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3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
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3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
3.1 Ursprung der magnetischen Dipolmomente von Atomkernen
Damit ein Atomkern einen Drehimpuls (Spin) besitzen kann, müssen die Nukleonen bestimmte
Voraussetzungen erfüllen. Protonen und Neutronen besitzen einen Drehimpuls I1. Im Kern bilden
Protonen mit entgegengesetztem Spin "Paare" und auch Neutronen entgegengesetzten Spins fügen
sich wenn möglich zu "Neutronenpaaren" zusammen. Daraus folgt, dass in einem Atomkern mit einer
geraden Anzahl von Protonen und Neutronen alle Nukleonen gepaart sind und daher kein
Gesamtkernspin resultiert. Diese Verhältnisse führen zu einer Drehimpulsquantenzahl I mit dem Wert
null. Derartige Kerne besitzen eine gerade Ordnungs- und Kernladungszahl (gg- Kerne). Kerne mit
ungerader Ordnungs- oder Kernladungszahl oder Kerne mit ungerader Ordnungs- und ungerader
Kernladungszahl weisen ungepaarte Nukleonen-Spins auf und haben somit einen Drehimpuls. Man
bezeichnet sie als ug-, gu- oder uu- Kerne2,3. Die Bewegung einer elektrischen Ladung in einem
geschlossenen Kreis verursacht, nach den Gesetzen der klassischen Physik, ein magnetisches
Dipolmoment µµ .
Das magnetische Dipolmoment der Kerne kann mit externen und internen lokalen Magnetfeldern in
Wechselwirkung treten. Diese Tatsache bildet letztendlich die Grundlage für die Anwendung der
kernmagnetischen Resonanz als analytische Messmethode.
3.2 Spinwechselwirkungen im Festkörper
Die Interaktion mit einem externen statischen Magnetfeld (B0-Feld) wird Zeeman- Wechselwirkung
genannt.
Zu den internen Wechselwirkungen zählen die dipolare Kopplung der Spins untereinander und die
chemische Verschiebung, welche sich aus der elektronischen Umgebung der Spins ergibt.
Bei Kernen mit einer Drehimpulsquantenzahl I > ½ beobachtet man eine quadrupolare
Wechselwirkung, die ihren Ursprung in der “nicht sphärischen” Ladungsverteilung im Atomkern hat.
Dabei kommt es zu einer Kopplung des Kernquadrupolmomentes mit elektrischen Feldgradienten in
der elektronischen Umgebung. Da in der vorliegenden Arbeit keine Kerne mit Quadrupolmoment
untersucht werden, soll auf diese Wechselwirkung nicht näher eingegangen werden.
Auch die J-Kopplung, bei der die Wechselwirkungen der Kerne durch Bindungselektronen
übertragen werden, sei hier nur am Rande erwähnt. Aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Stärke
spielt sie in der Festkörper-NMR-Spektroskopie nur eine untergeordnete Rolle. Während die
dipolare Kopplung und die Anisotropie in der chemischen Verschiebung in kHz- Bereichen liegen,
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findet man bei der J-Kopplung Wechselwirkungen in Bereichen von weniger als hundert Hz. Damit
wird sie von den stärkeren Wechselwirkungen überlagert und ist in der Festkörper-NMR-
Spektroskopie nicht sichtbar. Die J-Kopplung ist allerdings in der Flüssigkeits-NMR-Spektroskopie
von großer analytischer Bedeutung.
Die folgende Tabelle fasst die oben aufgeführten Wechselwirkungen und deren Linienbreiten
zusammen4:
Wechselwirkung (WW) Verursacher Linienbreite [Hz]
Zeeman-WW externes Magnetfeld B0 106 bis 109
dipolare Kopplung andere Kernspins (WW über den Raum) 0 bis 105
chemische Verschiebung Magnetfelder, induziert durch Elektronen 0 bis 105
quadrupolare Kopplung elektrisches Quadrupolmoment 0 bis 109
J-Kopplung andere Kernspins (WW über Bindungen) 0 bis 104
Wechselwirkungen der Spins mit äußeren und inneren Magnetfeldern lassen sich quantenmechanisch
über Hamilton-Operatoren beschreiben. Diese besitzen folgende allgemeine Form5,6,7:
$ $H C Ti i i= I K (3.1)
Dabei ist Ci eine charakteristische Konstante für die Wechselwirkung i und $I ein Vektor-operator.
K ist entweder ein weiterer Vektoroperator oder der Magnetfeldvektor eines externen
Magnetfeldes. Der zweistufige Tensor Ti beschreibt die Orientierungsabhängigkeit der
Wechselwirkungen beider vektorieller Größen untereinander und wird mathematisch mit einer 3x3
Matrix ausgedrückt.
Mit dieser allgemeinen Formel lassen sich die bereits oben diskutierten Wechselwirkungen
quantenmechanisch beschreiben.
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3.2.1 Zeeman-Wechselwirkung
Die Wechselwirkung der magnetischen Momente der Kernspins mit dem externen, statischen
Magnetfeld B0 bezeichnet man als Zeeman-Wechselwirkung. Der entsprechende Hamilton-
Operator $H z lautet gemäß der Gleichung 3.1:
( )$ $ $ $H I I I
Bz I x y z= −
γ h
1 0 0
0 1 0
0 0 1
0
0
0
(3.2)
Die Größe γ I ist das für den Kernspin charakteristische gyromagnetische Verhältnis und h das durch
2π dividierte Plancksche Wirkungsquantum. Der Wechselwirkungstensor ist in diesem Fall die
Einheitsmatrix . Das Laborkoordinatensystem (Laboratory Frame = LF) ist so definiert, dass B0
entlang der z-Achse eines kartesischen Koordinatensystems liegt. Durch Ausmultiplizieren erhält
man:
$ $H B Iz I z= −hγ 0 (3.3)
Dabei ist der Ausdruck − γ IB0 gleich der Winkelgeschwindigkeit ω0 der um das B0 -Feld
präzidierenden Kernspins. Die sogenannte Larmor-Frequenz ν0 ist die durch 2π dividierte
Winkelgeschwindigkeit ω0. Die Larmor-Frequenz hat die Einheit s-1.
Durch Lösung der Eigenwertgleichungen unter Anwendung des Zeeman-Operators auf die Spin-
Funktionen I m, erhält man die Eigenwerte, die Energien des Spin-Systems im statischen
Magnetfeld.
$ , $ ,H I m B I I mz I z= −hγ 0 (3.4)
= −hγ IB m I m0 ,
Die Quantenzahl m, auch Magnetquantenzahl genannt, kann nur bestimmte diskrete Werte bei
vorgegebener Drehimpulsquantenzahl I annehmen, nämlich m I I I= − − +, ,...1 . Allgemein sind
2 1I + Energieniveaus möglich. Für Kerne mit I = ½ und einem positiven Vorzeichen für γ I werden
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zwei Energieniveaus E Bz I= ± =12 0
12 0h m hγ ω berechnet. Das höhere Energieniveau wird mit der
Spinfunktion 12
12,− = β , das niedrigere mit der Spinfunktion 1
21
2, = α erhalten.
Gleichzeitig sieht man, dass die Zeeman-Aufspaltung proportional zu der angelegten
Magnetfeldstärke ist. Ohne das statische Magnetfeld findet keine Aufspaltung statt. In diesem Fall
sind die beiden Spinzustände entartet (s. Abb. 3.1).
Zwischen den Energieniveaus können Übergänge ( α β↔ ) durch Radiofrequenzfelder (B1-
Felder) mit der Larmor- oder Resonanz-Frequenz induziert werden, die aus einer Richtung senkrecht
zu B0 wirken. Außerdem gilt die Auswahlregel ∆m = ±1, die sich letztendlich aus dem
Drehimpulserhaltungssatz ergibt8.
Die Verteilung der Spins über die einzelnen Energieniveaus wird durch das Boltzmann-Gesetz
beschrieben:
ω−=
α
β
kTexp
N
N0h
(3.5)
Nα und Nβ sind die Besetzungszahlen der beiden in Abbildung 3.1 gezeigten Energieniveaus. Dabei
ist ω0 die Winkelgeschwindigkeit, k die Boltzmann-Konstante und T die absolute Temperatur.
Für eine Resonanzfrequenz von ω0/2π = ν0 = 400 MHz und bei einer Temperatur von 298K
berechnet man für den Quotienten Nβ/Nα einen Wert von 0.9999356. Damit wird deutlich, dass die
β
α
B0 0= B0 0>
∆E = hω 0
Abb. 3.1: Zeeman-Aufspaltung für einen Kernspin mitI = ½ und einem positiven gyromagnetischen Verhältnis.
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kernmagnetische Resonanzspektroskopie, im Vergleich zu anderen analytischen Methoden, sehr
unempfindlich ist.
Die Abbildung 3.2 soll die oben diskutierten Ergebnisse zusammenfassen.
β
α
B 0
M
µµ
ω 0
Abb. 3.2: Die Summe der magnetischen Momente µµder Spins ergibt den Gesamtmagetisierungsvektor M, derim thermischen Gleichgewicht parallel zu B0 steht. Dieeinzelnen Kernspins rotieren mit derWinkelgeschwindigkeit ω0 um das statische Magnetfeld.
In der Vektordarstellung präzidieren die einzelnen Kernspins µµ mit der Winkelgeschwindigkeit ω0 um
das B0-Feld. Die Spinorientierung parallel zu B0 ( α ) liegt energetisch niedriger als die antiparallele
( β ). Dadurch kommt es, gemäß der Boltzmann-Verteilung, zu einem Populationsüberschuss der
α -Spins, der zu einer makroskopischen Gesamtmagnetisierung M parallel zu B0 führt.
Die Auswirkungen der bereits erwähnten Radiofrequenzfelder (B1-Felder) lassen sich anschaulicher
in einem rotierenden Koordinatensystem x´, y´ und z´ beschreiben9.
Für die zeitliche Änderung des Magnetisierungsvektors M im rotierenden Koordinatensystem gilt:
d
dt roteff
MM B
= ×γ (3.6)
ΒΒ ΒΒωω
effrot= +0 γ
(3.7)
Der Ausdruck ωω rot/γ beschreibt ein fiktives Magnetfeld Bfik, das durch die Rotation des
Koordinatensystems um die z´-Achse mit der Winkelgeschwindigkeit ωrot generiert wird. Es ist dem
statischen Magnetfeld B0 entgegengerichtet (Abb. 3.3). Für den Fall, dass ωrot = ω0
(Resonanzbedingung) wird das statische Magnetfeld vollständig durch das fiktive Magnetfeld
kompensiert. Die einzelnen Kernspins µµ in der Abbildung 3.2 sind unter diesen Bedingungen ortsfest.
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Beim Einstrahlen einer elektromagnetischen Welle (mit oszillierendem B1-Feldvektor) wird das B1-
Feld das einzige effektiv wirkende Magnetfeld. Das B1- Feld ist bei der Erfüllung der
Resonanzbedingungen statisch. Unter dem Einfluss von B1 präzidiert der Magnetisierungsvektor M
nun um die Richtung des B1-Feldes (z.B. entlang der x´-Achse). Die dazugehörige
Winkelgeschwindigkeit beträgt ω1 = -γB1. Die Einstrahldauer des B1-Feldes bestimmt, wie weit der
Magnetisierungsvektor M gedreht wird. Der Winkel θ beträgt in Abhängigkeit von der
Einstrahldauer tP:
θ γ= B tP1 (3.8)
θ
ω 0
′x
′y
′z
B1
B0
M
Bfik
Abb. 3.3: Verhalten des Magnetisierungsvektors M imrotierenden Koordinatensystems unter Einstrah-lungeines oszillierenden B1-Feldes bei Erfüllung derResonanzbedingung.
Eine Drehung der Magnetisierungsvektors M z. B. auf die y´-Achse wird durch einen sogenannten
90°-Puls verursacht. Das heißt, dass nun keine Magnetisierung mehr in z´-Richtung gefunden wird.
3.2.2 Chemische Verschiebung
Die Wechselwirkungen des B0-Feldes mit den Elektronen, die einen Kernspin umgeben, induzieren
lokale Magnetfelder. Diese Magnetfelder ergeben sich aus der Tatsache, dass Elektronen in einem
Magnetfeld Bewegungszustände einnehmen, die ihrerseits ein Magnetfeld erzeugen. Je nach der
Symmetrie des Moleküls können nun die Kernspins Orte im Molekül einnehmen, an denen ein
verstärktes oder abgeschwächtes effektives Magnetfeld Beff wirkt. Das bedeutet, dass durch die
elektronische Umgebung in einem Molekül die Resonanzfrequenzen im Vergleich zum “ nackten”
Kernspin verschoben werden. Durch die chemische Verschiebung werden demnach die
Energieniveaus in der Abbildung 3.1 modifiziert.
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Der Hamilton-Operator für die chemische Verschiebung lautet:
$Hcs I= hγ σI B0 (3.9)
Die Wechselwirkung der chemischen Verschiebung ist anisotrop. Diese Anisotropie wird durch den
Tensor σ beschrieben. Die Anisotropie tritt auf, wenn die Elektronenverteilung in einem Molekül
nicht kugelsymmetrisch ist. Damit wird die Resonanzfrequenz eines Kernspins abhängig von der
räumlichen Lage der Moleküle bezüglich B0.
Im Laborkoordinatensystem (LF) lautet der Hamilton-Operator in ausführlicher Form:
( )$ $ $ $H I I I
Bcs I x y z
xx xy xz
yx yy yz
zx zy zz
LF
=
hγσ σ σσ σ σσ σ σ
0
0
0
= + +hγ σ σ σI x xzLF
y yzLF
z zzLFI I I( $ $ $ )B0 (3.10)
Die chemische Verschiebung liefert im Vergleich zur Zeeman-Aufspaltung nur einen sehr kleinen
Betrag zur Gesamtenergie. Bei solchen Verhältnissen ist es in der Quantenmechanik üblich,
Störungsrechnungen durchzuführen10. Bei der Störungsrechnung erster Ordnung findet man, dass nur
diejenigen Ausdrücke aus $HCS die Zeeman-Energien verändern, die mit $Hz kommutieren5.
Dadurch wird die Gleichung (3.10) vereinfacht und der Operator für die Störenergien lautet:
$ $H I Bcs I z zzLF= hγ σ 0 (3.11)
Aus der Kombination der Gleichungen 3.3 und 3.11 erhält man folgenden Ausdruck
$ $ $ ( )H H I Bz cs I z zzLF+ = − −hγ σ1 0
= −hγ I z effI B$ (3.12)
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Durch eine Ähnlichkeitstransformation11 kann der “Chemical Shift” Tensor aus Gleichung 3.10
diagonalisiert werden. Damit wird der Abschirmungstensor aus dem Laborkoordinatensystem (LF)
in das sogenannte “Principal Axes System”(PAS) überführt.
σ σ σσ σ σσ σ σ
xx xy xz
yx yy yz
zx zy zz
LF
σσ
σ
11
22
33
0 0
0 0
0 0
PAS
Das PAS ist für jeden Kern mit seiner speziellen elektronischen Umgebung und seiner Lage im
Molekül charakteristisch. Definitionsgemäß gilt: σ σ σ11 22 33PAS PAS PAS≤ ≤ . Somit ist σ11
PAS das am
wenigsten abgeschirmte Tensorelement mit der höchsten Resonanzfrequenz und σ33PAS das am
stärksten abgeschirmte Tensorelement mit der geringsten Resonanzfrequenz12.
Im PAS fallen die Elemente des Abschirmungstensors mit den Koordinatenachsen zusammen und B0
liegt nicht notwendigerweise in der Richtung der zPAS-Achse. Diese Zusammenhänge lassen sich
geometrisch anhand eines Ellipsoids verdeutlichen (s. Abbildung 3.4):
zPAS
xPAS
yPAS
ϕ
θ
B0
r
( ) 2/1PAS11
−σ
( ) 2/1PAS22
−σ
( ) 2/1PAS33
−σ
Abb. 3.4: Ellipsoid als Modell für einen chemischen Abschirmungstensor.Die Längen der Halbachsen sind definiert durch: (σ11
PAS )-1/2, (σ 22PAS )-1/2 und (σ 33
PAS )-1/2. Die Orientierung bezüglich
des externen Magnetfeldes B0 ist durch die Winkel θ und ϕ festgelegt.
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Die Längen der Halbachsen des Ellipsoids sind mit ( )σ11
1 2PAS − /, ( )σ22
1 2PAS − /und ( )σ33
1 2PAS − /gegeben.
Bei einer Orientierungsänderung des Moleküls verschiebt sich die Lage der anisotropen
Elektronenverteilung in Bezug auf B0. Im Ellipsoid würde dies einer Längenänderung des Vektors r
entsprechen, der parallel zu B0 orientiert ist und vom Ursprung des Koordinatensystems bis zur
Mantelfläche des Ellipsoids reicht. Der für die beobachtete chemische Verschiebung maßgebliche
Beitrag δzz ergibt sich aus der Länge r mit der Gleichung δzz = r-2. In einer pulverförmigen Probe sind
sämtliche Orientierungen der Moleküle vorhanden und deshalb die Resonanzfrequenzen aller
möglichen Orientierungen in einem Spektrum sichtbar13.
Die Frequenz der chemischen Verschiebung CSν berechnet sich in Abhängigkeit von den
Polarwinkeln θ und ϕ nach folgender Gleichung14:
[ ]PAS33
2PAS22
22PAS11
220ICS )(cos)sin(sin)cos(sin
2B σθ+σϕθ+σϕθπ
γ=ν (3.13)
Unter Berücksichtigung einer Wahrscheinlichkeitsverteilung5,6 der molekularen Orientierungen erhält
man die in den Abbildungen 3.5 und 3.6 gezeigten Pulverspektren:
σ11PAS
σ22PAS
σ33PAS
σ iso
ν
Abb. 3.5: Schematische Darstellung einesPulverspektrums für einen allgemeinen Tensor4.
σ σ11 22PAS PAS=
σ33PAS
ν
Abb. 3.6: Schematische Darstellung einesPulverspektrums für einen axialsymmetrischenTensor mit zwei identischen Hauptachsen-werten4.
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Die Abbildung 3.6 zeigt einen Spezialfall. Es ist das Pulverspektrum eines Kerns dargestellt, der von
einer Elektronenverteilung umgeben ist, die durch einen axialsymmetrischen Tensor repräsentiert
wird. Hier ist σ σ11 22PAS PAS= , was geometrisch einem Rotationsellipsoid entspricht. Diese Verhältnisse
treten beispielsweise dann auf, wenn die Shiftanisotropie teilweise durch einen bestimmten
Bewegungsmodus im Molekül herausgemittelt wird. Anschaulich würde das einer, in der NMR-
Zeitskala schnellen, Rotation um die zPAS-Achse in der Abbildung 3.4 entsprechen.
In Lösungen geringer Viskosität sind die Moleküle schnellen willkürlichen Bewegungen (tumbling)
unterworfen, so dass in der NMR-Zeitskala eine sphärische Elektronendichteverteilung ensteht.
Detektiert wird demnach der isotrope Mittelwert σ iso der Anisotropie in der chemischen
Verschiebung.
Aus den drei Hauptachsenwerten des PAS folgt:
σ σ σ σisoPAS PAS PAS= + +1
3 11 22 33( ) (3.14)
Diese Verhältnisse führen zu schmalen Absorptionsbanden.
Definiert wird die chemische Verschiebung δ als feldunabhängiger Relativwert, der bezogen auf eine
Standardsubstanz, meist TMS (Tetramethylsilan), in ppm (parts per million) angegeben wird.
δν ν
ν=
−0 610ref
ref
(3.15)
mit
νref : Resonanzfrequenz der Standardsubstanz
ν0 : Resonanzfrequenz des entsprechenden Kerns
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3.2.3 Dipolare Kopplung
Die dipolare Kopplung bezieht sich auf die gegenseitige Wechselwirkung der Kernspins über den
Raum. Sie ist die dominierende linienverbreiternde Wechselwirkung im Festkörper für Atomkerne
mit I = ½. Dabei beinflussen die Magnetfelder der Nachbarspins das lokale Magnetfeld eines
betrachteten Spins und damit seine Resonanzfrequenz. Die Größe der dipolaren Kopplung ist
abhängig vom Abstand beider Spins und der Richtung des Abstandsvektors zwischen den Spins
bezüglich des statischen Magnetfeldes (s. Abb. 3.7)10,15.
B0
θ
rIS
µµ ZS
B ZI
µµ ZI
Abb. 3.7: Dipolare Kopplung zwischen denbeiden Spins I und S. Die z-Komponente BZI
des magnetischen Moments des Kernspins Iverändert das lokale Magnetfeld amKernspin S. Die Stärke dieser Kopplung istabhängig von rIS und θ16.
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Der Hamilton-Operator für die dipolare Kopplung lautet:
$ $ $ ( $ )( $ )1 2
2 12 1 12Hr rD = −
µ γ γπ
0 1 22
123
1224
3h
I II r I r
(3.16)
µ0 ist die Permeabilität des Vakuums und γ1 bzw. γ2 sind die gyromagnetischen Verhältnisse der
entsprechenden Kernspins. Im Ausdruck vor dem Operatorterm ist die Kopplungskonstante νD
enthalten:
ππγγµ
=ν2r4 3
12
210D
h(3.17)
Durch Ausmultiplizieren der Vektoroperatoren in der Gleichung 3.16 kann man $HD in eine Form
bringen, die jener in der Gleichung 3.1 entspricht.
$ $ $Hr
DD =µ γ γ
π0 1 2
2
123 1 24
hI I (3.18)
D ist der Tensor der dipolaren Kopplung. Er spiegelt die Richtungsabhängigkeit dieser
Wechselwirkung wider. In seiner diagonalisierten Form, d.h. im PAS des dipolaren
Wechselwirkungstensors, ist er spurlos. Der isotrope Mittelwert ist null. Deshalb sind in Flüssigkeiten
die Auswirkungen der dipolaren Kopplung im Spektrum nicht sichtbar.
Es ist üblich, die Gleichung 3.18 in Polarkoordinaten (r, θ, ϕ) auszudrücken und die
Operatorelemente $Ix und $Iy durch die spin-up- und spin-down-Operatoren $I+ und $I− zu
beschreiben. Nach Umformung kann man den Hamilton-Operator DH durch das sogenannte
“dipolare Alphabet”5 ausdrücken.
)FEDCBA(r4
H12
3
2210
D +++++π
γγµ= h(3.19)
)1cos3(IIA 22z1z −θ−=
[ ] )1cos3(IIII41
B 22121 −θ+= +−−+
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Für die Beschreibung der dipolaren Kopplung sind im homonuklearen Fall die Operatoren $A und
$B , für den heteronuklearen Fall der Operator $A wichtig. Alle anderen können die Zeeman-
Energien nicht beeinflussen. Sie beschreiben die Relaxation des Spin-Systems.
Aus der Gleichung 3.18 wird für den Fall, dass zwei isolierte gleichartige Kerne koppeln:
[ ]$ ( cos ) $ $ ( $ $ $ $ )Hr
I I I I I IDII I
IIII z z= − − ++ − − +
µ γπ
θ02 2
32
1 214 1 2 1 24
3 1h
(3.20)
In der Gleichung 3.20 besteht der Operatorterm aus einem Ausdruck, der einen Einfluss auf die
Zeeman-Energien hat und einem, der energieerhaltende flip-flop Prozesse beschreibt
( ($ $ $ $ )I I I I+ − − ++ =1 2 1 2 1 2 1 2α β β α ). Diese Prozesse sind wichtig für den Magnetisierungstransfer
innerhalb eines homonuklearen Spinsystems.
Für die Kopplung zweier ungleichartiger Kerne I und S gilt:
$ ( cos )$ $Hr
I SDIS I S
ISIS z z= − −
µ γ γπ
θ02
32
43 1
h(3.21)
Aus der Kopplungskonstanten νD ist erkennbar, dass die dipolaren Kopplungen empfindlich vom
Abstand der wechselwirkenden Spins abhängen. Für ein isoliertes C-H-Paar mit einem
internuklearen Abstand von 110 pm berechnet man z.B. eine Kopplungsfrequenz νD = 22.5 kHz.
Unter Berücksichtigung aller möglichen Orientierungen bezüglich B0 und der
Wahrscheinlichkeitsverteilung der Spins in ihren Orientierungen berechnet man theoretisch für ein
isoliertes Spin-Paar das “Pake Dublett”6. In der Praxis sind die Verhältnisse allerdings komplizierter.
Hier müssen die Kopplungen eines Spins mit allen Nachbarkernen entsprechend ihren Abständen
und Orientierungen in Betracht gezogen werden.
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3.3 Relaxation
Durch die Anregung eines Spinsystems werden die Besetzungszahlen, die durch die Boltzmann-
Verteilung gegeben sind, verändert. Ein 90°-Puls würde z.B. bei Kernen mit I = ½ eine
Gleichverteilung beider Energieniveaus (Nα = Nβ) bewirken. Nur in diesem Fall verschwindet die
Magnetisierung in der z´-Richtung des rotierenden Koordinatensystems vollständig. Ein Puls ist eine
Energieübertragung auf das Spinsystem. Nach der Energieübertragung muss das System gemäß der
Boltzmann-Verteilung (Gl. 3.5) in den Gleichgewichtszustand zurückkehren. Deswegen muss die
aufgenommene Energie an das “Gitter” abgegeben werden. Der Begriff “Gitter” steht stellvertretend
für sämtliche Bestandteile, die Energie vom Spinsystem aufnehmen können. Das können Moleküle,
aber auch Gefäßwände sein. Wie schnell diese Rückkehr in den Gleichgewichtszustand M Mz' = 0
erfolgt, wird durch die longitudinale Relaxationszeit T1 bestimmt. Die longitudinale Relaxation ist
ein enthalpischer Prozess.
Die Rückkehr der Magnetisierung in den Gleichgewichtszustand wird mathematisch durch die
Blochsche Gleichung ausgedrückt9:
dM
dt
M M
Tz z′ ′= −
− 0
1
(3.22)
Direkt nach dem 90°-Puls aus der x´-Richtung liegen die einzelnen Spins µµ phasenkohärent auf der
y´-Achse im rotierenden Koordinatensystem (ω = ω0) vor und bilden die Quermagnetisierung My´.
Durch den Verlust der Phasenkohärenz kommt es zu einer Auffächerung des Magnetisierungsvektors
My´, wodurch die effektive Magnetisierung in der y´-Richtung abnimmt.
Der Verlust an Quermagnetisierung wird durch die transversale Relaxationszeit T2 beschrieben.
dM
dt
M
Ty y′ ′= −
2
(3.23)
Die transversale Relaxationszeit ist ein energieerhaltender Prozess, bei dem sich nur die Entropie
des Spinsystems ändert. Hierbei spielen die bereits erwähnten flip-flop-Prozesse eine wichtige Rolle.
Die Besetzungsverhältnisse in der Boltzmann-Verteilung werden dadurch nicht verändert.
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Die praktische Bedeutung der T2-Zeiten liegt vor allem in ihrer Beziehung zur Halbwertsbreite der
beobachteten NMR-Signale.
∆ν1 22
1/ =
πT(3.24)
Eine weitere Relaxationszeit T1ρ beschreibt den Rückgang der Magnetisierung entlang eines
“gelockten” B1-Feldes. Gelockt bedeutet hier, dass das B1-Feld für einen definierten Zeitraum
permanent eingestrahlt wird. Im rotierenden Koordinatensystem wird das in Resonanz eingestrahlte
B1-Feld statisch und das einzig wirksame Magnetfeld, welches üblicherweise um den Faktor 1000
schwächer ist als das B0-Feld13.
Relaxationen durch “spontane Emission” sind in der kernmagnetischen Resonanzspektroskopie
wegen der geringen Energiedifferenz zwischen dem Grundzustand und dem angeregten Zustand
vernachlässigbar klein. In einem Magnetfeld der Stärke 1T brauchen angeregte Spins durchschnittlich
1019 s zur Spinumkehr. Das ist eine Zeitspanne, die dem Alter des Universums entspricht17. In der
NMR werden Relaxationsprozesse durch lokale fluktuierende Magnetfelder im Gitter basierend auf
Molekülbewegungen wie Rotationen oder Schwingungen induziert.
Die Effektivität der Bewegungsmoden bezüglich der vorgestellten Relaxationsprozesse (T1,T2,T1ρ) ist
abhängig von der statistischen Frequenzverteilung der erzeugten fluktuierenden Magnetfelder.
Diese Zusammenhänge sollen im folgenden quantifiziert werden.
Man stelle sich eine große Anzahl von Molekülen vor, die das Gitter bilden und statistischen
Reorientierungen als Funktion der Zeit unterworfen sind. Um die Fluktuationen innerhalb dieses
Gitters zu beschreiben, wird die Korrelationsfunktion definiert als15,18,19:
C t a tii i( ) ( )a ( )= ∑ 0 , (3.25)
wobei ai ein beliebiger Gitterparameter i = 1,...,n und t die Zeit ist. Für große Werte von t geht C(t)
gegen null, wenn der Durchschnittswert von ai gleich null ist. Dieser Umstand soll an einem Beispiel
verdeutlicht werden. Der Parameter ai sei das Magnetfeld i, welches seine Richtung, bezüglich seiner
Ausgangsposition ai(0), statistisch mit der Zeit t ändert. Für große Zeitintervalle ist die
Wahrscheinlichkeit, dass ai(0) und ai(t) gleiche und entgegengesetzte Richtungen (Vorzeichen)
aufweisen gleich groß.
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Die Summe der Produkte ai(0)ai(t) über alle i ist somit annähernd null. Für kleine Werte von t ist es
wahrscheinlicher, dass ai(0) und ai(t) dieselbe Richtung besitzen. Unter diesen Bedingungen hat C(t)
große Werte. Die Korrelationsfunktion hat den größten Wert Σi(ai(0))2 für t = 0. Wenn diese
fluktuierenden Magnetfelder durch isotrope Molekülbewegungen verursacht werden, dann
vereinfacht sich die Gleichung (3.25) zu:
( )C t at
iic
( ) ( ) exp=−
∑ 0
2
τ(3.26)
Der Parameter τc ist die Korrelationszeit der fluktuierenden Magnetfelder. Der reziproke Wert 1/τc
ist die durchschnittliche Fluktuationsrate.
Wichtiger als die Korrelationsfunktion C(t) ist ihre fouriertransformierte Form J(ω), die spektrale
Dichtefunktion. Aus der Korrelationsfunktion in der Gleichung 3.26 erhält man eine Lorentz-
Funktion:
( ) ( )J a ic
ci
ωτω τ
=+∑ ( )02
1
2
2 2(3.27)
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In der Abbildung 3.8 sind spektrale Dichtefunktionen für drei unterschiedliche Korrelationszeiten τc,
also unterschiedlich schnelle fluktuierende Magnetfelder, angegeben.
101
102
103
104
105
106
107
108
109
1010
1011
10-12
10-11
10-10
10-9
10-8
10-7
10-6
10-5
10-4
10-3
10-2
10-1
100
τc = 10
-7s
τc = 10-9s
τc = 10-5s
J (ω
)
ω [s-1]
Abb. 3.8: Logarithmische Auftragung der Frequenzverteilung in der spektralen Dichtefunktion für isotropeMolekülbewegungen unterschiedlicher Korrelationszeit.
Für kurze Korrelationszeiten (z.B. τc = 10-9 s, schnelle isotrope Molekülbewegungen) fällt die
Korrelationsfunktion sehr schnell ab, damit erhält man eine breite Verteilung der Frequenzen
oszillierender Magnetfelder relativ geringer Intensität. Im Gegensatz dazu findet man eine schmalere
Verteilung relativ hoher Intensität der Frequenzen für eine lange Korrelationszeit (z.B. τc = 10-5 s,
langsame isotrope Molekülbewegungen). Die Fläche unter den einzelnen Kurven ist identisch.
Daraus folgt, dass die Gesamteffektivität zur Relaxation im Gitter gleich ist. Durch
Molekülbewegungen wird nur die Frequenzverteilung der fluktuierenden Magnetfelder beeinflusst. In
Molekülen gibt es eine Vielzahl von Bewegungsmoden, die sich überlagern, so dass in den meisten
Fällen Relaxationsphänomene nicht durch eine einfache isotrope Rotation beschrieben werden
können.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 47 -
3.3.1 Relaxation über dipolare Kopplungen
In diesem Abschnitt soll die Relaxation eines Protons, das mit einem weiteren Proton dipolar
koppelt, diskutiert werden. In diesem Fall ist I1 = I2 = ½. Es gibt vier Energieniveaus: α1α2, α1β2,
β1α2, β1β2. Dabei sind für das Proton 1 folgende Übergänge möglich: 1. β1α2 ↔ α1α2 und β1β2
↔ α1β2 (∆m = 1) mit einer Frequenz ω0; 2. β1β2 ↔ α1α2 (∆m = 2) mit einer Frequenz 2ω0 und 3.
die sogenannten flip-flop-Übergänge α1β2 ↔ β1α2 (∆m = 0), die im homonuklearen Fall keinen
Energieaustausch mit dem Gitter bewirken.
Die relevanten Übergangswahrscheinlichkeiten W sind proportional zur Intensität der spektralen
Dichtefunktion J(ω) bei den entsprechenden Übergangsfrequenzen. Für eine isotrope Rotation muss
die Gleichung 3.27 eingesetzt werden und man findet20:
W kmc
c∆ = =
+1 102 2
2
1
τω τ
(3.28)
W kmc
c∆ = =
+0 202 2
2
1 4
τω τ
(3.29)
Die Relaxationsraten (1/TR) sind proportional zu den Übergangswahrscheinlichkeiten. Für die
longitudinale Relaxationsrate lautet der vollständige Ausdruck:
1 3
10 4
1
1
4
1 41
4 2 6 02
02 2
02 2T
rH
H H Hc c
c=
+
++
−
−γµπ ω τ ω τ
τh (3.30)
Für die Relaxationsrate entlang eines B1-Feldes im rotierenden Koordinatensystem findet man:
1 3
20 4
3
1 4
5
1
2
1 41
4 2 6 02
12 2
02 2
02 2T
rH
H H Hc c c
cρ
γµπ ω τ ω τ ω τ
τ=
+
++
++
−
−h (3.31)
Die transversale Relaxationsrate wird durch folgenden Ausdruck beschrieben:
1 3
20 43
5
1
2
1 42
4 2 6 02
02 2
02 2T
rH
H H Hc c
c=
+
++
+
−
−γµ
π ω τ ω ττh (3.32)
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 48 -
Aus den Gleichungen geht hervor, dass die dipolare Relaxation stark vom Abstand (≈ r-6) beider
Protonen abhängt.
In der Abbildung 3.9 sind die Relaxationszeiten der Protonen in Abhängigkeit von der
Korrelationszeit τc für isotrope Molekülbewegungen aufgeführt. Für die Berechnungen wurde ein
Abstand von rH-H = 260 pm zugrunde gelegt. Des weiteren gelten die Bedingungen
ω0/2π = 400 MHz und ω1/2π = 50 kHz.
10-13
10-12
10-11
10-10
10-9
10-8
10-7
10-6
10-5
10-4
10-3
10-7
10-6
10-5
10-4
10-3
10-2
10-1
100
101
102
103
104
ω1 τ
c = 1
ω0 τ
c = 1
T1H
(ω0/2π = 400MHz)
T2H
(ω0/2π = 400MHz)
T1ρΗ
(ω0/2π = 400MHz,
ω1/2π = 50kHz)
T 1H, T
2H, T
1ρΗ [s
]
τc [s]
Abb. 3.9: Logarithmische Auftragung der 1H T1-, T1ρ- und T2-Relaxationszeiten in Abhängigkeit von denKorrelationszeiten τc. Die Berechnung bezieht sich auf ein isoliertes 1H-1H-Spinpaar mit einem Abstand von 260pm. Das Modell beruht auf einer isotropen Molekülbewegung.
Man sieht, dass die Kurve für die T1H-Zeiten minimale Werte für ω0τc = 1 einnimmt. Demnach ist die
Relaxation entlang B0 besonders effektiv für Bewegungen mit Fluktuationsraten im MHz-Bereich.
Die T1ρH-Relaxation entlang B1 ist besonders effektiv für Bewegungen mit Fluktuationsraten im kHz-
Bereich, wobei gilt: ω1τc = 1. Transversale Relaxationen können sowohl durch Bewegungen im kHz-
als auch MHz-Bereich induziert werden. Auf die Relaxation durch die Anisotropie in der chemischen
Verschiebung soll hier nicht näher eingegangen werden. Für eine eingehende Behandlung dieser
Thematik sei der interessierte Leser auf die weiterführende Literatur verwiesen18.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 49 -
3.4 Methoden in der Festkörper-NMR-Spektroskopie
3.4.1 Das Magic Angle Spinning (MAS)
Die MAS (Magic Angle Spinning)-Technik2,6,21,22 lässt den TensorPAS der Anisotropie in der
chemischen Verschiebung auf seinen isotropen Wert “zusammenfallen” (Gleichung 3.14). Der
spurlose TensorPAS der dipolaren Kopplung würde unter optimalen MAS-Bedingungen den
isotropen Wert null annehmen. Beides führt zu einer Verschmälerung der Linienbreiten, was die
Auflösung in der Festkörper-NMR-Spektroskopie entscheidend verbessert.
Bei der MAS-Technik wird die Probe in einem Winkel von 54.7° bezüglich des äußeren
Magnetfeldes mit hoher Drehzahl, z. B. im kHz-Bereich rotiert. Der “magische Winkel” hat seinen
Ursprung in dem winkelabhängigen Term (3cos2θ-1) der Hamilton-Operatoren in den Gleichungen
3.20 und 3.21. Für θ = 54.7° nimmt dieser Term den Wert null ein. Die Rotation der Probe hat den
Effekt, dass im zeitlichen Mittel alle Spins einen magischen Winkel zum statischen Magnetfeld
einnehmen. Ein isotropes Signal wird allerdings nur dann erreicht, wenn die Winkelgeschwindigkeit
der Rotation ωR grösser ist als die Linienbreite, die ohne Rotation gefunden würde. Wenn die
Winkelgeschwindigkeit kleiner ist als die statische Spektrenbreite ωP, treten Seitenbanden auf, deren
Abstände ganzzahligen Vielfachen von ωR entsprechen. Diese führen zu Intensitätsverlusten des
Hauptsignals und zu Überlagerungen mit anderen Signalen.
B0
ω R
54 7. °
Pω
Rω
isoω
0R
=ω
PRω<ω
PRω>ω
Abb. 3.10: Probenanordnung beim MAS-Experiment.Der Probenrotor wird in einem Winkel von 54.7° in dasäußere Magnetfeld gebracht und mit ωR rotiert2.
Abb. 3.11: Signalentwicklung einer Festkörper-Probeunter MAS-Bedingungen bei unterschiedlichen Winkel-geschwindigkeiten der Rotation.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 50 -
Durch das Magic Angle Spinning können die Anisotropie der chemischen Verschiebung und die
Wechselwirkungen schwach dipolar koppelnder Kerne effektiv herausgemittelt werden. Bei stark
koppelnden Kernen ist diese Technik alleine nicht ausreichend. Unter diesen Bedingungen wird die
MAS-Technik kombiniert mit der Hochleistungsentkopplung12, welche im nächsten Abschnitt erklärt
werden soll.
3.4.2 Die heteronukleare Entkopplung
Im Gegensatz zum Magic Angle Spinning wird bei der heteronuklearen Entkopplung3 der Spin-Term
in Gleichung 3.21 genullt und damit die Wechselwirkungen zwischen den I- und S- Spins
aufgehoben. Praktisch wird dies durch das permanente Einstrahlen eines starken
Radiofrequenzfeldes B1 mit der Resonanzfrequenz des I-Kernes senkrecht zu B0 (z.B. entlang der
x´-Achse) erreicht. Für eine effektive Entkopplung muss die Stärke des B1-Feldes in der
Größenordnung der Stärke der dipolaren I-S-Kopplung liegen. Da dipolare Kopplungen sehr stark
sein können (kHz-Bereich) spricht man von einer Hochleistungsentkopplung. In der Abbildung 3.12
sind die Auswirkungen dieses sogenannten Entkoppelpulses im rotierenden Koordinatensystem
aufgezeigt.
ω0
′x
′y
′z
B1
ΜΜ z S′
ω1I
ΜΜ z Iir
′
M tz I I′ ∝ cos( )ω1
0B
Abb. 3.12: Modell für die heteronukleare, dipolare Entkopplung zwischen I- und S-Spins im rotierendenKoordinatensystem.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 51 -
Unter der Einwirkung des B1-Feldes rotiert der Magnetisierungsvektor der I-Kerne ΜΜ z Iir′ mit der
Winkelgeschwindigkeit 1I1I Bγ=ω in der y´z´-Ebene. Die Projektion der rotierenden ΜΜ z Iir′ -
Magnetisierung wird damit durch eine oszillierende Funktion M tz I I′ ∝ cos( )ω1 beschrieben.
Dadurch spürt der vom B1-Feld unbeeinflusste S-Spin nur den zeitlichen Mittelwert des Betrages
dieser Projektion. Wenn die Winkelgeschwindigkeit ωI1 größer ist als die Winkelgeschwindigkeit aus
der dipolaren Kopplung, nimmt dieser Betrag im zeitlichen Mittel den Wert null an. Unter diesen
Bedingungen ist die Voraussetzung für eine dipolare Kopplung zwischen den I- und S-Spins nicht
mehr gegeben und man detektiert das vom I-Kern unbeeinflusste S-Spinspektrum. In der 13C-
NMR-Spektroskopie (S = 13C) spielen die dipolaren Kopplungen der 13C-Kerne untereinander,
wegen der großen “Verdünnung”, keine Rolle. Hier werden die Spektren unter Protonenentkopplung
(I = 1H) während der Akquisitionszeit aufgenommen.
3.4.3 Die Kreuzpolarisation
Es gibt weitere entscheidende Nachteile der kernmagnetischen Resonanz an Festkörpern. Oft
werden lange Spin-Gitter-Relaxationszeiten gefunden. Außerdem sind die T2-Zeiten kurz, ein
Umstand, der Signale mit geringer Amplitude zur Folge hat. Damit ist es schwierig, Spektren mit
guten Signal-Rausch-Verhältnissen bei angemessenem Zeitaufwand zu detektieren. Neben der
bereits besprochenen Abhängigkeit der longitudinalen Relaxationszeit von den fluktuierenden
Magnetfeldern, ist diese auch abhängig vom gyromagnetischen Verhältnis. Besonders problematisch
werden deshalb Festkörperuntersuchungen unter der Detektion von 13C-, 29Si- und 15N-Kernen, die
eine geringe relative Häufigkeit zeigen. Zufällig haben diese Spins betragsmäßig niedrige
gyromagnetische Verhältnisse und allein aus diesem Grunde lange longitudinale Relaxationszeiten,
verglichen mit z.B. 1H, 19F und 31P.
Die Signalintensität kann zwar durch höhere Magnetfelder verbessert werden, doch wird es unter
diesen Bedingungen auch schwieriger, besonders bei 13C-Kernen, die Anisotropie der chemischen
Verschiebung herauszumitteln. Ein anderer effektiver Ansatz zur Verbesserung der Signalintensität
wäre die Isotopenanreicherung. Diese ist aber entweder sehr zeitintensiv oder teuer. Außerdem
erhöht man mit der Isotopenanreicherung die dipolaren Kopplungen innerhalb des Spinsystems mit
geringer Häufigkeit und damit die Halbwertsbreite der Peaks.
Die T1-Zeiten können durch paramagnetische Zusätze18 oder durch Temperaturänderungen der
Probe verkürzt werden, doch führt dies gleichzeitig zu einer häufig unerwünschten Vergrößerung der
Linienbreite.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 52 -
Zur Verbesserung der Signalintensität und Verringerung der Zeitspanne zweier aufeinander-
folgender Experimente (recycle-delay) ist die sogenannte Kreuzpolarisation6 die Technik der Wahl.
Dabei findet ein Magnetisierungstransfer (Polarisierungstransfer) von einem Spinsystem hoher
relativer Häufigkeit und hoher Polarisierung (I-Spin) zu einem Spinsystem niedriger relativer
Häufigkeit (S-Spin) statt. Der “recycle delay” ist dabei nur von der longitudinalen Relaxationszeit der
I-Spins abhängig (≈ 5 T1). Der Schlüssel zum Verständnis der Kreuz-polarisation liegt in den flip-
flop-Prozessen dipolar gekoppelter Kerne. Dabei kommt es zu einer gleichzeitigen Änderung der
Spinzustände in einem gekoppelten Spinsystem ( α β β α1 2 1 2↔ ). Die Wahrscheinlichkeit, mit der
flip-flop-Prozesse ablaufen, hängt nicht nur von der Stärke der dipolaren Kopplung ab; für einen
effizienten Spin-Austausch-Prozess muss der flip-flop-Mechanismus vielmehr energieerhaltend sein.
Die Energie, die benötigt wird, um den Kern eins von einem spin-down- in einen spin-up-Zustand zu
bringen, muss identisch mit der sein, um den Kern zwei von einem spin-up- in einen spin-down-
Zustand zu bringen. Aus diesem Grund treten flip-flop-Prozesse spontan in einem gekoppelten
homonuklearen Spin-System auf. Dieser Umstand wird durch die Leiteroperatoren im Spin-Term in
der Gleichung 3.20 ausgedrückt.
Flip-flop-Prozesse finden im S-Spin-System wegen der fehlenden dipolaren Kopplungen
(“Verdünnung”) nicht statt. Zwischen S- und I-Spins sind flip-flop-Prozesse spontan nicht möglich,
weil hierbei das Energieerhaltungskriterium nicht erfüllt ist. Außerdem sind die nötigen
Leiteroperatoren in Gleichung 3.21 nicht vorhanden.
Hartmann und Hahn23,24 führten eine Methode ein, die flip-flop-Prozesse zwischen Spin-Systemen
ungleicher Resonanzfrequenzen möglich macht. Die Abbildung 3.13 zeigt ein Beispiel für eine
entsprechende Pulssequenz.
1H
13C
CP
90°
HP-Entkopplung
CP
Abb. 3.13: Pulssequenz für das 1H→13CCP-Experiment. Der FID wird in der Akquisitionszeitunter Hochleistungsentkopplung (HP-Entkopplung)aufgenommen.
Ein anfänglicher 90°-Puls dreht den Magnetisierungsvektor der I-Spins (1H) im rotierenden
Koordinatensystem z.B auf die y´-Achse. Anschließend werden während der
Kreuzpolarisationsphase (CP) gleichzeitig im S (13C)- wie auch im I-Kanal Radiofrequenzpulse mit
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 53 -
der entsprechenden Resonanzfrequenz der S- und I-Kerne entlang der y´-Achse eingestrahlt. Damit
wird auf beide Spinsysteme gleichzeitig ein “Spin-Lock-Puls” eingestrahlt. Im rotierenden
Koordinatensystem der I-Spins bedeutet dies, dass das einzig wirksame Magnetfeld das statische
B1I-Feld ist, während im rotierenden Koordinatensystem der S-Spins nur das B1S-Feld wirkt.
Wählt man nun die Stärke der B1-Felder entsprechend der Hartmann-Hahn-Bedingung
γ γI I S SB B1 1= , (3.33)
so sind die Resonanzfrequenzen und damit die Energiedifferenzen im I- und S-Spinsystem gleich.
Anschaulich bedeutet die Hartmann-Hahn-Bedingung, dass für beide Spin-Systeme der 90°-Puls
dieselbe Länge besitzt.
I Spins−
S Spins−
ω γ0 0I IB= ω γ0 0S SB= γ γI I S SB B1 1=
I Spins− S Spins−
Laborkoordinatensyst em rotierendes Koordinatensystem
Abb. 3.14: Zeeman-Energien im Laborkoordinatensystem und im rotierenden Koordinatensystem nach Einstellungder Hartmann-Hahn-Bedingnung.
In der Sprache der Operatoren heißt das: Durch die Transformation des Operators der dipolaren
Kopplung für den heteronuklearen Fall (s. Gleichung 3.21) in die rotierenden Koordinatensysteme
werden die nötigen Leiteroperatoren erzeugt25. Dies ist die Voraussetzung für die nun eintretenden
energieerhaltenden flip-flop-Prozesse entlang der Spin-Lock-Felder. Die zuvor isolierten Spin-
Systeme sind nun energetisch gekoppelt. Während der Kreuzpolarisationszeit, die im
Millisekundenbereich liegt, nimmt die Magnetisierung im I-Spinsystem entlang des B1I-Feldes relativ
schwach ab, gleichzeitig aber nimmt die Magnetisierung des S-Spinsystems entlang des B1S-Feldes
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 54 -
relativ stark zu. Nach der Kreuzpolarisationszeit erfolgt die Akquisition des free induction decays
(FID) unter Hochleistungsentkopplung.
3.4.3.1 Das thermodynamische Modell der Kreuzpolarisation
Um einen Einblick in die treibende Kraft des Magnetisierungstransfers zu bekommen, soll das
Modell der Spintemperaturen13 eingeführt werden. Wenn ein einzelner I-Kern (z.B. 1H) seinen
Spinzustand wechselt, indem er Energie mit dem Gitter austauscht, so wird diese energetische
Änderung durch Spin-Diffusion über das gesamte I-Spinsystem verteilt. Diese Einstellung des inneren
Gleichgewichts erfolgt wegen der starken dipolaren Kopplungen in Zeitintervallen, die im
Mikrosekundenbereich liegen. Zwischen dem I-Spinsystem und dem Gitter stellt sich in einem
Magnetfeld ein thermisches Gleichgewicht ein. Das I-Spinsystem nimmt die Gittertemperatur TG an.
Die Größe der Magnetisierung im I-Spinsystem M0I ist über das Curie-Gesetz definiert:
MC B
TII
G0
0= (3.34)
Dabei ist CI die Curie-Konstante des I-Spinreservoirs. Durch das Anlegen einen Spin-Lock-Pulses
wird die I-Magnetisierung entlang des B1I-Feldes fokussiert. Das Curie-Gesetz für diesen Fall lautet:
MC B
TII I
I0
1= (3.35)
TI ist die Spintemperatur des I-Spinsystems im rotierenden Koordinatensystem unter dem Einfluss
des Spin-Lock-Pulses. Aus der Kombination der Gleichungen 3.34 und 3.35 ergibt sich:
TB
BTI
IG= 1
0
(3.36)
Weil das B1I-Feld näherungsweise um den Faktor 1000 kleiner als das B0-Feld ist, wird durch den
Spin-Lock-Puls ein Kühlen des I-Systems erreicht. Das I-Spinreservoir ist während des Spin-Lock-
Pulses in einem Nicht-Gleichgewichtszustand, da die Gleichgewichtsmagnetisierung entlang des Spin-
Lock-Pulses um den Faktor 1000 niedriger sein müsste. Durch das Einstellen der Hartmann-Hahn-
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 55 -
Bedingung werden die beiden zunächst isolierten I- und S-Spinsysteme gekoppelt. Die
Magnetisierung des S-Spinsystems ist niedrig . Dies entspricht nach dem Curie-Gesetz einer hohen
Spintemperatur TS. Magnetisierung “fließt” vom kälteren I-Spinreservoir zum S-Spinreservoir, bis
der Gleichgewichtszustand mit einer identischen Spintemperatur für beide Reservoirs erreicht wird.
Die Effektivität dieser Magnetisierungsübertragung wird durch die Zeitkonstante TCP bestimmt. Diese
ist abhängig von der dipolaren Kopplung der Kerne untereinander6,13. Aus diesem Grund lässt das
Kreuzpolarisationsexperiment keine quanti-tativen Aussagen über die Anzahl der detektierten S-
Kerne zu, weil nicht nur der detektierte Kern selbst, sondern auch die Anzahl der I-Kerne in
nächster Umgebung für die Signalintensitäten verantwortlich ist. Es kann gezeigt werden, dass bei
einer Vernachlässigung von Relaxationseffekten die letztendlich durch das
Kreuzpolarisationsexperiment erreichte Magnetisierung in einem S-Spinsystem, das an ein I-
Spinsystem gekoppelt ist,
[ ] S01
S
ICPS M1M −ε+
γγ= (3.37)
)1I(IN
)1S(SN
I
S
++=ε (3.38)
beträgt6,26. Hierbei ist M0S die Gleichgewichtsmagnetisierung des S-Spinsystems im statischen
Magnetfeld. Die Parameter NS und NI stehen für die Anzahl der Kerne in der entsprechenden
Probe. S und I sind die Spinquantenzahlen der Kerne.
Für das System I = 1H und S = 13C nimmt ε annähernd den Wert null an und die Gleichung 3.37
vereinfacht sich zu MCPS = (γI/γS)M0S. In dem konkreten Beispiel wird demnach die 13C-
Magnetisierung im Kreuzpolarisationsexperiment um den Faktor vier erhöht.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 56 -
3.5 Beschreibung der NMR-Experimente
3.5.1 Die Bestimmung der Kreuzpolarisationskonstanten
Das Pulsexperiment zur Ermittlung der Kreuzpolarisationskonstanten TCP ähnelt im Aufbau der
Pulssequenz für die Kreuzpolarisation (s. Abbildung 3.13). Allerdings wird jetzt die
Kreuzpolarisationsphase (CP) zeitlich variiert (variable Kontaktzeit tCP).
1H
13C
CP
90°
HP-Entkopplung
CP
tCP
Abb. 3.15: Pulssequenz zur Ermittlung derKreuzpolarisationskonstanten TCP im 1H-13C-Spinsystem durch Variation der KontaktzeittCP.
Der Magnetisierungsverlauf im S-Spinsystem in Abhängigkeit von der Kontaktzeit tCP gehorcht dem
Zusammenhang6.
M tM
a aa tT
a tTS CP
CP
CP
CP
CP( ) exp exp=
−−
− −
+ −
− +0 (3.39)
mit
−+=+ 2
0
0 ab11aa
−−=− 2
0
0 ab11aa
S1
CP
S1
CP
I1
CP
T
T
T
T1
T
Tb
ρρρ
ε+
+=
++ε+=
ρρ S1
CP
I1
CP0 T
T
T
T1
21a
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 57 -
Dabei ist M0 die Maximalmagnetisierung, die vom I-Spinsystem (hier 1H) auf das S-Spinsystem (hier
13C) übertragen werden kann, wenn Relaxationsprozesse gänzlich vernachlässigt werden. Zur
Anpassung werden die Signalintensitäten gegen tCP aufgetragen und ein Least-Square-Fit
durchgeführt. In vielen Fällen kann die Gleichung 3.39 vereinfacht werden, wenn für die zu
untersuchende Probe folgende Bedingungen gelten: T1ρS >> T1ρI > TCP. Für NI >> NS kann der
Parameter ε (s. Gleichung 3.38) mit dem Wert null angenähert werden. Damit vereinfacht sich die
Gleichung 3.39 zu27:
∑ρ
ρ
−
−−
−
=i
Ii1
CPi
CPi
CP
Ii1
CP
i0CPS
T
T1
T
texp
T
texp
M)t(M (3.40)
Die Laufvariable i impliziert dabei, dass prinzipiell mehrere TCP- und T1ρI-Zeiten gefunden werden
können.
Die Gleichung 3.40 beschreibt den folgenden Kurvenverlauf:
0 5 10 15 200
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
T1ρ I
T
CP
TCP
= 0.3 ms
T1ρ I
= 10 ms
Inte
nsitä
t [a.
u.]
CP-Kontaktzeit (tCP
) [ms]
Abb. 3.16: Typischer Verlauf einer “Kreuzpolarisationskurve” mit einem kombinierten Aufbau und Abklingen derMagnetisierung im S-Spinsystem. Die “Kreuzpolarisationskurve kann näherungsweise in einen TCP- und T1ρ-Astunterteilt werden.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 58 -
Die Kreuzpolarisationsrate 1/TCP ist proportional zur flip-flop-Wahrscheinlichkeit zwischen beiden
Spin-Systemen und daher auch abhängig von der dipolaren Kopplung zwischen den heteronuklearen
Spins. Es kann gezeigt werden, dass die Kreuzpolarisationsrate umgekehrt proportional zur sechsten
Potenz des Abstandes zwischen den I- und S-Kernen ist28. Des weiteren wird der winkelabhängige
Term im Operator der dipolaren Kopplung durch Molekülbewegungen teilweise ausgemittelt und
man erhält im Vergleich zu völlig rigiden Bedingungen erniedrigte Kreuzpolarisationsraten. Durch
diesen Umstand ist man in der Lage, Komponenten mit unterschiedlichen Mobilitäten innerhalb einer
Probe zu differenzieren. Später wird in dieser Arbeit gezeigt werden, dass die Kreuzpolarisation bei
angemessener Kontaktzeit als Filter für weniger bewegliche Bestandteile eines flüssigen
Mehrkomponentensystems dienen kann.
3.5.2 Die Bestimmung der Protonen-Spin-Gitter-Relaxationszeiten im rotierenden
Koordinatensystem
In diesem Kapitel sollen die Pulssequenzen vorgestellt werden, mit denen man die Relaxationszeiten
von NMR-aktiven Kernen, speziell von Protonen im rotierenden Koordinatensystem (T1ρH) messen
kann6,7,13. Dabei kann die Ermittlung der T1ρH-Zeiten prinzipiell mit oder ohne Kreuzpolarisation
erfolgen. Beide Pulssequenzen sind in der Abbildung 3.17 im direkten Vergleich dargestellt.
DE-T1ρH
1HtSL
90°
Abb. 3.17: Pulssequenzen zur Bestimmung derT1ρH-Zeitkonstanten. Im Vergleich zurDirektanregung (DE-T1ρH) wird in derKreuzpolarisation (CP-T1ρH) die Protonen-Restmagnetisierung auf das 13C-Spinsystemübertragen und detektiert.
CP-T1ρH
1H
13 C
tSL CP
90°
HP-Entkopplung
CP
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 59 -
Bei beiden Experimenten wird nach dem 90°-Anregungspuls parallel zum Protonen-
Magnetisierungsvektor ein Spin-Lock-Puls (B1H-Feld) eingestrahlt. Die Protonen relaxieren nun, in
Abhängigkeit von der Spin-Lock-Dauer tSL entlang dieses Spin-Lock-Pulses. Anschließend wird die
Protonen-Restmagnetisierung entweder direkt detektiert (DE-T1ρH) oder durch einen Kontaktpuls
(CP-T1ρH) auf das 13C-Spinsystem übertragen und das Signal unter 1H-Hochleistungsentkopplung
detektiert. Durch eine Vergrößerung der Spin-Lock-Zeit erhält man Spektrenreihen, die sich
aufgrund der Relaxationseffekte durch eine abnehmende Protonenrestmagnetisierung auszeichnen.
Der Verlauf der Signalintensitäten entspricht einem exponentiellen Zerfall mit der Zeitkonstanten
T1ρH.
∑
−=
ρi Hi1
SLi0SL T
texpM)t(M (3.41)
Die Laufvariable impliziert auch hier, dass prinzipiell, abhängig von der Morphologie der Probe ein
multiexponentielles Relaxationsverhalten gefunden werden kann.
3.5.3 Das Inversion-Recovery-Experiment zur Ermittlung der Protonen Spin- Gitter-
Relaxationszeit
Zur Ermittlung der T1-Zeiten von NMR-aktiven Kernen (hier 1H) wird im allgemeinen die 180°-tD-
90°-Pulsfolge, das sogenannte “Inversion-Recovery-Experiment angewendet (s. Abb. 3.18)5,9,13.
DE-T1H
tD1H
90°180°
Abb. 3.18: Das Inversion-Recovery-Experiment zur Ermittlung von DE-T1H-Relaxationszeiten.
Der anfängliche 180°-Puls (z.B. aus der x´ Richtung) invertiert die Magnetisierung entlang der z´-
Achse. In einer anschließenden Delay-Zeit tD findet eine longitudinale Relaxation statt. In
Abhängigkeit von der Delay-Länge relaxiert die Magnetisierung entlang der z´-Achse von ihrem
Anfangswert -M0 über den Wert null bis zurück zu ihrer Gleichgewichtsmagnetisierung M0
entsprechend der Boltzmann-Verteilung.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 60 -
Ein anschließender 90°-Puls (ebenfalls aus der x´-Richtung), der sogenannte Detektionspuls dreht
den Magnetisierungsvektor M auf die y´-Achse. Nun kann der FID aufgenommen werden. In der
Abbildung 3.19 ist eine Modifikation des Inversion-Recovery-Experimentes dargestellt. Hierbei wird
nach dem 90°-Puls eine Kreuzpolarisationsphase angeschlossen (CP), in der die aktuelle
Protonenmagnetisierung auf das 13C-Spinsystem übertragen wird.
CP-T1H
tD1H
90°180°
HP-Entkopplung
13C
CP
CP
Abb. 3.19: Das Inversion-Recovery-Experiment mit anschließender Kreuzpolarisationsphase (CP) zur Ermittlungvon CP-T1H-Relaxationszeiten.
Quantitativ werden diese Zusammenhänge durch die Gleichung 3.42 wiedergegeben.
∑
−−=
i Hi1
Di0D T
texp21M)t(M (3.42)
Auch hier können bei unterschiedlichen Mobilitäten innerhalb der untersuchten Probe mehrere
longitudinale Relaxationszeiten gefunden werden. Für i = 1 findet man folgende Relaxationskurven:
5 10 15
-100
-80
-60
-40
-20
0
20
40
60
80
100
tD0
= ln2 T1
M0
-M0
Delay-Zeit tD [s]
Inte
nsitä
t [a.
u.]
Abb. 3.20: Typischer Verlauf einer Relaxationskurve in einem “Inversion-Recovery-Experiment”.Der Nulldurchgang erfolgt bei tD0 = ln2T1.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 61 -
3.5.4 Das Single-Pulse-Experiment
Bei diesem Experiment wird z.B. die 1H-Magnetisierung durch einen 90°-Puls (B1-Feld aus der x´-
Richtung im rotierenden Koordinatensystem) von der z´-Achse auf auf die y´-Achse gedreht.
Danach erfolgt die Akquisition.
Im Gegensatz dazu wird beim 13C-Single-Pulse-Experiment zur Verbesserung der spektralen
Auflösung der FID unter Protonen-Hochleistungsentkopplung aufgenommen.
90°
1H
Abb. 3.21: 1H-Single-Pulse-Experiment.
90°
1H
13C
HP-Entkopplung
Abb. 3.22: 13C-Single-Pulse-Experiment mitProtonen-Hochleistungsentkopplung währendder Akquisitionszeit.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 62 -
3.5.5 Die zweidimensionale heteronuklear (C, H)-korrelierte NMR-Spektroskopie
(HETCOR oder C, H-COSY)
Ein zweidimensionales (C,H)-Korrelationsexperiment zeigt sogenannte Kreuzpeaks für alle Protonen
und 13C-Kerne, die direkt aneinander gebunden sind und somit untereinander skalar koppeln. Das in
dieser Arbeit verwendete Experiment ist in der Abbildung 3.23 dargestellt. Der genaue
Entwicklungszustand beider Spinsysteme kann bei dieser Pulsfolge nicht mehr über die anschauliche
Vektordarstellung erfolgen. Für eine genaue Beschreibung wird der Produkt-Operator-Formalismus
verwendet, auf den nicht eingegangen werden soll. Ausführliche, theoretische Beschreibungen
wurden durch A. Bax, G. Bodenhausen et al. vorgestellt29-33. Allgemeinere Betrachtungen dieser
Thematik wurden durch Atta-ur-Raman und H. Friebolin bekannt gemacht34,35.
∆1t1/2 t1/2 ∆2
90°90°
180° 90°
H1
C13
Breitband-Entkopplung
t2
Abb. 3.23: Das HETCOR-Experiment.
Das in der Akquisitionsphase t2 detektierte 13C-Signal ist durch eine Variation der t1-Zeit
(Evolutionsphase), bei konstanten ∆1- und ∆2-Zeiten (Mischphase) mit den Lamorfrequenzen der
Protonen moduliert. Dieser Umstand hat wichtige Konsequenzen: Eine Fourier-Analyse bezüglich t2
ergibt Peaks bei den Resonanzfrequenzen der 13C-Kerne. Durch eine zweite Fourier-Analyse
bezüglich t1 erhält man Peaks mit den Resonanzfrequenzen der skalar koppelnden Protonen. Die
Peaks zeigen praktisch gekoppelte Frequenzpaare direkt aneinander gebundener 13C- und 1H-Kerne
an. Damit lassen sich, bei Kenntnis der Zuordnung einer Kernsorte, die Resonanzfrequenzen der
anderen Kernsorte festlegen.
3 Theoretische Grundlagen der Festkörper-NMR-Spektroskopie
- 63 -
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