adnan maral adnan für anfänger - bildadnan maral adnan für anfänger mein deutschland heißt...
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Adnan Maral
Adnan für Anfänger
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Adnan Maral
Adnan für AnfängerMein Deutschland
heißt Almanya
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Verlagsgruppe Random House FSC® N001967
Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte PapierSuper Snowbright liefert Hellefoss AS, Hokksund, Norwegen.
1. AuflageOriginalausgabe © 2014 by Adnan Maral & Blanvalet Verlag,
München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: www.buerosued.de, MünchenUmschlagfoto: Frank P. Wartenberg/GLAMPOOL
Satz: Uhl + Massopust, AalenDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in GermanyISBN 978-3-7645-0519-6
www.blanvalet-verlag.de
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Ich widme dieses Buch meinen Eltern, mit ihnen hat meine Geschichte angefangen, meinen vier Kindern, sie führen sie weiter,
und meiner Frau Franziska, gemeinsam schreiben wir die Gegenwart!
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»Gehe immer auf andere Menschen zu, Adnan«, pflegte meine Mutter zu sagen. »Egal wer es ist. Und erwarte nicht, dass du etwas bekommst. Sei trotzdem offen. Wer weiß, mit welchen Erfahrungen dich dein Gegenüber schon im nächsten Moment bereichert. Jede Begegnung kann ein Geschenk sein. Schlag es nicht aus. Niemals.«
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Inhalt
Vorwort von Außenminister
Frank-Walter Steinmeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1 Adnan beim Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2 Adnan für Anfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3 Adnan und die Vorurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
4 Adnan im Hamam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
5 Adnan wartet auf Godot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
6 Adnan wird im Stall geboren . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
7 Adnan wird Schauspieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
8 Adnan und das Fernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
9 Adnan bei den Schweizern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
10 Adnan am Bosporus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
11 Adnan bei den Legionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
12 Adnan wird mystisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
13 Adnan wird Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
14 Adnan muss schauspielern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
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Vorwortvon Außenminister Frank-Walter Steinmeier
»Adnan und Frank sind seit ihrer ersten gemeinsamen
Reise an den Bosporus befreundet. Wie Tausende von
Adnans und Franks in unserem Land. Dass wir nun aus-
gerechnet Maral und Steinmeier mit Nachnamen heißen,
hat dabei für uns nie eine Rolle gespielt. Aber für unsere
türkischen Freunde am Bosporus sehr wohl.
Denn wir sind gemeinsam eingetreten – und aufge-
treten – für Deutschland. Der eine als Teil der deutschen
Filmkultur, der andere im Namen der deutschen Außen-
politik. Alles zusammen, Kultur und Politik, Menschen
mit familiären Wurzeln in ostwestfälischen und ostanato-
lischen Dörfern, das alles macht Deutschland aus.
›Adnan für Anfänger‹ ist insofern mehr als eine Auto-
bio grafie, es ist ein kleiner Bildungsroman für unser Land.«
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Bundesminister des Auswärtigen
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Einführung
Immer wieder werde ich gefragt, was ich denn nun eigent-
lich bin – Türke oder Deutscher? Deutsch-Türke vielleicht?
Eine knifflige Frage!
Geboren bin ich in der Türkei, in einem ostanatoli-
schen Bergdorf nahe der Grenze zu Armenien und Geor-
gien. Ringsum ragen zerklüftete Bergketten auf, in denen
Horden von Ziegen sich heimisch fühlen. Es ist ein kar-
ges Land; gemessen an westeuropäischen Standards ist
es arm, doch was ist arm wirklich, und wer bestimmt die
Standards?
Die Geschichte dieses Landstrichs reicht Tausende von
Jahren zurück. Im 10. Jahrtausend vor Christus, noch vor
der Blüte der Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyp-
tens, errichteten Sammler und Jäger in Südostanatolien
den bislang ältesten Tempel der Welt: Göbekli Tepe. Die
einzelnen Quader, aus denen das gigantische Heiligtum
bestand, wogen bis zu 50 Tonnen. Vor 9000 wurden hier
die ersten Städte errichtet. Im weiteren Verlauf der wech-
selhaften Geschichte herrschten Hethiter, Griechen und
Römer über das »Land des Sonnenaufgangs«. Später ge-
hörte es zum Byzantinischen und schließlich zum Osma-
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nischen Reich, fiel jedoch zum Ende des 19. Jahrhunderts
an das Russische Zarenreich, 1917 an Georgien und nach
dem Armenienkonflikt 1921 an die Türkei.
Glücklicherweise geschah all das vor meiner Geburt,
sonst wäre es für viele Leute vermutlich noch schwieri-
ger, mich einzuordnen. Adnan, der Russe, Georgier, Ar-
menier? Und dann gab es ja auch noch Alexander den
Großen, der einst durch Anatolien zog und seine Spuren
gewiss nicht allein in der Architektur hinterließ. Bin ich
am Ende Adnan, der Grieche?
Als ich zwei Jahre alt war, holte mein Vater, der zur ers-
ten Generation türkischer Gastarbeiter zählte, die Familie
zu sich nach Frankfurt. Ich machte Abitur und studierte,
spielte in Frankfurt, Berlin und anderswo Theater, bis mit
Türkisch für Anfänger der Durchbruch im Fernsehen
und später im Kino kam. Plötzlich war ich der »Vorzei-
getürke« schlechthin: »Na, Integration geht doch! Der
spricht ja richtig Deutsch!«
Auf die Frage, ob ich nun Türke oder Deutscher sei,
kann ich ehrlich gesagt nur antworten, dass ich eben ein
Mensch bin, wie jeder andere auch. Als Mensch möchte
ich wahrgenommen werden, mit meinen Eigenheiten,
meinen Stärken und Schwächen, meinen türkischen Wur-
zeln und meiner deutschen Lebensart.
Ich liebe den türkischen Humor, diese Selbstironie, die
Gastfreundschaft, die Spontaneität und Gelassenheit. Mit
neunzehn erfüllte ich mir den türkischen Traum schlecht-
hin – einen Mercedes. Inzwischen ist der Mercedes einem
Audi gewichen. Ich trage einen Bart, doch nicht den tra-
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ditionellen Schnurrbart meines Vaters. Neben Türkisch,
Deutsch und Englisch spreche ich etliche Dialekte. Ich hatte
Glück, ich genoss eine gute Bildung an deutschen Schulen.
Aber Bildung allein ist nicht der Schlüssel zu Menschlich-
keit. Um Menschlichkeit auszubilden, braucht es ein ge-
wisses Maß an Selbstreflexion, Selbstvertrauen und Ver-
trauen in den anderen. Vielleicht braucht es auch Wurzeln.
Ich kann und will meine Herkunft nicht verleug-
nen, kann die Wurzeln meiner Kindheit nicht ausreißen.
Warum sollte ich auch? Mein Deutschland ist ein Land, in
dem ich mich sicher und zu Hause fühle. Meine Kinder
sind hier geboren. Hier arbeite ich, zahle Steuern, trage
meinen Teil zum Leben bei. Ich liebe das Meer, die Seen
und die Berge, die Menschen, die Pünktlichkeit, die Zu-
verlässigkeit, die Chancen, die sich einem hier bieten. Ich
liebe auch die bunte, facettenreiche Gesellschaft, in der
sich Menschen aus Ost und West, Nord und Süd wie-
derfinden. Doch geboren bin ich in Ostanatolien. Mein
Deutschland heißt Almanya.
Begegnungen mit fremden Kulturen können uns faszinie-
ren, unseren Fundus an Wissen erweitern und uns neue
Perspektiven schenken. Vielleicht ist es der Osmane in
mir, der Geschichten liebt und die Menschen zum Lachen
bringen will. Und so erzähle ich in diesem Buch von Be-
gegnungen und Erlebnissen aus meinem Leben, die um
das Thema Vorurteile, Toleranz und Akzeptanz kreisen.
Vorurteile sind zutiefst menschlich, doch es tut gut, sie
hin und wieder zu reflektieren und auf ihren Wahrheits-
gehalt hin zu überprüfen.
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Wir alle können unseren Beitrag zu einer friedvolle-
ren Gesellschaft leisten, indem wir die Scheu vor anderen
verlieren und aufeinander zugehen. Das bedeutet aber
auch, dass die Politik auf den Menschen zugeht. Ich kann
nicht für andere Türken sprechen, doch hätte ich die Mög-
lichkeit, eine doppelte Staatsbürgerschaft anzunehmen,
fühlte ich mich anerkannter. Dann dürfte ich meine Wur-
zeln bewahren, den Schatz meiner Herkunft hüten und
mich so, wie ich bin, als vollwertiges Mitglied in die deut-
sche Gesellschaft einbringen.
Zahlreiche Erhebungen zeigen, dass sich viele Türken
in Deutschland längst integriert haben. Über das Klischee
des Dönerbudenbesitzers hinaus öffnet sich ein weites
Feld an Berufen, in denen türkischstämmige Menschen
sich hierzulande verwirklichen. Austausch und Vernet-
zung finden auf den unterschiedlichsten Ebenen statt. Die
Zahl der binationalen Ehen steigt, türkische Musik, Kunst
und Literatur werden an Hochschulen gelehrt und in der
Gesellschaft gelebt, Mesut Özil spielt in der deutschen
Fußball-Nationalmannschaft. Und dennoch hält sich in
manchen Kreisen hartnäckig die Meinung, Türken ver-
weigerten sich der Integration und isolierten sich in ihren
Wohngebieten. Kann es sein, dass eine ganze Nation sich
im Kreise dreht? Je nachdem, wie wir unsere Wahrneh-
mung ausrichten, finden wir Beispiele für mangelnde wie
für geglückte Integration. Wer aber steuert unsere Wahr-
nehmung? Sind wir das – oder die Medien?
Fest steht: Millionen Deutsche essen Döner, fahren in
den Türkeiurlaub und sind Türkisch für Anfänger-Fans.
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Und vielleicht ist sowieso alles ganz anders. Der Bibel
zufolge strandete die Arche Noah nach der Sintflut am
Berge Ararat im heutigen Ostanatolien. Wenn das wahr
ist … wären wir dann am Ende nicht alle »ein bisschen
Türke«?
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Adnan beim Arzt
Es war Montag früh, acht Uhr, und ich saß im Wartezim-
mer einer Münchner Arztpraxis.
Ich war nicht krank, ich bin Schauspieler. Das heißt
nicht, dass ich auf krank gemacht hätte … obwohl ich zu
Schulzeiten natürlich hin und wieder von meinem Talent
Gebrauch gemacht habe, das war recht nützlich. An die-
sem Tag war es umgekehrt, da musste ich topfit wirken!
Der nächste Film stand an, und die Versicherung gegen
Drehausfälle verlangte einen Check. Zum Glück war ich
gesund. Und trotzdem fühlte es sich wie immer seltsam
an, beim Arzt zu sitzen. Allein dieser Geruch! Das war
nicht das Desinfektionsmittel allein. Rauchte hier jemand?
Mein Blick schweifte durch die Praxis mit den schicken
weißen Designerstühlen. Direkt mir gegenüber schwitzte
und schnaufte ein deutlich übergewichtiger Mann im
Maßanzug. Mir wurde mulmig zumute. Der sah gar nicht
gesund aus!
Zwei Stühle weiter hatte sich eine magere Frau im
Businesskostüm in ihr Buch vertieft. Was sie wohl her-
trieb? War sie vielleicht eine Pharmavertreterin? Sie warf
mir einen strengen Blick über den Rand ihrer schwarzen
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Brille zu. Ich sollte die Menschen nicht immer so neu-
gierig mustern, dachte ich. Aber das gehört zu meinem
Beruf, ich betreibe ständig Fallstudien. Auch wenn ich
vermutlich nie eine magere Frau um die dreißig spielen
werde. Aber wer weiß?
Dieser Morgen würde lang werden, ich spürte es. Im-
merhin gab es Zeitschriften, vor allem solche, die un-
ter meinen intellektuellen Schauspielerkollegen verpönt
sind. Ich griff schnell nach der autor motor und sport, bevor
mein Gegenüber sie mir streitig machen konnte. Ein Mer-
cedes auf der Titelseite, des Türken liebstes Statussym-
bol … der Tag war gerettet!
Kaum hatte ich mich in die Lektüre über die neue
S-Klasse vertieft, kam eine blond gefärbte Frau im weißen
Kittel herein, offenbar die Arzthelferin. »Der Herr Doktor
musste zu einem Notfall. Es wird noch ein bisschen dau-
ern.« Sie blickte in die Runde. »Herr Adrian Marcel bitte
zum Empfang!«
Adrian Marcel?
Der Dicke brummelte etwas Bayerisches in sich hinein,
offenbar ungehalten über die extra Wartezeit. Er war es
wohl nicht. Und die Frau? Ich konnte es mir nicht ver-
kneifen, ihr einen fragenden Blick zuzuwerfen.
»Herr Marcel, Adrian! Bitte zum Empfang!«, wieder-
holte die Sprechstundenhilfe, diesmal lauter, und stö-
ckelte davon, ohne eine weitere Reaktion abzuwarten.
Kaum war sie draußen, da kam sie auch schon wieder
reingestürmt. Ich war ihr aufgefallen.
»Wer sind ’n Sie?«, fragte sie mich und zog die Augen-
brauen hoch. Bevor ich auch nur den Mund aufmachen
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konnte, fuhr sie mich an: »Hallooo, Sie können hier nicht
einfach ohne Termin reinmarschieren und sich hinset-
zen!«
Ich wollte ihr antworten, aber sie kam mir erneut zu-
vor. »Verstehen Sie mich überhaupt, halloooo!« Dabei
beugte sie sich mit ihrem Oberkörper so weit zu mir he-
runter, dass ich ihr zwangsläufig in den arg tiefen Aus-
schnitt gucken musste. Für einen kurzen Moment dachte
ich furchtsam: O weh, ihr fallen die Brüste aus dem Kit-
tel!
Doch bevor es so weit kommen konnte, stand sie wie-
der aufrecht vor mir, die Hände in die Hüften gestemmt.
Ich spürte ihren bohrenden Blick mitten auf der Stirn.
»Ich … Adnan«, brachte ich hervor.
»Ne, oder …? Sie müssen schon deutsch mit mir re-
den!«
In diesem Augenblick klingelte das Praxistelefon und
erlöste mich erst mal von ihrer Gegenwart.
»Mal wieder typisch. Wenn ich in ein fremdes Land
komme, dann lerne ich doch erst mal die Sprache«, brum-
melte sie, während sie zum Empfang stolzierte.
Ich war perplex. Dann wurde ich wütend.
Meine Ohren dröhnten. Hufgetrappel! Aus allen Him-
melsrichtungen stürmten sie herbei: die ostanatolischen
Zwergbergziegen. Schon war ich inmitten der Horde.
Staub wirbelte auf, drang in meine Nase und mit ihm
so manches drahtige Ziegenhaar. Ich bekam kaum noch
Luft. Dann geschah es! Mit ihren festen Hufen trampelten
sie über mich hinweg, sprangen an mir hoch und nahmen
Besitz von mir.
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Ich musste sie bezwingen, auf der Stelle! Sonst würde
ich explodieren und sie mit einem gewaltigen Wutaus-
bruch zurück in die Außenwelt entlassen.
Es waren die Ziegen meiner Kindheit. Ich kann mich
gut an die Sommerferien erinnern, wenn meine Eltern das
Auto voller Geschenke luden und wir uns auf den wei-
ten, weiten Weg ostwärts machten, um Baba-Anne zu be-
suchen, meine Großmutter väterlicherseits. Sie war eine
herzensgute Frau, und sie hatte Temperament! Wenn et-
was sie ärgerte, warf sie die Arme in die Höhe und drehte
in rasender Geschwindigkeit die Hände, sodass mir schon
vom Zusehen schwindlig wurde. Dann hieß es, in De-
ckung zu gehen, denn ihre ostanatolischen Zwergbergzie-
gen waren erwacht! So nannte Baba-Anne den Gefühlszu-
stand, der immer dann von ihr Besitz ergriff, wenn Wut in
ihr hochkochte.
Ganz offenbar habe ich ihr spezielles Temperament ge-
erbt. Früher hatte das Nahen der Zwergbergziegen ver-
heerende Auswirkungen auf meine Umwelt. Wie Baba-
Anne hob ich die Hände in die Luft, drehte sie wild hin
und her, und während ich Worte der Wut zu artikulieren
versuchte, überschlug meine Zunge sich so heftig, dass
niemand mich verstand.
»Dir sind wohl die Ziegen gekommen«, sagten die Tür-
ken und winkten ab. Deutsche hingegen hatten es mit mir
nicht ganz so leicht. Ich merkte bald, dass ich mit meinen
Temperamentsausbrüchen an Grenzen stieß. Als Muster-
beispiel der Integration lernte ich also, die Ziegen mit tie-
fem Durchatmen zu bezähmen und mein Anliegen in der
Folge so diplomatisch wie möglich vorzutragen.
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Der Spruch »Keciler geliyor bana – Mir kommen die
Ziegen« ist in der Türkei wohl bekannt, aber was es wirk-
lich heißt, wenn die störrisch-wilden ostanatolischen
Zwergbergziegen von einem Besitz ergreifen, das wissen
nur Baba-Anne und ich.*
Doch wie war es überhaupt dazu gekommen, dass eine
Horde Zwergbergziegen ihren Weg in eine Arztpraxis in
der Münchner Sonnenstraße fand?
»Wenn ich in ein fremdes Land komme, dann lerne ich
doch erst mal die Sprache …« Dieser Satz ist so leicht da-
hingesagt. Betrachten wir einmal die Hintergründe.
In den Sechzigerjahren war Deutschland mitten im
Wiederaufbau begriffen, doch es fehlten Millionen an Ar-
beitskräften. Als 1961 das Anwerbeabkommen mit der
Türkei erfolgte, ahnte niemand, wie sich dies mit den Jah-
ren auf die Gesellschaft, geschweige denn auf den einzel-
nen Menschen auswirken würde.
Damals wurden keine Zeitarbeitsverträge geschlossen,
wie es heutzutage oft üblich ist: Wer für zwei Jahre in ein
anderes Land zum Arbeiten geht, arrangiert sich vorü-
bergehend; er schafft sich nicht zwingend ein neues Zu-
* Der kritische Leser ahnt an dieser Stelle, dass man einem Geschich-
ten erzählenden Osmanen nicht alles glauben sollte. Wenn Sie also
einmal einen Türken auf besagte ostanatolische Zwergbergziegen
ansprechen sollten, dann wundern Sie sich nicht, wenn er Sie ver-
ständnislos anblickt. Der aufmerksame Leser aber hat bereits in meiner
Kurzgeschichte »Ach, Deutschland – Meine ostanatolischen Zwerg-
bergziegen und ich«, die 2008 im Piper Verlag erschien, Bekannt-
schaft mit den Ziegen meiner Kindheit gemacht.
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hause, sondern überbrückt die Zeit, schickt seiner Familie
Geld nach Hause und hofft auf den Tag, an dem er zu-
rückkehren kann.
Im Deutschland der Sechzigerjahre gestaltete sich dies
völlig anders. Die ausländischen Arbeitskräfte – Fachar-
beiter wie Ungelernte – wurden zu einem wichtigen Fak-
tor in der Arbeitswelt und trugen in hohem Maße zum
deutschen Wirtschaftswunder bei. Noch war kein Ende
des Aufschwungs abzusehen. Die Menschen aus Italien,
Spanien, Griechenland und der Türkei arbeiteten hart.
Viele von ihnen erkannten, dass die Gehälter, die sie an-
gelockt hatten, gemessen an den Lebenshaltungskosten
und Abgaben gar nicht so hoch waren wie anfangs ge-
dacht. Und doch waren die meisten froh, überhaupt eine
Arbeit zu haben und ihren Familien in der Ferne ein bes-
seres Leben bieten zu können. In Deutschland suchten sie
sich eine Nische in der Gesellschaft, versuchten sich anzu-
passen und dennoch ihre Werte und Traditionen zu pfle-
gen.
Aber wie sah es im Inneren aus? Viele Gastarbeiter
hielten sich aufrecht an dem Traum, eines Tages in die
Heimat zurückzukehren, dann, wenn genug Geld ver-
dient war, um die Ausbildung der Kinder zu sichern und
sich ein kleines Haus zu bauen, fürs Alter. Träume und
Erinnerungen sind bisweilen unzuverlässige Ratgeber.
Geld kann nicht alles lösen, kann die Einsamkeit und Ent-
fremdung der Menschen auf Dauer nicht aufwiegen. In
der Folge fanden Familienzusammenführungen statt, die
Männer holten ihre Frauen und Kinder nach Deutschland.
Damit stand die hiesige Gesellschaft vor einer neuen He-
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rausforderung, wollte man die zugereisten Familien nicht
ghettoisieren und zudem die Schulbildung der Kinder er-
möglichen.
Im Zuge der Energiekrise erfolgte 1973 ein Anwerbe-
stopp ausländischer Arbeitnehmer. Eine Wende kündigte
sich an, die Arbeitslosigkeit begann zu steigen, und die
deutsche Wirtschaft erlebte erste Einbrüche. Unsicherheit
machte sich breit. War es die Bürde der nationalsozialis-
tischen Vergangenheit, die es Politikern und deutschen
Bürgern schwermachte, die Parole »Ausländer raus!« laut
auszusprechen und offen zur Diskussion zu bringen? Im
November 1982 verabschiedete die Kohl-Regierung das
»Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von
Ausländern«. Kurz gesagt: Wer ausreiste, bekam Geld.
Was tun?
Zahlreiche Ostanatolier hatten in ihren Heimatdör-
fern alles Hab und Gut verkauft, um die weite Reise nach
Istan bul antreten zu können, wo deutsche und türkische
Beamte ihre Gesundheit prüften und sich einen Eindruck
von ihren beruflichen Fähigkeiten machten. Nach all den
Jahren in Deutschland gab es für sie kein Zurück mehr.
Je länger ein Mensch fern von der Heimat lebt, desto grö-
ßer sind einerseits die Entfremdung und andererseits der
Einfluss der Kultur, in der er nun lebt. Und wo ist das Zu-
hause, wenn man Jahrzehnte in einem Land lebt, Kinder
oder gar Kindeskinder dort geboren wurden?
Die Ausreiseförderungsbemühungen Kohls richteten
sich insbesondere gegen die Türken, deren Zahl er in den
Jahren nach seinem Amtsantritt halbieren wollte. Andere
Ausländer stellten für ihn weniger ein Problem dar.
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Das erinnert mich an eine Episode aus meiner stürmi-
schen Junggesellenzeit.
Ich hatte damals eine Freundin, die zeitweilig bei ihrer
Großmutter lebte. Nachdem ich das erste Mal dort über-
nachtet hatte, traf ich die entzückende Dame beim Früh-
stück. Zwischen uns entwickelte sich ein angeregtes Ge-
spräch, in dessen Zuge ich herausfand, dass ihre Eltern
wiederum aus Siebenbürgen stammten. Als ich tags da-
rauf meine Freundin wiedersah und vorschlug, wieder
bei ihr zu übernachten, erzählte sie mir, was ihre Groß-
mutter zu ihr gesagt hatte, kaum dass ich das Haus ver-
lassen hatte:
»Also Kathrin, wie kannst du nur einen Orientalen als
Freund haben?! Und dann bleibt er auch noch über Nacht!
Du … du hast mir den Feind ins Haus gebracht!«
Seit den Osmanischen Kriegen waren rund 500 Jahre
vergangen. War ich dabei gewesen? Gewiss nicht. Zumal
die Mehrheit im Sultansheer aus orthodoxen Christen
und nicht aus muslimischen Anatoliern bestand.
Ich begann zu verstehen, warum meine deutschen
Freunde so schwer an der Vergangenheit ihres Landes
trugen: Feindbilder, die sich in den Köpfen anderer Men-
schen festsetzen, sind hartnäckiger als Zecken.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich erschrak, als
die Arzthelferin plötzlich vor mir auftauchte. Diesmal
aber würde ich mich nicht so leicht abspeisen lassen.
»Ich hatte einen Termin«, sagte ich artig und schenkte
ihr mein gewinnendes Lächeln. »Vielleicht schauen Sie
doch noch mal in den Kalender?«
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Ihre Augen waren so dunkel wie der Haaransatz. Dazu
die Gestik … Ich hätte schwören können, dass sie etwas
Südländisches oder gar Orientalisches an sich hatte. Mein
Blick fiel auf ihr Namensschild. Mehnert. Das klang bay-
risch. Jedoch …
Nachdem ich schon seit einigen Jahren in Oberbayern
heimisch bin, weiß ich, warum manche Bayern so ausse-
hen, als wären sie meine direkten Verwandten. Daran ist
der Mavi Kral, der »Blaue König« schuld, wie die Tür-
ken ihn wegen der blauen Uniformjacke nennen, die er
auf den Schlachtfeldern gegen die Osmanen trug. Es han-
delte sich um den Kurfürsten von Bayern, Max Emanuel.
Während des Zweiten Großen Türkenkrieges 1683 bis
1699 hatte er einige Tausend Türken gefangen genom-
men. Die meisten von ihnen landeten in Oberbayern, und
zwar in der Region um den Ammersee, wo im Übrigen
eine ganze Gemeinde im Zuge der Kriege in »Türkenfeld«
umbenannt wurde.
Nach der Zeit der Gefangenschaft und Zwangsarbeit
hatte der Bayer ein Erbarmen mit meinen türkischen
Landsleuten und versuchte, sie kurzerhand zu assimilie-
ren. Heute würde man sie auf direktem Weg in ihre Hei-
mat zurückschicken. Im 17. Jahrhundert konnte man sie
jedoch nicht einfach in den Flieger setzen und außer Lan-
des schaffen. Die Distanz war zu groß, zu Fuß hätte die
Reise wahrscheinlich Monate gedauert.
Also wurden die meisten Gefangenen getauft, und der
osmanisch-türkische Name wurde der bayrischen Spra-
che angepasst. So wurden die Türken Ende des 17. bis An-
fang des 18. Jahrhunderts in die Freiheit entlassen – als
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Christen und als Bayern! Als freie Bürger suchten sie sich
Arbeit, gründeten Familien und ließen sich in Bayern nie-
der. So schnell funktionierte die »Assimilation« damals –
ganz pragmatisch und unaufgeregt.
Heute wissen die wenigsten, dass es in der Vergangen-
heit diese Art von Integration gab. Man redete schon vor
Jahrhunderten nicht gerne über das Thema, und heute ist
dieses Wissen so gut wie nicht existent. Doch die Gene lü-
gen nicht.
Ich konnte mich nicht länger zurückhalten. Ich musste
Frau Mehnert, die gerade mit gerunzelter Stirn im Ter-
minkalender blätterte, einfach fragen. »Sind Sie viel-
leicht … Türkin?«
Sie funkelte mich an. »Unverschämtheit. Ich arbeite
hier als Praxismanagerin und nicht in einem Gemüse-
laden. Klingt Mehnert für Sie etwa wie ein türkischer
Name?«
»Nun ja, er könnte durchaus von Mehmet stammen …«,
begann ich.
Sie streckte mir die Hand hin. »Ihre Versichertenkarte!«
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Adnan für Anfänger
Zwei Mädchen kamen ins Wartezimmer, sechzehn, viel-
leicht siebzehn.
»Wir brauchen ein Attest vom Arzt«, sagte die eine mit
einem Mona-Lisa-Lächeln.
»Uns geht’s gar nicht gut, wir konnten nicht in den Un-
terricht«, fügte die andere erklärend hinzu und setzte ge-
konnt eine Leidensmiene auf.
Die klassischen Schulschwänzer, dachte ich und ver-
kniff mir ein Grinsen.
»Da müsst ihr aber warten. Setzt euch so lange da drü-
ben hin«, erwiderte Frau Mehnert und deutete auf zwei
Plätze mir schräg gegenüber.
Kaum hatten die Mädchen mich gesehen, fingen sie an
zu tuscheln.
Frau Mehnert wandte sich indes wieder meiner Wenig-
keit zu.
»Also, wie heißen Sie denn jetzt? Ist das überhaupt Ihre
Versichertenkarte, Herr Marcel?«
»Maral«, sagte ich. »Adnan Maral.«
»O mein Gooootttt!«, kreischte das blonde Mädchen.
»Er ist es wirklich! Metin!«
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Ich schenkte ihr ein Lächeln. Schließlich bin ich nicht
Brad Pitt, also bestand keine Gefahr, dass sie deshalb in
Ohnmacht fiel.
»Wie jetzt … Metin?«, hakte Frau Mehnert nach. »Sie
meinen … der Metin? Dann sind Sie aus Adnan für Anfän-ger?«
Oha, sie hatte mich auch erkannt. »Adnan Maral«, wie-
derholte ich. »Aus Türkisch für Anfänger.«
Frau Mehnert ließ sich auf den Stuhl neben mir sinken.
»Also, das ist mir jetzt peinlich. Dass ich Sie aber auch
nicht erkannt hab. Sie sehen irgendwie anders aus …«
»Vielleicht ist es der Bart«, sagte ich und strich mir
übers Kinn.
»Ja genau! Der Metin trägt doch gar keinen Bart!«,
sagte sie mit leisem Vorwurf in der Stimme.
Die nächsten Minuten vergingen mit dem obligatori-
schen Fotoshooting für die beiden Mädchen und Auto-
gram men für Frau Mehnert, ihre Nachbarin, mit der
sie den Film »schon zweimal!« geguckt hatte, dann die
Freundin, »die auch schon in der Türkei war, in Antalya,
all inclusive, zwei Wochen für 399 Euro!«, und eine wei-
tere Freundin, »die kauft immer beim türkischen Gemüse-
händ ler, da kriegt sie jedes Mal was extra«, allesamt poli-
tisch korrekte Damen also, türkenfreundlich und auf
Integration bedacht. Ich lächelte, doch tief im Innern war
mir unbehaglich zumute. Eben noch war sie so unfreund-
lich gewesen, und jetzt raspelte sie Süßholz.
Der Dicke im Maßanzug beugte sich herüber und
reichte mir seine Karte: »Wenn S’ amoi a Autoversiche-
rung brauchn; mir ham ned nur BMW-Fahrer, mir ham
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auch viele türkische Mercedesfahrer unter unseren Klien-
ten.«
Sogar die Pharmavertreterin blickte von ihrem Buch
auf. »Wusste ich’s doch. Ich habe Sie neulich in so einer
Culture-Crash-Komödie gesehen …«
»Culture-Clash«, sagte ich. »Nicht bei jedem Aufein-
anderprallen muss es auch gleich zum Crash kommen,
oder?«
Türkisch für Anfänger hatte mein Leben einschneidend
verändert. Anfangs fand ich es seltsam, auf der Straße
erkannt zu werden. Zwar war mir das auch als Bühnen-
schauspieler hin und wieder passiert, aber nicht in dem
Ausmaß wie seit 2006, als die Serie anlief. Ob ich nun
morgens nach dem Joggen mit hochrotem Kopf einen
Abstecher zur Bäckerei machte oder abends nach einem
anstrengenden Drehtag noch schnell Windeln für mei-
nen Sohn im Drogeriemarkt kaufte – die Leute erkann-
ten mich. Immerhin war ich wöchentlich zu Gast in ihren
Wohnzimmern und unterhielt sie. Es war neu für mich
und zugleich eine wunderbare Bestätigung, dass meine
Interpretation der Figur des Metin stimmig war und Spaß
machte. Mit der Zeit lernte ich, mit der Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit umzugehen, ließ mich fotografieren
und gab fleißig Autogramme auf T-Shirts, nackte Arme,
im Supermarkt sogar auf Plastiktüten.
Dabei hatte ich wochenlang geduldig abwarten müs-
sen, bis ich die Rolle sicher in der Tasche hatte. Ich hatte
gerade Die wilden Kerle abgedreht und war mit meiner
Frau wegen eines Dokumentarfilms in Zürich, als die An-
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frage kam. Man schickte mir das Drehbuch von Bora Dag-
tekin, der auch die Idee zu Türkisch für Anfänger hatte.
Mit Begeisterung im Gepäck flog ich nach Berlin zum
Casting und spielte verschiedene Szenen aus der ersten
Folge. Es fing gut an, auch wenn ich mit meinen damali-
gen Filmpartnerinnen noch nicht wirklich warm wurde.
Das klappt nicht mit jedem, da muss die Chemie stim-
men und, wichtiger noch, das Gefühl für die Figur. Wenn
man zusammen Komödie spielt, müssen beide die glei-
che Spielhöhe und ein gutes Timing haben. Man wirft sich
gegenseitig die verbalen Bälle zu, persifliert, muss dabei
aber in seiner Rolle bleiben und darf die eigene Figur nie-
mals verraten. Kurz: So witzig die Dialoge auch sind, man
bleibt ernst – was nicht immer einfach ist!
Die Begegnung im Chinarestaurant, in der Doris und
Metin den Kindern erklären, sie wollten zusammenzie-
Mit Pegah Ferydoni in Türkisch für Anfänger.
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