das Programm bestand

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weitgehend daraus, aus Bosnien ein geteiltes Land unter militärischer Be-satzung der NATO und unter westlicher Administration zu machen. Neokolonie Bosnien. Mit dem Abkommen von Dayton, das eine bosnische »Verfassung« schuf, installierten die USA und ihre europäischen Verbünde-ten in Bosnien eine voll ausgebildete Kolonialadministration. An ihrer Spitze stand zunächst der UN-Sonderbeauftragte Carl Bildt, ein ehemaliger schwe-discher Premierminister und EU-Vertreter in den bosnischen Friedensver-handlungen. Bildt erhielt volle Exekutivgewalt in allen Zivilangelegenheiten mit dem Recht, die Regierungen der bosniakisch-kroatischen Föderation Bosnien und Herzegowina sowie der Republika Srpska, der serbischen Ge-bietseinheit Bosniens zu überstimmen. Um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen, bestimmte das Abkommen, dass der »Sonderbeauftragte die letzte Autorität im Hinblick auf die Interpretation der Vereinbarungen ist«.28 Er sollte mit dem Oberkommando der Internationalen Schutztruppe (IFOR) ebenso zusammenarbeiten wie mit den Gläubigern und Kreditgebern.

Der UN-Sicherheitsrat hatte dem Sonderbeauftragten auch eine interna-tionale Polizeitruppe unterstellt.29 Zum Kommandeur dieser 1700 Polizisten aus 15 Ländern wurde der Ire Peter Fitzgerald ernannt, der Erfahrungen bei UN-Polizeieinsätzen in Namibia, El Salvador und Kambodscha hatte.

Die neue Verfassung, die dem Dayton-Abkommen als Anhang beigefügt war, überantwortete die Herrschaft über die Wirtschaftspolitik dem IWF, der Weltbank und der Osteuropabank (EBWE) mit Sitz in London. Der IWF wur-de ermächtigt, den ersten Präsidenten der bosnischen Zentralbank zu er-nennen, der, wie der Sonderbeauftragte, »kein Bürger von Bosnien und Herzegowina oder eines Nachbarstaates« sein sollte. Unter der Regent-schaft des IWF ist es der Zentralbank allerdings nicht erlaubt, Zentralbank-funktionen auszuüben: >In den ersten sechs Jahren… darf sie keine Kredite durch Geldschöpfung gewähren und operiert in dieser Hinsicht als Wäh-rungsrat.<30 Bosnien ist es auch nicht erlaubt, seine eigene Währung einzu-führen, und darf Banknoten nur dann ausgeben, wenn sie voll durch Devi-sen gedeckt sind. Somit kann das Land auch nicht seine internen Kapital-ressourcen mobilisieren: Die Möglichkeit, den Wiederaufbau des Landes durch eine unabhängige Geldpolitik selbst zu finanzieren, wurde von Anfang an vereitelt.

Während die Zentralbank unter Vormundschaft des IWF steht, leitet die Osteuropabank eine Kommission, die seit 1996 die Tätigkeit aller Staatsun-ternehmen in Bosnien beaufsichtigt, darunter in den Bereichen Energie, Wasser, Post, Telekommunikation und Transport. Der Präsident der Bank ernennt den Kommissionsvorsitzenden und ist für die Umstrukturierung des öffentlichen Sektors verantwortlich, d.h. für den Verkauf von Staatsunter-nehmen und Kollektivbetrieben, sowie für die Beschaffung langfristiger In-vestitionsmittel.31

Während der Westen seine Unterstützung für die Demokratie verkündet, ruht die tatsächliche politische Macht in Bosnien in den Händen einer »Parallelregierung«, deren Leitungspositionen mit Ausländern besetzt sind. Die westlichen Kreditgeber haben ihre Interessen in einer Verfassung verankert, die in ihrem Namen hastig entworfen wurde. Sie taten dies ohne

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die in ihrem Namen hastig entworfen wurde. Sie taten dies ohne verfas-sunggebende Versammlung und ohne Beratungen mit bosnischen Bürgeror-ganisationen. Ihre Pläne für den Wiederaufbau Bosniens sind besser dafür geeignet, die Gläubiger des Landes zufrieden zu stellen, als auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bosnier zu befriedigen. Die Neokoloniali-sierung Bosniens war ein logischer Schritt im Rahmen westlicher Bemühun-gen, das jugoslawische Experiment eines »Marktsozialismus« und der Arbei-terselbstverwaltung zu beseitigen und den Nachfolgestaaten das Diktat des »freien Marktes« aufzuzwingen. Die »stille Revolution« des Nationalen Sicherheitsrates. Der soziali-stische Vielvölkerstaat Jugoslawien war einst eine regionale und durchaus erfolgreiche Industriemacht. In den 60er und 70er Jahren betrug das Wach-stum des Bruttoinlandsprodukts im Durchschnitt 6,1 Prozent, die Gesund-heitsversorgung war frei, die Alphabetisierungsrate lag bei 91 Prozent, die Lebenserwartung bei 72 Jahren. Aber nach einer Dekade westlicher »Wirt-schaftshilfe« und einem Jahrzehnt des Zerfalls, Krieges, Boykotts und Em-bargos lag die Wirtschaft des ehemaligen Jugoslawien am Boden, war ihre industrielle Basis zerstört.

Jugoslawiens Implosion war zum Teil das Werk der USA. Trotz der Block-freiheit des Landes und seiner relativ intensiven Handelsbeziehungen mit den EU-Staaten und den USA nahm die Reagan-Regierung die jugoslawi-sche Wirtschaft in einer geheimen Direktive des Nationalen Sicherheitsrates von 1984 (NSDD 133) mit dem Titel »US-Politik gegenüber Jugoslawien« aufs Korn. 1990 wurde die zensierte Fassung einer früheren Direktive über Osteuropa von 1982 (NSDD 64) veröffentlicht, die für »größere Anstren-gungen« eintrat, »um eine >stille Revolution< zum Sturz der kommunisti-schen Regierungen und Parteien« zu fördern und die Länder Osteuropas in eine marktorientierte Wirtschaft einzugliedern.32

Bereits 1980, kurz vor dem Tod Josip Titos, hatten sich die USA zusam-men mit den anderen internationalen Gläubigern Belgrads zusammengetan, um erste Wirtschaftsreformen in Jugoslawien zu erzwingen. Diese erste Runde von Umstrukturierungen gab das Muster der folgenden vor.

Separatistische Tendenzen, die sich aus sozialen und ethnischen Unter-schieden nährten, gewannen genau in dieser Periode brutaler Verarmung der jugoslawischen Bevölkerung an Einfluss. Die Wirtschaftsreformen »rich-teten ein wirtschaftliches und politisches Chaos an… Langsameres Wach-stum, die Anhäufung von Auslandsschulden und besonders die Kosten des Schuldendienstes und die Abwertung führten zu einem Sinken des durch-schnittlichen Lebensstandards der Jugoslawen… Die Wirtschaftskrise be-drohte die wirtschaftliche Stabilität… Sie drohte außerdem die schwelenden ethnischen Spannungen zu verschärfen.«33

Diese Reformen, begleitet von Umschuldungsvereinbarungen mit staatli-chen und privaten Gläubigern, dienten auch dazu, die bundesstaatlichen Institutionen zu schwächen, indem sie politische Gegensätze zwischen Bel-grad und den Regierungen der Bundesstaaten und autonomen Provinzen

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schürten. »Die Premierministerin Milka Planinc, die das Programm durchfüh-ren sollte, musste dem IWF einen sofortigen Anstieg der Diskontsätze und noch weitere Maßnahmen aus dem Arsenal der Reagonomics verspre-chen.«34 Und während der ganzen 80er Jahre verschrieben IWF und Welt-bank Jugoslawien in regelmäßigen Abständen weitere Dosen ihrer bitteren Medizin, während die Wirtschaft des Landes langsam ins Koma fiel.

Von Anfang an liefen die aufeinander folgenden IWF-Programme auf die Auflösung des jugoslawischen Industriesektors hinaus. Nach der Anfangs-phase der makroökonomischen Reform 1980 sank das Industriewachstum bis 1987 auf 2,8 Prozent, stürzte zwischen 1987 und 1988 auf null Prozent und verwandelte sich bis 1990 in ein negatives Wachstum von zehn Pro-zent.35 Die damit einhergehenden Effekte sind den Lesern dieses Buches mittlerweile nur allzu vertraut: Auflösung des Wohlfahrtsstaates, wachsende Auslandsverschuldung, sinkender Lebensstandard.

Im Herbst 1989, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer, traf der jugosla-wische Premierminister Ante Markovic in Washington mit Präsident Bush zusammen, um Verhandlungen über ein neues finanzielles Hilfspaket abzu-schließen. Im Gegenzug willigte Jugoslawien in noch umfassendere Wirt-schaftsreformen ein, vor allem in die Beseitigung der von den Arbeitern selbst verwalteten Betriebe in Kollektivbesitz.36 Die Belgrader Nomenklatura hatte mit Unterstützung westlicher Berater den Boden für Markovics Mission bereitet und schon vorher mit vielen der geforderten Reformen begonnen, darunter mit einer weitgehenden Aufhebung ausländischer Investitions-beschränkungen. Die Schocktherapie zeigt Wirkung. Die Schocktherapie begann im Janu-ar 1990 mit einer Sofortvereinbarung mit dem IWF und einem Strukturan-passungskredit der Weltbank. Obwohl die Inflation die Einkommen aufge-zehrt hatte, ordnete der IWF die Einfrierung der Löhne auf dem Niveau von Mitte November 1989 an. Die Preise stiegen weiterhin ungehemmt, und die Reallöhne brachen in den ersten sechs Monaten von 1990 um 41 Prozent ein.37 Und die Staatseinnahmen, die als Transferzahlungen an die Republi-ken hätten gehen sollen, wurden stattdessen für den Schuldendienst Bel-grads beim Pariser und Londoner Club verwendet. Die Republiken und au-tonomen Provinzen blieben weitgehend auf sich gestellt.

Mit einem Schlag hatten die Reformen den Zusammenbruch der jugosla-wischen Haushaltsstruktur herbeigeführt und die föderalen politischen Insti-tutionen tödlich getroffen. Durch die Kappung der Finanzadern zwischen Belgrad und den Republiken fachten die Reformen separatistische Ten-denzen an, die sich aus ethnischen Spannungen speisten und durch die schwierige Wirtschaftslage Auftrieb erhielten. Die vom IWF ausgelöste Haushaltskrise schuf somit vollendete Tatsachen: Sie führte de facto zur wirtschaftlichen Spaltung Jugoslawiens und ebnete den Weg für Kroatiens und Sloweniens formale Abspaltung im Juni 1991.

Daneben trafen die von Belgrads Gläubigern verlangten Reformen ins Herz der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung. »Das Ziel«, so ein Beob-

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achter, »bestand darin, die jugoslawische Wirtschaft massiv zu privatisieren und den öffentlichen Sektor aufzulösen. Man warb besonders um die kom-munistische Parteibürokratie, vor allem um das Militär und den Geheim-dienst, und stellte politische und wirtschaftliche Unterstützung in Aussicht, unter der Bedingung einer umfassenden Beseitigung der sozialen Absiche-rung der jugoslawischen Arbeitnehmer.«38 Es war ein Angebot, das ein ver-zweifeltes Jugoslawien angesichts seines zunehmenden Minuswachstums nicht ablehnen konnte: 1991 ging das Bruttoinlandsprodukt um weitere 15 Prozent zurück, die Industrieproduktion fiel sogar um 21 Prozent.39 Das 1989 verabschiedete Unternehmensgesetz sah die Umwandlung der Kollek-tivbetriebe in privatkapitalistische Unternehmen vor. Die Arbeiterräte und Leitungskollektive sollten durch so genannte »Sozialausschüsse« unter Kon-trolle der Eigentümer – und ihrer Gläubiger – ersetzt werden.40

Die jugoslawischen Industrieunternehmen waren sorgfältig begutachtet worden. Im Rahmen der von IWF und Weltbank geförderten Reformen wurden die Kredite für den Industriesektor eingefroren, um den Abwick-lungsprozess zu beschleunigen. Diese Abwicklungsmechanismen – so ge-nannte exit mechanisms – waren in einem 1989 verabschiedeten Unter-nehmensfinanzierungsgesetz geregelt: War ein Unternehmen 30 Tage hin-tereinander bzw. 30 Tage innerhalb eines Zeitraums von 45 Tagen zah-lungsunfähig, musste binnen zweier Wochen ein Insolvenzverfahren einge-leitet werden.41 Dieser Mechanismus erlaubte es Gläubigern – darunter na-tionalen und internationalen Banken – in schöner Regelmäßigkeit, ihre Dar-lehen in Mehrheitsanteile an den insolventen Unternehmen umzuwandeln. Der Staat durfte dabei nicht intervenieren. Konnte kein Vergleich erzielt werden, war die Einleitung eines Konkursverfahrens vorgeschrieben, bei dem gewöhnlich die Beschäftigten leer ausgingen.

Nach offiziellen Angaben mussten 1989 schon 248 Firmen Konkurs an-melden oder wurden liquidiert. Das betraf 89.400 Arbeiter. In den ersten neun Monaten des Jahres 1990, direkt nach Einführung des IWF-Programms, teilten weitere 889 Unternehmen mit insgesamt 525.000 Arbei-tern dasselbe Schicksal.42 In weniger als zwei Jahren hatten die Abwick-lungsmechanismen der Weltbank folglich 614.000 von insgesamt 2,7 Millio-nen Industriearbeitern der Arbeitslosigkeit überantwortet. Am stärksten waren Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und der Kosovo von Un-ternehmenskonkursen und Entlassungen betroffen. Viele Kollektivbetriebe versuchten, dem Bankrott dadurch zu entgehen, dass sie die Löhne nicht auszahlten. Eine halbe Million Arbeitnehmer, etwa 20 Prozent der Beschäf-tigten in der Industrie, erhielt in den ersten Monaten von 1990 keinen Lohn. Die Angaben über die Unternehmensschließungen von 1989 und 1990 bele-gen den schieren Umfang und die Brutalität des Wegbrechens der indus-triellen Basis in Jugoslawien in den Monaten vor der Abspaltung Kroatiens und Sloweniens Mitte 1991, und doch zeigen sie nur einen Ausschnitt zu Beginn des »Bankrottprogramms«, das sich in den jugoslawischen Nachfol-gestaaten in den Jahren nach dem Dayton-Abkommen unvermindert fort-setzte.

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Kasten 17.1 Das Konkursprogramm der Weltbank in Osteuropa Die Konkursprogramme, die Bulgarien, Rumänien und Ungarn aufgezwun-gen wurden, sind exakte Kopien des Programms, das 1989 in Jugoslawien vorexerziert wurde. In Rumänien zielte das Konkursprogramm von 1991 darauf ab, 6000 Staatsunternehmen durch Liquidation, Konkurs oder Privatisierung aufzulö-sen. Staatliche Subventionen wurden beseitigt, Währungsabwertung und Preisliberalisierung fachten die Inflation an; der Anstieg der Energiepreise und Zinsen verstärkte den wirtschaftlichen Niedergang. Nach Quellen der Weltbank wurde zwischen 1991 und 1994 etwa eine Million Arbeitnehmer entlassen, nachdem Bukarest das Konkursprogramm eingeführt hatte. Der Weltbank zufolge zeichnet sich »ein wohl konzipiertes Konkursrecht durch geregelte Verfahren sowohl für die Liquidation als auch für die Um-strukturierung von Problemfirmen aus, die eine geordnete Abwicklung für scheiternde Unternehmen sichern. Ein solches Recht bietet kranken, aber potentiell lebensfähigen Firmen einen Anreiz zur Umstrukturierung. Und es fördert den Kreditzustrom von schützenden Kreditgebern.« Im Rahmen des ungarischen Konkursgesetzes von 1992 waren Manager von Unternehmen mit Zahlungsrückständen von mehr als 90 Tagen gezwungen, die Umstruk-turierung oder Liquidation ihrer Firmen in die Wege zu leiten. Stimmten die Gläubiger dem Umstrukturierungsplan nicht zu, wurde die Firma liquidiert. 17.000 ungarische Unternehmen gingen im Lauf der Jahre 1992 und 1993 in Liquidation, 5000 wurden umstrukturiert. Auch hier war Massenar-beitslosigkeit die Folge. Die Weltbank räumt bereitwillig die »Härten« des Bankrottprogramms ein: »Die bulgarischen Privathaushalte mussten im Allgemeinen große Einbußen ihres Einkommens und der Sozialleistungen hinnehmen. Einige Schlüs-selindikatoren im Gesundheitsbereich haben sich verschlechtert: Die Kin-dersterblichkeit ist gestiegen und die Lebenserwartung von Männern ist um zwei Jahre gefallen.« In Russland, wo die Lebenserwartung von Männern in weniger als fünf Jahren von 64 auf 58 Jahre gesunken ist, schreibt die Weltbank diesen Trend wie beiläufig »einem ursächlichen Zusammenhang zwischen schlechteren Lebensbedingungen, Stress und Alkoholkonsum« zu. Weltbank, From Plan to Market. World Development Report 1997, Washing-ton, D.C. 1997, S. 91

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Die Weltbank schätzte, dass von den im September 1990 verbliebenen 7531 Unternehmen immer noch 2435 Verluste schrieben.43 Diese 2435 Fir-men mit einer Gesamtbelegschaft von 1,3 Millionen Arbeitnehmern wurden im Rahmen des Unternehmensfinanzierungsgesetzes als »insolvent« einge-stuft und waren nun ebenfalls mit der sofortigen Einleitung eines Konkurs-verfahrens bedroht. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass bereits vor dem September 1990 600.000 Arbeitnehmer entlassen worden waren, legen diese Zahlen nahe, dass die internationalen Finanzorganisationen etwa 1,9 Millionen Beschäftigte von insgesamt 2,7 Millionen als »überschüssig« ein-stuften. Die insolventen Firmen stammten vor allem aus dem Energiesektor, der Schwer-, Textil- und Metallverarbeitenden Industrie sowie der Forstwirt-schaft. Sie gehörten zu den größten Unternehmen des Landes und reprä-sentierten in jenem September 49,7 Prozent der verbliebenen Gesamtbe-legschaft im Industriesektor.44

Die Realeinkommen befanden sich im freien Fall, die Arbeitslosigkeit nahm überhand, in der Bevölkerung verbreitete sich eine Atmosphäre von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Der jugoslawische Präsident Borislav Jovic warnte, dass die Reformen »entschieden ungünstige Auswirkungen auf die Gesamtsituation der Gesellschaft haben… Die Bürger haben den Glauben an den Staat und seine Institutionen verloren… Eine weitere Ver-tiefung der Wirtschaftskrise und die Zunahme sozialer Spannungen würde politische Sicherheit entscheidend verschlechtern.«45

Die politische Ökonomie der Sezession. Eine Minderheit der jugoslawi-schen Bevölkerung schloss sich zusammen, um einen aussichtslosen Kampf gegen die Zerstörung ihrer Wirtschaft und Politik zu führen. »Der Wider-stand der Arbeiter«, so ein Beobachter, »überwand die ethnischen Trennli-nien, als sich Serben, Kroaten, Bosnier und Slowenen mobilisierten… Schul-ter an Schulter mit ihren Arbeitskollegen.«46 Aber der wirtschaftliche Kampf verschärfte auch die bereits angespannten Beziehungen unter den Republi-ken und mit der Bundesregierung.

Serbien lehnte den Sparplan rundheraus ab, und an die 650.000 Arbeiter begehrten gegen die Bundesregierung auf, um Lohnerhöhungen zu erzwin-gen.47 Die anderen Republiken gingen andere und zuweilen widersprüchli-che Wege.

Im relativ wohlhabenden Slowenien unterstützten separatistische Führer wie der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Joze Pucnik, die Re-formen: »Von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, kann ich sozial schädlichen Entwicklungen wie wachsender Arbeitslosigkeit und der Beschneidung der Rechte von Arbeitnehmern in unserer Gesellschaft nur zustimmen, da sie notwendig sind, um den wirtschaftlichen Reformprozess voranzubringen.«48 Gleichzeitig wehrten sich jedoch die führenden sloweni-schen Politiker gegen die Bemühungen der Bundesregierung, die wirt-schaftliche Autonomie ihrer Republik zu beschneiden. Dem Kroaten Franjo Tudjman und dem Serben Slobodan Milosevic ging es eher um die Versuche Belgrads, die strengen Reformen im Namen des IWF durchzusetzen.49 Aber

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trotz ihrer unterschiedlichen Überzeugungen in wirtschaftspolitischen Fra-gen taten sie sich doch im Widerstand gegen die Bundesregierung zusam-men.

Die ersten freien Wahlen im Mai 1990 gewannen in allen Republiken se-paratistische Koalitionen aus gewendeten Kommunisten oder frisch bekehr-ten Nationalisten. So wie der wirtschaftliche Zusammenbruch die separati-stischen Bestrebungen verstärkt hatte, verschärfte der Separatismus um-gekehrt die Wirtschaftskrise. Die Zusammenarbeit unter den Republiken kam zum Erliegen. Aus reinem Machtkalkül schürten die frisch installierten Republikführungen bewusst die sozialen und wirtschaftlichen Gegensätze: »Die republikanischen Oligarchien, die alle ihre eigenen Visionen einer >na-tionalen Renaissance< hatten, entschieden sich – statt zwischen einem ei-genständigen jugoslawischen Markt und der Hyperinflation zu wählen – für den Krieg, der die wirklichen Ursachen der Wirtschaftskatastrophe nur ver-schleierte.«50

Das gleichzeitige Auftauchen von Milizen, die nur ihren separatistischen Führern loyal ergeben waren, beschleunigte den Abstieg ins Chaos. Diese Milizen, verdeckt finanziert von den USA und Deutschland, fragmentierten mit ihren eskalierenden Gräueltaten die Reste der bundesstaatlich orientier-ten Arbeiterbewegung und spalteten die Bevölkerung nach ethnischen Grenzen. Und als sich die Republiken untereinander an die Kehle sprangen, stürzten die Wirtschaft und die Nation in einen teuflischen Abgrund.

Die Sparmaßnahmen hatten die Grundlage für die Rekolonialisierung Südeuropas gelegt. Ob dafür Jugoslawien unbedingt auseinander brechen musste, ob also wahrhaftig eine »Balkanisierung« des Balkans auf der Ta-gesordnung stand, war unter den Westmächten umstritten. Deutschland drängte auf Unterstützung der Separatisten, während die USA, besorgt, eine nationalistische Pandorabüchse zu öffnen, zunächst für den Erhalt Ju-goslawiens plädierten.

Nach dem Wahlsieg von Franjo Tudjman und seiner rechtsgerichteten Demokratischen Union in Kroatien im Mai 1990 gab der deutsche Außenmi-nister Hans-Dietrich Genscher der in fast täglichem Kontakt zu seinem Kol-legen in Zagreb stand, grünes Licht für die Abspaltung Kroatiens. Deutsch-lands Unterstützung war nicht passiv; es übte diplomatischen Druck aus und drängte seine westlichen Verbündeten, Slowenien und Kroatien anzuer-kennen. Deutschland wollte sich unter seinen Alliierten freie Hand verschaf-fen, »um wirtschaftliche Dominanz über Mitteleuropa zu gewinnen«.51

Washington andererseits »befürwortete eine lose Einheit und ermutigte die demokratische Entwicklung«. Der US-Außenminister James Baker rich-tete Tudjman und dem slowenischen Präsidenten Milan Kucan aus, »dass die USA eine einseitige Abspaltung nicht ermutigen oder unterstützen wür-den… Wenn sie aber gehen müssten, sollte dies durch eine Verhandlungslö-sung geschehen.«52 In der Zwischenzeit hatte der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das alle Finanzhilfen an Jugoslawien unterband und auch von IWF und Weltbank verlangte, alle Kredite an Belgrad einzufrieren. Die CIA bezeichnete das Gesetz beiläufig als »unterschriebenen Totenschein« für Jugoslawien. Und das US-Außenministerium bestand darauf, dass die jugo-

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slawischen Republiken, die als tatsächliche politische Einheiten angesehen wurden, »getrennte Wahlen abhalten, bevor einzelnen Republiken weitere Hilfe gewährt werden konnte«.53

Dayton und die Folgen. Nach dem Dayton-Abkommen vom November 1995 wandten die westlichen Kreditgeber ihre Aufmerksamkeit den jugo-slawischen Nachfolgestaaten zu. Jugoslawiens Auslandsschulden waren akribisch auf die einzelnen Republiken aufgeteilt worden, die nun im Wür-gegriff getrennter Umschuldungen und Vereinbarungen über Struk-turanpassungen steckten.54

Unter den Geberländern und internationalen Institutionen herrschte Ei-nigkeit, dass die bisherigen makroökonomischen Reformen des IWF, die Jugoslawien aufgezwungen worden waren, ihr Ziel nicht ganz erreicht hat-ten und eine weitere Schocktherapie erforderlich wäre, um die »wirtschaftli-che Gesundheit« der Nachfolgestaaten wiederherzustellen. Kroatien, Slowe-nien und Mazedonien stimmten Kreditpaketen zu, um ihren Anteil an den jugoslawischen Schulden zu übernehmen, was eine Fortsetzung des unter Ante Markovic begonnenen Konkursprogramms erforderte. Das nur allzu vertraute Muster herbeigeführter Fabrik- und Bankenschließungen und der Verarmung der Bevölkerung setzt sich seit 1996 unvermindert fort. Und wer musste die IWF-Diktate ausführen? Die Führer der neuen souveränen Staa-ten, die vorbehaltlos mit den Gläubigern zusammenarbeiten.

In Kroatien war die Regierung unter Tudjman gezwungen, bereits 1993 auf der Höhe des Bürgerkrieges eine Vereinbarung mit dem IWF zu unter-zeichnen. Im Tausch gegen frische Kredite vor allem zur Bedienung der Auslandsschulden Zagrebs stimmte die Regierung Kroatiens weiteren Fa-brikschließungen und Konkursen zu, was die Löhne auf ein erbärmliches Niveau trieb. Die offizielle Arbeitslosenrate stieg von 15,5 Prozent 1991 auf 19,1 Prozent 1994.55

Zagreb führte auch ein weit strengeres Konkursgesetz ein, zusammen mit Verfahren zur »Entflechtung« großer staatlicher Versorgungsunterneh-men. In ihrer Absichtserklärung an IWF und Weltbank versprach die kroati-sche Regierung, den Bankensektor mithilfe der Osteuropa- und der Welt-bank zu restrukturieren und völlig zu privatisieren, um den kroatischen Ka-pitalmarkt für westliche institutionelle Anleger und Maklerfirmen zu öffnen.

Die Regierung in Zagreb kann nun durch finanz- und geldpolitische Mittel keine eigenen produktiven Ressourcen mobilisieren. Die massiven Haus-haltskürzungen, die die Vereinbarung forderte, vereitelten nach dem Krieg die Möglichkeit eines eigenen Wiederaufbaus. Dieser lässt sich nur durch fri-sche ausländische Kredite finanzieren – ein Prozess, der Kroatiens Ver-schuldung bis weit ins 21. Jahrhundert hinein garantiert.

Mazedonien folgte einem ähnlichen wirtschaftspolitischen Pfad. Im De-zember 1993 stimmte die Regierung in Skopje zu, die Reallöhne zu drücken und die Kredite einzufrieren, um vom IWF eine Anleihe zu erhalten. Unge-wöhnlich war, dass sich auch der milliardenschwere Spekulant George Soros an der internationalen Unterstützergruppe – bestehend aus den Niederlan-den und der Baseler Bank für internationalen Zahlungsausgleich – beteilig-

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te. Das Geld der Unterstützergruppe war jedoch nicht für den Wiederaufbau gedacht, sondern sollte Skopje nur in die Lage versetzen, seine rückständi-gen Schulden an die Weltbank zu begleichen.56

Im Tausch gegen eine Umschuldung musste die Regierung des mazedo-nischen Premierministers Branko Crvenkovski außerdem der Liquidation der verbliebenen »insolventen« Unternehmen zustimmen und die »überschüssi-gen« Beschäftigten entlassen – das war etwa die Hälfte aller mazedo-nischen Industriearbeiter. Wie der stellvertretende Finanzminister Hari Ko-stov nüchtern anmerkte, war es angesichts der astronomischen Höhen, in denen sich die Zinsraten durch die von den Gläubigern geforderte Banken-reform bewegten, »wortwörtlich unmöglich, ein Unternehmen im Land zu finden, das in der Lage war…, kostendeckend zu arbeiten«

Insgesamt war die wirtschaftliche Therapie des IWF in Mazedonien eine Fortsetzung des »Bankrottprogramms«, das 1989/90 im jugoslawischen Bundesstaat begonnen worden war. Die profitabelsten Unternehmen wur-den an der mazedonischen Börse verkauft, aber diese Versteigerung führte zum Kollaps der Industrie und wuchernder Arbeitslosigkeit.

Und das globale Kapital applaudierte. Trotz der sozialen Krise und der Abwicklung eines erheblichen Teils der Wirtschaft informierte der mazedoni-sche Finanzminister Ljube Trpevski die Presse 1996 stolz, dass Weltbank und IWF Mazedonien im Hinblick auf die Übergangsreformen zu den er-folgreichsten Ländern zählten.58 Der Leiter der IWF-Delegation in Mazedoni-en, Paul Thomsen, pflichtete ihm bei und nannte die Ergebnisse des Stabili-sierungsprogramms »beeindruckend«, besonders die »effiziente Lohnpoli-tik« der Regierung in Skopje. Freilich bestanden seine Unterhändler darauf, dass trotz dieser Leistungen noch weitere Haushaltskürzungen erforderlich seien.

Doch in Bosnien war die westliche Intervention am gravierendsten. Die neokoloniale Administration, erzwungen durch das Dayton-Abkommen und gestützt durch die Feuerkraft der NATO, stellte sicher, dass Bosniens Zu-kunft in Washington, Berlin und Brüssel bestimmt wurde, statt in Sarajewo.

Die bosnische Regierung schätzte die Wiederaufbaukosten nach dem Ab-kommen von Dayton auf 47 Mrd. Dollar. Die westlichen Kreditgeber hatten anfänglich drei Milliarden Dollar Wiederaufbaukredite in Aussicht gestellt, von denen nur ein Teil tatsächlich gewährt wurde. Zudem war ein Teil des frischen Geldes als Ausgleich dafür vorgesehen, dass Bosnien laut dem Day-ton-Abkommen den IFOR-Truppen zivile Einrichtungen zur Verfügung stellt.

Frische Kredite tilgen alte Schulden. Die Zentralbank der Niederlande hatte großzügig einen Überbrückungskredit von 37 Mio. Dollar bereitge-stellt, um Bosnien zu erlauben, seine Zahlungsrückstände an den IWF zu begleichen. Ohne diese Tilgung hätte der IWF kein frisches Geld bewilligt. Aber in einem grausamen und absurden Paradox werden die ersehnten IWF-Kredite aus dem neu geschaffenen Notfallfonds für Nachkriegsländer nicht für den Wiederaufbau verwendet. Stattdessen dienen sie dazu, die

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niederländische Zentralbank auszuzahlen, die zunächst für die Begleichung der Zahlungsrückstände an den IWF eingesprungen war.59

So türmen sich die Schulden, und von dem neuen Geld fließt kaum etwas in den Wiederaufbau der kriegszerrütteten bosnischen Wirtschaft.

Während der Wiederaufbau auf dem Altar der Schuldenrückzahlung ge-opfert wird, zeigen westliche Regierungen und Unternehmen größeres In-teresse an den Bodenschätzen ihres neuen Protektorats. Mit der Entdeckung von Energiereserven hat die Teilung Bosniens zwischen der Föderation von Bosnien-Herzegowina und der bosnisch-serbischen Rebublika Srpska durch das Dayton-Abkommen eine neue strategische Bedeutung bekommen. Kroaten und bosnische Serben haben Hinweise auf Kohle- und Ölvorkom-men an der Ostseite des Dinarischen Gebirges, das die kroatische Armee mit Unterstützung der USA in der letzten Offensive vor dem Dayton-Abkommen von den Krajinaserben zurückeroberte. Vertreter Bosniens be-richteten, dass kurz darauf mehrere ausländische Firmen, nicht zuletzt Amoco, Probeuntersuchungen durchführten.60

Im serbischen Teil Kroatiens gleich jenseits der Save in der Nähe von Tuzla, dem Hauptquartier der US-Militärzone, liegen außerdem Ölfelder von beträchtlicher Größe. Erste Erkundungen wurden bereits während des Krie-ges durchgeführt, aber die Weltbank und die multinationalen Konzerne lie-ßen die Regierungen vor Ort im Dunkeln, vermutlich, um zu verhindern, dass sie sich potentiell wertvolle Gebiete unter den Nagel rissen.

Da ihre Aufmerksamkeit der Schuldenrückzahlung und der möglichen Energiegoldgrube gilt, konzentrieren die USA und Deutschland ihre An-strengungen – mit 70.000 NATO-Soldaten, die zur »Sicherung des Frie-dens« bereitstehen – auf die Teilung Bosniens, die somit den wirtschaftli-chen und strategischen Interessen des Westens dient.

Lokale Politiker und westliche Interessen teilen sich die Beute der ehe-maligen jugoslawischen Wirtschaft und haben die sozialen und ethnischen Gegensätze des alten Jugoslawien schon in der Struktur der Teilung veran-kert. Die dauerhafte Fragmentierung dieses Exstaates nach ethnischen Trennlinien vereitelt den Widerstand der Jugoslawen aller Ethnien gegen die Rekolonialisierung ihrer Heimat.

Aber was ist so neu daran? Ein scharfsinniger Beobachter merkte schon 1995 an: »Alle gegenwärtigen Führer in den ehemaligen jugoslawischen Republiken waren kommunistische Parteifunktionäre, und alle wetteiferten darum, die Forderungen von Weltbank und IWF zu erfüllen, um sich besser für Investitionskredite zu qualifizieren und somit die eigene Macht sichern zu können.«61 Nach Bosnien nun der Kosovo. Wirtschaftliche und politische Verwerfun-gen begleiteten die verschiedenen Phasen des Balkankrieges von der ersten militärischen Intervention der NATO in Bosnien 1992 bis zur Bombardierung Jugoslawiens aus »humanitären« Gründen 1999. Bosnien und der Kosovo sind nur Etappen einer Rekolonialisierung des Balkans. Das Muster der

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NATO-Intervention in Bosnien unter dem Dayton-Abkommen wiederholte sich im Kosovo unter dem formalen Mandat der UN-»Friedensmission«.

Im Nachkriegskosovo gehen Staatsterror und »freier« Markt Hand in Hand. In engen Konsultationen mit der NATO hatte die Weltbank akribisch die Konsequenzen einer eventuellen Militärintervention zur Besetzung des Kosovo sondiert. Schon ein Jahr vor Ausbruch des Krieges dachte sie über mögliche Nachkriegsszenarien nach.62 Das legt nahe, dass sie von der NATO bereits in einem frühen Stadium über die Militärplanung auf dem Laufenden gehalten wurde.

Während die Bomben noch fielen, erhielten Weltbank und Europäische Kommission ein besonderes Mandat zur »Koordinierung der Wirtschaftshil-fe«. Jugoslawien wurde von möglicher Hilfe nicht grundsätzlich ausgenom-men, es wurde jedoch ausdrücklich festgelegt, dass Belgrad erst dann Wie-deraufbaukredite erwarten konnte, »sobald sich die politischen Bedingun-gen dort ändern«.63

Nach den Bombardierungen wurden dem Kosovo Marktreformen aufge-zwungen, die weitgehend den Bestimmungen der Vereinbarung von Ram-bouillet folgten, welche ihrerseits nach dem Modell des Dayton-Abkommens gestaltet worden waren. Artikel 1 (Kapitel 4a) des Rambouillet-Abkommens bestimmte, dass die Wirtschaft des Kosovo »den Prinzipien des freien Mark-tes« genügen sollte.

Zusammen mit den NATO-Truppen fiel unter der Schirmherrschaft der Weltbank eine Armee von Rechtsanwälten und Beratern in den Kosovo ein. Ihr Auftrag: die Vorbedingungen für die Investition ausländischen Kapitals zu schaffen und einen raschen Übergang des Kosovo zu einer »blühenden, offenen und transparenten Marktwirtschaft« zu gewährleisten. Die Geber-gemeinschaft rief die provisorische Regierung der UCK dazu auf, »transpa-rente, effektive und dauerhafte Institutionen zu etablieren«.64 Die intensiven Beziehungen zwischen der UCK, dem organisierten Verbrechen und dem Drogenhandel auf dem Balkan sah die internationale Gemeinschaft nicht als Hindernis für die Entwicklung demokratischer Verhältnisse und eine »gute Regierungsführung« (good governance).

In der Zwischenzeit wurden die jugoslawischen Staatsbanken in Pristina geschlossen. Die D-Mark wurde als offizielles Zahlungsmittel eingeführt, und die Commerzbank übernahm beinahe das gesamte Bankensystem und damit die völlige Kontrolle über die Geschäftsbankentätigkeit im Kosovo einschließlich der Geldtransfers und Devisentransaktionen.65

Unter der westlichen Militärbesatzung sollen die reichen mineralischen Bodenschätze und Kohlevorräte zu Schleuderpreisen an ausländisches Kapi-tal versteigert werden. Bereits vor der Bombardierung hatten westliche In-vestoren ihre begehrlichen Blicke auf den riesigen Trepca-Industriekomplex gerichtet, »die wertvollste Immobilie auf dem Balkan mit einem Wert von fünf Milliarden Dollar«.66 Der Trepca-Komplex birgt nicht nur Kupfer und große Zinkreserven, sondern auch Kadmium, Gold und Silber. Zu ihm gehö-ren mehrere Schmelzen, 17 Metallverarbeitungsstätten, ein Kraftwerk und

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Jugoslawiens größtes Batteriewerk. Im Nordkosovo gibt es außerdem Koh-le- und Braunkohlevorräte in einer Größenordnung von 17 Mio. Tonnen.

Kaum einen Monat nach der militärischen Besetzung des Kosovo gab der Leiter der UN-Mission im Kosovo, Bernard Kouchner, folgenden Erlass her-aus: »Der Mission obliegt es, alles bewegliche und unbewegliche Eigentum einschließlich der Bankkonten und anderer Besitztümer, die der Föderativen Republik Jugoslawien oder der Republik Serbien oder irgendeinem ihrer Or-gane gehören oder in ihrem Namen registriert sind und sich auf dem Terri-torium des Kosovo befinden, zu verwalten.«67

Man verlor keine Zeit: Ein paar Monate später nach der militärischen Be-setzung des Kosovo gab die International Crisis Group, eine von dem Finan-zier George Soros unter stützte Denkfabrik, ein Papier heraus, das der UN-Mission im Kosovo emp-fahl, »den Industriekomplex Trepca so schnell wie möglich von den Serben zu übernehmen«, und erklärte, wie dies geschehen sollte.68 Und im August 2000 schickte Kouchner eine schwer bewaffnete Truppe von »Frie-denshütern« (mit Gasmasken gegen toxische Dämpfe), um den Komplex unter dem Vorwand zu besetzen, er stelle wegen übermäßiger Emissionen eine Umweltgefahr dar.

Mittlerweile haben die Vereinten Nationen den gesamten Trepca-Komplex einem westlichen Konsortium übergeben. Mit im Trepca-Geschäft war Morri-son Knudsen International, heute mit Raytheon Engineering and Constructi-on zur Washington Group fusioniert, einer der mächtigsten Maschinenbau- und Baufirmen der Welt sowie eine bedeutende Rüstungsfirma. Juniorpart-ner bei dem Geschäft sind TEC Ingénierie aus Frankreich und die schwedi-sche Beratungsgruppe Boliden Contech. Ein Mafiaprotektorat: Triumph des Neoliberalismus. Während der Fi-nanzier George Soros Geld in den Wiederaufbau des Kosovo investierte, richtete die George Soros Foundation for an Open Society einen Ableger in Pristina ein, die Kosovo Foundation for an Open Society (KFOS), Teil von Soros’ Netzwerk »gemeinnütziger Stiftungen« im Balkan, in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion. Zusammen mit dem Treuhandfonds der Welt-bank für kriegszerstörte Länder leistet die Soros-Stiftung gezielte Unterstüt-zung »beim Aufbau lokaler Verwaltungen, damit sie ihren Kommunen in transparenter, fairer und verantwortlicher Weise dienen können«.69 Da die meisten dieser lokalen Verwaltungen in der Hand der UCK sind, die ausge-dehnte Verbindungen zum organisierten Verbrechen unterhält, dürfte dieses 20 Mio. Dollar schwere Programm kaum sein erklärtes Ziel erreichen.

Die »kräftige Medizin« zur wirtschaftlichen Genesung, die dem Kosovo durch die Auslandsgläubiger aufgezwungen wurde, gibt der in Albanien be-reits fest verwurzelten kriminellen Wirtschaft, die sich aus Armut und wirt-schaftlichen Verwerfungen nährt, einen zusätzlichen Schub. Da Albanien und der Kosovo im Zentrum des Drogenhandels auf dem Balkan stehen, wird der Kosovo seine ausländischen Gläubiger auch mit schmutzigem Geld bezahlen. Drogendollar werden in den Schuldendienst des Kosovo fließen

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und auch die Kosten des Wiederaufbaus finanzieren: für ausländische Inve-storen ein lukratives Geschäft.

In mehreren Dosen seit den 80er Jahren verabreicht, hat diese Wirt-schaftsmedizin mit Rückendeckung der NATO dazu beigetragen, Jugoslawi-en zu zerstören. Doch die Medien übersahen oder leugneten dabei geflis-sentlich die zentrale Rolle des Neoliberalismus. Stattdessen stimmten sie in den Chor zum Lobpreis des »freien Marktes« als Grundlage für den Wieder-aufbau einer vom Krieg verwüsteten Wirtschaft ein. Die sozialen und politi-schen Auswirkungen der wirtschaftlichen Umstrukturierung in Jugoslawien sind sorgsam aus der kollektiven Wahrnehmung gelöscht worden. Die Mei-nungsmacher präsentieren in ihrem ganz eigenen Dogmatismus stattdessen kulturelle, ethnische und religiöse Differenzen als einzige Ursache von Krieg und Vernichtung. In Wirklichkeit sind sie die Konsequenz eines viel tiefer gehenden Prozesses wirtschaftlicher und politischer Zerstückelung.

Dieses falsche Bewusstsein maskiert nicht nur die Wahrheit, sondern hindert uns auch daran, historische Geschehnisse richtig zu begreifen. Letztlich verzerrt es die wahren Quellen sozialer Konflikte. Im Hinblick auf das ehemalige Jugoslawien verdunkelt es die historischen Grundlagen der südslawischen Einheit, Solidarität und Identität in einer vordem multiethni-schen Gesellschaft.

Auf dem Balkan steht das Leben von Millionen von Menschen zur Disposi-tion. Die Wirtschaftsreformen von IWF und Weltbank, verbunden mit der militärischen Eroberung durch die UN-»Friedenshüter«, haben den Lebens-unterhalt der Menschen zerstört und das Recht auf Arbeit ad absurdum ge-führt. Sie haben die Grundbedürfnisse nach Nahrung und Wohnung für viele uneinlösbar werden lassen. Sie haben die Kultur und nationale Identität degradiert. Im Namen des globalen Kapitals sind Grenzen neu gezogen, ein neuer Rechtskodex geschrieben, Industrien zerstört, das Finanz- und Ban-kensystem vernichtet und Sozialprogramme beseitigt worden. Wieder ein-mal hat sich bewiesen, dass keiner Alternative zum globalen Kapital, sei es der jugoslawische Marktsozialismus oder ein nationaler Kapitalismus, ein Existenzrecht zugestanden wird.

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TEIL VI Die Neue Weltordnung

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18. Strukturanpassung in den Industrieländern In praktisch allen Sektoren der westlichen Wirtschaft werden Produktions-stätten geschlossen und Arbeitnehmer entlassen. Bauern in Nordamerika und Westeuropa droht der Bankrott. Unternehmen der Luftfahrt- und Ma-schinenbauindustrie werden umstrukturiert, die Kohlebergwerke in Deutsch-land und Großbritannien geschlossen, die Autoproduktion wird nach Osteu-ropa und in die Dritte Welt ausgelagert. Die Rezession in der Industrie wie-derum schlägt auf das Dienstleistungsgewerbe durch: Deregulierung und der Zusammenbruch großer Fluglinien, der Konkurs großer Einzelhandels-ketten, der Kollaps der Immobilienreiche in Tokio, Paris und London waren die Folge. Und der Sturz der Immobilienwerte hat zu Kreditausfällen ge-führt, was wiederum das gesamte Finanzsystem erschütterte. In der Rea-gan-Thatcher-Ära ging die Rezession mit mehreren Bankrottwellen kleiner Unternehmen, dem Zusammenbruch lokaler Banken (z.B. in der Sparkas-senkrise in den USA) und einer Flut von Unternehmensfusionen einher die den Absturz der Börse am »Schwarzen Montag«, dem 19. Oktober 1987, noch verstärkte. In den 90er Jahren trat die globale Wirtschaftskrise mit einer Fusionswelle von Großkonzernen in eine neue Phase, die in einem weltweiten Finanzcrash gipfelte.

Der Ausverkauf des Staates. Im Zentrum der Krise der westlichen Indu-strieländer stehen die öffentlichen Schuldenmärkte, wo täglich Hunderte von Milliarden Dollar in Staatsanleihen gehandelt werden. Die enorme Zu-nahme der Staatsverschuldung hat der Finanzwirtschaft und den Banken politische Druckmittel an die Hand gegeben, mit denen sie die Wirtschafts- und Sozialpolitik auch der hoch entwickelten Länder diktieren können. Es ist zur Routine geworden, dass Kreditinstitute – ohne formale Beteiligung von IWF und Weltbank – in der EU und den USA Aufsichtsfunktionen durchset-zen, zu denen sie nicht legitimiert sind. Seit den 90er Jahren enthalten die in den Industrieländern durchgeführten Wirtschaftsreformen viele der Grundkomponenten der Strukturanpassungsprogramme, die schon vorab in der Dritten Welt erprobt worden sind. Von den Finanzministern wird zuneh-mend erwartet, dass sie großen Investmenthäusern und Geschäftsbanken Bericht erstatten. Ziele für die Rückführung von Haushaltsdefiziten werden diktiert. Der Wohlfahrtsstaat steht auf der Kandidatenliste der Auslaufmo-delle.

Die Schulden von Staatsunternehmen, öffentlichen Versorgern, staatli-chen, regionalen und kommunalen Regierungen werden von den Finanz-märkten hochnot-peinlich kategorisiert und »bewertet« (z.B. von den Ra-ting-Agenturen Moody´s Investors Service und Standard & Poor´s). Als Moo-

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dy´s 1995 etwa die schwedischen Staatsanleihen herabstufte, beeinflusste das die Entscheidung der sozialdemokratischen Regierung, Sozialprogram-me, darunter Kindergeld und Leistungen der Arbeitslosenversicherung, zu kürzen.1 In ähnlicher Weise war Moody´s Kredit-Rating von Kanadas öffent-licher Verschuldung ein wesentlicher Faktor bei der Entlassung von Staats-bediensteten und der Schließung von Krankenhäusern in den Provinzen. Die kanadischen Provinzen – denen eine angemessene Eigenfinanzierung fehlt – waren gezwungen, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialleistungen zu kürzen. Im Rahmen des von der Wall Street aufgezwungenen kanadischen Privati-sierungsprogramms kamen große Teile des Staatseigentums unter den Hammer. So wurde z.B. das gesamte seit dem 19. Jahrhundert aufgebaute Schienennetz für die bescheidene Summe von zwei Milliarden Dollar auf den internationalen Kapitalmärkten verkauft – etwas weniger als der Preis, der für den Kauf des kanadischen Brauereikonzerns Labatt verlangt wurde.2

Dieser Ausverkauf des Staates beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Privatisierung von öffentlichen Versorgern, Fluglinien, Telefongesellschaften und Eisenbahnen. Das Konzernkapital trachtet auch danach, das Gesund-heits- und Erziehungswesen zu privatisieren und somit alle ehemals staat-lichen Aufgabenbereiche kontrollieren zu können. Für die WTO ist »Investi-tion« ein schier grenzenloser Begriff, unter den alle kulturellen und sportli-chen Aktivitäten sowie alle kommunalen Dienstleistungen usw. fallen, so-fern sie sich auch nur im entferntesten für eine Umwandlung in profit-orientierte Unternehmungen eignen. Schon wetteifern die Konzerne um die Übernahme der Wasserversorgung, um Stadtwerke, Autobahnen, das Stra-ßennetz der Innenstädte, Nationalparks und anderes mehr.

Der Prozess der »Schuldenkonversion« ist ein zentrales Merkmal der Kri-se. Seit den frühen 80er Jahren haben Konzerne und Geschäftsbanken ei-nen bequemen Weg gefunden, große Schuldensummen zu tilgen und in öf-fentliche Schulden umzuwandeln. Sie können so ihre Verluste systematisch auf den Staat abwälzen. Während der Fusionswelle in den späten 80er Jah-ren ist die Last der Unternehmensdefizite durch den Kauf bankrotter Firmen auf den Staat verlagert worden, indem man diese Firmen zumachte und die Verluste steuerlich abschrieb. Die Geschäftsbanken können ihre faulen Kre-dite ebenfalls regelmäßig abschreiben und in Vorsteuerverluste umwandeln. Die Rettungspakete für angeschlagene Unternehmen und Geschäftsbanken basieren also auf dem Prinzip der Abwälzung von Unternehmensschulden auf die Staatskasse.

Darüber hinaus sind staatliche Subventionen nicht in die Schaffung neuer Arbeitsplätze geflossen, sondern von großen Firmen benutzt worden, um ihre Megafusionen zu finanzieren, arbeitskräftesparende Technologien ein-zuführen und ihre Produktion in die Dritte Welt zu verlagern. Also ist es zu guten Teilen der Staat, der für die Kosten der Unternehmensum-strukturierungen aufkommt und dadurch sowohl zur steigenden Eigentums-konzentration als auch zum Abbau industrieller Arbeitsplätze beiträgt. Die Bankrotte kleiner und mittlerer Unternehmen und die damit verbundenen

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Entlassungen von Beschäftigten – die ja auch Steuerzahler sind – haben ihrerseits ein erheblich geschmälertes Steueraufkommen zur Folge.

Dass die Steuersysteme hochgradig regressiv sind, hat sich mittlerweile bitter gerächt, weil darin eine wesentliche Ursache der öffentlichen Ver-schuldung liegt. Die Unternehmenssteuern sind in den letzten Jahren stän-dig gesenkt, zugleich aber die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen mit höheren Einkommens- und Verbrauchssteuern belastet worden, deren Erträge dann in den öffentlichen Schuldendienst umgelenkt worden sind.3 Während der Staat Steuern von seinen Bürgern eintrieb, zollte er dem Big Business seinen »Tribut« in Form von Steuergeschenken und Subventionen.

Die Steuerkrise ist begünstigt worden durch die neuen Banktechnologien und durch die Flucht von Unternehmensgewinnen in Steueroasen auf den Bahamas, in der Schweiz, den Kanalinseln, in Luxemburg und anderswo. So stehen z.B. die Kaimaninseln, eine britische Kronkolonie in der Karibik, auf der Rangliste der großen Finanzzentren der Welt – im Hinblick auf die Größe der Konten, von denen die meisten Scheinfirmen gehören oder anonyme Besitzer haben – an fünfter Stelle.4 Die Ausweitung des Haushaltsdefizits in den USA in den 80er und 90er Jahren steht in direkter Beziehung zur mas-siven Steuerflucht und zur Verschiebung unversteuerter Unternehmensge-winne ins Ausland. Umgekehrt werden mit den Riesensummen, die auf den Kaimaninseln und den Bahamas deponiert sind und zum Teil von kriminellen Organisationen kontrolliert werden, Investitionen in den USA getätigt. Die beschenkten Gläubiger und die Geldschöpfung. So ist ein Teufels-kreis in Gang gekommen: Die Empfänger staatlicher Geschenke sind nun zugleich die Gläubiger des Staates. Die öffentlichen Schulden, mit denen die Finanzministerien das Big Business gepäppelt haben, werden von Banken und Finanzinstituten erworben, die sich weiterhin staatlicher Subventionen erfreuen. Eine absurde Situation: Der Staat finanziert seine eigene Ver-schuldung, indem seine Geschenke in den Kauf von Staatsanleihen zurück-fließen. Der Staat ist so in die Zange geraten zwischen mächtigen Wirt-schaftslobbys auf der einen Seite, die dafür sorgen, dass die staatlichen Ge-schenke nicht versiegen, und privaten Finanzhäusern als Gläubigern auf der anderen Seite. Und weil Privatbanken und Finanzinstitute einen großen An-teil der öffentlichen Schulden halten, können sie Druck auf die Regierung ausüben, um noch mehr öffentliche Ressourcen in Form von weiteren Ge-schenken und Subventionen für sich herauszuschlagen.

Außerdem sind in den meisten OECD-Ländern die Zentralbankstatuten geändert worden, um die Forderungen der Finanzeliten zu erfüllen. Jetzt sind sie in aller Regel nominell unabhängig und dem staatlichen Einfluss entzogen – praktisch also zunehmend auf die Gnade privater Gläubiger an-gewiesen. Die Zentralbank kann dem Staat unter ihren neuen Statuten kei-nen Kredit mehr einräumen. Artikel 104 des Maastrichter Vertrags z.B. be-stimmt, dass die Kreditgewährung im Ermessen der Zentralbank liegt, die Zentralbank also nicht gezwungen werden kann, solche Kredite zu gewäh-

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ren.5 Diese Statuten führen daher direkt zur Vergrößerung der öffentlichen Verschuldung bei privaten Finanz- und Bankinstituten.

In der Praxis operiert die Zentralbank, die nun weder der Regierung noch der Legislative Rechenschaft schuldig ist, als autonome Bürokratie unter dem Einfluss privater Finanz- und Bankinteressen. In den USA wird das Zentralbankensystem von einer Hand voll Privatbanken dominiert, die Ak-tionäre der zwölf regionalen Zentralbanken sind. In der EU steht die Euro-päische Zentralbank in Frankfurt unter der Vorherrschaft vor allem der deutschen Bankgiganten Deutsche und Dresdner Bank sowie einiger weite-rer europäischer Finanzinstitute.

Das bedeutet, dass von Geldpolitik als einem Mittel staatlicher Interven-tion keine Rede mehr sein kann. Geldpolitik ist weitgehend eine Sache der Privatbanken, und Geldschöpfung – zu der ganz wesentlich die Verfügungs-gewalt über reale Ressourcen gehört – findet innerhalb eines inneren Krei-ses des internationalen Bankensystems statt und dient allein der Anhäufung privaten Reichtums. Mächtige Finanzakteure haben nicht nur die Fähigkeit, Geld zu schöpfen und ohne Behinderung frei zu bewegen, sondern können auch die Zinssätze manipulieren und den Niedergang großer Währungen beschleunigen, wie der spektakuläre Sturz des englischen Pfundes 1992 erwiesen hat. Das bedeutet in der Praxis, dass die Zentralbanken nicht län-ger in der Lage sind, die Geldschöpfung im Allgemeininteresse der Gesell-schaft zu regulieren, um etwa Produktionsanreize zu schaffen oder die Be-schäftigung zu fördern. Keine Wahl zwischen Marionetten und Mittätern. Im Zeichen des Neo-liberalismus ist die westliche Sozialdemokratie in eine schwierige Lage gera-ten: Ihre Vertreter in hohen Ämtern agieren zunehmend als Marionetten oder bürokratische Handlanger im Namen des Finanzestablishments. Hinter den Kulissen üben die Gläubiger des Staates ebenso diskret wie tatkräftig politische Macht aus. Es hat sich ein einheitlicher Wirtschaftsdiskurs, eine Wirtschaftsideologie herausgebildet, ein Konsens, der das gesamte politi-sche Spektrum umfasst. Das Schicksal der öffentlichen Politik wird auf den US-amerikanischen und europäischen Märkten für Auslandsanleihen ausge-handelt, politische Optionen werden mechanisch mit den gleichen glatten Wirtschaftsslogans präsentiert: »Wir müssen das Haushaltsdefizit reduzie-ren!« – »Wir müssen die Inflation bekämpfen!« – »Die Wirtschaft ist über-hitzt, wir müssen auf die Bremse treten!«

In den USA lassen sich Demokraten und Republikaner nicht mehr von-einander unterscheiden. In der EU sind gerade »sozialistische« Regierungen – ganz zu schweigen von den Grünen in Deutschland – zu Verfechtern der »kräftigen Medizin« zur wirtschaftlichen Genesung geworden, wie sie IWF und Weltbank überall propagieren. Sozialdemokraten, New Labour und die ehemaligen Kommunisten – allesamt ergebene Diener des Finanzestablish-ments. Durch ihre progressive Rhetorik und ihre Verbindungen zu den Ge-werkschaften sind sie noch »effektiver«, wo es um die Kürzung der Sozial-budgets und die Entlassung von Arbeitnehmern geht – noch gewieftere und

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willfährigere politische Makler der Interessen des Finanzestablishments als ihre liberalen oder konservativen Gegenspieler.

Die Interessen des Finanzestablishments durchdringen auch, besonders in den USA, die höchsten Ränge der Finanzministerien und der Bretton-Woods-Organisationen IWF und Weltbank: Der ehemalige US-Finanzminister Robert Rubin war hoher Bankmanager bei Goldman Sachs, der ehemalige Präsident der Weltbank, Lewis Preston, Chef von J.P. Mor-gan, sein jetziger Nachfolger James Wolfensohn namhafter Investmentban-ker aus der Wall Street.

Während Finanziers in der Politik mitmischen, steigen ehemalige Politiker und hochrangige Vertreter internationaler Finanzorganisationen selbst in die Wirtschaft ein. Nach seinem Abschied als Direktor der WTO ging Peter Sut-herland zu Goldman Sachs an die Wall Street. Nicholas Brady – während der Reagan-Ära republikanischer Senator, unter George Bush Finanzmini-ster – beteiligte sich am lukrativen Bankgeschäft in einer Steueroase: Durch seine private US-Firma Darby Overseas ist er Teilhaber an einem auf den Kaimaninseln registrierten Konsortium. Seine Firma »will in den peru-anischen Geschäftsbankensektor investieren, der als hohes Risiko eingestuft wird und auf einen Brady-Plan zur Umschuldung wartet… Darby Overseas wurde vor einem Jahr (1993) von Brady, dessen Sekretär im Finanzministe-rium, Hollis McLoughlin, und Daniel Marx, dem ehemaligen argentinischen Finanzstaatssekretät gegründet… Der wichtigste Akteur hinter dem Konsor-tium, das für die Übernahme von Interbanc gegründet wurde, ist Carlos Pastor, Perus Wirtschaftsminister in den frühen 80er Jahren.«6

Gezeichnet von Interessenkonflikten und als Folge seiner ambivalenten Beziehung zu privaten Wirtschafts- und Finanzinteressen steckt das staatli-che System des Westens in einer Krise. Unter diesen Bedingungen ist die parlamentarische Demokratie zu einem bloßen Ritual geworden. Den Wäh-lern stehen keine Alternativen offen. Der Neoliberalismus ist zum integralen Bestandteil des politischen Programms aller großen politischen Parteien ge-worden. Wie in einem Einparteienstaat haben Wahlergebnisse heute prak-tisch keine Auswirkungen mehr auf den tatsächlichen Gang der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik.

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19. Die globale Finanzkrise

Seit das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse 1971 zusammenbrach, hat sich in mehreren Phasen eine neue globale Finanzwirtschaft herausge-bildet. Die Schuldenkrise Anfang der 80er Jahre, die grob mit der Reagan-Thatcher-Ära zusammenfiel, trat eine Lawine von Unternehmenszusammen-schlüssen, Firmenübernahmen und Bankrotten los. Diese Veränderungen haben den Weg bereitet für eine neue Generation von Finanziers in Han-delsbanken, bei institutionellen Investoren, Maklerfirmen, großen Versiche-rungsgesellschaften und anderen. Im Rahmen dieses Prozesses wuchsen die Funktionen der Geschäftsbanken mit jenen der Investmentbanken und Mak-lerfirmen zusammen.7

Diese Geldmanager spielen eine machtvolle Rolle auf den Finanzmärkten, sind jedoch zunehmend den unternehmerischen Funktionen in der realen Wirtschaft entrückt. Zu ihren Aktivitäten gehören alle möglichen spekulati-ven Transaktionen: Warentermingeschäfte, der Handel mit Derivaten und die Manipulation der Devisenmärkte. Große Finanzakteure sind regelmäßig an Depots »heißen Geldes« in den aufstrebenden Märkten Lateinamerikas, Südostasiens und Osteuropas beteiligt, ganz zu schweigen von Geldwäsche und der Gründung spezialisierter Privatbanken in etlichen Steueroasen, die reiche Klienten »beraten«. In diesem globalen Finanznetz wird Geld in der flüchtigen Form elektronischer Überweisungen mit großer Geschwindigkeit von einer Steueroase in die nächste transferiert. Legale und illegale Ge-schäftsaktivitäten sind zunehmend miteinander verflochten. So konnten große Summen unversteuerten Reichtums angehäuft werden. Begünstigt durch die Deregulierung der Finanzmärkte hat das organisierte Verbrechen seinen Einflussbereich auch auf das internationale Banking ausgedehnt.8

Die Wall-Street-Crashs von 1987 und 1997. Am 19. Oktober 1987, dem »Schwarzen Montag«, ereignete sich der größte Kurssturz in der Ge-schichte der New Yorker Börse – schlimmer noch als der berühmte »Schwarze Freitag« vom 28. Oktober 1929, der den Zusammenbruch der Wall Street und den Beginn der großen Depression markierte. In der ersten Handelsstunde am Montagmorgen lösten sich 22,6 Prozent des Wertes von US-Aktien in Luft auf. Der Einbruch der Wall Street ließ das gesamte Fi-nanzsystem erbeben und erschütterte auch die europäischen und asiati-schen Aktienmärkte.

Der Wall-Street-Crash von 1987 diente dazu, »klar Schiff« zu machen. Nur die Tüchtigsten sollten überleben. Nach der Krise kam es zu einer mas-siven Konzentration finanzieller Macht. Diese Transformationen waren die Geburtsstunde der »institutionellen Spekulanten«, mächtiger Investmentak-teure, die seriöse Geschäftsinteressen hintanstellten und häufig hintertrie-ben. Mit einer Vielzahl von Instrumenten eignen sich diese institutionellen

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Akteure Reichtum aus der realen Wirtschaft an. Häufig diktieren sie das Schicksal von Unternehmen, die an der New Yorker Börse notiert sind. Völ-lig von unternehmerischen Funktionen der realen Wirtschaft losgelöst, ha-ben sie die Macht, große Industrieunternehmen in den Bankrott zu treiben.

Bereits 1993 monierte ein Bericht der Deutschen Bundesbank, dass der Handel mit Derivaten eine »Kettenreaktion auslösen und das Finanzsystem als Ganzes« gefährden könnte.9 Und obwohl doch eigentlich ein Verfechter der Deregulierung der Finanzmärkte, sah sich der Präsident der amerikani-schen Notenbank, Alan Greenspan, zu der Warnung veranlasst, dass Geset-ze nicht ausreichten, um »in einer Hightech-Welt, wo Transaktionen mit einem Knopfdruck erfolgen, eine Wiederholung der Barings-Krise zu verhin-dern«.10 Greenspan zufolge können sich durch »die Effizienz der globalen Finanzmärkte… im Finanzsystem Fehler mit einer größeren Geschwindigkeit ausbreiten als noch vor einer Generation denkbar«.11 Freilich wird der Öf-fentlichkeit nicht offenbart, dass diese »Fehler« Ergebnis groß angelegter Spekulationen und die Quelle einer beispiellosen Anhäufung von privatem Reichtum sind.

Bis 1995 hatte der tägliche Umsatz an den Devisenmärkten mit seinen 1300 Mrd. Dollar die offiziellen Weltdevisenreserven von geschätzten 1202 Mrd. Dollar übertroffen.12 Im Klartext: Institutionelle Spekulanten verfügen bei weitem über größere Devisenbestände als die Zentralbanken mit ihren beschränkten Möglichkeiten. Ob diese nun einzeln oder gemeinsam handeln – sie sind nicht in der Lage, die Spekulationsflut einzudämmen.

Fast auf den Tag genau zehn Jahre nach dem »Schwarzen Montag« von 1987, am 27. Oktober 1997, wiederum einem Montag, stürzten die Aktien-märkte auf der ganzen Welt erneut in Turbulenzen. Der Dow Jones sackte steil um 554 Punkte, ein Wertverlust von 7,2 Prozent, der zwölfttiefste Sturz an einem Tag in der Geschichte der New Yorker Börse. Am Donners-tag zuvor, dem 23. Oktober, war bereits die Hongkonger Börse um 10,41 Prozent gestürzt, als Investmentfondsmanager und Pensionsfonds rasch große Mengen von Standardwerten abstießen. Dieser eher periphere Erd-rutsch in Hongkong setzte sich bei Handelseröffnung am Montagmorgen mit 6,7 Prozent unvermindert fort – und fand nun sein New Yorker Nachbeben.

Da die großen Börsen der Welt rund um die Uhr durch direkte Computer-schaltungen miteinander verbunden sind, schwappten die Kurseinbrüche schnell auf die europäischen und die anderen asiatischen Aktienmärkte über und breiteten sich im gesamten Finanzsystem aus. Die europäischen Börsen gerieten völlig durcheinander, in Frankfurt, Paris und London mussten große Verluste verbucht werden. Hongkong reagierte darauf am Dienstag mit ei-nem weiteren Einbruch von 13,7 Prozent – dem größten dort jemals ver-zeichneten Kurssturz. Zu dieser Kapitalvernichtung an den Finanzmärkten wäre es ohne den computerisierten Handel nicht gekommen. Das elektronische Handelssy-stem der New Yorker Börse konnte ohne Wartezeiten mehr als 300.000 Or-ders am Tag bewältigen; im Durchschnitt 375 in der Sekunde, was einer Tageskapazität von über zwei Milliarden Aktien entspricht. Da sich seine

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Geschwindigkeit und der bewältigte Handelsumfang seit 1987 verzehnfacht hatte, war nun das Risiko finanzieller Instabilität beträchtlich größer.

Tabelle 19.1: Die größten Kursstürze an einem Tag an der New Yorker Bör-se <Dow Jones lndustrial Average) Datum Kursverfall in Prozent 19. Oktober 1987 22,6 28. Oktober 1929 12,8 29. Oktober 1929 11,7 6. November 1929 9,9 12. August 1932 8,4 26. Oktober 1987 8,0 21. Juli 1933 7,8 18. Oktober 1937 7,6 27. Oktober 1997 7,2 5. Oktober 1932 7,2 24. September 1931 7,1 31. August 1998 6,4 Quelle: New York Stock Exchange

Zehn Jahre zuvor, nach dem Kurscrash von 1987, hatte die Wall Street dem US-Finanzministerium geraten, sich nicht in die Finanzmärkte einzumi-schen. Frei von staatlichen Eingriffen sollten die New Yorker und Chicagoer Börse ihre eigenen Regulierungsverfahren einführen. Sie bestanden weitge-hend darin, den Computerhandel durch Leistungsschalter, so genannte cir-cuit breakers, zeitweise auszusetzen.13

1997 erwies sich dieser Mechanismus als völlig ungeeignet, um die Kapi-talvernichtung abzuwenden. Am Montag, dem 27. Oktober 1997, wurde der Handel zum ersten Mal für 30 Minuten ausgesetzt, nachdem der Dow Jones um 350 Punkte gefallen war. Nach der halbstündigen Unterbrechung breite-te sich unter den Händlern Panik und Verwirrung aus. Sie begannen, große Aktienpakete abzustoßen, was den Zusammenbruch der Kurse beschleunig-te. Im Verlauf der folgenden 25 Minuten fiel der Dow um weitere 200 Punk-te, der Handel wurde erneut ausgesetzt – womit dann zugleich der Börsen-tag an der Wall Street beendet war. Kasten 19.1

Gefährliche Zuversicht in den späten 20er Jahren: Durch Laissez-faire zur Prosperität In den Monaten vor dem Schwarzen Freitag am 29. Oktober 1929 war der Handel an der Wall Street gefährlich volatil. Laissez-faire war unter den Präsidenten Calvin Coolidge und Herbert C. Hoover die Losung des Tages. Die Möglichkeit einer Kernschmelze der Finanzmärkte wurde nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Professor Irving Fisher von der Yale-Universität hatte 1928 apodiktisch erklärt, dass »nichts geschehen kann,

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was einem Crash ähnelt«. Die Illusion wirtschaftlicher Prosperität hielt sich hartnäckig noch mehrere Jahre nach dem Oktober 1929. 1930 er-klärte Fisher zuversichtlich, dass »die Aussichten zumindest für die un-mittelbare Zukunft fantastisch« seien, und die angesehene Harvard Eco-nomic Society sah die Produktion im Jahr 1930 »entschieden auf dem Weg der Erholung«. Zitate aus John Kenneth Galbraith, The Great Crash 1929, Boston 1997

Kasten 19.2

Gefährliche Zuversicht in den späten 90er Jahren: Die herrschende Wirt-schaftslehre verteidigt deregulierte Finanzmärkte Klingt das nicht vertraut? Nach dem Crash von 1997 herrschte die glei-che Selbstzufriedenheit wie während der Euphorie Ende der 20er Jahre. Mit ganz ähnlichen Worten wie seinerzeit Irving Fisher leugnete die or-thodoxe ökonomische Lehre Ende der 90er Jahre nicht nur die Existenz einer Wirtschaftskrise, sondern auch die Möglichkeit eines Zusammen-bruchs der Finanzmärkte. Für den Nobelpreisträger Robert Lucas von der Universität Chicago basieren die Entscheidungen der wirtschaftlichen Ak-teure auf »rationalen Erwartungen«, was die Möglichkeit von »syste-matischen Fehlern« ausschließe, die den Aktienmarkt in die falsche Rich-tung lenken könnten. Es ist von einer gewissen Ironie, dass genau zu ei-ner Zeit, in der die Finanzmärkte in Aufruhr gerieten, die Königlich Schwedische Akademie 1997 den Nobelpreis für Wirtschaftswissen-schaften an zwei amerikanische Ökonomen vergab, für ihre »neuartige Formel für die Bewertung von Aktienoptionen und Derivaten, die von Tausenden von Händlern und Investoren benutzt wird« – und, wie man hinzufügen sollte, auch von Hedgefonds-Managern bei ihren Spekula-tionsgeschäften auf dem Aktienmarkt. Zitate aus Greg Burns, »Two Americans Share Nobel in Economics«, in: Chicago Tribune, 15. Oktober 1997

Asienkrise und Rubelsturz. Historisch gesehen war die Finanzkrise von 1997 weit gravierender und zerstörerischer als alle vorangehenden Finanz-crashs. Sowohl die Aktien- als auch die Devisenmärkte zog sie in Mitleiden-schaft. Bei der Krise von 1987 waren die nationalen Währungen noch relativ stabil geblieben. Im Gegensatz zu den Zusammenbrüchen von 1929 und 1987 zeichnete sich jedoch die Finanzkrise von 1997/98 durch den gleich-zeitigen Kollaps von Währungen und Aktienmärkten aus. Eine beinahe sym-biotische Beziehung zwischen Börsen und Devisenmärkten hatte sich entwi-ckelt: Institutionelle Spekulanten waren nicht nur an der Manipulation der Aktienkurse beteiligt, sie hatten sich auch die Fähigkeit angeeignet, die De-

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visenreserven der Zentralbanken zu plündern, souveräne Regierungen zu unterlaufen und ganze Volkswirtschaften zu destabilisieren.

Im Laufe des Jahres 1997 führten Währungsspekulationen in Thailand, Indonesien, Korea, Malaysia und den Philippinen zu einem Transfer von Mil-liarden von Dollar an Zentralbankreserven in private Hände. Mehrere Beob-achter haben auf die bewusste Manipulation der Aktien- und Devisenmärkte durch Investmentbanken und Maklerfirmen hin gewiesen.14 Ironischerweise boten dieselben westlichen Finanzinstitute, die die Zentralbanken der Län-der der Dritten Welt geplündert hatten, danach den südostasiatischen No-tenbanken ihre »Hilfe« an. Die ING Barings-Bank z.B. wohlbekannt für ihre Spekulationsgeschäfte, machte im Juli 1997 der Zentralbank der Philippinen die großzügige Offerte, ihr einen Kredit über eine Milliarde Dollar zu gewäh-ren. In den darauf folgenden Monaten fielen die meisten dieser geliehenen Devisenreserven wieder den internationalen Spekulanten zu, als die philip-pinische Zentralbank in einem verzweifelten Versuch zur Stützung des Pe-sos große Dollarmengen auf dem Terminmarkt verkaufte.

Analysten und Wirtschaftsprofessoren gleichermaßen hatten die Gefahren einer globalen Finanzkrise in den Wind geschlagen und auf die »gesunden Fundamentaldaten« hingewiesen. Die Führer der G7-Staaten schwiegen vor lauter Angst, die »falschen Signale« zu geben. Die Analysten der Wall Street sprachen weiterhin unbeholfen von »Marktkorrekturen«, mit wenig Einsicht in die grundlegenden wirtschaftlichen Zusammenhänge.

Für den Sturz der New Yorker Börse am 27. Oktober 1997 wurden beiläu-fig »strukturell schwache Wirtschaften« in Südostasien verantwortlich ge-macht, die bis kurz zuvor als kommende Tiger galten und nun als lahme Enten dargestellt wurden. Der Ernst der Finanzkrise wurde herunterge-spielt: Alan Greenspan, der US-Notenbankchef, beruhigte die Wall Street, indem er mit der Autorität seines Amtes auf den »ansteckenden Charakter von Volkswirtschaften« hinwies, die »ihre Schwäche von Land zu Land verbreiten«. Nach Greenspans Verdikt vom 28. Oktober waren US-Broker und Ökonomen nun einhellig der Meinung, die Wall Street habe sich die »Hongkonggrippe« eingefangen.

In der unsicheren Zeit der Erholung der New Yorker Börse nach der »asiatischen Grippe« von 1997 – weitgehend angefacht durch eine panische Flucht aus japanischen Aktien – fielen die Finanzmärkte ein paar Monate später erneut und erreichten mit dem spektakulären Absturz des russischen Rubels im August 1998 einen neuen dramatischen Wendepunkt. Der Dow Jones fiel am 31. August 1998 um 554 Punkte – der zweitgrößte Kursverfall in der Geschichte der New Yorker Börse – , was im Laufe des Septembers zu einem dramatischen Kursverfall an den Börsen auf der ganzen Welt führ-te. Im Laufe weniger Wochen hatten sich 2300 Mrd. Dollar Buchgewinne am US-Markt verflüchtigt.

Der freie Fall des Rubels im August 1998 trieb die größten Geschäftsban-ken Moskaus in den Bankrott und eröffnete die Möglichkeit einer Übernah-me des russischen Finanzsystems durch eine Hand voll westlicher Banken und Investmenthäuser. Außerdem beschwor die Krise die Gefahr einer mas-

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siven Zahlungsunfähigkeit Moskaus gegenüber seinen Gläubigern herauf, zu denen nicht zuletzt die Deutsche und die Dresdner Bank gehörten. Seit Be-ginn der makroökonomischen Reformen in Russland nach der Schockthera-pie des IWF 1992 gingen russische Vermögenswerte von etwa 500 Mrd. Dollar – darunter Fabriken des militärisch-industriellen Komplexes, Infra-struktur und natürliche Ressourcen – durch Privatisierung und erzwungene Bankrotte in die Hand westlicher Kapitalisten über. In der brutalen Phase nach dem Kalten Krieg wurde so ein ganzes Wirtschafts- und Sozialsystem beseitigt (s. Kapitel 16). Land für Land fällt an die Wall Street. Statt die Finanzmärkte nach dem Sturm zu zähmen, hat Washington ein Gesetz durch den Senat gebracht, das die Macht der großen Finanzdienstleister und der ihnen angeschlosse-nen Hedgefonds beträchtlich erhöht. Mit dem im November 1999 (kaum eine Woche vor der historischen WTO-Konferenz in Seattle) ver-abschiedeten Financial Modernization Act hat der US-Gesetzgeber die Bahn für eine umfassende Deregulierung des US-Bankensystems frei gemacht.

Nach langen Verhandlungen sind alle Beschränkungen, denen die mäch-tigen Wall-Street-Banken bislang unterlagen, mit einem Federstrich zurück-genommen worden. Die neuen Regeln – vom US-Senat ratifiziert und von Präsident Clinton gebilligt – stellen es den Geschäftsbanken, Investmentfir-men, Hedgefonds, institutionellen Anlegern, Pensionsfonds und Versiche-rungsgesellschaften völlig frei, sich mit wechselseitigen Kapitalbeteiligungen zu verflechten und jeweils die ganze Bandbreite der Finanzgeschäfte abzu-decken.

Damit ist das Glass-Steagall-Gesetz von 1933 außer Kraft gesetzt, eine Säule der New-Deal-Politik von Franklin D. Roosevelt, das in Reaktion auf den Sumpf aus Korruption, Finanzmanipulationen und Insider-Handel erlas-sen worden war, in dem nach dem Wall-Street-Crash von 1929 über 5000 Banken versunken waren.15 Die Kontrolle der gesamten Finanzdienstlei-stungsindustrie der USA einschließlich Versicherungsgesellschaften, Pensi-onsfonds und Investmenthäusern ist damit effektiv auf eine Hand voll Fi-nanzkonzerne übergegangen – die zugleich Gläubiger und Anteilseigner von Hightech-Unternehmen, Rüstungsfirmen, großen Öl- und Bergbaukonzernen usw. sind. Darüber hinaus können nun die Finanzgiganten als Anleihegaran-ten der öffentlichen Schulden von Bund, Bundesstaaten und Kommunen die Politiker noch stärker in ihren Würgegriff nehmen und ihren dominierenden Einfluss auf die öffentliche Politik verstärken.

Im Zentrum dieses globalen »Superfinanzmarktes« stehen unangefoch-ten die Wall-Street-Giganten, die sich nicht nur ihre unmittelbaren Konkur-renten vom Halse halten und maßgeblichen Einfluss auf die Realökonomie ausüben, sondern auch tiefe Breschen in die Bastionen der Notenbank schlagen können. Denn deren Aufsichtsmacht ist durch den Financial Mo-dernization Act beträchtlich geschwächt worden. Der neue rechtliche Rah-men erlaubt es den Finanzriesen tatsächlich, unter Umgehung der Noten-

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bank und in stillschweigendem Einverständnis untereinander, die Zinsen nach ihrem Belieben festzusetzen.

Eine neue Ara der Rivalität auf den Finanzmärkten ist angebrochen. Dem amerikanischen Finanzkapital geht es in seiner Neuen Weltordnung letztlich darum, konkurrierende europäische und japanische Bankkonzerne aus dem Feld zu schlagen und bestenfalls mit einem exklusiven Club deutscher und britischer Bankgiganten strategische Allianzen zu schließen.

Tatsächlich genehmigte das US-Kontrollgremium, das Federal Reserve Board, in Verletzung bestehender Gesetze noch vor Verabschiedung des Financial Modernization Act 1999 mehrere Mammutfusionen im Bankensek-tor – darunter die der Nations Bank mit der Bank America sowie der Citi-bank mit der Travelers Group. Citibank, die größte Bank der Wall Street, und Travelers Group Inc. ein Finanzdienstleister und Versicherungskonzern, dem auch das große Investmenthaus Solomon Smith Barney gehört, legten ihre Unternehmen 1998 in einer 72-Mrd.-Dollar-Fusion zusammen.

Es kam auch zu strategischen Unternehmenszusammenschlüssen zwi-schen amerikanischen und europäischen Banken, mit denen sich entschei-dende Spieler wie die Deutsche Bank – die sich mit Banker’s Trust zusam-menschloss – und der Schweizer Bankkonzern Credit Suisse – der mit First Boston fusionierte – in den US-amerikanischen Finanzmarkt einkauften. Die Hong Kong Shanghai Banking Corporation, ein Bankriese mit Sitz in Groß-britannien, der bereits eine Partnerschaft mit Wells Fargo und der Wachovia Corporation eingegangen war, erwarb die Republic New York Bank des ver-storbenen Edmond Safra in einem Neun-Milliarden-Dollar-Deal.16

Nunmehr konkurrieren rivalisierende europäische Banken, die vom inne-ren Kreis der Wall Street ausgeschlossen blieben, in einem zunehmend un-freundlichen globalen Finanzumfeld. Banque Nationale de Paris erwarb die Société Générale de Banque und Paribas und stieg in die Reihen der welt-größten Banken auf. Auch sie plant, sich in größerem Maßstab in den nord-amerikanischen Markt einzukaufen.

Die Deregulierung des Finanzmarktes in den USA begünstigt eine bei-spiellose Konzentration von globaler Finanzmacht. Und sie bildet die Vorga-be für die globale Finanz- und Handelsreform unter Schirmherrschaft von IWF und WTO. Die Bestimmungen sowohl des Allgemeinen Abkommens über den Dienstleistungsverkehr (GATS) als auch des Abkommens über Finanzdienstleistungen (FTA) im Rahmen der WTO streben die Aufhebung der verbleibenden Barrieren für den freien Fluss des Finanzkapitals an. Das bedeutet, dass Merrill Lynch, Citigroup und Deutsche Bank hingehen kön-nen, wo immer es ihnen beliebt, um Nationalbanken und Finanzinstitute überall auf der Welt in den Bankrott zu treiben. In der Praxis ist dies bereits durch die Sofortprogramme von IWF und Weltbank zur Privatisierung und Abwicklung von Staatsbetrieben in etlichen Entwicklungsländern geschehen. Die Megabanken sind unter der Garantie in die Finanzmärkte eingedrungen, dass sie de facto operieren können wie nationale Unternehmen. Ohne sich auf die WTO-Bestimmungen des FTA stützen zu müssen, sind Wall-Street-Banken z.B. in Korea, Pakistan, Argentinien oder Brasilien praktisch zu ein-

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heimischen Instituten geworden, nach Gesetzen, die im Sinne der Vorgaben von IWF und Weltbank umgestaltet wurden (siehe Kapitel 21 und 22).

Die US-amerikanischen und europäischen Finanzgiganten müssen also nicht erst auf die Einführung des GATS warten, um weltweit den Banken-sektor dominieren und maßgeblichen Einfluss auf nationale Regierungen ausüben zu können. Der Prozess der globalen Deregulierung der Finanz-märkte ist in vieler Hinsicht eine vollendete Tatsache. Unterstützt vom IWF – der Länder regelmäßig zwingt, ihren heimischen Bankensektor für auslän-dische Investitionen zu öffnen –, kann die Wall Street fast überall inländi-sche Privatkundenbanken, Aktienhandelsfirmen und Versicherungsge-sellschaften übernehmen und umstrukturieren. Citigroup und andere Wall-Street-Größen sind auf eine globale Shoppingtour gegangen, um in Asien, Lateinamerika und Osteuropa Banken und Finanzinstitute zu Billigpreisen aufzukaufen. So übernahm Citigroup in Argentinien mit einem Schlag die Banco Mayo Cooperativo Ltda. mit ihren 106 Filialen und wurde damit zur größten Bank des Landes.

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20. Der Wirtschaftskrieg

Die Asienkrise von 1997 hat sich längst zu einer globalen Wirtschaftskrise ausgewachsen, immer tiefer stürzen die Finanzmärkte und Volkswirtschaf-ten in die Rezession. Angestachelt wurden die internationalen Geldmanager, deren spekulative Angriffe zu dieser Entwicklung beigetragen haben, durch den IWF, dem die bisherige Deregulierung der internationalen Kapitalflüsse noch nicht reicht. Nachdem das mächtige Finanzkapital die Handlungsmög-lichkeiten nationaler Regierungen geschwächt hat, diesem Wirtschaftskrieg wirkungsvoll zu begegnen, arbeitet es hinter den Kulissen daran, noch grö-ßere Kontrolle über die Bretton-Woods-Institutionen zu erlangen und noch größeren Einfluss auf die internationale Finanzarchitektur zu gewinnen.

Spekulative Angriffe durch die Manipulation der Marktkräfte. Der weltweite Wettlauf um die Aneignung von Reichtum durch Finanzmanipula-tionen ist die treibende Kraft der Krise. Er ist auch die Quelle aller wirt-schaftlichen Verwerfungen und des sozialen Elends. Die Manipulation der Marktkräfte durch mächtige Finanzakteure ist eine Form des Finanz- und Wirtschaftskriegs. Verlorene Territorien müssen nicht rekolonialisiert oder durch Armeen zurückerobert werden. Im späten 20. Jahrhundert kann die Eroberung von Nationen – die Kontrolle über ihre Produktivvermögen, ihre Arbeitskräfte, natürlichen Ressourcen und Institutionen – in unpersönlicher Weise von Konzernzentralen aus durchgeführt werden: Die Kommandos werden an einem Computerterminal eingegeben oder per Handy erteilt, erreichen umgehend die großen Finanzmärkte und können so unmittelbar die Erschütterung ganzer Volkswirtschaften auslösen. In der Finanzkriegfüh-rung kommen auch komplexe Spekulationsinstrumente zum Einsatz, darun-ter die ganze Bandbreite des Derivatenhandels, der Devisentransaktionen, Devisenoptionen, Hedgefonds, Indexfonds usw. Solche spekulativen In-strumente werden mit dem Ziel eingesetzt, finanziellen Reichtum anzuhäu-fen und Kontrolle über Produktivvermögen zu erlangen. »Diese gezielte Ab-wertung der Währung eines Landes durch Devisenhändler zu reinen Profit-zwecken«‚ so Malaysias Premierminister Mahathir Bin Mohammed, »ist eine gravierende Verletzung der Rechte unabhängiger Staaten.«17

Die Aneignung globalen Reichtums durch Marktmanipulation wird regel-mäßig von den tödlichen wirtschaftspolitischen Interventionen des IWF ge-fördert, die die Volkswirtschaften auf der ganzen Welt beinahe gleichzeitig erbarmungslos schwächen. Der Finanzkrieg kennt keine Grenzen; er be-schränkt sich nicht darauf, die ehemaligen Feinde des Kalten Krieges zu belagern. In Korea, Indonesien und Thailand haben institutionelle Spekulan-ten die Tresore der Zentralbanken geplündert, während die Notenbanken vergebens ihre Währungen zu stützen versuchten. 1997 sind auf diese Wei-

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se über 100 Mrd. Dollar asiatischer Devisenreserven »konfisziert« worden und innerhalb von Monaten in private Hände übergegangen. Nach den Wäh-rungsabwertungen sind die Realeinkommen und die Beschäftigung in den betroffenen Ländern praktisch über Nacht abgestürzt. Die dadurch ver-ursachte Massenarmut trifft Länder, die in der Nachkriegszeit beträchtliche wirtschaftliche und soziale Fortschritte erzielt hatten.

Der Finanzbetrug auf den Devisenmärkten hat die Volkswirtschaften asiatischer Länder destabilisiert und so die Voraussetzungen für die darauf folgende Plünderung ihres Produktivvermögens durch »Geierinvestoren« aus dem Ausland geschaffen.18 In Thailand sind 56 Banken und Finanzinsti-tute auf Anordnung des IWF geschlossen worden. Über Nacht hat sich die Arbeitslosigkeit praktisch verdoppelt.19 Auch in Südkorea hat die Interventi-on des IWF eine Kette tödlicher Bankrotte ausgelöst und zur Liquidation »in Schwierigkeiten geratener« Handelsbanken geführt (siehe Kapitel 21).

In vieler Hinsicht markiert die weltweite Krise das Ende der Zentralban-ken. Die nationale Souveränität über die Wirtschaft und das Vermögen der Nationalstaaten, die Geldschöpfung zum Wohl der Gesellschaft zu kontrollie-ren, sind geschwächt. Die privaten Devisenreserven in den Händen in-stitutioneller Spekulanten übersteigen die beschränkten Fähigkeiten der Zentralbanken weltweit. Diese sind, ob sie einzeln handeln oder sich kon-zentriert zusammentun, nicht mehr in der Lage, sich gegen die Welle spe-kulativer Angriffe zu stemmen. Die Geldpolitik liegt in den Händen privater Gläubiger, die in der Lage sind, staatliche Haushalte einzufrieren, die regu-läre Auszahlung von Löhnen an Millionen von Staatsbediensteten zu verei-teln (wie in der ehemaligen Sowjetunion geschehen) und den Zusammen-bruch von Produktion und Sozialprogrammen herbeizuführen.

Während sich die Krise vertieft, dehnen sich die spekulativen Angriffe auf die Notenbankreserven auf Lateinamerika und den Nahen Osten aus, mit vernichtenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. Ein neuer Hö-hepunkt ist Anfang 1999 mit dem dramatischen Zusammenbruch der Börse von Sao Paulo erreicht worden (siehe Kapitel 22).

Die Plünderung der Zentralbankreserven beschränkt sich jedoch keines-wegs auf die Entwicklungsländer. Sie hat auch mehrere westliche Länder getroffen, so Kanada und Australien, wo es den Notenbanken nicht gelun-gen ist, den Verfall ihrer nationalen Währungen aufzuhalten. In Kanada musste sich die Zentralbank 1998 Milliarden von Dollar von privaten Finan-ziers leihen, um nach spekulativen Angriffen ihre Reserven aufzufüllen. Und die geglückten Spekulationen gegen Korea sind nach Auffassung des Öko-nomen Michael Hudson für ein paar westliche Investmentbanken die Gene-ralprobe für die Übernahme des japanischen Finanzsektors gewesen, nach-dem der Yen auf neue Tiefststände gefallen ist.20 Die großen Spieler sind Goldman Sachs, Morgan Stanley, Deutsche Morgan Grenfell und andere. Sie kaufen Japans faule Kredite zu einem Zehntel ihres Nominalwertes auf.

Direkt nach der Asienkrise 1997 übte Washington politischen Druck auf Tokio aus und bestand auf »nichts weniger als auf der sofortigen Abstoßung der faulen Kredite zu Schleuderpreisen – vorzugsweise an US-amerikanische und andere ausländische >Geierinvestoren<. Um ihre Ziele

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zu erreichen, üben sie sogar Druck auf Japan aus, seine Verfassung zu än-dern, sein politisches System und das Kabinett umzubilden und sein Finanz-system neu zu gestalten… Sobald ausländische Investoren die Kontrolle über japanische Banken erringen, werden diese Banken damit beginnen, die japanische Industrie zu übernehmen.«21

Brandstifter als Feuerwehr. In einer integrierten Finanzdienst-leistungsindustrie sind die weltgrößten Banken und Investmenthäuser zu-gleich Gläubiger und institutionelle Spekulanten. Während der Asienkrise trugen sie mit ihren spekulativen Angriffen direkt zur Destabilisierung na-tionaler Währungen bei und trieben so das Volumen der in Dollar ausgewie-senen Schulden in die Höhe. Nach der Krise erschienen sie wieder als Gläu-biger um ihre Schulden einzutreiben, zu deren Schaffung sie durch die Ma-nipulation der Devisenmärkte selbst beigetragen hatten. Schließlich werden sie als wirtschaftliche und finanzpolitische »Berater« gerufen und mit der Gestaltung der von der Weltbank unterstützten »Konkursprogramme« be-traut, deren Nutznießer wiederum sie selbst sind. In Indonesien z.B. wurde während der Straßenschlachten nach dem Rücktritt von Mohammed Suhar-to die vom IWF verordnete Privatisierung von Schlüsselsektoren der indone-sischen Wirtschaft acht der weltgrößten Handelsbanken anvertraut, darun-ter Lehman Brothers, Credit Suisse-First Boston, Goldman Sachs und UBS/SBC Warburg Dillon Read.22 Die größten Geldmanager der Welt setzen erst Länder in Brand und werden dann im Rahmen eines »Rettungsplans« des IWF als Feuerwehrleute gerufen, um das Feuer zu löschen. Sie ent-scheiden letztlich, welche Unternehmen geschlossen und welche zu Billig-preisen an ausländische Investoren versteigert werden.

Unter dem Ansturm wiederholter spekulativer Angriffe schlossen die asiatischen Zentralbanken 1997 auf den Devisenterminmärkten Multi-Milliarden-Verträge, in einem vergeblichen Versuch, ihre Währungen zu schützen. Weil ihre eigenen Devisenreserven völlig erschöpft waren, sahen sich die Notenbanken gezwungen, im Rahmen der IWF-Stüt-zungsvereinbarung große Geldsummen zu leihen. Nach dem in der Mexiko-krise 1994/95 entwickelten Verfahren diente das Stützungsgeld jedoch nicht dazu, das Land aus seiner Notlage zu befreien. Tatsächlich kam es nie in Korea, Thailand und Indonesien an, sondern war von vornherein dafür vorgesehen, in die Kassen der institutionellen Spekulanten zurückzufließen, um sicherzustellen, dass sie ihre milliardenschwere Beute auch einstreichen konnten. So wurden aus den asiatischen Tigern – gezähmt von ihren Fi-nanzherren – lahme Enten. Korea, Indonesien und Thailand sind dazu ver-urteilt, ihre massiven Dollarschulden noch bis weit ins dritte Jahrtausend hinein mit sich herumzuschleppen.

Aber woher kommt das Geld, um solche Milliarden-Dollar-Operationen zu finanzieren? Nur ein kleiner Teil stammt aus Eigenmitteln des IWF. Seit der Stützungsaktion für Mexiko 1995 sind die G7-Staaten dazu aufgerufen, sich mit großen Summen an den Stützungsaktionen des IWF zu beteiligen, was zu einem erheblichen Anstieg ihrer Staatsverschuldung geführt hat. Was für eine Pointe! Die Mehrverschuldung, die z.B. die USA zur Finanzierung dieser

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Stützungsaktionen in Asien hinnehmen mussten, wurde von derselben Gruppe von Wall-Street-Banken gezeichnet und garantiert, die an den spe-kulativen Angriffen beteiligt gewesen war.

Mit anderen Worte: Die Banken, bei denen der Staat Schulden aufnimmt, um die Stützungsaktionen zu finanzieren, mit denen er einem Opfer beiste-hen will, haben nicht nur bereits die Beute unter sich aufgeteilt, sondern bereichern sich jetzt auch noch an dem Versuch, ihnen – den Banken – die-se Beute wieder zu entreißen.

Seit der Mexikokrise hat der IWF eine entscheidende Rolle bei der Son-dierung der finanziellen Terrains gespielt, auf dem die globalen Geldmana-ger ihre spekulativen Überfälle durchführen. Die großen Banken sind drin-gend auf den Zugang zu Insider-Informationen angewiesen. Sie wollen ei-nen möglichst direkten Zugang zu den Details der IWF-Verhandlungen mit den Mitgliedsländern, um ihre Spekulationsangriffe noch effektiver führen zu können, und rufen daher – unter Hinweis auf die nötige »Transparenz« – den IWF auf, »wertvolle Erkenntnisse« über dessen Verhandlungen mit na-tionalen Regierungen »zu liefern, ohne vertrauliche Informationen preiszu-geben«.23 Die sechs großen Geschäftsbanken der Wall Street, darunter Chase Manhattan, Bank America, Citigroup und J.P. Morgan, sowie die gro-ßen Handelsbanken – Goldman Sachs, Lehman Brothers, Morgan Stanley und Salomon Smith Barney – sind bereits bei den Beratungen über die Klauseln der asiatischen Stützungsaktionen zu Rate gezogen worden. In grausamer Ironie kontrollieren Spekulanten, nicht etwa gewählte Politiker, das Krisenmanagement; in absurder Logik laden die G7-Finanzminister jene Spekulanten, die die Finanzturbulenzen auslösen, dazu ein, Strategien zur Entschärfung von Turbulenzen auf den Finanzmärkten zu entwickeln.

Obwohl theoretisch auf finanzielle Stabilität verpflichtet, geht es den Banken in Wirklichkeit um den Zusammenbruch der nationalen Währungen. In den Monaten vor der Asienkrise drängte das Institute of International Finance (IIF) – eine Washingtoner Denkfabrik, die die Interessen von etwa 300 globalen Banken und Investmenthäusern vertritt – die Verantwortlichen in den aufstrebenden Märkten, sie sollten »steigenden Wechselkursen, wo nötig, entgegentreten«.24 Diese Forderung wurde auch dem IWF übermittelt – verbunden mit der Bitte, sich ebenfalls für den Verfall nationaler Währun-gen einzusetzen.25

Tatsächlich hatte der IWF Indonesien kaum drei Monate vor dem drama-tischen Kursverfall der Rupiah angewiesen, seine Währung nicht mehr zu stützen. »Half der IWF, diese Krise zu beschleunigen?«, fragte Steve For-bes, amerikanischer Milliardär und Präsidentschaftskandidat. »Diese Or-ganisation tritt für Offenheit und Transparenz in Volkswirtschaften ein, doch sie wetteifert mit der CIA bei der Verschleierung ihrer Operationen. Hat der IWF z.B. geheime Verhandlungen mit Thailand geführt und sich dabei für die Abwertung ausgesprochen, die sofort diese katastrophale Kette von Er-eignissen in Gang gesetzt hat?… Verschlimmerten die Rezepte des IWF die Krankheit? Die Währung dieses Landes wurde auf absurde Tiefstände ge-prügelt.«26

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Fiktive Ökonomie – realer Reichtum. In ihrem weltweiten Streben nach Macht und Reichtum üben globale Banken und multinationale Konzerne wei-ter Druck aus, um die völlige Deregulierung der internationalen Kapitalflüs-se und damit auch die ungehemmte Verschiebung von »heißem« und »schmutzigem« Geld zu erreichen.27 Der IWF hat sich diese Forderungen zu Eigen gemacht und sich 1998 formell verpflichtet, die Kapitalbewegungen deregulieren zu wollen. Er will seine Satzung mit dem Ziel überarbeiten, »die Liberalisierung der Kapitalbewegungen zu einem der Ziele des Fonds zu machen und die Befugnisse des Fonds, soweit erforderlich, zu diesem Zweck« auszudehnen.28 Michel Camdessus räumte zwar ein, dass »nach der Öffnung ihres Kapitalverkehrs eine Reihe von Entwicklungsländern unter spekulative Attacken geraten könnten«, wiederholte aber, dass sich dies durch eine »solide makroökonomische Politik und robuste Finanzsysteme in den Mitgliedsländern« vermeiden ließe – das Standardrezept des IWF für wirtschaftliche Katastrophen.29

Währenddessen bleiben die tieferen strukturellen Ursachen der Wirt-schaftskrise im Dunkeln. Geblendet vom neoliberalen Dogma, sind die Poli-tiker unfähig, zwischen Lösungen und Ursachen zu unterscheiden. Die Öf-fentlichkeit wird in die Irre geführt. Begraben unter einer Flut von eigennüt-zigen Medienberichten über die tödlichen Konsequenzen »wirtschaftlicher Ansteckung«, finden ebenjene Marktmechanismen, die Ursache der Instabi-lität auf den Finanzmärkten sind, kaum Erwähnung. Kasten 20.1

Die destabilisierenden Auswirkungen der Hedgefonds Als »Interessengemeinschaft reicher Investoren« bezeichnet, wurden die Hedgefonds vom Finanzestablishment geschaffen, um den Interessen von Banken, Unternehmen und reichen Einzelpersonen zu dienen. Sie sind zu einem integralen Bestandteil der Strukturen von Investmentban-ken geworden und verfügen über ein ausgewiesenes Grundkapital von etwa 300 Mrd. Dollar. Durch äußerst einträgliche Geschäfte ist dieses Kapital jedoch mittlerweile in astronomische Höhen gestiegen: Vor dem Zusammenbruch des Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) hatte sein Manager John Meriwether für jede Million eingetrage-nen Kapitals 500 Mio. Dollar investiert, insgesamt geschätzte 200 Mrd. Dollar. Und diese Summe, für irgendwelche dunklen Investitionen in auf-strebenden Märkten, ist das Anlagevolumen nur eines einzigen Hedge-fonds von insgesamt 4000! Es erübrigt sich zu erwähnen, dass ein gro-ßer Teil des Hedgefonds-Geschäfts über Steueroasen abgewickelt und nicht versteuert wird. Die Hedgefonds-Manager haben allerbeste Verbindungen. Sie sind eng mit großen Bankinteressen verbunden und üben beträchtlichen Einfluss auf die Richtung der IWF-Reformen der G7-Staaten aus. Die Finanzmini-ster und die Notenbanker dieser Staaten stimmen darin überein, dass es unklug wäre, die Hedgefonds zu regulieren.

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Die Hedgefonds sind in der Lage, Milliarden von Dollar über Nacht um die ganze Welt zu transferieren, und stellen die Macht ganzer Staaten in den Schatten. Ihre Operationen beruhen auf der Manipulation der Marktkräf-te: Die Hedgefonds schöpfen große Reichtümer von der realen Wirtschaft ab, was letztlich zur Anhäufung gewaltiger Schulden und zu der Schlie-ßung von Produktionsstätten führt. Die dramatische Rettungsaktion eines Konsortiums der Wall Street für den LTCM-Hedgefonds im September 1998, der urplötzlich Schulden in Höhe von drei Milliarden Dollar verwaltete, ist nur die Spitze des Eisber-ges in einem globalen Spinnennetz von über 4000 Hedgefonds. John Me-riwether, der LTCM leitet, war zuvor Manager bei Salomon Brothers. In Kombination mit den Schwierigkeiten der peripheren Rentenmärkte würde ein Scheitern der Hedgefonds auf die gesamte Struktur des west-lichen Bankensektors zurückschlagen, einschließlich der 55 Bankenpara-diese auf den Kaiman- und den Bermudainseln, in Luxemburg und an-derswo. Die Instabilität der Aktienmärkte bedroht zudem die Zukunft von Investmentfonds und Pensionsfonds: Auch zu ihrem Portfolio gehören spekulative Investitionen. Die Umstrukturierung der globalen Finanzmärkte und Finanzinstitutionen hat – zusammen mit der Plünderung der Volkswirtschaften – die Anhäu-fung von riesigen Mengen privaten Reichtums ermöglicht. Ein großer Teil davon verdankt sich rein spekulativen Transaktionen. Es besteht keine Notwendigkeit mehr, Güter zu produzieren: Bereicherung findet zuneh-mend außerhalb der realen Wirtschaft, jenseits echter Wirtschaftstätig-keit in Produktion und Handel statt. 1996 waren »Erfolge am Aktien-markt der Wall Street«, also Spekulationsgewinne, »hauptverantwortlich für die exorbitante Zunahme von Milliardären«.3o

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21. Die Rekolonialisierung Koreas

In den letzten Novembertagen 1997 flog ein IWF-Team unter Leitung des Troubleshooters Hubert Neiss nach Seoul. Sein Auftrag: eine Stützungsakti-on nach mexikanischem Stil auszuhandeln, um die wirtschaftliche Stabilität Südkoreas wiederherzustellen. Es war ein Präzedenzfall: Die bittere Medizin, die der IWF gewöhnlich Ländern der Dritten Welt und Osteuropas verab-reichte, wurde nun zum ersten Mal auf ein entwickeltes Industrieland ange-wandt. Und es war eilig: Am 18. Dezember, also in gut drei Wochen, sollten Präsidentenwahlen stattfinden, und es war nicht ausgemacht, mit wem man es dann zu tun bekommen würde.

Washington hatte in Zusammenarbeit mit der US-Botschaft sorgfältig die Bühne bereitet. Auf nicht sonderlich sanften Druck hin hatte Noch-Präsident Kim Young Sam kaum eine Woche vor Ankunft der IWF-Mission seinen Fi-nanzminister Kang Kyong Shik entlassen, weil dieser angeblich die Verhand-lungen mit dem IWF behindert hatte. Sein Nachfolger Lim Chang Yuel war wie zufällig ein ehemaliger IWF- und Weltbankmitarbeiter den Koreas Mili-tärherrscher in den 80er Jahren zur Zeit des Ausnahmezustands nach Wa-shington entsandt hatten. Auch der Wirtschaftsberater des Präsidenten, Kim In Ho, wurde kurzfristig entlassen, weil er die »IWF-Option verächtlich zu-rückwies und sagte, Seoul würde die internationale Glaubwürdigkeit durch eigene Anstrengungen wiederherstellen«.31

Finanzminister Lim machte sich, kaum ernannt, eilends auf den Weg nach Washington zu Verhandlungen mit seinem ehemaligen Kollegen, dem stellvertretenden IWF-Direktor Stanley Fischer. Merkwürdigerweise stand dieser Termin schon fest, bevor Lim ins Kabinett berufen wurde. Der neue Präsident knickt ein. Die Verhandlungen der Regierung mit dem IWF, ob nun in Washington oder in Seoul, waren ein streng gehütetes Geheimnis. Erst am Freitag, dem 21. November gab die Regierung offiziell bekannt, dass sie sich um eine Stützungsaktion des IWF bemühe. Am näch-sten Werktag, dem 24. November, stürzte die Börse wegen der be-fürchteten IWF-Maßnahmen und der dann zu erwartenden Unternehmens- und Bankzusammenbrüche auf ein Zehnjahrestief – es war der »Schwarze Montag von Seoul«. Dabei hieß es doch offiziell, dass die Intervention des IWF dem Land helfen sollte, »Vertrauen und wirtschaftliche Stabilität wie-derherzustellen«. Getreu die Anweisungen aus Washington befolgend, hob Finanzminister Lim alle Devisenkontrollen auf, um »ausländische Investoren zurückzuwerben« – und forderte damit unweigerlich weitere spekulative Angriffe gegen den Besiegten heraus.32

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Zwei Tage später, am 26. November, traf dann die erwähnte IWF-Delegation unter Führung von Hubert Neiss auf dem Kimpo-Flughafen in Seoul ein. Und gerade einmal vier Tage später am 30. November hatten sich die Parteien auf eine vorläufige Vereinbarung geeinigt. Lim Chang Yuel erklärte, etwaige Korrekturen würden »geringfügig sein und die Vereinba-rung nicht substanziell« verändern.33 Tatsächlich gab es nichts, worüber man sich noch hätte einigen müssen, schließlich war ja der Finanzminister ein früherer IWF- und Weltbankmitarbeiter. Der Entwurf der Vereinbarung war im IWF-Hauptquartier in Washington vor Ankunft der Delegation vorbe-reitet worden und die »politischen Lösungen« bereits in Konsultationen mit der Wall Street und dem US-Finanzministerium beschlossene Sache.

Michel Camdessus flog am Morgen des 3. Dezember nach Seoul, um den Deal abzuschließen. Der Präsident der Bank von Korea, Kyung Shik Lee, und Finanzminister Lim unterschrieben eine formale »Absichtserklärung«, die ebenfalls eilig mit der Hilfe von IWF-Vertretern entworfen worden war.34

Dass bei den Abschlussverhandlungen »inoffiziell« auch David Lipton, Un-terstaatssekretär des US-Finanzministeriums, zugegen war, wurde der ko-reanischen Öffentlichkeit erst bekannt gegeben, als das 57-Mrd.-Dollar-Paket unterzeichnet und besiegelt war.35

Die IWF-Mission kam am 3. Dezember zu einem raschen Ende. Hubert Neiss flog zurück nach Washington, wo am folgenden Tag, dem 4. Dezem-ber, der Exekutivrat des IWF zusammentreten sollte, um die Abmachung zu ratifizieren. Nach dessen Zustimmung räumte der stellvertretende Direktor des IWF, Stanley Fischer, bei einer abschließenden Pressekonferenz ein: »Es gibt einen neuen stellvertretenden Premier- und Finanzminister, Herrn Lim, der in den 80er Jahren jedoch glücklicherweise als Exekutivdirektor beim Fonds und auch bei der Weltbank gearbeitet hat. Daher ist er mit die-sen Institutionen vertraut. Aber er kam erst vor zwei Wochen ins Amt… Er hat sich, wie zu erwarten, als ein sehr harter Verhandlungsführer erwiesen. Und ich glaube, dass die Vereinbarung, die erreicht wurde, sehr viel Mut und sehr viel Weisheit für die Zukunft der koreanischen Wirtschaft be-weist.«36

Mit dem Rückenwind der IWF-Ratifizierung konnte Finanzminister Lim noch am selben Tag mit einer vorbereiteten Erklärung im Fernsehen vor seine Landsleute treten und post festum um Entschuldigung bitten: »Ich entschuldige mich im Namen der Mitarbeiter des Finanzministeriums beim Volk… Die Währungskrise in den südostasiatischen Ländern hat zu unserer Devisenkrise geführt. Wir haben nicht weise (auf die Krise) reagiert. Ich entschuldige mich dafür dass wir das Stützungspaket des IWF akzeptieren mussten.«37

Aber der Deal war noch nicht endgültig unter Dach und Fach. Der Präsi-dentschaftskandidat der Mitte-links-Opposition, Kirn Dae Jung, präsentierte sich als entschiedener Gegner der IWF-Stützungsaktion und beschuldigte die scheidende Regierung, einen massiven Ausverkauf der koreanischen Wirtschaft zu betreiben: »Ausländische Investoren können ganz nach Belie-ben unseren gesamten Finanzsektor, einschließlich der 26 Banken, 27 In-vestmentfirmen, zwölf Versicherungsgesellschaften und 21 Handelsbanken,

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von denen alle an der koreanischen Börse notiert sind, für nur 5,5 Billionen Won aufkaufen, also für 3,7 Mrd. Dollar.«38

Dann die politische Kehrtwende: Kaum zwei Wochen später, nachdem er den Präsidentschaftswahlkampf gewonnen hatte, war Kim Dae Jung zu ei-nem unerschütterlichen Befürworter der bitteren IWF-Medizin geworden: »Ich werde mutig den Markt öffnen, in einer Weise, dass ausländische Inve-storen mit Zuversicht investieren.« Bei einer Massenveranstaltung bekräf-tigte er seine unbeirrbare Unterstützung für den IWF: »Die Reform wird schmerzhaft sein, aber wir sollten dieses Risiko als Chance sehen.«39

Auf politischen Druck der Wall Street und Washingtons war Kim Dae Jung – ehemaliger Dissident, politischer Gefangener und entschiedener Gegner der von den USA unterstützten Militärregimes von Park Chung Hee und Chun Doo Hwan – noch vor seiner Amtseinführung als demokratisch gewählter Präsident des Landes eingeknickt. Sondersitzungen mit weit reichenden Folgen. Trotz Kim Dae Jungs Unterstützung blieb für die Umsetzung der IWF-Vereinbarung noch allerlei zu tun. Schließlich mussten neue Gesetze her um u.a. die beabsichtigten Massenentlassungen ordnungsgemäß abzuwickeln. Man verlor keine Zeit. Der Unterstaatssekretär des US-Finanzministeriums David Lipton flog aber-mals nach Seoul. Dieses Mal wurde seine Anwesenheit offiziell bekannt ge-geben. Am 22. Dezember ließ sich Kirn Dae Jung zu einem Treffen mit Lip-ton herbei, in dem es um die Notwendigkeit ging, »Arbeitnehmer als Teil der industriellen Umstrukturierung zu entlassen und die Wirtschaft wettbe-werbsfähig zu machen«.40 Eine Sondersitzung des Parlaments wurde für den 23. Dezember anberaumt, auf der Kirn grünes Licht von den Volksver-tretern erhielt. Die vier wichtigsten Gesetze der Regierung zur Erfüllung der IWF-Vereinbarung wurden eilends und praktisch ohne Debatte ratifiziert.41

Das südkoreanische Parlament verwandelte sich in ein reines Abnickgremi-um.

Nach dieser Sondersitzung war die Zentralbank so regie-rungsunabhängig, wie sich das der IWF gewünscht hatte. Nun konnte der koreanische Staat die Wirtschaftsentwicklung des Landes nicht mehr durch eine eigene Geldpolitik finanzieren, d.h. durch heimische Kredite, ohne von ausländischen Darlehen abhängig zu sein. Dabei war das System staatlich unterstützter Kredite für Koreas dynamische Industrieentwicklung in den vorangehenden 40 Jahren von großer Bedeutung gewesen.

Wie zur Belohnung für das erwiesene Wohlverhalten stufte die Rating-Agentur Moody´s Investor Service, die im Namen der US-Bankeninteressen agiert, die koreanischen Staats- und Unternehmensanleihen, darunter die von 20 Banken, zu Junk-Bonds herab.42

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Kasten 21.1

Ein 57-Mrd.-Dollar-Paket wird geschnürt Chronologie 19. November bis 26. Dezember 1997 19. November Der scheidende Präsident Kirn Young Sam entlässt Fi-

nanzminister Kang Kyong Shik wegen »Behinderung der Verhandlungen« mit dem IWF. Kang wird durch Lim Chang Yuel ersetzt, einen ehemaligen Executive Director des IWF.

20. November Lim Chang Yuel eilt nach Washington zu Gesprächen mit seinem früheren Kollegen, dem Deputy Managing Director des IWF, Stanley Fischer.

21. November Die koreanische Regierung gibt offiziell bekannt, dass sie eine Vereinbarung mit dem IWF anstrebt. Verhand-lungsführer:

Lim Chang Yuel. 24.November Der »Schwarze Montag von Seoul«: Der koreanische Akti-

enmarkt stürzt wegen der erwarteten Sparmaßnahmen des IWF-Pakets und befürchteter Unternehmens- und Banken-zusammenbrüche auf ein Zehnjahrestief.

26.November IWF-Delegation unter Führung von Hubert Neiss trifft in Seoul ein.

27.November Zwischen der IWF-Mission und koreanischen Regierungs-vertretern beginnen die Geheimgespräche.

30.November Nach vier Verhandlungstagen einigen sich IWF und Regie-rung auf eine »vorläufige Vereinbarung«.

1.Dezember Der Entwurf der Vereinbarung wird dem koreanischen Ka-binett zur Billigung vorgelegt.

3.Dezember Der IWF-Chef Michel Camdessus trifft in Seoul ein, um die Verhandlungen abzuschließen. In Gesprächen mit Camdes-sus erklärt der Unterstaatssekretär des US-Finanzministeriums, David Lipton, dass der Deal nicht zu-stande kommen kann, wenn nicht alle drei Präsident-schaftskandidaten der IWF-Stützungsaktion ihre Unterstüt-zung zusichern.

4.Dezember Vom Exekutivausschuss des IWF wird der endgültige Text der Vereinbarung ratifiziert und eine erste Tranche von 21 Mrd. Dollar bereitgestellt.

5.Dezember Präsidentschaftskandidat Kim Dae Jung erklärt seine Ab-lehnung der IWF-Vereinbarung und warnt die Öffentlichkeit vor vernichtenden wirtschaftlichen und sozialen Auswir-kungen.

18.Dezember Kim Dae Jung gewinnt die Präsidentschaftswahlen und er-klärt umgehend seine bedingungslose Unterstützung des IWF-Programms.

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22.Dezember David Lipton trifft in Seoul ein und verlangt von Kim Dae Jung, Massenentlassungen zuzustimmen.

23.Dezember Sondersitzung des Parlaments. Es billigt die vier wichtig-sten Gesetze der Regierung zur Durchführung des IWF-Programms.

24.Dezember Wall-Street-Banker treffen sich zu einer weihnachtlichen Notsitzung. Um Mitternacht stimmt der IWF der sofortigen Anweisung von zehn Mrd. Dollar an Korea zu.

26.Dezember Kirn Dae Jung verpflichtet sich zu harten Maßnahmen: »Die Unternehmen müssen ihre Löhne einfrieren oder kür-zen. Sollte dies nicht ausreichen, sind Entlassungen un-vermeidlich.«

Einen Tag nach der Sondersitzung des koreanischen Parlaments, also am Heiligabend, fiel die letzte Entscheidung über den 57-Mrd.-Dollar-Deal in New York. Die Topfinanziers der Wall Street von der Chase Manhattan, Bank America, Citicorp und J.P. Morgan sowie die Repräsentanten der großen New Yorker Handelsbanken Goldman Sachs, Lehrnan Brothers, Morgan Stanley und Salomon Smith Barney wurden zu einem Treffen in der Zen-tralbank gebeten.43 Nahezu gleichzeitig kamen in Frankfurt hinter verschlos-senen Türen etwa 80 europäische Gläubiger unter Vorsitz der Deutschen Bank zusammen, während sich die zehn großen japanischen Banken, die einen beträchtlichen Anteil der kurzfristigen koreanischen Schulden hielten, in Tokio mit Kyung Shik Lee, dem Präsidenten der Bank von Korea, trafen.

Nachdem der IWF um Mitternacht grünes Licht von den Banken erhielt, konnte er »sofort zehn Milliarden Dollar an Seoul anweisen, um die jetzt massenhaft fällig werdenden kurzfristigen Kredite zu begleichen«.44

Diese Treffen an Weihnachten waren entscheidend. Die Banken bestan-den darauf, dass die Milliarden-Dollar-Stützung – finanziert von den G7-Staaten, dem IWF, der Weltbank und der Asian Developrnent Bank – unter keinen Umständen zu positiven Kapitalzuflüssen nach Korea führen sollte. Die Tresore der koreanischen Zentralbank waren geplündert. Gläubiger und Spekulanten warteten begierig darauf, die Beute einzufahren. Das Stüt-zungsgeld war folglich nur dafür vorgesehen, westliche und japanische Fi-nanzinstitute sowie Devisenhändler auszuzahlen. Dieselben Institute, die zuvor gegen den koreanischen Won spekuliert hatten, kassierten nun das Stützungsgeld des IWF. Ein glatter Betrug also. Korea war dazu verurteilt, diese Milliardenschulden bis zum Jahr 2006 zu bedienen.

Die Stützungsaktion des IWF unterminierte die wirtschaftliche Souveräni-tät Koreas und etablierte de facto eine koloniale Administration unter einem demokratisch gewählten Präsidenten. Sie stürzte das Land praktisch über Nacht in eine tiefe Rezession. Die sozialen Auswirkungen waren vernich-tend. Der Lebensstandard brach zusammen, die IWF-Reformen drückten die Reallöhne und lösten massive Arbeitslosigkeit aus.

Die Vereinbarung hob alle Begrenzungen für ausländisches Eigentum auf und öffnete den heimischen Bondmarkt für ausländische Investoren: »Aus-

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ländische Finanzinstitute werden in unbeschränktem Umfang Anteile an heimischen Banken erwerben können.«45 Auch die Zentralbank war faktisch zerschlagen und ausgeplündert. Schon im November waren ihre Devisenre-serven auf ein Allzeittief von 7,3 Mrd. Dollar gestürzt. Die Finanz- und Geld-politik Koreas wird jetzt von den ausländischen Gläubigern diktiert.

Zerschlagung und Ausverkauf. Auf der Linie des IWF-Programms lag nicht zuletzt die Zerstückelung der koreanischen Chaebol. Diese großen Konglomerate wurden ausdrücklich aufgefordert, strategische Allianzen mit ausländischen Firmen einzugehen – und damit den Weg für ihre Übernahme und Kontrolle durch ausländisches Kapital zu ebnen. Ausgewählte koreani-sche Banken sollten für ausländische Käufer attraktiver werden, indem sie ihre faulen Kredite an einen »öffentlichen Stützungsfonds« abgaben, an die Korea Asset Management Corporation. Die Autogruppe KIA, einer der größ-ten Konzerne Koreas, erklärte ihre Zahlungsunfähigkeit. Ein ähnliches Schicksal ereilte die Halla Group, ein großer Autozulieferer sowie Schiff- und Maschinenbaukonzern.

Direkt im Namen der Wall Street verlangte der IWF die Zerschlagung der Daewoo Group einschließlich des Verkaufs der zwölf Daewoo-Tochtergesellschaften, die »in Schwierigkeiten« waren. Daewoo Motors stand zum freien Verkauf, die gesamte Autozuliefererindustrie des Landes war in der Krise, Koreas größtes Geschäftsimperium Hyundai sollte »ent-flochten«, d.h. zerschlagen werden, damit das ausländische Kapital zu gün-stigen Preisen die »Scherben auflesen« konnte.

Die vom IWF aufgezwungene Einfrierung der Kredite hinderte die Zen-tralbank daran, den angeschlagenen Unternehmen zu Hilfe zu kommen. Und die Geschäftsbanken »sperren sich zunehmend gegen Kredite an Un-ternehmen, um sich für die knappere Geldzufuhr der Zentralbank zu wapp-nen«.46 Mehr als 90 Prozent der Baufirmen standen kurz vor dem Bankrott – mit Schulden von zusammengenommen 20 Mrd. Dollar bei heimischen Finanzinstituten.47

Ein Fusions- und Übernahmeboom brach aus. Koreas Hightech-, Elektro-nik- und Fertigungsindustrie standen zum Verkauf. Westliche Unternehmen gingen auf Einkaufstour und kauften Konzerne zu Billigstpreisen. Die Abwer-tung des Won – verbunden mit dem Absturz der Seouler Börse – hatte den Dollarwert koreanischer Vermögenswerte dramatisch gesenkt.

Die Hanwha Group verkaufte ihre Ölraffinerien an Royal Dutch/Shell, nachdem sie die Hälfte ihres Chemie-Joint-Venture an BASF verkauft hatte. In wenigen Monaten war der Marktwert von Samsung Electronics, dem weltgrößten Produzenten von Speicherchips, von 6,5 auf 2,4 Mrd. Dollar ge-fallen. »Es ist jetzt billiger, eines von diesen Unternehmen zu kaufen als eine Fabrik – und man bekommt den ganzen Vertrieb, den Markennamen und die ausgebildeten Arbeitskräfte gleich dazu.«48

Zu den vom IWF geforderten Marktreformen gehörte seltsamerweise auch die »Verstaatlichung« der großen Geschäftsbanken Korea First Bank, Seoul Bank, der mit der Hanil Bank fusionierten Commercial Bank of Korea,

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der Korea Exchange Bank und der Cho Hung Bank49 – aber wohl nur des-halb, um sie auf diesem Umweg desto besser reprivatisieren zu können.

Die Korea First Bank und die Seoul Bank kamen sofort unter den Ham-mer. Den Verkauf übernahm eines der größten Investmenthäuser der Wall Street: Morgan Stanley Dean Witter. Nur seriöse ausländische Investoren sollten mitbieten dürfen.

Amerikanische Tycoons eilen zu Hilfe. Amerika kam Koreas angeschla-genen Banken »zu Hilfe«, doch die Auktion der Geschäftsbanken war ein nur zu offensichtlicher Betrug und Ausverkauf. Für magere 454 Mio. Dollar ging die Mehrheitsbeteiligung (51 Prozent) an der Korea First Bank in die Hand von Newbridge Capital Ltd. über, eine auf hochgradig fremd-kapitalfinanzierte Übernahmen spezialisierte US-Gruppe.50 Newbridge wurde von dem US-Finanzier Richard Blum, dem Ehemann der kalifornischen Se-natorin Dianna Feinstein, in Partnerschaft mit dem texanischen Milliardär David »Bondo« Bonderrnan von der Texas Pacific Group kontrolliert. Bon-derman seinerseits ist ein enger Geschäftspartner eines weiteren prominen-ten Tycoons aus Texas, Robert Bass, der sich ebenfalls an der Übernahme der Korea First Bank beteiligte.

Mit einem Schlag hatte eine kalifornische Investmentfirma – erkennbar ohne Erfahrung im Geschäftsbankensektor – die Kontrolle über eines der ältesten koreanischen Bankinstitute mit 5000 Beschäftigten und einem mo-dernen Filialnetz im ganzen Land erlangt. Und die westlichen Finanzmedien applaudierten Newbridge Capital zu dem fairen Angebot, für die Korea First Bank 500 Mrd. Won (454 Mio. Dollar) hinzublättern. Tatsächlich zahlten Blum, Bonderman und Partner bei dem IWF-geförderten Betrug nicht einen einzigen Dollar ihres eigenen Geldes. Die Korea First Bank fiel ihnen kosten-los in den Schoß.51

In ihrer Vereinbarung mit Newbridge gewährte die Regierung der Korea First Bank so genannte Rückgabeoptionen (put back options), die den neu-en Eigentümern eine Kompensation für alle faulen Kredite einräumte, die vor dem Kauf angefallen waren. In der Praxis hieß das, dass die Regierung in mehreren Tranchen insgesamt 17,3 Billionen Won in die Korea First Bank schoss, also das Fünfunddreißigfache des Preises, den sie von Newbridge Capital erhalten hatte. Eine neue Spielart der Wegelagerei: Eine völlig fikti-ve »Investition« von 454 Mio. Dollar hatte es Blum, Bonderman und Partner ermöglicht, ein Regierungsgeschenk von 15,9 Mrd. Dollar einzustreichen. Nicht schlecht! Und der Auktionator Dean Witter von Morgan Stanley kas-sierte bei diesem lukrativen Betrug auch noch fette Kommissionen sowohl von der koreanischen Regierung als auch von den neuen amerikanischen Eigentümern der Korea First Bank.

Und wie finanzierte die Regierung dieses Milliarden-Dollar-Geschenk? Na-türlich durch niedrigere Löhne, massive Entlassungen von Staatsbedienste-ten, drastische Kürzungen der Sozialleistungen und mit Milliarden von Dollar geliehenen Geldes.

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Die koreanische Regierung war in einen Teufelskreis geraten. Das Milliar-dengeschenk zugunsten der Wall Street wurde mit Krediten der Wall Street, des IWF und der Weltbank finanziert. Die Regierung finanzierte also ihre eigene Verschuldung. Tatsächlich waren zwei Milliarden Dollar der kurz vor dem Ausverkauf der Korea First Bank von der Weltbank bewilligten Kredite dafür vorgesehen, amerikanischen Investoren zu »helfen«, sich im koreani-schen Bankensektor Mehrheitsbeteiligungen zu verschaffen.

Die neuen amerikanischen Eigentümer der Korea First Bank waren von einem zum anderen Tag Gläubiger der einst mächtigen, nun in die Knie ge-zwungenen koreanischen Konzerne geworden. Die koreanischen Manager wurden entlassen. Neuer, von Newbridge ernannter Präsident der Korea First Bank wurde Robert Barnum, ein erfolgreicher Finanzier aus der texani-schen Finanzwelt mit engen Verbindungen zu dem Milliardär Robert Bass aus Forth Worth und seiner Robert Bass Group. Ebenfalls an Bord war Micky Kantor, ehemaliger US-Handelsminister und zuvor NAFTA-Verhand-lungsführer unter George Bush, zusammen mit dem Immobilienmagnaten Thomas Barrack aus Los Angeles, Vorsitzender von Colony Capital Inc. ehe-dem persönlicher Geldmanager von Robert Bass.52

Finanziert von der koreanischen Staatskasse, wurden die neuen texani-schen und kalifornischen Eigentümer der Korea First Bank somit zu »heimi-schen Gläubigern« der angeschlagenen koreanischen Konzerne. Ohne einen einzigen Dollar zu investieren, hatten sie nun die Macht, ganze Branchen der koreanischen Industrie nach Belieben umzubilden, zu rationalisieren oder zu schließen, einschließlich der Elektronik-, Auto-, Schwer- und Halb-leiterindustrie. Das Schicksal der Arbeitnehmer der Chaebol lag ebenfalls in Händen der neuen amerikanischen Eigentümer. Tatsächlich erforderten die meisten Übernahmen und Entflechtungen der Chaebol nun die Zustimmung der westlichen Finanzinteressen.

Wir wollen mit dieser Geschichte aber nicht den Eindruck erwecken, als seien in Korea deutsche Geschäftsinteressen ganz leer ausgegangen. Als Teil des IWF-Programms übernahm die Deutsche Bank das Management der Seoul Bank, die zusammen mit der Korea First Bank »verstaatlicht« worden war. Mittlerweile arbeitete Hubert Neiss, der die unheilvolle Stützungsaktion im Dezember 1997 ausgehandelt hatte, nicht länger für den IWF: Er war zum Präsidenten der Deutsche Bank Asia in Hongkong ernannt worden. Zu seinen neuen Aufgaben gehört das Management der Seoul Bank, dessen Bedingungen in dem IWF-Programm festgelegt sind, das er selbst als Mit-glied des IWF in Washington ausgearbeitet hatte.53

In einem ähnlichen Deal erhielt die mit der Deutschen Bank konkurrie-rende Commerzbank die Managementkontrolle über die Korea Exchange Bank.54 Auch die beiden deutschen Banken waren also über Nacht zu Gläu-bigern der Chaebol geworden, ohne auch nur eine einzige Mark zu in-vestieren. Als Manager im Namen der koreanischen Regierung kontrollieren Deutsche Bank und Commerzbank nun die Umschuldung der faulen Kredite der Chaebol und die verschiedenen Übernahmeangebote für koreanische Industrieunternehmen durch ausländisches Kapital.

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… und morgen ganz Korea? 1945 wurde die Kolonialherrschaft der Japa-ner auf der koreanischen Halbinsel von der politischen und militärischen Dominanz der USA verdrängt. General MacArthur setzte unter Syngman Rhee, einem Koreaner, der in den USA im Exil gelebt hatte, eine proameri-kanische Marionettenregierung ein.

Im Schatten dieses Regimes kontrollierten koreanische Wirtschaftsgrup-pen weitgehend die Wirtschaftspolitik. Das neue System indirekter Herr-schaft bot einem »nationalen Kapitalismus« gedeihliche Entwicklungschan-cen. Die koreanischen Chaebol wurden schließlich zu einer machtvollen Größe auf den internationalen Märkten.

Das Wachstum des koreanischen Kapitalismus war jedoch nur von relativ kurzer Dauer. Bereits in den 80er Jahren führte die wirtschaftliche Globali-sierung zu schrumpfenden Märkten und einer durch Überproduktion ge-kennzeichneten Weltwirtschaft (siehe Kapitel 3). In den 90er Jahren intensi-vierte sich die Rivalität und Konkurrenz zwischen den Konzernen. Die ko-reanischen Chaebol galten als Eindringlinge, die amerikanische, europäische und japanische Konzerninteressen verletzten. Die Stützungsaktion des IWF von 1997 diente deshalb bewusst dem Ziel, den koreanischen Kapitalismus zu schwächen, die Wirtschaftseliten zu entmachten und die Industrien der Chaebol zu konfiszieren.

Aber, den »Tiger zu zähmen« hieß auch, das 1945 eingeführte System der indirekten Kolonialherrschaft aufzugeben. Mit Präsident Kim Dae Jung wurde ein ganz neues Regierungssystem etabliert. Insofern markiert die Unterzeichnung der Stützungsvereinbarung mit dem IWF im Dezember 1997 also auch eine wichtige Veränderung der Struktur des koreanischen Staates.

Anfang Juni 2000, nur wenige Tage vor dem historischen Gipfel zwischen Nord- und Südkorea, wurde abermals eine Verhandlungsdelegation des IWF nach Seoul entsandt. Das Timing war gut gewählt: Der Besuch der IWF-Offiziellen wurde von der koreanischen Presse kaum zur Kenntnis ge-nommen. Fest hinter Präsident Kirn Dae Jung vereint, richteten die Südko-reaner ihren Blick hoffnungsvoll auf die mögliche Wiedervereinigung des Landes. Andere politische Fragen traten in den Hintergrund.

Ungestört konnte das IWF-Team hinter den Kulissen letzte Hand an die zweite IWF-Vereinbarung mit Südkorea legen, darunter eine Absichtserklä-rung, die der jetzige Finanzminister Lee Hun Jai noch vor seiner Abreise nach Pjöngjang unterzeichnete.

Die zweite Vereinbarung ist noch tödlicher als die erste vom Dezember 1997. Ohne irgendeine öffentliche Debatte gesteht die südkoreanische Re-gierung dem IWF zu, die heimische Wirtschaft weiter bis 2003 im Würge-griff zu halten. Die zweite Vereinbarung, ein so genanntes Memorandum of Economic and Financial Policies, legt weit detaillierter als das umstrittene Stützungspaket von 1997 genau die zu ergreifenden Maßnahmen fest: die Zerstückelung und Abwicklung des südkoreanischen Kapitalismus über ei-nen Zeitraum von drei Jahren.55

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Doch der IWF-Mission ging es um noch mehr. Gemeinsam mit der US-Botschaft instruierte die Delegation Lee Hun Jai, der auf dem Pjöngjang-Gipfel die Gespräche über die innerkoreanische Wirtschaftskooperation füh-ren sollte, über die Wünsche des Westens. Lee ist ein treuer Günstling des IWF: Bevor er seinen Posten als Finanzminister antrat, war er für die be-rüchtigte Financial Supervisory Comrnission verantwortlich, ein mächtiges, vom IWF finanziertes Aufsichtsgremium, das sich darum kümmerte, die Chaebol in den Bankrott zu treiben. Sorgfältig instruiert, sollte Finanzmini-ster Lee nun unter dem Deckmantel »innerkoreanischer Wirtschafts-zusammenarbeit« die amerikanischen Wirtschaftsinteressen zur Geltung bringen. Washingtons verstecktes Ziel beim Wiedervereinigungsprozess ist letztlich die Rekolonialisierung der gesamten koreanischen Halbinsel.

Im Rahmen des in Pjöngjang unterzeichneten innerkoreanischen Koope-rationsabkommens verpflichtete sich die Regierung in Seoul zu Investitio-nen in Nordkorea. Der größte koreanische Konzern, Hyundai, sollte im Nor-den investieren und Fabriken bauen.

Aber da die koreanischen Chaebol – einschließlich Hyundai – von ameri-kanischen Unternehmen übernommen worden sind bzw. sukzessive über-nommen werden, könnte sich die »innerkoreanische Wirtschaftskooperati-on« als verschleierte Form ausländischer Investitionen und als eine neue Bereicherungsmöglichkeit für die Wall Street herausstellen: »Kim Dae Jungs Strategie besteht darin, Pjöngjang bei seiner Entwicklung zu helfen, seine billigen Arbeitskräfte zu nutzen, ein gutes Klima zu schaffen und eine Infra-struktur aufzubauen, die auch im südkoreanischen Interesse liegt… Jeder muss den Anschein wahren, als würde dem nordkoreanischen Regime nichts geschehen, dass es sich öffnen und gleichzeitig seine Macht behalten kann und dass wir dabei helfen, Vereinbarungen mit dem Internationalen Wäh-rungsfonds und der Weltbank zu treffen… Aber letztlich hoffen wir, sie da-mit zu unterminieren. Es ist ein Trojanisches Pferd.«56

Die Regierung des Friedensnobelpreisträgers Kirn Dae Jung bat die Büh-ne für Washington bereitet. Mit dem US-Militär im Hintergrund könnte die Wiedervereinigung, auf die alle Koreaner hoffen, zur Erzwingung so genann-ter »Marktreformen« in Nordkorea führen – ein Prozess, der in die Rekoloni-alisierung und die Verarmung der gesamten koreanischen Halbinsel unter der Vorherrschaft des amerikanischen Kapitals münden würde.

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22. Der brasilianische Finanzbetrug Am Schwarzen Mittwoch, dem 13. Januar 1999, gab die Börse von Sao Pau-lo den spekulativen Angriffen nach. Die Tresortüren der brasilianischen Zen-tralbank wurden weit aufgestoßen, die gleitende Anbindung des Real an den US-Dollar war gebrochen.

Notenbankchef Gustavo Franco wurde von dem Wirtschaftsprofessor Francisco Lopes ersetzt, der zusammen mit Finanzminister Pedro Malan ei-lends zu hochrangigen »Beratungen« mit dem IWF und dem US-Finanzministerium nach Washington entsandt wurde. Ihr Wochenendtrip war eine Vorbereitung auf das morgendliche Treffen mit den Gläubigern Brasiliens ein paar Tage darauf in der New Yorker Zentralbank. Auf der Frühstücksliste standen der Quantum Hedgefonds-Spekulant George Soros, der Vizepräsident von Citigroup, Williarn Rhodes, Jon Corzine von Goldman Sachs und David Komansky von Merrill Lynch.57 Dieses private Treffen hin-ter verschlossenen Türen war entscheidend, denn Rhodes war zugleich Vor-sitzender des New York Banking Committee, des Zusammenschlusses der privaten Gläubiger Brasiliens. Er hatte schon mit dem Präsidenten Fernando Henrique Cardoso verhandelt, als dieser 1993/94 noch brasilianischer Fi-nanzminister war. Die Umschuldung der brasilianischen Auslandsschulden – zusammen mit der Durchführung des Real-Plans – war vom New York Ban-king Committee erzwungen worden. Dieses wirtschaftliche »Stabilisie-rungs«-Programm hatte dazu beigetragen, Brasiliens interne Schulden von 60 Mrd. Dollar 1994 auf mehr als 350 Mrd. Dollar 1998 hochzutreiben (sie-he Kapitel 13).

Die »asiatische Grippe« und die präventive Wirtschaftsmedizin. Währenddessen wurde die Öffentlichkeit mit Bedacht über die Gründe des Kurssturzes getäuscht, indem man die Behauptung lancierte, die »asiatische Grippe« breite sich aus. Beiläufig gaben die Medien auch Itamar Franco die Schuld, dem »Schurken«-Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates Minas Gerais und ehemaligem Staatspräsidenten, weil er gegenüber der Bundesregierung ein 90-tägiges Schuldenmoratorium verkündet hatte.58 Die Drohung einer bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit der Bundesstaaten, so wurde gesagt, zöge die »wirtschaftliche Glaubwürdigkeit« Brasilias in Zwei-fel.

Der brasilianische Nationalkongress wurde ebenfalls verantwortlich ge-macht, weil er angeblich die tödliche Medizin des IWF nicht rasch und be-dingungslos abgenickt hatte. Das IWF-Programm forderte Budgetkürzungen in der Größenordnung von 28 Mrd. Dollar, einschließlich massiver Entlas-sungen von Staatsbediensteten, des Abbaus von Sozialprogrammen, des Verkaufs von Staatseigentum, der Einfrierung von Transferzahlungen an die

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Bundesstaaten und der Kanalisierung von Staatseinnahmen in den Schul-dendienst.

Mit der Forderung nach einer restriktiven Geldpolitik zielten die interna-tionalen Finanzorganisationen in Washington in Abstimmung mit der Wall Street – wie immer – auch darauf, die industrielle Basis Brasiliens zu desta-bilisieren, den internen Markt zu übernehmen und das Privatisierungspro-gramm zu beschleunigen. Der Eckzins für Tagesgeld wurde auf Anweisung des IWF auf ungeheure 39 Prozent (p.a.) angehoben, was Kreditzinsen bei Geschäftsbanken von 50 bis 90 Prozent im Jahr bedeutete. Die brasiliani-sche Fertigungsindustrie, gelähmt durch unüberwindliche Schulden, wurde in den Bankrott getrieben. Die Kaufkraft sackte ab; die Zinsen für Konsu-mentenkredite lagen bei 150 bis 250 Prozent, was zu massiven Kreditaus-fällen führte.59

Zwar konnte auf dem Finanzmarkt zeitweilig wieder Vertrauen herge-stellt werden, doch der Real verlor mehr als 40 Prozent seines Wertes, was zu einem sofortigen Anstieg der Preise für Treibstoff, Lebensmittel und Gü-ter des täglichen Bedarfs führte. Der Sturz der Währung trug dazu bei, den Lebensstandard brutal zu senken, in einem Land mit 160 Millionen Einwoh-nern, von denen bereits mehr als 50 Prozent unter der Armutsschwelle le-ben.

Die Abwertung zog auch Sao Paulos Industriegürtel in Mitleidenschaft, wo die (offizielle) Arbeitslosenrate auf 17 Prozent kletterte. In den Tagen nach dem Schwarzen Mittwoch, dem 13. Januar 1999, kündigten multina-tionale Unternehmen wie Ford, General Motors und Volkswagen Kurzarbeit und massive Entlassungen an.60

Auf den ersten Blick schien der Einbruch in Brasilien eine Wiederholung der asiatischen Währungskrise von 1999 zu sein. Die tödliche Wirtschafts-medizin des IWF ähnelte im Großen und Ganzen jener, die 1997/98 Korea, Thailand und Indonesien verabreicht worden war. Doch es gab einen auf-fälligen Unterschied im zeitlichen Ablauf: In Asien waren die Stützungsak-tionen des IWF sofort nach, nicht vor der Krise ausgehandelt worden. Der IWF war den »asiatischen Tigern« also nach den spekulativen Angriffen »zu Hilfe« gekommen, sobald die nationalen Währungen abgestürzt waren und die Länder vor unüberwindlichen Schulden standen.

Im Gegensatz dazu wurde die Finanzoperation des IWF – Teil eines 90-Mrd.-Dollar-Vorsorgefonds der G7-Staaten – im Falle Brasiliens im Novem-ber 1998 genau zwei Monate vor dem Finanzcrash auf den Weg gebracht. Die Wirtschaftsmedizin sollte der Vorbeugung, nicht der Therapie dienen. Offiziell zielte sie darauf ab, ein Finanzdesaster abzuwenden. Die politischen Architekten des Fonds, US-Finanzminister Robert Rubin und sein britischer Kollege Gordon Brown, erklärten: »Wir müssen mehr tun…‚ um die Aus-schläge der Booms und Einbrüche zu begrenzen, die die Hoffnung zerstören und den Wohlstand mindern.«61

In der Praxis erreichte der Fonds genau das Gegenteil. Statt spekulative Angriffe abzuwehren, trug er dazu bei, den Abfluss von Kapital zu beschleu-nigen. 20 Mrd. Dollar flossen innerhalb von zwei Monaten aus Brasilien ab, nachdem der IWF das »Vorsorgepaket« im November gebilligt hatte – eine

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Summe, die den massiven Haushaltskürzungen entsprach, die der IWF im Vorhinein verlangte. Kasten 22.1

Ein Marshallplan für Gläubiger und Spekulanten Nach dem Zusammenbruch des russischen Rubels 1998 wurde ein Vor-sorgefonds in Höhe von 90 Mrd. Dollar unter der Schirmherrschaft der G7 und des IWF eingerichtet, um »verwundbare, aber im Wesentlichen gesunde Volkswirtschaften« vor Währungs- und Aktienspekulationen zu schützen. Der internationalen Gemeinschaft geschickt als rechtzeitige »Lösung« der globalen Finanzkrise präsentiert, sollte der Vorsorgefonds unter Verwaltung des IWF als Mittel dienen, »Finanzturbulenzen, die sich in einem Ansteckungsprozess von Land zu Land ausbreiten«, ent-gegenzutreten. Brasilien sollte als erstes Land in den Genuss von Mitteln des neuen Fonds kommen. Der Vorsorgefonds wird in die Geschichte als größter Betrug der Nach-kriegszeit eingehen. Statt Spekulanten abzuschrecken, vermindert allein seine Existenz das Risiko spekulativer Operationen. Es überraschte daher nicht, dass die globalen Banken und Investmenthäuser – durch ihre Hed-gefonds wohl geübt in der Kunst der Finanzmanipulation – vorbehaltlos die G7-Initiative unterstützten. Kaum von den Medien analysiert, wird der Fonds die Kontrolle institutioneller Spekulanten über die globalen Fi-nanzmärkte verstärken und ihnen einen wirkungsvolleren Hebel an die Hand geben, um makroökonomische Reformen zu erzwingen. Der Fonds wurde – aus der Tasche der Steuerzahler – mit einer schier gewaltigen Geldsumme ausgestattet, um künftige spekulative Angriffe zu finanzieren: Die 90 Mrd. Dollar stellen einen Marshallplan für institutio-nelle Spekulanten dar und gleichen auch in ihrer Größenordnung dem echten Marshallplan (86,6 Mrd. Dollar in Preisen von 1995), der zwi-schen 1948 und 1951 dem Wiederaufbau Westeuropas diente. Doch in scharfem Kontrast zum Marshallplan füllte das bei den Stüt-zungsaktionen in Asien und Brasilien transferierte Geld die Taschen der globalen Banken und führte zu einer beispiellosen Anhäufung von Reich-tum. Nichts von diesem Geld wird in den Wiederaufbau zerstörter Wirtschaften von Ent-wicklungsländern fließen. Der neue IWF-Fonds wird es internationalen Banken und Finanzinstituten ermöglichen, rasch Schulden von Entwick-lungsländern einzutreiben. Von den 90 Mrd. Dollar wurden 40 eingesetzt, um sicherzustellen, dass Brasilien nach massiver Kapitalflucht gegenüber seinen Gläubigern an der Wall Street nicht zahlungsunfähig wird.

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Gebeutelt von Kapitalflucht, wurden die Zentralbankreserven Brasiliens täglich um 400 Mio. Dollar erleichtert. Von den 75 Mrd. Dollar im Juli1998 schwanden die Reserven auf 27 Mrd. im Januar 1999. Die erste Tranche des IWF-Kredits von über neun Milliarden Dollar – gewährt im November 1999 – wurde bereits vergeudet, um Brasiliens notleidende Währung zu stützen. Das Geld reichte kaum, um die Kapitalflucht eines einzigen Monats auszu-gleichen. Einladung an Spekulanten. Die vom IWF finanzierte Operation diente weitgehend dazu, Spekulanten in ihren tödlichen Überfällen zu bestärken. Wenn das Geld des IWF-Vorsorgefonds erst eingetroffen ist und die Speku-lanten das wissen, würde im Fall einer Devisenknappheit der brasilianischen Zentralbank die Verfügbarkeit dieses Geldes Banken, Hedgefonds und insti-tutionelle Investoren in die Lage versetzen, rasch eine milliardenschwere Beute abzukassieren. Das im November unterzeichnete IWF-Programm trug daher dazu bei, das Risiko solcher Angriffe zu reduzieren und die Speku-lanten zu »beruhigen«.

Das Timing der Abwertung war Teil der IWF-List: Indem sie in den zwei Monaten nach der IWF-Vereinbarung (13. November 1998) einen stabilen Wechselkurs sicherstellte, erlaubte sie den Spekulanten, rasch zusätzliche 20 Mrd. Dollar einzustreichen.

Sowohl die Wall Street als auch die internationalen Finanzinstitutionen in Washington wussten, dass eine Abwertung kurz bevorstand und das Prä-ventivpaket nicht mehr als einen zeitweiligen Aufschub verschaffen würde. Durch das IWF-Programm gewannen die Währungsspekulanten der Wall Street Zeit. Die Zentralbank war von IWF und Wall Street instruiert, so lan-ge wie möglich dagegenzuhalten. Durch diese List war es leichter, den Reichtum des Landes zu plündern. Das Wirtschaftsteam des Finanzministe-riums erklärte, man sei »überrascht« worden. Aber dort wusste man die ganze Zeit, dass eine Abwertung bevorstand. Es war ein Ausverkauf. Im Januar stimmte der IWF zu, die Währung sinken zu lassen. Zu diesem Zeit-punkt war es bereits zu spät, die Reserven der Zentralbank waren bereits geplündert.

Vom Wirtschaftsgipfel in Davos machte sich Stanley Fischer, der Stellver-treter von Michel Camdessus und Hauptarchitekt des »präventiven« Kredit-pakets, nach Brasilia auf, um die Bedingungen einer neuen Vereinbarung auszuhandeln.

Die kurzfristigen Schulden waren in die Höhe geschossen, »neue politi-sche Initiativen« erforderlich. Die mit dem IWF ein paar Monate zuvor aus-gehandelten harten Sparmaßnahmen wurden als ungenügend angesehen, um das Vertrauen dauerhaft wiederherzustellen. Neue Finanzziele wurden festgesetzt. Nach dem bei den Stützungsaktionen in Asien abgesteckten Muster sollte Brasilia »die Anstrengungen zur Privatisierung und zum Rück-zug des Staates intensivieren und verbreitern«, die Liquidation der födera-len und staatlichen Banken in die Wege leiten und die Aneignung der Ener-

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gie- und strategischen Sektoren Brasiliens, der öffentlichen Versorgen und der Infrastruktur durch ausländisches Kapital beschleunigen.62

Währenddessen sollte die Zentralbank unter Anleitung des IWF völlig umgestaltet werden. Die Notenbank war angewiesen worden, den Real mit einem flexiblen Devisenregime zu stützen. Keine Devisenkontrollen waren erlaubt. Eine zweite Tranche von neun Milliarden Dollar (des 41,5-Mrd.-Kredits) hatte die Tresore der Zentralbank wieder – mit geborgtem Geld – aufgefüllt und verlockte die Spekulanten, ihre tödlichen Angriffe fortzuset-zen. Durch die IWF-Vereinbarung, die im Februar 1999 unterzeichnet wur-de, hielt die Kapitalflucht unvermindert an. Das war sehr einträglich: Nach dem Finanzcrash vom 13. Januar belief sich die Kapitalflucht auf 200 bis 300 Mio. Dollar am Tag.63 Kasten 22.2

Die Wall Street erwirbt Brasiliens riesiges Bergbaukonsortium Die Investmentbanken der Wall-Street wurden mit der Aufgabe betraut, im Rahmen des IWF-Privatisierungs- und »Bankrott« -Programms mit dunklen Insider-Geschäften das Staatseigentum zu verkaufen. Merrill Lynch z.B. übernahm im Namen der brasilianischen Regierung die Ver-antwortung für die Privatisierung der Companhia Vale do Rio Doce, eines der weltgrößten Bergbauunternehmen. Aber Merrill Lynch repräsentierte zugleich einen der aussichtsreichen Käufer, das Minenkonsortium Anglo-American. In einem typischen Insider-Geschäft verbanden sich Anglo-American und die Nations Bank (die heute mit der Bank America fusio-niert ist) mit einem obskuren, unregistrierten, in einem Steuerparadies ansässigen Investmentfonds namens Opportunity Asset Management Fund, an dem auch die Citibank und der Megaspekulant George Soros als Investoren beteiligt sind. Durch den Kauf der Companhia Vale do Rio Do-ce wird das Konsortium mehr als 80 Prozent der brasilianischen Stahlin-dustrie kontrollieren. Die Erlöse aus dem Verkauf der Companhia werden unterdessen von der Staatskasse in den Dienst der brasilianischen Auslandsschulden umgelei-tet. Zufällig ist Citigroup, einer der neuen Eigentümer der Companhia, zugleich einer der größten Gläubiger Brasiliens und leitet das Bankenko-mitee, das für die Umstrukturierung der milliardenschweren brasiliani-schen Auslandsverschuldung verantwortlich ist. In der Zwischenzeit waren ABN AMRO, Lloyds Bank, Hong Kong Shang-hai Banking Corporation und Dresdner Bank emsig damit beschäftigt, brasilianische Banken zu kaufen. Die HSBC erwarb annähernd 1000 Filia-len von Banco Amerindus und wurde über Nacht zur zweitgrößten priva-ten Einzelhandelsbank in Brasilien.

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Um den weiteren Erfolg der spekulativen Attacken sicherzustellen, wurde Professor Francisco Lopes – der nach dem Schwarzen Mittwoch zum Präsi-denten der Notenbank ernannt worden war – schon zwei Wochen später wieder gefeuert und durch Arminio Fraga Neto ersetzt, einen ehemaligen Berater von George Soros. Diese Ernennung erfolgte nach dem Arbeitsfrüh-stück von Finanzminister Malan mit Soros in der New Yorker Notenbank. Der ehemalige brasilianische Präsident Itamar Franco bemerkte mit einem Anflug von Humor: »Ich bin glücklich zu erfahren, dass der neue Zentral-bankpräsident der Megaspekulant George Soros ist.«64

Wall-Street-Insidern ist vollends die Kontrolle über die Geldpolitik zuge-fallen. Brasiliens Auslandsgläubiger haben nun alle Möglichkeiten, den Haushalt einzufrieren, die staatlichen Zahlungen einschließlich der Transfers an die Bundesstaaten zu lähmen und wie in der früheren Sowjetunion die regelmäßige Auszahlung der Gehälter im öffentlichen Sektor, darunter Mil-lionen von Lehrern und Beschäftigten im Gesundheitsdienst, zu vereiteln.

Dieser »programmierte Bankrott« heimischer Produzenten ist durch die Austrocknung der Kredite bewerkstelligt worden, ganz zu schweigen von der Drohung Pedro Malans, eine weitere Handelsliberalisierung und massive Importe durchzusetzen, um die heimische Industrie zu »größerer Wettbe-werbsfähigkeit« zu zwingen. Verbunden mit Zinsraten von über 50 Prozent, sind die Konsequenzen dieser Politik für viele heimische Produzenten gleichbedeutend mit Bankrott: Die heimischen Preise sinken unter die Pro-duktionskosten.

Die dramatische Schrumpfung der Binnennachfrage – durch gestiegene Arbeitslosigkeit und die Abnahme der Reallöhne – führt außerdem zu weite-rem Überangebot und wachsenden Lagerbeständen. Dieses erbarmungslose Abwürgen der heimischen Industrie – bewerkstelligt durch die ma-kroökonomische Reform – hat günstige Bedingungen für ausländisches Ka-pital geschaffen, um den internen Markt zu übernehmen, seinen Zugriff auf die heimischen Banken zu vergrößern und das produktivste Staatsvermögen zu Schnäppchenpreisen aufzukaufen.

Kurz gesagt: Alle Bedingungen sind erfüllt, die eine schnelle Rekoloniali-sierung der brasilianischen Wirtschaft erlauben. Die tödliche Wirtschaftsme-dizin des IWF bedeutet ein wirtschaftliches, politisches und soziales Desa-ster. Eine »weiche Landung« ist nicht in Sicht: Die versteckte »Dollarisie-rung« wird am Ende offenkundig werden. Alles deutet darauf hin, dass der US-Dollar die lateinamerikanischen Währungen über kurz oder lang auch nominell ersetzen wird.

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TEIL VII Krieg und Globalisierung

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23. Wer stand hinter den Terrorattacken? Es ist bittere Ironie, dass der Hauptverdächtige für die Anschläge von New York und Washington, der aus Saudi-Arabien stammende Osama Bin Laden, während des sowjetischen Afghanistankrieges von der CIA rekrutiert wurde, um gegen die sowjetischen Invasoren zu kämpfen.1

1979 wurde in Afghanistan die größte Geheimoperation in der Geschichte der CIA durchgeführt: »Mit aktiver Unterstützung der CIA und des pakista-nischen Geheimdienstes ISI (Inter Services Intelligence), der den afghani-schen Dschihad in einen weltweiten Krieg aller muslimischen Staaten gegen die Sowjetunion verwandeln wollte, schlossen sich zwischen 1982 und 1992 etwa 35.000 radikale Muslime aus 40 islamischen Ländern dem afghani-schen Kampf an. Zehntausende weitere kamen, um in den pakistanischen Koranschulen zu studieren. Mehr als 100.000 ausländische radikale Muslime wurden schließlich direkt vom afghanischen Dschihad beeinflusst.«2

Die US-Unterstützung der Mudschaheddin wurde der Weltöffentlichkeit als »notwendige Reaktion« auf die sowjetische Invasion von 1979 verkauft, mit der die prokommunistische Regierung von Babrak Karmal gestützt wer-den sollte. Jüngste Belege legen jedoch nahe, dass die CIA ihre militärische Geheimdienstoperation bereits vor der sowjetischen Invasion, nicht erst in Reaktion darauf begann. Tatsächlich war Washington an einem Bürgerkrieg gelegen – einem Bürgerkrieg, der dann mehr als 20 Jahre dauerte. Die CIA fördert den islamischen Dschihad. Die Rolle der CIA bei der Unter-stützung der Mudschaheddin bestätigt ein Interview mit Zbigniew Brze-zinski, dem damaligen Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter:

»Brzezinski: Der offiziellen Geschichtsschreibung zufolge begann die CIA 1980, d.h. nachdem die Sowjetarmee am 24. Dezember 1979 in Afghani-stan einmarschiert war, die Mudschaheddin zu unterstützen. Aber die Reali-tät, die bis heute streng geheim gehalten wird, ist eine ganz andere. Tat-sächlich war es der 3. Juli 1979, an dem Präsident Carter die erste Direktive unterschrieb, den Gegnern des prosowjetischen Regimes in Kabul verdeckt beizustehen. Am selben Tag teilte ich dem Präsidenten in einer kurzen Notiz mit, dass diese Hilfe meiner Meinung nach die Sowjets zu einer militäri-schen Intervention veranlassen würde.

Frage: Trotz dieses Risikos waren Sie für die verdeckte Aktion. Aber viel-leicht wollten Sie ja selbst diesen sowjetischen Eintritt in den Krieg und ha-ben versucht, ihn zu provozieren?

Brzezinski: Nicht ganz. Wir trieben die Russen nicht zu einer Interventi-on, aber es war uns bewusst, dass wir die Wahrscheinlichkeit dafür erhöh-ten.

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Frage: Als die Sowjets ihre Intervention damit rechtfertigten, dass sie gegen eine geheime Einmischung der USA in Afghanistan vorgehen wollten, glaubte man ihnen nicht. Daran war jedoch etwas Wahres. Sie bedauern heute nichts?

Brzezinski: Was soll ich bedauern? Die Geheimoperation war eine her-vorragende Idee. Sie hatte den Effekt, die Russen in die afghanische Falle zu locken, und Sie möchten, dass ich das bedauere? An dem Tag, als die Sowjets offiziell die Grenze überschritten, schrieb ich Präsident Carter: >Wir haben jetzt die Gelegenheit, der UdSSR ihr Vietnam zu verschaffen.< Tat-sächlich musste Moskau fast zehn Jahre lang einen für die Regierung un-haltbaren Krieg führen, ein Konflikt, der zur Demoralisierung und schließlich zum Zusammenbruch des Sowjetreiches führte.

Frage: Und Sie bereuen auch nicht, dass Sie den islamischen Funda-mentalismus unterstützten, indem sie künftigen Terroristen Waffen und Beratung gaben?

Brzezinski: Was ist wichtiger für die Weltgeschichte? Die Taliban oder der Zusammenbruch des Sowjetreiches? Ein paar aufständische Muslime oder die Befreiung Zentraleuropas und das Ende des Kalten Krieges?«3

Wie Brzezinskis Darstellung bestätigt, war es die CIA, die ein militantes islamistisches Netzwerk schuf. Der islamische Dschihad wurde zum integra-len Bestandteil der geheimen CIA-Strategie – finanziert aus Mitteln, die zu guten Teilen aus dem Drogenhandel des Drogendreiecks stammten:

»Im März 1985 unterzeichnete Präsident Reagan die Direktive 166 des Nationalen Sicherheitsrats…. die verstärkte Militärhilfe an die Mudschahed-din autorisierte, und machte klar, dass der geheime Afghanistankrieg ein neues Ziel hatte: die sowjetischen Truppen in Afghanistan durch verdeckte Operationen zu besiegen und die Sowjets zum Rückzug zu bewegen. Die neue verdeckte US-Hilfe begann mit einer dramatischen Zunahme der Waf-fenlieferungen – eine kontinuierliche Zunahme, die bis 1987 auf 65.000 Tonnen jährlich stieg – und einem unaufhörlichen Strom von Spezialisten der CIA und des Pentagon, die zum geheimen Hauptquartier des pa-kistanischen Geheimdienstes an der Hauptstraße nahe Rawalpindi in Paki-stan reisten. Dort trafen sich die CIA-Spezialisten mit Offizieren des paki-stanischen Geheimdienstes, um bei der Planung von Operationen der af-ghanischen Rebellen zu helfen.«4

Die CIA spielte mit Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes ISI eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung der Mudschaheddin. Diese Ausbil-dung ging einher mit Unterweisungen in den Islam. Koranschulen wurden von wahhabitischen Fundamentalisten5 gegründet und von Saudi-Arabien finanziert: »Es war die Regierung der USA, die den pakistanischen Diktator General Mohainmed Zia-ul Haq dabei unterstützte, Tausende von Religions-schulen zu schaffen, aus denen die Taliban hervorgingen.«6 Dort wurde der Islam als integrale soziopolitische Weltanschauung gelehrt und verkündet, »dass der heilige Islam durch die atheistischen sowjetischen Truppen ge-schändet werde und das islamische Volk von Afghanistan seine Unabhän-

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gigkeit durch den Sturz des linken, von Moskau gestützten afghanische Re-gimes wiederherstellen solle«.7

Der pakistanische Militär- und Geheimdienstapparat. Die CIA hatte nicht direkt mit den Mudschaheddin zu tun, sondern benutzte für ihre ver-deckte Unterstützung des islamischen Dschihad den pakistanischen Ge-heimdienst ISI als Vermittlungsstelle. Damit diese Operationen erfolgreich sein konnten, achtete die Regierung in Washington sorgfältig darauf, die Absichten, die sie selber mit dem Dschihad verfolgte – die Vernichtung der Sowjetunion –, nicht deutlich werden zu lassen.

Nach Aussage des CIA-Mitarbeiters Milton Beardman trainierten die USA dabei selbst keine arabischen Freiwilligen. Doch Abdel Monam Saidali vom Kairoer Al-aram Center for Strategic Studies zufolge erhielten Bin Laden und die »>afghanischen Araber< mit Billigung der CIA ein sehr fundiertes Training«.8 Beardman bestätigte, dass sich Osama Bin Laden nicht bewusst war, welche Rolle er zugunsten Washingtons spielte. Angeblich hätte der al-Qaida-Chef einmal gesagt: »Weder ich noch meine Brüder bemerkten je Anzeichen amerikanischer Hilfe.«9

Angetrieben von Nationalismus und religiösem Eifer, waren sich die is-lamischen Krieger nicht bewusst, dass sie für Onkel Sam gegen die Sowjet-armee kämpften. Obwohl es Kontakte auf den höheren Ebenen der Ge-heimdiensthierarchien gab, hatten die islamischen Rebellenführer selbst keine Verbindungen zu Washington oder der CIA.

Mit Rückendeckung der CIA und massiver US-Militärhilfe entwickelte sich der pakistanische Geheimdienst ISI zu einem Staat im Staate, der »enorme Macht über alle Belange der Regierung ausübte«.10 Die Anzahl der Mitarbei-ter des ISI – Militär- und Geheimdienstoffiziere, Verwaltungsangestellte, Geheimagenten und Informanten – wurde auf 150.000 geschätzt.

Die CIA-Operationen stärkten das pakistanische Militärregime unter Ge-neral Zia-ul Haq: »Die Beziehungen zwischen der CIA und dem ISI waren nach dem Sturz von Zulfikar Ali Bhutto (1977) und der Installation des Mili-tärregimes immer wärmer geworden… Während eines Großteils des Afgha-nistankrieges war Pakistan noch sowjetfeindlicher als selbst die USA. Kurz nachdem die Sowjetarmee 1980 in Afghanistan einmarschiert war, entsand-te Zia-ul Haq seinen Geheimdienstchef, um die zentralasiatischen Staaten der Sowjetunion zu destabilisieren. Die CIA, vorsichtiger als die Pakistanis, stimmte seinem Plan erst im Oktober 1984 zu… Sowohl Pakistan als auch die USA täuschten im Hinblick auf Afghanistan die Öffentlichkeit. Nach au-ßen hin taten sie so, als strebten sie eine Verhandlungslösung an, während sie sich im Geheimen einig waren, dass eine militärische Eskalation der be-ste Weg wäre.«11

Drogenhandel als Waffe im Kalten Krieg. Die Geschichte des Drogen-handels in Zentralasien ist eng mit den verdeckten Operationen der CIA verflochten. Vor dem Afghanistankrieg war die Opiumproduktion in Afghani-stan und Pakistan nur für kleine regionale Märkte bestimmt und eine eigene

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Heroinproduktion gab es nicht.12 In einer Studie kam Alfred McCoy zu dem Ergebnis: »Innerhalb von zwei Jahren nach Beginn der CIA-Operation in Afghanistan wurde das pakistanisch-afghanische Grenzland zum weltgröß-ten Heroinproduzenten…‚ das 60 Prozent der US-Nachfrage befriedigte. In Pakistan wuchs die Zahl der Heroinabhängigen von nahe null im Jahr 1979 auf 1,2 Millionen 1985 – ein weit stärkerer Anstieg als in jedem anderen Land…. Wieder waren es CIA-Kollaborateure, die diesen Handel kontrollier-ten. Als die Mudschaheddin-Guerilla Teile von Afghanistan besetzte, befahl sie den Bauern, Opium als Revolutionssteuer anzupflanzen. Auf der anderen Seite der Grenze, in Pakistan, betrieben afghanische Führer und lokale Syn-dikate unter dem Schutz des pakistanischen Geheimdienstes Hunderte von Heroinlabors. In diesem Jahrzehnt schwunghaften Drogenhandels gelang es der US-Antidrogenbehörde in Islamabad nicht, große Beschlagnahmungen oder Verhaftungen zu erwirken… US-Vertreter weigerten sich, entsprechen-de Anschuldigungen gegen ihre afghanischen Verbündeten untersuchen zu lassen, da die US-Drogenpolitik in Afghanistan dem Krieg gegen den sowje-tischen Einfluss untergeordnet wurde. 1995 gab der ehemalige Direktor der Afghanistan-Operation, Charles Cogan, zu, dass die CIA tatsächlich den Krieg gegen die Drogen dem Kalten Krieg geopfert hatte: >Unser Hauptziel war, den Sowjets so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Wir hatten nicht die Ressourcen oder die Zeit für eine Untersuchung des Drogenhandels… Ich glaube nicht, dass wir uns dafür entschuldigen müssen. Jede Situation hat ihre Schattenseiten… Es gab Schattenseiten im Hinblick auf den Dro-genhandel, ja. Aber das Hauptziel wurde erreicht. Die Sowjets verließen Afghanistan.<« 13

Nach dem Ende des Kalten Krieges war Zentralasien nicht nur aufgrund seiner reichen Ölreserven von strategischer Bedeutung, sondern auch des-halb, weil Afghanistan 75 Prozent des weltweit angebotenen Heroins produ-zierte, was Wirtschaftssyndikaten, Finanzorganisationen, Geheimdiensten und dem organisierten Verbrechen Milliardengewinne sicherte. Mit der Auf-lösung der Sowjetunion kam es sogar zu einem weiteren Anstieg der Opi-umproduktion. Die jährlichen Erlöse aus dem Drogenhandel des Drogen-dreiecks – zwischen 100 und 200 Mrd. Dollar – stellten annähernd ein Drit-tel des weltweiten Drogenumsatzes dar, den die UN auf 500 Mrd. Dollar schätzten.14 Nach derselben UN-Schätzung erreichte die Opiumproduktion in Afghanistan 1998 und 1999 ein Rekordhoch von 4600 Tonnen.

Mächtige Wirtschaftssyndikate im Westen und in der ehemaligen Sowjet-union, die mit dem organisierten Verbrechen verbunden sind, kämpften um die strategische Kontrolle der Heroinhandelswege. Die Milliardenumsätze im Drogenhandel werden in das westliche Bankensystem geschleust. Die mei-sten großen internationalen Banken waschen – zusammen mit ihren Toch-tergesellschaften in den Steuerparadiesen – große Mengen von Drogendol-lar. Der internationale Drogenhandel stellt somit ein milliardenschweres Geschäft dar, der vom Umfang her mit dem internationalen Ölhandel ver-gleichbar ist. Aus dieser Sicht ist die geopolitische Kontrolle über den Dro-genhandel von ebenso strategischer Bedeutung wie die über die Ölpipelines.

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Nach dem Verbot des Mohnanbaus, das die Taliban-Regierung 2000 ver-hängte, wurde die Nordallianz zur wichtigsten an Produktion und Vermark-tung des Rohopiums beteiligten politischen Kraft. In dieser Hinsicht hat der Afghanistankrieg der USA dazu beigetragen, den Opiumhandel unter der von ihnen unterstützten Regierung der Nordallianz in Kabul wiederherzu-stellen.

Die nützlichen Taliban. Pakistans wohlbestückter Geheimdienstapparat wurde nach dem Kalten Krieg nicht abgebaut. Die CIA unterstützte von Pa-kistan aus weiter den islamischen Dschihad. Man begann mit neuen Ge-heimoperationen in Zentralasien, dem Kaukasus und auf dem Balkan. Der ISI »diente als Katalysator für die Auflösung der Sowjetunion und die Ent-stehung von sechs neuen muslimischen Republiken in Zentralasien«.15

In der Zwischenzeit missionierten Wahhabiten in den muslimischen Re-publiken und der Russischen Föderation, um dort die säkularen staatlichen Institutionen zu unterwandern. Trotz seiner antiamerikanischen Ideologie diente der islamische Fundamentalismus vor allem den strategischen Inter-essen der USA in der ehemaligen Sowjetunion.

Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen 1989 ging der Bürgerkrieg in Afghanistan unvermindert weiter. Die Taliban wurden von der pakistani-schen Deobandi-Bruderschaft und deren politischer Partei, der Jamiat-Ulema-i-Islam (JUI), unterstützt. 1993 trat die JUI in die Regierungskoaliti-on von Premierministerin Benazir Bhutto ein und knüpfte Beziehungen zum Militär und zum Geheimdienst. Als die afghanische Regierung von Gulbuddin Hekmatyar 1995 stürzte, installierten die Taliban nicht nur eine extremisti-sche islamische Regierung, sondern »gaben Teilen der JUI die Kontrolle über Trainingscamps in Afghanistan«.16 Und die JUI spielte mit Unterstüt-zung der saudischen Wahhabiten eine Schlüsselrolle auch bei der Rekrutie-rung von Freiwilligen für den Kampf auf dem Balkan und in der ehemaligen Sowjetunion.

Jane Defense Weekly zufolge wurde »die Hälfte der Kämpfer und Ausrü-stung der Taliban in Pakistan mithilfe des ISI organisiert«.17 Tatsächlich scheinen beide Bürgerkriegsparteien nach dem sowjetischen Rückzug ver-deckte Unterstützung durch den pakistanischen Geheimdienst erhalten zu haben.18

Unterstützt vom militärischen Geheimdienst Pakistans, der seinerseits von der CIA kontrolliert wurde, diente das islamistische Regime der Taliban also den geopolitischen Interessen der USA. Der Drogenhandel der Region wurde seit den frühen 90er Jahren auch benutzt, um die muslimische Ar-mee Bosniens und die UCK zu finanzieren. Tatsächlich kämpften zur Zeit der Anschläge vorn 11. September Mudschaheddin-Söldner in den Reihen der UCK-Terroristen bei deren Einfällen in Mazedonien mit.

Das erklärt zweifellos, warum Washington gegenüber der Schreckens-herrschaft der Taliban, unter der die Rechte der Frauen eklatant verletzt, Mädchenschulen geschlossen, Frauen aus dem Staatsdienst entlassen und die Strafgesetze der Scharia durchgesetzt wurden, die Augen verschloss.

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Reguläre oder Geheimgespräche? Zwei Tage nach den Terrorangriffen auf das World Trade Center und das Pentagon traf eine Delegation aus Paki-stan zu hochrangigen Gesprächen im Außenministerium in Washington ein, geführt vom ISI-Chef Mahmud Ahmed.19 Die meisten US-Medien ver-mittelten den Eindruck, dass Islamabad die Delegation auf Bitten Washing-tons kurzfristig entsandt habe und die Einladung zu dem Treffen unmittel-bar nach den tragischen Ereignissen vom 11. September an die Regierung Pakistans ergangen sei. Aber so war es nicht!

Pakistans Chefspion, General Mahmud Ahmed, »war in den USA, als die Angriffe stattfanden«.20 Der New York Times zufolge »war er zufällig im Rahmen regulärer Konsultationen hier«.21 In der Woche vor den Terroran-griffen wurde nicht ein Wort über den Grund seines Besuchs bekannt. Newsweek zufolge befand er sich »zur Zeit der Angriffe auf einem Besuch in Washington und steckt dort, wie die meisten anderen, immer noch fest«, da der internationale Flugbetrieb unterbrochen worden war.22

Tatsächlich war General Ahmed bereits am 4. September in den USA ein-getroffen, eine ganze Woche vor den Angriffen.23 Behalten wir in Erinne-rung, dass der Grund seines Treffens im Außenministerium am 13. Septem-ber erst nach dem 11. September bekannt gegeben wurde, als die Bush-Regierung die Entscheidung traf, Pakistan formell um »Zusammenarbeit« bei seiner Kampagne gegen den internationalen Terrorismus zu bitten.

Die Presse berichtete, dass Mahmud Ahmed am 12. bzw. 13. September zwei Treffen mit dem stellvertretenden Außenminister Richard Armitage hatte. Nach dem 11. September traf er auch Senator Joseph Biden, den Vorsitzenden des mächtigen Senatsausschusses für Auswärtige Beziehun-gen. Wie mehrere Presseberichte bestätigen, führte er jedoch auch »regulä-re Beratungsgespräche« mit US-Vertretern in der Woche vor dem 11. Sep-tember, traf sich also mit seinen US-Kollegen bei der CIA und im Penta-gon.24 Worum ging es bei diesen »regulären Gesprächen«? Standen sie in irgendeiner Beziehung zu den folgenden Gesprächen nach dem 11. Sep-tember über Pakistans Entscheidung, mit Washington zu kooperieren, die am 12. und 13. September im Außenministerium hinter verschlossenen Tü-ren stattfanden? Diskutierten pakistanische und US-amerikanische Regie-rungsvertreter den Plan für den Krieg?

Der neue, alte Verbündete. Am 9. September fiel Ahmad Shah Masud, der Führer der Nordallianz, einem Anschlag zum Opfer. Die Nordallianz er-klärte in einer offiziellen Stellungnahme, dass »eine Achse zwischen dem pakistanischen ISI, Osama Bin Laden und den Taliban für die Planung der Ermordung durch zwei arabische Selbstmordattentäter verantwortlich war. Wir glauben, dass es sich um ein Dreieck aus Osama Bin Laden, ISI… und den Taliban handelt«.25

Die Bush-Administration entschied sich in den Beratungen im Außenmini-sterium nach dem 11. September dennoch dafür, direkt mit dem ISI zu-

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sammenzuarbeiten – trotz dessen Verbindungen zu Osama Bin Laden und den Taliban und seiner mutmaßlichen Rolle bei der Ermordung Masuds.

Über die perfide Rolle des pakistanischen Geheimdienstes schwiegen sich die westlichen Medien weitgehend aus. Sie meldeten zwar die Ermordung Masuds, erörterten aber nicht deren politische Bedeutung im Hinblick auf den 11. September und die folgende Entscheidung, gegen Afghanistan in den Krieg zu ziehen. Ohne jede kritische Auseinandersetzung wurde Paki-stan unverhofft zum »Freund« und Verbündeten Amerikas erklärt.

Niemand schien die allzu offenkundigen und plumpen Irreführungen hin-ter der »Kampagne gegen den internationalen Terrorismus« zu bemerken, vielleicht mit Ausnahme eines neugierigen Journalisten, der Außenminister Colin Powell zu Beginn einer Pressekonferenz am 13. September fragte: »Sehen die USA Pakistan als Verbündeten, oder… als Ort, wo Terrorgrup-pen trainiert werden? Oder als Mischung von beidem?« Er bezog sich dabei explizit auf Patterns of Global Terrorism, eine Veröffentlichung des Außen-ministeriums aus dem Vorjahr in der es heißt:

»Die USA bleiben besorgt über Berichte fortgesetzter pakistanischer Un-terstützung für die Militäroperationen der Taliban in Afghanistan. Glaubwür-dige Zeugnisse deuten darauf hin, dass Pakistan die Taliban weiterhin mit Material, Treibstoff, finanzieller und technischer Unterstützung und Militär-beratern versorgt. Pakistan hat pakistanische Staatsangehörige nicht daran gehindert, nach Afghanistan zu gehen und für die Taliban zu kämpfen. Is-lamabad hat es zudem unterlassen, effektive Schritte gegen die Aktivitäten der Koranschulen zu unternehmen, die zur Rekrutierung von Terroristen dienen.«26

Die Kriegsvorbereitungen laufen an. Die Bush-Regierung suchte somit die Kooperation derer, die direkt für die Unterstützung und Anstiftung der Terroristen verantwortlich waren. Das klingt absurd, befindet sich aber in Übereinstimmung mit den übergeordneten strategischen und wirtschaft-lichen Zielen Washingtons in Zentralasien.

Der Inhalt des Treffens vom 13. September zwischen dem stellvertre-tenden US-Außenminister Richard Armitage und dem pakistanischen Ge-heimdienstdirektor Mahmud Ahmed wurde geheim gehalten. Präsident Bush war an diesen entscheidenden Verhandlungen nicht einmal beteiligt. Armi-tage übergab Ahmed, wie Reuters berichtete, eine Wunschliste mit genau festgelegten Schritten, die zu unternehmen Washington von Islamabad er-bat. »Nach einem Telefongespräch zwischen Powell und dem pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf erklärte der Sprecher des Außenministeriums, Richard Boucher, dass Pakistan versprochen habe zu kooperieren.«27 Und George W. Bush ließ noch am selben Tag verlautbaren, dass die pakistani-sche Regierung eingewilligt habe, »mit uns bei unserer Jagd auf diese Leu-te, die diesen unglaublichen, verabscheuungswürdigen Akt gegen Amerika begangen haben, zusammenzuarbeiten und sich daran zu beteiligen«.28

Ebenfalls am 13. September gab der pakistanische Präsident Musharraf bekannt, dass er seinen Geheimdienstchef Mahmud Ahmed nach Afghani-

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stan schicken würde, um mit den Taliban über die Auslieferung Osama Bin Ladens zu verhandeln. Der Chefspion wurde daraufhin eilig aus Washington nach Islamabad zurückbeordert: »Auf Drängen Amerikas reiste Ahmed… nach Kandahar in Afghanistan. Dort gab er die ihm aufgetragene Forderung unverblümt weiter. >Liefern Sie Bin Laden ohne Bedingungen aus<, sagte er dem Taliban-Führer Mohammad Omar, >oder Sie sehen einem sicheren Krieg mit den USA und ihren Verbündeten ins Auge.<« 29

Ahmeds Treffen mit den Taliban während zweier verschiedener Missio-nen wurden als »gescheitert« dargestellt. Doch dieses Scheitern der Bemü-hungen um die Auslieferung von Osama Bin Laden war Teil von Washing-tons Ziel, einen Vorwand für eine bereits vorbereitete militärische Interven-tion zu erhalten. Wäre Osama Bin Laden ausgeliefert worden, hätten die USA ihre wichtigste Rechtfertigung für den Krieg gegen den internationalen Terrorismus verloren. Und viel deutet darauf hin, dass dieser Krieg lange vor dem 11. September geplant worden war – in Verfolgung übergeordneter strategischer und wirtschaftlicher Ziele.

In der zweiten Septemberhälfte wurden eilig hochrangige Vertreter des Pentagon und des Außenministeriums nach Islamabad entsandt, um letzte Vorbereitungen für Amerikas Kriegspläne zu treffen. Und am Sonntag, dem 7. Oktober, kurz vor Beginn der Bombardierung großer Städte in Afgha-nistan durch die US-Luftwaffe, wurde Ahmed als pakistanischer Geheim-dienstchef entlassen, wie es hieß, im Rahmen einer üblichen »Umbeset-zung«. Der ISI unter Verdacht. Einige Tage nach Ahmeds Entlassung erschien ein von den westlichen Medien praktisch unbeachteter Bericht in der Times of India, der Verbindungen zwischen Ahmed und dem mutmaßlichen Anfüh-rer der Terrorattacken in Amerika aufdeckte. Darin wird angedeutet, wer die wahren Hintermänner der Terrorangriffe vom 11. September sein könn-ten:

»Während die Presseabteilung des pakistanischen Geheimdienstes ISI behauptete, dass dessen ehemaliger Direktor Mahmud Ahmed nach seiner Ablösung am Montag (dem 8. Oktober) in den Ruhestand gehen wolle, ist die Wahrheit schockierender. Ausgezeichnete Quellen bestätigten am Diens-tag (dem 9. Oktober), dass der General seinen Posten aufgrund der >Be-weise< verlor, die Indien vorgelegt hatte, um seine Verbindungen zu einem der Selbstmordattentäter zu belegen, die das World Trade Center in Schutt und Asche legten. Die US-Behörden verlangten seine Entfernung aus dem Amt, nachdem sie bestätigt fanden, dass Ahmed Umar Sheikh auf Veranlas-sung von General Ahmed von Pakistan aus 100.000 Dollar an Mohamed Atta überwiesen hatte. Hohe Regierungsquellen bestätigten, dass Indien beträchtlich dazu beigetragen hat, die Verbindung zwischen der Geldüber-weisung und der Rolle zu belegen, die der entlassene ISI-Chef dabei spielte. Ohne Details zu nennen, berichteten sie, dass indische Hinweise, darunter Sheikhs Mobiltelefonnummer dem FBI halfen, die Verbindung aufzuspüren und nachzuweisen.

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Eine direkte Beziehung zwischen dem ISI und den Angriffen auf das World Trade Center könnte enorme Auswirkungen haben. Die USA müssen zwangsläufig den Verdacht hegen, dass möglicherweise andere pakistani-sche Armeekommandeure von der Sache wussten. Beweise für eine umfas-sendere Verschwörung könnten das Vertrauen der USA in Pakistans Bereit-schaft erschüttern, sich an der Antiterrorkoalition zu beteiligen.«30

Dem FBI zufolge war Mohamed Atta, der zuvor in Hamburg gelebt hatte, »der Kopf der Entführer des ersten Jets, der in das World Trade Center ra-ste, und anscheinend der Anführer der Konspiration«.31

Der Artikel der Times of India basierte auf einem offiziellen Geheim-dienstbericht der indischen Regierung, der an Washington weitergeleitet worden war. Auch Agence France-Presse berichtete, dass einer hochrangi-gen Regierungsquelle zufolge »die >teuflische Verbindung< zwischen dem General und der Geldüberweisung an Atta zu den Beweisen gehörte, die Indien offiziell den USA übermittelte. >Die Beweise, die wir den USA zu Verfügung gestellt haben, sind weit umfassender und weitreichender als nur ein Stück Papier, dass einen Schurkengeneral mit einem üblen Akt des Ter-rorismus in Zusammenhang bringt<, so die Quelle.«32

Die FBI-Untersuchungen stützen die indische Geheimdienstinformation über den Geldtransfer durch den pakistanischen Geheimdienst. Obwohl es nicht die Rolle des pakistanischen ISI erwähnt, verweist das FBI dennoch auf eine pakistanische Verbindung und auf »die mit Osama Bin Laden ver-bundenen Leute«, die Geldgeber hinter den Terroristen: »Im Hinblick auf den 11. September erklärten die Bundesbehörden gegenüber ABC News, dass sie nun über 100.000 Dollar aufgespürt haben, die von Banken in Pa-kistan auf Konten zweier Banken in Florida überwiesen wurden, die dem mutmaßlichen Anführer der Entführer, Mohamed Atta, gehörten. Ebenfalls heute Morgen berichtet das Magazin Time, dass einige Beträge von diesem Geld in den Tagen kurz vor dem Angriff ankamen und direkt zu Personen zurückverfolgt werden können, die mit Osama Bin Laden in Verbindung ste-hen. Das alles ist Teil der bislang erfolgreichen Bemühungen des FBI, den Drahtzieher der Entführer, die Geldgeber, die Planer und den führenden Kopf aufzuspüren.«33

Die Enthüllungen des Artikels in der Times of India belegen nicht nur ei-ne Beziehung zwischen dem ISI-Chef Ahmed und dem Terroristenanführer Atta, sie legen auch nahe, dass andere pakistanische Geheimdienstler Kon-takte zu den Terroristen hatten. Darüber hinaus lassen sie vermuten, dass die Angriffe vom 11. September kein vereinzelter Terrorakt einer al-Qaida-Zelle waren, sondern Teil einer koordinierten militärisch-geheimdienstlichen Operation, die vom pakistanischen Geheimdienst ISI ausging.

Der Bericht der Times of India wirft auch Licht auf die Aktivitäten Gene-ral Ahmeds in den USA und lässt es als gut möglich erscheinen, dass der ISI in der Woche vor den Anschlägen in den USA Kontakte zu Mohamed Atta hatte – genau in jenem Zeitraum, als sich der pakistanische Geheim-dienstchef Ahmed und seine Delegation zu »regulären Konsultationen« mit

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US-Vertretern im Land aufhielten. Es sei daran erinnert, dass Ahmed bereits am 4. September in den USA eintraf. Eine vertuschte Komplizenschaft? Der Ausschuss für Internationale Be-ziehungen des Repräsentantenhauses hat schon im Sommer 2000 den Ver-dacht erhärtet, dass die US-Unterstützung, die über den ISI an die Taliban und Osama Bin Laden gelenkt wurde, fester Bestandteil der Politik der US-Regierung seit Ende des Kalten Krieges war. Die Abgeordnete Dana Rohrba-cher gab zu Protokoll: »Die USA waren die ganze Zeit eine feste Größe bei der Unterstützung der Taliban und, lassen Sie mich hinzufügen, sind es noch immer… Wir haben nun eine Militärregierung in Pakistan, welche die Taliban bis an die Zähne bewaffnet… Lassen Sie mich erwähnen, dass unse-re Hilfe immer in Taliban-Gebiete geflossen ist… Wir haben die Taliban un-terstützt, weil all unsere Hilfe in Taliban-Gebiete ging. Und wenn Leute au-ßerhalb versuchen, Hilfe in Gebiete zu lenken, die nicht von den Taliban kontrolliert werden, wird dies vom US-Außenministerium vereitelt… Gleich-zeitig leistete Pakistan große Versorgungsanstrengungen, aufgrund deren schließlich die Niederlage fast aller Anti-Taliban-Kräfte in Afghanistan besie-gelt wurde.«34

Die Beziehung der Bush-Regierung zum ISI einschließlich der »Beratun-gen« mit General Ahmed in der Woche vor dem 11. September werfen die Frage nach einer möglichen Komplizenschaft und abgestimmten Vertu-schungen auf. Während Ahmed mit Vertretern der CIA und des Pentagon konferierte, hatte der ISI mutmaßlich Kontakte zu den Terroristen des 11. September. Und da der ISI seinerseits seit Jahren mit Behörden der US-Regierung in Verbindung stand, ist die Vermutung nicht abwegig, dass die entscheidenden Personen im militärisch-geheimdienstlichen Apparat der USA über die Kontakte des ISI zum Kopf der Terroristen, Mohamed Atta, gewusst und es versäumt haben könnten, beizeiten einzuschreiten.

Ob dies den Tatbestand der Komplizenschaft erfüllt, muss noch mit Si-cherheit geklärt werden. Das Mindeste, was man in diesem Stadium jedoch erwarten könnte, wäre eine Untersuchung. Glasklar ist immerhin, dass die-ser Krieg keine »Kampagne gegen den internationalen Terrorismus« ist. Es ist – ganz im Gegensatz zu den Beteuerungen der US-Regierung – ein Er-oberungskrieg mit vernichtenden Konsequenzen für die Zukunft der Menschheit. Bewusste Irreführung. Die amerikanische Regierung, die den internatio-nalen Terrorismus für ihre Außenpolitik instrumentalisiert, hat einen großen Krieg begonnen, der angeblich ebendiesem internationalen Terrorismus gel-ten soll. Die wichtigste Rechtfertigung für den Krieg ist daher ein reiner Vorwand – die vielleicht größte Propagandalüge in der amerikanischen Ge-schichte. Die US-Regierung führt das amerikanische Volk bewusst in die Irre, und der Kongress, der in seinen Berichten die Fakten doch eindeutig dokumentiert hatte, zog mit.

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Die Entscheidung zu dieser Täuschung fiel nur wenige Stunden nach den Terrorangriffen auf das World Trade Center. Ohne jeglichen Beweis wurde Osama Bin Laden sofort als Hauptverdächtiger bezeichnet. Zwei Tage spä-ter, am 13. September, als die FBI-Untersuchungen kaum begonnen hat-ten, erklärte Präsident Bush bereits, »die Welt zum Sieg« führen zu wollen.

Die gesamte Legislative der USA – mit nur einer abweichenden Stimme eines ehrlichen und mutigen Abgeordneten – billigte den Entschluss der Regierung, in den Krieg zu ziehen. Der historische Beschluss des US-Kongresses ermächtigte den Präsidenten, »alle notwendigen und angemes-senen Gewaltmittel gegen jene Nationen, Organisationen oder Individuen einzusetzen, die nach seinem Urteil die Terrorattacken am 11. September 2001 geplant, autorisiert, begangen oder Beihilfe dazu geleistet oder sol-chen Organisationen oder Individuen Unterschlupf gewährt haben, um zu-künftige Akte des internationalen Terrorismus durch solche Nationen, Orga-nisationen oder Individuen zu verhindern.«35

Zwar gibt es keine gesicherten Beweise, dass Behörden der US-Regierung unmittelbar Beihilfe zu den Terrorangriffen auf das World Trade Center und das Pentagon geleistet haben, aber sie haben immerhin, im Verein mit der NATO, seit dem Ende des Kalten Krieges »solchen Organisa-tionen« sehr wohl »Unterschlupf gewährt«.

Ironischerweise droht der Text der Kongressresolution den Förderern des internationalen Terrorismus in den USA diverse Maßnahmen an – ein »Rückschlag« ganz eigener Art. Die Resolution schließt nämlich eine Unter-suchung des möglichen »Osamagate«-Skandals und angemessene Sanktio-nen gegen Behörden und/oder einzelne Vertreter der US-Regierung nicht aus, die mit Osama Bin Ladens al-Qaida zusammengearbeitet haben.

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24. Staatsterrorismus und US-Außenpolitik Es ist bittere Ironie, dass dieselben Organisationen, die hinter dem islami-schen Dschihad stehen, der für die Terrorangriffe auf das World Trade Cen-ter und das Pentagon verantwortlich gemacht und von der Bush-Regierung als »Gefahr für Amerika« bezeichnet wird, als entscheidende Werkzeuge der militärisch-geheimdienstlichen Operationen der USA nicht nur auf dem Bal-kan und in der ehemaligen Sowjetunion dienen, sondern auch in Indien und China.

Während die Mudschaheddin, ohne es zu wissen, zugunsten von Onkel Sam kämpfen, hat die US-Bundespolizei FBI daheim einen Krieg gegen den Terrorismus begonnen und arbeitet damit in mancher Hinsicht gegen die CIA, die ja seit dem Afghanistankrieg den internationalen Terrorismus durch verdeckte Aktionen unterstützt.

Mit den Beweisen der verdeckten CIA-Operationen seit Ende des Kalten Kriegs konfrontiert, kann die US-Regierung ihre Verbindungen zu Osama Bin Laden nicht länger leugnen. Die CIA räumt ein, dass Osama Bin Laden im Kalten Krieg ein Kollaborateur oder »geheimdienstlicher Aktivposten« war eine Beziehung, die weit zurückreichen soll. Die These von den »Geistern, die wir riefen«. So genannte »geheim-dienstliche Aktivposten« (intelligence assets) müssen, anders als echte Ge-heimagenten, selbst keine US-Interessen verfolgen; wichtig ist nur, dass sie im Rahmen verdeckter CIA-Operationen in einer Weise handeln oder sich verhalten, die den amerikanischen Interessen zuträglich ist. Solche Werk-zeuge sind sich nie der genauen Funktionen und Rollen bewusst, die sie im Dienste der CIA spielen. Damit solche verdeckten Operationen erfolgreich sein können, macht sich die CIA verschiedene Handlanger und Frontorgani-sationen oder, wie im Falle Zentralasiens und der ehemaligen Sowjetunion, Pakistans ausgedehnten militärisch-geheimdienstlichen Apparat zunutze.

In den meisten Berichten über den 11. September werden die Verbin-dungen der CIA zu Osama Bin Laden so dargestellt, als gehörten sie der Vergangenheit des sowjetischen Afghanistankriegs an und hätten mit der Gegenwart von ground zero nichts zu tun. Ein eklatantes Beispiel dieser Verzerrung in den Medien ist die so genannte blowback-These. Danach ha-ben sich die einstigen Werkzeuge, die »geheimdienstlichen Aktivposten«, gegen ihre früheren Förderer gewandt, die gerufenen Geister erweisen sich als Fluch.36 In einer verdrehten Logik werden US-Regierung und CIA als un-glückliche Opfer dargestellt: »Die modernen Methoden, die den Mudscha-heddin beigebracht wurden, und die Tausende von Tonnen Waffenmaterial, welche die USA – und Großbritannien – ihnen lieferten, peinigen nun den

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Westen, ein als >blowback< (Rückschlag) bekanntes Phänomen, bei dem sich eine politische Strategie gegen ihre Urheber wendet.«37

Dennoch räumen die US-Medien ein, dass »die Machtergreifung der Tali-ban 1995 zum Teil das Ergebnis der US-Unterstützung für die islamistischen Mudschaheddin im Krieg gegen die Sowjetunion in den 80er Jahren ist«.38 Zugleich jedoch lassen sie die von ihnen selbst festgestellten Tatsachen bereitwillig außer Acht und kommen einhellig zu dem Schluss, dass die CIA von Osama Bin Laden hereingelegt wurde, als hätte sich »der Sohn gegen den Vater gerichtet«.

Die These von den bösen Geistern, die man nun nicht mehr loswerde, ist zusammengedichtet. Alle verfügbaren Indizien belegen vielmehr, dass die CIA ihre Verbindungen zum militanten islamischen Netzwerk nie abgebro-chen hat.

»Bosniagate«: Die Neuauflage des Iran-Contra-Skandals. Wir erin-nern uns an Oliver North und die nicaraguanischen Contras zur Zeit der Präsidentschaft Reagans, als in dem verdeckten Krieg Washingtons gegen die sandinistische Regierung die »Freiheitskämpfer« Waffen erhielten, die aus dem Drogenhandel finanziert waren. Die USA machten sich die gleiche Methode auf dem Balkan zunutze, um in den 90er Jahren die Mudschahed-din zu bewaffnen und auszurüsten, die in den Reihen der bosnischen Musli-me gegen die jugoslawische Armee kämpften.

Wieder einmal diente dabei der ISI der CIA als Vermittler. Nach einer Meldung der in London ansässigen International Media Corporation im Ok-tober 1994 berichteten verlässliche Quellen, »dass sich die USA heute in direkter Verletzung der UN-Abkommen aktiv daran beteiligen, die muslimi-schen Kräfte in Bosnien-Herzegowina mit Waffen zu versorgen und auszu-bilden. US-Behörden liefern Waffen, die in… China, Nordkorea und dem Iran hergestellt wurden. Die Quellen legen nahe, dass… der Iran, mit Wissen und Billigung der US-Regierung, den bosnischen Streitkräften große Mengen von Raketenwerfern und Munition geliefert hat, darunter 107-mm und 122-mm Geschosse aus China und VBR-230-Raketenwerfer… aus dem Iran… Es wur-de ferner berichtet, dass 400 Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) mit großen Mengen an Waffen und Munition in Bosnien einge-troffen sind. Es wird vermutet, dass die CIA über die Operation vollständig informiert war und davon ausgeht, dass die 400 für künftige Terroropera-tionen in Westeuropa entsandt worden sind.

Im September und Oktober gab es einen Strom von >afghanischen< Mudschaheddin…. die heimlich im kroatischen Ploce südwestlich von Mostar landeten, von wo aus sie mit falschen Papieren weiterreisten… und zu den bosnischen Kräften in den Gebieten von Kurpres, Zenica und Banja Luka stießen. Diese Verbände erzielten in jüngster Zeit militärische Erfolge. Sie erhielten, Quellen in Sarajevo zufolge, Hilfe von einem UNPROFOR-Bataillon aus Bangladesch, das Anfang September von einem französischen Bataillon abgelöst wurde.

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Die in Ploce gelandeten Mudschaheddin sollen von US-Spezialkräften be-gleitet worden sein, die mit Hightech-Kommunikationsgeräten ausgestattet waren… Die Quellen berichten, dass die Mission der US-Truppen dazu die-nen solle, in Kupres, Zenica und Banja Luka ein Kommando-, Kontroll-, Kommunikations- und Aufklärungsnetzwerk aufzubauen, um die Offensive der bosnischen Muslime zu koordinieren und zu unterstützen – im Zusam-menspiel mit den Mudschaheddin und Kräften der bosnischen Kroaten. Eini-ge Offensiven wurden kürzlich aus den UN-Schutzzonen in den Gebieten Zenica und Banja Luka heraus durchgeführt… Die US-Administration be-schränkt ihre Beteiligung nicht nur auf die heimliche Verletzung des UN-Waffenembargos, das die UN über die Region verhängt haben. Sie entsand-te darüber hinaus in den letzten zwei Jahren drei hochrangige Delegationen, die vergeblich versuchten, die jugoslawische Regierung auf den Kurs der US-Politik zu bringen. Jugoslawien ist der einzige Staat der Region, der sich dem US-amerikanischen Druck nicht gebeugt hat.«39

Ironischerweise wurden die verdeckten militärisch-geheimdienstlichen Operationen der US-Regierung in Bosnien von der Republikanischen Partei umfassend dokumentiert. Ein langer, im Jahre 1997 veröffentlichter Kon-gressbericht des republikanischen Parteikomitees beschuldigte die Clinton-Regierung, »geholfen zu haben, Bosnien in einen Stützpunkt militanter Is-lamisten zu verwandeln«, was zur Rekrutierung von Tausenden von Mu-dschaheddin aus der islamischen Welt durch das militante islamische Netz-werk geführt habe:

»Die vielleicht größte Bedrohung der SFOR-Mission – und, wichtiger noch, die größte Gefährdung für das amerikanische Personal, das in Bosnien dient – ist der Unwille der Clinton-Administration, dem Kongress und dem amerikanischem Volk offen über die Mitwirkung an Waffenlieferungen aus dem Iran an die muslimische Regierung in Sarajevo Auskunft zu geben. Diese Politik, die Präsident Bill Clinton im April 1994 auf Drängen des desi-gnierten CIA-Direktors (und damaligen Chefs des Nationalen Sicherheitsra-tes) Anthony Lake und des US-Botschafters in Kroatien, Peter Galbraith, persönlich billigte, spielte der Los Angeles Times zufolge (die vertrauliche Geheimdienstquellen zitiert) >eine zentrale Rolle bei der dramatischen Zu-nahme des iranischen Einflusses in Bosnien<…

Zusammen mit den Waffen gelangten iranische Revolutionsgarden und VEVAK-Geheimagenten in großer Zahl nach Bosnien, gemeinsam mit Tau-senden von Mudschaheddin (>heiligen Kriegern<) aus der ganzen islami-schen Welt. Daran beteiligt waren ebenfalls mehrere andere muslimische Länder (darunter Brunei, Malaysia, Pakistan, Saudi-Arabien, der Sudan und die Türkei) und eine Reihe von radikalen muslimischen Organisationen… Die Third World Relief Agency (TWRA), eine im Sudan ansässige Organisation, die zum Schein als Hilfsorganisation firmiert…. war ein wichtiges Glied bei den Waffenlieferungen nach Bosnien… Die TWRA soll mit solchen festen Größen des islamischen Terrornetzwerks wie Sheik Omar Abdel Rahman (der als Drahtzieher hinter dem Bombenanschlag auf das World Trade Cen-ter von 1993 verurteilt wurde) und mit Osama Bin Laden verbunden sein,

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einem wohlhabenden Exil-Saudi, der zahlreiche militante Gruppen finanzie-ren soll.«40

Der Kosovo und die dubiose UCK. Das Muster des Vorgehens in Bosnien, das in dem eben zitierten Bericht beschrieben worden ist, wiederholte sich im Kosovo. Mit Komplizenschaft der NATO und des US-Außenministeriums wurden Mudschaheddin-Söldner aus dem Nahen Osten und Zentralasien rekrutiert, um 1998 und 1999 in den Reihen der UCK zu kämpfen und vor allem die Kriegsanstrengungen der NATO zu unterstützen.

Wie britische Militärquellen bestätigten, wurden 1998 die US-amerikanische Defense Intelligence Agency (DIA) und der britische Ge-heimdienst MI6 zusammen mit »Angehörigen des 22nd Special Air Services Regiment und drei privaten britischen und amerikanischen Söldnerfirmen« mit der Aufgabe der Bewaffnung und Ausbildung der UCK betraut. »Wäh-rend dieser verdeckten Operationen wurden aktive Angehörige des 22 SAS, vor allem aus dem D-Bataillon, im Kosovo stationiert, bevor im März die Bombardierung begann.«41

Auch türkische und afghanische Militärausbilder unterwiesen, finanziert vom islamischen Dschihad, die UCK in Guerillataktiken.42 Und auch Bin La-den war in Albanien: »Er repräsentierte eine von mehreren Fundamentali-stengruppen, die Kampfeinheiten in den Kosovo geschickt hatten… Bin La-den soll 1994 mit einer Operation in Albanien begonnen haben… Albanische Quellen berichten, dass Sah Berisha, der damalige Präsident, Verbindungen zu einigen Gruppen hatte, die sich später als fundamentalistische Extremi-sten herausstellten.«43

Frank Cilluffo, der Kriminalitätsexperte des Washingtoner Zentrums für strategische und internationale Studien, erklärte in einer Aussage vor dem Rechtsausschuss des US-Repräsentantenhauses: »Was der Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben ist, ist die Tatsache, dass die UCK einen Teil ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Drogen bezieht. Albanien und Kosovo liegen im Herzen der Balkanroute, die das Drogendreieck von Af-ghanistan und Pakistan mit den Drogenmärkten in Europa verbindet. Diese Route hat einen Wert von geschätzten 400 Mrd. Dollar im Jahr und wickelt 80 Prozent des für Europa bestimmten Heroinhandels ab.«44

Ralf Mutschke von Interpol erklärte, ebenfalls vor dem Rechtsausschuss des US-Repräsentantenhauses: »Das US-Außenministerium stufte die UCK als terroristische Organisation ein, die ihre Operationen mit Geld aus dem internationalen Heroinhandel sowie Krediten aus islamischen Ländern und von Einzelpersonen finanziert, darunter vermutlich Osama Bin Laden. Eine weitere Verbindung zu Bin Laden ist die Tatsache, dass der Bruder eines Anführers einer ägyptischen Dschihad-Organisation, der zugleich als Militär-kommandeur von Osama Bin Laden fungiert, während des Kosovokrieges eine Elitetruppe der UCK führte.«45

Obwohl der US-Kongress die UCK-Verbindungen zu Osama Bin Laden, zum internationalen Terrorismus und zum organisierten Verbrechen hinrei-chend dokumentiert hatte und folglich jeder Volksvertreter in diesem Hohen

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Hause die Fakten hätte zur Kenntnis nehmen können, war die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright vor der Bombardierung Jugoslawiens eifrig darum bemüht, der UCK politische Legitimität zu verschaffen. Die pa-ramilitärische Armee erhielt von einem auf den anderen Tag den Status einer echten »demokratischen Kraft« im Kosovo und durfte bei den geschei-terten »Friedensverhandlungen« von Rambouillet Anfang 1999 eine zentrale Rolle spielen.

Zu jener Zeit erklärte Senator Jo Lieberman trotz besseren Wissens ka-tegorisch: »Für die UCK zu kämpfen heißt, für Menschenrechte und ameri-kanische Werte zu kämpfen.« Aber wenige Stunden nach den Raketenan-griffen auf Afghanistan am 7. Oktober 2001 rief derselbe Jo Lieberman zu Vergeltungsluftschlägen gegen den Irak auf: »Wir befinden uns in einem Krieg gegen den Terrorismus… Wir können nicht bei Bin Laden und den Ta-hiban Halt machen.« Fortsetzung in Mazedonien. Nach dem Krieg von 1999 in Jugoslawien weitete die UCK ihre Terroraktivitäten auf Südserbien und Mazedonien aus. Zugleich wurde sie unter der neuen Bezeichnung »Kosovo-Schutz-Truppe« (KPC) von der UNO anerkannt, was die Möglichkeit »legitimer« Finanzierung durch die Weltorganisation und bilaterale Kanäle eröffnete, darunter US-Militärhilfe.

Und kaum zwei Monate nach dieser offiziellen Anerkennung der KPC im September 1999 bereiteten ihre Kommandeure, ausgestattet mit UN-Ressourcen, bereits die Angriffe auf Mazedonien vor – als logische Fortfüh-rung ihrer terroristischen Aktivitäten im Kosovo. Der Tageszeitung Dnevnik aus Skopje zufolge etablierte die KPC ein »sechstes Operationsgebiet« in Südserbien und Mazedonien: »Quellen, die auf Anonymität bestehen, be-haupten, dass bereits im März 2000 Hauptquartiere der Kosovo-Schutzbrigaden (die mit der KPC verbündet sind) in Tetovo, Gostivar und Skopje eingerichtet wurden. Auch in Debar und Struga (an der Grenze zu Albanien) werden Hauptquartiere vorbereitet.«46

Der BBC zufolge wurden die Guerilleros zu jener Zeit noch immer von westlichen Spezialkräften trainiert, was bedeutet, dass sie der KPC halfen, ebendieses sechste Operationsgebiet zu eröffnen.47

Unter den ausländischen Söldnern, die 2001 in Mazedonien in den Rei-hen der selbst ernannten Befreiungsarmee der Albaner kämpften, fanden sich Mudschaheddin aus dem Nahen Osten und den zentralasiatischen Re-publiken der ehemaligen Sowjetunion ebenso wie hochrangige US-Militärberater einer privaten Söldnertruppe, die beim Pentagon unter Ver-trag steht, sowie » Glücksritter « aus Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland. Einige dieser westlichen Söldner hatten zuvor bei der UCK im Kosovo und in der muslimischen bosnischen Armee gekämpft.

Es ist bittere Ironie, dass so die alte UCK im neuen KPC-Gewande und die mazedonische Befreiungsarmee der Albaner nicht nur von Osama Bin Ladens al-Qaida, sondern auch von der NATO und der UN-Mission im Koso-vo unterstützt und finanziert werden. Tatsächlich stellt das militante isla-

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mische Netzwerk einen integralen Bestandteil der verdeckten militärisch-geheimdienstlichen Operationen Washingtons in Mazedonien und Südserbi-en dar, wobei abermals der pakistanische Geheimdienst als Vermittlungs-stelle benutzt wird.

Diverse islamistische Gruppen sorgen für die Rekrutierung von Mudscha-heddin für den Kampf der albanischen Befreiungsarmee in Mazedonien, US-Militärberater geben ihre Weisheiten an fundamentalistische Krieger weiter, westliche Söldner aus NATO-Ländern kämpfen Seite an Seite mit Mud-schaheddin, die im Nahen Osten und in Zentralasien angeworben wurden.

Wohlgemerkt: All dieses fand statt nicht während des Kalten Krieges, sondern im Mazedonien des Jahres 2001. Zu jener Zeit hatten die US-Medien noch keinen Anlass, einen »Rückschlag« zu bejammern: Die unhei-lige Allianz zwischen den US-Geheimdiensten und ihren islamistischen »Ak-tivposten« funktionierte ohne Fehl und Tadel. Am deutlichsten hat wohl die mazedonische Nachrichtenagentur auf die Komplizenschaft zwischen dem Gesandten der USA, Botschafter James Pardew, und den Terroristen der mazedonischen Befreiungsarmee hingewiesen.48

Pardews Hintergrund ist in der Tat sehr aufschlussreich. Er begann seine Karriere auf dem Balkan 1993 als hochrangiger Geheimdienstoffizier beim gemeinsamen Oberkommando, verantwortlich für die Kanalisierung von US-Hilfe an die muslimische bosnische Armee. Oberst Pardew war damit be-auftragt, die bosnischen Streitkräfte aus der Luft zu versorgen, was als »zi-vile Hilfe« deklariert wurde. Später sickerte durch – bestätigt vom Kon-gressbericht des republikanischen Parteikomitees –, dass die USA damit das Waffenembargo verletzt hatten. Und James Pardew spielte eine wichtige Rolle als Teil eines Teams von Geheimdienstvertretern, das eng mit Antho-ny Lake, dem Chef des Nationalen Sicherheitsrats, zusammenarbeitete. Später, 1995, nahm Pardew als Vertreter des US-Verteidigungsministeriums an den Dayton-Verhandlungen teil. Und 1999, vor der Bombardierung Jugo-slawiens, ernannte ihn Präsident Clinton zu seinem Sonderbeauftragten, zuständig für die militärische Stabilisierung der Region und die Umsetzung der Kosovo-Beschlüsse. Eine seiner Aufgaben war es, der UCK Hilfe zu-kommen zu lassen.

So setzte sich das in Bosnien erprobte Muster des Vorgehens erst im Ko-sovo und später in Mazedonien fort. Der Krieg in Tschetschenien. Die wichtigsten Rebellenführer in Tsche-tschenien, Shamil Basajew und Emir Al-Khattab, wurden in von der CIA finanzierten Camps in Afghanistan und Pakistan ausgebildet. Yossef Bo-dansky zufolge, Direktor der vom US-Kongress eingesetzten Spezialtruppe zur Terrorisniusbekämpfung, wurde der Tschetschenienkrieg 1996 während eines geheimen Treffens von Hisbollah-Vertretern aus mehreren Ländern im somalischen Mogadischu geplant.49 An dem Treffen nahmen Osama Bin La-den sowie hochrangige iranische und pakistanische Geheimdienstler teil. Die Verstrickung des pakistanischen Geheimdienstes in Tschetschenien geht folglich »weit über die Versorgung der Tschetschenen mit Waffen und

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Know-how hinaus: Tatsächlich haben der pakistanische Geheimdienst und seine radikalislamistischen Handlanger die Kontrolle über diesen Krieg.«50

Die wichtigsten Ölpipelines Russlands verlaufen durch Tschetschenien und Dagestan. Zwar verurteilt Washington offiziell den islamischen Terro-rismus, aber die indirekten Nutznießer des Tschetschenienkriegs sind die angloamerikanischen Ölkonzerne, die um die Kontrolle der Ölressourcen und Pipelines in der Kaspischen Senke wetteifern.

Die beiden wichtigsten tschetschenischen Rebellenarmeen mit zusam-men etwa 35.000 Mann – die eine geführt von Shamil Basajew, die andere von Emir Al-Khattab – wurden vom ISI unterstützt, der auch eine Schlüssel-rolle bei ihrer Organisation und Ausbildung spielte.

»(1994) sorgte der pakistanische Geheimdienst ISI dafür dass Basajew und seine Vertrauensleute im Amir-Muawia-Camp in der afghanischen Pro-vinz Khost – Anfang der 80er Jahre von der CIA und dem ISI eingerichtet und vom berühmten afghanischen Kriegsherrn Gulbuddin Hekmatyar gelei-tet – islamistisch indoktriniert und im Guerillakrieg ausgebildet wurden. Im Juli 1994 kam Basajew dann in das Lager Markaz-i-Dawar in Pakistan, um sich weiter in Guerillataktik ausbilden zu lassen. Basajew traf in Pakistan die höchstrangigen Militärs und Geheimdienstler: Verteidigungsminister General Aftab Shahban Mirani, Innenminister General Naserullah Babar und den Leiter der Abteilung des ISI für die Unterstützung islamischer Bewegungen, General Javed Ashraf (heute alle im Ruhestand). Solche Verbindungen zu höchsten Ebenen erwiesen sich für Basajew bald als sehr nützlich.«51

Nach seiner Ausbildung und Indoktrination erhielt Basajew die Aufgabe, im ersten Tschetschenienkrieg 1995 den Angriff gegen die Truppen der Russischen Föderation zu führen. Seine Organisation knüpfte zudem ausge-dehnte Kontakte zu Verbrechersyndikaten in Moskau und Verbindungen zum organisierten Verbrechen Albaniens und der UCK. 1997 und 1998 be-gannen nach Auskunft des russischen Geheimdienstes »die tschetscheni-schen Warlords damit, über mehrere Maklerfirmen, die zur Tarnung in Jugo-slawien registriert waren, Immobilien im Kosovo zu kaufen«.52

Basajews Organisation war auch in eine Reihe von illegalen Geldbeschaf-fungsaktionen verstrickt: Drogenhandel, Anzapfen und Sabotage russischer Pipelines, Entführungen, Prostitution, Handel mit Dollarblüten und Schmug-gel von Nuklearmaterial.53 Neben der ausgedehnten Geldwäsche flossen die Erlöse aus verschiedenen illegalen Aktivitäten in die Rekrutierung von Söld-nern und den Waffenkauf.

Während des Trainings in Afghanistan knüpfte Shamil Basajew Kontakt zu dem aus Saudi-Arabien stammenden erfahrenen Mudschaheddin-Anführer Al-Khattab, der als Freiwilliger in Afghanistan gekämpft hatte. Kaum ein paar Monate nach Basajews Rückkehr nach Grosny lud er Al-Khattab Anfang 1995 ein, einen Stützpunkt in Tschetschenien aufzubauen, um Mudschaheddin auszubilden. Der BBC zufolge wurde Al-Khattabs Ent-sendung nach Tschetschenien »von der in Saudi-Arabien ansässigen Inter-national Islamic Relief Organisation arrangiert, einer von Moscheen und

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reichen Individuen finanzierten militanten religiösen Organisation, die Mittel nach Tschetschenien schleuste.«54

Der Kaschmirkonflikt. Parallel zu diesen verdeckten Operationen auf dem Balkan und in der ehemaligen Sowjetunion förderte der pakistanische Ge-heimdienst ISI seit den 80er Jahren mehrere islamische Aufstände im indi-schen Kaschmir. Obwohl offiziell von Washington verurteilt, fanden auch diese Operationen des ISI mit stillschweigender Billigung der US-Regierung statt. Zeitgleich mit dem Genfer Friedensabkommen und dem sowjetischen Rückzug aus Afghanistan half der ISI bei der Gründung der militanten His-bollah-Mudschaheddin im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir.55

Die Terrorattacke vom Dezember 2001 auf das indische Parlament, die Indien und Pakistan an den Rand eines Krieges brachte, wurde von zwei von Pakistan aus operierenden Rebellengruppen durchgeführt, Lashkar-e-Taiba (»Armee der Reinen«) und Jaish-e-Muhammad (»Armee Moham-meds«), die beide die Unterstützung des ISI genießen.

Dieser zeitlich auf den US-Krieg in Afghanistan abgepasste Anschlag war der vorläufige Höhepunkt eines in den 80er Jahren begonnenen, mit Dro-gengeldern finanzierten und vom ISI angestifteten Prozesses.56 Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass die vom ISI unterstützten islamischen Auf stände den geopolitischen Interessen der USA dienen, da sie zur Schwächung und Spaltung der Einheit Indiens beitragen.

Die versuchte Destabilisierung Chinas. Ebenfalls bedeutsam für das Verständnis von Amerikas neuem Krieg ist die Unterstützung des ISI für islamische Aufstände an der chinesischen Westgrenze zu Afghanistan und Pakistan. Tatsächlich stehen diverse islamische Bewegungen in den musli-mischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion in engem Kontakt mit den Bewegungen der Turkmenen und Uiguren in der Uigurischen Autonomen Region Sinkiang.

Diese Separatistengruppen – zu denen die so genannte Ostturkmenische Terroristenarmee, die Islamische Reformpartei, die Ostturkmenische Natio-nale Einheitsallianz, die Uigurische Befreiungsorganisation und die Zentral-asiatische Uigurische Dschihad-Partei gehören – sind ebenfalls von Osama Bin Ladens al-Qaida und dem ISI unterstützt worden.57 Das erklärte Ziel dieser islamischen Aufständischen ist die Errichtung »eines islamischen Kali-fats in der Region«.58

Ein solches Kalifat würde die territoriale Souveränität Chinas verletzen. Die Ziele der separatistischen Bewegungen an Chinas Westgrenze, die auch Gelder von verschiedenen wahhabitischen Stiftungen aus den Golfstaaten erhalten, decken sich mit den strategischen Interessen der USA in Zentral-asien. Eine mächtige Lobby in den USA sorgt außerdem für die Unterstüt-zung separatistischer Kräfte in Tibet. Durch die verdeckte Förderung der Abspaltung der Uigurischen Autonomen Region Sinkiang mithilfe des paki-stanischen Geheimdienstes verfolgt Washington das Ziel, die Volksrepublik China auf breiter Front politisch zu destabilisieren und territorial aufzubre-

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chen. Diesem Ziel dienen auch die Militärstützpunkte, die die USA in Afgha-nistan und verschiedenen ehemaligen Sowjetrepubliken direkt an der West-grenze Chinas errichtet haben, sowie die Militarisierung des Südchinesi-schen Meeres und der Formosastraße.

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25. Die verborgenen Ziele des Krieges Amerikas neuer Krieg dient dazu, das globale Marktsystem auszuweiten und den US-Konzernen zugleich neue Räume zu öffnen. Die von den USA in en-ger Verbindung mit Großbritannien geführte militärische Invasion in Afgha-nistan nützt, den Interessen der britisch-amerikanischen Ölgiganten und den fünf großen Rüstungsproduzenten der USA: Lockheed Martin, Raythe-on, Northrop Grumman, Boeing und General Dynamics. Das Zusammenrük-ken von London und Washington und das enge Verhältnis zwischen dem britischen Premierminister und dem amerikanischen Präsidenten decken sich mit der Integration britischer und amerikanischer Geschäftsinteressen in den Bereichen des Bankenwesens und der Öl- und Verteidigungsindu-strie. So fusionierte BP mit der amerikanischen Ölgesellschaft Amoco zum größten Ölkonzern der Welt, und nach dem Jugoslawienkrieg von 1999 wurde der britische Rüstungsgigant British Aerospace Systems voll in die US-amerikanische Waffenbeschaffung einbezogen. Kriegsplanungen. Die Planung von Amerikas neuem Krieg begann minde-stens drei Jahre vor den tragischen Ereignissen vom 11. September. Zu Beginn des Jugoslawienkrieges von 1999 wurde die Erweiterung des westli-chen Militärbündnisses mit dem NATO-Beitritt von Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik verkündet. Diese Erweiterung richtete sich gegen Jugoslawien und Russland.

Und im April, kaum einen Monat nach der Bombardierung Jugoslawiens, gab die Clinton-Regierung die Erweiterung der NATO in den direkten Macht-bereich der ehemaligen Sowjetunion bekannt. Zeitgleich mit den Feierlich-keiten zum 50. Jahrestag der NATO-Gründung kamen nämlich die Staats-chefs Georgiens, der Ukraine, Usbekistans, Aserbaidschans und Moldawiens im Andrew-Mellon-Auditorium in Washington zusammen. Sie waren zu den dreitägigen Feiern der NATO eingeladen worden, um GUUAM zu unterzeich-nen, einen regionalen militärischen Bündnisvertrag, dessen Geltungsbereich die strategisch wichtige Öl- und Gasregion um das Kaspische Meer umfasst, wobei Moldawien und die Ukraine dem Westen Pipelinerouten für den Ölex-port anboten.59 Georgien, Aserbaidschan und Usbekistan gaben unmittelbar danach bekannt, dass sie die Verteidigungsgemeinschaft der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) verlassen würden, die den Rahmen der militä-rischen Kooperation zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken bildet.

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Kasten 25.1

Einem BBC-Bericht zufolge, der kurz nach den Angriffen des 11. Sep-tember veröffentlicht wurde, erklärten bereits Mitte Juli 2001, während des Treffens einer UN-Kontaktgruppe, die afghanische Belange verhan-delte, hochrangige US-Vertreter dem ehemaligen pakistanischen Au-ßenminister Niaz Naik, »dass Mitte Oktober (2001) militärische Aktionen gegen Afghanistan vorgesehen seien… Das übergeordnete Ziel, so Naik, sollte darin bestehen, das Taliban-Regime zu stürzen… Naik wurde mit-geteilt, dass Washington seine Operation von Stützpunkten in Tad-schikistan aus beginnen würde, wo bereits amerikanische Berater statio-niert seien. Bin Laden würde >getötet oder gefangen genommen< wer-den. Er erfuhr weiter; dass Usbekistan ebenfalls an der Operation teil-nehmen würde… Falls es wirklich zu dieser militärischen Aktion komme, müsse sie spätestens Mitte Oktober vor den Schneefällen in Afghanistan beginnen. Er sagte, dass er keinen Zweifel hege, dass nach den Bom-bardierungen des World Trade Center dieser bereits bestehende US-Plan als Grundlage diene und in zwei oder drei Wochen umgesetzt werden würde. Er sagte ferner, dass es zweifelhaft sei, ob Washington seinen Plan selbst dann aufgeben würde, wenn Bin Laden sofort von den Taliban ausgeliefert würde.« George Arney, »US Planned Attack on Taliban«, BBC, 18. September 2001

Der GUUAM-Vertrag – unter dem Schirm der NATO und finanziert mit westlicher Militärhilfe – zielt darauf ab, die GUS weiter zu zerstückeln, im Dienste britisch-amerikanischer Erdölinteressen Russland von den Öl- und Gasvorkommen der kaspischen Region auszuschließen und Moskau politisch zu isolieren.

Die Seidenstraßenstrategie. Einen Monat zuvor, am 19. März, 1999, also fünf Tage vor dem Beginn der Bombardierung Jugoslawiens, hatte der US-Kongress das so genannte Seidenstraßenstrategiegesetz (Silk Road Strate-gy Act) verabschiedet, das die umfassenden wirtschaftlichen und strategi-schen Interessen der USA in einer riesigen Region definiert, die sich vom Mittelmeer bis nach Zentralasien erstreckt. Die Seidenstraßenstrategie um-reißt den Ausbau des amerikanischen Wirtschaftsimperiums in einem brei-ten geografischen Korridor:

»Die alte Seidenstraße, einst die wirtschaftliche Lebensader Zentralasi-ens und des Südkaukasus, verlief durch einen Großteil des Territoriums der Länder Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschi-

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kistan, Turkmenistan und Usbekistan… Vor hundert Jahren war Zentralasien die Arena eines großen Machtspiels zwischen dem zaristischen Russland, dem britischen Kolonialreich, dem napoleonischen Frankreich sowie dem persischen und Osmanischen Reich. Militärbündnisse zählten in diesem Kampf um Reichsausdehnung, bei dem keines der Reiche die Oberhand ge-winnen konnte, wenig. Hundert Jahre später hat der Zusammenbruch der Sowjetunion ein neues Machtspiel in Gang gesetzt, bei dem an die Stelle der Interessen der Ostindischen Kompanie jene von Ölgesellschaften wie Unocal und Total und vielen anderen Unternehmen getreten sind. Heute liegt unser Augenmerk auf den Interessen eines neuen Mitstreiters in die-sem Spiel: die USA. Die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken, aus denen Zen-tralasien besteht – Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan – ‚ sind begierig darauf, Beziehungen zu den USA aufzubauen. Kasachstan und Turkmenistan besitzen große Öl- und Gasreserven in und um das Kaspische Meer, die sie dringend ausbeuten wollen. Usbekistan hat Öl- und Gasvorkommen…«60

Die US-Politik zielt mit ihrer Seidenstraßenstrategie darauf, ihre Wettbe-werber im Ölgeschäft, darunter Russland, den Iran und China, zu schwä-chen und schließlich zu destabilisieren:

»Zu den erklärten Zielen der US-Politik im Hinblick auf die Energieres-sourcen in dieser Region gehört es, die Unabhängigkeit der Staaten und ihre Verbindungen zum Westen zu fördern, Russlands Monopol über die Öl- und Gastransportrouten zu brechen, die Sicherheit der Energieversorgung des Westens durch breitere Streuung der Produzenten zu fördern, den Bau von Ost-West-Pipelines zu ermutigen, die nicht durch den Iran verlaufen, sowie zu verhindern, dass der Iran gefährlichen Einfluss auf die Wirtschaf-ten Zentralasiens gewinnt…

Zentralasien bietet offenbar beträchtliche neue Investitionsmöglichkeiten für eine große Bandbreite von US-amerikanischen Unternehmen, die ihrer-seits als wertvoller Stimulus für die wirtschaftliche Entwicklung der Region dienen können. Japan, die Türkei, der Iran, Westeuropa und China streben alle danach, wirtschaftliche Entwicklungschancen wahrzunehmen und die russische Vorherrschaft in der Region herauszufordern. Es kommt wesent-lich darauf an, dass die Politiker der USA bei der Gestaltung einer Politik, die den Interessen des Landes und der US-Wirtschaft dient, verstehen, um wie viel es in Zentralasien geht.«61

Während die Seidenstraßenstrategie die Bühne für die Eingliederung der ehemaligen sowjetischen Republiken in das amerikanische Wirtschaftsimpe-rium bereitet, definiert das Militärbündnis GUUAM die »Kooperation« im Verteidigungsbereich, darunter die Stationierung von US-Truppen in ehe-maligen Sowjetrepubliken. Im Rahmen dieses Abkommens haben die USA eine Militärbasis in Usbekistan eingerichtet, die als Stützpunkt für die Inva-sion Afghanistans 2001 diente.

Gestützt durch die Militärmacht der USA, soll das Seidenstraßengesetz US-Firmen und Finanzinstituten eine riesige geografische Region öffnen. Der erklärte Zweck besteht darin, die »politische und wirtschaftliche Liberalisie-rung« der betreffenden Länder zu fördern – unter anderem durch »Marktre-

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formen« unter Aufsicht von IWF, Weltbank und WTO – , um so Anreize für internationale private Investitionen zu schaffen und den Handel und andere Formen wirtschaftlichen Austausches zu erhöhen.62

Ziel der Seidenstraßenstrategie ist es somit, in einer Region, die sich vom Schwarzen Meer bis an die chinesische Grenze erstreckt, eine von den USA kontrollierte »Freihandelszone« aus acht ehemaligen Sowjetrepubliken zu errichten. Dieser ausgedehnte Korridor – der bis vor kurzem zur wirt-schaftlichen und geopolitischen Sphäre Moskaus gehörte, würde schließlich die gesamte Region in einen Flickenteppich amerikanischer Protektorate verwandeln. Die Seidenstraßenstrategie stellt folglich die Fortsetzung der US-Außenpolitik während des Kalten Krieges dar.

Ölpolitik. Afghanistan hat in vieler Hinsicht strategische Bedeutung. Es grenzt nicht nur an den Seidenstraßenkorridor, der den Kaukasus mit der Westgrenze Chinas verbindet, sondern liegt auch am strategischen Kreu-zungspunkt der eurasischen Ölpipelines und Öltransportrouten sowie in di-rekter Nachbarschaft von fünf Atommächten: China, Russland, Indien, Paki-stan und Kasachstan. Es stellt darüber hinaus eine Landbrücke für eine mögliche Ölpipeline aus der ehemaligen Sowjetrepublik Turkmenistan durch Pakistan zum Arabischen Meer dar über die der Ölkonzern Unocal anfänglich mit der Taliban-Regierung verhandelt hatte:

»Die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens – Turkmenistan, Usbe-kistan und besonders das >neue Kuwait< Kasachstan – verfügen über rie-sige Öl- und Gasvorkommen. Aber Russland hat den USA die Genehmigung verweigert, diese durch russische Pipelines zu befördern, und Iran gilt als gefährliche Route. Blieb nur Afghanistan. Die US-Ölgesellschaft Chevron – bei der die Sicherheitsberaterin von Bush, Condoleezza Rice, in den 90er Jahren einen Direktionsposten innehatte – ist stark in Kasachstan engagiert. 1995 unterzeichnete Unocal, die andere US-Ölgesellschaft (ehemals Union Oil Company of California), einen Vertrag für den Export von Gas im Wert von acht Milliarden Dollar durch eine drei Milliarden Dollar teure Pipeline, die von Turkmenistan durch Afghanistan nach Pakistan verlaufen sollte.«63

Die Öl- und Gasreserven des eurasischen Korridors sind beträchtlich, mindestens von der Größe der Vorkommen im Persischen Golf, und folglich dazu angetan, die Abhängigkeit der USA von der unruhigen Golfregion zu reduzieren.

Aber für die Bush- wie zuvor schon für die Clinton-Regierung stehen die politischen und militärischen Bedingungen in der Region – sprich: die Prä-senz und der Einfluss Russlands – der Absicht im Wege, diese Energievor-kommen auf den Weltmarkt zu bringen:

»In beiden Regionen wetteifern ausländische Staaten um Einfluss. Nicht nur Russland, sondern auch China, die Türkei, der Iran, Pakistan und Saudi-Arabien sind an diesem Wettbewerb beteiligt, häufig in unkonstruktiver Weise. Wenn wir und unsere Verbündeten mit diesen Realitäten zweiter und dritter Ordnung nicht fertig werden, werden wir den Nutzen aus den Realitäten erster Ordnung verlieren. Das Öl und Gas auf den Markt zu

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täten erster Ordnung verlieren. Das Öl und Gas auf den Markt zu bringen wird dann nur sporadisch möglich, wenn nicht ganz unmöglich und weit kostspieliger sein. Gleichzeitig könnte die sich daraus ergebende politische Instabilität beide Regionen in einen Hexenkessel von Bürgerkriegen und politischer Gewalt stürzen und unweigerlich die Nachbarstaaten mit hinein-ziehen. Wir kennen dieses Muster, welches das militärische Eingreifen der USA erfordert, bereits aus dem Persischen Golf und könnten einen solchen Konflikt selbst dann, wenn wir militärischen Beistand leisten würden, poli-tisch kaum durchstehen, sofern Russland, China, der Iran, die Türkei, Paki-stan und einige der arabischen Staaten jenseits des Kaukasus oder Zentral-asiens darin verwickelt wären.«64 Die erfolgreiche Umsetzung der Seidenstraßenstrategie hat also die Mili-tarisierung des eurasischen Korridors zur Voraussetzung, um die Kontrolle über die ausgedehnten Öl- und Gasvorkommen zu gewinnen und die Pipeli-nes zugunsten britisch-amerikanischer Ölkonzerne zu schützen. »Ein erfolg-reiches internationales Ölmanagement ist eine Kombination wirtschaftlicher, politischer und militärischer Arrangements, um die Produktion und den Transport des Öls zu den Märkten zu unterstutzen.«65 Ein ehemaliger Politikexperte der CIA drückt es so aus: »Wer immer die Kontrolle über bestimmte Pipelines und bestimmte Investitionen in der Re-gion hat, verfügt über ein gewisses Maß an geopolitischer Macht. Ein sol-cher Einfluss ist selbst eine Art Rohstoff… Für weite Teile der Dritten Welt ist das ein neuer Gesichtspunkt im Umgang mit Ressourcen. Es geht nicht mehr um die alte Geschichte von Hitler-Deutschland, das im Zweiten Welt-krieg den Kaukasus zu erobern versuchte, um das Öl für seine eigenen Zwecke zu benutzen.«66 Seitdem George W. Bush als Präsident in Washington residiert, genießen die US-Ölkonzerne den Vorteil, unmittelbar an der Planung von militäri-schen und geheimdienstlichen Operationen zu ihren Gunsten beteiligt zu sein. Dies gewährleisten nicht nur die mächtige texanische Öllobby, sondern auch die Besetzung von Verteidigungs- und außenpolitischen Schlüsselposi-tionen mit ehemaligen Managern aus der Ölindustrie:

»Präsident George W. Bushs Familie ist seit 1950 führend im Ölgeschäft tätig. Vizepräsident Dick Cheney war während der 90er Jahre Vorstand von Halliburton, der größten Öldienstleistungsgesellschaft der Welt. Die Nationa-le Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice saß im Aufsichtsrat von Chevron, die einen Tanker mit ihrem Namen ehrte. Handelsminister Donald Evans war länger als ein Jahrzehnt Chef von Tom Brown Inc. einer Gasgesellschaft mit Förderstätten in Texas, Colorado und Wyoming. Aber es geht nicht nur um personelle Verbindungen. Die Bin-Laden-Familie und andere Mitglieder von Saudi-Arabiens ölreicher Elite trugen selbst dann noch beträchtlich zu mehreren Unternehmen der Bush-Familie bei, als die amerikanische Ener-gieindustrie Bush ins Amt verhalf. Von den zehn lebenslangen Unterstüt-zern, die George W Bushs Wahlkampfkasse füllen, kommen sechs aus dem Ölgeschäft oder haben Verbindungen dazu.«67

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Strategische Pipelinerouten. In dem Bestreben, die Kontrolle Moskaus über das kaspische Öl zu schwächen, wurden mehrere Pipelinerouten ins Auge gefasst. Die Baku-Supsa-Pipeline – eingeweiht am 17. Juni 1999 wäh-rend des Krieges in Jugoslawien und vom GUUAM-Vertrag militärisch ge-schützt – umgeht das russische Territorium völlig. Das Öl wird durch Pipeli-nes von Baku zum georgischen Hafen Supsa gepumpt, von wo aus es mit Tankern zum Piwdenni-Hafen in der Nähe von Odessa in der Ukraine ge-bracht wird. Zur Erinnerung: Sowohl Georgien als auch die Ukraine sind Alliierte des GUUAM-Abkommens.

Die Finanzierung des Piwdenni-Terminals wurde – in Abstimmung mit der neofaschistischen Regierung von Präsident Leonid Kutschma – durch westliche Kredite gesichert. Von dort kann das Öl durch Anschluss an den bereits vorhandenen südlichen Zweig der Druzhba-Pipeline, die durch die Slowakei, Ungarn und die Tschechische Republik verläuft, weitertranspor-tiert werden.

Die NATO-Erweiterung, verkündet kurz vor Einweihung der Baku-Supsa-Route, stellt den Schutz der Verbindungspipelines von den kaspischen Ölla-gerstätten durch Ungarn und Tschechien sicher. So wird die gesamte Pipeli-neroute von der westlichen Militärallianz geschützt.

Die Pipeline aus sowjetischer Zeit verbindet Baku am Kaspischen Meer über Grosny mit Noworossisk am Schwarzen Meer. Weil auch die Ölleitung aus Kasachstan in Noworossisk endet, liegt Tschetschenien an der Kreuzung zweier von Russland kontrollierten strategischen Pipelinerouten. Während der Sowjetära war Noworossisk auch der Endhafen für die Pipeline aus Ka-sachstan. Entscheidend für westliche Pipelinepläne ist es nun, mit dem aserbaidschanischen und dem kasachischen Öl den Hafen von Noworossisk zu umgehen.

Unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges ermutigte Washington auf verschwiegene Weise die beiden wichtigsten Rebellengruppen Tsche-tscheniens, ihre Republik von der Russischen Föderation loszusagen. Wie bereits erläutert, sind die islamischen Aufstände in Tschetschenien von Osama Bin Ladens al-Qaida und dem pakistanischen Geheimdienst unter-stützt worden.

1994 begann Moskau einen Krieg, um die strategische Pipeline zu schüt-zen, die von den tschetschenischen Rebellen bedroht wurde. Im August 1999 wurde die Pipeline zeitweise außer Betrieb gesetzt, als die tschetsche-nische Rebellenarmee in Dagestan einfiel und dadurch den Kreml veranlass-te, russische Truppen nach Tschetschenien zu schicken.

Die Belege deuten darauf hin, dass die CIA hinter den tschetschenischen Rebellen stand und sich den ISI als Vermittler zunutze machte. Washington ist interessiert daran, die Kontrolle der russischen Ölgesellschaften und des russischen Staates über die Pipelinerouten durch Tschetschenien und Dage-stan zu schwächen. Wenn sich diese beiden Republiken von der Russischen Föderation abspalten würden, ließe sich ein Großteil des Territoriums zwi-schen dem Kaspischen und Schwarzen Meer unter den »Schutz« des westli-chen Militärbündnisses bringen und fielen so alle existierenden und ge-

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planten Pipelinerouten und Transportwege dieser Region den britisch-amerikanischen Ölkonzernen zu. Konkurrierende Ölinteressen. In Aserbaidschan wurde eine US-freundliche Regierung installiert. Unter Präsident Heydarn Alijew, der sich durch die Vergabe einflussreicher Positionen an die Mitglieder seines Klans an der Macht hält, ebnete sie BP-Amoco alle Wege. In Aserbaidschan soll eine Investition von bescheidenen acht Milliarden Dollar westlichen Ölgesell-schaften Profite in Höhe von 40 Mrd. einbringen.68 BP-Amoco war besonders eifrig darum bemüht, die Konkurrenzgebote der russischen Ölgesellschaft Lukoil auszustechen. Dem von diesem Konzern beherrschten britisch-ameri-kanischen Konsortium gehören auch Unocal, McDermott und Pennzoil sowie die türkische TPAO an. Unocal war, wie bereits angeführt, der wichtigste Bieter um das Pipeline-Projekt durch Afghanistan zum Arabischen Meer.

Das BP-Amoco-Konsortium besitzt 60 Prozent der Anteile an der Azer-baijan International Operating Company (AIOC). 1997 unterzeichnete der damalige US-Vizepräsident Al Gore einen weiteren milliardenschweren Öl-vertrag, der Chevron die Kontrolle über riesige Ölreserven sicherte. Chevron ist über das Joint Venture Tengizchevroil auch in der nordkaspischen Region Kasachstans engagiert.

Die britisch-amerikanischen Ölkonzerne, die von der Militärmacht der USA unterstützt werden, konkurrieren mit dem französisch-belgischen Öl-multi Total-Fina-Elf, der seinerseits mit der italienischen ENI verbunden ist, einem großen Spieler auf den reichen nordostkaspischen Kashagan-Ölfeldern Kasachstans. Es geht um viel: Kasachstan allein soll über Ölvor-kommen verfügen, die »so groß sind, dass sie selbst die Nordseeölreserven übertreffen«.69

Dem konkurrierenden europäischen Konsortium jedoch fehlt ein bedeut-samer Anteil an den wichtigsten Pipelinerouten aus der kaspischen Region über das Schwarze Meer und den Balkan nach Westeuropa. Der entschei-dende Korridor ist weitgehend in den Händen der britisch-amerikanischen Rivalen.

Total-Fina-Elf hat in Partnerschaft mit ENI große Investitionen im Iran getätigt und zusammen mit der russischen Gazprom und der malaysischen Petronas ein Joint Venture mit der National Iranian Oil Company gegründet. Washington versuchte mehrfach diesen französischen Handel mit Teheran zu verhindern, da er einen offenen Bruch der Sanktionen gegen Iran und Libyen darstellt. Das alles legt nahe, daß sich Europas große Ölkonzerne mit ihren eher kooperativen Strategien potentiell auf Konfliktkurs mit den bri-tisch-amerikanischen Konzernen befinden, die es offenkundig darauf anle-gen, die russischen Gesellschaften wie Lukoil und Rosneft schließlich zu übernehmen, Russland vom Kaspischen Becken abzuschneiden und sich bei alldem die kontinentaleuropäischen Konkurrenten vom Hals zu halten.

Deshalb richtet sich die Militarisierung des eurasischen Korridors als in-tegraler Bestandteil der US-Außenpolitik nicht nur direkt gegen Russland,

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sondern auch gegen die konkurrierenden europäischen Ölinteressen jenseits des Kaukasus und in Zentralasien.

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26. Amerikas Kriegsmaschine Der Jugoslawienkrieg von 1999, der mit dem GUUAM-Abkommen und der NATO-Erweiterung zusammenfiel, markierte einen wichtigen Wendepunkt in den Ost-West-Beziehungen.

Für Alexander Arbatow, den stellvertretenden Vorsitzenden des Verteidi-gungsausschusses der russischen Staatsduma, waren die amerikanisch-russischen Beziehungen durch die NATO-Bombardierungen Jugoslawiens »auf dem schlechtesten, ernstesten und bedrohlichsten Stand seit der Ber-liner Blockade und der Kuba-Krise… START II ist tot, die Zusammenarbeit mit der NATO auf Eis gelegt, die Zusammenarbeit in der Raketenabwehr geplatzt und die Bereitschaft Moskaus im Hinblick auf die Nichtweiter-verbreitung von Atomwaffen auf dem Tiefpunkt. Überdies ist die anti-ameri-kanische Stimmung in Russland handfest, tief greifend und verbreiteter denn je. Der Spruch, mit dem das Vorgehen der NATO charakterisiert wird, >heute Serbien, morgen Russland<, ist im Bewusstsein der russischen Menschen tief verwurzelt.«70

Trotz der versöhnlichen Erklärungen von Präsident Boris Jelzin auf dem G8-Gipfel in Köln 1999 gab das russische Militär offen seinem Misstrauen gegenüber den USA Ausdruck: »Die Bombardierung Jugoslawiens könnte sich in naher Zukunft als Probe für ähnliche Schläge gegen Russland erwei-sen.«71

Mary-Wynne Ashford, Kopräsidentin der Organisation Internationale Ärz-te zur Verhinderung des Atomkriegs (IPPNW), warnte, dass die Russen be-strebt seien, sich in Europa zu integrieren, nun aber ihre Hauptbedrohung im Westen sähen. Außenpolitische Vertreter Moskaus hätten ihrer Organisa-tion erklärt, dass Russland keine andere Wahl habe, als sich zur Verteidi-gung auf seine Atomwaffen zu verlassen, weil seine konventionellen Vertei-digungskräfte zu schwach seien. Die Veränderungen in Russlands Haltung gegenüber dem Westen, seine Rückbesinnung auf die nukleare Abschrek-kung sowie der Vertrauensverlust in das Völkerrecht, so Ashford, »machen uns für eine Katastrophe anfällig ... Diese Krise lässt es dringlicher denn je erscheinen, Atomwaffen aus der Alarmbereitschaft zu nehmen. Wer sagt, die russischen Drohungen seien reine Rhetorik, dem halte ich entgegen, dass alle Kriege rhetorisch beginnen.«72 Aufrüstung nach 1999. Seit 1999 hat Washington sein Waffenarsenal erheblich aufgestockt. Im Streben nach unangefochtener Hegemonie wur-den die Verteidigungsausgaben auf über 300 Mrd. Dollar erhöht, eine Summe, die dem gesamten Bruttoinlandsprodukt der Russischen Föderation von annähernd 325 Mrd. Dollar entspricht. Und dieser gewaltige Betrag für die amerikanische Kriegsmaschine schließt noch nicht einmal das riesige

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Budget der CIA ein, die sowohl aus offiziellen als auch aus geheimen Quel-len finanziert wird, um ihre verdeckten Operationen durchführen zu können. Das offizielle Budget der CIA übersteigt 30 Mrd. Dollar, zehn Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts. Nicht eingerechnet sind die milliarden-schweren Erlöse aus dem Drogenhandel, die CIA-Tarnorganisationen zuflie-ßen.

Aus dem Gesamtverteidigungsbudget flossen Milliarden von Dollar in die Aufstockung des amerikanischen Atomarsenals. Eine neue Generation von Raketen mit Mehrfachsprengköpfen wurde entwickelt, die in der Lage sind, mit einem einzigen Raketenabschuss Atomsprengköpfe auf zehn verschie-dene Städte zu lenken. Diese Raketen zielen heute auf Russland. Die USA halten weiterhin an ihrer Erstschlagsstrategie fest, die den Verlautbarungen nach so genannte Schurkenstaaten abschrecken soll, sich tatsächlich aber direkt gegen Russland und China richtet.

Außerdem wurde eine neue Generation von taktischen Nuklearwaffen entwickelt, die in konventionellen Kriegen einsetzbar sind. Bereits unter der Clinton-Regierung rief das Pentagon nach dem Einsatz von atomaren Bun-kerbomben, die, da sie unterirdische Ziele vernichten sollen, angeblich kei-ne radioaktive Gefährdung für die Zivilbevölkerung darstellen: »Vertreter des Militärs und Leiter der US-Nuklearwaffenlabors drängen die USA, eine neue Generation kleiner Atomwaffen zu entwickeln…, die in konventionellen Konflikten mit Staaten der Dritten Welt eingesetzt werden könnten.«73

Die während der Präsidentschaft Clintons begonnene militärische Aufrü-stung hat neuen Schwung bekommen. Die Terrorangriffe vom 11. Septem-ber verleihen der Ausweitung der Kriegswirtschaft eine neue Legitimität und der amerikanischen Rüstungsindustrie einen kräftigen Wachstumsschub.

Die Bush-Regierung lenkt Milliarden von Dollar in die Entwicklung neuer Waffensysteme, darunter die des F-22-Raptor-Kampfjets und des Joint-Fighter-Programms. Zur Strategischen Verteidigungsinitiative gehören nicht nur der umstrittene Raketenabwehrschirm, sondern auch offensive, laserge-lenkte Langstreckenwaffen, die jeden Punkt auf der Welt erreichen können – ganz zu schweigen von einer möglichen Kriegführung durch Ionosphären-heizer, deren Erforschung sich das High Altitude Aural Research Program widmet. Durch Klimamanipulationen ließen sich damit – zu minimalen Ko-sten und ohne den geringsten Einsatz von Soldaten und Ausrüstung – ganze Volkswirtschaften destabilisieren, ohne dass der Feind überhaupt davon erfährt.74 Die Einkreisung Chinas. Nach dem Jugoslawienkrieg von 1999 verstärkte die Clinton-Regierung ihre militärische Unterstützung für Taiwan, was zu einer beträchtlichen Aufrüstung in der Formosastraße führte. Taiwans Luft-waffe war zuvor bereits mit einigen F-16-Kampfjets von Lockheed aus-gerüstet worden. Clinton und seine Sprecher argumentierten, dass Taiwan militärische Hilfe brauche, um im Rahmen der Washingtoner Politik des »Friedens durch Abschreckung« die »militärische Balance mit der Volksre-publik China« aufrechtzuerhalten.75

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Die USA lieferten an Taiwan Zerstörer mit modernsten Boden-Luft-Raketen, Torpedos und Tomahawk-Cruise-Missiles, um die Aktionsfähigkeit der taiwanesischen Marine in der Formosastraße zu verbessern. Im Jahr 2000 reagierte Peking auf diese militärische Aufrüstung mit dem Kauf sei-nes ersten russischen Zerstörers, der mit SS-N-22-Torpedos bestückt ist, die in der Lage sind, die modernste Verteidigung von US-amerikanischen oder japanischen Flottenverbänden zu durchbrechen.

Taiwan seinerseits forscht mit amerikanischer Unterstützung daran, »taktische ballistische Raketen zu entwickeln, die Ziele auf dem chinesi-schen Festland treffen können… Es wird vermutet, dass der Zweck dieser Raketen darin besteht, die Schlagkraft der chinesischen Armee zu schwä-chen«, darunter die Raketenstellungen und andere militärische Infrastruktur wie Flughäfen und Häfen.76 Diese Aufrüstung der taiwanesischen Marine im Südchinesischen Meer ist wohl abgestimmt mit der militärischen Präsenz des US-Militärs in Pakistan, Afghanistan und in mehreren ehemaligen So-wjetrepubliken an der Westgrenze Chinas.

China ist umzingelt: Das US-Militär ist im Südchinesischen Meer und in der Formosastraße präsent, auf der koreanischen Halbinsel, im Japanischen Meer ebenso wie in Zentralasien an der Westgrenze der Uigurischen Auto-nomen Region Sinkiang. In Usbekistan, das Mitglied des GUUAM-Abkom-mens mit der NATO ist, hat das US-Militär angeblich »vorübergehend« Stützpunkte eingerichtet, Tadschikistan und Kirgistan stellen der US-Luftwaffe Militärflughäfen zur Verfügung.

Washington, London, Paris und Berlin. Der Jugoslawienkrieg hat Wa-shington und London einander so nahe gebracht wie nie zuvor. Im Januar 2000 unterzeichneten US-Verteidigungsminister William Cohen und sein britischer Kollege Geoffrey Hoon eine Erklärung über Rüstungsgüter und industrielle Zusammenarbeit, um »die Kooperation bei der Waffenbe-schaffung und beim Schutz geheimer Technologien zu verbessern« sowie gleichzeitig »den Weg für mehr gemeinsame Rüstungs-Joint-Ventures und mögliche Fusionen in der Industrie zu erleichtern«.77

Washington beabsichtigte damit die Bildung einer »transatlantischen Brücke, mit der das US-Verteidigungsministerium seine Globalisierungspoli-tik nach Europa tragen kann… Unser Ziel ist es, die Kooperationsfähigkeit und Effektivität der Kriegführung durch engere Verbindungen zwischen Rü-stungsunternehmen der USA und der Verbündeten zu verbessern«.78

Das versteckte Ziel der transatlantischen Zusammenarbeit von Briten und Amerikanern besteht darin, die französisch-deutschen Rüstungskonzer-ne zurückzudrängen und die Dominanz des militärisch-industriellen Komple-xes der USA im Bündnis mit britischen Rüstungsfirmen sicherzustellen. Das Abkommen wurde unterzeichnet, kurz nachdem British Aerospace (BAe) und GEC Marconi zu British Aerospace Systems (BAeS) fusionierten. Zu die-sem Zeitpunkt war BAe bereits eng mit den größten amerikanischen Rü-stungskonzernen Lockheed Martin und Boeing liiert.79

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Während der militärisch-industriellen Komplex Großbritanniens zuneh-mend mit dem US-amerikanischen zusammengeht, zeigen sich Risse zwi-schen Washington und Berlin. Seit den frühen 90er Jahren fördert die deut-sche Regierung die Konsolidierung sowohl der von Daimler, Siemens und Krupp dominierten einheimischen als auch der (kontinental)europäischen Rüstungsindustrie. Bereits 1996 gründeten Paris und Bonn eine gemeinsa-me Rüstungsagentur wobei sie sich ausdrücklich gegen die Teilnahme Großbritanniens aussprachen. Frankreich und Deutschland kontrollieren nun den mit Lockheed Martin konkurrierenden Airbus-Konzern, an dem BAeS mit immerhin 20 Prozent beteiligt ist. Sie arbeiten auch beim Satellitenpro-gramm Ariane zusammen, an dem die DASA den Hauptanteil hat.

Ende 1999 fusionierte in Reaktion auf die Allianz von BAeS und Lockheed Martin die französische Aerospace-Matra mit Daimlers DASA zum größten europäischen Rüstungskonzern. Im Sommer 2000 wurde die European Ae-ronautic Defence and Space Co. (EADS) gegründet, in der sich DASA, Matra und die spanische CASA zusammenschlossen. EADS und ihre britisch-amerikanischen Rivalen konkurrieren um die Waffenlieferungen an die neu-en osteuropäischen NATO-Mitglieder.

Obwohl EADS bei der Raketenproduktion mit BAeS kooperiert und Ge-schäftsbeziehungen zu den großen fünf US-Rüstungskonzernen unterhält, zeichnet sich eine Spaltung der westlichen Rüstungs- und Raumfahrtindu-strie in zwei unterschiedliche Gruppen ab: die von Frankreich und Deutsch-land dominierte EADS einerseits und die sechs führenden amerikanischen Rüstungskonzerne Lockheed, Raytheon, General Dynamics, Boeing, Nor-throp Grumman sowie die mächtige BAeS andererseits.

Die französisch-deutsche Allianz in der Militärproduktion des EADS-Konzerns öffnet der Eingliederung Deutschlands, das offiziell keine Nu-klearwaffen hat, in das französische Atomrüstungsprogramm Tür und Tor. Schon jetzt produziert EADS eine große Bandbreite ballistischer Raketen, darunter die M 51, eine ballistische Rakete mit Nuklearsprengköpfen zur Bestückung von Unterseebooten der französischen Marine.80

Euro gegen Dollar. Die neue europäische Gemeinschaftswährung akzentu-iert die strategischen und politischen Gegensätze zwischen Euroland einer-seits sowie Großbritannien und den USA andererseits. Londons vorläufige Entscheidung gegen den Euro befindet sich in Übereinstimmung mit der Integration britischer Finanz- und Bankeninteressen in jene der Wall Street. Die wackelige Annäherung von britischem Pfund und US-Dollar ist, mit an-deren Worten, integraler Bestandteil der neuen britisch-amerikanischen Achse, die bereits in der Öl- und in der Rüstungsindustrie erhärtet worden ist.

Es geht um die Rivalität zwischen zwei konkurrierenden globalen Wäh-rungen, Euro und US-Dollar, wobei das britische Pfund zwischen der konti-nentaleuropäischen und der amerikanischen Währungen hin- und hergeris-sen wird. Die beiden Finanz- und Geldsysteme konkurrieren weltweit um die

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Kontrolle über Geldschöpfung und Kreditvergabe. Dieser Zwist hat durchaus weit reichende geopolitische und strategische Konsequenzen.

Sowohl in Europa als auch in den USA wird die Geldpolitik, obwohl formal unter staatlicher Aufsicht, weitgehend vom privaten Bankensektor kontrol-liert. Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt wird, obwohl sie offiziell unter Aufsicht der EU steht, von einer Hand voll europäischer Banken, darunter den größten deutschen Banken und Wirtschaftskonzernen kontrolliert. Die US-Notenbank ist zwar formell dem Staat unterstellt, aber anders als die EZB werden die zwölf bundesstaatlichen Zentralbanken der USA, von denen die wichtigste die New Yorker Zentralbank ist, von ihren Anteilseignern kontrolliert: von privaten Bankhäusern. Das Finanzesta-blishment der Wall Street bestimmt folglich weitgehend die Geldschöpfung durch die Kontrolle des US-Zentralbankensystems.

In Osteuropa, der ehemaligen Sowjetunion, auf dem Balkan und bis hin-ein nach Zentralasien konkurrieren Dollar und Euro miteinander um die Kontrolle über nationale Währungssysteme und damit über die betreffenden Länder selber. Während der US-Dollar in der ganzen westlichen Hemisphäre dominiert, kämpfen Euro und Dollar in der ehemaligen Sowjetunion, in Zen-tralasien, den Subsaharastaaten und dem Nahen Osten um die Vorherr-schaft.

Auf dem Balkan und in den baltischen Staaten fungieren die lokalen Zentralbanken weitgehend im Kolonialstil nur noch als bloße Währungsräte und benutzen alle den Euro als Stützwährung. Somit kontrollieren Deutsch-land und europäische Finanzinteressen die Geldschöpfung und das Kredit-wesen dieser Länder. Die Anbindung nationaler Währungen an den Euro – statt an den US-Dollar – heißt also, dass sowohl die Landeswährungen als auch die jeweiligen Geldsysteme in den Händen deutscher und europäischer Bankeninteressen sind.

Der Euro dominiert bereits das deutsche »Hinterland«: Osteuropa, die baltischen Staaten und den Balkan, während der US-Dollar im Kaukasus und Zentralasien die Oberhand hat. Und mit Ausnahme der Ukraine ist auch in den Ländern des GUUAM-Abkommens der Dollar zumeist stärker als der Euro.

Die »Dollarisierung« der nationalen Währungen ist fester Bestandteil der Seidenstraßenstrategie der USA. Wenn es gelänge, in diesem riesigen Ge-biet zwischen Mittelmeer und chinesischer Westgrenze den Dollar durchzu-setzen, wäre die Vorherrschaft des amerikanischen Notenbankensystems – sprich: der Wall Street – hier perfekt. Diese wirtschaftsimperialistischen Bestrebungen werden von der Militarisierung des eurasischen Korridors un-terstützt.

Obwohl amerikanische und deutsch-europäische Bankeninteressen um die Kontrolle von Volkswirtschaften und Währungssystemen streiten, haben sie sich zugleich darauf geeinigt, die »Beute« zu teilen, d.h. jeweilige Ein-flusssphären abzustecken. Auf dem Balkan hat Deutschland die Kontrolle über die nationalen Währungen in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo ge-

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wonnen, während die USA mit ihrem Stützpunkt im Kosovo eine dauerhafte militärische Präsenz in der Region etabliert haben. Bündnisübergreifende Kooperationen. Die Gegensätze zwischen bri-tisch-amerikanischen und französisch-deutschen Rüstungsproduzenten – und innerhalb der westlichen Militärallianz – wirken sich offenbar zuneh-mend zugunsten einer militärischen Kooperation zwischen Russland einer-seits sowie Frankreich und Deutschland andererseits aus. So verständigten sich z.B. Ende 1998 Paris und Moskau auf gemeinsame Infanterieübungen und bilaterale Militärkonsultationen. Moskau seinerseits sucht deutsche und französische Partner, um seinen militärisch-industriellen Komplex weiter-zuentwickeln.

Anfang 2000 flog der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu Beratungen mit seinem russischen Kollegen nach Moskau. Dabei wurde ein bilaterales Abkommen über 33 militärische Kooperationsprojekte unter-zeichnet, darunter die Ausbildung von Militärspezialisten in Deutschland.81 Diese Übereinkunft wurde außerhalb des NATO-Rahmens und ohne vorheri-ge Konsultationen mit Washington getroffen.

Auch Indien unterzeichnete mit Russland Ende 1998 eine langfristige militärische Kooperationsvereinbarung, der dann einige Monate später ein weiteres Abkommen zwischen Indien und Frankreich folgte. Letzteres ent-hält Klauseln über den Transfer von französischer Militärtechnologie und Investitionen französischer Konzerne in die indische Rüstungsindustrie, un-ter anderem in den Bereichen ballistischer Raketen und Nuklearsprengköp-fe, in denen französische Unternehmen über Know-how verfügen. Diese französisch-indische Zusammenarbeit hat unmittelbare Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan und die strategischen Inter-essen der USA in Zentral- und Südostasien. Während die USA Pakistan Mili-tärhilfe gewähren, wird Indien von Frankreich und Russland unterstützt.

Frankreich und die USA stehen im indisch-pakistanischen Konflikt er-kennbar auf entgegengesetzten Seiten. Während Pakistan und Indien nach dem 11. September an der Schwelle zu einem Krieg stehen, hat die US-Luftwaffe praktisch die Kontrolle des pakistanischen Luftraums und mehre-rer militärischer Einrichtungen des Landes übernommen. Während der hef-tigsten Luftangriffe in Afghanistan unternahmen Frankreich und Indien im November 2001 gemeinsame Militärübungen im Arabischen Meer. Ebenfalls nach dem 11. September erhielt Indien umfangreiche Waffenlieferungen aus Russland im Rahmen der vereinbarten indisch-russischen Mi-litärkooperation.

Moskaus neue Sicherheitsdoktrin und der Wunsch nach Gemein-samkeit. Nach dem Kalten Krieg avancierten für die US-Außenpolitik Zen-tralasien und der Kaukasus zu einer strategisch relevanten Region. Doch besteht das Ziel nun nicht länger in der Eindämmung des Kommunismus, sondern darin, Russland und China daran zu hindern, konkurrierende kapi-talistische Mächte zu werden.

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Der Jugoslawienkrieg und der kurz danach ausbrechende Krieg in Tsche-tschenien im September 1999 waren ein entscheidender Wendepunkt in den russisch-amerikanischen Beziehungen. Er führte auch zur Annäherung zwi-schen Russland und China, die in einem bilateralen Militärabkommen ihren Ausdruck fand.

Die versteckte Hilfe der USA für die tschetschenischen Rebellengruppen waren der russischen Führung bekannt. In der Öffentlichkeit oder auf di-plomatischer Ebene wurde das Thema jedoch nie erwähnt. Auf dem Höhe-punkt der Terrorangriffe allerdings beschuldigte der russische Verteidi-gungsminister Igor Sergejew Washington offen, die tschetschenischen Re-bellen zu unterstützen. Nach einem Treffen hinter verschlossenen Türen mit dem russischen Oberkommando im November 1999 erklärte Sergejew, dass der Konflikt in Tschetschenien, der von »ausländischen Kräften provoziert« worden sei, den nationalen Interessen der USA diene, und fügte hinzu, dass »die Politik des Westens eine Herausforderung Russlands darstellt, mit dem Ziel, die internationale Position Russlands zu schwächen und es von geo-strategischen Regionen auszuschließen«.82

Nach dem Tschetschenienkrieg von 1999 formulierte der damalige Über-gangspräsident Wladimir Putin Anfang 2000 eine neue nationale Sicher-heitsdoktrin, die in einem entsprechenden Gesetz verankert wurde. Damit vollzog sich ein von den internationalen Medien kaum zur Kenntnis genom-mener Wechsel in den Ost-West-Beziehungen. Moskau unterstrich darin seine Absichten, den russischen Staat zu stärken, militärisch aufzurüsten und auch staatliche Kontrollen über ausländisches Kapital wieder einzufüh-ren. Das Dokument führt explizit die »fundamentalen Bedrohungen« für die eigene nationale Sicherheit und Souveränität an: die »Stärkung militärisch-politischer Blöcke und Allianzen«, womit vor allem das GUUAM-Abkommen gemeint war, »die Osterweiterung der NATO« sowie die mögliche Einrich-tung »ausländischer Militärstützpunkte und eine bedeutende militärische Präsenz in unmittelbarer Nähe der russischen Grenzen«.83

Die USA wurden zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber das Dokument bezieht sich immerhin auf »den Ausbruch und die Eskalation von Konflikten nahe den Grenzen der Russischen Föderation und den Außengrenzen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten«, stellt mit Nachdruck fest, dass »der internationale Terrorismus eine offene Kampagne zur Destabilisierung Russ-lands« führe, und behält sich angemessene Aktionen vor, »um geheim-dienstliche und subversive Aktivitäten ausländischer Staaten gegen die Rus-sische Föderation abzuwehren und zu unterbinden«. Kaum vorstellbar, dass die russische Führung dabei nicht die verdeckten Operationen der CIA im Sinne hatte.

Im Sinne seiner neuen Sicherheitsdoktrin setzt Moskau auch die wirt-schaftliche und finanzielle Kontrolle über Schlüsselbereiche seines militä-risch-industriellen Komplexes auf die Tagesordnung. So wurde z.B. die Bil-dung »eines einzigen Unternehmens für die Entwicklung und Produktion aller Flugzeugabwehrsysteme« in Zusammenarbeit mit den russischen Rü-stungsunternehmen ins Auge gefasst.84 Die vorgeschlagene Rezentralisie-

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rung der russischen Verteidigungsindustrie war auch eine Reaktion auf die Fusionen großer westlicher Rüstungsproduzenten. Auch die Entwicklung neuer Produktions- und Forschungskapazitäten wurde in Erwägung gezo-gen, um Russlands militärisches Potential zu stärken und seine Fähigkeit zu verbessern, mit westlichen Rivalen auf dem globalen Markt zu konkurrieren.

Das Dokument zur nationalen Sicherheit senkt zudem die Einsatzschwel-le für Atomwaffen für den Fall, dass die Existenz des Landes bedroht wäre: »Russland behält sich das Recht vor, alle ihm zu Verfügung stehenden Kräf-te und Mittel einschließlich der Atomwaffen einzusetzen, falls eine bewaff-nete Aggression eine Bedrohung für die Existenz der Russischen Föderation als unabhängiger souveräner Staat darstellen sollte.«85 Das schließt auch einen atomaren Erstschlag als Reaktion auf einen konventionellen Angriff nicht aus.

In Reaktion auf die »Star Wars«-Initiative Washingtons gab Moskau die Entwicklung eines eigenen »Abwehrschirms« gegen Raketen und Atomwaf-fen durch eine neue Generation interkontinentaler ballistischer Raketen, der so genannten Topol M (SS-27), bekannt. Diese mit einem einzigen Nuklear-sprengkopf ausgerüsteten neuen Raketen sind heute voll einsatzbereit. »Die Topol M ist leicht und mobil und insbesondere dafür geeignet, von einem Fahrzeug abgefeuert zu werden. Ihre Beweglichkeit schützt sie besser ge-gen einen Erstschlag als eine Rakete in einem Silo.«86

Seit seinem Amtsantritt als gewählter Präsident ist Wladimir Putin je-doch bemüht, die neue nationale Sicherheitsdoktrin zum Teil wieder rück-gängig zu machen und ihre Umsetzung auszusetzen. Gegenwärtig sind die außenpolitischen Leitlinien der Putin-Regierung verwirrend und unklar. Es gibt erhebliche Differenzen innerhalb der politischen Führung und des Mili-tärs. An der diplomatischen Front suchte der neue Präsident die Annähe-rung an Washington und das westliche Militärbündnis. Doch wäre es vorei-lig, daraus folgern zu wollen, dass Putins Diplomatie bereits eine Umkeh-rung der nationalen Sicherheitsdoktrin aus dem Jahr 2000 bedeutet.

Dennoch zeichnet sich nach dem 11. September, weitgehend auf Putins Betreiben, eine bedeutsame Wende in der russischen Außenpolitik ab. Der Kreml akzeptiert nun gegen den Willen der russischen Staatsduma die Osterweiterung der NATO in die baltischen Staaten, was die Einrichtung von NATO-Luftstützpunkten an der russischen Westgrenze mit sich bringen wird. Zugleich wurde die russische Militärkooperation mit Peking, die nach dem Jugoslawienkrieg von 1999 vereinbart wurde, praktisch auf Eis gelegt: »China beobachtet offenkundig mit großer Sorge, dass Russland diese Posi-tionen aufgibt. China ist auch über die Präsenz der US-Luftwaffe in der Nä-he seiner Grenzen zu Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan beunruhigt…

Alles, was Putin durch die spektakuläre Verbesserung der russischen Bezie-hungen zu China, Indien, Vietnam, Kuba und einigen anderen Ländern ge-wonnen hat, ist über Nacht zunichte geworden. Augenscheinlich gilt jetzt wieder ein primitives Konzept >gemeinsamer menschlicher Werte< à la Gorbatschow, d.h. die Unterordnung der russischen Interessen unter jene des Westens.«87

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Es ist bittere Ironie, dass der russische Präsident Amerikas Kampagne gegen den internationalen Terrorismus unterstützt, die sich letztlich gegen Moskau richtet, d.h. darauf abzielt, Russlands strategische und wirtschaftli-che Interessen am eurasischen Korridor zu hintertreiben und ehemalige So-wjetrepubliken in amerikanische Protektorate zu verwandeln: »Es wird deutlich, dass die von Putin letztes Jahr (2000) beiläufig geäußerte Absicht, der NATO beitreten zu wollen, eine lange gereifte Idee einer – im Verhältnis zu den Positionen von Gorbatschow und Jelzin – weit umfassenderen Inte-gration in die Weltgemeinschaft widerspiegelt. Tatsächlich ist die Absicht die, Russland in das wirtschaftliche, politische und militärische System des Westens zu zwängen – und sei es als Juniorpartner und um den Preis, eine unabhängige Außenpolitik zu opfern.«88

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Nachwort Nach dem 11. September steht die Welt an einer wichtigen historischen Wegscheide. Die Kampagne gegen den internationalen Terrorismus stellt einen Eroberungskrieg mit vernichtenden Konsequenzen für die Zukunft der Menschheit dar. Dieser von den USA und Großbritannien geführte Kreuzzug verstoßt gegen das Völkerrecht und stellt eine »flagrante Verletzung des Wortlauts der Charta der Vereinten Nationen dar. Tatsächlich ist er nicht nur illegal, sondern kriminell. Er erfüllt den Tatbestand dessen, was bei den Nürnberger Prozessen als schwerstes Verbrechen galt: Verschwörung gegen den Weltfrieden.«1 Dies bedeutet, dass die Bush-Regierung die internationalen Abkommen gegen Kriegsverbrechen einschließlich der Genfer Konvention in eklatanter Weise bricht – und alle Staats- und Regierungschefs der westlichen Militär-allianz stimmen zu. Dieselben politischen Führer, die für die Toten unter der afghanischen Zivilbevölkerung verantwortlich sind, waren zudem im Rah-men neuer Antiterrorgesetze in ihren jeweiligen Ländern umstandslos dazu bereit, »Terrorismus« und »Kriegsverbrechen« neu zu definieren. Die tatsächlichen Protagonisten des Staatsterrorismus – unsere gewähl-ten Politiker – können nun durch »legal« gebildete Tribunale willkürlich ent-scheiden, wer als Kriegsverbrecher und Terrorist betrachtet wird. Es ist bit-tere Ironie, dass die eigentlichen Kriegsverbrecher die Macht ihrer Staats-ämter mißbrauchen, um zu entscheiden, wer verfolgt werden darf Durch den Abbau des Rechtsstaats und die Einrichtung von Willkürgerichten ent-ziehen sie sich zudem der Verfolgung als Kriegsverbrecher. So bewegen wir uns auf ein System totalitärer Staaten zu, in dem unter dem Deckmantel der Demokratie Kriegsverbrecher ganz legal politische Macht ausüben. Der Ausbruch dieses Krieges fällt mit einer weltweiten Wirtschaftskrise zusammen, die zur Verarmung von Millionen von Menschen führt. Während die zivile Wirtschaft einbricht, fließen umfangreiche finanzielle Ressourcen in Amerikas Kriegswirtschaft. Die USA entwickeln mithilfe ihres militärisch-industriellen Komplexes modernste Waffensysteme, um auf der ganzen Welt ihre militärische und wirtschaftliche Dominanz durchzusetzen, nicht nur ge-genüber China und Russland, sondern auch gegenüber der EU, die in vieler Hinsicht der globalen Hegemonie der USA im Wege steht.

Hinter der US-Kampagne gegen den internationalen Terrorismus steht die Militarisierung großer Weltregionen, die zu dem führt, was man am be-sten als »Amerikanisches Imperium« beschreiben kann. Das verschwiegene Ziel dieses Krieges ist die Rekolonialisierung nicht nur Chinas und der Län-der des ehemaligen Ostblocks, sondern auch des Iran, des Irak und des indischen Subkontinents – eine Rekolonialisierung, bei der es darum geht,

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zugunsten eines grenzenlos globalisierten Marktsystems souveräne Staaten in offene Territorien zu verwandeln. Und zur Erzwingung mörderischer Marktreformen sind dann eben auch militärische Mittel nicht ausgeschlos-sen. Krieg und Globalisierung gehen Hand in Hand.

Dieser Krieg, dessen Ziele 1999 in der Seidenstraßenstrategie definiert wurden, zerstört eine ganze Weltregion, einst Wiege alter Zivilisationen, die Westeuropa mit dem Fernen Osten verbanden. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den »Terrorismus« oder gegen »das Böse« machen sich die USA faktisch die islamistische Opposition in der ehemaligen Sowjetunion, im Nahen Osten, in China und Indien zunutze, um diese Länder zu destabilisie-ren. So zerstören Krieg und der so genannte freie Markt die Zivilisation und stürzen Gesellschaften überall auf der Welt in bitterste Armut.

Obwohl innerhalb des westlichen Militärbündnisses tiefe Gegensätze auf-gebrochen sind, unterstützten alle NATO-Partner die von den USA und Großbritannien geführten Operationen. Innerhalb dieser riesigen Region, die sich von Osteuropa und dem Balkan bis an die Westgrenze Chinas erstreckt, scheinen sich vor allem Deutschland und Amerika auf ihre jeweiligen Ein-flusssphären geeinigt zu haben. Diese Aufteilung muss historisch verstan-den werden. Sie ähnelt in vieler Hinsicht der Einigung zwischen den euro-päischen Mächten auf dem Berliner Kongress 1878 über die territoriale Auf-teilung der Kolonien. In ähnlicher Weise war auch die Kolonialpolitik im Hin-blick auf China vor dem Ersten Weltkrieg unter den imperialistischen Mäch-ten sorgfältig koordiniert und abgestimmt.

China steht gerade heute wieder auf der Tagesordnung, weil sich nun endlich die Chance aufgetan hat, das nationale Finanzsystem und die Geld-politik auch dieses bislang eher abgeschotteten Landes zu dominieren. Mit der Aufnahme Chinas in die WTO 2001 ist das dortige Bankensystem für westliche Banken und Finanzinstitute »geöffnet« worden. Über kurz oder lang wird das staatliche Bankensystem, das jetzt noch Tausenden von Indu-strieunternehmen und landwirtschaftlichen Erzeugern Kredite sichert, besei-tigt werden. Ironischerweise hat das staatliche Kreditwesen bislang Chinas Rolle als größte Industriekolonie des Westens, als Produzent von Billiglohn-waren für den europäischen und amerikanischen Markt, noch gefördert.

Die Deregulierung des staatlichen Kreditwesens wird zu einer tödlichen Welle von Bankrotten führen, die mit größter Wahrscheinlichkeit die chine-sische Wirtschaft verwüsten werden. Die Umstrukturierung der chinesischen Finanzinstitute könnte in wenigen Jahren zur Destabilisierung der Lan-deswährung führen und den Weg für eine umfassendere wirtschaftliche und politische Kolonialisierung durch westliches Kapital ebnen. Zusammen mit der Liberalisierung des Handels und der Deregulierung der Landwirtschaft und Industrie nach den Bestimmungen der WTO sind in China damit mas-sive Arbeitslosigkeit und soziale Unruhen vorprogrammiert. Die von den USA unterstützten verdeckten Operationen in Tibet und der Uigurischen Autonomen Region Sinkiang zugunsten separatistischer Gruppierungen tra-gen dazu bei, politische Instabilität zu fördern, was wiederum dem Prozess der Dollarisierung nützt.

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Das ist der vorerst letzte Akt eines Dramas, das unter dem Titel »Globa-lisierung« läuft, um nach Möglichkeit zu verdecken, dass es sich dabei um die Selbstinszenierung des »Amerikanischen Imperiums« handelt. In einem Jahr vielleicht – oder auch nur in einem halben – muss gewiss eine neue (und abermals vorläufige) Schlussszene hinzugefügt werden. Sie deutet sich jetzt schon an in der Rhetorik von der »Achse des Bösen«.

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Anmerkungen Vorwort zur deutschen Ausgabe 1 PBS News Hour, http://www.pbs.org/newshour/bb/military/terroristattack/government.html 2 New York Times, 12. September 2001 3 Time Magazine, 15. November 1999 4 Alexander Yanov, »Dangerous Lady. Political Sketch of the Chief Foreign Policy Adviser to

George Bush«, in: Moscow News, 12. Juli 2000, nachzulesen auf der Website des Centre for Research on Globalisation unter: http://www.globalresearch.ca/articles/AN109A.html

5 Peter Roff, James Chapin, »Face-off. Bush’s Foreign Policy Warriors«, United Press Interna-tional, 18.Juli 2001, nachzulesen unter der Website des Centre for Research on Globalisa-tion unter: http://www.globalresearch.ca/articles/ROF111A.html

6 Vgl. Alfred McCoy, »Drug Fallout. The CIA´s Forty Year Complicity in the Narcotics Trade«, in: The Progressive, 1. August 1997

7 Michael Ratnes »Moving Toward a Police State (Or Have We Arrived?). Secret Military Tri-bunals, Mass Arrests and Disappearances, Wiretapping and Torture«, Centre for Research on Globalization, unter: http://www.globalresearch.ca/articles/RAT111A.html

8 Ebd. 9 Ebd. 10 Zit. in Michel Chossudovsky, »Tactical Nuclear Weapons Against Afghanistan?«, Centre for

Research on Globalisation unter: http://www.globalresearch.ca/articles/CHO112C.html Einleitung 1 Vgl. „The Wind in the Balkans“, in: The Economist, 8. Februar 1997, S.12 2 Vgl. Jonathan C. Randal, „Reform Coalition Wins Bulgarian Parliament“, in: The Washington

Post, 20. April 1997, S. A 21 3 Koreanischer Gewerkschaftsverband, „Unbridled Freedom to Sack Workers Is No Solution at

All“, Kommunique, Seoul, 13. Januar 1998 4 Vgl. Eric Ekholm, „On the Road tu Capitalism. China Hits a Nasty Curve: Joblessness“, in:

New York Times, 20. Januar 1998 5 Vgl. Weltbank, 1990 World Development Report, Washington 1990 6 Earl Silber, Steven Ashby, »UAW and the >Cat< Defeat« in: Against the Current,

Juli/August 1992 7 Mike Davis’ »Realities of the Rebellion«, in: Against the Current, Juli/August 1991, S. 17 8 vgl. International Labor Organization, Second World Employment Report, Genf 1996 9 vgl. die jährliche Liste der reichsten Menschen der Welt in Forbes Magazine unter:

http://www.forbes.com/tool/toolbox/billnew/ 10 Charles Laurence, »Wall Street Warriors Force Their Way Into the Billionaires Club«, Daily

Telegraph, 30. September 1997 11 vgl. »Increased Demand Transforms Markets«, in: Financial Times, 21. Juni 1995, S. II 12 vgl. Financial Times, 7. Juni 1996, S. III 13 vgl. Peter Bosshard, »Cracking the Swiss Banks«, in: The Multinational Monitor, November

1992 14 vgl. Proceedings on the United Nations Conference on Crime Prevention, Kairo, Mai 1995;

außerdem Jean Hervé Deiller, »Gains annuels de 1000 milliards pour l’Internationale du crime«, La Presse, Montreal, 30. April 1996

15 Daniel Brandt, »Organized Crime Threatens the New World Order«, Namebase Newsline, Ohio, Nr. 8, Januar/März 1995

16 Nachrichtenmeldung von Reuters, 25. Januar 1995 17 Zitat in Michel Chossudovsky, Towards Capitalist Restoration. Chinese Socialism After Mao,

London 1986, S. 134

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Teil 1: Globale Armut und makroökonomische Reform 1 So die Ergebnisse einer Untersuchung des Centre on Hunger, Poverty and Nutrition Policy

der Tufts University 2 The Financial Times, 3. März 1989 3 Nach Befragungen des Autors in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt im Januar 1991. 4 Für den Wortlaut vgl. »The Final Act. Establishing the World Trade Organization« auf der

Website der Welthandelsorganisation, http://www.wto.org/ 5 »Let Good Times Roll«, in: Financial Times, Leitartikel zur Wirtschaftsprognose der OECD,

31. Dezember 1994 6 vgl. Weltbank, World Development Report 1990, Poverty, Washington, DC. 1990 7 In ungefährer Entsprechung mit der Schätzperiode des Weltbankreports von 1990 schätzte

das Bureau of the Census 1986 den Anteil der Armen in den USA auf 18,2 Prozent; vgl. Bruce E. Kaufman, The Economics of Labor and Labor Markets, 2. Auflage, Orlando 1989, S. 649

8 vgl. Weltbank, World Development Report 1990. Poverty, Washington, D.C. 1990 9 vgl. ebd. Tabelle 9.2, Kapitel 9 10 United Nations Development Programme, Human Development Report

1997, New York 1997, S. 2 11 Ebd. S. 5 12 Vgl. US Bureau of the Census, Current Population Reports, Series P60-198, Poverty in the

United States 1996, Washington 1997 13 Ebd. S. 7 14 Nach der offiziellen Definition von Statistics Canada, Ottawa 1995. Vgl. die Rangfolge der

Staaten nach dem Entwicklungsindex des UNDP, in: Human Development Report 1997, S. 161, Tabelle 6

15 Vgl. Weltbank, World Debt Tables, mehrere Ausgaben, Washington D.C. 16 Die Auszahlung der Kredite erfolgt normalerweise in mehreren Tranchen. Die Freigabe jeder

Tranche hängt von der Umsetzung genau festgelegter Wirtschaftsreformen ab. 17 Diese Kredite stellen so genannte »Zahlungsbilanzhilfe« dar. 18 Weltbank, Adjustment in Africa, Washington 1994, S. 9 19 Carlo Cottarelli, Limiting Central Bank Credit to the Government, IWF, Washington, D.C.

1993, S. 3 20 Mohsin Khan, »The Macroeconomic Effects of Fund Supported Adjustment Programs«, IMF

Staff Papers, Bd. 37, Nr. 2, 1990, S. 196, S. 222 21 Weltbank, Adjustment in Africa, Washington 1994, 5. 17 22 So z.B. schon vor 15 Jahren Giovanni Cornia et al. in ihrer großen UNICEF-Untersuchung

mit dem Titel Structural Adjustment with a Human Face, New York 1987 23 Vgl. Madrid Declaration of Alternative Forum. The Other Voices of the Planet, Madrid, Okto-

ber 1994 24 Weltbank, Toward Gender Equality. The Role of Public Policy, United Nations Forth Confer-

ence on Women, Peking 1995; vgl. auch Weltbank, Advanced Gender Equality. From Con-cept to Action, Peking 1995

25 Weltbank, The Gender Issue as Key to Development, Washington, Document HCO, 95/01; 1995, S. 1

26 Vgl. Weltbank, Letting Girls Learn, World Bank Discussion Paper Series, Washington 1995 27 Vgl. »In zwei Jahren über den Berg«, in: Der Spiegel, Nr. 19, 1991, S. 194 28 Der Fob-(free on board-)Preis ist der aufschlagfreie Ausfuhrpreis. (A.d.Ü.) Teil II: Afrika 1 Vgl. International Labor Organization, Generating Employment and Incomes in Somalia,

lobs and Skills Program for Africa, Addis Abeba 1989, S. 5 2 Ebd. S. 16 3 Vgl. Hossein Farzin, »Food Aid: Positive and Negative Effects in Somaha?«, in: The Journal

of Developing Areas, Januar 1991, S. 265

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4 Der ILO zufolge hatte die staatliche Agrarentwicklungsgesellschaft Somalias historisch eine bedeutende Rolle bei der Sicherung hoher Erzeugerpreise gespielt: »Die Entwicklungsge-sellschaft ermutigte eine zu hohe, keine zu niedrige Produktion von Mais und Sorghum.« International Labor Organization, Generating Employment and Incomes in Somalia, Jobs and Skills Program for Africa, Addis Abeba 1989, S. 9. Zahlen der Weltbank legten dagegen eine Steigerung der Mais- und Sorghumproduktion nach der Deregulierung des Getreide-preises 1983 nahe.

5 Vgl. African Rights, Somalia. Operation Restore Hope. A Preliminary Assessment, London, Mai 1993, S. 18

6 Weltbank, Subsahara Africa. From Crisis to Sustainable Growth, Washington, DC. 1989, S. 98

7 Ebd. S. 98-101. Natürlich schadet die Überweidung der Umwelt, aber das Problem lässt sich nicht durch die Verminderung des Lebensunterhalts der Hirten lösen.

8 Leshie Crawford, »West Africans Hurt by EC Beef Policy«, Financial Times, 21. März 1993 9 Die Zahlen für die 70er Jahre stammen aus Weltbank, World Development Report 1992, die

von 1993 aus Food and Agricultural Organization, Food Supply Situation and Crop Prospects in Subsaharan Africa, Special Report, Nr. 1, Rom, April 1993, S. 10.

10 Vgl. Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen, »Afrique australe, la sécheresse du siècle«, Genf, Juli 1992

11 Vgl. »Tobacco, the Golden Leaf«, Southern African Economist, Mai 1993, S. 49ff. 12 Vgl. Weltbank, World Development Report 1992, Kapitel 5 13 Das System der Exportquoten im Rahmen der International Coffee Organization (ICO) wur-

de nach der Konferenz in Florida im Juli 1989 aufgehoben. Der Fob-Preis sank in Mombasa von 1,31 Dollar pro Pfund im Mai 1989 auf 0,60 Dollar im Dezember. Vgl. Marchés tropicaux, 18. Mai 1990, S. 1369, u. 29. Juni 1990, S. 1860

14 Vgl. Jean Rumiya, Le Rwanda sous le régime du mandat belge (1916 – 193 1), Paris 1992, S. 220 – 226; Andre Guichaoua, Destins paysans et politiques agraires en Afrique centrale, Paris 1989

15 Vgl. Ferdinand Nahimana, Le Rwanda. Emergence d’un litat, Paris 1993 16 Vgl. New African, Juni 1994, S. 16 17 Vgl. United Nations Conference on the Least Developed Countries, Country Presentation by

the Government of Rwanda, Genf 1990, 5. 5; République Rwandaise, Ministère des Finances et de l’Economie, L’Economie rwandaise. 25 ans d’efforts (1962 – 1987), Kigali 1987

18 Vgl. die Studie von A. Guichaoua, Les paysans et l’investissement-travail au Burundi et au Rwanda, Bureau International du Travail, Genf 1987

19 Vgl. United Nations Conference on the Least Developed Countries, Country Presentation by the Government of Rwanda, Genf 1990, S. 2

20 Vgl. Weltbank, World Debt Tables 1993 – 94, Washington, D.C. S. 383 21 Vgl. Myriam Gervais, »Etude de la pratique des ajustements au Niger et au Rwanda«, in:

Labor, Capital and Society, Bd. 26, Nr. 1, 1993, S. 36 22 Diese Zahl ist eine vorsichtige Schätzung. Vgl. Economist Intelligence Unit, Country Profile,

Rwanda/Burundi 1993/1994, London 1994, S. 10 23 1993 empfahl die Weltbank eine weitere Abwertung um 30 Prozent, um die Schulden des

Fonds d’Égahisation zu beseitigen. 24 Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes schätzte, dass 1993 mehr als eine Million

Menschen in Ruanda vom Hunger betroffen waren; vgl. Marchés tropicaux, 2. April 1993, S. 898. Nach einem FAO-Kommuniqué vom März 1994 war die Nahrungsmittelproduktion 1993 um 33 Prozent gefallen; vgl. Marchés tropicaux, 25. März 1994, S. 594.

25 Für diese Verwendung der Zahlungsbilanzhilfe gibt es keine offiziellen Berichte. Human Rights Watch in Washington zufolge vereinbarte Kigali mit Ägypten die Lieferung von Mili-tärausrüstung im Wert von sechs Mio. Dollar. Der Handel mit Südafrika hatte einen Wert von 5,9 Mio. Dollar. Vgl. Marchés tropicaux, 28. Januar 1994, S. 173

26 Vgl. New African, Juni 1994, S. 15, sowie das Interview mit Colette Braeckman über die französische Militärhilfe in Archipel, Nr. 9, Juli 1994, S. 1

27 Vgl. Marchés tropicaux, 26. Februar 1992, S. 569 28 Vgl. Marchés tropicaux, 8. Oktober 1993, S. 2492 29 Africa Direct, Aussage beim UN-Tribunal über Ruanda, http://www.junius.co.uk/africa-direct/tribunal.html 30 Vgl. »Africa’s New Look«, in: Jane’s Foreign Report, 14. August 1997

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31 Vgl. Jim Mungunga, »Uganda Foreign Dept Hits Shs 4 Trillion«, in: The Monitor, Kampala, 19. Februar 1997

32 Vgl. Michel Chossudovsky, Pierre Galand, L’usage de la dette exterieure de Rwanda, la responsabilité des créanciers, Delegationsbericht, United Nations Development Programme, Government of Rwanda, Ottawa/Brüssel 1997. Daraus auch alle folgenden Angaben und Zi-tate.

33 Die verzeichneten Importe hatten die Größenordnung von 500.000 Kilo, das sind annähernd eine Million Macheten.

34 Vgl. Weltbank, »Rwanda« ‚ unter: http://www.worldbank.org/afr/rw2.html 35 Für die Beschäftigten des öffentlichen Sektors wurde für 1998 eine Höchstzahl von 38.000

festgelegt, 2600 weniger als 1997. Vgl. die Absichtserklärung (Letter of Intent) der ruandi-schen Regierung einschließlich der Begleitnote an den Managing Director des IWF, Michel Camdessus, Washington.

36 Lynne Duke, »Africans Use US Military Training in Unexpected Ways«, in: Washington Post, 14. Juli 1998, S. A 01

37 Vgl. Musengwa Kayaya, «US. Company to Invest in Zaire», in: Pan African News, 9. Mai 1997

38 Internationaler Währungsfonds, Zaire. Hyperinflation 1990 – 1996, Washington, D.C. April 1997

39 Vgl. Alain Shungu Ngongo, »Zaire-Economy: How to Survive On a Dollar a Month«, in: International Press Service, 6. Juni 1996

40 Zit. in Therese LeClerc, »Who Is Responsible for the Genocide in Rwanda?«‚ in: World Socialist Website unter: http://www.wsws.org/index.shtml, 29. April 1998

41 Paul Mugabe, »The Shooting Down of the Aircraft Carrying Rwandan President Habyari-mana«, Aussage vor der International Strategic Studies Association, Alexandria (Virginia), 24. April 2000

42 Wayne Madsen, »UN and Canada Complicit in Rwanda Cover-Up: Americans and RPF Planned and Launched Aircraft Attack«‚ in: L’Observatoire de l’Afrique Centrale, Bd. 3, Nr. 35, 25. September bis 1. Oktober 2000, http://www.obsac.com/OBSV3N3S-Madsen.html. Vgl. auch »Tutsi Informants Killed Rwandan President«, in: Ottawa Citizen, 2. März 2000

43 Ebd. 44 Linda Melvern, »Betrayal of the Century«, in: Ottawa Citizen, 8. April 2000 45 Scott Peterson, »Peacekeepers Will Not Halt Carnage, Say Rwanda Rebels«, in: Daily Tele-

graph, 12. Mai 1994 46 Vgl. »Ten Years Ago», in: Weekly Mail and Guardian, Johannesburg, 23. Juni 1995 47 Vgl. Stefaans Brummer, »The Web of Stratcoms«, in: ebd. 24. Februar 1995; Antifa Info

Bulletin, Bd. 1, Nr. 1, 23. Januar 1996 48 »Uma nova visao para os Afrikaners«, in: Mediafax, Maputo, 20. Februar 1995 49 Vgl. «Trade Block Planned for Eastern Regions«, in: Weekly Mail and Guardian, 12. Mai

1995 50 Vgl. »The Boers are Back», South Africa: Programme Support Online, Nr. 4, 1996; »Boers

Seek Greener Pastures», in: Los Angeles Times, 2. September 1995 51 »The Boers are Back«, a.a.O. 52 Zit. in Joseph Hanlon, Supporting Peasants in Their Fight for Land, London, November 1995 53 »The Second Great Trek«, a.a.O. 54 Interview des Autors mit Vertretern der South African High Commission, die für das Projekt

der südafrikanischen Landwirtschaftskammer zuständig ist, Maputo, Juli 1996 55 Vgl. das entsprechende Arbeitspapier der Conferencia Nacional de Terras, Maputo, Juli 1996 56 Vgl. Hanlon, a.a.O. S. 1 57 Zit. in »EU Backs Boers Trek», a.a.O. 58 Vgl. »The Agreement on Basic Principles and Understanding Concerning the Mosagrius De-

velopment Programme«, Maputo, Mai 1996 59 Interviews mit Vertretern der South African High Commission, die für das Mosagrius-Projekt

verantwortlich sind. Daraus auch die folgenden Zitate. 60 Interview mit südafrikanischen Agrarexperten der South African High Commission, Maputo,

Juli 1996 61 Vgl. Eddie Koch, Gaye Davis, »Hanekom’s Bill to Bury Slavery«, Weekly Mailand Guardian,

2. Juni 1995 62 Vgl. »FMI nao concorda«, in: Mediafax, Maputo, 26. September 1995, S. 1 63 »FMI nao concorda«, Mediafax, Maputo, 26. September 1995, S. 1

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64 »EU Backs Boers Trek to Mozambique «‚ Johannesburg, Weekly Mail and Guardian, 1.Dezember 1995

65 Interview mit Vertretern der South African High Commission, Maputo, Juli 1996. Daraus auch die folgenden Zitate.

66 Eddie Koch, »The Texan Who Plans a Dream Park Just Here«, in: Mail and Guardian, 18. Januar 1996

67 »0 A, B, C do projecto dc Blanchard«, in: Mediafax, Maputo, 19. Februar 1996, S. 1 68 Vgl. Philip van Niekerk, »Land for Peace. TM Group Pursues Mozambique Heaven«, in: The

Boston Globe, 4. Dezember 1994 69 Artikel 35,2 der Mosagrius-Vereinbarung 70 Hanlon, a.a.O. S. 9 71 Food and Agriculture Organization (FAO), Special Report. FAQ! WFP Crop Assessment Mis-

sion to Ethiopia, Rom, Januar 2000. Daraus auch die folgenden Angaben. 72 Vgl. Philip Sherwell, Paul Harns, »Guns Before Grain As Ethiopia Starves«, in: Sunday Tele-

graph, 16. April 2000 73 IWF, Ethiopia. Recent Economic Development, Washington 1999 74 Vgl. Pioneer Hi-Bred International »General GMO Facts« unter:

http://www.pioneer.com/usa/biotec/value_of_products/productvalue.htm 75 United States Agency for International Development, »Mission to Ethiopia. Concept Paper.

Back to the Future«, Washington, Juni 1993 76 Pressemitteilung des Carter Center, Atlanta (Georgia), 31. Januar 1997 77 Vgl. Declan Walsh, »America Find Ready Market for GM [genetically modified] Food«, in:

The Independent, 30. März 2000, S. 18 78 Ebd. 79 Zit. in ebd. 80 Vgl. Maja Wallegreen, »The World’s Oldest Coffee lndustry in Transition«, in: Tea & Coffee

Trade Journal, 1. November 1999 81 Laeke Mariam Demissie, »A Vast Histonical Contribution Counts for Little. West Reaps

Ethiopia’s Genetic Harvest«, in: World Times, … .Oktober 1998 82 Ebd. 83 Vgl. CIMMYT-Forschungsplan und Budget 2000 – 2002 unter ww.cimmyt.mx/about/ People-mtp2002.htm# 84 Laeke Mariam Demissie, a.a.O. 85 Vgl. »When Local Farmers Know Best«, in: The Economist, 16. Mai 1998 86 Vgl. Laeke Mariam Demissie, a.a.O. 87 Gageh Omaar, »Hunger Stalks Ethiopia’s Dry Land««, BBC, 6. Januar 2000. Teil III: Süd- und Südostasien 1 Vgl. M.K. Pandhe, Surrender of India’s Sovereignty and Self-Reliance, Neu-Delhi 1991,S. 2 2 Interview mit einem Großindustriellen in Bombay, Januar 1992 3 Interview mit Finanzminister Manmohan Singh, Neu-Delhi, Januar 1992 4 Interviews mit Führern der Landarbeiterorganisationen in Tamil Nadu, Februar 1992 5 »Around a Kiln. The Child Laborers of Dhone«, in: Frontline, 13. März 1992, S. 52 6 Aus der exzellenten Studie von K. Nagaraj et. al. »Starvation Deaths in Andhra Pradesh«,

in: Frontline, 6. Dezember 1991, S. 48 7 Ebd. 8 Interview mit einem großen Diamantenexporteur in Bombay, Januar 1992 9 Der Bericht der Narasimhan-Kommission, India. Financial Sector Report, nimmt sich wie

eine Kopie der Vorschläge der Weltbank aus; vgl. S. Sanhans Analyse des Berichts in Indian Express, 8. Dezember 1991.

10 Für die Mehrheit der ländlichen und städtischen Bevölkerung beträgt das Haushaltseinkom-men (für fünf bis sechs Familienmitglieder) weniger als 1.000 Rupien im Monat, das ent-spricht einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als sieben Rupien am Tag (weniger als 30 US-Cents).

11 Dem National Nutrition Monitoning Bureau zufolge legen die zwischen 1977 und 1989 durchgeführten Studien eine Verbesserung der schweren Mangelernährung unter Kindern nahe. Obwohl die extreme Armut diesen Zahlen zufolge in Indien zurückgegangen war, blieb die durchschnittliche Anmut sehr hoch. Vgl. »Starvation Deaths and Chronic Depniva-tion«, in: Frontline, 6. Dezember 1991, S. 81. Chronischer Hunger wird definiert als

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Ernährungssituation, die über einen langen Zeitraum zu geringe Energiemengen liefert. 12 Interview mit Tata Exports in Bombay, Januar 1992 13 Interview mit dem Vertreter des IWF in Neu-Delhi, Januar 1992. Daraus auch die folgenden

Zitate. 14 Vgl. Praful Bidwani, Times of India, 18. Dezember 1991 15 Der berühmte Cartoonist Laxman in Times of India, wieder abgedruckt in Structural Ad-

justment. Who Really Pays, Public Interest Research Group, Neu-Delhi, März 1992, S. 44 16 Vgl. Economic Times, 28. Februar 1992, S. 1 17 Vgl. die Studie von Lawrence Lifschultz, Bangladesh. The Unfinished Revolution, London

1979, Teil II 18 Nach einem Bericht des US-Außenministeriums, der 1978 veröffentlicht wurde. Vgl. Law-

rence Lifschultz, a.a.O. S. 109 19 Interview mit dem Oppositionsführer in Dhaka, Februar 1992 20 Interview mit einem Weltbankberater in Dhaka, 1992. Daraus auch das folgende Zitat. 21 Vgl. Mosharaf Hussein, A.T.M. Aminul Islam, Sanat Kumar Saha, Floods in Bangladesh.

Recurrent Disaster and People’s Survival, Dhaka 1987 22 Vgl. Rehman Sobhan, The Development of the Private Sector in Bangladesh. A Review of

the Evolution and Outcome of State Policy, Research Report Nr. 124, Bangladesh Institute of Development Studies, S. 4f.

23 Interview mit dem Repräsentanten des IWF in Dhaka, 1992 24 Vgl. Salma Choudhuni, Pratima Paul-Majumder, The Conditions of Garment Workers in

Bangladesh. An Appraisal, Bangladesh Institute of Development Studies, Dhaka 1991 25 Vgl. Weltbank, Staff Appraisal Report Bangladesh. Fourth Population and Health Project,

Washington, DC. 1991 26 Vgl. Gerard Viratelle, »Drames naturels, drames sociaux au Bangladesh«, in: Le Monde

diplomatique, Juni 1991, S. 6f. 27 Die Abwertungen von 1984/85 auf Anraten des IWF reduzierten den Wert des vietnamesi-

schen Dong um das Zehnfache, etwa die Größenordnung der Abwertung, die sich 1973 in Südvietnam ereignete. Der Dong war 1984 nach dem offiziellen Umtauschkurs 0,10 Dollar wert; ein Jahr später betrug sein Wert 0,01 Dollar.

28 Aufschlüsselung und Zusammensetzung der internationalen Hilfen und Kredite, die auf der Geberkonferenz gewährt wurden, findet sich in Vietnam Today, Singapur, Bd. 2, Heft 6, 1994, S. 58

29 Interview mit Nguyen Xian Oanh in Ho-Chi-Minh-Stadt, April 1994 30 Von Mitte 1991 bis Mitte 1992 stellten etwa 4.000 Unternehmen den Betrieb ein, davon

wurden 1259 aufgelöst. Einige der Unternehmen, die den Betrieb einstellten, wurden mit anderen Staatsunternehmen fusioniert.

31 Im Sektor der Staatsbetriebe führte der Beschluss Nr. 176, der 1989 verabschiedet wurde, zwischen 1987 und 1992 zur Entlassung von 975.000 Arbeitern (36 Prozent der Beschäftig-ten). Das Wachstum der Beschäftigung im privaten Sektor reichte nicht aus, um die freige-setzten Arbeitskräfte aufzunehmen. Vgl. Weltbank, Viet Nam. Transition to Market Econ-omy, S. 6Sf.

32 Interview mit einem Regierungsvertreter, Hanoi, April 1994 33 Vgl. Weltbank, Viet Nam, a.a.O. 5. 246. Zu beachten ist, dass Statistiken in der Landeswäh-

rung nicht als verlässlich gelten. 34 Interview mit dem Ministerium für Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie, Hanoi, April

1994 35 Vgl. Weltbank, Vietnam. Population, Health and Nutrition Sector Review, Washington, DC.

1993, Tabelle 3.6, S. 47 36 Vgl. Weltbank, Viet Nam, a.a.O. 5. 182 37 Vgl. Weltbank, Vietnam, Population, Health and Nutrition Sector Review, a.a.O. S. 42 38 Interviews in der Provinz Dong Nai und mit Mitgliedern des landwirtschaftlichen For-

schungsinstituts in Ho-Chi-Minh-Stadt, April 1994 39 Interviews mit Bauern in der Gemeinde Da Ton im Distrikt Gia Lam in der Nähe von Hanoi,

April 1994 40 Vgl. Weltbank, Viet Nam, a.a.O. S. 144. Daraus auch das folgende Zitat. 41 Interview mit dem Minister für Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, Hanoi, April

1994 42 Vietnamesisches Erziehungsministerium, UNDP, UNESCO, Education and Human Resources

Analysis, Bd. 1, Hanoi 1992, S. 39 43 Vgl. ebd. S. 65

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44 Ebd. S. 60 45 Weltbank, Viet Nam, a.a.O. S. 145 46 Zahlen des Gesundheitsministeniums, zit. in: Weltbank, Vietnam. Population, Health and

Nutrition Sector Review, a.a.O. Tabelle 4.6, S. 159 47 Ebd. S. 89 48 Interview in der Gemeinde Phung Thuong im Distrikt Phue Tho in der Provinz Ha Tay in

Nordvietnam 49 Weltbank, Viet Nam, S. 169 50 Ebd. 5. 171 Teil IV: Lateinamerika 1 Um an einer Umschuldung im Rahmen des Brady-Plans – nach dem früheren US-

Finanzminister Nicholas Brady – teilzunehmen, müssen Entwicklungsländer ein wirtschaftli-ches Reformprogramm vorlegen. Brady-Bonds sind Anleihen, die der Restrukturierung von Staatsschulden in Entwicklungsländern dienen. Die Bonds sind Teil eines Maßnahmenkata-logs von 1989 zur Lösung des Schuldenproblems von Entwicklungsländern. Danach sollen die Gläubigerbanken den Schuldnerländern einen Teil ihrer Verbindlichkeiten erlassen und ihnen die Möglichkeit geben, Darlehen gegen Anleihen mit niedrigeren Zinsen oder längeren Laufzeiten (meist 25 bis 30 Jahre) zu tauschen. (A.d.Ü.)

2 Vgl. Simon Fisher, Stephen Fidler, »Friction Likely as Brazil Reopens Debt Talks«, in: Finan-cial Times, 10. Oktober 1990

3 Vgl. Christina Lamb, »Brazil Issues Angry Protest at Suspension of Development Loans«, in: Financial Times, 4. April 1991

4 Vgl. Luiz Carlos Bresser Pereira, »0 FMI e as carrocas«, Folha de Sao Paulo, 27. Juli 1991, S. 1ff.

5 In einem Interview mit Jornal do Brasil, zit. in Estado de Sao Paulo, 23. Juni 1991 6 Vgl. 0 Globo, 27. Juni 1991 7 Vgl. José Meirelles Passos, »FMI e EUA apoiam programa brasileira«, in: O Globo, 7.

Dezember 1991 8 Zit. in Stephen Fidler, Christina Lamb, »Brazil Sets Out Accord on 44 Billion Debt«, in: Fi-

nancial Times, 7. Juli 1992 9 Pedro Malan, Collors Unterhändler, bestätigte im März aus seinem Washingtoner Büro, dass

802 Banken, darunter die Chase Manhattan und Lloyds Bank, bereits der Umschuldungs-formel zugestimmt hätten. Doch praktisch war das Veto des Beraterkomitees über die Ge-währung von multilateralen Krediten an Brasilien noch immer in Kraft. Vgl. Fernando Rodri-gues, »Bancos aderem ao acordo da divida externa«, Folha de Sao Paulo, 16. März 1993

10 Vgl. Claudia Sofatle, »Missao do FMI volta sem acordo«, in: Gazeta Mercantil, 17. März 1993

11 Vgl. Financial Times, 20. August 1993 12 Der restliche Teil dieses Kapitels wurde in Zusammenarbeit mit Micheline Ladouceur ver-

fasst. 13 Die Gehaltsobergrenze wurde durch die Provisorische Maßnahme Nr. 382 festgelegt, vgl. 0

Globo, 8. Dezember 1993, S. 2 – 11 14 Zit. in Folha de Sao Paulo, 3. März 1994 15 Interview mit Finanzminister Fernando Henrique Cardoso, Brasilia, August 1993 16 Vgl. Veja, Dezember 1993 17 Vgl. Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada, 0 Mapa do Fome II: Informacoes sobre a

indigência por municipios da Federacao, Brasilia 1993 18 Interviews in Pirambu, Fortaleza, Juli 1993 19 Interviews mit Landarbeitern in der Region Monsenhor Tabosa, Ceara, Juli 1993 20 Vgl. Celia Maria Correa Linhares, Maristela de Paula Andrade, »A acao oficial e os conflitos

agrarios no Maranhao«, Desenvolvimento e Cidadania, Nr. 4, 1992 21 Vgl. Panewa, Bd. VI, Nr. 18, November/Dezember 1993, und Bd. VII, Nr. 19, Januar 1994 22 Vgl. Cuanto. Peru en numeros, September 1990 23 Diese Angaben basieren auf offiziellen Statistiken; vgl. Peru en Numeros1991, Anuario

estadistico, Kapitel 21, und Cuanto, 13. Juli 1991, Suplemento 24 Vgl. Carlos Malpica, El poder económico en el Peru, Bd. 1, Lima 1989

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25 Die Expansion der landwirtschaftlichen Produktion wurde durch die Stärkung der Gesamt-nachfrage und des Grundverbrauchs (consumo popular) erzielt statt durch eine Wechsel-kursanpassung für Importe von Grundnahrungsmitteln und die Beseitigung von Subventio-nen, die im Wesentlichen den agrarindustriellen Monopolen zugute gekommen wären. Das wies darauf hin, dass sich die Landwirtschaft durch die Aufrechterhaltung der städtischen Nachfrage stärken ließ.

26 Vgl. Weltbank, Peru. Policies to Stop Hyperinflation and Initiate Economic Recovery, Wash-ington 1989, S. 10

27 Vgl. Drago Kisic, Veronica Ruiz de Castilla, »La economia peruana en el contexto interna-cional«, CEPEI, Bd. 2, 1. Januar 1989, S. 58f.

28 Vgl. Peru Economico, August 1990, S. 26 29 Der Missbrauch des subventionierten »MUC [mercado unido de cambios]-Dollar« ist aus-

führlich dokumentiert: Die Zentralbank erhielt Anträge auf Zuteilung von MUC-Dollar zum Zweck des Warenimports, die Importe wurden nicht oder nur teilweise ausgeführt und das Geld dann mit beträchtlichem Profit in echte Devisen oder zurück in die heimische Währung getauscht. Vgl. z.B. »Quien volo con los MUC«, in: Oiga, Nr. 468, 5. Februar 1990, S. 18f.

30 Vgl. Kisic, Ruiz, a.a.O. S. 60 31 Vgl. Fernando Rospigliosi, »Izquierdas y clases populares: democracia y subversion en el

Peru«, in: Julio Cotler (Hg.), Glases populares, crisis y democracia en America Latina, Lima 1989, S. 127

32 Vgl. »Plan de Gobierno de Cambio 90: una propuesta para el Peru«, in: Pagina Libre, 21. Mai 1990, S. 17 – 24

33 Nach Interviews des Autors mit Beschäftigten im Gesundheitsdienst in Peru, Juli 1991 34 Für weitere Details vgl. »Peru: Situación economica«, in: Situación latinoamericana, Bd. 1,

Nr. 2, April 1991, S. 122 – 128 35 Das Honorar der Berater von 500 – 700 Dollar am Tag einschließlich einer täglichen »Ver-

sorgungspauschale» von 130 Dollar war nur geringfügig niedriger als das jährliche Pro-Kopf-Einkommen Perus.

36 Berichten von Amnesty International zufolge wurden zwischen 1982 und 1989 annähernd 3000 Menschen ohne Gerichtsverhandlung erschossen (die so genannten desaparecidos oder »Verschwundenen»). Amnesty wies auch darauf hin, dass die gängige Praxis illegaler Inhaftierung und Folter durch die Sicherheitskräfte kaum je vor den Gerichten geahndet wurde. Vgl. Pagina Libre, 17. März 1990, S. A 2; vgl. a. La Republica, 11. Februar 1990, S. 14

37 Vgl. die Geheimdokumente, die der Journalist Cesar Hildebrandt im TV-Magazin »En Perso-na« im Juli 1991 aufdeckte. Der Bericht führte zur Absetzung der Sendung und zur Ein-schränkung der meisten politischen Fernsehsendungen.

38 Vgl. Alerta Agraria, Juni 1991, S. 2 39 United States Senate, Committee on Governmental Affairs, Cocaine Production, Eradication

and the Environment. Policy, Impact and Options, Washington, August 1990, S. 51 40 Für eine Übersicht vermuteter CIA-Unterstützung von Drogengeldwäsche in Indochina und

dem Goldenen Dreieck seit den frühen 50er Jahren vgl. Alfred W. MacCoy, The Politics of Heroin in Southeast Asia, New York 1972

41 Für weitere Details vgl. Juan Antonio Morales, »The Costs of the Bolivian Stabilization Pro-gram«, Arbeitspapier Nr. 01/89, Universidad Catolica Boliviana 1989, La Paz, S. 4

42 Interview mit Gonzaio Sanchez de Lozada, in: Careta, Nr. 1094, 5. Februar 1990, S. 87 43 Morales, a.a.O. S. 6 44 Ebd. S. 9a 45 Vgl. ebd. S. 6; ders. »Impacto de los ajustes estructurales en la agricultura campesina

boliviana«, Arbeitspapier der Universidad Catolica Boliviana, La Paz 1989 46 Für weitere Details vgl. Morales, ebd. S. 14, Tabelle 7 47 Für Details über die Beteiligung wichtiger Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens am Dro-

genhandel vgl. Amalia Barron, »Todos implicados en el narcotrafico«, in: Cambio, Nr. 16, 8. August 1988

48 Vgl. Henry Oporto Castro, »Bolivia. El complejo coca-cocaina», in: Garcia Sayan (Hg.), Coca, cocaina y narcotrafico, Lima 1989, S. 177

49 Vgl. G. Lora, Politica y burguesia narcotraficante, La Paz 1988

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Teil V: Die ehemalige Sowjetunion und die Balkanländer 1 Interview mit einem Ökonomen der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau,

Oktober 1992. Daraus auch das folgende Zitat. 2 Interviews mit mehreren Ökonomen der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau,

September 1992 3 Basierend auf eigenen Berechnungen der Preissteigerungen von 27 Waren und Dienstlei-

stungen des täglichen Bedarfs sowie von langlebigen Gebrauchsgütern zwischen Dezember 1991 und Oktober 1992

4 Interview mit dem Leiter der IWF-Vertretung in Moskau, September 1992 5 Weltbank, Russian Economic Reform. Crossing the Threshold of Structural Reform, Wash-

ington, DC. 1992, S. 18 6 Interview mit einem Berater der Weltbank, Moskau 1992 7 Interview mit einem Ökonomen der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau,

September 1992 8 Interview in einer Moskauer Poliklinik und mit Beschäftigten aus verschiedenen Wirtschafts-

sektoren in Moskau und Rostow am Don, September/Oktober 1992; vgl. Jean-Jacques Ma-rie, »Ecole et santé en ruines«, in: Le Monde dipiomatique, Juni 1992, S. 13 9 Für weitere Details vgl. Jean Jacques Marie, a.a.O.

10 Interview mit einem Vertreter des IWF, Moskau, September 1992 11 Vgl. Delovoi Mir (Business World), Nr. 34, 6. September 1992, S. 14 12 Interview mit einem gewöhnlichen russischen Bürger, Rostow am Don, Oktober 1992 13 Vgl. Internationaler Währungsfonds u.a. A Study of the Soviet Economy, Bd. 1, Paris 1991,

Teil II, Kapitel 2 14 Paraphrase des Satzes: »Adam biss in den Apfel, und darauf kam über das Menschenge-

schlecht die Sünde« in Karl Marx’ Das Kapital, Bd. 1, 24. Kapitel (MEW 23, S. 741) 15 »Ruble Plunges to New Low«, in: Moskow Times, 2. Oktober 1992, S. 1 16 Vgl. Paul Klebnikov, »Stalin’s Heirs«, in: Forbes, 27. September 1993, S. 124 – 134 17 Die Regierung hat 1992 angeblich Exportlizenzen über das Doppelte der amtlich registrier-

ten Rohölausfuhren ausgestellt. 18 Interview mit dem Manager einer westlichen Geschäftsbank, Moskau, Oktober 1992 19 Vgl. Tim Beardsley, »Selling to Survive«, in: Scientific American, Februar 1993, S. 94 – 100 20 Zitiert in Financial Times, 23. September 1993, S. 1. Daraus auch das folgende Zitat. 21 Financial Times, 5. Oktober 1993 22 Vgl. Leyla Boulton, »Russia’s Breadwinners and Losers«, in: Financial Times, 13. Oktober

1993, S. 3 23 Vgl. Chris Doyle, »The Distributional Consequences of Russia’s Transition«, Diskussion-

spapier Nr. 839, Center for Economic Policy Research, London 1993. Diese Schätzung der Preisbewegung von Gütern des täglichen Bedarfs zwischen Dezember 1991 und Oktober 1992 entspricht meiner eigenen. Die stark manipulierten offiziellen Statistiken räumen ei-nen Rückgang der Kaufkraft von 56 Prozent seit Mitte 1991 ein.

24 Vgl. The Wall Street Journal, 12. Oktober 1993, S. A 17; Alian Saunderson, »Legal Wrangie Holds Up Russian Dept Deal«, in: The European, 14. – 17. Oktober 1993, S. 38

25 Vgl. Financial Times, 1. August 1994, S. 1 26 Vgl. »The Last Ambassador. A Memoir of the Collapse of Yugoslavia«, in: Foreign Affairs,

Bd. 74, Nr. 2, 1995 27 Für eine Kritik vgl. Milos Vasic et al. »War Against Bosnia«, in: Vreme News Digest Agency,

13. April 1992 28 Dayton Peace Accords, Agreement on High Representative, Artikel 1 und II, 16. Dezember

1995 29 Vgl. Dayton Peace Accords, Agreement on Police Task Force, Artikel II 30 Dayton Peace Accords, Agreement on General Framework, Artikel VII 31 Ebd. Agreement on Public Corporations, Artikel 1, 10 32 Sean Gervasi, »Germany, the US, and the Yugoslav Crisis«, in: Covert Action Quarterly, Nr.

43, Winter 1992/93, S. 42 33 Ebd. 34 Dimitrije Boarov, »A Brief Review of Anti-Inflation Programs. The Curse of Dead Programs«,

in: Vreme News Digest Agency, Nr. 29, 13. April 1992

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35 Vgl. Weltbank, Industrial Restructuring Study. Overview, Issues, and Strategy for Restruc-turing, Washington, D.C. Juni 1991, 5. 10 u. 14 Vgl. Gervasi, a.a.O. 5. 44

37 Vgl. Weltbank, Industrial Restructuring Study, a.a.O. S. VIII 38 Ralph Schoenman, »Divide and Rule Schemes in the Balkans«, in: The Organizer, 11. Sep-

tember 1995 39 Vgl. Judit Kiss, »Dept Management in Eastern Europe«, in: Eastern European Economics,

Mai/Juni 1994, S. 59 40 Vgl. Barbara Lee, John Nellis, Enterprise Reform and Privatization in Socialist Economies,

Weltbank, Washington, DC. 1990, S. 20f. 41 Ebd. S. 33 42 Ebd. S. 33 f. Die Zahlen stammen vom jugoslawischen Bundessekretariat für Industrie und

Energie. 43 Ebd. S. 13, Anhang 1, S. 1 44 Die Weltbank schätzte die »überschüssigen Arbeitskräfte« in der Industrie auf 20 Prozent

der Erwerbsbevölkerung von 8,9 Millionen, annähernd 1,8 Millionen. Diese Zahl liegt be-trächtlich unter der tatsächlichen Zahl von überschüssigen Arbeitskräften, wenn man die Beschäftigten der als insolvent eingestuften Unternehmen hinzuzählt. Vgl. Weltbank, Yugo-slavia. Industrial Restructuring, Anhang 1

45 British Broadcasting Service, »Borislav Jovic Tells SFRY Assembly Situation Has Dramati-cally Deteriorated«, 27. April 1991

46 Schoenman, a.a.O. 47 Vgl. Gervasi, a.a.O. S. 44 48 Zit. in Federico Nier Fischer, »Eastern Europe: Social Crisis«, Inter Press Service, 5. Sep-

tember 1990 49 Vgl. Klas Bergman, »Markovic Seeks to Keep Yugoslavia One Nation«, in: Christian Science

Monitor, 11. Juli 1990, S. 6 50 Dimitrije Boarov, »A Brief Review of Anti-Inflation Programs«, a.a.O. 51 Vgl. Gervasi, a.a.O. S. 64 52 Zimmermann, a.a.O. 53 Jim Burkholder, »Humanitarian Intervention? Veterans For Peace«, ohne Datum, unter:

http://www.veteransforpeace.org/ 54 Im Juni 1995 hatte der IWF im Namen der Kreditbanken und westlichen Regierungen vor-

geschlagen, die Schulden wie folgt zu verteilen: Serbien und Montenegro 36 Prozent, Kroa-tien 28 Prozent, Slowenien 16 Prozent, Bosnien-Herzegowina 16 Prozent und Mazedonien fünf Prozent.

55 Vgl. »Zagreb’s About Turn«, in: The Banker, Januar 1995, S. 38 56 Vgl. Weltbank, Macedonia. Financial and Enterprise Sector, Public Information Department,

28. November 1995 57 Zit. in MAK News, 18. April 1995 58 Vgl. MILS News, 11. April 1995 59 Vgl. »IMF to Admit Bosnia on Wednesday«, Meldung von United Press International, 18.

Dezember 1995 60 Vgl. Frank Viviano, Kenneth Howe, »Bosnia Leaders Say Nations Sit Atop Oil Fields«, in:

The San Francisco Chronicle, 28. August 1995; Scoot Cooper, »Western Aims in Ex-Yugoslavia Unmasked«, in: The Organizer, 24. September 1995

61 Schoenman, a.a.O. 62 Vgl. Weltbank, Development News, Washington, 27. April 1999 63 Vgl. »World Bank Group Response to Post Conflict Reconstruction in

Kosovo. General Framework For an Emergency Assistance Strategy«, unter: http://www.worldbank.org/html/extdr/kosovo/kosovo-st.htm

64 Weltbank, »The World Bank’s Role in Reconstruction and Recovery in Kosovo«‚ unter: http://www.worldbank.org/html/extdr/pb/pbkosovo.htm

65 Vgl. International Finance Corporation, »International Consortium Backs Kosovo’s First Licensed Bank«, unter: http://www.ifc.org/ifc/pressroom/Archive/2000/00-90/00-90.html, Pressemit-teilung, Washington, 24. Januar 2000

66 New York Times, 8. Juli 1998, Bericht von Chris Hedges 67 Zit. in Diana Johnstone, »How lt Is Done. Taking Over the Trepca Mines. Plans and Propa-

ganda«, unter: http://www.emperors-clothes.com/articles/Johnstone/howitis.htm, 28. Februar 2000 68 Ebd. Für den Bericht der International Crisis Group siehe www.emperors-

clothes.com/articles/Johnstone/icg.htm

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69 Weltbank, KFOS, »World Bank Launches First Kosovo Project«, unter: http://www.worldbank.org/html/extdr/extme/097.htm, 16. November 1999, News Release Nr. 2000/097/ECA

Teil VI: Die Neue Weltordnung 1 Vgl. Hugh Carnegy, »Moody’s Deals Rating Blow to Sweden«, in: The Financial Times, 6.

Januar 1995, S. 16; ders. »Swedish Cuts Fail to Convince Markets«, in: The Financial Times, 12. Januar 1995, S. 2

2 Zahlen in kanadischen Dollar; vgl. La Presse, 6. Mai 1995, S. F 2 3 In den USA sank der Beitrag der Unternehmen zu den Einnahmen des Bundes von 13,8

Prozent 1980 (einschließlich der Besteuerung von außerordentlichen Gewinnen) auf 8,3 Prozent 1992. Vgl. US Statistical Abstract 1992

4 Schätzung von Jack A. Blum, präsentiert bei der Konferenz »Jornadas: Drogas, desarrollo y estado de derecho«, Bilbao, Oktober 1994; vgl. ders. Alan Block, »Le blanchiment de l’argent dans les Antilles«, in: Alain Labrousse, Alain Wallon (Hg.), La planéte des drogues, Paris 1993

5 Vgl. C. Cottarelli, Limiting Central Bank Credit to the Government, International Monetary Fund, Washington 1993, S. 5

6 Sally Bowen, »Brady Investment in Peru«, in: The Financial Times, 22. Juli 1994 7 In den USA war die Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken jahrzehntelang

durch das Glass-Steagall-Gesetz geregelt, das 1933 während der Weltwirtschaftskrise er-lassen wurde, um die Einlagen von Kleinsparern nicht durch die Vergabe riskanter oder spekulativer Kredite zu gefährden. Dieses Gesetz ist 1999 vom Kongress aufgehoben wor-den.

8 Für eine detaillierte Analyse der Rolle des organisierten Verbrechens im Bank- und Finanz-wesen vgl. Alain Labrousse, Alain Wallon (Hg.), La planéte des drogues, Paris 1993; Obser-vatoire géopolitique des drogues. La drogue, nouveau désordre mondial, Paris 1993

9 Zit. in Martin Khor, »Baring and the Search for a Rogue Culprit«, in: Third World Economics, Nr. 108, 1. – 15. März 1995, S. 10

10 Ebd. Zur Erinnerung: Im Februar 1995 musste die traditionsreiche britische Privatbank Barings aufgeben, nachdem ihr Broker Nick Leeson mit Fehlspekulationen in Singapur Rie-sensummen versenkt hatte. Barings wurde dann von dem niederländischen Banken- und Versicherungskonzern ING aufgekauft.

11 Bank for International Settlements Review, Nr. 46, 1997 12 Vgl. Martin Khor, «SEA Currency Turmoil Renews Concern on Financial Speculation«, in:

Third World Resurgence, Nr. 86, Oktober 1997, S. 14f. 13 Vgl. »Five Years On the Crash Still Echoes«, in: The Financial Times, 19. Oktober 1992 14 Philip Wong, Mitglied der von Peking einberufenen gesetzgebenden Versammlung Hong-

kongs, beschuldigte den New Yorker Aktienhändler Morgan Stanley, den Markt kaputtzu-spekulieren, um sich danach billig wieder einzukaufen. Vgl. «Broker Cleared of Manipula-tion«, in: Hong Kong Standard, 1. November 1997

15 Vgl. Martin McLaughlin, «Clinton Republicans Agree to Deregulation of US Banking Sys-tem«, World Socialist Website, unter: http://www.wsws.org/index.shtml, 1. November 1999

16 Vgl. The Financial Times, 9. November 1999, S. 21 17 Erklärung bei einem Treffen der Gruppe der 15, Malaysia, 3. November 1997, zit. in: South

China Morning Post, 3. November 1997 18 Vgl. Michael Hudson, Our World, 23. Dezember 1997; ders. Bill Totten, »Vulture Specula-

tors«, in: Our World, Nr. 197, 12. August 1998 19 Vgl. Nicola Bullard, Walden Bello, Kamal Malhotra, »Taming the Tigers. The IMF and the

Asian Crisis«, Sonderausgabe über den IWF, Focus on Trade, Nr. 23, Focus on the Global South, März 1998

20 Vgl. Hudson, a.a.O. 21 Michael Hudson, »Big Bang Is Culprit Behind Yen’s Fall«, in: Our World, Nr. 187, 28. Juli

1998; vgl. auch die gemeinsame Erklärung auf der Pressekonferenz von US-Außenministerin Madeleine Albright und dem japanischen Außenminister Keizo Obuchi in Tokio am 4. Juli 1998, enthalten in einer offiziellen Pressemitteilung des US-Außenministeriums vom 7. Juli 1998

22 Vgl. Nicola Bullard et al. a.a.O.

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23 Das IIF schlägt vor, dass globale Banken und Investmenthäuser zu diesem Zweck »rotieren und in einem neutralen Prozess (zur Sicherung der Vertraulichkeit) ausgewählt« (werden könnten). Ein »regelmäßiger Meinungsaustausch« würde, so das Institut, kaum dramati-sche Überraschungen offenbaren, die ausschlaggebenden Einfluss auf die Entwicklung der Märkte haben würden. »In dieser Ära der Globalisierung müssen sowohl Marktteilnehmer als auch multilaterale Institutionen entscheidende Rollen spielen. Je besser sie sich verste-hen, desto größer die Aussichten für ein besseres Funktionieren der Märkte und Stabilität der Finanzmärkte.« Brief von Charles Dallara, Managing Director des IIF, an Philip Maystadt, Vorsitzender des IMF Interim Committee, Washington, 8. April 1998

24 Institute of International Finance, Report of the Mulitlateral Agencies Group. IIF Annual Report, Washington 1997

25 Vgl. den Brief des Managing Director des Institute of International Finance, Charles Dallara, an Philip Maystadt, Vorsitzender des IMF-Interim Committee vom April 1997, zit. in: Insti-tute of International Finance, 1997 Annual Report, Washington 1997

26 Steven Forbes, »Why Reward Bad Behavior«, in: Forbes Magazine, 4. Mai 1998 27 Zur Erinnerung: »Heißes Geld« ist spekulatives Kapital, »schmutziges Geld« sind die Erlöse

des organisierten Verbrechens, die regelmäßig im internationalen Finanzsystem gewaschen werden.

28 Internationaler Währungsfonds, »Communiqué of the Interim Committee of the Board of Governors of the International Monetary Fund«, Pressemitteilung Nr. 98/14, Washington, 16. April 1998. Der umstrittene Vorschlag zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs wurde zu-erst im April 1997 vorgetragen.

29 Vgl. Communiqué of the IMF Interim Committee, Hongkong, 21. September 1997 30 Charles Laurence, »Wall Street Warriors Force Their Way Into the Billionaires Club«, in:

Daily Telegraph, 30. September 1997. 31 Agence France-Presse, 19. November 1997 32 Willis Witter, »Economic Chief Sacked in South Korean Debt Crisis. Emergency Measures

Are Introduced«, in: Washington Times, 20. November 1997 33 Associated Press, 30. November 1997 34 Vgl. Internationaler Währungsfonds, »Korea. Request for Stand-by Arrangement«, Wash-

ington, 3. Dezember 1997. Der Text der IWF-Vereinbarung von 1997 zusammen mit dem »Memorandum on the Economic Program« sickerte an die koreanische Presse durch und ist unter: http://www.chosun.com/feature/imfreport.html verfügbar.

35 Vgl. «New Illness, Old Medicine«, in: The Economist, New York, 13. Dezember 1997, S. 65 36 Transkription einer IWF-Pressekonferenz, Washington, 5. Dezember 1997 37 Wiederholte Ausstrahlung mit englischer Übersetzung in »The News Hour with Jim Lehrer«,

MacNeil/Lehrer Productions, 4. Dezember 1977 38 Zit. in Michael Hudson, »Draft for Our World«, in: Our World, 23. Dezember 1997 39 National Public Radio, 19. Dezember 1997 40 John Burton, «Korea Bonds Reduced to Junk Status«, in: The Financial Times, 23. Dezem

ber 1997, S. 3 41 Vgl. Choe Seung Chul, »Assembly Opens to Legislate Key Financial Reforms«, in: Korea

Herald, 23. Dezember 1997 42 John Burton, a.a.O. 43 Vgl. Financial Times, 27. u. 28. Dezember 1997, S. 3 44 Agence France-Presse, 26. Dezember 1997 45 Internationaler Währungsfonds, «Korea. Request for IMF Standby«, a.a.O. 5. 44 46 Sah Dong Seok, »Credit Woes Cripple Business Sectors«‚ in: Korea Times, 28. Dezember

1997 47 Song Jung Tae, »Insolvency of Construction Firms Rises in 1998«, in: Korea Herald, 24.

Dezember 1997 48 Vgl. Michael Hudson, a.a.O. 49 Vgl. Catherine Lee, »The Wrong Medicine. Nationalization of Commercial Banks in South

Korea«, in: The Banker, Dezember 1998 50 Vgl. Michael Zielenziger, »A Rebounding But Unreformed South Korea Making Investors,

Officials Nervous«, Knight Ridder Tribune News Service, 11. Juni 1999 51 Vgl. «More Tax Money for KFB«, in: Korea Herald, 17. August 2000, S. 1 52 Vgl. Asia Pulse, 21. Januar 2000 53 Vgl. »Who, What, Where«, in: The Asian Banker Journal, 18. Mai 2000 54 «Commerzbank Pledges Active Role in Cleaning Up Korea Exchange Bank«, in: Business

Korea, 8. August 2000

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55 Vgl. den Text des Memorandums und der Absichtserklärung, 14. Juni, Ministry of Finance, Seoul, 2000, veröffentlicht in Republic of Korea Economic Bulletin, Juni 2000, unter: http://www.epic.kdi.re.kr/home/ecobul/indexlist.htm; ebenfalls veröffentlicht vom IWF unter: http://www.imf.org/external/NP/LOI/2000/kor/01/INDEX.HTM. Das Memorandum räumt der Deut-schen Bank Managementrechte über die Korea First Bank ein.

56 Los Angeles Times, 16. Juni 2000 57 Vgl. Estado de Sao Paulo, 21. Januar 1999 58 Vgl. Financial Times, 18. Januar 1999, S. 4 59 Vgl. Estado de Sao Paulo, 21. Januar 1999 60 Vgl. Larry Rohter, »Crisis Whipsaws Brazilian Workers«, in: New York Times, 16. Januar

1999 61 Zit. in Financial Times, 31. Oktober/1. November 1998 62 Vgl. »Joint Statement of the Ministry of Finance of Brazil and the IMF Team«, Newsletter

Nr. 99/5, IWF, Washington, 4. Februar 1999 63 Vgl. Estado de Sao Paulo, 21. Januar 1999 64 »Itamar: Soros presidara o BC«, Agenzia Estado, Ultimas noticias, 2. Februar 1999 Teil VII: Krieg und Globalisierung 1 Vgl. Hugh Davies, »International Informers Point the Finger at Bin Laden. Washington on

Alert for Suicide Bombers«, in: The Daily Telegraph, 24. August 1998 2 Ahmed Rashid, «The Taliban. Exporting Extremism«, in: Foreign Affairs, Novem-

ber/Dezember 1999 3 «The CIA’s Intervention in Afghanistan. Interview with Zbigniew Brzezinski, President

Jimmy Carter’s National Security Adviser«, in: Le Nouvel Observateur, 15.–21. Januar 1998, wiederveröffentlicht vom Centre for Research on Globalization unter http://www.globalresearch.ca/articles/BRZ110A.html

4 Steve Coll, Washington Post, 19. Juli 1992 5 Wahhabiten sind Anhänger einer puritanischen Bewegung des Islam, heute die herrschende

religiöse Doktrin in Saudi-Arabien. (A.d.Ü.) 6 Erklärung der Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, unter:

http://www.globalresearch.ca/articles/RAW109A.html 7 Dilip Hiro, »Fallout from the Afghan Dschihad«, Inter Press Services, 21. November 1995 8 National Public Radio, »Weekend Sunday«, 16. August 1998 9 Ebd. 10 Dipankar Banerjee, »Possible Connection of ISI with Drug Industry«, in: India Abroad, 2.

Dezember 1994 11 Diego Cordovez, Selig Harrison, Out of Afghanistan. The Inside Story of the Soviet With-

drawal, New York 1995. S. a. die Kritik des Buches von International Press Services, 22. August 1995.

12 Vgl. Alfred McCoy, »Drug Fallout. The CIA’s Forty Year Complicity in the Narcotics Trade«, in: The Progressive, 1. August 1997

13 Vgl. Alfred McCoy, «Drug Fallout. The CIA’s Forty Year Complicity in the Narcotics Trade«, in: The Progressive, 1. August 1997

14 Vgl. Douglas Keh, Drug Money in a Changing World, Technical Document Nr. 4, 1998, UNDP Wien, S. 4; Report of the International Narcotics Control Board für 1999, E/INCB/1999/1, Wien 1999, S. 49ff; Richard Lapper, »UN Fears Growth of Heroin Trade«, Financial Times, 24. Februar 2000

15 International Press Services, 22. August 1995 16 Ahmed Rashid, »The Taliban. Exporting Extremism«, in: Foreign Affairs, Novem-

ber/Dezember 1999, S. 22 17 Zit. in Christian Science Monitor, 3. September 1998 18 Vgl. Tim McGirk, »Kabul Learns to Live With Its Bearded Conquerors«, in: The Independent,

6. November 1996 19 The Guardian, 15. September 2001 20 Reuters, 13. September 2001 21 The New York Times, 13. September 2001 22 Newsweek, 14. September 2001 23 Vgl. The Daily Telegraph, 14. September 2001 24 The New York Times, 13. September 2001

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25 Erklärung der Nordallianz vom 14. September 2001, zit. von Reuters, 15. September 2001 26 US-Außenministerium, Patterns of Global Terrorism unter: http://www.state.gov/ s/ct/rls/pgtrpt/2000, Washington 2000 27 Reuters, 13. September 2001 28 Presidential Papers, Bemerkungen während eines Telefongesprächs mit dem New Yorker

Bürgermeister Rudolph Giuliani und dem New Yorker Gouverneur George Pataki und Erklä-rungen gegenüber Reportern, 13. September 2001

29 The Washington Post, 23. September 2001 30 The Times of India, 9. Oktober 2001 31 The Weekly Standard, Bd. 7, Nr. 7, Oktober 2001 32 Agence France-Presse, 10. Oktober 2001 33 ABC News, »This Week«, 30. September 2001 34 US House of Representatives, Stellungnahme der Abgeordneten Dana Rohrbacher, Anhö-

rung des Ausschusses für Internationale Beziehungen über «Global Terrorism and South Asia«, Washington, 12. Juli 2000

35 The White House Bulletin, 14. September 2001 36 »What we’ve created blows back in our face«, United Press International, 15. September

2001 37 The Guardian, 15. September 2001 38 United Press International, 15. September 2001 39 Bericht der International Media Corporation, Defense and Strategy Policy, »US Commits

Forces and Weapons to Bosnia«, 31. Oktober 1994 40 Pressemitteilung des US-Kongresses, Republican Party Committee, US Congress, »Clinton-

Approved Iranian Arms Transfers Help Turn Bosnia into Militant Islamic Base«, 16. Januar 1997, nachzulesen unter: http://www.globalresearch.ca/articles/DCH1O9A.html

41 The Scotsman, 29. August 1999 42 Vgl. Truth in Media, «Kosovo in Crisis«, 2. April 1999, unter www.truthinmedia.org/ 43 Sunday Times, 29. November 1998 44 US Congress, Aussage von Frank J. Cilluffo vor dem House Judiciary Committee, 13. De-

zember 2000 45 Aussage von Ralf Mutschke von Interpol vor dem House Judicial Committee, 13. Dezember

2000 46 Newsletter des Macedonian Information Centre, Skopje, 21. März 2000, veröffentlicht von

der BBC, 24. März 2000 47 Vgl. BBC, 29. Januar 2001, unter:

http://news.bbc.co.uk/hilenglish/world/europe/newsid_1142000/1142478.stm 48 Vgl. United Press International, 9. Juli 2001, und für weitere Details Michel Chossudovsky,

»Washington Behind Terrorist Assaults in Macedonia«, unter: http://www.globalresearch.ca/articles/CHO1O8B.html

49 Vgl. Levon Sevunts, »Who’s Calling the Shots? Chechen Conflict Finds Islamic Roots in Afghanistan and Pakistan«, in: The Gazette, 26. Oktober 1999

50 Ebd. 51 Ebd. 52 Vitaly Romanov, Viktor Yadukha, »Chechen Front Moves tu Kosovo Segodnia«, Moskau, 23.

Februar 2000 53 Vgl. The European, 13. Februar 1997, ITAR-TASS, 4.–5. Januar 2000 54 BBC, 29. September 1999 55 Vgl. K. Subrahmanyam, «Pakistan Is Pursuing Asian Goals«, in: India Abroad, 3. November

1995 56 Vgl. Murali Ranganathan, »Human Rights Report Draws Flak«, in: News India, 16. Septem-

ber 1994 57 Nach offiziellen chinesischen Quellen, zit. von United Press International, 20. November

2001 58 Defense and Security, 30. Mai 2001 59 Vgl. Financial Times, 6. Mai 1999, S. 2 60 US Congress, Transcript of the House of Representatives, HR 1152, 19.März 2001 61 Anhörung über US-Interessen in den zentralasiatischen Republiken am 12. Februar 1998,

House of Representatives, Subcommittee on Asia and the Pacific, Committee on Interna-tional Relations, unter: http://commdocs.house.gov/committees/intlrel/hfa48119.000/hfa48119-Of.htm

62 Silk Road Strategy Act, lO6th Congress, 1st Session, S. 579, »To Amend the Foreign Assis-tance Act of 1961 to Target Assistance to Support the Economic and Political Independence

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of the Countries of the South Caucasus and Central Asia«, US Senate, Washington, 10. März 1999

63 Lara Marlowe, »US Efforts to Make Peace Summed Up by >Oil<«, in: Irish Times, 19. No-vember 2001

64 William E. Odorn, »US Policy Toward Central Asia and the South Caucasus«, in: Caspian Crossroads Magazine, Bd. 3, Nr. 1, Sommer 1997

65 Robert V. Baryiski, »The Caspian Oil Regime. Military Dimensions«, in: ebd. Bd. 1, Nr. 2, Frühjahr 1995

66 Graham Fuller, »Geopolitical Dynamics of the Caspian Region«, in: ebd. Bd. 3, Nr. 2, Herbst 1997

67 Damien Caveli, «The United States of Oil«, unter: http://www.salun.com/, 19. November 2001

68 Vgl. Richard Hottelet, »Tangled Web of an Oil Pipeline«, in: The Christian Science Monitor, 1. Mai 1998

69 Richard Giragosian, »Massive Kashagan Oil Strike Renews Geopolitical Offensive in Cas-pian«, in: The Analyst, 7. Juni 2000

70 Mary-Wynne Ashford, »Die Bombardierungen erzeugen neue Furcht vor dem Atomkrieg«, in: The Victoria Times Colonist, 13. Mai 1999, S. A15, zugänglich unter:

http://dju-hamburg.de/atom.htm; Übersetzung leicht verändert (A.d.Ü.) 71 Viktor Tschetschewatow, ein russischer Drei-Sterne-General, zitiert in: The Boston Globe, 8.

April 1999 72 Mary-Wynne Ashford, a.a.O. 73 Federation of American Scientists unter: http://www.fas.org/faspir/2001 74 Michel Chossudovsky, »Washington’s New World Order Weapons Have the Ability to Trigger

Climate Change«, unter: http://www.globalresearch.ca/articles/CHO2O1A.html; Jeane Manning und Nick Begich, Löcher im Himmel. Der geheime Ökokrieg mit dem Ionosphärenheizer HAARP, Zweitausendeins 1996

75 Mother Jones, »Taiwan Wants Bigger Slingshot«, unter: http://www.mujunes.com/arms/taiwan.html 76 Agence France-Presse, 12. Dezember 2001 77 Reuters, 5. Februar 2000 78 Vago Muradian, »Pentagon Sees Bridge to Europe«, Defense Daily, Bd. 204, Nr. 40, 1.

Dezember 1999 79 Ebd. 80 »BAe, EADS Hopeful That Bush Will Broaden Transatlantic Cooperation«, in: Defense Daily

International, 29. Oktober 2001 81 Vgl. Interfax, 1. März 2000 82 New York Times, 15. November 1999 83 Nachzulesen unter: http://www.fas.org/nuke/guide/russia/doctrine/gazeta012400.htm auf der Websi-

te der Federation of American Scientists 84 Mikhail Kozyrev, »The White House Calls for the Fire«, in: Vedomosti, 1. November 1999,

S. 1 85 Zit. in Nicolai Sukov, »Russia’s New National Security Concept. The Nuclear Angle«, Center

for Non Proliferation Studies, unter: http://cns.miis.edu/pubs/reports/sokov2.htm, Januar 2000 86 BBC, »Russia Deploys New Nuclear Missiles«, 27. Dezember 1998 87 V. Tetekin, «Putin’s Ten Blows«, auf der Website von Centre for Research on Globalization,

unter http://www.globalresearch.ca/articles/TET112A.html 88 Ebd. Nachwort 1 Michael Mandel, »This War Is Illegal and Immoral. lt Will Not Prevent Terrorism«, Science

Peace Forum Teachin, 9. Dezember 2001, Centre for Research on Globalization, unter: http://www.globalresearch.ca/articles/MAN112A.html

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Glossar Bretton Woods. In diesem amerikanischen Städtchen fand 1944 jene Währungs- und Finanz-

konferenz der UNO statt, auf der feste Wechselkurse zwischen den Teilnehmerstaaten sowie die Gründung der –>Weltbank und des –>IWF beschlossen wurden. Beide Organisationen werden daher auch als »Bretton-Woods-Institutionen« bezeichnet.

CGIAR: Consultative Group on International Agricultural Research; Konsultativgruppe

für internationale Agrarforschung. Ein 1971 auf Anregung der –>Weltbank gegründeter und von der –>FAO und dem –>UNDP unterstützter Zusammenschluss der (z.Z. 17) internatio-nal führenden Agrarforschungszentren. Dieses Netzwerk wird von 43 Staaten (auch der BRD), 12 internationalen Organisationen sowie Stiftungen getragen. Die CGIAR entwickelt vor allem (lizenzpflichtige) Hochertragssorten für Weizen, Reis und Mais (auch mit gentech-nischen Methoden), was in der Dritten Welt der Kommerzialisierung der ehedem subsisten-zorientierten Landwirtschaft Vorschub leistet.

CIA: Central Intelligence Agency. 1947 gegründete oberste Geheimdienstbehörde der USA.

Über ihren eigentlichen Auftrag hinaus (Beschaffung, Koordination und Auswertung sicher-heitsrelevanter Informationen, Abwehr der Auslandsspionage) befasste sich die CIA im Ost-West-Konflikt mit der (oft illegalen) Planung und Durchführung subversiver Operationen. Seit dem Ende des Kalten Krieges gelten als neue Aufgabenfelder: Bekämpfung des interna-tionalen Terrorismus und des Rauschgifthandels, Beobachtung und Beeinflussung regionaler Konflikte und der Entwicklungen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks, Überwachung der Aktivitäten von »Schurkenstaaten«.

CIMMYT: Centro Internacional de Mejoramiento de Maiz y Trigo; International Maize

and Wheat Improvement Center; Internationales Mais- und Weizenforschungs-institut. Eines der 17 Agrarforschungsinstitute der –>CGIAR mit Sitz in Mexiko, ur-sprünglich aufgebaut von der Rockefeller und der Ford Foundation.

Osteuropabank bzw. EBWE: Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

1991 gegründete internationale Bank zur Unterstützung der Staaten Mittel-, Osteuropas und der ehemaligen UdSSR beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft mit Sitz in London. Zu den Mitgliedern bzw. Anteilseignern der Osteuropabank gehören u.a. die 15 EU-Staaten, die Europäische Investitionsbank (EIB), die Europäische Kommission und die USA.

FAO: Food and Agriculture Organization. 1945 gegründete UN-Sonderorganisation für

Ernährung, Landwirtschaft, Fischerei und Forstwesen mit Sitz in Rom. Aufgaben: Sicherung der weltweiten Nahrungsmittelversorgung, Bekämpfung von Hungersnöten, Durchführung von Entwicklungsprojekten, Genehmigung von Nahrungsmittelhilfen im Rahmen des Welter-nährungsprogramms.

FTAA: Free Trade Area of the Americas. 1994 auf dem OAS-Gipfel in Miami (Florida) von

34 Staaten vereinbarte Freihandelszone für den gesamten amerikanischen Kontinent (außer Kuba), die bis 2005 als Gegengewicht zum Europäischen Binnenmarkt realisiert werden soll.

G 7/G 8: Gruppe der Sieben bzw. der Acht. Ursprünglich informelle Treffen, heute hoch

gerüstete Weltwirtschaftsgipfel der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie-nationen; seit 1975 G 6: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, USA; 1976 Beitritt Kanadas, seither G 7; 1994 Kooptation Russlands, seither G 8.

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GATS: General Agreement on Trade in Services; Allgemeines Abkommen über den Dienstleistungsverkehr. 1994 geschlossenes multilaterales Abkommen zur Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsaustauschs, das neben dem –>GATT und dem –>TRIPS zum Regelsystem der –>WTO gehört. Während das Rahmenabkommen allgemeine Grund-prinzipien (Meistbegünstigung, Transparenz, Nichtdiskriminierung, freier Marktzugang) fi-xiert, sind in Anhängen sektorspezifische (z.B. für die Bereiche Finanzdienstleistungen, Tele-kommunikation, Zivilluftfahrt) und länderspezifische Besonderheiten geregelt.

GATT: General Agreement on Tariffs and Trade; Allgemeines Zoll- und Handelsab-

kommen. 1948 in Kraft getretenes Abkommen zur Erleichterung des internationalen Han-dels. Das GATT, das zu den Sonderorganisationen der UN gehörte, wurde 1996 durch die –>WTO abgelöst. In acht großen Verhandlungsrunden wurden immer neue Zölle gesenkt und andere Handelshemmnisse abgebaut. Die letzte GATT-Runde, die »Uruguay-Runde« (1986 – 93), bezog erstmals auch den Agrar- und den Textilhandel mit ein, verabschiedete das –>GATS und das –>TRIPS und führte schließlich zur Gründung der WTO als Rechts-nachfolgerin des GATT.

GUUAM. Bündnis der fünf ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien, Ukraine, Usbekistan, Aser-

baidschan und Moldawien. Konstituiert ausgerechnet auf dem NATO-Gipfel 1999 in Wa-shington, will diese regionale Sicherheitsallianz »auf niedrigem Niveau« mit der NATO zu-sammenarbeiten. Es geht dabei um die Eindämmung des russischen Einflusses, die »Wie-derbelebung der Seidenstraße« als geopolitisches Projekt und über neue Ölpipelines aus dem kaspischen Raum in den Westen.

IDA: International Development Association; Internationale Entwicklungsorgani-

sation. Eine 1959 gegründete Sonderorganisation der UN und selbstständige Schwesteror-ganisation der –>Weltbank mit Sitz in Washington und z.Z. knapp über 160 Mitgliedslän-dern. Die IDA finanziert Entwicklungsprojekte, v.a. Infrastrukturprojekte in den ärmsten Entwicklungsländern, zu günstigeren Konditionen als die Weltbank (Laufzeit der zinslosen Kredite in der Regel 40 Jahre, Rückzahlung in eigener Währung möglich). Die Mittel stam-men aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten und Gewinnen der Weltbank.

IRRI: International Rice Research Institute; Internationales Reisforschungsinstitut.

Eines der 17 Agrarforschungsinstitute der –>CGIAR mit Sitz auf den Philippinen, das von der Rockefeller Foundation und von der –>Weltbank unterstützt wird.

IWF: International Monetary Fund; Internationaler Währungsfonds. Eine 1945 aufgrund

des Abkommens von –>Bretton Woods gegründete Sonderorganisation der UN zur Überwa-chung des internationalen Währungssystems mit Sitz in Washington und z.Z. mehr als 180 Mitgliedsländern. Ziele: Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspo-litik und des Welthandels sowie Hilfe bei Zahlungsbilanzproblemen. Die Gewährung von Kre-diten ist durchweg mit wirtschaftspolitischen Auflagen verbunden, die stets auf Marktöffnung und Deregulierung abzielen. Jedes IWF-Mitgliedsland hat (nach Maßgabe seines ökonomi-schen Gewichts) ein quotiertes Stimmrecht, wobei den USA aufgrund ihres Stimmenanteils eine Sperrminorität zukommt.

LDC: Less developed countries / LLDC: Least developed countries. Seit 1970 gültige

UN-Kategorisierungen für Entwicklungsländer. Am wenigsten entwickelte Länder haben demzufolge ein Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von weniger als 473 Dollar, einen Anteil der Industrieproduktion am BIP von höchstens 10 Prozent und eine Analphabetenquote von mehr als 80 Prozent. Weniger entwickelten Ländern geht es etwas besser.

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LIC: Low income countries / LMIC: Low middle income countries. Kategorisierungen der –>Weltbank für Entwicklungsländer nach Maßgabe hauptsächlich des Bruttoinlandspro-dukts. Als niedriges Einkommen gilt ein Pro-Kopf-BIP von maximal 785 Dollar, als mittleres Einkommen eines von 3125 Dollar.

Londoner Club. Nach dem Vorbild der Umschuldungsverhandlungen im –>Pariser Club geht

es in diesem Ausschuss um die ungedeckten Kredite der Geschäftsbanken. Im Londoner Club sind also die privaten Gläubiger, sprich: Banker, vertreten.

Mercosur: Mercado Común del Cono Sur; Gemeinsamer Markt im südlichen Latein-

amerika. Eine 1991 von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gegründete, 1995 in Kraft getretene Wirtschaftsunion mit Sitz in Montevideo. Ziele sind die Bildung eines ge-meinsamen Marktes durch stufenweisen Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen sowie die Koordinierung der Wirtschaftspolitik.

NAFTA: North American Free-Trade Area; Nordamerikanische Freihandelszone. Ein

1992 verabredetes und 1994 in Kraft getretenes Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Durch stufenweisen Abbau der Zolltarife und Quoten soll die Freihandelszone für gewerbliche Güter, Dienstleistungen sowie den Kapitalverkehr bis 2010 verwirklicht werden. Besonderheit ist ein asymmetrischer Zollabbau zwischen Mexiko und den beiden nordameri-kanischen Staaten wegen des starken Wirtschaftsgefälles. Das Abkommen sieht ferner eine Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte, die Erleichterung von Investitionen, einheitliche Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums und ein gegenseitiges Mitspracherecht bei der Formulierung von Normen und technischen Vorschriften vor.

OECD: Organization for Economic Co-operation and Development; Organisation für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Eine 1960/61 gegründete Organisa-tion der führenden (derzeit 29) Industrieländer mit beratender Funktion zur Koordinierung vor allem von deren Wirtschafts-, Währungs- und Außenwirtschaftspolitiken. Die OECD hat keine exekutiven Vollmachten, sondern ist eher eine Plattform des wechselseitigen Aus-tauschs. Ihr Pariser Sekretariat (knapp 2000 Beschäftigte) sowie die über 150 Ausschüsse erarbeiten ständig Analysen, Empfehlungen und Informationen – darunter die jährlichen Länderberichte und die halbjährlichen Konjunkturausblicke. Größte Beitragszahler sind die USA und Japan.

Pariser Club. Sammelbegriff für jeweils ad hoc einberufene Umschuldungsverhandlungen

zwischen einem Schuldnerland und seinen Gläubigerländern, wobei es dann immer um öf-fentlich garantierte Kredite und Entwicklungshilfedarlehen geht. Der Pariser Club ist also keine feste Organisation, sondern eine Summe von Verfahrensregeln für akute Schuldenkri-sen, die sich seit 1956 sukzessive herausgebildet haben. Die französische Regierung stellt traditionellerweise die Konferenzräume und andere Ressourcen zur Verfügung.

TRIPS: Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights; Ab-

kommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum. Als in-ternationales Abkommen über Urheber-, Patent- und verwandte Schutzrechte neben dem –>GATT und dem –>GATS der dritte Pfeiler im Regelsystem der –>WTO. Die hier festgeleg-ten Mindeststandards für den Schutz der Rechte am geistigen Eigentum sind vor allem auf die Belange des internationalen Handels abgestellt.

UNCTAD: United Nations Conference on Trade and Development; Konferenz der UNO

für Handel und Entwicklung. 1964 gegründetes Spezialorgan der UN-General-versammlung mit Sitz in Genf und alle vier Jahre an wechselnden Orten stattfindenden Kon-

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ferenzen. Ursprünglich vor allem der Förderung des Handels und dem Technologietransfer zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verpflichtet, scheint sich die UNCTAD nunmehr eher als Dialogforum für Probleme der Globalisierung und Fragen der Armutsbekämpfung zu verstehen.

UNDP: United Nations Development Programme; Weltentwicklungsprogramm, Ent-

wicklungsprogramm der Vereinten Nationen. 1965 gegründetes UN-Spezialorgan zur Finanzierung und Koordinierung der technischen Zusammenarbeit im Rahmen der multilate-ralen Entwicklungshilfe mit Sitz in New York. Dem UNDP sind verschiedene Programme und Sonderfonds zugeordnet.

Weltbank bzw. IBRD: International Bank for Reconstruction and Development; Inter-

nationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. 1944 in –>Bretton Woods geplan-te, 1945 gegründete, seit 1946 tätige Sonderorganisation der UNO mit Sitz in Washington und derzeit mehr als 180 Mitgliedsländern. Nominelle Ziele der Weltbank sind die Reduzie-rung der Armut und die Verbesserung des Lebensstandards durch die Förderung einer nach-haltigen Entwicklung. Das Stimmrecht der Mitgliedsländer entspricht ihrem Anteil am Welt-bankkapital. 5 der 24 Direktoren werden von den 5 Mitgliedsstaaten mit den höchsten Kapi-talanteilen ernannt, Präsident ist immer ein US-Bürger. Neben projektgebundenen Krediten vergibt die Weltbank Programm- und seit der Schuldenkrise auch Strukturanpassungskredite zu marktüblichen Zinsen mit einer Laufzeit von 15 bis 20 Jahren. Zur Weltbankgruppe ge-hört auch die –>IDA.

WTO: World Trade Organization; Welthandelsorganisation. 1994 in Marrakesch gegrün-

dete Sonderorganisation der UNO für den Welthandel mit Sitz in Genf und mehr als 140 Mit-gliedsländern. Im Gegensatz zu den eher losen –>GATT-Runden bildet die WTO einen um-fassenden vertraglichen und institutionellen Rahmen für die Liberalisierung des Welthandels. Für alle Entscheidungen innerhalb der WTO gilt das Konsensprinzip, aber neue Mitgliedslän-der müssen alle bisherigen Entscheidungen (wie den Abbau von Zöllen) vorbehaltlos akzep-tieren.

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Über den Autor

Professor Michel Chossudovsky lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Uni-versität Ottawa. Er las als Gastdozent in Westeuropa, Lateinamerika und Südostasien und war als Berater für zahlreiche Regierungen und Institutio-nen in Entwicklungsländern tätig sowie für Organisationen der Vereinten Nationen. Sein Buch wurde bereits in sieben Sprachen übersetzt. Chossu-dovsky veröffentlicht regelmäßig in Le Monde diplomatique, Third World Resurgence und weiteren Zeitschriften. Seine Artikel werden in über 20 Sprachen übersetzt.