aktuelle rechtsprechung zur arbeitszeit damp – 11. märz 2011
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Aktuelle Rechtsprechungzur Arbeitszeit
Damp – 11. März 2011
I. Arbeitszeitrecht als Querschnittsmaterie
II. Öffentliches Arbeitszeitrecht
III. Individuelles Arbeitszeitrecht
IV. Mitbestimmungsfragen
V. Aktuelle Problemfelder
V. Aktuelle Problemfelder
1. Vertrauensarbeitszeit
2. jederzeitige Erreichbarkeit
3. Sonntagsarbeit
4. Geltendmachung von Ansprüchen
I. Arbeitszeitrecht als Querschnittsmaterie
Öffentliches Arbeitszeitrecht Individuelles Arbeitszeitrecht
Mitbestimmung in Arbeitszeitfragen
II. Öffentliches Arbeitszeitrecht
Schutzobjekt: Gesundheit des einzelnen Arbeitnehmers
Schutzrahmen innerhalb der Flexibilisierungstendenz
Regelungen in:
• EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG)
• ArbeitszeitG (keine Entgeltregelungen)
• JugendarbeitsschutzG
Durchsetzung des öffentlichen Arbeitszeitschutzes:
• Aufsichtsbehörden (§ 17 ArbZG)
• Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 22, 23 ArbZG)
• Einhaltungsanspruch des Arbeitnehmers (§ 618 BGB)
Viel Streit im Bereich der Tarifauslegung !
Grundbegriffe der Arbeitszeit:
• Vollarbeit
• Arbeitsbereitschaft
• Bereitschaftsdienst
• Rufbereitschaft
• Ruhepausen
• Ruhezeit
Vollarbeit
• volle Arbeitsleistung entsprechend individueller arbeitsvertraglicher Regelung
• keine gesetzliche Definition
• beinhaltet kurze Unterbrechungen(z.B. bei Materialmangel)
Arbeitsbereitschaft
• ggü. Vollarbeit verminderte Leistung, nämlich sofortige Bereitschaft zur Aufnahme der Arbeit ohne Fremdaufforderung bei Anwesenheit am Arbeitsplatz im Zustand der Entspannung
• Beispiel: Warten auf Kunden
• streitig, ob „wache Achtsamkeit“ erforderlich ist
Bereitschaftsdienst
• Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer, ohne dass er unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein müsste, sich für Zwecke des Betriebs an einer vom AG bestimmte Stelle aufhalten muss, damit er falls nötig die Arbeit sofort oder zeitnah aufnehmen muss
• innerhalb oder außerhalb des Betriebs
• ist (jetzt) Arbeitszeit i.S.d. ArbZG
Rufbereitschaft
• wie Bereitschaftsdienst
• aber: Aufenthaltsortsbestimmung durch Arbeitnehmer
• praktische Auswirkungen auf Ruhezeiten
Ruhepausen
• im Voraus festliegende Unterbrechungen der Arbeitszeit von bestimmter Dauer
• keine Arbeitsleistung, kein Bereithalten
• freie Wahl des Aufenthaltsorts
• streitig, wann Dauer festgelegt werden muss (Schichtbeginn oder erst Pausenbeginn)
Ruhepausen
bis 6 Stunden AZ keine Pause erforderlich
6 bis 9 Stunden AZ 30 Minuten
mehr als 9 Stunden AZ 45 Minuten
• länger als 6 Stunden ohne Pause unzulässig
• Pausen aufteilbar auf Zeitabschnitte je 15 Minuten
• Anordnung von mehr Pausenzeit zulässig
Bereitschaftsdienst und Ruhepausen
BAG Urt. v. 16.12.2009 – 5 AZR 157/09
Lenkzeitunterbrechungen - Kurzpausen
BAG Urt. v. 13.10.2009 – 9 AZR 139/08
Ruhezeit
• Zeit zwischen zwei Schichten, soweit der Arbeitnehmer nicht zu Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst herangezogen wird
• 11 Stunden (§ 5 Abs. 1 ArbZG)
• Verkürzung auf 10 Stunden in bestimmten Bereichen möglich (§ 5 Abs. 2, 3 ArbZG)
Überstunden / Mehrarbeit
• keine gesetzliche Definition
• häufig synonym oder missverständlich verwendet
• oft von Betriebs- oder Dienstvereinbarungsansatz abhängig, was vorliegt und was die Konsequenzen sind
Dauer der Arbeitszeit:
• 8 Stunden je Werktag abzüglich der Pausen
• 6 Werktage (Mo – Sa 48 Stunden/Woche)
• Tageshöchstgrenze: 10 Stundenbei Ausgleichszeitraum 6 Kalendermonate bzw. 24 Wochen (tariflich änderbar)
Begriff der Arbeitszeit:
• Zeit zwischen Beginn und Ende der Arbeit
• abzüglich Ruhepausen
• auch Bereitschaftsdienst
• Dauerproblem: Reise- und Wegezeiten
Reise- und Wegezeiten als Arbeitszeit:
• einzelfallabhängig
• Arbeitszeit, wenn Wege zwischen Betriebsstätte und auswärtiger Arbeitsstätte zurückgelegt werden
• Dienstreise ist Arbeitszeit, wenn belastende Tätigkeit vorgenommen wird
• Anreise zur Arbeitsaufnahme: nie Arbeitszeit
• häufig: Dienst- oder Betriebsvereinbarungen
Weitere Streitfälle:
• Wasch- und Rüstzeiten
• Umkleidezeiten
Notfallregelungen (§ 14 Abs. 1 ArbZG):
• Problem: Notfallbegriff
• stets Voraussetzung: nicht planbare Ereignisse
Weitere Ausnahmeregelungen für Ausgleichszeitraum:
• bei Gefährdung von Arbeitsergebnissen
• branchenbezogen, wenn andere Maßnahmen unzumutbar
• Abweichung mit behördlicher Bewilligung
Nachtarbeit:
• falls Nachtarbeit in Wechselschicht oder an mindestens 48 Tagen im Jahr
• liegt vor, wenn länger als 2 Stunden zwischen 23.00 und 6.00 Uhr tätig
• verkürzter Ausgleichszeitraum auf 8 Stunden: 1 Kalendermonat oder 4 Wochen
(Sozial-)Schutzvorschriften bei Nachtarbeit:
• Berücksichtigung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse
• kostenlose arbeitsmedizinische Untersuchungen
• Umsetzungsmöglichkeiten
• Sicherung der Beteiligung an Weiterbildung
Ausgleichsschutz bei Nachtarbeit (§ 6 Abs. 5 ArbZG):
• „angemessener“ Ausgleich in Geld oder Freizeit
• soweit keine tarifliche Regelung besteht
• Auswahlermessen des Arbeitgebers
• Größenordnung: 20 – 30 %
Angemessener Zuschlag für Nachtarbeit
BAG Urt. v. 11.02.2009 – 5 AZR 148/08
Zuschläge bei Sonn- und Feiertagsarbeit
BAG Urt. v. 11.01.2006 – 5 AZR 97/05
III. Individuelles Arbeitszeitrecht
Kernfragen:
• Wann muss ich individuell Arbeit leisten?
• Wie viel Arbeit muss ich leisten?
• In welchem Umfang darf der Arbeitgeber anordnen?
Dauer der individuellen Arbeitszeit:
• festgelegt durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag (oder BV/DV)
• bildet in Verbindung mit Vergütung den Wertmaßstab
• Änderungen nur bei klar sichtbaren Auswirkungen auf Wertmaßstab denkbar (§ 305 ff. BGB)
Anordnung von Überstunden:
• muss im Arbeitsvertrag vorbehalten sein,sonst nur freiwillig möglich
• muss sich im Rahmen von § 106 GewO halten
• Problem: Leistungspflicht bei Streit / Rechtsschutz?
Lage der individuellen Arbeitszeit:
• muss sich im Rahmen von § 106 GewO halten
• grundsätzlich keine Beschränkungen (auch nicht Sonntagsarbeit), es sei denn vertraglich vereinbart
Maßstab bei der Ausübung des Direktionsrechts:
„Billiges Ermessen“ (§§ 315 Abs. 1 BGB, 106 GewO)
Alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles müssen abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden.
Einschränkung des Direktionsrechts hierneben durch:
- betriebliche Übung
- gebotene Rücksichtnahme auf familiäre Pflichten
- Rücksichtnahme auf Glaubens-/Gewissensfreiheit
- eingetretene Konkretisierung
Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG):
• Arbeitsleistung nach Anfall
• muss bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen
• ansonsten Regelannahme 10 Stunden/Woche und mindestens 3 Stunden hintereinander/Tag
• vier Tage Ankündigungsfrist durch Arbeitgeber
„Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 8 Stunden.
Der jeweilige Arbeitseinsatz ist den Dienstplänen zu entnehmen, die der Arbeitgeber jeweils am Mittwoch der Vorwoche aufstellt.“
IV. Mitbestimmungsfragen
Mitbestimmung bei Arbeitszeitfragen (BetrVG):
• Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich Pausen und Verteilung auf die einzelnen Wochentage(§ 87 Abs. 1 Ziff. 2)
• umfasst die gesamte Dienstplangestaltung
• vorübergehende Verkürzung und Verlängerung der betrieblichen Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Ziff. 3)
Mitbestimmung bei Arbeitszeitfragen (BetrVG):
• Fragen der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Ziff. 10)
• Arbeits- und Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Ziff. 7)
Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz
BAG Beschl. v. 08.06.2004 – 1 ABR 13/03
V. Aktuelle Problemfelder
1. Vertrauensarbeitszeit
• Arbeitszeit wird nicht vorgegeben
• ggf. nur Rahmenvorgabe
• Pensum ist zu bewältigen
• Gelockerte Präsenzpflichten
Auskunftsanspruch des BR bei Vertrauensarbeitszeit
BAG Beschl. v. 06.05.2003 – 1 ABR 13/03
2. jederzeitige Erreichbarkeit
• Statistisch am häufigsten bei Einkommen zwischen EUR 2.000 und 2.5000
• Blackberry, iPhone, Fax, Email
Was ist die jederzeitige Erreichbarkeit?
• Vollarbeit
• Arbeitsbereitschaft
• Bereitschaftsdienst
• Rufbereitschaft
• Ruhezeit
3. Sonntagsarbeit
• Verbot der Sonntagsarbeit (§ 9 Abs. 1 ArbZG)
• umfangreicher Ausnahmenkatalog und behördliche Genehmigungspraxis
• falls Sonntagsarbeit: Ersatzruhetag binnen 2 Wochen, i.d.R. unmittelbar nach Ruhezeit
• streitig: Landeskompetenz über LadenschlussG?
Kernfragen:
• muss der Einzelne Sonntagsarbeit leisten?
• was ist der rechtliche Maßstab?
• was droht bei Weigerung?
Weisungsrecht bei Sonn- und Feiertagsarbeit
BAG Urt. v. 15.09.2009 – 9 AZR 757/08
4. Geltendmachung von Ansprüchen
• Überstunden
• Konkretisierung und Bezifferung
• Plausibilitätsfragen
• Herausgabe von Zeiterfassungsunterlagen/-daten
• Durchführungsanspruch ArbZG § 618 BGB
Guthabenmitteilung über Arbeitszeitkonto
BAG Urt. v. 28.07.2010 – 5 AZR 521/09