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2. Juli 2014: Fachtag des Erich Kästner Kinderdorfes
"Keiner darf verloren gehen"Umgang mit Traumata in der Heimerziehung
© ZTP Juli 2014
„Als wäre ich ein Geist, der auf mich runter schaut"
traumapädagogische Selbstbemächtigung für hochdissoziative Mädchen und Jungen
© ZTP Juli 2014
Inhalte
• Einige Aspekte der Dissoziation von Mädchen und
Jungen
• Traumapädagogische Hilfen
• Die Pädagogik der Selbstbemächtigung
• Ein soweit als möglich sicherer Ort:
– Übertragungen und Gegenreaktion reflektiert nutzen
© ZTP Juli 2014
© ZTP Juli 2014
© ZTP Juli 2014
Definition des Begriffes
„Während einer Dissoziation sind
zwei oder mehrere mentale
(gedankliche oder geistige)
Prozesse oder Inhalte
offensichtlich nicht miteinander
assoziiert, obwohl dies eigentlich
der Fall sein sollte.“ Putnam 1997
„… ein komplexer psycho-physiologischer Prozess", der
1. die Erinnerung an die Vergangenheit verhindert oder verändert,
2. das Identitätsbewusstsein stört, 3. das Erleben von Kontrolle über
Körperempfindungen und Körperbewegungen stört sowie
4. aktuelle Wahrnehmungen und Emotionen von anderen psychischen Prozessen abspaltet. (Egle et al., 2005, S. 393)
Inhalte
• Einige Aspekte der Dissoziation von Mädchen und
Jungen
• Traumapädagogische Hilfen
• Die Pädagogik der Selbstbemächtigung
• Ein soweit als möglich sicherer Ort:
– Übertragungen und Gegenreaktion reflektiert nutzen
© ZTP Juli 2014
Entwicklung und Dissoziation
© ZTP Juli 2014
Dissoziation ist in der frühen Kindheit eine normale Reaktion auf
Unterbrechung einer Beziehung und Stress.
Diese Fähigkeit scheint im Kindesalter in besonderer Ausprägung
vorhanden zu sein.
Die erste Möglichkeit besteht darin, dass das Kind keinen normalen,
altersentsprechenden Rückgang von Dissoziation zeigt.
Die zweite Möglichkeit ist ein Anstieg von Dissoziation im Verlauf der
Entwicklung, als kumulative Reaktion auf traumatische Erlebnisse.
Im Zusammenhang mit Dissoziation als Verarbeitungsmechanismus
traumatischer Erfahrungen scheint die Kategorie D, das
„hochunsicher/desorganisierte" Bindungsmuster, besonders relevant.
Von normaler zur dysfunktionaler Dissoziation
Dissoziaton als eingeschränkte
Wahrnehmung
Normaler alltäglicher Prozess
Fantasiegeschichten
Versinken im Spiel, Buch oder Film
Depersonalisationserfahrungen
Störungswertige Dissoziation
Fragmentierung der Erinnerung
Fragmentierung des Selbst
Erschwert das Lernen und den
Aufbau von Freundschaften
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Das Übererregungs/Dissoziatonskontinuum
Gesteigerte Wachsamkeit (Hypervigilanz)
Zur Kontrolle löst der sympathische Teil eine
Erstarrungsreaktion aus
Psychischer Rückzug
Kortisolüberproduktion
Größere Sensibilität für Stress
Niedriger Kortisolspiegel
Erhöhter Kortisolspiegel
Verstärkte Blockade der Wahrnehmung und der
Erinnerung
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Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen
Leichte Dissoziation
• Wegdriften
• Arupte Stimmungswechsel
Moderate Dissoziation
• Taubheit der eigenen Gefühle und
Körperempfindungen
• Depersonalisationszustände
• Derealisation
Schwere Dissoziation
• Dissoziative Anteile oder
Selbstzustände
– Stimmen hören
– switchen
– Dissoziative Amnesie
– Probleme durch das Eigenleben
der einzelnen Anteile
© ZTP Juli 2014
Probleme dissoziativer Kinder und Jugendlicher im Alltag 2/1
© ZTP Juli 2014
Starke Leistungsschwankungen – nicht lernen können – Entwicklungsgrad
Nicht spüren der Wut, überraschende heftige Wutausbrüche und
körperliche Kraft
Schmerzwahrnehmung v.s. sich spüren – unerklärliche Verletzungen im
Alltag - Selbstverletzung, Hochrisikoverhalten, Substanzkonsum
Räumliche Desorientierung und Nicht-Erinnerung
Konfabulieren vs. Lügen, notorische Lügner (aufgrund von Amnesien und
alternierenden Persönlichkeiten)
Tagträumer
Kinder, die in ihrem Leben schon früh zum Überleben dissoziative Zustände
nutzen mussten, haben viele Sinneserfahrungen nicht gemacht. Ihre
Selbstwahrnehmung ist beeinträchtigt.
Sie verlieren zeitweise das Zeitgefühl, manche Mädchen und Jungen
kommen nicht in die Lage, ein Zeitgefühl zu entwickeln.
Retraumatisierungen
Probleme dissoziativer Kinder und Jugendlicher im Alltag 2/2
Dissoziation führt fast zwangsläufig zur Nichtpartizipation .
In dissoziativem Zustand können die Kinder die Regeln nicht aufnehmen
und erinnern sich nicht an Absprachen, es kann zu einer konflikthaften
Verschärfung des Kontaktes Kind/PädagogIn kommen.
Nicht Beachtung der angenehm „ruhigen“ Kinder
Jugendliche in der Gruppe, die aggressiv und grenzüberschreitend agieren,
….. triggern ständig dissoziative Phänomene.
Eigentlich sozial kompetente Kinder und Jugendliche ziehen sich in
schwierigen Gruppen durch Dissoziationsneigung zurück, sie können sich
nicht stabilisieren und ihre Position einnehmen.
© ZTP Juli 2014
Die dissoziative Nichtreaktion
© ZTP Juli 2014 Marc Schmid 2009
Inhalte
• Einige Aspekte der Dissoziation von Mädchen und
Jungen
• Traumapädagogische Hilfen
• Die Pädagogik der Selbstbemächtigung
• Ein soweit als möglich sicherer Ort:
– Übertragungen und Gegenreaktion reflektiert nutzen
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Traumapädagogische Hilfen
1. Die Vermittlung von Wissen an die psychosozialen Fachkräfte und die
Bereitstellung von Reflexion im Umgang mit dem Phänomen
Dissoziation.
2. Pädagogische Handlungskonzepte zur Verringerung der
Dissoziationsneigung für Einrichtungen der Kinder – und Jugendhilfe
und für Pflegefamilien.
3. Die Pädagogik der Selbstbemächtigung, die die Mädchen und Jungen
dabei begleitet, dissoziative Zustände zu verstehen, sie als
Überlebensstrategien wertzuschätzen und störungswertige dissoziative
Zustände regulieren zu lernen.
4. Die Berücksichtigung dissoziativer Phänomene in der Elternarbeit.
5. Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Pflegeeltern
brauchen adäquate strukturelle Bedingungen und Netzwerke.
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Traumapädagogische Hilfen
Die Dissoziationsneigung verringernStress minimieren
Sicherheit und Transparenz
Räumliche Ausstattung
Identifizierung von Trigger und Stimuli
Selbstwertbedrohungen und Beschämungen minimieren
Reflektierte Bindungsbalance
Verankerung im Hier und Jetzt
Kognitive Ankerung
Entwicklung des Zeitgefühls
Die Wahrnehmung mit allen Sinneskanälen
Körperwahrnehmung und Körperfürsorge
Dissoziationsstops
• Aufstehen
• Fenster öffnen
• Bewusst atmen
• Bewegen
• Viel trinken
• Überkreuzübungen
• Handmassage
• Musik
• Alle möglichen Sinnesreize
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Inhalte
• Einige Aspekte der Dissoziation von Mädchen und
Jungen
• Traumapädagogische Hilfen
• Die Pädagogik der Selbstbemächtigung
• Ein soweit als möglich sicherer Ort:
– Übertragungen und Gegenreaktion reflektiert nutzen
© ZTP Juli 2014
© ZTP Juli 2014
• Die Förderung des (kognitiven) Verstehens von
Dissoziation
• Die Unterstützung der Selbstakzeptanz: Überlastungsschutz
• Die Förderung der Selbstregulation
Wie spüre ich im Körper die Dissoziation
Die Identifizierung von Trigger und Stimuli für dissoziative
Zustände
Dissoziative Zustände regulieren lernen
• Die Förderung von Körperwahrnehmung
Die Pädagogik zur Selbstbemächtigung
- Im Kontext dissoziativer Phänomene
© ZTP Juli 2014
Die Funktionsweise des Gehirns erklären
© ZTP Juli 2014
Das dreigliedrige Gehirn
Kinder verstehen das.
Kinder entlastet das.
Kinder können dann
mitreden.
© ZTP Juli 2014
„Das war nicht ich, das war mein
Reptiliengehirn“
„Das Erdgeschoss ist viel größer, Ihr wisst gar
nicht, was da alles drin ist.“
„Da hat sich eine
Fernbedienung reingehängt“
© ZTP Juli 2014
• Die Förderung des (kognitiven) Verstehens von Dissoziation
• Die Unterstützung der Selbstakzeptanz:
Überlastungsschutz
• Die Förderung der Selbstregulation
Wie spüre ich im Körper die Dissoziation
Die Identifizierung von Trigger und Stimuli für dissoziative
Zustände
Dissoziative Zustände regulieren lernen
• Die Förderung von Körperwahrnehmung
Die Pädagogik zur Selbstbemächtigung
- Im Kontext dissoziativer Phänomene
Wie spüre ich das:Lebkuchenmännchen zu Empfindungen
Dissoziative Zustände
Wie im Nebel sein
Träumen
Keine Angst spüren
Es tut nichts weh
Sich an die Decke beamen und von oben zuschauen
Wie im Nebel rumlaufen
Ich bin in einer anderen Zeit
Ich stehe neben mir
Der Körper macht, was er will
Die Welt verschwimmt
Kurzzeitkoma
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Selbstregulation
Meine sekundären Trauma-symptome kennen
Möglichkeiten der Regulation einüben
Trigger und Stimuli identifizieren
Energie- und Stressniveau
wahrnehmen lernen
Körperempfindungen
wahrnehmen lernen
Trockenübungen zur Versorgung
der dissoziativen Symptome
Ankerungen einbauen
Notfallkoffer
Körperübungen
Warnzentrale und Denker
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Überregung
Dissoziation
Erstarrung
© ZTP Juli 2014
Meine Trigger
Triggeruhr Triggerkalender
StressbarometerLukas Picard 2013
Situationen:MahlzeitenKörperpflegeLeistungsüberprüfungenHilfsplangespräche
Aussagen:Was guckst du?Warum?
© ZTP Juli 2014
Körperempfindungen
• Empfindungen sind die Sprache des Reptiliengehirns
• Empfindungen sind körpergewordene Gefühle
• Empfindungen sind das Frühwarnsystem des Körpers
• Unterscheidung Empfindungen und Gefühle!
Selbstregulation: Hilfeliste der Kinder
Was sie schon tun
• Boxen am Bett
• Aufstehen
• Gerüche wahrnehmen
• Tief atmen
• Rumrennen
• Kaugummi kauen
Weitere Möglichkeiten
© ZTP Juli 2014
© ZTP Juli 2014
Körperübungen zur Selbstregulation
• Atmen• Stehen• Breitbeinig gehen• Übungen aus dem
Qigong, Feldenkrais oder Yoga
• Überkreuzübungen• Stampfen• Trinken• Fenster auf• Eigene Hilfeliste erstellen
Cross-Müller (2012): Nur Mut. Das kleine Überlebensbuch. Kösel-Verlag: München.David Emerson/Elizabeth Hopper (2012): Trauma-Yoga. Heilung durch sorgsame Körperarbeit. G. P. Probst
Verlag: Lichtenau/Westfalen.
„Selbstbemächtigung als Kernstück der Traumapädagogik im Kontext
störungswertiger dissoziativer Zustände bedeutet,
dass die Mädchen und Jungen Stück für Stück das Gefühl für sich
selbst wiederfinden, sich, ihre dissoziativen Zustände wahrnehmen.
Als Überlebensstrategie schätzen und regulieren lernen. Dass sie sich
selbst spüren lernen und in Beziehungen möglichst selbstbestimmt
leben werden.“
© ZTP Juni 2014
Inhalte
• Einige Aspekte der Dissoziation von Mädchen und
Jungen
• Traumapädagogische Hilfen
• Die Pädagogik der Selbstbemächtigung
• Ein soweit als möglich sicherer Ort:
– Übertragungen und Gegenreaktion reflektiert
nutzen
© ZTP Juli 2014
Ein soweit als möglich sicherer Ort für Kinder, Jugendliche und
Pädagoginnen als Beitrag zur Verminderung der DissoziationsneigungGefährdungen
Die Übertragungen
– Vernachlässigung
– Körperliche Gewalt
– Sexuelle Gewalt
– Hochunsichere
Bindungserfahrungen
– Isolation und Erfahrungen von
Alleine gelassen sein
– Erfahrungen von Abwertung,
Ohnmacht, Demütigung,
Ignoranz
Gewalt
Die Konfrontation mit den Schicksalen der Kinder
– Gegenreaktionen mit heftigen Gefühlen
– Sekundäre Traumatisierung
© ZTP Juli 2014
Übertragungen, traumatische Übertragungen erkennen
Die Übertragung
Übertragung ist eine
psychoanalytische Bezeichnung.
Neuauflagen, Phantasien, frühere
Erlebnisinhalte beeinflussen
aktuelle Beziehungen. (Freud 1910
GW VIII: 55)
Die traumatische Übertragung
Der wesentliche Unterschied
zwischen positiver und
traumatischer Übertragung ist die
destruktive Kraft der frühen
Erfahrungen der Mädchen und
Jungen, die die Beziehungen zu
anderen Menschen immer wieder
stört. (J. L. Herman 1994: 184 ff)
© ZTP Juli 2014
© ZTP Juli 2014
Traumatische Gegenübertragung/reaktion
Die Gegenreaktion
Begriff aus der Psychoanalyse: Gefühle und Gedanken, die in einer
Person durch eine andere aufgerufen werden.
Die ergänzende (komplementäre) Gegenreaktion sind psychische
Inhalte, die das Erleben des Gegenübers ergänzen
Die deckungsgleiche (konkordante) Gegenreaktion sind
psychische Inhalte, die das Erleben des Gegenübers einfach
spiegeln und nachbilden
Die traumatische Gegenreaktion
Traumatische Gegenreaktionen können Hass, sadistische
Impulse und sexuelle Erregung beinhalten
Die Macht der Gegenreaktion
Kind BetreuerIn
Verhalten Rückzug
Gefühl Angst, Scham
Insistiere, Bestehen auf Anforderung
Gefühl AngstVerstärkt sich,
Werde Ärgerlich oder ziehe mich zurück
Gefühl AngstWird noch stärker, driftet weg, dissoziert
Gelernte, integrierteVerhaltensstrategie
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Als Gegenreaktion Gefühle von Verwirrung, Ohnmacht, Leere
Gefühl Ärger, Verwirrung
Die Chance der Gegenreaktion
Kind BetreuerIn
Verhalten Rückzug Gefühl VerwirrungGefühl Angst
Verhalten Angebot/ Versorgung
Gefühl AngstVerringert sich, muss nicht dissoziieren
erkennenbenennenzuordnen
versorgen
Gefühl Sicherheit
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Die Chance der Gegenreaktionen
Die Gefühle als Gegenreaktion wahrnehmen
Die Körperlichkeit der traumatischen Gegenreaktionen
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Der Schutz vor Verwicklungen
Die Gegenreaktion als Möglichkeit des Verstehens
Die Gegenreaktion als Möglichkeit der Sinnfindung
Umgang mit Übertragungen und Gegenreaktionen
Schutz der MitarbeiterInnen
• Bei Übertragungen das Wissen: ich bin nicht gemeint
• Handlungssicherheit
• Schutzpläne
• Offene Teamkultur
– Wissen, Reflexion
– Standardisierter Umgang mit Übertragungen und Gegenreaktionen
– Selbstbemächtigung
– Emotionsregelung
• Partizipation und Transparenz
Schutz der Kinder und Jugendlichen
• Traumapädagogische Haltung
• Wissen über Dynamiken zur Verfügung stellen
• Traumapädagogische Begleitung zur Selbstbemächtigung
• Transparenz und Partizipation
© ZTP Juli 2014
Voraussetzungen zur Handlungswirksamkeit im Umgang mit störungswertiger Dissoziation schaffen
Dissoziation enttabuisieren
Die PädagogInnen unterstützen
Traumapädagogisches
Diagnostisches Fallverstehen muss
störungswertige dissoziative
Zustände beinhalten
traumapädagogisches Handeln im
Kontext störungswertiger
dissoziativer Zustände als
Bestandteil des Konzeptes
Rahmenbedingungen und
Leitungsstrukturen, die die
Dissoziationsneigung aller
Beteiligten minimieren
Traumasensible Netzwerke schaffen
• Wie kann Schule auf die Mädchen
und Jungen reagieren?
• Welche Konzepte der Elternarbeit
sind hilfreich?
• Was brauchen Einrichtungen der
Kinder- und Jugendhilfe?
• Wie muss die Zusammenarbeit von
TherapeutInnen und PädagogInnen
aussehen?
• Welche Aufgaben können die Kinder-
und Jugendpsychiatrien
übernehmen?
• Wie können Ausbildungsinstitute die
Thematik berücksichtigen?
© ZTP Juli 2014
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit
Auch aus Steinen, die Dir in den Weg gelegt
werden, kannst Du etwas Schönes bauen.
Erich Kästner
© ZTP Juli 2014
Dies und das:
*** Fachtagung im Oktober 2014 ***
„Als wär ich ein Geist, der auf mich runter schaut“
Dissoziation, Körper und Traumapädagogik
29. bis 30. Oktober 2014 in Frankfurt am Main
Weitere Informationen: http://ztp.welle.net/angebote/fachtage/
© ZTP Juli 2014