achtsamkeit - mbsr · (satipatthana sutta) wird achtsamkeit anhand von vier beobachtungsbereichen...
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Achtsamkeit
Was ist Achtsamkeit?
Achtsamkeit ist die beabsichtigte Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Gegenwart d.h. auf den aktuellen Moment, auf die gegenwärtige Erfahrung. Achtsamkeit bedeutet das bewusste Beobachten, wobei die Beobachtung aus einer bestimmten Haltung heraus erfolgt. Diese ist:
wohlwollend, akzeptierend
nicht urteilend, nicht wertend
nicht einteilend oder kategorisierend
nicht identifiziert mit dem Objekt der Beobachtung, jedoch unmittelbar an der Erfahrung teilhabend,
unvoreingenommen, offen,
die Welt immer wieder neu betrachtend (“Anfängergeist”),wie mit den Augen eines Kindes.
Entscheidend ist dabei die Bewusstheit über den Prozess des Beobachtens selbst, ein Gewahrsein, des gewahr Seins, unabhängig von den beobachteten Objekten, unabhängig davon, ob der Fokus der Aufmerksamkeit weit oder eng ist. Bildhaft gesprochen stellt das “Erwachen des inneren Beobachters” das Essentielle der Achtsamkeit dar.
Das Rad der Achtsamkeit
Aussenwelt
Die "fünf Sinne" (sehen, hören, tasten/berühren, riechen, schmecken) vermitteln Informationen über die Aussenwelt.
Das Rad der Achtsamkeit (Wheel of awareness, vgl. Siegel 2007)
Das Rad der Achtsamkeit
Innenwelt
Der "sechste Sinn" vermittelt
Informationen aus unserem
Körper, dient der
Wahrnehmung der
körperlichen Innenwelt, der
Interozeption. Der "siebte
Sinn" ermöglicht es, Aspekte
der psychischen Innenwelt
wahrzunehmen wie
Gedanken, Gefühle,
Intentionen, Bilder,
Überzeugungen, Träume etc.
Er kann als Metakognition
verstanden werden, als
Fähigkeit, den Geist
wahrzunehmen (engl.
"Mindsight"). Als "achten Sinn"
schlägt Siegel einen
"beziehungsbezogenen" Sinn
vor. Dieser Sektor steht für
unseren Sinn für
Beziehungen, unsere
Verbundenheit mit anderen
Wesen.
Das Rad der Achtsamkeit (Wheel of awareness, vgl. Siegel 2007)
Das Rad der Achtsamkeit
Reines Gewahrsein
Auf einer anderen Ebene symbolisiert die Nabe auch "reines Gewahrsein", jenen Hintergrund, auf dem alle Objekte
erscheinen. Es ist jenes (letzte) Wahrnehmende, das sich selbst aber jeder Beobachtung entzieht. Es ist unabhängig von Objekten.
Die Aufmerksamkeit kann also grundsätzlich fokussiert und
gerichtet oder aber ungerichtet, offen, d.h. "wahllos" sein
(choiceless awareness bzw. open mind), d.h. jede Erfahrung
wird uneingeschränkt einbezogen.
In Achtsamkeit werden die Wahrnehmung und automatisch
erfolgende gefühlsmäßige Reaktionen bewusst von Reaktionen auf
diese Erfahrung auf der Handlungsebene getrennt. Impulse können
beobachtet werden, Automatismen werden unterbrochen. Beispielsweise
wird ein Juckreiz beobachtet, ohne gleich (automatisch) zu kratzen. Dabei wird häufig die
Erfahrung ermöglicht, dass dieser von selbst wieder verschwindet, oder eine störende Fliege
ohne eigenes Zutun wieder wegfliegt.
Achtsamkeit kann als definierte Übung praktiziert werden, durch regelmäßiges Üben aber
selbstverständlich und mühelos werden. Sie wird dann als Haltung in den Alltag integriert.
Achtsamkeit ist grundsätzlich in jeder Lebenslage möglich, sie ist absichtslos, verfolgt kein Ziel,
grenzt nichts aus. Sie beobachtet weil etwas da ist, nicht damit es vorübergeht. Nach der
"Paradoxen Theorie der Veränderung" geschieht Veränderung allerdings häufig gerade dann,
wenn wir aufgehört haben, etwas mit allen Mitteln verändern zu wollen und seine
Unveränderbarkeit akzeptiert haben.
Das Rad der Achtsamkeit (Wheel of awareness, vgl. Siegel 2007)
Das Rad der Achtsamkeit
Achtsames Essen
• Augenhunger
• Nasenhunger
• Mundhunger
• Magenhunger
• Zellhunger
• Geistiger Hunger
• Herzhunger
Das Rad der Achtsamkeit (Wheel of awareness, vgl. Siegel 2007)
Achtsamkeit kann folgendes bewirken
Ruhe im Sinne von "Geistesruhe" und Tiefen-Entspannung
Stressreduktion
Steigerung der Konzentrationsfähigkeit
Mobilisierung innerer Ressourcen
Verbesserung der Lebensqualität
Selbsthilfe bei Schmerzen und chronischen Krankheiten (Herzleiden,
Krebs, Burn-out, Diabetes, hoher Blutdruck oder andere
stressbedingte Krankheiten)
Selbsthilfe bei physio-psychologischen Beschwerden (Angst, Ärger,
Emotionsregulation, Borderline-Persönlichkeitsstörungen,
Depression, Ess-Störungen, Psychosen, Schizophrenie, Sucht,
Trauma, Zwangserkrankungen)
Einsicht im Sinne von "Wissensklarheit", einem umfassenden
Verstehen menschlicher Erfahrung wie Erkennen eigener
Automatismen (Reaktions-, Denk- und Verhaltensmuster) aber
auch der menschlichen Existenz
Wurzeln der Achtsamkeit
Achtsamkeit- so wie sie heutzutage verstanden
wird – bezieht sich auf unterschiedliche Wurzeln: Im
Zentrum stehen der Buddhismus und die
Vipassana-Praxis. Viele Achtsamkeits-Programme,
wie MBSR beziehen auch Yoga-Praktiken mit
ein.
Wurzeln der AchtsamkeitBuddhismus
Achtsamkeit ist das “Herzstück” der buddhistischen Lehre und findet
sich wiederholt in den Schriften als Teil des edlen achtfachen Pfad als Weg zur Aufhebung von Leiden
1. Rechte Anschauung,
Erkenntnis
2. Rechtes Denken
Einsicht, Wissen, Weisheit
3. Rechte Rede
4. Rechte Handlung
5. Rechter Lebenserwerb
Ethik, Sittlichkeit
6. Rechte Anstrengung
7. Rechte Achtsamkeit
8. Rechtes sich versenken
Sammlung, Vertiefung
Wurzeln der AchtsamkeitBuddhismus
Achtsamkeit ist eine von sieben Erleuchtungsfaktorenzur Befreiung des Geistes.
1. Achtsamkeit
2. Ergründung der Gesetzmäßigkeit, Wahrheitsergründung
3. Willenskraft, Beharrlichkeit
4. Verzückung, Freude, Begeisterung
5. Gestilltheit, Gelassenheit
6. Sammlung, Konzentration
7. Gleichmut
Wurzeln der AchtsamkeitBuddhismus
Achtsamkeit ist eine von fünf geistigen Fähigkeiten
1. Vertrauen
2. Energie
3. Sammlung
4. Weisheit
5. Achtsamkeit
Wurzeln der AchtsamkeitBuddhismus
In einer Lehrrede, der “Rede von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit” (Satipatthana Sutta) wird Achtsamkeit anhand von vier Beobachtungsbereichen vermittelt:
der Körper (bewusstes Ein- und Ausatmen, Körperhaltung, Körpertätigkeiten),
die Empfindungen (angenehm, unangenehm, neutral),
die Geisteszustände (wie: heilsam/unheilsam, gesammelt/nicht gesammelt und emotionale Färbungen wie Freude, Wut oder Langeweile),
die “natürlichen Wahrheiten”:
• Die Fünf Hemmnisse,
• die Fünf Aggregate des Ergreifens,
• die Sechs Sinnesgrundlagen
• die Sieben Faktoren zur Erleuchtung
• die Vier Edlen Wahrheiten.
Buddha beschreibt vier “Grenzenlose Geisteszustände” als Kardinaltugenden
• Liebevolle Güte (metta, maitri) oder “loving kindness”
• Mitgefühl
• Mitfreude
• Gleichmut
Achtsamkeitspraxis führt durch das Einüben von bedingungsloser Akzeptanz zu
einer Haltung von “Liebevoller Güte”. Meditationen der “Liebevollen Güte” sind meist feste Bestandteile von Vipassana-Kursen.
Wurzeln der Achtsamkeit Vipassana
Das Wort Vipassana bedeutet auf Pali “die Dinge sehen, wie sie wirklich sind”. Vipassana-Meditation ist die zentrale und wichtigste Methode des buddhistischen Geistestrainings. Sie dient zur Einübung und Entwicklung von Achtsamkeit. Sie wird auch als Einsichtsmeditation bezeichnet, da ein Geisteszustand kultiviert wird, der eine klare Sicht und eine Erfassung der äußeren Situation und der inneren mentalen und emotionalen Phänomene ermöglicht. Hauptquelle ist der Text der “Satipatthana Sutta” im Pali Kanon (TheravadaTradition).
Vipassana als Praxis ist unabhängig von Glauben und Weltanschauung und führt über die Auflösung von Konditionierungen und Illusionen zur “Befreiung”.
Zur Technik: Einstieg ist in der Regel die Atembeobachtung. Eine Möglichkeit, mit Abschweifungen vom gewählten Fokus umzugehen ist das “Etikettieren”, das Benennen dessen, was gerade vor sich geht z.B. mit “denken”, um dann zum Fokus z.B. der Atembeobachtung zurückzukehren. Mit der Zeit wird der Fokus der Aufmerksamkeit immer weiter, mit dem Ziel, Achtsamkeit möglichst auch im Alltag aufrecht zu erhalten.
Die wohl bekannteste “Schule” ist die von Satya Narayan Goenka (*1924 in Myanmar, t 2013), die weltweit Zehntageskurse anbietet. Das Zentrum in Deutschland liegt im Vogtland in der Ortschaft Triebel und heißt Dhamma Dvara.
Wurzeln der Achtsamkeit Yoga
Die klassischen indischen Schriften beschreiben vier Yoga-Wege:
Raja Yoga, auch Ashtanga Yoga: Meditativer Weg
Jnana Yoga: Yoga der Erkenntnis
Karma Yoga: Yoga der Tat, des selbstlosen Handelns
Bhakti Yoga: Yoga der Verehrung/Hingabe
Eher körperbetonte Yoga-Praktiken werden im westlichen
Sprachgebrauch unter dem Oberbegriff Hatha Yoga
zusammengefasst, eine spezielle Form ist Iyengar Yoga.
Achtsamkeit ist vielfach wesentlicher Teil der Praxis. Übungen aus dem
Hatha Yoga werden auch in der Methode der Mindfulness-Based Stress
Reduction (MBSR) integriert.
Anwendungsbereiche von AchtsamkeitAllgemein
Mindfulness-based Stress-Reduction (MBSR)Achtsamkeit zur StressreduktionPsychoedukatives Gruppenprogramm nach Jon Kabat-Zinn, der das Programm 1979 in Massachusetts (USA) entwickelte. Es wird inzwischen weltweit bei unterschiedlichsten Indikationen angeboten.
Achtsamkeit in der Psychotherapie
Achtsamkeit bzw. Achtsamkeitspraxis des PsychotherapeutenDie unterschiedlichen Anwendungen von Achtsamkeit unterscheiden sich auch wesentlich dadurch, inwieweit einer achtsamen Haltung und Achtsamkeitspraxis des Psychothrapeuten Bedeutung zugemessen wird. Eine Praxis von Achtsamkeit schult viele in der psychotherapeutischen Beziehung wesentliche Qualitäten
Psychoanalyse Gesprächspsychotherapie
Verhaltenstherapie Körperpsychotherapie Gestalttherapie
Hypnosepsychotherapie Traumatherapie
Paartherapie Biofeedbacktherapie
Achtsamkeitspraxis – eine Übersicht
Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten, zu üben und Erfahrungen mit
Achtsamkeit zu machen:
Formale Praxis: Man nimmt sich vor, z.B. drei Minuten oder auch
länger eine spezielle Praxis auszuüben.
Informelle Praxis: Man führt eine Tätigkeit, die man auch sonst
ausführen würde, in einer Haltung der Achtsamkeit aus, wie Kochen,
Geschirrspülen, Zähneputzen, eine Stiege hinaufgehen etc.
Ein Tag der Achtsamkeit: An diesem Tag wechseln z.B. während sieben Stunden formale und informelle Praxis einander ab.
Achtsamkeitspraxis – Formelle Praxis
Achtsamkeit im Sitzen mit verschiedenen Anweisungen
eine einfache Anleitung zu Achtsamkeit
Atembeobachtung, Atemzüge zählen
Benennen, Fließbandübung u.a.
Body-Scan
“Drei-Minuten-Atem-Raum”
und andere, wie z.B. Körperempfindungen wahrnehmen, “wahllose Bewusstheit”
Achtsamkeit in Bewegung
z.B. achtsames Stehen, achtsames Gehen, Yoga, Stretching, Tanz
Achtsamkeit zu zweit, in der Dyade
z.B. mit dem anderen atmen
sich selbst und den anderen wahrnehmen, gemeinsam atmen
Achtsamkeit in der Gruppe
z.B. geführte Übungen, Gruppenaustausch oder in einem Retreat
Achtsamkeitspraxis – Informelle Praxis
Achtsame Aktivität
z.B. achtsames essen, Zähne putzen, abspülen
Strukturierte Übungen zum Innehalten
z.B. innehalten, bewusst zwei Atemzüge nehmen
allein oder in Kontakt mit jemandem anderen
STOP-Übung
Kontemplation
z.B. bewusstes Lesen von Gedichten, in der Natur sein,
Musik hören
Achtsamkeitspraxis – Hier und Jetzt