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FRANK BEZNER

Iam non opus est figuris

Konzeptualisierung und Literarisierung des Figuralen bei Peter Abaelard

In einer zentralen Passage seines zwischen 1133 und 1137 verfassten Römerbriefkommentars erörtert Peter Abaelard den Status des Figuralen mit folgenden Überlegungen:

PER CORPUS CHRISTI, hoc est per ipsam praesentiam veritatis in Christo vobis exhibitam. Cuius quidem veritatis umbra in lege praecessit. Postquam enim res ipsa venit quae per se sufficit, iam non opus est figuris illis, quae in signum rei futurae praecesserunt et in spe tantum illius venerabiles exstiterunt, ne si etiam figurae il-lae adhuc perseverarent, adhuc exspectaretur futurum quod iam est praeteritum; et Iudaei adhuc de sua vetustate gloriantes, nostrae in-sultarent novitati et amplius de operibus ipsis quam de fide Christi nonnulli considerent, quam sine operibus minime sufficere crede-rent.

»DURCH DEN LEIB CHRISTI, das heißt durch die schiere Gegenwart der Wahrheit, die Euch in Christo gegeben ist, dessen Wahrheit zur Zeit des Gesetzes lediglich ein Schatten (umbra) vorausging. Denn nun, nach der Ankunft jener eigentlichen Wahrheit (res ipsa), die sich selbst genügt, bedarf es dieser Figuren (figuris illis) nicht mehr, die nur als Zeichen einer kommenden Wahrheit (futurae rei) vorangegangen waren und lediglich als Moment einer Hoffnung auf die Wahrheit verehrungswürdig (venerabiles) gewesen sind: Würde andernfalls doch – wenn diese Figuren (figurae illae) immer noch andauern würden (perseverarent) – immer noch als zukünftig erwartet, was bereits vergangen ist; und würden die Juden doch, immer noch stolz auf ihre Altehrwürdigkeit, in diesem Fall unsere Neuartigkeit beschimpfen, sowie nicht wenige Christen sich mehr an ihren Werken denn am Glauben Christi orientieren, der für sie dann ohne derartige Werke nicht im geringsten hinreichend schiene.«1

Diese Passage enthält nahezu sämtliche Schlüsselaspekte, -begriffe, ja sogar: -metaphern, die für das Problem der figura im Mittelalter konstitu-

1 Peter Abaelard: Expositio in Epistolam ad Romanos. Römerbriefkommentar, über-

setzt und eingeleitet von Rolf PEPPERMÜLLER, 3 Bde. Freiburg u.a. 2000, hier Bd. 2, S. 484 (Übersetzung modifiziert).

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tiv sind: die Bildlichkeit von ›Schatten‹ und ›Vorgängigkeit‹;2 die Ver-knüpfung von Zeichenhaftigkeit und Wahrheit; ein temporal komplexes Ineinander von Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart;3 und schließlich sogar jenes Theologumenon vom corpus Christi, das für die reflexive Dynamik der figura im Mittelalter eine so zentrale Rolle spielt.4 Und doch ist die Passage in mehrfacher Hinsicht überraschend. Zum einen scheint die im Problem des corpus Christi angelegte eucharistische Dynamik hier nämlich gerade n i c h t für das Verständnis des Figuralen von Relevanz zu sein. Zum anderen zieht Abaelard aus dem Arsenal vertrauter Begriffe und Bilder eine n e g a t i v e Konsequenz: wozu noch Schattenhaftigkeit, wenn die res ipsa doch bereits gültig und real präsent ist? Wozu Zeichen, wo es den Christen der Welt aufgegeben ist, sich am neuen christlichen Glauben – nicht an den äußerlichen Werken einer Zeit des Gesetzes – zu orientieren? Und wozu schließlich eine nurmehr leere Dynamik des Tem-poralen, nach der noch hoffnungsvoll erwartet würde, was bereits vergan-gen ist? Iam non opus est figuris illis ...

Schlagwortartig provoziert die griffige conclusio dieser wichtigen (später genauer zu erörternden) Passage ein Bündel von Fragen, die sich im folgenden Versuch, Abaelards Konzeptualisierung und Literarisierung des Figuralen zu erfassen, immer wieder stellen werden: Warum und in welchen gedanklichen Zusammenhängen limitiert – oder gar: kritisiert – Abaelard die Geltung einer Denkfigur, die im Mittelalter nicht nur omni-präsent war, sondern, zumindest aus Erich Auerbachs Perspektive, eine für die Dynamik christlichen Denkens im ganzen konstitutive Rolle spielte? In welchem Verhältnis steht diese Deprivilegierung der Figura zu ihrer doch nicht vernachlässigbaren Präsenz in Abaelards philosophisch-theologischen und literarischen Werken? Und was schließlich impliziert Abaelards dynamisierende Verhandlung der Denkfigur für die Perspektive Erich Auerbachs, ohne dessen Konstruktion eines mittelalterlichen Figu-ralen das Phänomen kaum jenen Status gewonnen hätte, den sie in der Mediävistik (und weit darüber hinaus) genießt?5

Die folgenden Überlegungen analysieren zunächst (I–III) den Status und die Konzeptualisierung des Figuralen in Peter Abaelards philoso-phisch-theologischem Werk und sind dabei lose um eben die drei wichti-

2 Vgl. dazu Erich AUERBACH: Figura, in: Archivum Romanicum 22 (1938), S. 436–

489; wieder in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Romanischen Philologie. Bern 1967, S. 55–92 (zit.).

3 Dazu jetzt Aleksandra PRICA: Heilsgeschichten. Untersuchungen zur mittelalterli-chen Bibelauslegung zwischen Poetik und Exegese. Zürich 2010 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 8).

4 Vgl. Marc-Aeilko ARIS: Figura, in diesem Band. 5 Vgl. dazu unten.

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gen Werkkomplexe gruppiert, in denen die Problematik der figura über-wiegend verhandelt wird: Trinitätstheologie (I), Genesisexegese (II) und Exegese des Römerbriefes (III).6 Dabei geht es weder um eine schlichte Zusammenstellung der disparaten Passagen, an denen Abaelard über das Problem des Figuralen reflektiert oder selbst typologische Exegesen pro-duziert, noch um die Rekonstruktion eines distinkten B e g r i f f e s der Figura, den Abaelard nicht eigentlich entwickelt hat. Zentral ist vielmehr eine ›Archäologie‹ seiner Reflexion – also der Versuch, über eine mög-lichst genaue Lektüre und Kontextualisierung der vereinzelten Stellen die systematische Logik seiner Reflexionsbewegung sowie ansatzweise die ihr zu Grunde liegende diskursive Episteme herauszuarbeiten. Für Abaelards ›Arbeit‹ am Problem des Figuralen – so versucht dieser erste Teil darzule-gen – sind dabei folgende, teils miteinander verschränkte, Dynamisierun-gen zentral: (1) eine umfassende T e x t u a l i s i e r u n g des Figuralen, die den für Auerbach so zentralen Ding- und Geschichtsbezug der Figura neutralisiert, sie zur Sprach-Figur mutieren lässt und damit auch radikal ent-temporalisiert; (2) eine Reinterpretation tradierter Figuren sowie der Figura an sich als E x e m p e l ; (3) eine L i n e a r i s i e r u n g d e r H e i l s g e s c h i c h t e , durch die die Dialektik zwischen Typ und Anti-typ stillgestellt wird und der Eigenwert der Figura, die (nach Auerbach!) nicht eigentlich aufhebbare Autonomie ihrer Geltung, zugunsten einer hierarchischen Stufung bzw. Überwindungslogik aufgegeben ist; (4) eine Konzeption von I n k a r n a t i o n u n d E r l ö s u n g , durch die die Relevanz von Figur und figuraler Deutung für Prozess und Konzeption der Erlösung aus systematischen Gründen limitiert wird; (5) eine über-greifende Aufwertung der Stelle des S u b j e k t s in der Architektur der Problematik, welche der Neutralisierung des erkennenden Subjekts in der Konzeption Erich Auerbach entgegenläuft.7

Wie der zweite Teil (IV–V) zu zeigen versucht, bestimmt eben diese Dynamisierung des Figuralen in Abaelards philosophisch-theologischen

6 Erstaunlicherweise findet sich bislang keine systematische Darstellung von Abae-

lards Konzept der figura. Einen knappen Überblick über Stellen, an denen Abaelard das Problem der typologischen Exegese behandelt, geben Rolf PEPPERMÜLLER: Abaelards Auslegung des Römerbriefes. Münster 1972 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N. F. 10), S. 23–27 und auch Regina HEYDER: Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 586–588 und 383–385. Die folgenden Überlegungen inkludieren auch eine Reihe bislang nicht erörterter Pas-sagen, die sich durch eine Datenbanksuche unter den einschlägigen Begriff (figura und Derivate; mystice und Derivate) ergaben. – Nur ansatzweise und punktuell las-sen sich dabei im Rahmen dieses Aufsatzes Bezüge zu anderen einschlägigen Ver-handlungen des Figuralen in der »Renaissance des zwölften Jahrhunderts« herstel-len.

7 Vgl. dazu unten unter VI.

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Schriften prinzipiell auch die Literarisierung der Denkfigur in den für das Parakletkloster verfassten Hymnen und Planctus.8 Während Abaelards Hymnen dabei ganz aus Abaelards theoretischer Konzeption von Heils-geschichte und Erlösung heraus geschrieben sind (IV), kommt es in sei-nem Planctus über die Tochter Jephthas – in direkter Auseinandersetzung mit der Tradition der typologischen Exegese – zu einer Rekonzeptualisie-rung der alttestamentlichen Figura als einer exemplarisch gedachten, kon-kreten Figur, die als ›Referenzsubjekt‹ diesseits der Auslegung ihren Lesern/Hörern eine gedankliche und emotionale Auseinandersetzung mit grundlegenden spirituellen und monastischen Normen und Praktiken ermöglicht (V). Dass philosophisch-theologische Konzeptualisierung und Literarisierung des Phänomens dabei zusammen erörtert werden, liegt weniger in einer für die lateinischen Milieus dieser wichtigen Schwellen-zeit gegebenen Integration von ›Poesie und Wissen‹ als vielmehr in der Zuspitzung der Problematik, mit der seit Erich Auerbach (und, wenn-gleich anders, Friedrich Ohly) ja stets auch literarische Praxisformen und poetologische Momente verbunden werden. In einer kurzen Schlussüber-legung (VI) sollen schließlich – ansatzweise – einige der Implikationen sichtbar gemacht werden, die sowohl die Ergebnisse wie der Ansatz dieser Untersuchung für die ›starke‹ und diachrone Konstruktion des Figuralen bei Auerbach zeitigen.

I Konzept, Begriff und Wortfeld von figura spielen in Abaelards theologi-schen Werken im Ganzen keine zentrale oder gar konstitutive Rolle – eine Absenz, die sich ebenso aus den spezifischen Erkenntnisinteressen Abae-lards wie aus den spezifischen Gattungen seiner theologischen Werke ergibt.9 Im Bereich der spekulativen Theologie kreist Abaelards Reflexion

8 Da dieser Beitrag strikt auf Abaelards Konzept des Figuralen beschränkt ist (und

sein muss), kann ich diese – nicht selbstverständliche, implikationsreiche und ver-mutlich kontroverse – Auffassung oder These an dieser Stelle nicht begründen, sondern behalte mir dies für einen in Arbeit befindlichen Aufsatz zu Abaelards Planctus vor. Nur soviel: auf der Grundlage von Cornelius Castoriadis Konzept eines gesellschaftlich – oder hier: institutionellen – ›Imaginären‹ versuche ich die Schriften der 1130er Jahre (auch die Historia Calamitatum) als Produktion des und Arbeit am Imaginären des Paraklet zu begreifen; damit, so eine These, wird sowohl die eher reduktive Konzeption eines ›Gründerbuches‹ vermieden wie die Aporien, die entstehen, wenn Abaelards Literatur zu einseitig als Form seines Denkens begriffen wird.

9 Zu Abaelards Theologien Jean JOLIVET: Arts du language chez Abelard. Paris 1981 sowie jetzt auch Ingo KLITZSCH: Die Theologien des Peter Abaelard. Genetisch-

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nämlich nicht um heilsgeschichtliche, sondern um trinitätstheologische Fragen, deren zentrale Herausforderung für Abaelard in einer vernunft-geleiteten Plausibilisierung des Trinitätsbegriffes liegt; was die Abend-mahlsproblematik anbelangt, so kennt er die mit ihr verbundenen Fragen von Figuralität und Stellvertreterschaft zwar gut, lehnt eine Diskussion allerdings – nach der Berengar-Affaire aus politischen Gründen – explizit ab, ja instrumentalisiert diese recusatio, um sich gegen die von ihm atta-ckierten (bzw. konstruierten) Pseudo-Philosophen zu profilieren.10 Blickt man ferner auf sein im eigentlichen Sinne exegetisches Werk, so zeigt sich, dass die von ihm ausgelegten Texte nicht zwangsläufig typologische Deutungen provozieren oder unausweichlich machen: Die Exegese des Sechstagewerkes steht seit Augustins De Genesi ad litteram im Zeichen literaler und naturphilosophisch inspirierter Exegese; und hieße, den Römerbrief, der sich selbst als Auslegung alttestamentlicher Typen ver-steht, typologisch zu begreifen, nicht »Allegoresen weitere Allegoresen hinzuzufügen«?11 Es wäre vor diesem Hintergrund methodisch problema-tisch, die vereinzelten Stellen und Passagen, an denen Abaelard über das Problem von Figura oder figuraler Exegese reflektiert (oder selbst typolo-gische Deutungen produziert), zu isolieren: Ihre Logik erhellt allein, wenn sie auf die gedanklichen Kontext bezogen bleiben, dessen Teil sie sind.

Zunächst also zur Rolle der Figura im Rahmen der Abaelardschen Trinitätstheologie. Peter Abaelard hat sich nahezu kontinuierlich mit der Frage beschäftigt, wie sich die offenbarte Lehre von der Trinität über eine rationale Argumentation durchsichtig machen und in ihrer Geltung wider (fiktive) philosophische Einwände gegen ihre vordergründigen Parado-xien verteidigen ließe: Seine drei, jeweils in verschiedenen Redaktionen überlieferten trinitätstheologischen Hauptwerke sind dabei weniger sepa-rate Einzelstudien als vielmehr Kristallisationskeime einer kontinuierli-chen theologischen Reflexion, die ungeachtet spezifischer Erweiterungen,

kontextuelle Analyse und theologiegeschichtliche Relektüre. Leipzig 2010 (Arbei-ten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 29).

10 Vgl. die bei Petrus Abaelardus: Sic et Non. A Critical Edition, hg. von Blanche B. BOYER, Richard MCKEON. Chicago 1976, Quaestio 117, S. 381–383. zitierten Autoritäten zur Problematik sowie die Zurückweisung der Relevanz der Frage in Peter Abaelard: Theologia Christiana, in: Petri Abaelardi Opera Theologica, Bd. II, hg. von Eligius BUYTAERT. Brepols 1969 (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 12), S. 303: Sed nec adhuc illam summam controuersiam de sacramento altaris, utrum uidelicet panis ille qui uidetur figura tantum sit dominici corporis, an etiam ueritas substantiae ipsius dominicae carnis, finem accepisse certum est; et innu-meras alias in quarum quotidianis relationibus frequenter obstupescimus, quae nec per incendia eorum qui a populo deprehenduntur compesci possunt.

11 So Rolf PEPPERMÜLLER, Abaelards Auslegung (Anm. 6), S. 24.

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Umstellungen oder Zuspitzungen auf einer Reihe konstanter argumenta-tiver Bausteine beruht.12

Eine der wichtigsten dieser spekulativen Konstanten ist Abaelards Lehre einer prä-christlichen Offenbarung der Trinität: Teils durch sug-gestive Montage, teils durch Interpretation der ausführlich zitierten Auto-ritäten versucht er nachzuweisen, dass eine Reihe von Texten der jüdi-schen und (antiken) philosophischen Tradition von einer rational gewonnenen Einsicht in jene trinitarische Grundstruktur von potentia, discretio und amor zeugen, die das Christentum als Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist bezeichnet. Zentral für diesen Nachweis ist dabei eine Hermeneutik des Hintersinnes, die Abaelard aus einer ›nominalistischen‹ (oder besser: de-reifikatorischen) Perspektive entwi-ckelt, die ihn die Semantik der Gottesrede in ihren unhintergehbaren Komplikationen und Grenzen untersuchen lässt.13 Was ihn dabei interes-siert, ist die semantisch zu dekodierende, ›nachzuvollziehende‹ Verhül-lungslogik, und damit Erkenntnisleistung, der griechischen Philosophen: Chiffren und Metaphern ähnlich, sind Philosopheme wie die anima mundi kalkuliert produzierte – über eine prinzipielle ineffabilitas des Höchsten legitimierbare – integumentale Verhüllungen, die als translationes prinzi-piell der Logik der christlichen Gottesrede entsprechen (welche bei Abae-lard im übrigen immer wieder als figurativa locutio beschrieben wird).14 Diese semantische Perspektivierung erstreckt sich dabei – und das ist für seine Konzeptualisierung des Figuralen zentral – auch auf reale alttesta-mentliche figurae, deren Existenz Abaelard folgendermaßen erklärt:

In tantum uero in ipsa factura sua delectatur Deus, ut frequenter ipsis rerum naturis quas creauit, se figurari magis quam uerbis nos-tris quae nos confinximus aut inuenimus exprimi uelit, et magis ipsa rerum similitudine quam uerborum nostrorum gaudeat pro-prietate, ut ad eloquentiae uenustatem ipsis rerum naturis iuxta ali-quam similitudinem pro uerbis Scriptura malit uti, quam propriae locutionis integritatem sequi. Nemo itaque me culpare praesumat, si ad propositum nostrum ostendendum aliquas, uel ex nobis uel ex philosophis, similitudines induxero, quibus facilius aperire quod desidero possim.

12 Zu Abaelards Konzeption der Trinität vgl. etwa die ausgiebigen Referate bei

KLITZSCH, Abaelards Theologien (Anm. 9), S. 58–164, 279–281. 13 Vgl. dazu Frank BEZNER: Vela Veritatis. Hermeneutik, Wissen und Sprache in der

Intellectual History des 12. Jahrhunderts. Leiden, Köln 2005 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte und Philosophie des Mittelalters 85), hier S. 124–161.

14 Vgl. z.B. Peter Abaelard, Theologia Christiana (Anm. 10), S. 115–117 mit BEZNER, Vela Veritatis (Anm. 13), S. 142–150. Zu Abaelards Konzept der translatio neben der Studie von JOLIVET, Arts du language (Anm. 9) auch KLITZSCH, Abaelards Theologien (Anm. 9), S. 150–153.

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»So sehr erfreut sich der Herr an der von ihm geschaffenen Welt, dass er sich lieber in der von ihm geschaffenen Natur der Dinge abbildet (se figurari), als durch unsere Worte, die schließlich wir erdichten oder uns ausdenken; mehr ergötzt er sich damit an den Ähnlichkeiten zwischen den Dingen denn an der Korrektheit unse-rer Worte, so dass es die Heilige Schrift vorzieht, zur Steigerung ihrer sprachlichen Anmut gemäß der Ähnlichkeit der Dinge sich der Natur der Dinge zu bedienen, als die Integrität eigentlicher Rede zu bewahren.«15

Über die in dieser Passage betonte Opposition zwischen den von Gott ›benutzten‹ Dingen und den erfundenen Worten der Menschen16 hätte sich durchaus eine Dynamik des Figuralen konstruieren lassen, die an der Dinghaftigkeit der Geschöpfe als Offenbarungsmomenten ansetzt und diese Offenbarungslogik im weitesten Sinne historisch, temporal konzep-tualisiert: Genau diese Dinghaftigkeit ist es, die in Auerbachs Konzeptua-lisierung als entscheidendes proprium des Figuralen betont wird, durch das sie sich von der nurmehr sprach- oder auslegungsbezogenen Allegorie unterscheidet. Auf vergleichbare (aber nicht identische) Weise – so hat Friedrich Ohly mehrfach betont – lässt überdies auch Hugo von St. Vik-tor im Anschluss an Augustinus den privilegierten Status des biblischen, göttlich inspirierten Bedeutens gerade darin begründet sein, dass in den göttlich inspirierten Büchern Dinge (res) zu Bedeutungsträgern werden.

Abaelard dagegen versteht Gottes ›Freude‹ durchgehend als Freude über eine überlegene ›Rhetorik‹, die Eloquenz und Anmut allerdings nicht schlicht über Stilfiguren, sondern über eine Logik von Ähnlichkeit und Analogien erzeugt: Die von Gott benutzten Dinge sind somit weder tem-poral als Momente in einer heilsgeschichtlich determinierten Serie von res bedeutsam noch über eine Logik von Verweis und Erfüllung: Sie ›bedeu-ten‹ vielmehr iuxta aliquam similitudinem – und erweisen sich damit, ganz im Sinne der rhetorisch-grammatischen Tradition, als Metaphern, die auf einem tertium comparationis beruhen und vom theologicus entziffert, ver-standen werden können, sofern er in der Analyse übertragener Sprechwei-sen geschult ist, also über das nötige Wissen aus dem Bereich der Artes verfügt.

Abaelard geht es somit auch im Hinblick auf die Typen des Alten Testaments darum, jene Verschiebung einer in theologicis stets übertrage-nen locutio zu beschreiben, die für seine Konzeptualisierung der Theolo- 15 Peter Abaelard, Theologia Christiana (Anm. 10), S. 198. 16 Zu dieser Passage auch Peter VON MOOS: Was galt im lateinischen Mittelalter als

das Literarische an der Literatur? Eine theologisch-rhetorische Antwort des 12. Jahrhunderts, in: Joachim HEINZLE (Hg.): Literarische Interessenbildung im Mittelalter. Stuttgart 1993 (Germanistische Symposien-Berichtsbände 14), S. 431–451.

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gie als Sprachanalyse konstitutiv ist. In einer für die vorscholastische Hermeneutik charakteristischen Weise werden bedeutungstragende res damit zu ›textuell‹ repräsentierten Dingen, deren Dynamik-im-Text, nicht deren Zeitlichkeit, im Vordergrund steht: eine Textualisierung, die sich im übrigen – und hier wäre Auerbach nachdrücklich zu widersprechen – ideengeschichtlich auf Augustinus’ De Doctrina Christiana zurückführen lässt.17

Im 12. Jahrhundert erweist sich diese Textualisierung freilich als Konsequenz eines umfassenden Linguistic turn, im Zuge dessen philoso-phische und theologische Probleme als sprachliche Probleme reformuliert und in eine (im weiteren Sinne) ›scholastische‹ Episteme überführt wer-den.18 Mit seiner Textualisierung gerade des Figuralen ist Abaelard dabei nicht isoliert: Bei genauerem Hinblick findet sich eine vergleichbare Reduktion auch bei Hugo von St. Viktor (zumindest in seinen eher kon-zeptionell angelegten Schriften), dessen Aufwertung der historia als Fun-dament der Exegese weniger temporal denn vielmehr primär ›sprachlich‹ gedacht ist: eine (im Kern augustinische) Position, die sich wirkmächtig auch bei Thomas von Aquin findet.19 Wichtig auch die Überlegungen im Policraticus des Johannes von Salisbury, in denen der ›Schüler‹ Abaelards und Hugos von St. Viktor radikal auf die Spannungen verweist, die sich aus der Konzeption textualisierter Dinge ergeben; Theologen wie Thomas von Chobham oder Simon von Tournai werden am Wendepunkt zur Hochscholastik versuchen, die Dinghaftigkeit und den Sprachmodus zu vermitteln, um die Bedeutsamkeit der Dinge zu ›retten‹ – um Temporali-tät freilich geht es auch hier aufgrund der vorgängigen Versprachlichung des Phänomens gerade nicht.20

Über diese Textualisierung des Figuralen nähern sich die von Auer-bach ›getrennten‹ Praktiken von figura und Allegorie gefährlich an – und die fundamentale Differenzierung zwischen einer textuellen Praxis (der Auerbachschen Allegorie) und einer temporalen Dynamik (qua figura) ist bei Abaelard sowie über ihn hinaus im Verwissenschaftlichungsschub des 12. Jahrhunderts bereits im Ansatz gerade n i c h t gegeben, sondern im Gegenteil konzeptionell neutralisiert. Wie die folgenden Überlegungen zu Abaelards Genesisexegese und Römerbriefkommentar zeigen werden, findet sich in Abaelards Werk nahezu keine Reflexion zur Problematik des Figuralen, die nicht, sei es explizit oder implizit von dieser funda-

17 Man vgl. nur Augustinus: De doctrina Christiana, hg. v. Joseph MARTIN. Turn-

hout 1962 (Corpus Christianorum. Series Latina 32-IV, 1), hier etwa S. 7–9. 18 Hierzu BEZNER, Vela Veritatis (Anm. 13), S. 557–559, 629–631. 19 Vgl. etwa die einschlägige Studie von Beryl SMALLEY: The Study of the Bible in the

Middle Ages. Oxford 1984, hier S. 83–97. 20 Hierzu BEZNER, Vela Veritatis (Anm. 13), S. 596–629.

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mentalen Auffassung des Figuralen als genuin sprachlicher Dynamik geprägt wäre.

II Zu Beginn seiner Exegese des Sechstagewerks verpflichtet sich Abaelard auf eine dreifache Auslegung des biblischen Textes, die den »immensen Abgrund der Genesis« durch eine historisch-literale, moralische und typo-logische Lektüre zugänglich macht.21 Augustin folgend, den er bereits in der vorangegangenen praefatio ob seiner Betonung des literalen Sinnes der Genesis gelobt hatte,22 lässt Abaelard – nicht untypisch für das 12. Jahr-hundert – diese dreifache Perspektive programmatisch auf die historia gegründet sein, deren Auslegung dann auch im Vordergrund des gesamten Werkes stehen wird.23 In der darauf folgenden Präzisierung seines Stand-punktes ist von der mistica expositio (und ebenso von der moralis interpre-tatio) allerdings dann nicht mehr die Rede; vielmehr erläutert Abaelard, in welchem konzeptionellen Rahmen sich seine folgende Exegese entfalten wird, und erörtert dazu die spezifische Textualität der Genesis: Seine Konzeption oszilliert dabei – in einer für Abaelard typischen Weise – zwi-schen zwei aufeinander bezogenen, aber nicht ganz spannungsfreien Polen.

Zum einen begreift er das Hexameron nämlich als einen von Moses verfassten T e x t , den er von daher den typischen Fragen eines Accessus ad auctorem unterwirft.24 Der biblische Bericht erscheint dabei als diligens narratio, mit der ein göttlich inspirierter Moses beabsichtigt, ein noch ungebildetes, keinen Regeln vertrauendes Volk zur institutionalisierten 21 Peter Abaelard: Expositio in Hexameron, unter Mitwirkung von David LUSCOMBE

hg. von Mary ROMIG. Turnhout 2004 (Corpus Christianorum. Continuatio Medi-aevalis 15), hier S. 5: Immensam igitur habissum profunditatis Geneseos triplici per-scrutantes expositione, historica scilicet, morali et mistica, ipsum inuocemus spiritum quo dictante hec scripta sunt. Zur Stelle vgl. Rolf PEPPERMÜLLER, Abaelards Ausle-gung (Anm. 6), S. 23–25 und Regina HEYDER: Auctoritas Scripturae. Schrift-auslegung und Theologieverständnis Peter Abaelards unter besonderer Berück-sichtigung des Expositio in »Hexaemeron« [sic]. Münster 2010 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N. F. 74), hier S. 369f.

22 Vgl. Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 4f. 23 Ebd., S. 5: Primo itaque, prout ipse annuerit, immo dederit, rei geste ueritatem quasi

historicam figamus radicem. Zur Relevanz der littera als Auslegungsbasis etwa die Zusammenfassung der Forschungslage bei HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 263–306 (mit 305f. zu wichtigen Unterschieden zwischen Abaelard und Hugo von St. Viktor).

24 Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 6f., wo sich alle im folgen-den Absatz zitierten Passagen und Begriffe finden.

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Verehrung Gottes zu bewegen (ad divinum cultum allicere). Dass Moses als Form dieser Erziehung dabei einen quasi-historischen Bericht über die Entstehung der Welt wählt, hat mehrere Gründe: Das nicht wirklich ›spi-rituelle‹, sondern dem Fleisch verpflichtete Volk der Juden bedarf einer ganz auf die Sinne zielenden Erzählung; umgekehrt, so Abaelard mit Pau-lus, ist es gerade die Schöpfung selbst, aus deren Struktur und Disposition sich Gott erkennen lässt.25 Aus diesem einschlägigen Paulus-Zitat ergibt sich die zweite grundsätzliche Dimension der Abaelardschen Auffassung der Textualität der Genesis. So sehr Moses nämlich ›seine‹ Genesis als spezifische Rhetorik zur Persuasion der Israeliten konzipiert hat, referiert und erzählt er doch auch stets die Fakten, Etappen und Mechanismen einer ›realen‹ creatio der Welt durch Gott; sein insofern wahrer Bericht erzählt von daher stets auch von einer gnadenhaften divina operatio oder dispositio. Beide Perspektiven verschmelzen dabei insofern, als Moses’ Text gerade von daher so persuasiv zu sein vermag, als das von ihm berichtete Geschehen ja von einer divina operatio motiviert und durch sie strukturiert sei.

Diese doppelte Grundlegung hat wichtige Implikationen für die Möglichkeit und Reichweite des Typologischen. Im Rahmen dieser Grundlegung rekonzeptualisiert Abaelard nämlich zunächst die tradierte, für die Konstruktion figuraler Bedeutung ebenso zentrale wie folgen-schwere Opposition zwischen jüdischer carnalitas und christlicher spiri-tualitas. Christliche Spiritualität – und das heißt hier stets: die Ausle-gungskompetenz und -methodik Abaelards selbst – etabliert sich hier gerade nicht über die Konstruktion einer überlegenen figuralen Deutung, sondern über einen dem Literalsinn nachspürenden Nachvollzug des mosaischen Erziehungsprogramms. Der christliche Exeget (oder Leser) hat gerade nicht figurale Relationen aufzudecken, die die Realität des Alten Testaments mit der Erlösungswirklichkeit eines Neuen Bundes ver-binden, sondern muss auf der Basis seines Verständnisses des Textes (und Moses’ Erziehungsprogramm) den göttlichen Schöpfungsprozesses dar-aufhin durchsichtig machen, »welchen Gehorsam [auch] er Gott schul-det« und wird damit für den Gottesdienst gewonnen; jüdische Adressaten und christlicher Leser nähern sich in dieser Hinsicht an – die literale Ebene wird für Juden wie Christen relevant, Figuralität dagegen gerade nicht zur Konstruktion eines ›hermeneutischen Juden‹ missbraucht.26

25 Röm 1, 20, vgl. Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 6: De qua

quidem operatione ad cognitionem opificis nos perducente apostolus ait: Invisibilia ipsius a creatura mundi per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur.

26 Vgl. dazu HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 379–385, insb. 382f. Die zitierte Stelle findet sich in Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 13.

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Ebensowenig geht es um eine Logik der Erfüllung oder ein damit verbun-denes Konzept von Temporalität. Für das Verständnis des Mosaischen Textes ist es als Konsequenz von Abaelards hermeneutischer Grundle-gung vielmehr von zentraler Bedeutung, Moses’ Rhetorik als Moment einer Erziehung des jüdischen Volkes zu begreifen sowie diese narratio auf die Implikationen von Gottes aktualem Schöpfungshandeln hin durchsichtig zu machen. Typologische Deutungen sind von daher, wie Regina Heyder in ihrer einschlägigen Studie scharfsinnig bemerkt, zwar »nicht ausgeschlossen«, können aber apriori »weder Dominanz noch Exklusivität beanspruchen«.27 Positiv gewendet: Wann immer sich Figu-ren oder figurale Deutungen in Abaelards Exegese finden, sind sie aprio-risch entweder als Sprechweise Moses’ im Rahmen seiner Rhetorik der Erziehung zu verstehen oder als Reflex bzw. Zeugnis einer gnadenhaften divina operatio mit universaler Bedeutung. Über die berühmte Passage Röm 1, 19–20 wird dabei ganz grundsätzlich weniger ein im eigentlichen Sinne figurales denn ein zwischen Analogie und Anagogie angesiedeltes Verhältnis zwischen Altem Testament (bzw. in ihm repräsentierter Schöpfung) und christlicher Gegenwart konstruiert.

Dass Abaelards theoretische Konzeptualisierung auch seiner prakti-schen Exegese unterliegt, zeigt sich deutlich an seiner Interpretation von Gen 1, 7, der Teilung der Wasser über dem Firmament.28 In einer langen Reflexion setzt sich Abaelard mit einer Reihe von – im 12. Jahrhundert teils brisanten, hier allerdings nicht relevanten – Fragen wie der Existenz gefrorener Wasser über dem Firmament oder der Bedeutung von dies im Rahmen des Schöpfungsberichts auseinander. Warum aber, so die Abschlussfrage dieser Überlegungen, bezeichnet der biblische Bericht nun aber diesen wichtigen Tag – anders als andere Tage – nicht als ›gut‹? Dem Menschen, so Abaelard, ist es an dieser Stelle noch nicht möglich, die all-gemeine utilitas des göttlichen Handelns – und das heißt hier: der Schaf-fung und teilweisen Festigung der Wasser – zu erkennen, da es diese Was-ser noch zu stabilisieren gelte. Der Prophet Moses – der unter den von ihm erzählten biblischen Tagen nicht diskrete chronologische Einheiten, sondern diskrete Etappen seines Bildungsprogramms begreift29 – hat dies verstanden und ein entsprechendes et vidit quod esset bonum bewusst nicht verwendet. Moses, so Abaelard, vermeidet eine derartige Wendung dabei als Folge seines Verständnisses des Schöpfungsprozesses, aber ins-

27 HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 384. 28 Das Folgende nach Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 30–35.

Diskussion dieser Passage bei HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 306–352.

29 Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 32f. insb. Paragraphen 115 und 118f.

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besondere im Blick auf seine Leser. Wusste er doch, dass ein entsprechen-des bonum im Hinblick auf die künftige Taufe zur Konstruktion einer – dann notwendig misslungenen – figura geführt hätte: Noch nicht stabili-sierte Wasser, die die gesamte Welt bedecken, würden als Präfiguration der (Wasser der) Taufe verstanden, einer Taufe indes, welche nicht nur vom Makel mangelnder Ordnung befleckt wäre, sondern aufgrund der Rede von den ›alles‹ bedeckenden Wassern den Eindruck einer indistink-ten Vergebung jedweder multitudo peccatorum erwecken würde.30 Die durch Moses sprachliche Intelligenz vermiedene, falsche Figuralität ist dabei offensichtlich ganz aus einer intratextuellen Dynamik, einem Bezeichnungswillen gedacht (bzw. in ihrer Negativität möglich), der sich einer im weiteren Sinne edukativen Absicht verdankt. Anders gewendet: Die Bedingung der Möglichkeit des Typologischen liegt nicht in Faktizi-tät oder Geschichtlichkeit, sondern in der pädagogisch motivierten Dar-stellung der Weltentstehung durch Moses, und das heißt auch in Sprache, nicht in Wirklichkeit.31

Erst mit Gen 1, 22 ist dann die Voraussetzung für die Konstruktion einer gelingenden, edukativ sinnvollen figura gegeben, welche gültig auf das künftige Sakrament der Taufe verweist. Zentral dafür ist die von Gott vorgenommene ›Segnung‹ der aus dem Wasser geschaffenen Tiere und Menschen – ein göttlicher Akt, den Moses durch seine locutio als Figur (typus) einer durch die Taufe repräsentierten und perfomierten ›Regene-ration aus dem Wasser‹ gefasst hat.32 Abaelard zitiert in diesem Kontext ebenfalls Moses’ Rede von der »lebendigen und beweglichen« Seele, die im biblischen Bericht nur den aus dem Wasser hervorgegangenen Lebewesen zugeschrieben wird – auch diese locutio beziehe sich am ehesten auf das Sakrament der Taufe (plurimum sacramento baptismi congruere videtur), durch das ein Übergang vom alten zum neuen Adam erfolge.33

30 Vgl. ebd., S. 36: nec illam corporalem superiorum aquarum suspensionem ut univer-

sum operirent mundum, commendare propheta uoluit, prouidens baptismum in aquis futurum ad quamlbet peccatorum multitudinem operiendam in his superpositis aquis figurari. – Anders akzentuiert die sehr knappe Bemerkung zu dieser Stelle bei HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 466.

31 Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 55. Die von Abaelard in diesem Zusammenhang mitdiskutierte Problematik der Zirkumzision ist hier nicht zu berücksichtigen.

32 Siehe ebd., S. 55f.: BENEDIXIT EIS, tamquam si diceret ›typum sanctificationis rege-nerandorum ex aqua‹ (»Das ›er segnete sie‹ muss also so verstanden werden, als hätte er gesagt ›er stellte schon zu diesem Zeitpunkt eine Figur bereit für die Hei-ligung derer, die aus dem Wasser wiedergeboren werden müssen‹«).

33 Ebd., S. 56: ubi a peccato liberati et quasi de morte suscitati, per uiuificatorem spiri-tum nasci ac uiuere in deo incipimus, ac de ueteri Adam in nouum promouemur et in membra Christi transformamur. (»in welcher wir, von der Sünde befreit und gewis-

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Trotz der in diesen Passagen evozierten figuralen Denkformen (typus, de ueteri Adam in novum) ist die figurale Relation erneut deutlich von Abaelards Perspektive geprägt. Das tale est ac si diceret und das fol-gende bene sit dictum, mit dem er die Gleichsetzung von Taufe und exklu-siver Segnung der nur aus dem Wasser geschaffenen Tiere abschließt,34 zeigen, dass sich Abaelards figurale Exegese ganz in der Grundspannung seines in der Praefatio dargelegten hermeneutischen Ansatzes bewegt. Im Modus seiner locutio hat Moses eine in der göttlichen Schöpfung reali-sierte Struktur göttlichen Handelns gesehen, die dem später gestifteten Sakrament – besser: der im später gestifteten Sakrament wirksamen gött-lichen Gnade – strukturell entspricht; diese Erkenntnis bzw. Redeweise ist zugleich Teil von Moses’ Intention, die den Sinnen verhafteten Juden zur Verehrung des wahren Gottes zu bewegen. Im Ganzen ist die heilsge-schichtliche Konstellation damit zum Interpretament geworden, das eine – dem Schöpfer/Autor der figura nicht notwendig zur Gänze aperte – Erkenntnis(leistung) transparent macht, welche gleichwohl auf ein ›reales‹ göttliches Wirken vorausweist; ein prinzipieller Unterschied zu anderen uneigentlichen Sprechweisen, zu den ›Verhüllungen‹ oder Metaphern der Philosophen etwa, besteht nicht: Moses wie auch Platon erkennen und benennen über ihre nicht-eigentliche Sprechweise Strukturen, die der Christ Abaelard als wirkliche Strukturen des christlichen Glaubens nam-haft zu machen vermag.

Im Hauptteil von Abaelards Exegese des Sechstagewerks finden sich keine weiteren signifikanten Figuraldeutungen (oder -reflexionen). Aller-dings hat Abaelard seiner Hauptauslegung eine – allerdings weit knappere – Coda angehängt, in der er der literalen Auslegung – wie in der Praefatio angekündigt – eine moralische und typologische folgen lässt. Anders als die vorangegangene literale Auslegung prozediert diese Coda freilich nicht mehr ad litteram, sondern summarisch, und ist im Ganzen weit weniger sorgfältig gearbeitet.35 Seine Ankündigung einer triplex expositio aus der Praefatio aufgreifend, definiert Abaelard zunächst die beiden Aus-legungsebenen:

sermaßen vom Tode auferweckt, durch einen lebensspendenden Geist erstmals geboren werden und in Gott zu leben beginnen sowie vom alten Adam zum neuen übergehen und in die Glieder Christi verwandelt werden«).

34 Ebd., S. 56. 35 Diese Coda umfasst in der Edition Romigs knapp fünf Druckseiten (Peter Abae-

lard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 77–82), von denen ca. die Hälfte einer typologischen Deutung gewidmet sind. Die literale Auslegung von Genesis 1, der Hauptteil des Kommentars, umfasst demgegenüber ca. 70 Seiten! Darstellung und Analyse dieser Coda bei HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 586–612.

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Quoniam ea que predicta sunt iuxta radicem historie ac ueritatem rei geste quantum ualuimus prosecuti sumus, iuuat morali quoque ac postmodum mistica expositione nos eadem perquirere [...] Mis-tica uero dicitur expositio cum ea prefigurari docemus, que a tem-pore gratie per Christum fuerant consummanda, uel quecumque historia futura presignari ostenditur.

»Da wir nun das Vorangegangene – soweit wir es vermochten – ganz auf der Grundlage der Geschichte und der Wahrheit des Geschehenen gemäß behandelt haben, möchten wir dieselben Pas-sagen nun in einer moralischen und danach in einer mystischen Auslegung erörtern. [...] ›Mystisch‹ wird eine Auslegung dabei dann genannt, wenn wir zeigen, dass dasjenige, was von der Zeit der Gnade an durch Christus zu erfüllen war, präfiguriert wird, oder wenn gezeigt werden kann, dass ein beliebiges vergangenes Ereignis auf die Zukunft weist.«36

Vergleichbare Bestimmungen figuraler Exegese finden sich auch in Abae-lards anderen Werken – und scheinen hier wie dort, gerade mit Blick auf die von ihm verwendeten Quellen und topischen Versatzstücke, ver-

36 Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 77. Die Wendung uel que-

cumque ... ostenditur ist syntaktisch verwirrend und erklärungsbedürftig: PEPPER-

MÜLLER, Abaelards Auslegung (Anm. 6), S. 23, versteht das vel quaecumque als zweites Glied des mit que a tempore beginnenden Relativsatzes und schlägt vor, os-tenditur zu ostenduntur zu emendieren; dies ist zwar elegant, doch die resultierende Übersetzung (»wenn wir lehren, dass das vorgebildet ist ... was, wie sich durch die Geschichte erweist, als künftig vorherbezeichnet wird«) kann nicht ganz befriedi-gen, da wegen des ›Aufweises durch die Geschichte‹ wohl ein Infinitiv Perfekt (praesignata esse) präziser gewesen wäre; dazu kommt, dass historia hier als Prozess gedacht ist sowie vor allem durch die Wortstellung wohl schwer als Ablativ ver-ständlich wäre. Heyders Übersetzung »[...] dass ein beliebiges künftiges Ereignis angedeutet ist« (HEYDER, Auctoritas Scripturae, S. 607) fasst quecumque zwar richtig als adjektivisch gebraucht, verfehlt aber die Semantik von historia, da histo-ria nicht unmarkiert Ereignis bedeutet und die Wendung »ein beliebiges künftiges Ereignis« auf Lateinisch wohl eher als quecumque res futura ausgedrückt worden wäre. Meine obige Übersetzung versteht vel quecumque aufgrund der temporalen wie semantischen Parallelität von docemus und ostenditur – adjektivisch auf historia bezogen – als Fortsetzung des cum-Satzes. Bei Beibehaltung des einhellig überlie-ferten Wortlautes wäre dann wohl zu übersetzen: »wenn von einem beliebigen his-torischen Ereignis gezeigt werden kann, dass es im Voraus (pre) als zukünftig (futura, prädikativ) bezeichnet wird.« Weit sinnvoller scheint mir freilich, presignari (welches wohl kaum als Deponens zu verstehen ist) zu presignare zu verbessern (e/i-Verwechslungen sind bekanntlich häufig und das vorangegangene prefigurari könnte einen falschen Parallelismus erzeugt haben). – Die Sache selbst allerdings ist relativ klar: Abaelard will zum Ausdruck bringen, dass beliebige historische Ereignisse auch unabhängig von einer Erfüllung im Neuen Bund eine figurale Zukunftsdimension, etwa eine ›Präfiguration‹ innerhalb des Alten oder innerhalb des Neuen Bundes, besitzen; vgl. dazu auch die folgenden Ausführungen.

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gleichsweise unbedeutend und wenig originell.37 Bei genauerer Lektüre zeigt sich allerdings, dass Abaelard eine Reihe zwar unscheinbarer, aber doch äußerst implikationsreicher Umdeutungen vornimmt. Zunächst einmal fällt auf, dass Abaelard moralisches und figurales Bedeuten (erneut) ganz aus einer auf Sprachlichkeit und Auslegung bezogenen Per-spektive heraus bestimmt: So liegt eine moralische Exegese vor, wenn das Gesagte (ea, que dicuntur) auf die aedificatio der Menschen bezogen wird (sic applicantur); eine figurale dagegen, wenn »wir lehren« (docemus) oder »wenn gezeigt werden kann« (ostenditur), dass ein beliebiges Moment des alttestamentlichen Textes eine auf die Zukunft weisende Dimension besitzt. Diese hermeneutische Perspektive entspricht dabei genau der Definition des Figuralen in Abaelards Römerbriefkommentar, in dem er die figurale Relation als mystische und das heißt: nicht transparente ›Sprechweise‹ fasst (mistica locutio, quae non est aperta).38 Nicht Gott überdies oder der Spiritus Sanctus stehen bei dieser Definition als göttli-che Autoren im Vordergrund, deren ›Sprache‹ auch die res der Geschichte miteinschließen würde, sondern der Exeget (docemus, ostenditur). Neu dagegen ist, dass Abaelard die tradierte Bestimmung der figuralen Rela-tion als Vorzeichen einer künftiger Erfüllung einer alttestamentlichen res in Christus um eine weit offenere Dimension ergänzt: Denn was der Exe-get in seiner mistica expositio zu zeigen hat, ist ja nun gerade nicht mehr nur die binäre Temporalität von Typus und Antitypus, die Abaelard hier in charakteristischer Paradoxie als Ineinander von Vergangenheit und Zukunft ausdrückt (vgl. fuerat consummanda, Plusquamperfekt mit Gerundivum, also Zukunft!). Sondern dazu all das, was sich ›schlechthin‹ im Lauf der Geschichte als präfiguriert/präfigurierend erweisen lässt (os-tenditur)! Zur faktisch gedachten, ›historisch‹ gegebenen figuralen Rela-tion tritt die Konzeption einer retrograden Bezugs- oder Verknüpfungs-leistung, die nicht nur erneut von der Kompetenz des Exegeten her gedacht (und damit erneut ›enthistorisiert‹) wird, sondern der Wahrhaf-tigkeit der Inkarnation überhaupt nicht mehr bedarf; zur Binarität zwi-schen alter und neuer Zeit (die für eine ›starke‹ Interpretation des Typo-logischen notwendig ist) tritt eine Vielfalt von Bezugs- und Ver-knüpfungsmöglichkeiten im Verlauf einer offenbar als linear gedachten Geschichte: Kaum verwunderlich, dass sich bei Abaelard von daher immer wieder als figural präsentierte Relationen finden, die nicht vom Alten ›ins‹ Neue Testament hinein konstruiert sind, sondern Momente des Alten

37 Vgl. die unten zitierte Definition im Römerbriefkommentar, zu Abaelards Hym-

nen vgl. Teil IV dieses Aufsatzes. Nachweise der Quellen von Abaelards Definition in Romigs Apparat; Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 77.

38 Vgl. Peter Abaelard, Römerbriefkommentar (Anm. 1), Bd. 3, S. 888: unde mystica locutio dicitur figuratiua, quae [recte quia?] non est aperta.

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(bzw. Neuen) Testaments mit anderen Momenten des Alten (bzw. Neuen) Testaments miteinander in Beziehung setzen.39

In Abaelards aktualer Auslegung, die dieser Grundlegung folgt, schlägt sich all dies deutlich nieder. Augustinus und der Tradition fol-gend, versteht Abaelard die sechs Schöpfungstage – nicht anders als in seinen Hymnen40 – als distinkte Etappen einer sich linear entfaltenden Heilsgeschichte:41 Die sechs Tage entsprechen dabei sechs etates, die wie-derum in Analogie zur Entwicklung des Menschen als Entwicklung von der infantia bis zur decrepita etas gefasst sind.42 Tradierte Typen wie Adam oder David präfigurieren dabei nicht Christus, sondern markieren die Anfangs- und Endpunkte einer diskreten, abgeschlossenen und stets immanent, nicht im Entwurf auf eine Zukunft gedachten etas. Über das erste dieser Zeitalter schreibt Abaelard:

Confusa itaque illa nec adhuc distincta congeries elementorum, primam mundi etatem sine lege et disciplina incultam et rudem bene figurat, que infanta mundi uocatur. Que et bene infantia, nec-dum ex documento legis uerba dei formare ualens, sicut infantes nondum loqui sufficiunt. Deleta est hec etas diluuio, sicut eorum memoria, que in infantia geruntur per obliuionem delentur.

»Und so steht (figurat) jene ungeordnete und noch nicht geschie-dene Zusammenballung passend (bene) für jenes erste, unkulti-vierte und rohe Weltalter ohne Gesetz und Disziplin, welches auch das Säuglingsalter der Welt genannt wird (uocatur). Und passend (bene) ist auch ›Säuglingsalter‹, da dieses Zeitalter noch nicht in der Lage ist, aus dem geschriebenen Gesetz die Worte Gottes zu for-mulieren, so wie (sicut) Säuglinge eben noch nicht zu sprechen vermögen. Zerstört wurde dieses Weltalter durch die Sintflut, so wie (sicut) auch die Erinnerung an das, was während des Säuglings-alters getan wird, durch das Vergessen zerstört wird.«43

39 Vgl. PEPPERMÜLLER, Abaelards Auslegung (Anm. 6), S. 25 Anm. 153: »Hier ist

also nicht, wie sonst, das Figuratum etwas außerhalb des Alten Testaments Liegen-des«.

40 Vgl. unten. 41 Zu Problematik und Hintergrund dieser Konzeption vgl. die ausführliche Darstel-

lung bei HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 587–612. 42 Peter Abaelard, Expositio in Hexameron (Anm. 21), S. 80: Sex etates seculi senarius

iste dierum quibus mundus perfectus est atque adornatus exprimit. Prima etas seculi quasi eius infantia est, ab Adam usque ad Noe; inde secunda usque ad Abraham, quasi pueritia; deinde tercia ad David, tamquam adolescentia; postea quarta usque ad transmigracionem Babilonis, quasi iuventus, id est uirilis etas; inde quinta usque ad Christum, tamquam senectus; denique sexta usque ad finem seculi, tamquam senium uel decrepita etas.

43 Ebd., S. 81.

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Wie diese Auslegung des ersten Weltalters – sowie die aller folgenden eta-tes – illustriert, konstruiert Abaelard in seiner mistica expositio eine Art innerweltlicher Figuralität, eine Figuralität der Immanenz. Der erste Tag der Schöpfung mit seiner »ungeordneten Elementarmasse« steht für eine künftige Welt im Kindesalter, welche »Kindheit« genannt wird (vocatur), um ihre Gesetzlosigkeit und mangelnde Geordnetheit auszudrücken. Ebenso verräterisch wie das vocatur, das die etablierte infantia der Welt als Metapher für einen gesetz- und verehrungslosen Zustand erweist, ist dabei das bene: »gut« (oder vielleicht präziser »passend«) repräsentiert der erste Tage der Schöpfung die infantia, weil sich ein tertium comparationis ausmachen lässt, dessen komparative Logik sich deutlich in Abaelards doppeltem sicut niederschlägt – auf der einen Seite der erste Tag der Welt, der von einer ungeordneten, indistinkten, ungeschlachten Masse geprägt ist; auf der anderen Seite die infantia der Welt, hinter der sich sowohl Gesetz- wie Verehrungslosigkeit einer ersten Weltbevölkerung verbirgt; zur Parallele zwischen Elementarmasse und Gesetzlosigkeit tritt dabei die Analogie zwischen alleszerstörender Sintflut und dem Verlust kindlicher Erinnerungen.

Hinter der Präfiguration steht somit erneut eine Form der Exegese, die eher an Abaelards integumentale, Chiffren und Sprachlogiken erklä-rende Auslegung erinnert denn an eine im eigentlichen Sinne temporal verfasste Typologie; grundgelegt ist sie in der oben zitierten Erweiterung des figuralen Horizontes, durch die der notwendige Inkarnationsbezug einer figuralen Relation aufgehoben und jedwedes Ereignis (qualiscumque historia) figuralitätsfähig wird. Die von Abaelard konstruierte figurale Relation bleibt im eigentlichen Sinne immanent und bezieht sich auf eine Relation innerhalb einer heilsgeschichtlichen Entwicklungsphase, nicht auf eine Präfiguration des Neuen Bundes ›in‹ einem historisch gedachten Alten Bund. Der Abaelardschen Gesamtkonzeption der Genesisexegese folgend, präfiguriert der Prozess der Schöpfung damit den Prozess einer Heilsgeschichte, die als lineare Entwicklung gedacht ist und bleibt zu-gleich Teil eines göttlichen, mit Römer 1, 19 begründeten Erziehungspro-zesses: Die apriorische Geltung dieses Erziehungsprozesses sowie Abae-lards Oszillieren zwischen der Faktizität des Schöpfungsgeschehens und Moses’ Redeweise führen dabei gerade nicht zu einer Konzeptualisierung der Temporalität dieser Relation. Worum es geht, ist nicht die immer wie-der zu erkennende, ›eine‹ Erfüllung, sondern eine Kaskade von Präfigura-tionen, die allesamt gerade nicht auf die radikal neue Heilswirklichkeit der Inkarnation bezogen sind, sondern verschiedenen Stufen innerhalb einer heilsgeschichtlichen Progression repräsentieren. Inkarnation und Erlö-sung erscheinen dabei eher als Etappen – nicht als Prinzip – dieser heilsge-schichtlichen Entwicklung. Folgerichtig wird von daher nur kurz (und erneut im Modus des Vergleichs) bei der von Christus gepredigten Taufe

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auf die Schöpfung der Tiere aus dem Wasser hingewiesen; die knappe Darstellung der Erlösung in paradiso dagegen verzichtet zur Gänze auf figurale Referenz44 und unterscheidet sich in diesem Verzicht deutlich von der Auslegungstradition (Augustinus, Beda, Isidor), die gerade in diesem Zusammenhang die figurale Antithese von altem und neuem Adam bemüht.45

III Paulus’ Brief an die Römer lädt nicht unbedingt zu typologischer Exegese ein; die exegetische Tradition betont dementsprechend auch den Literal-sinn.46 Gleichwohl gibt der Text in mehrfacher Hinsicht zumindest Anlass, über das Problem des Figuralen zu reflektieren: So thematisiert Paulus selbst an einigen Stellen das Problem;47 zentrale Themen wie Gesetz, Schuld und Erlösung eröffnen einen heilsgeschichtlichen Raum, der eine Diskussion des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament nötig macht; und schließlich begreift die exegetische Tradition den Autor des Textes Paulus als Erfüllung oder Antitypus prophetischer Gestalten des Alten Testaments, etwa Benjamins oder Davids.48

44 Vgl. ebd., S. 82: in hoc quidem senio iam mundo languescente, missus est salvator qui

ueterem renouaret hominem, baptismum predicaret. In quo quidem baptismo homines ueterem hominem deponentes, et nouum induentes, sicut scriptum est: Quicumque baptizati estis, Christum induistis, quasi ex aquis animalia producta sunt. Sexta etate homo renouatus in paradiso collocatur, quia post passionem domini tantum aditus celestis hominibus patuit, ubi primum sabbatum in anima, postmodum octauam in corpore simul et anima celebrat [...]. – Zur Präfiguration des Taufsakraments, das hier freilich eher als gepredigt, also ›diskursiviert‹, erscheint (und somit dem Mosaischen Bericht strukturell angenähert wird), vgl. die obigen Ausführungen.

45 Vgl. dazu HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 599: »Augustinus und mit ihm Theologen wie Beda und Isidor denken das sechste Zeitalter ganz von der Inkarnation her. Sie konnten sich dafür auf zahlreiche biblische Vorgaben wie etwa die Antithese vom alten und neuen Adam [...] stützen.« – Obgleich sich Heyders Ausführungen an dieser Stelle auf Abaelards Hymnen beziehen, finden sie doch auch hier Anwendung, da die Konzeption einer linearen Heilsgeschichte bzw. die Lehre/Interpretation der sechs Weltalter in Hymnen und Expositio identisch bzw. beide sehr eng miteinander verbunden sind; vgl. zu diesem Verhältnis HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 587–589 sowie unten.

46 Vgl. PEPPERMÜLLER, Abaelards Auslegung (Anm. 6), S. 24 mit Verweis auf Henri de LUBAC: Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’écriture, 4 Bde. Paris 1959–1964, hier Bd. 1, S. 661–668.

47 Einschlägig Röm 16, 25 (secundum revelationem mysterii) und Röm 2, 29 (circumci-sio in spiritu, non in littera).

48 Vgl. dazu unten.

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Eine erste Diskussion der Problematik des Typologischen findet sich von daher bereits zu Beginn des Kommentars, wenn Abaelard im Zuge seiner (für mittelalterliche Kommentatoren nicht untypischen) Diskus-sion des Namens »Paulus« die etablierte Interpretation Benjamins als typus Pauli zu diskutieren für nötig erachtet.49 Abaelard neutralisiert dabei die heilsgeschichtliche Dimension dieser figuralen Relation durch eine doppelte Perspektivierung. Zunächst begreift er Benjamin als Propheten, der selbst von Jakob und David vorausgesehen und präfiguriert wird. Sein Verhältnis zu Paulus erweist sich genau darüber freilich weniger als eine im eigentlichen Sinne figurale Relation, bei der zwei historische Figuren in Beziehung gesetzt werden; was sie zu Typ und Antityp macht, sind vielmehr strukturelle Analogien zwischen ihren jeweiligen Leben: Wie Benjamin als jüngster unter seinen Brüdern in den Augen des Vaters der »erste« war – so ist der spät konvertierte Paulus der jüngste unter den Evangelisten, doch »bei Gott der Erste«; ebenso wie Benjamin seine Mut-ter »sterben lässt«, tötet Paulus seinen jüdischen Glauben; und wenn es über Benjamin heißt, er »werde morgens die Beute reißen und abends ver-teilen« (vgl. Gen 49, 27), dann bedeutet diese im Hinblick auf Benjamin geäußerte Prophezeiung mit Bezug auf Paulus, dass er zunächst Verfolger, dann Retter der ecclesia gewesen sei. Selbst im Falle des realen Paulus stellt sich somit kein im eigentlichen Sinne geschichtliches, zeitliches, sondern ein im weiteren Sinne hermeneutisches Problem.

Als weit implikationsreicher erweist sich Abaelards Diskussion der typologischen Interpretation Abrahams und Isaaks als Präfigurationen Christi. In Röm 4, 23–24 hatte Paulus sein vorangegangenes Lob des unverrückbaren Glaubens Abrahams an das versprochene Land und die Fruchtbarkeit seines Samens50 damit begründet, dass es weniger um Abra-hams willen als »für uns geschrieben worden sei.« Abaelard versteht dieses »für uns« als Ausdruck einer Art Erziehungslogik: Abrahams Beispiel ins-truiert die Gläubigen, ihn in dieser Glaubensfestigkeit zu imitieren und genauso unverbrüchlich an die Auferstehung zu glauben.51 Dass es dabei erneut um eine strukturelle Parallele – kein im eigentlichen Sinne tempo-rales oder heilsgeschichtliches Verhältnis – geht, zeigt sich in folgender, aufschlussreicher Formulierung:

49 Peter Abaelard, Römerbriefkommentar (Anm. 1), S. 96f.: in cuius typo Beniamin,

fratrum suorum extremum et a patre vehementer dilectum, fuisse non ambigimus. Die-ser Satz ist nicht in allen Fassungen des Werkes aufgenommen; diskutiert und in allen Fassungen erörtert wird die Sache freilich ebd., S. 100f.; nach dieser Stelle die folgenden Ausführungen.

50 Vgl. Röm 4, 1–3 und 16–18. 51 Vgl. Peter Abaelard, Römerbriefkommentar (Anm. 1), S. 368–371, ausgehend von

Röm 4, 18.

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QUI SUSCITAVIT, id est qui iam complevit in semine Abrahae per Christum quod Abraham expectabat futurum et quod sibi in pro-missione terrae vel benedictione ipsius seminis intelligebat figura-tum. Tota quippe exsultatio Abrahae de figurato Isaac, id est Christo, potius quam de figurativo fuisse intelligatur. Unde et per semetipsam Veritas ait: Abraham pater vester exsultavit ut videret diem meum, vidit et gavisus est.

»DER IHN AUFERWECKT HAT, das heißt: Derjenige, der vermittels Christus nun über den Samen Abrahams zur Erfüllung gebracht hat, was Abraham als zukünftig erwartet hat und was, wie er ver-stand (intelligebat), f ü r i h n (sibi) im versprochenen Land und in der Fruchtbarkeit seines Samens präfiguriert war (quod sibi ... figuratum). Man muss nämlich verstehen, dass sich die gesamte Freude Abrahams [über Isaak] auf den von Isaak Präfigurierten (de figurato Isaac), also auf Christus, nicht auf den Präfigurierenden, Isaak bezog (potius quam de figurativo). Von daher verkündet die Wahrheit auch selbst: »Euer Vater Abraham freute sich, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und war froh [= Joh 8, 56].«52

Deutlich evoziert diese Passage über die in ihr ausgeführten Gedanken und Begriffe eine tradierte Präfiguration: Abraham resp. Abrahams Samen, also Isaak, präfigurieren Christus, die entscheidende Parallele, Opfer bzw. Opfertod, bleiben allerdings implizit. Abaelard versteht das Verhältnis zwischen Altem und Neuem Bund, zwischen Abraham und Christus dabei als Folge generationeller, und damit zugleich realer, Kon-tinuität: Die Erfüllung der Hoffnung, die Abraham in Bezug auf die Fruchtbarkeit seines Samens gehegt hatte, erweist Gottes Plan, die Men-schen zu retten.53 Zugleich aber de-objektiviert Abaelard die in dieser Konstellation vorhandene figurale Relation und verlagert sie zur Gänze in Abraham selbst hinein: Er ist es, der versteht, dass Isaak auf eine künftige Auferstehung weist, Isaak ist eine Präfiguration »für ihn«; er vermag in Isaak die zukünftige Erlösung Christi zu erkennen. Die figurale Relation erweist sich somit nicht als ›objektive‹, weil in historischer Faktizität gegebene Konstellation, sondern als Beleg eines unverbrüchlichen Glau-bens an das Heil: Abraham, so schreibt Abaelard an anderer Stelle, »bedeutet« (den) Glauben (Abraham quippe fidem significat).54 Genau in diesem unverbrüchlichen Glauben an eine Wahrheit, die sich erfüllen wird, erweist sich Abraham als Exempel für die Christen, die, so eine der Grundüberzeugungen Abaelards, stets in ihrem Glauben gefährdet sind und derartiger Exempel bedürfen, die sie durch ihre affektive Kraft zur 52 Eigene Übersetzung, vgl. Peter Abaelard, Römerbriefkommentar (Anm. 1), S. 378. 53 Ebd. 54 Ebd., S. 618.

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christlichen Spiritualität ermuntern. Abraham erweist sich damit nicht eigentlich als typus Christi, sondern als Exempel, das lehrt, über die sinn-fällige Welt hinaus an die Wahrheit zu glauben: Die ›objektive‹ Dimension einer geschichtlichen Relation zwischen Adam und Christus wird in die Subjektivität Abrahams verlagert und in eine exemplarisch-affektive Kraft seines Vorbilds (also zugleich: in einen Rezipientenbezug) aufgelöst.

Vergleichbares zeigt sich in expliziterer Weise in Abaelards Ausle-gung und Diskussion der von Paulus aufgeworfenen Frage der Zirkumzi-sion – und damit in einer Fragestellung, die für Abaelards Konzeption von Rechtfertigung und Erlösung eine zentrale Rolle spielt, da sie die Grund-lagen seiner Überzeugungen herausfordert: Wozu ein äußerliches Zeichen wie die Zirkumzision oder die Taufe, wenn die iustificatio vor Gott aus-schließlich auf gelebter caritas beruht und ohnehin nicht im Ermessen des Menschen liegt?55 Paulus selbst provoziert diese quaestio, wenn er konsta-tiert, dass die »Beschneidung nutzt, sofern man das Gesetz bewahrt.« 56

Abaelards Antwort gründet – Paulus’ Spiritualisierung seiner eigenen Aussage weiterführend57 – auf einer Analyse der Zeichenhaftigkeit der Zirkumzision: In Paulus’ Mahnung zur custodia legis repräsentiere die köperliche Zirkumzision eine de facto moralische und spirituelle Separa-tion des Herzens von den Lastern (separationem a vitiis, quae per carnalem circumcisionem figuratur).58 Erneut handelt es sich bei dieser Figuration (figuratur) – nicht anders als im Falle anderer figurativ zu verstehender Gesetze (leges allegoricae oder figuralia praecepta)59 – um eine Bedeutungs-relation oder Analogie, die über ein gemeinsames Strukturmoment kons-truiert wird und dabei zugleich eine Zunahme der Abstraktion impliziert: Der Zirkumzision, einer Amputation, entspricht die Entfernung schlech-ter Eigenschaften; aus einem körperliche Prozedere wird ein geistig-moralischer Akt. Daran freilich schließt sich ein weit expliziterer Gedanke an, der Abaelards figurale Hermeneutik gut erkennen lässt:

Si [...] ipsa praepudiate gentilitas [...] custodiat iustitias legis potius quam figuras, hoc est impleat moralia caritatis praecepta [...].

»[Wenn die unbeschnittenen Heiden] die wahre Gerechtigkeit des Gesetzes mehr beachten als die Figuren dieses Gesetzes, das heißt, wenn sie die moralischen Gesetze erfüllen, die jeden rechtfertigen,

55 Zu Abaelards Diskussion der Problematik vgl. PEPPERMÜLLER, Abaelards Ausle-

gung (Anm. 6), S. 84–121, insb. 105–107. 56 Vgl. Römer 2, 25: circumcisio autem prodest, si legem observes. 57 Vgl. ebd. 2, 29: et circumcisio cordis in spiritu, non in littera. 58 Peter Abaelard, Römerbriefkommentar (Anm. 1), S. 222. 59 Vgl. z.B. ebd., S. 482.

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wird dann nicht seine Unbeschnittenheit [...] von Gott als Beloh-nung angerechnet werden?«60

Zirkumzision und praeputium repräsentieren somit Akte von Moralität und caritas, nicht zu befolgende reale Praktiken; mehr als um die Aktua-lität eines Gesetzes geht es um Wahrhaftigkeit (vere) und Spiritualität (spiritualiter). Wenn Abaelard dabei mehrfach die Logik der Implementa-tion herausstellt (impleat moralia caritatis praecepta; später: consummare legem), rekonzeptualisiert er eine im Begriff und im Problem der figura liegende Dynamik der Erfüllung: Das einen moralischen Akt bezeich-nende Zeichen, die figura der Zirkumzision, muss durch Verständnis ihres moralischen Kerns, also des durch sie bedeuteten moralischen Gebots, erfüllt werden – und zwar durch das mit der Figur konfrontierte Indivi-duum, nicht in einer abstrakten, supraindividuellen Logik der Heilsge-schichte. Die in der figura verborgene Herausforderung erweist sich damit als moralische Herausforderung für das einzelne (christliche) Subjekt; figura und Erfüllung spielen sich im Individuum ab, nicht in der Geschichte.

Dass damit eine Abwertung des Eigenwerts der Figura – die ja ver-standen, durchschaut, erfüllt werden muss – verbunden ist, zeigt sich unmittelbar darauf, wenn Abaelard den anti-jüdischen Topos der littera occidens erörtert. Konsequent liegt die praevaricatio, das Scheitern am Gesetz, für ihn ganz im schieren Unverständnis des Zeichens, in der zu literalen Lektüre der figura, und damit im Verkennen des in ihr verborge-nen Impetus zum moralischen Handeln. Ein transgressor ist folglich, wer sein Vertrauen auf den körperlichen signifiant, auf die figura selbst, auf den Schein setzt – und nicht auf den signifié, auf die Sache (res), auf die Wahrheit.61 Abraham hat (wie oben diskutiert) eben dies verstanden und, so Abaelard in nun explizit semantisch-hermeneutischer Terminologie, auf die significatio vertraut und die Figur im Glauben an die veritas und praecepta caritatis moralisch und spirituell erfüllt. Erfüllen heißt erneut: verstehen.

Figuren behalten im Prozess des Umgangs mit ihnen somit gerade nicht ihr ›Eigenrecht‹; vielmehr weisen sie auf eine – ganz ins individuelle Subjekt verlagerte – Erfüllung (oder Erfüllungsnotwendigkeit) der in ihnen repräsentierten, zu erkennenden Normen. Verglichen mit dieser Norm resp. ihrem expliziten Verstehen sind sie defizitär; ihre Verheißung

60 Ebd., S. 218 (Übersetzung modifiziert). 61 Vgl. ebd., S. 220: QUI PRAEVARICATOR ES LEGIS, hoc est transgressor PER LITTE-

RAM occidentem, id est figuris potius quam rebus ipsis et similitudini potius quam ver-itati.

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resp. Erfüllung implizit ihre Destruktion, ihr Verschwinden, was Abaelard mit Blick auf die Erfüllung moralischer Präzepte auch explizit formuliert:

ABSIT, SED LEGEM STATUIMUS, id est volumus, ut lex per omnia compleatur. Ille enim veraciter etiam figuralia nunc implet prae-cepta, qui illud facit vel credit, quod nunc tantum illa habent figu-rare, non efficere, non tam sonum vocis quam sensum et intentio-nem attendens iubentis.

»DAS SEI FERNE! VIELMEHR RICHTEN WIR DAS GESETZ AUF, das heißt, wir wollen, dass das Gesetz in allem erfüllt wird. Denn jener erfüllt jetzt auch wahrhaftig die figuralen Vorschriften (figuralia ... praecepta), der das auch tut bzw. glaubt, was diese nur reprä-sentieren (figurare), aber nicht in die Tat umsetzen können, wobei er dann weniger auf den Laut des Wortes (sonum vocis) als viel-mehr auf die Bedeutung (sensum) sowie auf die Absicht (intentio-nem) dessen achtet, der befiehlt.«62

Wie die Begrifflichkeit zeigt, bemüht Abaelard auch an dieser Stelle eine seiner semantischen Grundüberzeugungen, um seine Lehre der Erfüllung des Zeichens weiter grundzulegen: Was zählt, ist nicht die – von Abaelard auch sonst abgewehrte – äußerliche vox, sondern sind sensus und intentio, also der von einer vox repräsentierte und transportierte begriffliche Inhalt bzw. die Intention des Sprechenden (hier des die Gesetze gebenden Herrn) – eine semantische Grundüberzeugung, die im Übrigen auch für Abaelards Konzept der Allegorie eine zentrale Rolle spielt und sich als zentrales Prinzip seiner Konstruktion von Verstehen und Textualität bezeichnen ließe.63 Begründet liegt diese Abwertung der figuralen Dimen-sion dieser praecepta (wie der Figuralität im Ganzen) freilich nicht in Abaelards Semantik, sondern in seiner Konzeption von Heilsgeschichte, Inkarnation und Erlösung.

Im Zusammenhang des von Paulus erwähnten corpus Christi erläutert Abaelard als Teil einer übergreifenden Diskussion der Inkarnation die ›hermeneutischen‹ Konsequenzen der Passion. So sehr die Heilsge-schichte für Abaelard ein andauernder Prozess ist, so sehr ändert sie sich doch qualitativ und radikal mit der Passion; diese absolute Radikalität der passio wiederum hat Konsequenzen für die Möglichkeit von Figuralität, denn eine figura kann nach der Passio Christi nicht dasselbe sein wie vor ihr:

62 Ebd., S. 300 (Übersetzung modifiziert). 63 Zu Abaelards hermeneutisch gewendeter Semantik vgl. (mit Bibliographie) Frank

BEZNER: Figmenta animi oder der Denkraum des Fiktiven. Zur Entkopplung von Wirklichkeit und Wahrheit bei Peter Abailard, in: Christoph HUBER u.a. (Hg.): Impulse und Resonanzen. Tübinger mediävistische Beiträge zum 80. Geburtstag von Walter Haug. Tübingen 2007, S. 19–33, insb. 21f.

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PER CORPUS CHRISTI, hoc est per ipsam praesentiam veritatis in Christo vobis exhibitam. Cuius quidem veritatis umbra in lege praecessit. Postquam enim res ipsa venit quae per se sufficit, i a m n o n o p u s e s t f i g u r i s i l l i s , quae in signum rei futurae praecesserunt et in spe tantum illius venerabiles exstiterunt, ne si etiam figurae illae adhuc perseverarent, adhuc exspectaretur futu-rum quod iam est praeteritum; et Iudaei adhuc de sua vetustate glo-riates, nostrae insultarent novitati et amplius de operibus ipsis quam de fide Christi nonnulli considerent, quam sine operibus mi-nime sufficere crederent.

»DURCH DEN LEIB CHRISTI, das heißt durch die schiere Gegenwart der Wahrheit, die Euch in Christo gegeben ist. Dessen Wahrheit freilich ging zur Zeit des Gesetzes nur ein Schatten voraus. Denn nachdem nun die Wahrheit selbst (res ipsa) gekommen ist, die sich selbst genügt, bedarf es jener Figuren (figuris illis) nicht mehr, wel-che nur als Zeichen einer zukünftigen Wahrheit (futurae rei) voran-gegangen waren und lediglich im Rahmen einer Hoffnung auf die Wahrheit verehrungswürdig (venerabiles) gewesen sind: Würde andernfalls doch – wenn diese Figuren (figurae illae) immer noch andauern würden (perseverarent) – immer noch als zukünftig erwartet, was bereits vergangen ist; und würden die Juden doch, immer noch stolz auf ihre Altehrwürdigkeit, in diesem Fall unsere Neuartigkeit beschimpfen, sowie nicht wenige Christen sich mehr an ihren Werken denn am Glauben Christi orientieren, von dem sie meinen würden, er wäre ohne diese Werke nicht im geringsten hin-reichend.«64

Iam non opus est figuris – mit dieser Reflexion etabliert Abaelard eine radi-kale Temporalität des Figuralen, deren zentraler Punkt die dann auch semiotisch ausformulierte Überwindung des Figürlichen ist: Die nun gegenwärtige, aktuale, tatsächliche Wahrheit verdrängt den Schatten, da sie andernfalls – in einer heilsgeschichtlich prästabilierten Relationalität von umbra und veritas – keine radikale Wahrheit wäre. Wozu Figuren, Typologie angesichts eines neuen Bundes? Mehr noch: Da Typen und Typologie in der Zeit des Alten Testaments eine Hoffnung auf die kom-mende Erlösung, auf die Zukunft des Heils implizieren, müssen sie diese Funktion notwendig verlieren; andernfalls, so Abaelards scharfsinnige Kritik, würde etwa auch zukünftig erwartet, was bereits vergangen, was bereits eingetreten ist. Als Verkörperungen heilsgeschichtlicher Hoffnung haben – oder besser: hatten – Figuren ihre eigene Zeit in einer linear sich entfaltenden Heilsgeschichte; worum es geht, ist, sie hinter sich zu lassen und damit die Teilhabe an einer neuen Zeit zu vollziehen. Ein – Auer-

64 Peter Abaelard, Römerbriefkommentar (Anm. 1), Bd. 2, S. 484 (obige Überset-

zung modifiziert).

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bachsches – Eigenrecht, eine autonome Geltung zeitigen die figurae des Alten Testamentes von daher gerade nicht (mehr): ein Verlust, der – in systematischer Hinsicht – nur die temporale Dimension des von Abaelard immer wieder herausgestellten ›korrekten Zuganges‹ zur Figur realisiert. Wenn es Figuren stets als Zeichen zu begreifen, wenn es sie auf das in ihnen liegende moralische oder spirituelle Gebot hin auszulegen, ja ›aus-zuleben‹ gilt, dann sind sie – ›als‹ Figuren – stets vorläufig, übergängig, zu überwinden; anders gewendet: Dann sind ihre Relevanz und ihre Über-windung untrennbar miteinander verbunden.

Mit dieser grundlegenden Überlegung schließt sich der Kreis einer Rekonzeptualisierung des Figuralen, die zwar nicht eigentlich eine eigen-ständige Theorie des Figuralen ist, aber doch ein konsistentes Konzept der Denkfigur entwickelt. Die Elemente dieser Rekonzeptualisierung sind dabei eine Tendenz zur Versprachlichung philosophisch-theologischer Probleme, die Aufwertung von Exempla (resp. exemplarischen Figuren) sowie zuletzt – aber fundamental – eine radikale Konzeption von Heils- und Erlösungsgeschichte und der damit verbundenen Temporalität. Alle Momente dieser Konzeption führen dazu, dass die Figura zu einer Figur der Vorläufigkeit avanciert; diese Vorläufigkeit erscheint als doppelte Notwendigkeit der Überwindung des Figürlichen: hermeneutisch gedacht als Auslegungsnotwendigkeit, als Notwendigkeit, Sinn und Eigentlichkeit zu produzieren; zeitlich gedacht als Vergänglichkeit, als Temporalität eines nun Immer-Schon-Vergangenen.

Insgesamt spielt dabei das die Figuren erkennende Subjekt eine zen-trale Rolle – und dies ist kein Zufall. So verfehlt es nämlich zwar wäre, Abaelard als Denker eines modernen Subjekts zu begreifen (oder zu ver-herrlichen), so wenig lässt sich bezweifeln, dass die Position des Subjekts gerade in seiner Reflexion über die Erlösung eine zentrale Rolle spielt. Zwar basiert die Erlösung für Abaelard prinzipiell und objektiv auf der Übernahme der von Gott verhängten Strafe durch Christus, so dass sich die Menschen die Erlösung apriorisch nie selbst zuschreiben können (oder dürfen).65 Doch weit mehr als für diese Dimension interessiert sich Abaelard für die Rolle des christlichen Subjekts im Rahmen des Erlö-sungsgeschehens. Um erlöst zu werden, reichen Christi Opfer und/oder die Kommunion nämlich gerade nicht aus: Die Menschen müssen sich in ihrem Handeln vielmehr von der grenzenlosen Liebe Christi in die Frei-heit der Erlösung reißen lassen – und der stets drohenden Versuchung, den stets verlockenden Einflüsterungen des Teufels aktiv durch Nicht-Zustimmung widerstehen. Zentral für diese Resilienz und Widerständig-

65 Vgl. dazu etwa (mit Bibliographie) Thomas WILLIAMS: Sin, Grace, and Redemp-

tion, in: John E. BROWER, Kevin GUILFOY (Hg.): The Cambridge Companion to Abelard. Cambridge 2004, S. 258–279.

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keit ist die Motivation durch das exemplarische Handeln grundlegender Vorbilder.66 Wo freilich das Subjekt in den Fokus gerückt ist, kann es – und darf es – keine als unverbrüchlich gegebene, fixe, überzeitlich ge-dachte Relation zwischen Typus und Antitypus geben, da in ihr weder das christliche Subjekt der Gegenwart an sich noch der für dieses Subjekt zen-trale Raum des Entscheidens für oder gegen das Rechte eine Rolle zu fin-den vermag.

IV Die Konstruktion figuraler Relationen und typologischer Interpretatio-nen (und/oder Obertöne) gehört zur literarischen, spirituellen und auch performativen Dynamik mittelalterlicher lateinischer Hymnen. Vergleicht man Abaelards Hymnen allerdings mit Vorgängern (wie Gottschalk von Orbais) oder Zeitgenossen (wie Adam von St. Viktor) so fällt auf, dass sie vergleichsweise wenig mit diesen Mitteln arbeiten; überhaupt spielen alt-testamentliche (und im Ganzen: biblische) Figuren eine vergleichsweise geringe Rolle.67 Nicht anders als im Falle seiner theologischen Refle-xionen finden sich Figuren und Typologien von daher nur verstreut; erneut sind ihr Gebrauch und ihre Dynamik indes spezifisch und konsis-tent, nicht schlicht topisch oder redundant.

Wie eng Abaelards theologische Konzeptualisierung und seine litera-rische Praxis verbunden sind, zeigt sich insbesondere in den ersten 29 Hymnen des ersten Buchs seines Hymnarius Paraclitensis. In den Hym-nen 18–29 kommt es dabei – wie in seiner Expositio in Hexameron – zu einer charakteristischen Fusion von Schöpfungsbericht, Weltalterlehre und moralisch-typologischer Interpretation,68 einer Fusion mithin, die er, 66 Vgl. dazu auch unten. 67 Vgl. dazu die Bemerkungen Joseph SZÖVERFFYS, in: Peter Abaelard, Hymnarius

Paraclitensis, hg. von Joseph SZÖVERFFY, 2 Bde. Albany/NY, Brookline/Mass. 1975, hier Bd. 1, S. 86: »[Abelard] was not so addicted (!) to strange mystical asso-ciation of ideas and obscure typological interpretations of Scriptural texts as his predecessors Hermann and Gottschalk.« Vgl. auch ebd., S. 100: »All in all, the number of biblical personalities (from the OT as well as from the NT) is not very large; they are more frequently used in contemproary ›gothic‹ sequences, especially in the Victorine ones.« – Zur Rolle von Typologien in der lateinischen Hymnik vgl. die Beispiele bei Frederic James Edward RABY: A History of Christian-Latin Poe-try. Oxford 1953, S. 355–363 sowie den Beitrag von Felix HEINZER in diesem Band.

68 Die ausführlichste Analyse des Verhältnisses von Expositio und Hymnen findet sich bei HEYDER, Auctoritas Scripturae (Anm. 21), S. 587–603; vgl. aber bereits SZÖVERFFY, Hymnarius Paraclitensis (Anm. 67), Bd. 1, S. 94-99, 108 sowie die einzelnen Anmerkungen zu den Hymnen 18f. ebd., Bd. 2, S. 58–63.

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erneut wie in seiner Expositio in Hexameron, durch eine quasi-theoreti-sche Reflexion einleitet. Im instruktiven zweiten Hymnus legt er dabei zunächst die Relevanz der Heiligen Schrift für seine Hymnen dar und bezeichnet die testamentorum paginae explizit als Erziehungsmittel Gottes (Deus, qui tuos erudis | Testamentorum paginis); wenig verwunderlich kommt dann dem Verständnis der Bibel eine Schlüsselrolle zu: Die intelle-gentia der Bibel wird zur eigentlichen »Würze« der Hymnen (Ex eorum | intellegentiae | Cantus nostros | condis dulcedine) und garantiert zugleich die Nützlichkeit der Gesänge (Nobis sic fiat utile | [...] | Si, quod sonat, | intellexerimus). Grundlage dieser intellegentia ist der dreifache Schriftsinn (triplex intellegentiae), dessen Fundament erneut der literale Sinn ist; anders als in der Exposition wird allerdings die moralis lectio als entschei-dende consummatio des Verständnisses über den historisch-literalen und figuralen Sinn gestellt.69 Auf Basis dieser Grundlegung verknüpft der 18. Hymnus die sechs Schöpfungstage mit den sechs Weltzeitaltern sowie den sechs Stufen der Menschheitsentwicklung und erläutert zudem die jedem Tag zugeordneten, progressiv aufeinander aufbauenden Tugenden; damit ist dasselbe ›Raster‹ wie in der Expositio etabliert.70 Blickt man auf die einzelnen figuralen Deutungen in diesen Hymnen, erweisen sich die Figuren des Alten Testaments wie in der Expositio nicht eigentlich als temporal konstruierte Typen bzw. Antitypen, sondern als Analogien, die auf einzeln herausgestellten Vergleichspunkten basieren, die Abaelard auch als similitudines bezeichnet.71 Diese Ent-Typologisierung, die die potentielle Figura erneut zum semantisch verstandenen Interpretament, zur rhetorisch-textuellen Figur macht, fügt sich dabei fugenlos in die oben zitierte Grundlegung in Hymnus 2, in dem Abaelard ja das Alte (und auch das Neue) Testament explizit als edukativ gedachte Texte (tes-

69 Peter Abaelard, Hymnus 2 (Anm. 67), Bd. 2, S. 19–21, hier 19f.: Triplex intellegen-

tiae | Diversa praebet fercula | Deliciis | abundat variis | Sacrae mensa | scripturae fertilis. | [...] Illis [sc. historica et mystica lectione] fides astruitur, | Ex hac [sc. morali lectione] fructus colligitur | Fructus hic est | et consummatio | Quam det nobis | morum instructio. – Szöverffys Interpretation von illis/ex hac, bei der er illis/ex hac nur auf »the two higher category [!] of the Scriptural interpretation« bezieht, vermag ich weder sprachlich noch gedanklich nachzuvollziehen, vgl. SZÖ-VERFFY, Hymnarius Paraclitensis (Anm. 67), Bd. 2, S. 20, mit Anm. 5/1–3.

70 Dazu HEYDER, Auctoritas Scripturae, S. 587. 71 Vgl. z.B. Peter Abaelard, Hymnus 18 (Anm. 67), Bd. 2, S. 59: In Noe primus fit

aetatis terminus ... Similitudine | quadam ad singula | Lux prima continet / horum mysteria. [...] | Instar infantiae | quam recte ponimus. Weitere Formulierungen sind sic et oder huic est similis, vgl. die aus anderen Gründen zusammengestellte Über-sicht der einzelnen Korrespondenzen von Schöpfungstag – Weltalter – Menschen-alter bei SZÖVERFFY, Hymnarius Paraclitensis (Anm. 67), Bd. 1, S. 96.

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tamentorum paginis) präsentiert hatte, deren intellegentia es zu eruieren gelte.72

Nicht anders als in Expositio und Römerbriefkommentar konstruiert Abaelard auf Grundlage dieser Textualisierung des Figuralen auch hier eine klare Hierarchie zwischen alttestamentlicher Figur und ihrer Ent-sprechung, respektive Erfüllung im Zeichen des Neuen Bundes. So entwi-ckelt er etwa in einem der Osterhymnen um den Binnenrefrain Resurrexit Dominus herum eine Fülle von Figuren, die allesamt auf Erlösung und Ostergesang verweisen: Jakobs Opfer, die Flucht durch das rote Meer und der Triumph über den Pharao repräsentieren die Erlösung durch das Opfer und Blut Christi; damit vage assoziiert sind die Gesänge des Alten Testaments. In den darauf folgenden Strophen erscheinen Passion und Erlösung freilich weniger als Erfüllung der alttestamentlichen Figuren denn als triumphale Exponenten von Wahrheit und Eigentlichkeit, die in der Sängerin Maria kulminieren: Sie ist es, die – in einer nicht untypischen Fusion der Stimme von aktualen Sängerinnen und der Stimme der im Hymnus geschilderten Figur – in Wahrheit Resurrexit Dominus anzu-stimmen vermag; sie ist wahrhaft, nicht im Vorgriff, nicht scheinhaft und nicht nur im Modus der Sprache aktuale Zeugin der Auferstehung: illa quidem altera | Re non nomine, heißt es über sie in einer Formulierung, die erneut – nicht anders als in den oben erörterten theoretischen Refle-xionen – die Scheinhaftigkeit und lediglich nominale Dimension der alt-testamentlichen Figur betont. 73

Zum gedanklichen und literarischen Prinzip wird dieser Gegensatz in dem für Abaelards Konzept des Figuralen wichtigen zehnten Hymnus, der an der Spitze der Hymni diurni steht und für die Laudes am Sonntag intendiert ist.74 Programmatisch beginnt dieser Hymnus mit der Verkün-digung der Ankunft der Wahrheit, die über den Schatten triumphiert hat: Advenit veritas | umbra praeteriit; eine Reihe von gesuchten Kontrasten variiert dieses Thema (nox/claritas; rutilare, supernum lumen / caligo); schnell wird dabei klar, dass es sich um den Kontrast zwischen den Zeiten des Alten und Neuen Bundes handelt, denn die Dunkelheit, die nun durch die claritas diei überwunden ist, ist die der mysteria legis. Mit dem alles Dunkel vertreibenden, durch Christus in die Welt gekommenen Licht endet, so führt Strophe 2 aus, die nächtliche Künderschaft Moses’ – ein Ende, das in der zentralen Strophe 3 ausdrücklich als Ende figuraler Zei-chenhaftigkeit gefasst ist: Die figurae mysticae ziehen ihr Kleid aus; die

72 Vgl. oben. 73 Peter Abaelard, Hymnus 59 (Anm. 67), Bd. 2, S. 130: Dicat tympanistria | »Resur-

rexit Dominus« | Illa quidem altera | Re non nomine, | Resurgentem merita | Prima cernere.

74 Alle folgenden Zitate aus Peter Abaelard, Hymnus 10 (Anm. 67), Bd. 2, S. 36–39.

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Wahrheit ist nun tatsächlich, aktual (est in re veritas), nicht nur von figür-licher Dimension (non iam in schemate). Die versprochene Erfüllung ist somit klar und zur Gänze erfüllt; kein Iota, kein auch noch so geringer Teil bleibt unerfüllt (promissa liquido | complens prophetica | Iota vel api-cem | non sinit irrita). Die bereits angedeutete Konsequenz zeigt sich in den folgenden Strophen dann ex negativo: Ab Strophe 3 werden Figuren oder Altes Testament nicht mehr erwähnt, sie sind überflüssig geworden.

Dass eine solche Überwindung des Figuralen sich gerade in diesem Hymnus findet, ist kein Zufall. Wie Abaelard in seiner zweiten Praefatio zum Hymnenbuch ausführt, repräsentieren Hymni diurnales programma-tisch die moralische und vor allem typologische Interpretation des Schöp-fungsberichts und damit der vorangegangenen Hymnen; explizit setzt Abaelard dabei die typologische Auslegung mit der Überwindung der (und von) Dunkelheit in eins.75 Hymnus 10, der diese Hymnen einleitet, lässt sich somit als Grundlegung der folgenden (oben bereits darge-stellten) Interpretationen begreifen und spezifiziert mit seiner Unterord-nung der auszulegenden Figur unter die im Zeichen der Wahrheit ste-hende Exegese zugleich die eher allgemeiner gehaltene Konzeption einer triplex intellegentiae von Hymnus 2.

Dabei geht Hymnus 2 als literarischer Text resp. als gesungener Hymnus zugleich über die reflexive, theoretische Dimension der theolo-gischen Schriften hinaus, deren Reflexionen über die notwendige Vorläu-figkeit der Figuren hier offenbar wirksam sind. Seinem Programm fol-gend, dass der Inhalt der einzelnen Hymnen und der mentale Zustand der Sängerinnen miteinander im Einklang zu stehen haben,76 verknüpft dieser Hymnus den sorgfältig konstruierten Gegensatz zwischen Altem Testa-ment/Dunkelheit auf der einen und Neuem Bund/Licht auf der anderen Seite zugleich mit der Realität der Sängerinnen. Implizit zeigt sich dies bereits daran, dass die erste der post-nokturnalen Hymnen gleich zu Beginn eine Metaphorik des Tageslichts entwickelt, das die Dunkelheit ablöst: Das post noctem claritas | diei subiit bezieht sich dabei sowohl auf den explizit thematisierten Gegensatz zwischen Altem und Neuem Bund wie auf die Aktualität des Hymnus, durch den ja die Nacht de facto auch abgelöst wird.

Noch deutlicher wird dies in den schon zitierten Strophen 2–3 des Hymnus 10, in denen es heißt: Nocturnum Moysi | cedat praeconium, | Diurnum congruit | diei canticum, | Cum Christo prodeunt | cuncta de latebris. | Nec locum deserit | lux tanta tenebris (»Moses’ nächtliche Ver-

75 Vgl. Peter Abaelard, Hymnarius Paraclitensis (Anm. 67), Bd. 2, S. 81: diurni

[hymni] autem ipsorum operum allegoricam seu moralem expositionem tradant. Atque ita factum est, ut obscuritas historiae nocti, lux vero expositionis reservetur diei.

76 Vgl. Peter Abaelard, Hymnarius Paraclitensis (Anm. 67), Bd. 2, S. 11–13.

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kündigung | weicht zurück, | dem neuen Tag entspricht | ein Tag-Gesang. | Mit Christus tritt alles | aus dem Dunkel heraus | und ein so mächtiges Licht lässt der Dunkelheit keinen Raum mehr«).77 Damit ver-knüpfen diese Strophen einerseits die Überwindung des Alten Testaments und seiner Figuren mit dem Ausgang aus der Nacht in den Tag. Diese Überwindung wird zugleich als neuer Gesang, genauer: als Gesang am Tag (diurnus canticus) gefasst – und damit sowohl begrifflich wie auch per-formativ auf die Realität der Sängerinnen bezogen. Das diurnum canticum spielt deutlich auf die mit dem zehnten Hymnus ja eröffnete Serie der hymni diurni an – und de facto singen die Sängerinnen ja eben in diesem Moment den neuen Tag herbei. Die Überwindung des Figuralen wird somit nicht lediglich konstatiert und über die Konstruktion von Kon-trasten zum ästhetisch-iterarischen Strukturprinzip, sondern auch per-formiert, aufgeführt und gewissermaßen in actu vollzogen. Die für Abae-lards Konzeption der Figuralität im Ganzen zentrale Temporalität im Sinne einer Temporalität des Subjekts – nicht einer Temporalität der figu-ralen Relation – wird performativ fruchtbar gemacht bzw. umgekehrt über die Performanz des Singens geradezu inszeniert.

V Die Episode aus dem Buch der Richter, auf der Abaelards berühmter Planctus basiert, lässt sich knapp referieren.78 Der von seinen Stiefbrüdern verstoßene Jephta bewährt sich als Soldat in seiner neuen Heimat; um dort die Feinde des Landes zu besiegen und zum Herrscher aufzusteigen, verspricht er Gott, im Falle eines Sieges die erste Person zu opfern, die ihm bei seiner Rückkehr begegnen werde. Er siegt – und trifft auf seine einzige, namenlos bleibende Tochter. Seiner Verzweiflung trotzend, fügt sich die Tochter in die Unausweichlichkeit seines Gelübdes – bittet aber um einen Aufschub, um allein in den Bergen ihre Kinderlosigkeit zu betrauern; nachdem nach ihrer Rückkehr das Gelübde vollzogen worden war, wird der Tod des Mädchens in Israel in einem alljährlichen Trauerri-tual beklagt. Das tragische Narrativ ist lakonisch erzählt; strukturell tre-ten der dramatische Dialog zwischen Vater und Tochter sowie das retar-dierende Moment der zwei Monate hervor; die ätiologische Dimension der Geschichte ist offensichtlich.

77 Peter Abaelard, Hymnus 10 (Anm. 67), Bd. 2, S. 37. 78 Vgl. Ri 11, 1–40, insb. 30–32. Studien: Wolfram VON DEN STEINEN: Die Planctus

Abaelards – Jephthas Tochter, in: Mittellateinisches Jahrbuch 4 (1967), S. 122–144; Peter DRONKE: The Lament of Jepthas Daughter: Themes, Traditions, Originality, in: ders.: Intellectuals and Poets in Medieval Europe. Rom 1992, S. 345–388.

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Warum lässt der Gott des Alten Testaments dieses Opfer zu – zumal er sich sonst von Menschenopfern distanziert? Ist Jephtha schuldig, weil er ein Gelübde ablegt, das den Tod eines Menschen in Kauf nimmt? Oder ist er fromm, weil er das Gelübde über sein eigen Fleisch und Blut stellt? Und ist diese Geschichte – insbesondere im Vergleich zum nicht-vollzo-genen Oper Isaaks – eigentlich typologiefähig? Denn um Künftiges zu präfigurieren, muss sie historisch sein; ist sie freilich wirklich geschehen, dann ist der Preis der Vorausdeutung der gottgewollte Tod eines unschul-digen Mädchens: eine bitter erkaufte Figuralität also, zumindest dann, wenn die Faktizität der Präfiguration ernst genommen ist.

Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Auslegungstradition, die sich hier nur andeuten lässt.79 Wichtig ist vor allem die Position Augustins in seinen Quaestiones in Heptateuchum, die im 12. Jahrhundert über die Glossa Ordinaria, Hrabanus Maurus, Beda sowie einen Hugo von St. Vik-tor zugeschriebenen Traktat präsent ist.80 Augustin interpretiert Jephtha nach einigen grundsätzlichen Erwägungen als Präfiguration Christi; die »schwierige Frage«81 des Opfers erklärt er prinzipiell zu einer Art göttlich intendierter Quaestio, die die Menschen zur Reflexion über das Verbot von Menschenopfern anregen soll. Dass Jephtha, so Augustin, damit rechnete, dass ihm seine Frau oder gar seine Tochter entgegenkommen musste, es aber durch Gottes Willen nicht seine Frau war, weise auf das starke Band zwischen dem Erlöser und seiner wahren coniunx, der Kirche. Dass ein unwilliger Jeptha dann aber seine Tochter opfern musste, steht sowohl providentiell für das von nun an ewige Verbot dieser Praxis wie auch für die virginitas der Kirche; der Tod der Tochter wiederum prä-figuriert den Sieg im Tod, der mit der resurrectio mortuorum eintritt – und zwar nach jenen sechs Zeitaltern, die durch die sechzig Tage in den Wäl-dern repräsentiert seien.

Eine zweite (oft vernachlässigte) Position stammt von Ambrosius, der die Episode als Exempel begreift.82 Jephthas Konsequenz steht hier für die pflichtbewusste, elterliche Gefühle unterdrückende Oblation von Mädchen im Nonnenkloster; Jephthas Tochter wiederum exemplifiziert das Verlassen der Eltern und die spirituelle Askese im Kloster: Non parentibus, non tibi, sed Deo natus es [...] egregia sane femina, quae sibi

79 Vgl. VON DEN STEINEN (Anm. 78). 80 Zur exegetischen Tradition vgl. VON DEN STEINEN (Anm. 78), S. 134–136. Wich-

tig: Augustinus: Quaestiones in Heptateuchum, hg. v. Jean FRAIPONT. Brepols 1958 (Corpus Christianorum. Series Latina 33), S. 358–373 (Kap. 49.1–49.28).

81 Augustinus, Quaestiones in Heptateuchum (Anm. 80), 358. 82 Ambrosius, Exhortatio virginitatis, hg. v. Francesco GORI, in: Sant’Ambrogio:

Opere Morali, hg. von Francesco GORI. Rom, Mailand 1985, 2 Bde., hier Bd. 2, S. 206–242 (Kap. 2–8).

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nihil reliquit, totum quod habuit Deo obtulit; cujus vita institutio disciplinae est, quaedam formula castitatis (»nicht Deinen Eltern bist Du geboren, sondern Gott […] herausragend ist die Frau, die nichts für sich behält, sondern alles, was sie besitzt, Gott darbietet, sie, deren Leben Disziplin ist, deren Prinzip Keuschheit«).83 Diese Auslegung verzichtet programma-tisch auf typologische Elemente, da Ambrosius die Historizität der Geschichte nicht akzeptieren kann.

Abaelard wird beide Zugangsweisen verbinden und zugleich im Lichte seiner Konzeption des Figuralen modifizieren. Im Vergleich zu seiner Vorlage zeichnet sich sein Planctus durch drei strukturelle Eigen-arten aus, die keine Interpretation ignorieren darf: Erstens beginnt der Text programmatisch und überraschend mit dem Ende des biblischen Berichtes;84 zum knappen Dialog zwischen Vater und Tochter tritt zwei-tens eine lange Rede der Tochter;85 und schließlich erfindet Abaelard ein ausführlich geschildertes Reinigungsritual, mit dem sich die filia auf den Tod vorbereitet.86 Der Text endet – auch hier anders als der biblische – ringschlussartig mit der (bereits) zu Beginn evozierten, rituellen Klage der Israelitinnen um Jephthas Tochter.

In den zwei Anfangsstrophen rufen sich die Sängerinnen des alljährli-chen Klagegesanges zusammen; ein wiederholtes ex more betont den ritu-ellen Charakter der derart institutionalisierten festae choreae. Damit erzeugen diese Anfangsstrophen eine Art Fusion zwischen den Israelitin-nen des Alten Testaments und den singenden Nonnen des Paraklet, die den Planctus ja gerade aktual beginnen: Die Nonnen singen nicht lediglich über die Israelitinnen; sie performieren deren Gesang, ihr Singen ver-schmilzt mit dem der Sägerinnen des Alten Testaments. Zwei Details unterstützen diese Fusion: Anders als im Alten Testament kommen hier nicht schlicht filiae, sondern »enthaltsame Jungfrauen« zusammen;87 und wenn diese virgines celebes die Notwendigkeit ihrer ungeschminkten Gesichter und »ungüldenen« Locken betonen, dann referiert dieses unscheinbare Detail (das kein Pendant im Buch der Richter hat!) präzis auf die symbolische Konstruktion der Nonnen im Paraklet. So heißt es

83 Ambrosius, Exhortatio virginitatis (Anm. 82), S. 238f. 84 Peter Abaelard: Planctus virginum super Jephtha filiam, in: Pietro Abelardo. I

Planctus. Introduzione, testo critico, trascrizioni musicali, hg. von Giuseppe VEC-

CHI. Modena 1951, hier S. 48, 1–8. – Auf eine allgemeine Bibliographie zu den Planctus sei aus Raumgründen verzichtet: grundlegende Arbeiten finden sich in den folgenden Anmerkungen.

85 Peter Abaelard, Planctus virginum super Jephtha filiam (Anm. 84), S. 49,34–51,84. 86 Ebd., S. 52,85–102. 87 Ebd. S. 48, 1f.: Ad festas choreas celibes / ex more venite virgines!

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etwa in Abaelards programmatischer erster Predigt über den Status Heloi-ses als Nonne:

Magnum est, filia, incomparabile bonum te coelestis regis sponsam effici spiritualem, ut quasi regina coelorum ei juncto latere assistas, et cum eo, caeteros praecedas in vestitu deaurato; hoc est in cor-pore solido et incorrupto, omni virtutum diversitate intus adornata. Sed quia magna sunt femineae naturae tanta praeconia, et humanae infirmitatis tam excellens gloria [...] tantae promissionis altitudi-nem aure humili suscipe, quasi obliviscendo populum tuum, et domum patris.

»Welch großartiges und unvergleichliches Gut ist es doch, dass Du die geistliche Verlobte des himmlischen Königs wirst […] und zusammen mit ihm den übrigen Nonnen in Deiner unvergoldeten Tracht vorangehst, das heißt in Deinem reinen Körper der durch deine diversen Tugenden von innen heraus geschmückt wird. Doch weil derartiges Lob großartig ist angesichts Deiner weiblichen Natur und derartiger Ruhm angesichts der Schwäche des Menschen herausragt, […] verzage nicht, auch umzusetzen, was Dir verkün-det wurde und nimm ein derartig großes Gelöbnis demütig an, indem Du Dein Volk vergisst und ebenso das Haus Deines Vaters«.88

Wichtig ist dabei, dass das Motiv der »unvergoldeten Tracht« der archety-pischen Nonne hier zugleich mit der Jungfräulichkeit ihres Körpers, mit einer ruhmbringenden Überwindung weiblicher Schwäche und vor allem mit der Forderung, Vater und Volk zu verlassen, verbunden ist – Motive, die auch im Planctus wieder begegnen.

Zu dieser ersten Parallelisierung kommen zwei weitere Grundlegun-gen. Wenn in Strophe Ia zunächst die virgo miseranda beklagt wird, dem in der Responsion dann aber ein programmatisches O stupendam plus quam miserandam entgegengehalten wird, dann macht diese qualifizie-rende Antwort deutlich, dass es hier um die ›Verhandlung‹ der Tochter Jephthas geht, um den Versuch ein adäquates Verhältnis zu ihr, eine adäquate Deutung von ihr herzustellen. Dazu kommt zweitens eine klare Typologisierung der biblischen Konstellation, wenn die filia bereits im Vorgriff dafür gepriesen wird, dass sie »den Herrn nicht betrügen wollte, der über Jepthas Gelübde das Volk errettete«: Das auf Jephtha bezogene qui per hunc salvavit populum ist eine deutliche Anspielung auf das die erlösende Opfer Christi – und damit vollzieht der Planctus bereits zu Beginn zumindest prinzipiell auch die Grundsituation der augustinischen Exegese nach, in der Jeptha zum Typus Christi wurde; von einer prinzi-

88 Peter Abaelard, Sermones, in: Patrologia Latina 178, Sp. 387f.

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piellen Ablehnung der typologischen Exegesetradition kann also keine Rede sein.

Die zentrale – doppelte – Frage für das Verständnis des nun folgen-den Hauptteils, des eigentlichen Narrativs des Planctus, liegt damit auf der Hand: Wenn die singenden Israelitinnen die Nonnen repräsentieren, was wird dann über ihre Verhandlung Jephtas im Hinblick auf den präsenti-schen Horizont des Paraklet aufgerufen und verhandelt? Welche Rolle spielt bei dieser Verhandlung zweitens die Typologisierung der Figur der filia?

Eine erste Engführung zwischen Jephthas Tochter und den Nonnen ergibt sich bereits aus der eben zitierten Stelle in Abaelards erstem Sermo, in der er die Wichtigkeit der Resistenz wider Vater und Volk betont; auch in seiner Regula und anderen Dokumenten unterstreicht er, wie wichtig gerade dieser Bruch mit Familie und sozialen Bindungen für die Nonnen des Paraklets ist:89 Genau diese Haltung wird – wohl im Anschluss an Ambrosius, dessen Formulierungen bei Abaelard anklingen – in der Geschichte selbst implizit und explizit evoziert. Abgesehen von der struk-turellen Tatsache, dass sowohl Vater wie Tochter die Familie zugunsten des Gelübdes hintanstellt, mahnt die Tochter in ihrer Rede ihren Vater ja ausdrücklich, seine dilectio zu ihr zu ignorieren;90 Jephtas Tochter reprä-sentiert damit in ihrem Handeln ganz allgemein genau die ideale Haltung einer virgo caelestis, die in Regel und Sermones archetypisch entworfen wird.

Eine zweite Parallele ist spezifischer. Programmatisch evoziert die Tochter im Planctus immer wieder etablierte Geschlechterrollen: Wenn Gott selbst, so ihr Argument, die Opferung Isaaks zurückgenommen hat, die eines Mädchens indes zulässt, impliziere dies eine außerordentliche Privilegierung des weiblichen Geschlechts;91 durch die Unterwerfung unter das votum vermag die Frau die ihr biologisch eingeschriebene Schwäche zu überwinden und spirituellen Ruhm zu erringen – eine gloria, der sich ein Mann durch einen Akt der Schwäche nicht entgegenstellen darf: »Sei doch nun«, mahnt sie, »nicht nur in Deinem Körper, sondern auch in Deinem Geiste ein Mann!«92 Auch der ›Erzähler‹ sucht diesen

89 Vgl. z.B. Peter Abaelard: Regula, ediert in: T.P. MCLAUGHLIN: Abelard’s Rule for

Religious Women, in: Mediaeval Studies 18 (1956), S. 241–292, hier 243. 90 Peter Abaelard, Planctus virginum super Jephtha filiam (Anm. 84), S. 50, 51–53. 91 Ebd., S. 50, 41f.: [Abraham] non hanc apud dominum | habet gratiam, | ut ab ipso

puerum | vellet hostiam. || Puerum qui respuit | Si puellam suscipit, | quod decus sit sexus mei, percipe | [...] | quid mihi quid tibi sit glorie.

92 Ebd., S. 50, 49: Ut sexu sic animo | vir esto nunc, obsecro.

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Kontrast, wenn er dem Zögern der starken rechten Hand des Vaters pla-kativ den Mut der zarten virgo entgegensetzt.93

Mit dieser Argumentation vollzieht die Tochter (bzw. der Planctus) bis in die Wortwahl Abaelards These von der spezifischen Dignität der Nonnen des Paraklet nach: Ihr spirituelles Kapital, so sein Argument in der Regel, in Epistula VII und im Briefwechsel, liegt in der Möglichkeit und Pflicht, die ihnen als Frauen innewohnende fragilitas durch heroische Tugendhaftigkeit, Unterwerfung unter die Regel und Disziplinierung des Körpers und der Begierden zu überwinden.94 Wenn die filia des Planctus dabei auf die gratia verweist, die diese Glorie qua Submission ermögliche und dabei – in anti-ambrosianischer Zuspitzung – auf die bei Isaak gerade nicht gegebene Tatsächlichkeit des Opfers verweist,95 dann erweist sich auch dieses spezifische Argument als Wiederholung jenes von Abaelard oft variierten Gedankens, nachdem weibliche Tugend durch die Überwin-dung angeborener weiblichen Schwäche umso beeindruckender und gna-denreicher sei.96

Immer wieder verknüpft sich darüber hinaus diese Inversion der Schwäche zur Stärke mit einer Semantik des Todes, über die Abaelard die asketische Disziplinierung des Körpers und Willens mit dem Tod von Märtyrerinnen wie etwa Susanna vergleicht und die Nonnen auffordert, den Tod des Körpers zugunsten des spirituellen Lebens der Seele in Kauf zu nehmen.97 Jephthas Tochter formuliert damit eine basale Idee des Para-klet-Imaginären und repräsentiert sie als historische Figur in ihrer tat-sächlichen Haltung zugleich; als reale Figur des Alten Testaments mutiert sie zu einer exemplarischen Präfiguration, einem figuralen Exempel der idealen Nonne des Paraklet.

Vergleichbares zeigt sich auch in der zweiten narrativen Zugabe Abaelards, dem Sterberitual. Dass dieses rituelle Bad samt Waschungen,

93 Vgl. ebd., S. 51, 68–73. Eine stark genderbezogene Interpretation dieser Stelle bei

Juanita RUYS: Ut sexu sic animo. The Resolution of Sex and Gender in the Planc-tus of Abelard, in: Medium Aevum 75 (2006), S. 1–23.

94 Hierzu immer noch grundlegend Mary MCLAUGHLIN: Abelard on the Dignity of Women. Twelfth Century Feminism in Theory and Practice, in: Jean JOLIVET u.a. (Hg.): Pierre Abélard – Pierre le Venerable. Paris 1975, S. 287–334.

95 Peter Abaelard, Planctus virginum super Jephtha filiam (Anm. 84), S. 49, 38–40. 96 Vgl. Peter Abaelard, Sermones (Anm. 88), hier Sermo 1, Sp. 383D: [mulierum]

quarum tanto virtus gratior, quanto sexus infirmior. Virtus quippe in infirmitate perfi-citur (»Je schwächer das weibliche Geschlecht ist, desto willkommener ist seine Tugend bei Gott, denn Tugend kommt über die Schwäche zur Vollendung.«)

97 Vgl. etwa Peter Abaelard, Sermones (Anm. 88), Sermo 29, insb. Sp. 558B. Zum Zusammenhang von Unterdrückung des eigenen Willens und Märtyrertum als Form der Hochzeit mit Christus vgl. etwa Peter Abaelard, Regula (Anm. 89), S. 244.

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Schmückung der virgo und klagenden Gefährtinnen in scheinbarer Para-doxie zugleich als Hochzeitsritual gefasst ist,98 zeigt sich in mehrerer Hin-sicht: Früh schon spielt Abaelard mit der Formulierung der varias ungu-enti species auf die Erotik des Hohen Lieds an;99 die geschmückte und gewaschene Tochter bezeichnet sich selbst als »gleichsam eine Heira-tende«100 und wirft diesen Schmuck am dramatischen Ende mit dem Argu-ment ab, dass derartiger Ornat nur für eine Braut vonnöten sei.101

Warum diese Zudichtung? Peter Dronke hat sie in einem gelehrten Aufsatz als Einfluss des ps.-philonischen Liber antiquitatum erklärt, in dem es zu einer vergleichbaren Parallelisierung komme:102 ein intertextuel-les Verhältnis, das Giovanni Orlandi mit überzeugenden Argumenten in Frage gestellt hat.103 Einen anderen Zugang zu diesem Problem bieten freilich die Parakletschriften oder genauer: die zwar nicht originelle, aber gleichwohl wichtige und spezifische Semantik der nuptiae, die sich in ihnen findet.

Kaum verwunderlich konzeptualisiert Abaelard hier nämlich Heloise und ihre Schwestern mit explizitem und allusivem Verweis auf das Hohe-lied als sponsae Christi, allerdings ohne ihre Verbindung zu Christus zu erotisieren oder zu mystifizieren. Ein schlagendes Beispiel dafür findet sich etwa am programmatischen Beginn seiner Regula, an dem er das »ideale Bild der Braut Christi« zeichnet. Mit Christus verlobt zu sein, bedeutet dabei nicht nur, »die irdischen Besitztümer und die Affekte hin-ter sich zu lassen, die von weltlichen Bindungen ausgehen«, sondern kon-kreter »Vater und Mutter zu lassen«, sowie die »Affekte wider unsre Ver-wandten zu verweigern, sein eigenes Leben zu hassen, sich zu weigern, dem eigenen Willen zu folgen«, sowie im Gegenteil sich »der Leitung durch den Willen eines anderen zu verpflichten«, das »Kreuz zu tragen« und sich »durch eine freie Entscheidung für die Profess alles Weltliche zu untersagen, das heißt: dem eigenen Willen nicht mehr zu folgen.«104

98 Vgl. auch DRONKE, The Lament (Anm. 78), S. 381–383. 99 Peter Abaelard, Planctus virginum super Jephtha filiam (Anm. 84), S. 52, 97 (varias

unguenti species) mit Hld 1,1f.; 4,14. 100 Ebd., S. 53, 119: et tamquam nuptiis | morti se preparent. 101 Ebd., S. 54, 137f.: Que nupture satis sunt, | periture nimis sunt. 102 Vgl. DRONKE, The Lament (Anm. 78), S. 381–383. 103 Giovanni ORLANDI: On the Text and Interpretation of Abelard’s Planctus, in:

John MARENBON (Hg.): Poetry and Philosophy in the Middle Ages. A Festschrift for Peter Dronke. Leiden 2001, S. 327–342; vgl. auch Willemien OTTEN: The Poe-tology of Biblical Tragedy in Abelard’s Planctus, in: Karla POLLMANN, Willemien OTTEN (Hg.): Poetry and Exegesis in Premodern Latin Christianity. Leiden 2007, S. 245–263.

104 Peter Abaelard, Regula (Anm. 89), S. 243f.

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Dass Abaelard mit der Hochzeitsszene im Planctus ganz konkret auf das Ritual der velatio virginum oder auf die Profess anspielt, kann nicht ausgeschlossen werden; sicher dagegen scheint, dass er die Szene des Planctus konzeptionell ganz aus der Logik seiner Semantik der nuptiae gestaltet bzw. umgekehrt: die biblische Geschichte mit seiner Zudichtung an sie adaptiert hat. Auch die erstaunliche Assoziation von Hochzeit, Tod, Gelübde und Unterwerfung aus freiem Willen erweist sich somit als exemplarische Illustration von Abaelards spezifischer Konzeption der idealen virgo caelestis.

Aber Jephtas Tochter ist nicht nur ein Exempel im Sinne des Ambro-sius, sondern auch eine Präfiguration, zumindest eine suggerierte, denn immer wieder wird auch sie – nicht nur (wie bereits erwähnt) ihr Vater105 – mit figuralen Obertönen beschrieben. So vergleicht sie selbst ihre Situa-tion mit dem traditionell als Typus Christi verstandenen Isaak;106 folge-richtig büßt sie dann stellvertretend für die Freuden des Volkes;107 und immer wieder wird sie im selben Sinne als eine hostia beschrieben, die mit Unschuld und Gnade, ja explizit mit der Vorstellung der Erlösung assozi-iert wird, etwa wenn es heißt: Sitque legis sanctio | mea maledictio, | nisi sit remedio | munde carnis hostia (»und es wäre die Satzung des Rechts mein Untergang, wenn nicht das Opfer reinen Fleisches zum Heilmittel würde«).108

Eine klare Anspielung auf die Überwindung des Alten Gesetzes durch ein reines Opfer, das zugleich als erlösendes Heil beschrieben ist. Im Planctus erscheint ihr Vater somit als Typus Christi, sie selbst als Typus des Opfers, des Todes, des Verzichts Christi. Im Vergleich zur exegetischen Tradition etabliert Abaelard damit ein neues Modell, indem er tradierte Elemente übernimmt, rekombiniert und an einer entscheiden-den Stelle umdeutet. So folgt er zwar einerseits Augustinus, insofern er Jephtha allusiv zum Typus Christi macht; doch die Tochter ist – anders als in Augustins Quaestiones in Heptateuchum – gerade nicht der Typus der ecclesia, sondern – ebenso wie bei Ambrosius – eine exemplarische Verkörperung, hier: der Ideale des Paraklets. Zugleich wird die Tochter in ihrem Handeln aber auch mit dem Leben und Sterben Christi assoziiert, was die eindeutige augustinische Gleichsetzung von Jephtha und Christus komplizierter macht und eher einen ›figuralen Hintergrund‹ des Planctus

105 Vgl. oben. 106 Peter Abaelard, Planctus virginum super Jephtha filiam (Anm. 84), S. 49, 38–40. 107 Ebd., S. 49, 31: nostra lues gaudia; vgl. 51, 64: Solvens ergo debitum. 108 Ebd., S. 51, 79–82: Sitque legis sanctio / mea maledictio, / nisi sit remedio / munde

carnis hostia. Vgl. auch S. 49, 35; 50, 43; 51, 62, wo die Tochter ebenfalls als hostia oder victima apostrophiert ist.

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im Ganzen erzeugt, denn eine typische Gleichsetzung (oder zumindest: Hinordnung) von Tyus und Antitypus konstruiert.

Warum diese figuralen Obertöne? Was leistet eine derartige, zwi-schen Figuralität und Exemplarik angesiedelte Konstellation, die sich im Übrigen auch in anderen Planctus Abaelards ausmachen lässt? 109 Entschei-dend ist zunächst, dass es hier nur um figurale Anspielung geht, obwohl eine starke figurale, typologische Konzeptualisierung beider Figuren von der Auslegungstradition her nahelag oder doch zumindest möglich war. Diese Reduktion des Figuralen ist Teil einer Aufwertung des Exemplari-schen als philosophisch-theologischer und auch spiritueller Denkform, die sich im gesamten Werk Abaelards findet.110 Gerade in seinen monasti-schen Schriften beschwört er immer wieder die Notwendigkeit herauf, sich als Mönch oder Nonne über die imitatio von – und comparatio mit – spirituellen Vorbildern über die eigenen spirituelle Identität klar zu wer-den: ganz deutlich etwa in den Sermones, in denen Abaelard exemplarische Figuren wie Susanna, Elisabeth oder auch Johannes den Täufer als Modelle seiner spirituellen Normen vorführt111 sowie das Prinzip der Exemplarik aus theologischer Sicht grundlegt.112 In seiner für die Nonnen des Paraklet verfassten Regula wird diese Logik dabei geradezu zum Prin-zip von Normativität, wenn Abaelard zu Beginn verkündet, in diesem Werk ein Bild der perfekten Braut Christi zu zeichnen, ein »Bild der Per-fektion, in dem Du [Heloise] wie in einen Spiegel, der Dir stets vor Augen gehalten wird, Deine eigene spirituelle Schönheit sowie Deine Feh-

109 Peter Abaelard, Planctus Israel super Sanson [!], in: Vecchi, I Planctus (Anm. 84),

S. 57–61, dazu nun die wichtige Studie von Felix HEINZER: Samson dux fortissi-mus: Löwenbändiger und Weiberknecht vom Dienst. Funktionen und Wandlungen eines literarischen Motivs im Mittelalter, in: Mittellateinisches Jahrbuch 43 (2008), S. 25–46, insb. 41f., wo Heinzer konstatiert, dass hier »die Schiene traditioneller Allegorisierung der figura [Samsons] auf Christus in umgekehrter Richtung benutzt wird, um eine gleichsam christusförmige Lesung von Samsons eigener Lei-densgeschichte zu erreichen. In dieser Umkehrung der dadurch erreichten Lesung Samsons nicht nur als Christuspräfiguration, sondern als Christusfigur wäre dann eine besondere Pointe von Abaelards poetischem Konzept zu sehen.«

110 Eine systematische Studie zu Abaelards Exemplarik fehlt. Grundlegend der Auf-satz von Donald K. FRANK: Abelard as imitator of Christ, in: Viator 1 (1970), S. 107–113; vgl. auch Frank BEZNER: Ich als Kalkül. Abaelards Historia Calamit-atum diesseits des Autobiographischen, in: Dag Nikolaus HASSE (Hg.): Abaelards Historia Calamitatum. Text, Übersetzung, literaturwissenschaftliche Modellanaly-sen. Berlin 2001, S. 140–177.

111 Vgl. oben oder etwa den Beginn von Brief 9 (d. i. Abaelards Traktat über den Stand der Nonnen): Peter Abaelard, Letters IX-XIV. An edition with an introduction, hg. von Edme SMITS. Groningen 1983, hier S. 219.

112 Vgl. Peter Abaelard, Sermones (Anm. 88), Sermo 33, Sp. 582–607.

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ler zu erkennen vermagst.«113 Das Subjekt der Regel – die »perfekte Braut Christi« – ist ein ideales (Vor-)Bild, zu dem sich Heloise und ihre Schwestern – nicht anders als zu Susanna, Elisabeth oder anderen Exem-peln – in Beziehung setzen sollen.

Abaelards Planctus vollzieht diese grundlegende Exemplarik in dop-pelter Hinsicht nach. Zum einen wird Jephthas Tochter zum Exempel, an dem Normen des Paraklet vorgeführt und verhandelt werden: eine Funk-tion, die sich auch in der einzigen anderen Erwähnung der Figur in Abae-lards Werk zeigt. Zum anderen wird demonstriert und zugleich perfor-miert, wie sich die Israelitinnen bzw. die Nonnen des Paraklet – die ja zu Beginn und am Ende die eigentliche Zeitlichkeit des Textes markieren und als sich Erinnernde vorgeführt werden – mit diesem Exempel auseinander-setzen: eine Logik, auf die am Ende angespielt wird, wenn es heißt, dass die virgines celebes durch die nun tapfere virgo »nobilitiert« werden und an Dignität gewinnen; vorgeführt wird also nicht nur ein Exempel, sondern in Auseinandersetzung mit ihm wird Exemplarik spirituelle Praxis.

Die Frage nach den figuralen Obertönen erweist sich damit als Frage nach der Relevanz einer figuralen Überdeterminierung des Exemplari-schen; anders gewendet: Was leistet eine figurale Allusivik im Rahmen einer im ganzen exemplarischen Konstruktion oder Dynamik? Durch die figurale Überdeterminierung eines Exempels wird – so meine These – eine systematisch wichtige Verbindung gestiftet, die eine Schwachstelle spiri-tueller Exemplarik adressiert und behebt: das Problem, inwiefern die Aus-einandersetzung mit einem Exempel – eine Auseinandersetzung, die a priori und per se ja gerade keine imitatio Christi ist – eigentlich erlösungs-geschichtlich relevant werden kann und nicht schlicht moraltheologisch zu verstehen ist. Indem über die Konstruktion figuraler Obertöne das spezifische Handlungs- und Wertegefüge eines Exempels wie der Tochter Jephtas als eine Struktur präsentiert wird, die nun selbst der conversatio Christi verpflichtet ist oder sogar im Modus der Praxis eine imitatio Christi darstellt, wird eben diese zentrale Verknüpfung hergestellt; indem Abaelard die in dem Konzept des Figuralen und in der figuralen Relation angelegte Logik zukünftiger Erfüllung evoziert, wird aus der die conver-satio Christi imitierenden Handlung eine Handlung im Horizont der Erlösung – eine Handlung, die qua der in ihr performierten Werte zumin-dest potentiell demonstriert, dass sich das handelnde Subjekt in ein Erlö-sungsgeschehen ›begeben‹ hat. Wenn Abaelards Konzept der Erlösung also – wie gezeigt – eine notwendige Deprivilegierung des Figuralen

113 Peter Abaelard, Regula (Anm. 89), S. 243: ad depingendam animae pulchritudinem

et sponsae Christi describendam perfectionem in qua vos tamquam speculo quodam unius spiritalis virginis semper prae oculis habitae decorem vestrum vel turpitudinem deprehendatis.

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zugunsten eines subjektiven Entscheidungsraums mit sich bringt, dann führen figurale Obertöne umgekehrt die mit der Aufwertung einer exem-plarischen Relation einhergehende Schwächung des Erlösungshorizontes wieder ein – und dies, ohne eine zu starke und damit subjektlose Heilsge-schichte zu begründen.

Für die Planctus ist die Etablierung dieser Verknüpfung dabei bereits insofern zentral, als Abaelard über sie ja nicht schlicht Gebote christlicher Moral oder Wahrhaftigkeit – wie sie etwa die Figur Adams erfüllt – prä-sentiert und performiert, sondern ganz spezifisch die spirituellen Nor-men, Werte und Praktiken des Paraklet: Genau diese Normen, so führt Abaelard in seiner Regel und in anderen Dokumenten immer wieder aus, sind Formen der Nachfolge Christi und begründen die potentielle Erlö-sung der Nonnen in Christo. Wenn Jepthtas Tochter als alttestamentli-ches Exempel in ihrer Haltung, ihrem Opfer, ihrer Unterdrückung des Willens sowie in ihrer Hochzeit, die in einen Tod führt, die ideale Nonne des Paraklet repräsentiert, aber zugleich das Opfer Christi, dann werden diese Praktiken der idealen Nonne unweigerlich mit Christus und seinem Opfertod assoziiert. Damit wird nun aber mehr als eine bloße imitatio Christi suggeriert; die Ideale und Praktiken des Paraklet werden vielmehr in genau jenen offenen Horizont einer möglichen Erlösung gestellt, der sich im Falle der Tochter bereits erfüllt hat. So wenig es, wie bereits aus-geführt, für Abaelard Sinn macht, die Hoffnung des Alten Testaments in eine Gegenwart zu überführen, in der sie sich bereits erfüllt hat – so sehr scheint für Abaelard sinnvoll zu sein, die spezifische Erlösungshoffnung seiner Gegenwart an die spezifischen Ideale seines Paraklet(-Imaginären) anzubinden.

VI Anders als bisweilen suggeriert, hat die oft betonte Abneigung Erich Auerbachs gegen Abstraktion und theoriegeleitete Ansätze nicht dazu geführt, dass sein Konzept der Figura unbestimmt oder gar inkonsistent geblieben wäre – so komplex es in seiner Genese auch gewesen sein mag.114 Im Gegenteil: Teils explizit, mehr aber über die von ihm verwen-

114 Für das folgende sind folgende Arbeiten zentral: Seth LERER (Hg.): Literary His-

tory and the Challenge of Philology. Stanford 1996 (mit den unten genauer nach-zuweisenden Aufsätzen von Costa Lima, Nichols, Gellrich und White); Hans-Ulrich GUMBRECHT: Vom Leben und Sterben der großen Romanisten. Carl Voss-ler, Ernst Robert Curtius, Leo Spitzer, Erich Auerbach, Werner Krauss. München 2002, S. 152–174; Karlheinz BARCK, Martin TREML (Hg.): Erich Auerbach. Geschichte und Aktualität eines europäischen Philologen. Berlin 2007 (mit den

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deten Begrifflichkeiten ergibt sich – über die Beschreibung der Figura an sich hinaus – ein klares Bild der Implikationen und der ›Bedeutsamkeit‹, die untrennbar zum eigentlichen Phänomen gehören, ja es vielleicht sogar erst ausmachen oder zumindest: jenen von Auerbach nie wirklich syste-matisierten theoretischen Horizont generieren, in dem das Konzept mög-lich wird. Besonders aussagekräftig sind dabei die Stellen, an denen Auer-bach etwaigen, von ihm selbst formulierten Gegenargumenten oder Problematisierungen ein trotziges »und doch« oder »man fühlt«115 ent-gegenhält, um seine Konzeptualisierung zu verteidigen oder gar zu retten. Zusammengenommen treten dabei insbesondere zwei verwandte, aber nicht identische Elemente seiner Position hervor, die sich als zentral bezeichnen ließen: (1) Auerbachs Überzeugung, dass sich die ›lebendige‹ Figura (resp. Figuraldeutung) von einer nur auf tote ›Abstraktion‹ zielen-den Allegorie (und allen Formen der Allegorese, insbesondere dem vierfa-chen Schriftsinn) radikal und nicht eigentlich vermittelbar unterscheidet. (2) Auerbachs Überzeugung, dass die Figura kein rein hermeneutisches oder textuelles Phänomen darstellt, sondern auf einer ›geschichtlichen Wirklichkeit‹ (und ›Konkretheit‹) basiert, sich ›real‹ erfüllt und trotz Auslegung und Erfüllung in ihrer ›vollen Innergeschichtlichkeit‹ gewahrt bleibt.

Deutlich zeigt sich dabei gerade in diesen beiden zentralen Elemen-ten die spezifische geistesgeschichtliche Konstellation, in der Auerbach sein Konzept der Figura entwickelt hat. So ist sein Insistieren auf einer scharfen Trennung zwischen Allegorie und Figur offensichtlich von der seit Goethe dominanten Abwertung der (zu Auerbachs Zeiten) noch nicht wirklich ›rehabilitierten‹ Allegorie bestimmt – und daran ändert sein etwas erzwungener Versuch wenig, ›seine‹ Figura vom klassischen Sym-bolbegriff und der (Warburg-Cassirerschen) Magie zu differenzieren. Dass er aus mediävistischer Sicht damit der Allegorie unrecht tut, ist dabei nicht das entscheidende Problem. Problematischer ist vielmehr, d a s s e r ü b e r h a u p t – und trotz der von ihm selbst eingestandenen Unschärfen – auf einer so r a d i k a l e n D i f f e r e n z i e r u n g besteht: Wie sich lange schon gezeigt hat, erweist sich das Feld mittelalterlicher ›Herme-neutik‹ als nur halb systematischer, selten strikt konsistenter Bereich von

unten genauer nachzuweisenden Aufsätzen von Ginzburg, Meur, Costa Lima, Mül-ler, Waizbort, Newman); Walter BUSCH, Gerhart PICKERODT (Hg.): Wahrneh-men, Lesen, Deuten. Erich Auerbachs Lektüre der Moderne. Frankfurt/M. 1998 (mit den unten genauer nachzuweisenden Aufsätzen von Richards, Uhlig, Busch); Geoffrey GREEN: Literary Criticism and the Structures of History. Erich Auer-bach and Leo Spitzer. Lincoln 1982.

115 Vgl. etwa AUERBACH, Figura (Anm. 2), S. 67 (Figura qua Konkretheit sinnlich stärker als bloße Gleichnisse), 77–80 (Ausgleich zwischen Allegorie und Figura doch zugunsten der Figura entschieden).

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›Mischformen‹, Konvergenzen und Überschneidungen.116 Gleich, ob man eine Kartographie dieser ›Mischformen‹ anstrebt117 oder versucht, die epistemischen Logiken herauszuarbeiten, die hinter einzelnen – dann nur in ihrer Spezifik fassbaren – Allegorie-Konzepten sichtbar werden:118 Auerbachs Ansatz ignoriert de facto die Mannigfaltigkeit, Spezifik und teils auch Inkonsistenz der ›realen‹ Erscheinungsform figuraler Konzepte und Deutungsformen; radikaler formuliert: Obgleich Auerbach selbst klar auf die Unschärfen verweist, die sich bei der Analyse mittelalterlicher Hermeneutik ergeben,119 präpariert er doch eine gleichsame ideale, über-zeitlich geltende Logik heraus, die es in dieser Form nicht gegeben hat; gerade der Vergleich mit Augustinus oder Dante zeigt dies deutlich.

Man muss dieses Streben nach der ›einen‹ Dynamik ›des‹ Figuralen wohl mit jenen Hoffnungen und (im weiteren Sinne) politischen Impli-kationen verbinden, die Auerbachs Ansatz im Ganzen motivieren. Zahl-reiche Studien legen nahe, dass sein Konzept einer unaufhebbaren Inte-gration des Alten Testaments in die christliche, europäische Kultur einen Gegenentwurf zu nazistisch motivierten und ideengeschichtlich ver-brämten Versuchen darstellt, den Anteil der jüdischen Kultur an der europäischen und christlichen Zivilisation aggressiv zu leugnen.120 Der Vielfalt der mittelalterlichen Hermeneutik die eine Dynamik abzuringen, führt aber zugleich auf den Hintergrund des zweiten oben genannten Zentralelements seines Ansatzes: der Betonung von Zeitlichkeit, Geschichtlichkeit, Wirklichkeit.

Wie zahlreiche Arbeiten gezeigt haben, ist nämlich auch Auerbachs Denken und Ansatz in jene Herausforderung verstrickt, mit der sich die Geisteswissenschaften der Zeit im Rahmen der ›Krise des Historismus‹ konfrontiert sahen: in die Vermittlung zwischen historischer Spezifik und drohendem Relativismus auf der einen und einem potentiell zu falscher

116 Grundlegend Christel MEIER: Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Allego-

rie-Forschung. Mit besonderer Berücksichtigung der Mischformen, in: Frühmittel-alterliche Studien 10 (1976), S. 1–69 oder auch Bettina FULL: Allegory, in: Albrecht CLASSEN (Hg.): Handbook of Medieval Studies. Terms–Methods–Trends, 2 Bde. Berlin/New York 2010, hier Bd. 2, S. 1430-1440. Vgl. auch die in Anm. 120 zitierte Arbeit Gellrichs.

117 So etwa MEIER, Überlegungen (Anm. 116). 118 So etwa BEZNER, Vela Veritatis (Anm. 13). 119 Vgl. etwa AUERBACH, Figura (Anm. 2), S. 78–82 (wo sogar der Begriff der

»Mischformen« fällt!). 120 Vgl. etwa Earl Jeffrey RICHARDS: Erich Auerbach’s Mimesis as Reflection on the

Shoah, in: German Politics and Society 59 (2001), S. 62–91, und Jesse GELLRICH: Figura, Allegory, and the Question of History, in: LERER, Literary History (Anm. 114), S. 107–123.

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Totalität führenden philosophischen Interesse auf der anderen Seite.121 Erst bei genauerem Hinblick zeigt sich dabei vor diesem Hintergrund, dass sein Konzept der Figura nicht nur ein historisches Phänomen beschreibt, sondern auch die Dynamik einer historischen Zugangsweise beschreibt, die Auerbach eine »Alternative zu einer lediglich faktenzen-trierten (streng philologischen) Geschichte der Literatur« ermöglichte.122 Die Logik von Text und Erfüllung erweist sich dabei – wie Hayden White scharfsinnig herausgearbeitet hat – nicht zuletzt in Auerbachs Praxis, ver-gangene Texte und Kontexte – also: historische Milieus, historische Rea-litäten, historische Mannigfaltigkeit – sowie die Erfahrung des Interpreten als ein wechselseitiges Erfüllungsverhältnis zu begreifen.123 Leitend ist dabei der allgemeine Gehalt, die jeweilige Idee – hier: des Figuralen –, die Auerbach aus dem Dickicht der Geschichte herauspräpariert und in seiner Interpretation erfüllt sein lässt. Wie zahlreiche Arbeiten gezeigt haben, führt sein eigener Verweis auf die Wichtigkeit historischer Spezifik (und auf Vicos Vorbild) dabei insofern in die Irre, als Auerbach gerade danach strebt, das Allgemeine aus dem Besonderen herauszulösen124 – nicht zuletzt deshalb, um ein »kämpfendes Verhältnis zur Gegenwart«125 zu ermöglichen. ›Figurales Denken‹ beschreibt damit nicht nur den Gegen-

121 Dazu Diane MEUR: Auerbach und Vico, in: BARCK/ TREML, Erich Auerbach

(Anm. 114), S. 57–70, insb. 61–63; Claus UHLIG: Erich Auerbach: ein Geschichts-theoretiker?, in: BUSCH/PICKERODT, Wahrnehmen (Anm. 114), S. 63–84; Leo-poldo WAIZBORT: Erich Auerbach im Kontext der Historismusdebatte, in: BARCK/TREML, S. 281–296; Luis COSTA LIMA: Zwischen Realismus und Figura-tion: Auerbachs dezentrierter Realismus, in: ebd., S. 255–267; Ernst MÜLLER: Auerbachs Realismus, in: ebd., S. 268–280, insb. 274–276.

122 So etwa COSTA LIMA, Zwischen Realismus und Figuration (Anm. 121), S. 56, vgl. auch Diane MEUR, Auerbach und Vico (Anm. 121), S. 66f.: »[Grundlegend für Auerbach und Vico] ist die von Plato hergeleitete Einsicht, dass die Geschichte bzw. die sinnliche Wirklichkeit zugleich Ort des Besonderen und [...] Parusie der Idee ist; dass das Besondere, Einmalige, Nichtrationale an der Geschichte als Abglanz der Idee bedeutend ist. [...] [und so ist] die Methode Auerbachs wie die von Vico nur scheinbar induktiv: Ideen sind bei ihm keine Verallgemeinerungen des Einzelnen, sondern ein immer schon Dagewesenes, das am Einzelfall zu zeigen sei.«

123 Vgl. Hayden WHITE: Auerbach’s Literary History: Figural Causation and Moder-nist Historicism, in: LERER, Literary History (Anm. 114), S. 124–143, hier bes. 131.

124 Vgl. die in Anm. 121 zitierten Arbeiten sowie dazu etwa Frank Rutger HAUS-MANN: Montaigne und Auerbach, in: BUSCH/PICKERODT, Wahrnehmen (Anm. 114), S. 224–237, hier S. 230 mit dem Zitat von Eli Blanchard.

125 Dazu insbesondere Earl Jeffrey RICHARDS: Auerbach und Curtius: der unterbro-chene oder der verpasste Dialog?, in: BUSCH/PICKERODT, Wahrnehmen (Anm. 114), S. 31–62, hier 37–39.

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stand seiner Forschungen, sondern auch (zumindest teilweise) seine eigene Methode.

Auerbach mangelnde historische Präzision und Verkennung histori-scher Spezifik vorzuwerfen (sei es in Bezug auf Augustinus, Dante oder die mittelalterliche Hermeneutik im Ganzen), ist von daher zwar legitim und, gerade im Hinblick auf die Rezeption Auerbachs in den nicht-mediä-vistischen Literaturwissenschaften, wohl auch nötig, reicht aber insofern nicht aus, als sich über eine derartige Präzisierung eben der Anteil seines Entwurfs nicht zu fassen vermag, der in der Konzeptualisierungsleistung an sich, in der Erörterung einer (nicht nur mittelalterlicher) figuralen Dynamik liegt.

Mit Bezug auf Abaelard genügt es somit nicht, schlechthin festzu-stellen, dass seine Konzeption des Figuralen – geprägt durch Textualisie-rung, Enthistorisierung, Subjektivierung und Reinterpretation als Exem-pel – geradezu wie eine Formulierung jener potentiellen Aspekte der Figura erscheint, die Auerbach so vehement ablehnt und negiert. Viel-mehr scheint es sinnvoller, Auerbachs Konzept mit dem Abaelards zu konfrontieren, um über einen zwar anachronistischen, aber ›diagnostisch‹ fruchtbaren Vergleich eine Reihe von Grenzen oder Leerstellen seines Ansatzes offenzulegen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang insbeson-dere die T e x t u a l i s i e r u n g des Phänomens durch Abaelard. Figuren gerade nicht radikal in ihrer Innergeschichtlichkeit oder Zeitlichkeit zu fassen, sondern im weitesten Sinne hermeneutisch und als Moment eines Textes zu begreifen, weist auf einen weit über Abaelard hinausreichenden blinden Fleck in Auerbachs Konzeptualisierung des Mittelalters. Die gelehrte Kultur des (lateinischen) Mittelalters ist eine textuelle, die von einer um Rhetorik und Dialektik bzw. Logik erweiterten grammatica bestimmt wird;126 wo sich diese Kultur dabei zu einer scholastischen Epis-teme gewandelt hat, wird diese Entzeitlichung noch radikalisiert und zur Gänze in logisch-begriffliche Analysen aufgelöst.127 Anders gewendet: Zentrale epistemische Dynamiken des lateinischen Mittelalters stehen einer genuin Auerbachschen Auffassung der Figura gerade entgegen. Dazu kommt zweitens die ›S u b j e k t i v i e r u n g ‹ der Figura, die auf eine erstaunliche (selten vermerkte) Defizienz in Auerbachs Modell weist: die nahezu vollständige Absenz der Frage der Rezeption der Figura. An kaum einer Stelle thematisiert Auerbach die Rolle (oder zumindest: die Präsenz) von Lesern oder Rezipienten figuraler Konstellationen; seine Polemik gegen den vierfachen Schriftsinn der Bibel, der eine Integration des Exegeten ermöglichen, wenn nicht erzwingen würde, tut ihr Übriges. 126 Einschlägig Martin IRVINE: The Making of Textual Culture. Grammatica and Lite-

rary Theory 350–1100. Cambridge 1994. 127 Dazu BEZNER, Vela Veritatis (Anm. 13), S. 631–652.

IAM NON OPUS EST FIGURIS

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Diese Negation der Rezeption ist dabei durchaus konsequent: In einer starken Logik von Figur und notwendiger – weil andernfalls die Erlösung oder Heilsgeschichte kompromittierender – Erfüllung ist schlicht kein Raum für Leser oder Rezipienten im Sinne abwägender, verstehender oder eben missverstehender Subjekte. An dieser systematischen Exklusion der Rezipientenposition ändert dabei weder Auerbachs eher spekulative Erklärung der Genese der Figura im Kontext der Heidenmission etwas noch jene einzige Stelle, an der er versucht, die in seiner Position implizite Neutralisierung der Subjektposition zu minimieren. Wie ein systemati-scher Fremdkörper nämlich wirkt seine suggestive These, nach der das über die Figura repräsentierte »Geschehen in all seiner sinnlichen Kraft doch immer Gleichnis, verhüllt und deutungsbedürftig [bleibt]«, sowie das »Weltgeschehen nicht zu der praktischen Endgültigkeit [gelangt], welche sowohl der naiven wie der modern-wissenschaftlich Auffassung von der vollzogenen Tatsache innewohnt, sondern [...] o f f e n u n d f r a g l i c h « bleibt.128 Eine derartige Offenheit und Fraglichkeit im Figu-ralen konterkariert die von Auerbach zuvor so betonte unaufhebbare Ver-knüpfung von Altem und Neuen Testament – und wird von daher im fol-genden Absatz auch sofort wieder eingeholt: Auerbach schränkt hier nämlich die Leitung der Interpretation durch den Glauben ein, betont stattdessen die aus der Sicht Gottes stets gegebene vollständige und unbe-streitbare Erfüllung der Figur und setzt überdies das Verhältnis von Figur und Erfüllung mit der gerade nicht offenen oder fraglichen, sondern star-ken, fundamentalontologisch fundierten Relation zwischen Abbild und Idee in Eins.129 In Auerbachs Theorie von Figuralität und Erlösung ist kein Platz für den Zweifel, für Offenheit – und das heißt zwangsläufig auch: kein Platz für das mit der Figur konfrontierte Individuum oder Sub-jekt.

Bei Abaelard führt die theologisch notwendige Berücksichtigung des Subjekts in der Heilsgeschichte, wie gezeigt, nicht zur einer Ablehnung (oder Allegorisierung) der Figura, sondern zu einer Reinterpretation des Figuralen als Exempel. Gerade das mit figuralen Obertönen assoziierte Exempel schafft dabei nicht nur Raum für die Entscheidung des individu-ellen Subjekts; es impliziert und ›bewahrt‹ paradoxerweise genau jene Innergeschichtlichkeit, Konkretheit und Spezifik, die Auerbach der Figura unterstellt (ohne hier jemals selbst konkret zu werden). Dass Auerbach die Relevanz oder gar konkurrierende Rolle des Exempels für die verhandelte Problematik unterschlägt – und sich stattdessen auf eine Differenzierung gegen Allegorie und Symbol kapriziert –, kann wohl als

128 Vgl. AUERBACH, Figura (Anm. 2), S. 80f. (Hervorhebung F. B.). 129 Ebd.

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konzeptionelle Schwäche interpretiert werden. Vor allem aber impliziert es gerade vor dem Hintergrund seiner eigentlichen Frage nach der Dar-stellung des ›Wirklichen‹ in der Literatur eine verpasste Chance. Denn wie Carlo Ginzburg gezeigt hat, verkennt bereits Auerbachs Interpretation Dantes die genuin exemplarische Dynamik der so erstaunlich ›realen‹ und zugleich idealen Figuren der Commedia, deren Realität Auerbach durch Mobilisierung seines Figura-Konzepts zu erklären sucht.130 Ginzburgs Hinweis auf Auerbachs eigene Thematisierung des Exemplarischen in sei-ner Studie zur Renaissancenovelle131 ließe sich von daher radikalisieren. Denn gerade in einem Auerbachschen literargeschichtlichen Kosmos ließe sich der Ursprung einer spezifisch europäischen Wirklichkeitsdarstellung aus dieser Perspektive nicht mehr in einer ›starken‹ Figura, sondern in einer genuin mittelalterlichen Interpretation des Figuralen als ›exemplari-scher‹ Dynamik verorten.

130 Vgl. Carlo GINZBURG: Auerbach und Dante: eine Verlaufbahn, in: BARCK/TREML,

Erich Auerbach (Anm. 114), S. 33–45. 131 Ebd., S. 39–41.