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„Stuttgart Daily Leader“
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Lehrstuhl wieder besetzt „Der seit Heideggers Emeritierung 1951 vakante Lehrstuhl für Philosophie an der Freiburger Universität ist wieder besetzt worden. Der Ministerpräsident von BadenWürttemberg hat den aus Mülheim (Ruhr) stammenden, seit 1938 in den USA lebenden Professor Dr. Dr. Werner Marx zum Direktor der ersten Abteilung des Philosophischen Seminars ernannt. (...) Marx war bisher an der Graduate Faculty of the New School for Social Research in New York City tätig.“Aus der StZ vom 11. Mai 1964
Heideggers Nachfolger
Die StZ vor 50 Jahren
Aus aller Welt
Proteste in BrasilienKurz vor der FußballWM machen Gewerkschaften und Wohnungslose aufsich aufmerksam. SEITE 11
Berlusconi im AltenheimDen AlzheimerKranken soll er bald vorlesen: Italiens früherer Premier hat mit dem Sozialdienst begonnen. SEITE 7
Politik
Ein düsteres Bild von EuropaDie LinkenSpitzenkandidatin Gabi Zimmer fordert mehr Solidarität statt Sparpolitik. SEITE 4
Wirtschaft
Der Kronzeuge Gribkowsky schwächelt Im EcclestoneProzess, bei dem es um Bestechlichkeit geht, treffen sich der ExBanker und der Angeklagte. SEITE 15
Reportage
Vollbremsung für SeniorenRentner am Steuer sind besser als ihr Ruf. Beim Fahrtraining des ADAC können sie es unter Beweis stellen. SEITE 34
Kultur
Orlando Blooms jüngste FilmrolleIn dem Kinothriller „Zulu“ spielt der Hollywoodstar einen heruntergekommenen Polizisten in Südafrika. SEITE 36
Sport
Probleme über ProblemeFür Sebastian Vettel läuft es in der Formel 1 alles andere als rund. Das nagtan seinem Selbstvertrauen. SEITE 41
Entdecken
Chaos Computer Club gibt TippsHeute informieren die ITExperten in der Stadtbibliothek über Datenschutz und Kostenfallen bei Apps. SEITE 22
Stuttgart & BadenWürttemberg
1,5 Millionen Besucher angepeilt Die Schausteller ziehen zufrieden Frühlingsfestbilanz. Sie rechnen mit bis zu 1,5 Millionen Besuchern. SEITE 24
Nachrichten für Dich
Seit wann es den Muttertag gibtAn einem Tag die Mütter besonders zu ehren, hat schon eine lange Tradition. SEITE 22
Ein paar Notizen auf einemSchmierzettel, die obligatorische Einkaufsliste, die Unter
schrift auf einem Kreditkartenbeleg –es gibt Tage, an denen dies die einzigenDinge sind, die wir von Hand schreiben. Briefe? Tippen wir am Rechner,am Laptop oder am iPad. Urlaubsgrüße aus Korsika? Verschicken wir perSMS. Ein Dankeschön für die nette Essenseinladung am gestrigen Abend?Posten wir auf Facebook. In der Schulewerden schon lang keine Zettelchen mehr unter der Schulbank weitergereicht, die Botschaften gehen perWhatsApp raus. Schlechte Zeiten fürdas handgeschriebene Wort.
Könnte man meinen. Doch eineUmfrage des Reutlinger PragmaInstituts aus dem Jahr 2013, das mehr als 1000 Menschen über 16 Jahre nachihrer Einstellung zur Handschrift befragt hat, bringt erstaunliches zu Tage.89 Prozent stimmen der Aussage zu:„Handgeschriebenes ist von besonderem Wert.“ Überraschenderweise liegtder Anteil der Unterstützer bei den16 bis 30Jährigen – der GenerationSmartphone – sogar noch um zweiProzentpunkte höher. Und nach Ansicht von 71 Prozent sollen Füllfederhalter, Bleistift und Papier wieder vermehrt eingesetzt werden.
Beflügelt von diesem Ergebnis hat sichvor wenigen Monaten ein Verein gegründet, der dem Tastaturgeklappertrotzt und sich die Förderung derSchreibkompetenz und Handschrift auf die Fahnen schreibt. „Alle redenvon Leseförderung, wir wollen dasThema Handschrift aus der Isolation holen“, sagt Stefanie HanfstinglKariger, die Vorsitzende der InitiativeSchreiben. Mit Aktionen sollen insbesondere Kinder fürs Schreiben perHand begeistert werden. Das soll soaussehen: Schüler verfassen auf einerKarte Grüße an ihre Eltern oder Großeltern, Glückwunschbriefe werden fotografiert und später prämiert. Damit die Freude am Handschriftlichenum sich greift, „müssen auch die Lehrer Feuer fangen“, sagt HanfstinglKariger. Sie weiß, dass sie die Schulen zuihren Verbündeten machen muss. Einpaar haben schon signalisiert, dass siemitmachen werden.
Schreiben und Lesen lernen ist einwichtiger Prozess, nur so können alle
am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. HanfstinglKariger, die hauptberuflich in der Glückwunschkartenbranche tätig ist, sieht es als wichtigeAufgabe an, den Menschen Freude an der Handschrift zu vermitteln. „DieHandschrift ist die Verbindung zurSchreibkompetenz, wer viel mit Handschreibt, der kann leichter Sätze bilden und behält den roten Faden.“ DieMutter zweier schulpflichtiger Jungsweiß, wie schwer sich viele Kinder undmanch Erwachsene damit tun, dieeigenen Gedanken aufs Papier zu bringen, und sie kennt den Glaubenskrieg,der tobt, ob die Schreibschrift überhaupt noch zeitgemäß ist.
Die Forschung zeigt, dass es vonVorteil sein kann, seine Gedanken ohne technische Hilfe aufs Papier zubringen. Schreibende Kinder haben besser entwickelte Hirne, lernen genauer Buchstaben und Formen erkennen und können ihre Kreativität einfacher entfalten. Den Gedanken vomKopf in die Hand fließen zu lassen undals Schriftzug umzusetzen, „das ist eine hochkomplexe Tätigkeit“, sagtdie Psychologin Sandra Sülzenbrück. Sie helfe, uns Dingebesser einzuprägen.
Mit einem Team vomLeibnizInstitut fürArbeitsforschung inDortmund fand Sülzenbrück heraus, dass dasSchreiben per Handdie Feinmotorik fördert. „Die Technikmacht etwas ganzanderes mit uns“,so Sülzenbrück.HardcoreTipperkönnten nicht sopräzise Bewegungen mit der Handa u s f ü h r e n .Schlecht fürdenjenigen
Wortfür Wort.
Buchstabefür Buchstabe.
Unsere Handschrift begleitet
uns ein Leben lang.Sie ist individuell
einzigartig, Ausdruckunserer Persönlichkeit.
„Das Schreiben mit Handist eine Kulturtechnik, und
das Ergebnis sagt viel überunseren Charakter aus“, sagt
Helmut Ploog, Vorsitzender desBerufsverbandes der Deutschen
Graphologen. „Anhand der Schriftkann man sehen, was der Mensch fürein Typ ist. Für Unternehmen ist dasinteressant: Denn je weiter jemand dieKarriereleiter hinaufklettert, destomehr Persönlichkeit ist gefragt.“ DochPloog und seine Kollegen registrieren,dass die Methode immer weniger Anhänger in Deutschland findet.
Hingegen werden in der Schweiz undFrankreich Bewerber anhand ihrerHandschrift durchleuchtet. Denn die Handschrift kann Geschichten erzählen. „Sie verrät viel über unsere Lebensbeziehungen“, sagt Ulrich von Bülow, Leiter der Archivabteilung imDeutschen Literaturarchiv Marbach.Als die Schriftstellerin Lou AndreasSalomé ins Leben des Dichters RainerMaria Rilke trat, veränderte sich seinLeben. Das spiegelte sich auch in seiner Handschrift wider. Er schrieb klarer, schlichter. Sein Schriftbild wurdedem der Freundin immer ähnlicher.Das, so von Bülow, sei oft zu beobachten: „Die Handschrift folgt einem Vorbild.“ Seiner Ansicht wird das Schreiben per Hand nicht aussterben. „DieHandschrift hat die Schreibmaschine überlebt, und sie wird das Computerzeitalter überleben.“
Nein, vermutlich wird die Handschrift nicht aussterben, aber sie wird sich verändern. Die Initiative Schreiben will daher auch keinen Gegensatz zur digitalen Welt aufbauen, sondernein intelligentes Zusammenspiel ermöglichen. Per App das Schreiben auf dem iPad zu lernen, das ist so ein Beispiel. Wer genauer hinsieht, findetnoch andere Menschen, die versuchen, die Handschrift zurückzubringen: Der Kurator Hans Ulrich Obrist dokumentiert auf seiner InstagramSeite Handschriften von Künstlern,Schriftstellern und Musikern. Wie erin einem Interview verriet, leistet aucher einen persönlichen Beitrag, dass dieHandschrift nicht aus unserem Alltagverschwindet: Er schreibt einen Brief mit der Hand, scannt ihn ein – und verschickt ihn per Mail.
Kulturgut Wir mailen, twittern und simsen – ist die Handschrift eine vom Aussterben bedrohte Spezies?
Die Generation Smartphone weiß sie offenbar mehr zu schätzen, als viele denken. Die neue Initiative Schreiben will wieder Begeisterung entfachen. Von Stefanie Zenke
Tagesthema
Thorsten Petzold lässt schreiben. Per Hand. Ob Oster undWeihnachtsgrüße, Tischkärt
chen für Feste aller Art oder Briefe – inPetzolds Schreibstatt in BerlinKreuzberg bringen 61 Schönschreiber persönliche Grüße aufs Papier. Ganz ohneTintenkleckserei. Die Zeilen stechensofort durch ihre Ästhetik ins Auge.„Für mich arbeitet, wer eine Liebe zurHandschrift hat“, sagt der 45jährigeUnternehmer. Apropos Liebe: auchLiebesbriefe werden in der Manufaktur verfasst. Und zum Muttertag morgen gab es viele Anfragen.
Ob geschwungenverschnörkeltoder klassischschlicht – die Auswahlan unterschiedlichen Handschriftenin der Schreibstatt ist groß. Und mittlerweile auch das Angebot der europäischen Sprachen, in denen geschrieben wird. Studenten, Hausfrauen,Rentner oder Schüler sind es – zumeistFrauen –, die in Teilzeit für Petzold
arbeiten, drei bis vier Stunden pro Tag.„Nach zwei Stunden sollte man einePause machen, sonst wird die Schriftkrakelig.“ Ein einzelner Brief mit 100Wörtern kostet 16,99 Euro. Eine Kartemit 50 Wörtern 8,99 Euro. Das passende Kuvert mit Absender und Empfänger, kuvertieren, frankieren sowie das Porto sind inklusive. Dass Petzoldselbst nicht mitschreibt, hat seinen Grund: „Ich habe eine Sauklaue, Kategorie Arzt, würde ich sagen.“
Vor gut einem Jahr war Petzoldnoch als Vertriebsleiter tätig. Es gingihm, wie vielen anderen auch: er wurde
mit Drucksachen überschüttet undwenn unter Karten oder Briefen mit„herzliche Grüße“ ein handschriftlicher Hinweis zu finden war, dann wares viel. Sieht so Wertschätzung aus?Nein, dachte sich Petzold, „das ist derrichtige Zeitpunkt für eine Gegenbewegung. Ich wollte, dass die Menschenmit etwas Handgeschriebenem wiederpersönlich erreicht werden, ihnenAufmerksamkeit signalisiert wird. Dasmerkt sich der Empfänger.“
Petzold wagte den Sprung ins kalteWasser und gründete eine Manufakturfür Handgeschriebenes – die bislang
einzige in Deutschland. Sein Mut wurde belohnt. Die Auftragsbücher sindvoll. Erst kürzlich hat er seinen OnlineShop gestartet (www.schoenebriefe.de). Petzolds Kundenwelt istbunt. Große wie kleine Firmen buchenseine Schönschreiber, auch Privatleute leisten sich ab und zu eine ausgesuchte Handschrift. Die Auftraggebermöchten auffallen, herausragen auseiner Masse, die Geschäftskorrespondenz und Werbung nur routinemäßigin digitalen Schriften präsentiert.
„Die Handschrift“, sagt Petzold,„erlebt eine Renaissance.“ Immermehr Menschen würden Handgeschriebenes wieder schätzen lernen.Weil er auch andere dafür begeisternmöchte, mehr per Hand zu schreiben,hat er sich der Initiative Schreiben(siehe oben) angeschlossen. Er istüberzeugt: „Die Handschrift führt inunserem digitalisierten Alltag ein Nischendasein. Aber sie wird bleiben.“
Startup Thorsten Petzold betreibt eine Manufaktur für Handgeschriebenes. Das kommt gut an. Von Stefanie Zenke
Die Handschriftbeschäftigt auch den Künstler Jayantha Gomes. Er stammt aus Sri Lanka und lebt in Calw.
also, derChirurg oder
Feinmechanikerwerden möchte.
Die Schriftstellerin Sybille Lewitscha
roff beobachtet seit Längerem, dass die Handschrift
aus unserem Leben verschwindet. „Ein Gesellschaftstrend,
manch Schule scheint überfordert,und so manches Elternhaus vielleichtauch“, sagt die Büchnerpreisträgerin.Dabei sei es eine wunderbare Erfahrung, die eigene Handschrift zu mögen, sie schön zu finden. „Und stolz darauf zu sein, ein echtes AngeberPfundzu besitzen.“ Den Weg, Kinder zu begeistern, wieder mehr mit Hand zuschreiben, findet sie richtig. „Mich hatimmer fasziniert, wie den Kleinen inChina früh beigebracht wird, mitStöckchen und Farbe die traditionellen Schriftzeichen zu malen, das verlangt hohe Konzentration.“
2 Nr. 107 | Samstag, 10. Mai 2014STUTTGARTER ZEITUNGTAGESTHEMA