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7. Bielefelder Symposium
„Dysphagie“
- Abstracts -
Themen und Trends der Dysphagiediagnostik
und –therapie bei Erwachsenen und Kindern
Universität Bielefeld
5. Oktober 2018
Vorträge
Dysphagie bei Kindern mit Zerebralparese
Dr. Günther Golla
Bei Kindern mit Zerebralparese ist eine gestörte Nahrungsaufnahme nicht ungewöhnlich. Als deren
Folge kann es zu Gedeihstörungen, Wachstumsstörungen und anderen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen kommen.
Der Begriff Zerebralparese umfasst eine Gruppe von Störungen der Bewegung und/oder der
Körperhaltung und der motorischen Funktionen, die andauern und sich im Verlauf ändern können.
Ursache ist eine nicht weiter fortschreitende Läsion auf dem sich entwickelnden Gehirn.
Die neurologische Läsion wirkt sich auf die Muskeln des Kiefers, der Wangen, Lippen, Zunge, des
Gaumens und des Pharynx aus. Sie kann zu Problemen beim Speichelmanagement, Essen, Trinken,
Schlucken und Sprechen führen. Fehlernährung und rezidivierende Aspirationen als Folge können das
Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko erhöhen.
Das Risiko für eine Schluckstörung beträgt bei Kindern mit spastischer Di- oder Hemiparese 25 - 30%,
bei Kindern mit Tetraparese oder dystoner Zerebralparese 50 - 90%.
Essen und Trinken sind komplexe sensomotrische Aktivitäten, die in vier Phasen ablaufen.
Bei Kindern mit Tetraparese und schwerer geistiger Behinderung ist bei Schluckstörungen
hauptsächlich die orale und pharyngeale Phase betroffen. Verbesserungen im Verlauf sind am ehesten
zu erwarten, wenn nur die orale Phase gestört ist. Dies ist mit Sprechstörungen (Dysarthrien)
verbunden, die besonders bei gestörter oraler und pharyngealer Phase ausgeprägt sein können. Die
frühe Beachtung und Stimulation der Schluckfunktion sollte bei der Rehabilitation von Kindern mit
Zerebralparese die Regel sein.
Dysphagiediagnostik in der Pädiatrie
Dr. Chetana Aswathanarayana Klinische Linguistin
PÄDY, Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret
„Am reifenden Gehirn führen die Folgen von Schluckstörungen auf lange Sicht zu bleibenden
Entwicklungsstörungen. Daher hat die frühe Diagnosestellung und Ableitung von Therapiekonzepten
im Säuglings- und Kindesalter einen hohen Stellenwert.“ (Rohrbach-Volland, 2017). Mittlerweile ist
diese Einsicht in der klinischen Praxis allgemein bekannt und gegenwärtig, ihre praktische Umsetzung
jedoch noch nicht ausreichend gegeben.
Das Dysphagiediagnostik-Konzept des Pädiatrischen Dysphagiezentrums der Darmstädter
Kinderkliniken Prinzessin Margaret ist darauf ausgelegt, sowohl die klinische und apparative
Diagnostik, als auch die direkte Ableitung und klinische Anwendbarkeit der Diagnostikergebnisse zu
erreichen. Aus den Patientendaten der letzten Jahre lassen sich Schlüsse über Herangehensweisen
ziehen, z.B. über den Einsatz apparativer Diagnostik, deren Indikation und die Verwendung der
jeweiligen Verfahren. Diese Ergebnisse laden zu Diskussionen ein, die möglicherweise auch einen
Perspektivenwechsel über diagnostische und therapeutische Arbeit in der pädiatrischen Dysphagie
erbringen. Auszüge aus der Datensammlung werden vorgestellt.
Die Aussagekraft anamnestischer Daten bei der Diagnostik
von Schluck- und Fütterstörungen
L. Litke, Dr. C. Aswathanarayana & Dr. K. Richter
Hintergrund:
Pädiatrische Schluck- und Fütterstörungen treten zunehmend häufig auf, sodass die Diagnostik und
Behandlung dieser Störungsformen ein wichtiges Themengebiet der pädiatrischen Medizin darstellen.
Hierbei ist es entscheidend die Störungsbilder der oropharyngealen Dysphagie (OPD) und
ösophagealen Dysphagie (ÖD) sowie der Frühkindliche Fütterstörung (FF) voneinander abzugrenzen.
Hierfür wird eine aussagekräftige Diagnostik benötigt, bestehend aus einer Anamnese, einer klinischen
Diagnostik und ggf. einer weiteren apparativen Diagnostik. Für diesen diagnostischen Prozess
entwickelte das Pädiatrische Zentrum für Essen und Schlucken (PÄDY) in Darmstadt einen
Elternfragebogen zum Essen und Schlucken (SOX).
Ziel:
Das erste Ziel dieser Studie war es herauszufinden, ob der SOX bereits konkrete Hinweise gibt, um
welches Störungsbild es sich handelt. Als zweites Ziel galt es darzustellen, ob eine Korrelation zwischen
den Störungsbildern und medizinischen Erkrankungen vorliegt.
Methode:
In einer retrospektiven Studie wurden die anamnestischen Daten des SOX mit den diagnostizierten
Störungsbildern verglichen. Hierzu wurden die Daten von 340 Kindern erhoben, die im Zeitraum von
2015-2017 im PÄDY Darmstadt untersucht wurden.
Ergebnisse:
42% der Kinder hatten eine OPD, 30% eine FF und 3% eine ÖD. Bei den übrigen 25% wurde ein
kombiniertes Störungsbild diagnostiziert. In den Analysen zeigten sich eine Vielzahl an Korrelationen
zwischen einzelnen Fragebogenitems und den drei Störungsbildern. Darüber hinaus war es möglich
innerhalb der Fragebogenitems drei Faktoren zu ermitteln, die ähnliche Informationen enthalten.
Diese drei Faktoren wurden als Entwickungs-, Schluck- und Fütterproblematik interpretiert. In einer
Regressionsanalyse stellte sich heraus, dass diese drei Faktoren eine Vorhersagekraft für die
Störungsbilder OPD und FF besitzen. So erhöhen die Faktoren Entwicklungs- und Schluckproblematik
die Wahrscheinlichkeit einer OPD um das Dreifache, wohingegen der Faktor Fütterproblematik die
Wahrscheinlichkeit einer OPD um die Hälfte verringert. Bei der FF erhöht der Faktor Fütterproblematik
die Wahrscheinlichkeit um etwa das Fünffache, die Faktoren Entwicklungs- und Schluckproblematik
wiederum verringern die Wahrscheinlichkeit um etwa das Fünffache. Weitere Untersuchungen stellten
eine Korrelation zwischen neuronalen und syndromalen Erkrankungen und der OPD heraus. Kinder mit
einer FF waren häufig klinisch gesund. Kinder mit einer ÖD litten häufig unter der Gastroösophagealen
Refluxkrankheit.
Interpretation:
Der PÄDY Elternfragebogen zum Essen und Schlucken leistet einen wertvollen Beitrag zum
Diagnostikprozess von Schluck- und Fütterstörungen. Er liefert bereits konkrete Hinweise, ob es sich
um eine OPD oder eine FF handelt und stellt somit die Weichen für die weitere klinische Diagnostik.
Atem-Schluck-Koordination bei Frühgeborenen
Christina Wolff
Frühgeborene zeigen oftmals Probleme in der Koordination von Saugen, Schlucken und Atmen sowie
in der Ausdauer beim Trinken. Folgen können Aspiration, Stress und eine lange Sondenversorgung sein
(Lau, Smith & Schanler, 2003).
Bisher gibt es keine objektiven Messverfahren, mit denen die Atem-Schluckkoordination von
Säuglingen beurteilt werden kann. Zwei Studien aus Berlin haben nun mit einem auf Bioimpedanz
basierenden Messverfahren bei Erwachsenen erste Ergebnisse zu diesem Thema geliefert (Schultheiss
et al. 2013, Schultheiss et al. 2015).
Ziel des vorliegenden Studienvorhabens ist es, das Verfahren auf reifgeborene Säuglinge und
Frühgeborene anzuwenden, um den Einfluss der Körperposition auf die Atem-Schluckkoordination zu
untersuchen. Hierzu wurden im ersten Abschnitt Daten der Kontrollgruppe erhoben, Untersuchungen
bei Frühgeborenen folgen nun.
Zur Datenerhebung werden frühgeborene und reifgeborene Säuglinge am Universitätsklinikum
Düsseldorf rekrutiert. Anhand dieser Daten soll objektiv beurteilt werden, ob die Kinder von der
erhöhten Seitenlage beim Trinken profitieren.
Die Ergebnisse sind für die Arbeit mit frühgeborenen Kindern von großer Bedeutung, da sie erstmals
eine objektivierte Aussage über die Atem-Schluckkoordination in verschiedenen Positionen zulassen.
Die Studie hat eine hohe praktische Relevanz für den Berufsstand der Logopäden, da diese immer
häufiger mit frühgeborenen Patienten arbeiten, beispielsweise auf der Neonatologie aber auch
ambulant im Rahmen einer Sondenentwöhnung nach Entlassung oder bei Problemen mit der
Nahrungsaufnahme.
Quellen:
Lau C., Smith E.O., & Schanler R.J. (2003). Coordination of suck-swallow and swallow respiration in preterm infants. Acta Paediatr 92 (8), 721– 727.
Schultheiss, C., Schauer, T., Nahrstaedt, H., & Seidl. R.O. (2013). Bioimpedance- and EMG-Triggered FES for Improved Protection of the Airway During Swallowing. Biomedical Engineering58 (1).
Schultheiss, C., Wolter, S., Schauer, T., Nahrstaedt, H. & Seidl. R.O. (2015). Einfluss der Körperposition auf die Atem-Schluck-Kooridination. HNO 63 (6), 439-446.
Dysphagiemanagement auf einer Stroke Unit
PhDr. Michaela Trapl-Grundschober
Die Detektion von Dysphagien nach akutem Schlaganfall erfordert die Etablierung und
Implementierung eines standardisierten, interdisziplinären Regimes um den Patienten-outcome zu
verbessern. Daher werden Dysphagiescreeningverfahren eingesetzt, die aspirationsgefährdete
Patienten mit akutem Schlaganfall rasch und zuverlässig herausfiltern sollen. Die Durchführung eines
standardisierten Dysphagiescreenings innerhalb der ersten 6 Stunden nach Aufnahme reduziert
nachweislich die Schlaganfall-assoziierten Pneumonien, weshalb der Einsatz von standardisierten
Screeningverfahren fixer Bestandteil der meisten Schlaganfall- Guidelines geworden ist. Die
Anforderungen an ein Screening sind die einfache und rasche Handhabung, ein zuverlässiges Ergebnis
für die Aspirationsdetektion, die interdisziplinäre Anwendungsmöglichkeit, ein Ergebnis welches
Hinweise auf ein weiteres Management zulässt, sowie die gute Integrierbarkeit in das
Aufnahmeprozedere auf der Stroke Unit.
Die Testverfahren können entsprechend der zu evaluierenden Nahrungskonsistenzen in reine
Wassertestverfahren, Wassertestverfahren mit zusätzlich zu prüfenden Parametern oder
Mehrkonsistenzentestverfahren, kategorisiert werden.
Reviews der letzten 7 Jahre zeigten eine große Spannweite von Sensitivitäten und Spezifitäten für
Wassertests (27%-85% / 63-88%) und Mehrkonsistenzenverfahren (41%-100% / 57%-82%).
Reine Wassertestverfahren sind rasch und unkompliziert durchzuführen, sie prüfen jedoch
ausschließlich die Schluckfähigkeit für Wasser und geben keinen Hinweis auf die Kostform die ein
Patient sicher schlucken könnte. In einem Übersichtsartikel von C. Steele(2014) wird die erhöhte
Aspirationsgefahr bei Flüssigkeiten im Gegensatz zu dickflüssigeren Konsistenzen bewiesen. Da
Flüssigkeit durch intravenöse Gabe gut substituiert und gesteuert werden kann, ist die Prüfung von
unterschiedlich konsistenter Nahrung für das weitere Management von praktischer Bedeutung, weil
auf das Legen zusätzlicher Nahrungssonden unter Umständen verzichtet werden kann.
Die Wahl des geeigneten Screenings ist für jede Akutstation sorgfältig abzuwägen und bedarf einer
Schulung aller Fachdisziplinen, um den bestmöglichen outcome für den Patienten zu gewährleisten.
Neben dem Screeningverfahren werden die objektiven, instrumentellen Verfahren, im speziellen die
fiberoptische, endoskopische Untersuchung (FEES) auf der Stroke Unit immer wichtiger. Damit können
einerseits stille Aspirationen rascher erkannt werden und es können andererseits auf Grund der
genauen Beurteilung der Pathophysiologie gezieltere therapeutische Interventionen gesetzt werden.
Tapen für die Dysphagie-Therapie?
Dr. Volker Runge
Taping für Logopäden? Eine Frage die sich eigentlich gar nicht stellt, da sich Logopäden und ähnliche
Berufsgruppen - genau wie Physiotherapeuten auch - mit Bewegungen von Muskelgruppen
beschäftigen. Mit dem Unterschied, dass es sich nicht um Geh- oder Armbewegungen, sondern um
Stimm-, Schluck- oder Sprechbewegungen handelt.
Das von Dr. Kase entwickelte Kinesio-Tape zielt darauf ab, spezielle Bewegungen zu generieren. Wie
dieses Verfahren auf logopädische Fragestellungen angewendet werden kann, soll an einigen
Beispielen verdeutlicht werden. Es ist zu beachten, dass das Taping in seiner Wirksamkeit nicht
evaluiert worden ist. Von daher ist es auch nicht als Medizinprodukt gelistet.
Dysphagie nach Extubation: Herausforderungen und Möglichkeiten im interprofessionellen Team
Dr. Ulrike Frank Dysphagien nach Extubation sind mit einer Inzidenz von 20 - 90% eine häufige Komplikation, die vorübergehend oder auch dauerhaft bestehen kann. Ursachen sind vor allem intubationsbedingte Läsionen der laryngealen Strukturen und Critical Illness Myopathien und Neuopathien. Anhaltende Dysphagien, die häufig auch auf eine zugrundeliegende neurologische oder strukturelle Primärerkrankung zurückgehen, führen nicht selten zu höheren Komplikationsraten, längerer Sondenabhängigkeit, Malnutrition und zu einer verlängerten Krankenhausaufenthaltsdauer (Macht et al. 2013; Ponfick et al. 2015). Die Diagnostik und Behandlung von Postextubations-Dysphagien auf einer Intensivstation ist jedoch eine große Herausforderung, da die verschiedenen Akteure des interprofessionellen Teams in diesem komplexen medizinischen Setting teils unterschiedliche Handlungsprioritäten haben. Daher ist ein hohes Maß an Koordinationsfähigkeit, transdisziplinärem Wissen und Flexibilität erforderlich. Gelingt dies, dann können sich Behandlungseffekte einer Disziplin positiv auf andere Funktionsbereiche auswirken. Zudem führt der interprofessionelle Wissenstransfer zur Flexibilität in der Anwendung von Diagnostik- und Behandlungsmethoden. Dies kann zur raschen Entscheidungsfindung und zur Förderung der funktionellen Selbständigkeit im Alltag beitragen. Nach der Extubation sollte die orale Ernährung nach Möglichkeit rasch wieder aufgenommen werden, um Malnutrition und "Non-Use"- Komplikationen zu vermeiden. Wichtig ist hierbei die Anwendung validierter Screening- und Diagnostikverfahren, die möglichst früh (wenige Stunden) nach der Extubation professionsunabhängig anwendbar sind (See et al. 2016; Massey & Jedlicka 2002; Christensen & Trapl 2018). Im weiteren Verlauf sollte die Dysphagietherapie mit der Frühmobilisation koordiniert und kombiniert werden, um die positiven Effekte der Mobilisationstherapie auf die Muskelfunktion und die Ventilation nutzen zu können (Morris et al. 2008; Schweickert et al. 2009). Bei noch beatmeten und tracheotomierten Patienten sollte darüber hinaus eine enge Koordination von Beatmungsweaning und Trachealkanülenentwöhnung angestrebt werden, um eine rasche Dekanülierung und einen nachfolgenden Kostaufbau nach erfolgreichem Weaning zu erreichen. Die Behandlung von Postextubations-Dysphagien erfordert somit eine enge Koordination verschiedener Behandlungsansätze des interprofessionellen Teams und eine flexible zeitliche und inhaltliche Anpassung der unterschiedlichen Prioritäten. Zukünftig sollten die im klinischen Alltag gut zu beobachtenden Synergieeffekte empirisch abgesichert werden, so dass transparente Behandlungspfade zur Verbesserung der Kommunikation im interprofessionellen Team auf der Intensivstation entwickelt werden können.
Referenzen: 1. Macht, M., King, C. J., Wimbish, T., Clark, B. J., Benson, A. B., Burnham, E. L., Williams, A., & Moss, M. Postextubation
dysphagia is associated with longer hospitalization in survivors of critical illness with neurologic impairment. Crit Care 2013;17:R119
2. Ponfick, M., Linden, M., & Nowak, D. A. Dysphagia - a common, transient symptome in critical illness polyneurophathy: a fiberoptic endoscopic evaluation of swallowing study. Crit Care Med 2015;43 (2):365-372
3. See, K. C., Peng, S. Y., Sum, C. L., & Conception, J. Nurse-performed screening for postextubation dysphagia: a retrospective cohort study in critically ill medical patients. Crit Care 2016;20:326-326
4. Christensen, M., & Trapl, M. Development of a modified swallowing screening tool to manage post-extubation dysphagia. British Association of Critical Care Nurses 2018;23‚ (2):102-107
5. Morris, P. E., Goad, A., Thompson, C., Taylor, K., Harry, B., Passmore, L., Ross, A., Anderson, L., Baker, S., Sanchez, M., Penley, L., Howard, A., Dixon, L., Leach, S., Small, R., Hite, R. D., & Haponik, E. Early intensive care unit mobility therapy in the treatment of acute respiratory failure. Crit Care Med 2008;36:2238-2243
6. Schweickert, W. D., Pohlmann, M. C., Pohlmann, A. S., Nigos, C., Pawlik, A. J., Esbrook, C. L., Spears, L., Miller, M., Franczyk, M., Deprizio, D., Schmidt, G. A., Bowman, A., Barr, R., McCalliste, K. E., Hall, J. B., & Kress, J. B. Early physical and occupational therapy in mechanically ventilated, critically ill patiens: a randomized controlled trial. Lancet 2009;3734 (9678):1874-1882
Dysphagietherapie bei akutem Tapia-Syndrom: eine Falldarstellung
Florian Heimann
Das Tapia-Syndrom (engl.: Tapia’s syndrome) wurde nach seiner ursprünglichen Beschreibung durch
den spanischen HNO-Arzt G.A. Tapia benannt. Es existiert eine zentrale Variante, bei der Schädigungen
im Bereich des N. ambiguus in der Medulla oblongata auftreten und eine periphere Form, bei der eine
extrakranielle, endolaryngeale bzw. –tracheale Schädigung des peripheren N. recurrens und N.
hypoglossus (XII) bei überstrecktem Kopf bzw. Nacken während der endotrachealen Intubation
entsteht. Je nachdem, ob es sich um eine uni- oder bilaterale Schädigung handelt, kann auch die
Symptomatik uni- oder bilateral vorliegen. Kernsymptome der Erkrankung sind Dysphagie, Dys- bzw.
Aphonie sowie (je nach Schweregrad) uni- bzw. bilaterale Paresen der Zungenmuskulatur.
Prognostisch zeigt sich in der Regel eine weitestgehend vollständige Rückbildung der Symptomatik
innerhalb der ersten sechs Monate.
Beim hier diskutierten Fallbeispiel lagen bei der stationären Aufnahme auf der IMR am 19.04.2017
Aphonie, eine bilaterale, hypotone Parese der Zungenmuskulatur und eine Dysphagie (BODS-
Summenscore 15, schwerste Dysphagie) vor. Die therapeutische Zielsetzung bestand zunächst aus
einer Verbesserung der oropharyngealen Sensibilität, der Steigerung der spontanen Schluckfrequenz
für Speichel und Kräftigungsübungen für die Zungenmuskulatur und zur Verbesserung der Hyoid-
Larynx-Elevation. Im Verlauf wurden bei gewährleistetem Aspirationsschutz erste direkte
Schluckversuche mit kleinen Mengen Wasser in Chin-Tuck Haltung durchgeführt sowie intraorale
Stimulation mit starken taktilen, gustatorischen und thermischen Reizen eingesetzt. Nach ca. 2,5
Monaten konnte der Kostaufbau mit zunächst breiförmigen Speisen und angedickten Getränken
begonnen werden. Bei Entlassung am 22.08.2017 war der Patient in der Lage, bei durchgängig
entblockter Trachealkanüle eine Verschlusskappe bis zu zehn Stunden pro Tag bei guter O2-Sättigung
zu tolerieren und weiche Normalkost mit guter Gleitfähigkeit sowie unangedickte Getränke
aspirationsfrei zu schlucken, wie mittels FEES nachgewiesen wurde. Eine Dekanülierung konnte
aufgrund respiratorischer Defizite noch nicht vorgenommen werden. Der BODS-Summenscore betrug
zu diesem Zeitpunkt nur noch 7, was einer mittelschweren Dysphagie entspricht.
Die Dekanülierung wurde im Februar 2018 vorgenommen. Die dysphagiologischen Symptome haben
sich bis auf eine leichte Kraftminderung vollständig zurückgebildet, die Phonation sowie
Zungenbeweglichkeit und –kraft sind mittlerweile unauffällig. Zudem konnte dieser Patient beruflich
wieder voll integriert werden.
Online zum Experten?
Digitale Medien in der Dysphagie-Weiterbildung
Dr. Stefanie Duchac, SRH Hochschule für Gesundheit Studiengang Logopädie, B.Sc.
Benzstraße 5, 76185 Karlsruhe stefanie.duchac@srh.de
Hintergrund
Nicht nur aufgrund der Komplexität des Systems „Schlucken“, sondern auch aufgrund der rasanten
wissenschaftlichen Entwicklungen sind regelmäßige Fortbildungen im Bereich Dysphagie für alle in
diesem Bereich praktisch tätigen Therapeuten unerlässlich. Das Zeitalter der Digitalisierung bietet auch
auf dem Markt der Dysphagie-Weiterbildung eine zunehmende Zahl an Möglichkeiten. Eignet sich
jedoch das komplexe Feld der Dysphagie-Diagnostik und Therapie überhaupt, um in digitalen
Formaten vermittelt zu werden?
Vorgehen
Es werden verschiedenen Möglichkeiten der digitalen Weiterbildung und digitale Formate vorgestellt,
die aktuell auf dem englisch- und deutschsprachigen Markt zur Verfügung stehen. Dazu zählen sowohl
Podcasts, Informations-Webseiten, aber auch Lern-Plattformen und ganze Zertifizierungskurse.
Ergebnis
Es gibt Inhalte die sich sehr gut im Rahmen von Online-Kursen oder anderen digitalen Formaten
vermitteln lassen, und auch wertvolle Denkanstöße vermitteln. Jedoch können Online-Formate keine
ausschließliche Alternative auf dem Weg zum Dysphagie-Experten darstellen, da praktische
Komponenten und Techniken auf diese Weise kaum erlernbar sind. Ebenfalls nicht zu unterschätzen
ist bei Präsenz-Weiterbildungen neben praktischen Hands-on Übungen mit direktem Feedback durch
die Referenten ebenfalls die Möglichkeit der Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen.
Schlussfolgerung
Unter Beachtung des teilweise enormen zeitlichen und finanziellen Aufwandes, die bei der Teilnahme
von Präsenz-Weiterbildungen notwendig sind, können Online-Angebote eine sinnvolle Ergänzung zur
persönlichen Weiterentwicklung darstellen. Im deutschsprachigen Raum sind bislang noch nicht sehr
viele Formate verfügbar, im englischsprachigen Bereich gibt es ein deutlich größeres Angebot. Eine
Übersicht ist beispielsweise auf ww.dysphagie-online.de zu finden.
Workshops
Welche Voraussetzung benötigt ein Säugling,
um „normal“ saugen und schlucken zu können?
Dipl.-Päd. Ulrike Bunzel-Hinrichsen, IBCLC
Der Alterszeitraum des Säuglings ist definiert von 0 bis zum vollendeten 12ten Lebensmonat. In dieser
Zeit entwickelt sich das menschliche Wesen von einem „Nesthocker“ zu einem „Nestflüchter“, d.h. von
einem Menschen , der in fast allen Bereichen auf Hilfe zum Überleben auf ein soziales Umfeld ange-
wiesen ist, zu einem Menschen, der mobil ist und im Rahmen seiner „Größe“ selbständig handeln kann.
Die Meilensteine der Entwicklung folgen in einer solchen Geschwindigkeit aufeinander, dass von den
13 Vorsorgeuntersuchungen (gelbes Heft) sechs in diesen Zeitraum fallen.
Dieser Lebensabschnitt verlangt für die Nahrungsaufnahme postnatal das Atmen, das „Saugen“ an der
Brust bzw. an der Flasche und das Schlucken korrekt zu erlernen.
In diesem Workshop möchte ich mit den Teilnehmern diese Entwicklungsschritte erarbeiten und an-
hand eines von mir entwickelten Schemas „Störfaktoren“ aufzeigbar machen und Möglichkeiten auf-
zeigen, diese auszuschalten oder in andere Bewegungsmuster umzuleiten, so dass keine Kompensati-
onsmechanismen entstehen, die eine weitere Entwicklung negativ beeinflussen können oder sie sogar
verhindern.
Referenzen:
1. Baumann, Thomas: Atlas der Entwicklungsdiagnostik von U0 bis U10/J1, 4. Aufl. Stuttgart, Thieme Verlag, 2015
2. Bein-Wierzbinski, Wibke: PÄPKI®-SCREENINGBOGEN. Frühkindliche Bewegungsentwicklung und häufige Abweichun-
gen für die pädiatrischen Vorsorgeuntersuchungen im ersten Lebensjahr (U2 – U&) unter Beachtung der Spontanmo-torik. Lehmanns Media GmbH, Berlin, 2015 1. Auflage
3. Castillo Morales, Rodolfo: Die Orofaziale Regulationstherapie. Pflaum Verlag, München, 1991
4. Hrsg. Michaelis, Richard, Niemann, Gerhard: Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie. Grundlagen, diagnostische Strategien und Entwicklungstherapien und Entwicklungsförderungen. 5.überarbeitete u. erw. Auflage, Stuttgart, Thieme Verlag, 2015
Screeningverfahren auf der Intensivstation
PhDr. Michaela Trapl-Grundschober
Bisher gibt es nur wenige Screeningverfahren die expizit für die Intensivstation entwickelt, validiert
und publiziert wurden. Eine systematische Vorgehensweise ist insofern schwierig, weil es
unterschiedliche Krankheitsbilder und verschiedene Intensivmaßnahmen gibt. So muss man zwischen
den intubierten und kürzlich extubierten Patienten, den Patienten mit frischen Trachealkanülen, den
invasiv und den nicht invasiv beatmeten sowie den spontan atmenden Patienten unterscheiden, und
die Evaluation der Dysphagie dementsprechend abstimmen. Ein interdisziplinäres Agieren ist dabei
von großer Wichtigkeit und sollte im Klinikalltag, im Sinne des Patienten, so gut als möglich umgesetzt
werden.
Taping für SprachtherapeutInnen
Dr. Antje-Maria Möttig-Klenner
Tapen hat einen zentralen Platz in der Therapie eingenommen. Es lassen sich mit dieser Technik viele
Krankheitsbilder behandeln, bei denen Muskelprobleme, Schmerzen oder Gelenkfehlstellungen auf-
treten.
In diesem Workshop wird gezeigt, wie man das Tapen in der Behandlung sprachtherapeutischer Stö-
rungsbilder nutzen kann.
Zuerst werden die 4 Anlagetechniken geschult, wobei Sie Tapeanlagen selbst aufbringen bzw.
erlernen werden, um sich mit dem Tapen als solches vertraut zu machen.
Danach werden einige sprachtherapeutische Symptome aufgeführt, die mit dem Tapen behandelt
werden könnten. Gleichzeitig wird die entsprechende Anlagetechnik erlernt.
Digitale Medien in der Dysphagietherapie
Dr. Christiane Lücking
Der Workshop thematisiert die Herausforderungen, die Möglichkeiten und die Rolle des
Sprachtherapeuten, die mit dem Einsatz und der raschen Entwicklung mobiler Geräte einhergehen.
Mithilfe einer guten Einarbeitung können Apps auf Tablet, Smartphone und am Computer während
der Therapie und im ergänzenden Eigentraining zur Anwendung kommen. Darüber hinaus können sie
die Beratung von Betroffenen und Angehörigen erleichtern und auch als vermittelndes Lernmedium
für am Rehabilitationsprozess beteiligte Berufsgruppen verwendet werden.
Gängige, auf dem Markt verfügbare Apps werden zusammenfassend vorgestellt und auf ihre
Anwendbarkeit in der Therapie von schluckgestörten Patienten kritisch reflektiert.
Es werden Parameter vorgestellt, die eine patientenorientierte, störungsspezifische und
wissenschaftlich fundierte Bewertung und Auswahl von Apps ermöglichen.
Es besteht die Möglichkeit die eine oder andere App im Workshop auszuprobieren.
Die Teilnehmer werden gebeten, wenn möglich ein Smartphone oder Tablet mitzubringen, aber auch
ohne dies sind praktische Einblicke garantiert.
Schlucken – Sehen – Lernen
sEMG Biofeedback in der Rehabilitation von Schluckstörungen
Dr. Stefanie Duchac, SRH Hochschule für Gesundheit Studiengang Logopädie, B.Sc.
Benzstraße 5, 76185 Karlsruhe stefanie.duchac@srh.de
Hintergrund
Der Schluckprozess ist ein äußerst komplexer Vorgang, der durch eine Vielzahl von Erkrankungen
beeinträchtigt werden kann. Die Behandlung von Schluckstörungen (Dysphagien) wird nicht nur
aufgrund der komplexen Ansteuerungs- und Bewegungsmechanismen, sondern auch aufgrund der von
außen nicht einsehbaren Strukturen erschwert, und stellt demnach die Therapeuten vor besondere
Herausforderungen. Seit einigen Jahren ist der zusätzliche Einsatz von sEMG-Biofeedback zunehmend
ein Bestandteil im Repertoire von Schlucktherapeuten beim Erlernen kompensatorischer und
rehabilitativer Schlucktechniken geworden.
Vorgehen
Es werden die aktuellen Entwicklungen der vergangenen Jahre in diesem Bereich zusammengefasst,
und die Prinzipien und Anwendungsmöglichkeiten der neuen Therapieform „Biofeedback in Strength
and Skill Training“ (BiSSkiT) vorgestellt, die vom Rose Center der University of Canterbury,
Christchurch, Neuseeland entwickelt wurde.
Ergebnis
Bislang spielte der Aspekt Muskel-Kräftigung eine wesentliche Rolle beim sEMG-Biofeedback-Einsatz.
Seit kurzem gibt es Therapieansätze, die sich gezielt mit den „Schluck-Skills“ beschäftigen, und durch
ein neues Therapieprogramm eine Präzisierung der Schluckmechanismen ermöglichen sollen. Durch
visuelles Feedback bekommen Patient und Therapeut unmittelbar Rückmeldung, und durch das
automatischen Anpassen des Programms an die Fähigkeiten des Patienten, kann auf einem optimalen
Trainingslevel gearbeitet werden.
Relevanz für die logopädische Praxis
sEMG-Biofeedback macht die dem Schluck zugrundeliegende Muskelaktivität in einer
zweidimensionalen Kurve sichtbar, und kann hierdurch Therapeut und Patient in der
Dysphagietherapie maßgeblich unterstützen. Die Unterstützung des sEMG-Biofeedback kann in der
Dysphagietherapie nicht nur im Kontext Kräftigung, sondern auch zum Generieren neuer „Skills“
genutzt werden, sofern einige grundlegende Prinzipien beachtet werden.
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