alpers hans joachim - raumschiff der kinder 06 - ring der dreißig welten
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Hans J. Alpers / Ronald M. Hahn
Ring derdreißig Welten
Band 6
der Reihe„Raumschiff der Kinder“
überarbeitete Ausgabeaus dem Sammelband
„Weltraumvagabunden“
© Ensslin & Laiblin Verlag GmbH & Co. KG Reutlingen 1986. SämtlicheRechte, auch die der Verfilmung, des Vortrags, der Rundfunk undFernsehübertragung, der Verbreitung durch Kassetten und Schallplattensowie der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany.
ISBN 3770906217
Ursprüngliche Einzelausgabe erschienen 1979, ISBN 3770904370
Bevölkerungsexplosion
Es war warm, und der laue Wind hatte fast überhaupt keine kühlendeWirkung. Harpo wischte sich seufzend die Schweißtropfen von der Stirn. DieTemperatur auf Deck 17 lag bei fünfunddreißig Grad Celsius – und das warmehr, als man bei einem anstrengenden Marsch als angenehm empfand.Aber Harpo und seine beiden Begleiter hatten keine Wahl. Sie waren nichtzum Vergnügen aus der Zentrale des riesigen Sternenschiffes mit dem seltsamen Namen EUKALYPTUS heruntergekommen. Im Gegenteil. Der Anführer der kleinen Expedition, die sich seit einer halben Stunde durch ein buntesGewirr von Sträuchern und Büschen, Bäumen und Riesenblumen schlug, warKarlie Müllerchen. Ihm schien der Marsch noch am wenigsten auszumachen– was natürlich daran lag, daß er die längsten Beine hatte und viel gemächlicher gehen konnte als die anderen: Karlie war nämlich volle zwei Meterzwanzig groß, was auch für einen Erwachsenen eine außergewöhnliche Größe gewesen wäre. Aber Karlie hatte nicht mehr als sechzehn Jahre auf demBuckel. Und noch gab es kein Anzeichen dafür, daß er zu wachsen aufhörte.Grinsend sah er auf die anderen hinab. Seine hellblauen Augen blitztenschalkhaft, während er mit der rechten Hand in einer charakteristischen Gebärde seinen schütteren Bart kraulte.
„Nun stellt euch mal nicht so an“, sagte er mit heller Stimme von oben herab. „Gleich haben wir es geschafft.“
Micel Fopp, der Dritte im Bunde, war fünfzehn Jahre alt. Ihm machte derholprige Weg durch die Büsche, deren Zweige mit boshafter Regelmäßigkeitzurückfederten und dann in die Gesichter der Eindringlinge peitschen wollten, am meisten zu schaffen. Denn im Gegensatz zu Harpo Trumpff und Karlie besaß Micel Fopp nicht die Möglichkeit, die Zweige mit erhobenenHänden abzufangen. Seine Arme waren nämlich so kurz, daß man eigentlichgar nicht von Armen reden konnte.
Er war mit diesen kurzen Ärmchen geboren, weil seiner Mutter währendder Schwangerschaft falsche Medikamente verschrieben wurden. SeineHände waren klein wie die eines Fünfjährigen und fast direkt an denSchultern angewachsen. Micel hatte sich daran gewöhnt, diese Hände trotzdem zu benutzen, aber er mußte seinen Körper dabei ziemlich winden. Beivielen alltäglichen Verrichtungen war er auf die Hilfe seiner Kameraden oderjener kleinen Roboter angewiesen, die wegen ihrer früheren Hülle aus grünem Plüsch noch immer die „Grünen“ genannt wurden. Er war nicht dereinzige an Bord, der wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Hilfe benötigte. Schließlich war die EUKALYPTUS früher eine Art Hospitalschiff gewesen.
Aber das mußte ihm kein Kopfzerbrechen bereiten. Nicht nur, daß dieanderen Micel als Kameraden gern hatten – was schon genug gewesen wäre –er gab ihnen noch mehr. Micel war nämlich ein Telepath, er konnte die Gedanken anderer Wesen lesen. Manchmal wenigstens, denn seine Gabe steck
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te noch in den Kinderschuhen und reichte meistens nur dazu aus, in denKöpfen jener zu lesen, die er gut kannte. Das war ein Talent, das außer ihmnur noch der geheimnisvolle Akkai Bharos hatte und sonst niemand an Bord.Mehr als einmal hatte Micel der EUKALYPTUS und ihrer Besatzung mit seinem ungewöhnlichen Können in kritischen Situationen geholfen.
Als die drei Jungen oben auf der baumbestandenen Anhöhe angelangtwaren, rief Karlie plötzlich: „Da unten! Seht mal!“ Harpo hatte eigentlichvorgehabt, sich erst einmal gründlich auszukeuchen – schon, um denanderen anschaulich klarzumachen, wie sehr ihn der Marsch anstrengte –aber der Anblick, der sich ihm bot, ließ alles andere vergessen. Vielmehrrutschte ihm vor Schreck die Luft in die falsche Kehle. Er verschluckte sich,hustete und kämpfte mit einem Schluckauf. „Hick...“ machte er nach einerWeile und sah dabei immer noch mit weit aufgerissenen Augen hinab in daskleine Tal, das sich zwischen zwei Hügeln bis an die Schiffswandung hinzog.Die nackte Wand erinnerte daran, daß sie sich keineswegs im Freien, sondernim Innern des Riesenraumschiffes EUKALYPTUS befanden.
Wenn es hier richtige Tiere und Pflanzen gab, so war das keineswegs selbstverständlich. Früher, als die EUKALYPTUS noch die Erde umkreiste, gab eszwar auch so etwas wie ein Tier und Pflanzenleben – jedenfalls sah es so aus.In Wahrheit handelte es sich jedoch um künstliche Nachbildungen, um Plastikpflanzen und Robotertierchen, denn echte Tiere und Pflanzen gab es aufder durch riesige Umweltschäden inzwischen öden Erde fast nur noch inzoologischen und botanischen Gärten. Was heute an Bord des Raumschiffesblühte, krabbelte oder vor sich hin hopste, stammte von anderen Welten odervon einem Raumschiffwrack, dem die EUKALYPTUSBesatzung einen Besuchabgestattet hatte.
„Das darf doch – hick! – nicht wahr sein!“ sagte Harpo.„Ich werd’ verrückt!“ stöhnte Micel.Das kleine Tal war mit mindestens dreitausend, vielleicht auch fünf
tausend, zehntausend – zählen konnte man in dem Gewimmel wirklich nicht– winzigen blauen Drachen bevölkert, die überall herumsprangen, übereinanderkrochen, durch Felsspalten flutschten, auf Steinen saßen und zu dergrellen Miniatursonne an der Decke hinaufblinzelten oder ganz einfach trübsinnig durch die Gegend tapsten. Alle zischten vor sich hin, wie das so ihreArt war, und insgesamt hörte sich das wie ein Bienenschwarm an, der einenImker daran hindern wollte, den Honig zu holen. Die fast durchsichtigenkleinen Schwingen der salamanderähnlichen Wesen flatterten nervös. DerBoden in der Umgebung war nahezu kahl. Was grünte und blühte, war radikal abgefressen worden, und über die letzten Reste machte sich die zischendeArmada gerade her. Eine Vorhut hüpfte bereits nagend den Nachbarhügelhinauf.
„Aber ... aber wir haben doch höchstens einhundertfünfzig von ihnen anBord genommen“, protestierte Harpo. „Wie können sie sich nur so schnellvermehrt haben?“
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„Da solltest du erst mal auf Deck 15 die Eichkatzen sehen“, erwiderte Karlie. „Und die Schlangen! Dann würdest du dich über gar nichts mehrwundern.“
„Und die Kröten?“ fragte Micel. „Was ist mit den Kröten?“„Die haben sich kaum vermehrt; es sind eher weniger geworden. Das liegt
aber daran, daß die Zahl der Schlangen zugenommen hat. Je mehr es vondenen gibt, desto mehr Kröten fallen ihnen zum Opfer. Du weißt ja, daß sichSchlangen von Kröten ernähren.“
„Hmmm“, machte Harpo. „Natürlich hätten wir auf der EUKALYPTUSeigentlich Platz genug, um einige Hunderttausend von den kleinen Viechernunterzubringen. Und wenn die natürliche Nahrung ausgeht, können wir mühelos künstliche produzieren. Aber ich weiß nicht recht ... Irgendwie ist daseine Spirale ohne Ende.“
„Tja“, meinte Karlie und strich wieder seinen Bart. „Daran haben wir nichtgedacht, als wir die Tiere aus dem Raumschiffwrack herüberholten. Dort warder Lebensraum begrenzt – hier jedoch haben sie alles, was sie brauchen.Einige der Arten jedenfalls. Es gibt ausreichend Wasser, Nahrung, Licht undWärme. Sie sind hier abgeschirmt wie in Abrahams Schoß ...“
„Was für ‘n Ding?“ fragte Micel. Ein kurzer geistiger Vorstoß in Karlies Bewußtsein sagte ihm, wer dieser Abraham gewesen war. „Aha“, grunzte er zufrieden. „Erzähl nur weiter, laß dich nicht aufhalten.“
„... und weil es Mutter Natur so eingerichtet hat, daß viele Jungtiere geboren werden, damit unter den normalen, sehr harten Bedingungen wenigstenseinige überleben, steigt die Zahl der Tiere bei uns mit rasender Geschwindigkeit.“
„Aber die sollten doch mal vernünftig sein und nachdenken!“ platzte Micelheraus.
„Na, na“, sagte Karlie gönnerhaft. „Das können Tiere eben nicht – vernünftig sein und nachdenken. Sonst wären es ja keine Tiere.“
Micel bekam ganz rote Ohren. „Na gut“, sagte er. „Dann müssen wir ebendas Denken für sie übernehmen. Wie wär’s mit Pillen oder so was, also Mitteln, die verhindern, daß sie so viele Junge bekommen?“
„Frühreifer Bengel!“ Karlie feixte. „Du hast wohl was aufgeschnappt, wie?Aber im Ernst: Wie willst du das denn machen? Jedem dieser kleinen Dracheneine Pille in den Rachen stopfen? Prost Mahlzeit! Viel Vergnügen! Das kannJahre dauern, bis du durch bist.“
Micel schwieg.„Und trotzdem müssen wir was unternehmen“, pflichtete Harpo Micel bei.
„Aber was, frage ich mich. – He, ich habe eine Idee! Wir setzen unseren Zooauf einem Planeten aus!“
Karlie sah ihn erschreckt an. „Was denn? Tatsächlich?“ In seiner Stimmeklang Besorgnis mit. „Glaubst du denn, daß es unsere kleinen Freunde schaffen, sich auf einem fremden Planeten zurechtzufinden? Immerhin leben sieseit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden, in einem abgeschlossenen Raum. Die Gefahren, die eine völlig neue Umwelt für sie bietet ...
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Ich meine, wir sind doch für sie verantwortlich, wo wir uns einmal mit ihneneingelassen haben. Man kann Tiere nicht einfach so an die Luft setzen, nurweil sie lästig werden!“
Er warf einem der tauchenden kleinen Drachen einen mitleidigen Blick zu.Man sah ihm an, daß er es kaum übers Herz bringen würde, sich von denharmlosen kleinen Kerlchen zu trennen. Karlie hatte ein weiches Herz füralles, was kreuchte und fleuchte. Wie eigentlich alle an Bord, denn auf derverseuchten Erde hatten sie gelernt, wie kostbar das Leben auch in seinerwinzigsten Form war. Und der lange Karlie fühlte sich besonders zu den ganzkleinen Wesen hingezogen – vielleicht, weil er so groß war. Oft hatte er sichhier unten verkrochen und still die Tiere beobachtet. Er versuchte sogar, denkleinen Drachen das Fliegen beizubringen – was natürlich sinnlos war, denndie zarten, seidigen Flügel konnten die verhältnismäßig schweren Körpernicht tragen.
„Aber Karlie!“ rief Harpo. „Du weißt doch, daß wir genauso denken. Wirsetzen die Tiere natürlich nur aus, wenn wir ganz sicher sind, daß sie es aufdem Planeten gut haben werden. Sie sollen es sogar besser haben als hier undnicht so zusammengepfercht leben müssen. Na ja, und dann sollten wir natürlich auch an uns denken. Stell dir mal vor, die nagen vor lauter Hunger anPlastikteilchen und Kabeln herum ...“ Und um Karlie zu trösten, fügte erschließlich hinzu:
„Ein paar von den kleinen Viechern können wir ja auch an Bord behalten.Die beobachten wir dann und sorgen dafür, daß sie sich nicht wieder soschnell vermehren.“
Micel stimmte ihm zu, und Karlie nickte schließlich ebenfalls. So gut ginges den Tieren auch wieder nicht auf der EUKALYPTUS. Die Schlangenwürden die Kröten ausrotten, falls man nicht bald etwas dagegen unternahm.Und dann würden die Schlangen selbst sterben müssen, weil sie keine Nahrung mehr fanden – und wer wußte schon, ob sie Ersatznahrung annahmen.Vielleicht würden sie auch vor lauter Hunger die Eichkätzchen angreifen.Nein, es war wirklich am besten, wenn sie einen Planeten für sich hatten.
„Schwatzmaul soll uns sagen, wie weit es bis zum nächsten Planeten mitvoraussichtlich guten Lebensbedingungen ist“, schlug Micel vor. „Dann sehen wir weiter.“
Mit Schwatzmaul war niemand anderer als der manchmal recht vorlauteBordcomputer gemeint. Seine Kameras und Mikrophone überwachten beinahe jeden Winkel eines jeden Decks. Daß er Micel nicht sofort antwortete, lagwahrscheinlich daran, daß selbst die scharfen Ohren eines Computers etwasüberhören konnten, wenn einige tausend Drachen summten und fauchten.
Harpo, Micel und Karlie strebten der nächstliegenden Schiffswand zu undverschwanden hinter der Tür eines Notausstiegs. Von dort aus führte einniedriger Gang zum Antigravlift. Wenige Minuten später schwebten sie in derdunklen Röhre, die alle Decks miteinander verband, zur Zentrale des Schiffesim obersten Deck. Die Körper wurden von Energiefeldern gehalten und andas vorprogrammierte Ziel geschleust.
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Für einen flüchtigen Moment mußte Harpo an ihre ersten mißtrauischenVersuche mit dem Lift denken. Damals, als sie, auf sich allein gestellt, lernenmußten, die Einrichtungen des Raumschiffs in den Griff zu bekommen. DieErwachsenen hatten das Schiff verlassen, als sich eine Katastrophe anbahnte.Und seither gehörte es den Kindern. Wie alles andere war auch der Antigravlift inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Man programmierte sein Ziel und sprang in den Lift, ohne sich mehr dabei zu denken alsbeim Öffnen einer Tür und dem Betreten eines Raumes. Die Zentrale lag vorihnen. Wie immer herrschte ein angenehmes Halbdunkel in dem riesigenRaum unter der gläsernen Kuppel. Das weiße, gelbe und manchmal auch roteLicht der Sterne fiel auf die Instrumentenpulte und die weichen, breiten Sessel, in denen mehrere Besatzungsmitglieder der EUKALYPTUS saßen. Diemeisten Regel und Steuervorgänge erledigte der Computer in eigenerVerantwortung. Wenn überhaupt mal ein menschlicher Eingriff erforderlichwar, dann konnte der bequem aus den Sesseln heraus vorgenommen werden.Alle erforderlichen Bedienungsapparaturen waren in den Armlehnen untergebracht.
Man konnte nicht nur durch die Kuppel direkt in das All hinausblicken,sondern hatte auch noch zahlreiche plastische Bildschirme zur Verfügung,auf denen Schwatzmaul wahlweise andere Blickwinkel oder vom Bordobservatorium eingespeiste Vergrößerungen bestimmter Raumausschnitte projizierte. Im Moment sah man auf dem Hauptschirm die Außenhülle desmächtigen Schiffes, das von der Erde stammte, aber durch ein noch immerweitgehend ungeklärtes Ereignis in einen fernen Raumsektor verschlagenworden war.
Zwei kleine Gestalten wanderten in der einsamen kosmischen Nacht überdie Metallhülle der EUKALYPTUS. Sie trugen Raumanzüge mit magnetischenSchuhen und machten deshalb sehr eigenartige, schwerfällige Bewegungen.Zwar gab es im Weltall keinen Fahrtwind wie auf einem Planeten, der sie vomdahinjagenden Raumschiff fortreißen konnte, aber die Magnetschuheverhinderten, daß sie durch eine unbedachte Bewegung in das All hinausschwebten. Eine der Außenkameras verstellte auf einen Knopfdruck hin dasZoomObjekt. Das Fernsehbild zeigte nun die Gesichter der Gestalten. Untereinem der Plexiglashelme erkannte Harpo das lange schwarze Haar und dasGesicht seiner Schwester Anca. Das andere Gesicht erinnerte stark an einenkleinen Grizzlybären mit rotem Fell. Die Nase sah wie eine dunkelblauePflaume aus, und das kräftige weiße Gebiß, das gerade sichtbar wurde, konnte einen unwissenden Beobachter leicht das Fürchten lehren. Alexander. Erwar viel gutmütiger, als sein Gebiß ahnen ließ, und stammte vom PlanetenNordpol. Und wenn er auch wie ein Bär aussah, so war er doch keineswegsein Tier, sondern so intelligent wie alle anderen Besatzungsmitglieder.
Von allen Rotpelzen – wie sich Alexanders Rasse nannte – hatte er die weiteste Reise unternommen, eine Fahrt in den Weltraum. Und darauf war erauch gehörig stolz. Denn seine Leute, die auf Nordpol vom Fischfang lebten,liebten das Reisen und sahen es gern, wenn die Jungen auszogen, um
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Abenteuer zu erleben. Manche von Alexanders Verwandten hatten nach jahrelanger Wanderschaft den ganzen Planeten umrundet. Aber Alexanderschlug sie alle. Seine Freundschaft zu den Kindern der EUKALYPTUS ließ ihndie Wunder anderer Planeten erleben.
„Sieht’s schlimm aus, Leute?“ fragte jemand. Er saß als einziger nicht ineinem gewöhnlichen Sessel, sondern in einem Rollstuhl. Es war ThunderclapGenius. Er trug einen halbkugelförmigen Helm, um Funkverbindung zu Ancaund Alexander zu halten, ohne den Hauptkanal benutzen zu müssen. SeineFrage hatte jedoch den Eintretenden gegolten.
„Viel schlimmer.“ Harpo seufzte. Er ließ sich in einen freien Sessel fallenund schlug die Beine übereinander. „Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, Thunderclap, dann fressen uns die Drachen die Haare vom Kopf.“
„Aussetzen wäre wirklich die beste Lösung“, ließ sich eine andere Stimmeaus dem Halbdunkel vernehmen. Harpo sah auf. Auf dem Sitz des Navigators,den normalerweise Karlie für sich gepachtet hatte, saß Bharos. Obwohl ernicht nur ein Erwachsener, sondern – durch seine Langlebigkeit bedingt – einuralter Erwachsener war, war er kleiner als die Kinder und sah zierlich, beinahe elfenhaft aus. Er las in ihren Gedanken wie in einem offenen Buch undwußte deshalb sofort Bescheid.
Thunderclap machte: „Hmmm, hmmm...“ und rief dann Anca und Alexander von ihrem Spaziergang zurück.
Ein Problem mußte gelöst werden. Und da die EUKALYPTUS keinen Kapitän hatte, der allen anderen seine Befehle gab, wurde der Rat einberufen. Ihmgehörten alle Besatzungsmitglieder an. Aber dieses Mal würde es wohl keinelangen Diskussionen geben, denn die Tatsachen sprachen für sich.
Die Tiere mußten ausgesetzt werden. Und zwar auf dem nächsten geeigneten Planeten.
Station der Geheimnisse
Der Planet unter ihnen war eine kleine, grünblaue Welt mit viel Wasser unddrei größeren Kontinenten. Die Mannschaft der EUKALYPTUS fühlte sich sogleich an die Erde erinnert – an eine Erde, wie sie vor vielen hundert Jahrenexistiert hatte. Es gab wildwuchernde Wälder und andere unberührte Gebiete, glitzernde Flüsse, die aus der Höhe wie silberne Fäden aussahen, undTiere, deren huschende Gestalten Schwatzmauls scharfe Augen erspähten.
Nach einigen Umkreisungen im Orbit des Planeten lagen ausreichende Daten vor. Intelligentes Leben schien es nicht zu geben – zumindest nicht aufder Oberfläche dieser Welt. Und dafür, daß sich solche Wesen im Erdreichverkrochen, zeigte sich kein Anhaltspunkt. Alles in allem machte diese kleineWelt – die nur etwa halb so groß wie die Erde war – einen idyllischen, fast paradiesischen Eindruck. Das Klima war mild, die Umwelt schien friedvoll und
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harmonisch zu sein, die Atmosphäre entsprach den Verhältnissen auf derErde und damit den Bedürfnissen von Sauerstoffatmern – und das warennicht nur die Kinder der EUKALYPTUS, sondern auch ihre tierischen Passagiere vom Raumschiffwrack.
Schwatzmaul sammelte unentwegt Daten und erarbeitete eine Hochrechnung. So einfach war es schließlich nicht, die Passagiere auszusetzen: Ihnensollte nichts Böses geschehen, aber auch die eingespielte Natur des Planetendurfte nicht durcheinandergebracht werden.
Die Speicher des Computers wußten über die irdische Geschichte in allenEinzelheiten Bescheid. Deshalb kannte Schwatzmaul die Fehler, die die Menschen gemacht hatten. In Australien, einem Erdteil, der vor dem Siegeszugdes Menschen von den anderen Kontinenten abgekapselt war und eineeigene Tier und Pflanzenwelt entwickelt und bewahrt hatte, war durch einpaar ausgesetzte Wildkaninchen unermeßlicher Schaden entstanden. Und esgab Hunderte von Beispielen ähnlicher Art.
Aber schließlich konnte Schwatzmaul mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verkünden, daß sich Kröten, Schlangen, Eichkätzchen undDrachen so gut mit der einheimischen Tier und Pflanzenwelt vertragenwürden, daß keine Schwierigkeiten zu befürchten waren.
Schwatzmaul schickte einige Sonden hinunter und sammelte Proben, aberdie meisten Daten speicherte er mit seinen tausend Augen, tausend Ohrenund hunderttausend Sensoren, die Eindrücke erfaßten, die der Mensch vomOrbit aus nicht wahrnehmen konnte.
Nachdem die EUKALYPTUS den Planeten achtmal umkreist hatte, schleuste man eines der Gleitboote aus, um sich die Gegend mal aus der Nähe anzusehen. Schwatzmaul hatte so nebenher natürlich auch alle Luftaufnahmenausgewertet und Landkarten ausgedruckt. Thunderclap und Anca leistetendabei eifrig Unterstützung und gaben den Flüssen, Kontinenten und Gebirgsformationen Namen. Blaufluß, Schubladenberge – sie sahen wirklich so aus–‚Krummrücken und Zickzackdelta waren nur einige ihrer Wortschöpfungen.Nur einen Namen für den Planeten selbst hatten sie sich noch nicht ausgedacht. Das lag wohl daran, daß sie sich zu sehr an die Erde erinnert fühlten.Karlie meinte, man solle den Planeten doch kurzerhand „Erde II“ nennen,aber dieser Vorschlag wollte keinem so recht gefallen. Schließlich sagte BrimBoriam, der für die ärztliche Betreuung an Bord zuständig war: „Nennen wirihn doch Dragon. Das ist ein anderes Wort für ,Drache‘ und kommt der Sacheziemlich nahe. Schließlich soll diese Welt unseren kleinen Drachen eine neueHeimat bieten.“
Alle waren begeistert, und es blieb bei diesem Namen.Als die Besatzung des Gleitbootes ausgelost wurde, gab es einige lange
Gesichter und vier strahlende Glückspilze. Genauer gesagt strahlten nur dreivor Freude, nämlich Harpo, Anca und Ollie. Lonzo, der vierte im Bunde,konnte mit seinem Robotergesicht keine Gefühle ausdrücken. Statt dessenschlug er mit all seinen Tentakeln ein Rad, um seine Begeisterung zu zeigen.
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Dann war es soweit. Das Gleitboot fiel aus der Schleuse in die Schwärze desAlls und senkte sich dem Planeten entgegen. Schon erreichte es die oberstenSchichten der Atmosphäre und stieß durch sie hindurch. In diesem Momentsummten die Lautsprecher der VideoKommunikationsanlage. Die Bildschirme flackerten, dann sah man die erregten Gesichter von Karlie undThunderclap in der Zentrale der EUKALYPTUS. Stimmen im Hintergrund bewiesen, daß die anderen Freunde ebenfalls in der Nähe waren, von derFernsehkamera aber nicht erfaßt wurden. Ein grünes Licht auf dem Kontrollpult des Bootes zeigte an, daß die Bildfunkanlage sendebereit war.
Zunächst jedoch meldete sich Schwatzmaul mit einem Räuspern:„Ähem...“ Die Computerstimme wollte daran erinnern, daß sie auch noch dawar. Tatsächlich kontrollierte das Bordgehirn der EUKALYPTUS alleFunktionen des Gleitbootes, das – bildlich gesprochen – mit dem großenRaumschiff durch eine Art Nabelschnur verbunden war. Allerdings bestanddie „Nabelschnur“ aus einem Energiestrahl, der auch dann nicht abriß, wenndas Boot einige tausend Kilometer entfernt war. Dieses Energiebündel versorgte den Antrieb des Bootes und ermöglichte auf einer Spezialfrequenz dieBildverständigung.
„Meine lieben Freunde!“ begann Schwatzmaul in der ihm eigenensalbungsvollen Art. Er machte eine Pause und fuhr dann fort: „Ich möchtenicht versäumen, euch darauf hinzuweisen, daß meine überaus perfektfunktionierenden Schaltkreise in Verbindung mit der hyperpräzisen Auswertungsabteilung meines ...“
„Oh, nein!“ riefen Harpo und Anca wie aus einem Munde. „Sag jetzt bloßnicht, daß du dich geirrt hast und sich diese Welt nun doch nicht eignet!“
„Das“, sagte Schwatzmaul galant, „habt ihr gesagt, nicht ich. Aber um zumKernpunkt meines kleinen Problems zu kommen: Auch ein armer Computerkann sich einmal irren, und wenn er noch so intelligent ist. Na ja, geirrt habeich mich eigentlich trotzdem nicht. Das wäre ja auch schlechthin unmöglich,nicht wahr? Hmm – was wollte ich eigentlich damit sagen?“
Harpo, der sich vor Schreck hingesetzt hatte, warf Anca und Ollie einenBlick zu und sagte dann: „Ja, das möchten wir auch gern wissen!“
Aus der Zentrale der EUKALYPTUS erklang die Stimme von Alexander:„Probleme! Probleme! Diese Computer sehen überall Probleme! Wenn meineLeute auf Nordpol auch so viele Probleme sehen würden, wäre es ihnen niemals im Leben möglich gewesen, auch nur einen einzigen Fisch zu fangen!“
„Nun“, sagte Schwatzmaul und hüstelte dezent, während auf einem derBildschirme Thunderclaps Gesicht auftauchte. Er hatte sich in die Sendungeingeschaltet und schien Mühe zu haben, nicht aus der Haut zu fahren.„Rundheraus gesagt“, meinte Schwatzmaul schließlich, „rundheraus gesagt –es gibt Anzeichen dafür, daß der Planet mit dem hübschen Namen Dragon ...Übrigens, Kompliment Herr Boriam, etwas Besseres hätte selbst mir nichteinfallen können. Wie geht es eigentlich ...“
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„Zur Sache!“ donnerte Thunderclap dazwischen. Er war hochrot im Gesichtund fuchtelte mit den Armen herum. „Diese geschwätzige Maschine bringtmich noch um den Verstand!“
„Tja, es sieht so aus“, fuhr Schwatzmaul fort, „aber das sage ich nur euchund nicht diesem tobenden Herrn Genius: Es sieht so aus, als sei Dragon bewohnt!“
„Peng!“ sagte Harpo. Er schaute ziemlich einfältig.In diesem Moment schaltete sich Anca in das Gespräch ein. „He, da scheint
was dran zu sein!“ sagte sie aufgeregt. „Wir sehen nämlich gerade ...“„Gebäude!“ schrie Harpo.„Zwei Türme!“ brüllte Karlie in der Zentrale. „Nein – drei!“ Der große Bild
schirm erlaubte es den Zurückgebliebenen, die Ereignisse fast so deutlich zuverfolgen, wie es der Besatzung des Gleitbootes möglich war. Jetzt hatten esalle gesehen. Unter dem Boot lag nicht unberührter Dschungel. Und es gabnicht nur das silberne Band des Stroms, der den seltsamen Namen Gartenschlauch erhalten hatte. Eine nahezu quadratische Lichtung mit einer Seitenlänge von etwa fünfhundert Metern war zu erkennen.
„Was mag das für ein komisches Leuchten sein?“ wollte Alexander wissen,der seine Pflaumennase am Bildschirm in der Zentrale schier plattdrückenwollte, während seine Bärenpranken Furchen in das Spezialglas zu reißendrohten. Er fletschte die Zähne und verfiel für einen Moment lang wieder inseine Muttersprache, die inzwischen auch die meisten seiner Freunde gelernthatten: „Mächtiger Schneeiglu aus rotem Licht ... Halbkugel ...“
Tatsächlich! Das quadratische Gelände war nicht nur durchgehend bebaut,sondern schien auch von einer komischen Lichthülle umgeben zu sein, diebis dicht an den Wald heranreichte. Als habe jemand eine Käseglocke ausLicht über die Gebäude gestülpt.
„Funkkontakt?“ fragte Harpo.„Nichts“, kam es von Thunderclap zurück. „Unser Sender arbeitet auf
Hochtouren. Aber es ist nichts zu machen.“Lonzo saß vor der Funkanlage und hielt ein Mikrophon im Tentakel – so
ein Mimer, er konnte doch auch ohne Mikrophon funken! Er trug die alte Matrosenmütze mit den beiden dunkelblauen Bändern und rief mit plärrenderStimme:
„Ahoi! Ahoi! He, ihr da unten! Captain Kidd bittet um Landeerlaubnis imHafen von New Orleans! Wir haben ein Fäßchen Rum an Bord und möchteneuch zu einer Fete einladen! Ahoi! Ahoi! Meldet euch endlich, ihr Galgenvögel!“
„Lonzo!“ knirschte Thunderclap auf dem Bildschirm. „Aber doch nicht indiesem Gossenjargon! Was sollen die Leute von uns denken!“
Der Roboter drehte sein kugelförmiges Köpfchen und schlug sich miteinem anderen Tentakel auf die kleine Mikrophonöffnung, die bei ihm denMund darstellte. „Huch, ich habe mich wohl im Ton vergriffen“, jammerte er.Dann setzte er neu an: „Hier spricht das S. S. EUKALYPTUS. Bitten, an Land
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kommen zu dürfen, Herr Hafenkommandant! Wir haben nichts zu verzollen –ihr Galgenvögel!“
„Lonzo! Du sollst nicht ‚Galgenvögel‘ sagen!“„Nicht? Das ist aber ein freundschaftlicher Ausdruck, den Captain Kidd
auch gern benutzte. Er sagte immer: ‚Lonzo, du Galgenvogel, wo bleibt derRum? Chissimatucki!‘“
Kopfschüttelnd meinte Bharos in der Zentrale der EUKALYPTUS: „Washeißt denn S. S.?“ Er hatte zwar die irdische Sprache schon recht gut gelernt,aber manche Redewendungen und Abkürzungen machten ihm noch Schwierigkeiten. Und bei Lonzo versagten seine telepathischen Fähigkeiten. EinemRoboter kann auch ein Gedankenleser nicht in den Kopf schauen.
„Na, Sternenschiff, nehme ich an“, erwiderte Thunderclap. „Hier ist dasGleitboot 1 von der EUKALYPTUS!“ schrie Lonzo in das Mikrophon. Dannrichtete er seine Sehlinsen auf die Kamera und meldete: „Kein Pieps. Entweder schlafen die Galgen... äh, Matrosen dort unten, oder sie haben das Weitegesucht.“
„Das werden wir bald genauer wissen“, ließ sich nun auch die krähendeStimme des kleinen Oliver vernehmen. Seltsam, daß der Kleine, der sonst niemit seinen Kommentaren hinter dem Berg halten konnte, so lange geschwiegen hatte. Vielleicht hatte ihm Anca den Mund zugehalten, denn manchmal verwandelte der Wicht die gebotene Funkdisziplin – wenn alledurcheinanderriefen, konnten lebenswichtige Botschaften überhört werden –in ein mittleres Chaos. Möglich war aber auch, daß der Kleine, der nur voneiner Krankheit zu hören brauchte, um sich einzubilden, er sei davonbefallen, mit Angst einen Pickel an seiner Hand betrachtet und darüber allesandere vergessen hatte.
„Landeanflug“, meldete nun Schwatzmaul. „Bitte hinsetzen und anschnallen!“
Das mit dem Anschnallen war natürlich Unfug, da die Gleitboote mit demAntigravantrieb ausgerüstet waren und stets butterweich landeten. Auchdiesmal gab es kaum eine Erschütterung, als die Maschine etwa dreißig Meter vor der leuchtenden Fläche aufsetzte. Nur ein paar morsche Äste knackten.
Zischend öffneten sich die Schleusen. Noch bevor Harpo, der die Leitungdes Landeunternehmens übernommen hatte, überhaupt dazu kam, Ollie,Anca und Lonzo zur Vorsicht zu ermahnen, sah er den kleinen Ollie schonüber den weichen Waldboden flitzen. Er raste direkt auf das flimmernde Feldzu, das die stillen Gebäude umschloß.
„Ollie!“ schrie Harpo über die Außenlautsprecher des Gleiters. „Willst duwohl hierbleiben!“
Der Kleine hörte nicht, obwohl ihm bei dem Geschrei die Trommelfellehätten dröhnen müssen. Erst kurz vor der wabernden Wand blieb er stehenund äugte zurück.
„Immer hübsch beieinanderbleiben“, ordnete Harpo an. Sie stiegen aus derMaschine: Anca und Lonzo, zuletzt Harpo. Plötzlich tauchte Bharos vor dem
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Gleitboot auf. Er hatte an Bord der EUKALYPTUS gespürt, daß etwas nicht inOrdnung war. Mit einem gedankenschnellen Teleportationssprung war erden Freunden auf den Planeten nachgeeilt. Bharos war nahe daran, miteinem weiteren Sprung die Entfernung zu überwinden, um Ollie zurückzuhalten, aber dann las er in den Gedanken des Benjamins der Expedition, daßdieser die seltsame Wand gar nicht berühren wollte. Ihm hatte nur daran gelegen, als erster an Ort und Stelle zu sein. Die Wand war gar keine Wand –wenigstens nicht das, was man normalerweise darunter versteht. Man konntehindurchsehen, aber sie bestand nicht aus Glas oder Kunststoff. Dennochwar es nicht nötig, lange herumzurätseln. Das Flirren und ein fast unhörbaresKnistern wiesen darauf hin, daß es sich bei dem Gebilde nur um einenEnergieschirm handeln konnte. Irgendwo in einem der dahinterliegendenGebäude mußte sich ein Generator oder eine andere Energiequelle befinden,die diesen Schirm erzeugte. Fragte sich nur, welchen Zweck der Energievorhang erfüllen sollte und aus welcher Art von Energie er bestand.
„Bitte mal die Kuppel anmessen“, sagte Harpo in das Mikrophon seinesFunkhelms. „Wir haben es mit einem Energieschirm zu tun und möchtengern wissen, ob es gefährlich ist, ihn zu berühren.“
In Harpos Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wenn es dort unter derKuppel etwas gab, das gegen Eindringlinge geschützt werden sollte, dannkonnte der Schirm durchaus unter einer lebensgefährlichen Spannungstehen. Andererseits gab es auch magnetische Prallfelder, deren Berührungungefährlich war, die man aber trotzdem nicht ohne weiteres überwindenkonnte. Beruhigend war schon mal, daß nirgendwo verkohlte Pflanzen zu sehen waren, auch dort nicht, wo der Schirm das Gras am Boden berührte.
„Die Spannung schwankt um Werte von zwei Volt“, meldete sich Thunderclap. „Ihr könnt in dieser Beziehung beruhigt sein. Ich würde aber trotzdemsehr vorsichtig sein. Schwatzmaul ist es noch nicht gelungen, alle Eigenschaften dieser unbekannten Energieform zu analysieren!“
„Und was machen wir nun?“ fragte Anca.Ollie schien seine erste Neugier befriedigt zu haben. Hinzu kam wohl, daß
die Gebäude hinter dem Schirm kantig und sehr nüchtern aussahen, so garnicht dazu geeignet, die Phantasie anzuregen. Und wenn jemand unter derKuppel lebte, dann ließ er sich zumindest nicht sehen. „Müssen wir überhaupt da hindurch?“ fragte er deshalb. „Es zwingt uns doch niemand, oder?“
Harpo biß sich nervös auf die Unterlippe. „Es ist Neugier, Mann, Neugier!Möchtest du denn nicht wissen, was dahinter auf uns wartet?“
„Nöö“, sagte Ollie. „Man sieht doch alles. Vier Gebäude, vom Zahn der Zeitschon ganz schön zernagt. Klötze mit Türmen drauf. Runde Fenster ohneGlas. Metalldächer, Steinwände, meinetwegen auch Betonwände. Was solldaran interessant sein?“
„Ächz!“ schnaubte Harpo. „Was sagt man dazu – die neugierigste Seelediesseits und jenseits der Galaxis will uns einreden, wir sollen lieber auf dieEUKALYPTUS zurückkehren, weil es hier doch nichts zu entdecken gibt!Mann, ich werde blaß!“ Um ein Haar hätte Harpo noch hinzugefügt, daß er
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wisse, weshalb Ollie sich nicht für die Gebäude und den Schirm interessierte.Der Kleine hatte Angst vor der flimmernden Kuppel und wollte das bloß nichtzugeben. Statt dessen redete er schnell weiter, bevor Ollie etwas erwidernkonnte: „An unsere Tiere denkst du wohl gar nicht, was? Sollen wir die hieraussetzen, wenn wir nicht einmal wissen, ob unter der Kuppel nicht wildeGesellen hausen, die liebend gern Drachen und Eichkätzchen verspeisen?“Ollie wurde erst blaß, dann rot. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Mitbeiden Fäusten hämmerte er plötzlich gegen den Energieschirm und schriedabei: „Hier frißt keiner kleine Drachen! Das verhindere ich! Ich, Ollie!Jawoll!“
„Mann, bist du denn wahnsinnig!“ brüllte Harpo. Das hatte er schließlichnicht gewollt.
„He!“ sagte Anca. „Ollie, deine Hände gehen ja durch den Schirmhindurch!“
„Was?“ fragte Ollie verdutzt. Erschreckt zog er seine kleinen Fäuste zurückund schaute sie an. „Sie sind noch da. Aber diese Kuppel ist wirklich komisch.Fühlt sich an, als würde man in eine weiche Masse hineinboxen.“
Harpo versuchte verwirrt, seine Beobachtungen zu ordnen. Erst einmal,das war am wichtigsten: Ollie hatte die Sache unverletzt überstanden. Unddann: Der Schirm bot keinen harten Widerstand. Schließlich: Ollies Fäustewaren tatsächlich durch den Schirm hindurchgedrungen. Harpo hatte esebenfalls gesehen. Merkwürdig. Harpo sah sich mißtrauisch um, als wäre irgendwo in der Ferne des Rätsels Lösung zu suchen.
Der Waldrand war knapp fünfzig Meter von ihnen entfernt. Es war still.Kein Piepen, Zwitschern, Pfeifen oder Knurren war zu hören. Eine merkwürdige Ruhe lag über dem Land. Nur die Sonne schickte sich an, dem Horizont entgegenzusinken. Schon tauchten am unteren Teil des Himmels zweiMonde auf. Die waren ihnen schon aufgefallen, als sie an Bord der EUKALYPTUS im Orbit des Planeten kreisten.
„Es wird bald dunkel“, mahnte Bharos. „Lange können wir uns hier nichtmehr aufhalten. Vielleicht müssen wir wirklich nicht wissen, was hinterdieser Kuppel liegt. Unsere Meßergebnisse dürften ausreichen, um unsereTiere gefahrlos auszusetzen.“
„Schön“, sagte Harpo. „Wenn wir uns beeilen müssen, dann beeilen wiruns eben. Machen wir einen kleinen Versuch. Hat jemand von euch einenStein gesehen?“
Niemand hatte. Kurzentschlossen nahm Harpo seinen Funkhelm ab undhielt ihn prüfend in der Hand. Er wog etwa ein Kilogramm und konnte derbeStöße ganz gut vertragen. Wuchtig holte er damit aus und warf den Helmgegen das Energiefeld.
Es entstand ein schmatzendes Geräusch, schließlich ein Knistern wie beieiner Entladung. Und dann blieb der Helm mitten in der Energiewand stecken!
„Das darf doch nicht wahr sein!“ staunte Ollie und riß vor ÜberraschungAugen, Mund und Nasenlöcher weit auf. „Wie geht das denn?“
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„MeMeMensch!“ hörten sie ihren Freund Brim Boriam in den Helmempfängern. Nur Harpo hörte nichts. „Wir haben aaaaalles beobachtet!“keuchte Brim. Manchmal, wenn er sehr aufgeregt war, stotterte demschwarzlockige Afrikaner. „Unglaublich!“
Man glaubte, ihn und die anderen an Bord der EUKALYPTUS förmlich zusehen, wie sie vor dem Bildschirm in der Zentrale saßen und sich die Hälseschier ausrenken wollten, um nur ja nichts zu verpassen. Die Kameras in denGleitbooten ließen sie jede Einzelheit miterleben.
„Juchhu!“ rief Anca und gab ihrem Bruder einen dicken Schmatz. „DerEnergieschirm taugt nichts! Wahrscheinlich ist die Batterie leer.“
Bharos lachte. Er schloß die Augen und verschwand. Plötzlich tauchte erauf der anderen Seite des Schirms wieder auf. Er bewegte den Mund, aberman konnte kein Wort verstehen.
Dann stand er wieder neben ihnen. „Das Ding ist brüchig wie ein rostigerEimer“, gab er bekannt. „Wahrscheinlich hat Anca im Prinzip recht. DerSchirm wird nur noch mit einer letzten Energiereserve aufrechterhalten undkann seine früheren Funktionen nicht mehr erfüllen. Normalerweise bin ichnicht in der Lage, Energieschirme zu durchspringen – aber dieser hier ist ausgesprochen kraftlos. Nur ein kleines Kitzeln habe ich gespürt.“ Unternehmungslustig deutete er auf die stillen Gebäude. „Kommt ihr mit?“
Ollie fletschte die Zähne, nahm einen Anlauf, warf die Arme wie einSchwimmer nach vorn – und saß auf dem Hintern. Diesseits des Schirms. Erwar zurückgeprallt.
Alle lachten über das verdutzte Gesicht des Kleinen. „Zu mager, der kleineBursche“, brummte Lonzo, packte Ollie und klemmte ihn sich unter zweiTentakel. Dann zog er sich die Matrosenmütze in die Stirn und rannte los. Erdurchstieß die Energiewand wie eine Bombe und raste noch zehn Meter weiter, bevor er auf der anderen Seite zum Stehen kam. Harpo nickte Anca zu.
Bharos war bereits wieder verschwunden und tauchte gerade neben Lonzoauf.
„Jetzt wir“, sagte Harpo und holte tief Luft.
Verschwunden im Nichts
Die Gebäude besaßen Türen – aber diese Türen waren verschlossen. Undsowenig sich bisher unter der Kuppel etwas bewegt hatte, sowenig zeigte sichauch jetzt ein Bewohner der Gebäude. Aus der Nähe besehen wirkten die Betonquader erschreckend alt und brüchig. Man mußte daran zweifeln, daßhier noch jemand lebte.
Ohne Tageslicht und Werkzeug waren die Versuche, die Türen der Gebäude zu öffnen, zum Scheitern verurteilt. Deshalb einigte man sich rasch dar
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auf, zunächst zur EUKALYPTUS zurückzukehren und den Morgen abzuwarten.
Erst sechsunddreißig Stunden später – so lange dauerte ein Tag aufDragon, weil sich der Planet viel langsamer als die Erde drehte – drangenzwei Gleitboote erneut in die Atmosphäre ein.
Diesmal blieb Schwatzmaul allein an Bord zurück. Nur die Grünen unterstützten ihn bei seinen Überwachungs und Steuerungsfunktionen.
Thunderclap hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich den seltsamenEnergieschirm in Augenschein zu nehmen, und alle anderen waren begeistert, daß ihr Freund im Rollstuhl dabei war. Mit Unmengen von Werkzeugausgerüstet – obwohl der Tentakelkünstler Lonzo ein personifiziertes Werkzeug war – landete die Mannschaft vor dem Energievorhang. Sie durchbrachihn, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt, und drang zu denGebäuden vor.
Nur Thunderclap hatte beim Passieren des Schirms einige Mühe, weil derMotor seines Rollstuhls jedesmal aussetzte, wenn das Energiefeld ihm zunahe kam. Alexander löste das Problem. Er nahm Thunderclap huckepackund schob sich mit der Kraft einer Lokomotive in das Innere der Kuppel.
Dann holte er den Stuhl nach. Seine Freunde applaudierten, und er verneigte sich artig wie ein Kraftathlet in der Zirkusmanege.
Thunderclap zischte mit seinem Stuhl allen anderen voraus, denn das Gelände war fugenlos betoniert, und der Motor des Gefährts funktionierte auchwieder. Er bremste scharf ab, als er das erste Gebäude erreicht hatte, und riebsich vergnügt die Hände. Dann deutete er auf die breite Metalltür.
„Die wird uns nicht lange Widerstand leisten“, sagte er. „Aber vielleichtkann einer von euch zunächst mal durch eines der Fenster peilen. Kann sein,daß wir schon etwas Interessantes entdecken.“
Auf den ersten Blick schien dieser Wunsch unerfüllbar zu sein. Aber Karliegrinste nur, schnappte sich den zeternden Ollie und stellte den Kleinen aufseine Schultern. „Reicht’s?“ fragte er. „Oder soll ich mich auf die Zehenspitzen stellen?“
„Gugugut“, keuchte Ollie, der ganz entsetzt war über das, was der Großemit ihm angestellt hatte. Was man sich bei solchen Aktionen alles für Krankheiten holen konnte: Beulen, Beinbrüche, blaue Flecken ... Oder Schnupfen.Schließlich zog es da oben viel mehr.
Aber dann umklammerte er doch den Rand des runden Fensters und steckte den Kopf hinein. „Da ist ‘ne große Halle“, meldete er aufgeregt. „Ziemlichleer. Aber es gibt eine breite Treppe, die nach oben führt. Und eine Galeriesehe ich. Eine Menge Türen ... hmm ...“
„Ist das alles?“ fragte Thunderclap enttäuscht.Lonzo wartete gar nicht erst darauf, daß sich jemand der mitgeschleppten
Werkzeuge annahm. Er ließ seine Werkzeuglade aus dem Bauch schnellen,stülpte einen Schraubenzieheraufsatz über einen Tentakel und stocherte damit in der Türritze herum. Bald darauf stieß er wüste Verwünschungen aus,
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weil er mit dem Schraubenzieher nichts auszurichten vermochte. Ein Schloßwar nirgendwo an der Tür zu sehen.
Bharos hatte lächelnd zugeschaut. Er las Ollies Gedanken und sah durchseine Augen hindurch das Innere der Halle. Diese Orientierung machte esihm leichter. Dann löste er sich in Luft auf – ein Teleportationssprung hatteihn in das Innere des Gebäudes versetzt. Er hantierte an irgendwelchen verborgenen Riegeln herum. Zehn Sekunden später schwang die Tür auf, undBharos machte eine einladende Verbeugung.
Alle jubelten.„Du hättest Schlosser werden sollen“, lobte Thunderclap. „Oder Tresor
knacker“, meinte Anca und kicherte. Die runden Fensteröffnungen ließen genügend Licht in das Gebäude einfallen. Man konnte erkennen, daß Ollie, derinzwischen wieder auf eigenen Beinen stand und darüber sehr erleichtertwar, bei seiner Beschreibung keine wichtigen Einzelheiten vergessen hatte.Die Halle wirkte in der Tat sehr kahl und reizlos. Von der Decke hingen Kabelherab, die Überreste einstiger elektrischer Leitungen. Die Lampen hatte manwohl bereits vor langer, langer Zeit abmontiert. Zögernd trat die Gruppe indie Halle ein. Mißtrauische Blicke musterten die Decke und die Wände undsuchten nach losen Teilen, die herunterfallen könnten. Aber trotz der rissigenAußenwände schien der Bau noch recht stabil zu sein. Die Stimmen klangenhohl in dieser leeren Halle. Die Mannschaft der EUKALYPTUS teilte sich inmehrere kleine Gruppen auf, die immer nahe genug beieinanderblieben, umbei Gefahr oder einer überraschenden Entdeckung nicht allein zu sein. Sodurchstreiften sie die beiden Stockwerke des Gebäudes und schließlich auchdie zugänglichen Räume des Turmes. Sie fanden nur Staub und ein paarSteine. Ansonsten war das Gebäude so leer wie die Taschen eines neuenAnzugs. Nichts deutete auf frühere Bewohner hin. Kein technisches Gerät,keine verrostete Gabel, kein Schuhanzieher und kein Fetzen Papier. Nichteinmal Schriftzeichen an den Türen waren auszumachen. Staub, Staub,nichts als Staub. Bei jedem Schritt, den die unternehmungslustigen Forschermachten, wirbelten ganze Staubwolken durch die Luft und brachten sie zumNiesen. „Wie ungemütlich“, sagte Anca, als sie eine halbe Stunde späterwieder auf Harpo traf. Sie zog eine Schnute. „Und wie trostlos. Da kommenwir extra von der Erde, um die Errungenschaften dieser fremden Rasse zu bewundern, und was finden wir – Staub und Beton! Hatschiiii!“ „Hallo, wo seidihr denn?“ rief Thunderclap von irgendwoher und kam wenig später mit seinem Rollstuhl durch den Korridor geflitzt. „Hier hinten ist ein Eingang zumNachbargebäude. Vielleicht haben wir dort mehr Glück.“
Von allen Seiten her liefen die „Entdecker“ zusammen. Die vor ihnenliegende Tür war unverschlossen. Der Raum rief nicht gerade Begeisterungsstürme hervor. Immerhin gab es jedoch so etwas wie Reste einer Einrichtung:Leere Regalwände aus Blech unterteilten den Raum in viele schmale Gänge.In der Mitte stand ein Uförmiger Tisch mit einer schweren, massiven Platteaus Holz oder einem ähnlichen Material.
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Auf der geschlossenen Seite des UTisches entdeckte der winzige Trompoals erster eine kleine Schalttafel mit mehr als zwanzig Drucktasten, alle ausKunststoff. Mehrere trugen eingepreßte Zeichen und Symbole, deren Sinn jedoch schwer zu erraten war.
„Aha“, sagte Bharos. „Jetzt wird es interessant.“ Er stellte sich hinter denTisch und probierte der Reihe nach alle Tasten aus. Nichts geschah. DieGesichter der Zuschauer wurden immer länger.
„So ein Reinfall!“ schnaubte Karlie. „Ich komme mir ziemlich gelackmeiertvor, wißt ihr das?!“ Er stampfte zornig mit dem Fuß auf. „Wenigstens ein duftes Geheimnis hätten uns die Leute ja wohl zum Lüften übriglassen können,meint ihr nicht auch?“
„Ulp!“ machte Ollie plötzlich.Alle Köpfe fuhren herum. Mit schreckgeweiteten Augen stellte Harpo fest,
daß Ollie nur noch aus einem Kopf bestand – und der schien direkt aus demFußboden zu ragen. Dann war auch der Kopf verschwunden. Dort, wo derKleine eben noch gestanden hatte, gähnte ein schwarzes, quadratisches Lochmit einer Seitenlänge von etwa drei Metern.
„Ollie!“ schrien die Kinder im Chor. „Was ist mit dir?“ Sie lösten sich aus ihrer Erstarrung, denn erst jetzt hatten sie erkannt, daß es nicht der Erdbodenwar, der den Kleinen verschluckt hatte. Vielmehr war eine versenkbare Platteauf einen Knopfdruck von Bharos hin mitsamt Ollie in die Tiefe gefahren.
Wenig später lagen alle flach auf dem Boden und lugten in die vier oderfünf Meter tiefer liegende Etage.
Eine hohl klingende Stimme drang zu ihnen herauf. „Junge, Junge! Das sindja Sachen! Das kann ich kaum glauben!“
„Ollie?“ fragte Harpo. „Geht’s dir gut?“„Da biste von den Socken!“ fuhr Ollie begeistert fort, ohne auf Harpos Frage
einzugehen.„Ollie!!!“ schrie Anca. „Was machst du da unten?“„Ich gucke Fernsehen“, schrie der Kleine zurück. „Gutes Programm, aber ‘n
bißchen verschwommen. Schickt mal Lonzo mit seinen Werkzeugen herunter!“
„Oje!“ meinte der Roboter. „Der arme Ollie hat seinen Grips verloren!“Bharos fingerte wieder an den Tasten herum und versuchte herauszu
finden, welche davon den Fahrstuhl ausgelöst hatte. Tatsächlich fuhr wenigeSekunden später die Bodenplatte wieder in die alte Position. Bharos stießeinen Triumphschrei aus. Er stand immer noch mit gespannter Miene hinterdem Schaltpult und drückte weitere Knöpfe. Vor Aufregung war ihm dieZungenspitze zwischen die Lippen gerutscht. Die Platte ruckte an, fuhr einStück nach unten, dann wieder herauf. „Jetzt habe ich es!“ rief Bharos. „Ichkann das Ding steuern!“
Harpo durfte als erster auf der Platte Platz nehmen und zu Ollie hinabfahren. Nach und nach folgten die anderen. Nur Bharos blieb oben. Wahrscheinlich konnte man den Fahrstuhl auch von unten aus steuern, aber es war ja
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nicht nötig, dieses Risiko einzugehen. Als er allerdings in Ollies Gedanken las,zog er es doch vor, mit einem Teleportationssprung zu den anderen zu eilen.
Harpo und seine Freunde hatten inzwischen den engen Schacht mit derFahrstuhlplatte verlassen und waren zu Ollie in den unterirdischen Saal getreten. Durch einige Lichtschächte fiel genügend Sonnenlicht herein, daßman die Umgebung erkennen konnte. Entlang der Wand standen in endloserReihe Transportfahrzeuge mit fünf Meter langen, offenen Ladeflächen, dickerGummi oder Kunststoffbereifung und einem Fahrersitz hoch über der Ladefläche.
In der Mitte des Raumes jedoch stand etwas, das auf den ersten Blick beimbesten Willen nicht einzuordnen war. Es sah aus wie eine auf vier stumpfen,plumpen, sehr kurzen Beinen stehende Metallplatte. Sie war fast quadratisch,gut zwanzig Zentimeter dick und hatte an einer Seite einen kastenförmigenAnbau. Dort schienen Kabel zusammenzulaufen, die von der Unterseite derPlatte kamen.
Was jedoch am meisten verblüffte: Über diesem metallischen Gerät befandsich ein leuchtendes, würfelförmiges Energiefeld. Und darin gefangen wardas Bild einer fremden, exotischen Welt, so, als würde man einendreidimensionalen Farbfilm sehen.
Eine Steppe mit blaugrünem Gras breitete sich dort aus, und in der Fernestolzierte eine etwa zwei Dutzend Tiere zählende Herde von Kamelen dahin.Das heißt, eigentlich waren es nur die langen, dünnen Beine und die drei Höcker, die an Kamele erinnerten. Die Köpfe wirkten massiver, fast wie die vonStieren, und trugen auch kurze, krumme Hörner. Sie schienen nicht in Eile zusein, fraßen hier und da etwas Gras und zogen nur ganz allmählich weiter.Eine grünliche Sonne stach grell in die Augen.
„Äh ...“ machte jemand.Harpos Augen suchten Ollie und fanden ihn schließlich. Er saß im
Schneidersitz keine zwei Meter von dem seltsamen „Fernsehapparat“ entfernt auf dem Fußboden, starrte mit unverkennbarer Begeisterung auf dieSzene und machte auch sonst einen höchst zufriedenen Eindruck. Dieanderen Besatzungsmitglieder waren kaum weniger gefesselt.
Plötzlich änderte sich die Szene schlagartig. Das Bild kippte förmlich um.Die Steppe war fort. Statt dessen sah man eine Gebirgsformation, über die eineisiger Wind fegte. Verkrüppelte Bäume stemmten sich knorrig dem Windentgegen. Riesige lederhäutige Vögel kreisten am Himmel, ein weitererSchwarm zog über die zackigen Bergspitzen dahin. Das Panorama wirkte solebensecht, daß Harpo fröstelnd die Schultern hochzog. War es nicht wirklicheisig kalt in diesem unterirdischen Saal geworden?
„Ollie ...“ flüsterte er heiser und wollte den Kleinen mit sich fortziehen.Aber eine wie magisch wirkende Kraft hielt ihn fest. Nur unter größter Anstrengung schaffte es Harpo, sich so weit von dem Bild loszureißen, um denKopf wenden zu können.
Auch die anderen vermochten ihre Blicke anscheinend nicht von demdreidimensionalen Fernseher zu lösen. Neben sich fühlte Harpo den schwer
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atmenden Thunderclap. Karlies Zunge leckte nervös über die Lippen. AncasAugen sahen riesengroß aus. Brim schaute etwas skeptischer drein und riebsich nachdenklich sein schwarzes Kinn. Trompo hatte den kleinen Rüsselangehoben, als wolle er dem Bildwürfel entgegenschnüffeln. Alexanderbrummte vor sich hin, wandte die Augen aber keine Sekunde lang von derSzene ab. Nur Bharos und Micel tauschten einen raschen Blick aus. Vermutlich hatten sie sich auf geistigem Wege versichert, daß der eine so erstauntwie der andere war.
Unbeeindruckt zeigte sich allein Lonzo. Zwar waren auch seine Sehzellenauf den Würfel gerichtet, aber er wandte sich sofort Harpo zu, als dieser ihnanblickte. An Lonzos Verhalten zeigte sich, daß sie keiner optischen Täuschung oder hypnotischen Beeinflussung aufsaßen. Lonzo hätte sonst Alarmgeschlagen. Sein Gehirn konnte niemand täuschen. Ein Roboter läßt sichnichts vormachen.
„Ollie!“ sagte Harpo noch einmal. Diesmal sprach er lauter. Tatsächlicherhob sich der Kleine und tat ein paar Schritte, ziemlich unsichere Schritte.Er schien das selbst zu bemerken, denn er streckte die Arme wie Balancestangen aus, um das Gleichgewicht zu halten. Trotzdem schwankte er wie einSegelflugzeug unter einer Böe.
„Paß auf!“ zischte Harpo und trat zwei Schritte vor.Aber die Warnung kam zu spät. Ollie stolperte plötzlich und fiel wie eine
leblose Puppe nach vorn. Eine Sekunde lang glaubte Harpo einen Entsetzensschrei zu hören. Im gleichen Moment kippte das Bild des Würfels wieder um.Aber er achtete nicht auf die neue Landschaft. Hell war es – das war alles,woran er sich später erinnern konnte. Er hatte nur Augen für Ollie, versuchteihn zu erreichen – vergeblich. Der Oberkörper des Kleinen tauchte in dasleuchtende Feld ein. Seine Beine stießen gegen die Platte und knickten ein.Aber Ollie fiel nicht aus dem Würfel heraus. Eine geheimnisvolle Kraft schienihn förmlich in das Feld hineinzuziehen. Die Beine zappelten hin und her,das Hinterteil berührte die Metallplatte. Dann war Ollie spurlosverschwunden.
„Ollie!“ schrien die Kinder auf.Aber Ollie kam nicht zurück. Das Bild im Würfel war fast im gleichen
Augenblick erneut umgekippt, als der kleine Oliver verschwand. Zehn,zwanzig Sekunden lang gab es nichts als einen wilden Farbwirbel, als hättejemand die Farben eines Tuschkastens durcheinanderlaufen lassen. Dannstabilisierte sich das Bild. Man sah die Landschaft von vorhin: blaugrüneSteppe, Kamele, eine grüne Sonne.
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Expedition ins Unbekannte
Es dauerte bestimmt fünf Minuten, bis sich die Unruhe soweit gelegt hatte,daß gemeinsam überlegt werden konnte, was zu tun war. Beendet wurde dasDurcheinander und das Geschrei durch Lonzo. Er hatte mit stoischer Ruheabgewartet, als würde er auf eine innere Uhr blicken. Dann ließ er plötzlichein Geräusch ertönen, das wie Kanonendonner klang und schlagartig allesverstummen ließ.
„Ollie ist verschwunden“, sagte Lonzo mit ganz ungewohntem Ernst in derStimme. „Wir haben alle gesehen, wie es passiert ist. Dennoch wissen wirnicht, was mit ihm geschehen ist. Hat die seltsame Maschine ihn regelrechtverschlungen und damit seinen Körper aufgelöst? Oder hat sie Ollie nur unseren Blicken entzogen, das heißt, an einen anderen Ort transportiert? Wennihr mich fragt: Ich glaube, daß die Maschine ein Materietransmissionszentrum ist – ein Gerät also, das über ähnliche Fähigkeiten verfügt wie unserFreund Bharos. Nur daß es nicht sich selbst, sondern andere von einem Ortzum anderen versetzt. Aber das werden wir sicherlich noch herausfinden!Viel wichtiger ist die Frage, ob Ollie überhaupt noch lebt. Und wenn ja, wo ersich befindet. Das führt uns dann schließlich zu dem Problem, ob und wiewir ihm helfen können.“ Diese ungewöhnlich lange und ernste Ansprachehinterließ zunächst nur stumme, unbehaglich dreinblickende Gesichter.
Bharos reagierte schließlich als erster. „Lonzo, ich teile deine Ansicht“, sagte er. „Alles deutet darauf hin, daß die Maschine nicht nur verschiedenartigeLandschaften in dem Würfelfeld abbildet, sondern daß eine tiefergehendeVerbindung zu diesen Landschaften existiert. Wenn es wirklich so eine ArtMaterietransmitter sein sollte, dann kann es sein, daß die im Kubus gezeigtenBilder die Umwelt anderer Transmitterstationen sind. Demnach müßte Ollieauf einer solchen Station angekommen sein. Vielleicht können wir ihn sogarsehen, wenn wir die Maschine lange genug im Auge behalten.“
Die Köpfe der Anwesenden wandten sich dem Leuchtwürfel zu. Nochimmer stelzten die Kameltiere durch die blaugrüne Steppe. Von Ollie keineSpur. Bei den Kamelen hielt er sich offensichtlich nicht auf.
„Wo mag diese Gegend wohl liegen?“ fragte Anca mit leiser Stimme. Siehatte im ersten Schreck nach der Hand ihres Bruders gegriffen und hielt sieauch jetzt noch fest.
„Tja, wenn wir das wüßten ...“ meinte Bharos. „Vielleicht auf der anderenSeite von Dragon, trotz der grünlichen Sonne. Niemand sagt uns, daß dieFarben realistisch abgebildet werden. Andererseits ... also, um ehrlich zu sein– ich glaube eher daran, daß diese Bilder von anderen Planeten stammen.Und die müssen nicht einmal in der Nähe dieses Systems liegen.“
„O weh!“ sagte Thunderclap. Ihm wurde plötzlich ganz schlecht. Einenverschwundenen Oliver auf einem bestimmten unerforschten Planeten zusuchen – das mochte ja noch angehen. Aber wenn praktisch die halbe Galaxis– oder die ganze? – in Frage kam, dann ...
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„Nun mal nicht gleich den Kopf hängenlassen“, sprach ihm Bharos Mut zu.„So ernst ist das auch wieder nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen, daßdie Landschaften im Würfel nicht unbedingt zu Planeten des nächsten Sternsgehören. Wißt ihr, ein kleines bißchen kann ich mitreden, wenn es um Transmitter geht. Meine Rasse hat früher ebenfalls Experimente mit Transmitterndurchgeführt. Allerdings wurden die Forschungen eingestellt. Ein winzigerHüpfer kostete nämlich so viel Energie, wie eine mittlere Sonne sie das ganzeJahr hindurch abgibt. Die fremden Erbauer dieser Maschine hier haben mehrErfolg gehabt, das sieht man ja. Aber Energie wird trotzdem benötigt. Dasfunktioniert so ähnlich wie bei einer Funkanlage. Stellt euch vor, ein Funkspruch soll abgestrahlt werden. Steht der Empfänger nur ein paar Kilometerweiter, benötigt man wenig Energie, um sich verständlich zu machen. Stehter dagegen am anderen Ende der Milchstraße, müßte man einenRiesensender haben und gewaltige Energien aufbringen. – Was wollte icheigentlich sagen?“
„Daß Ollie doch nicht sooo weit weg sein kann“, half Alexander aus.„Ach, richtig. Also, ist doch klar: Die einzelnen Stationen dürften relativ
dicht beieinanderstehen, um Energie zu sparen. Na ja, vielleicht gibt es auchmal eine dazwischen, die als Außenstation sehr weit weg ist ... Aber da wollenwir lieber nicht dran denken. Und überhaupt: Transmitter müssen erst malvon ganz gewöhnlichen Raumschiffen an Ort und Stelle gebracht werden,weil ein Sender ohne den Empfänger wertlos ist. Das engt den Radius bestimmt ziemlich ein!“
„Für uns kann das noch immer zu groß sein“, meinte Harpo seufzend.„Und wer weiß, ob die Fremden das Problem nicht ganz anders angepackt
haben oder auf eine unerschöpfliche Energiequelle gestoßen sind“, gab Karliezu bedenken. „Der arme Ollie – ob wir ihn jemals wiedersehen?“
„Was ist denn mit meinen Matrosen los?“ schimpfte Lonzo. „Einer weintdem anderen etwas vor? Das dulde ich nicht! Laßt uns lieber ernsthaft überlegen, wie wir den kleinen Ollie zurückholen!“
„Richtig“, sagte Bharos. „Immerhin können wir selbst das gleiche tun, wasOliver unfreiwillig getan hat – nämlich mit dem Transmitter reisen. Unddann bleibt uns immer noch die EUKALYPTUS. Beides zusammen ...“
Er brach ab, weil sich die Szene im Bildwürfel verändert hatte. Es gab erneut einen kurzen Farbwirbel. Dann wurde eine neue Umgebung sichtbar.Im ersten Augenblick konnte man nicht viel mehr als grellrotes Licht erkennen. Doch dann, als sich die Augen daran gewöhnt hatten, blickte manauf zwanzig oder dreißig menschengroße Wesen, deren Gesichter von kurzhaarigem Fell bedeckt waren und von großen, runden schwarzen Augen beherrscht wurden. Die Fremden steckten in beutelähnlichenKleidungsstücken, die unterschiedliche Schattierungen aufwiesen. Farbenkonnte man in dem grellroten Licht nicht erkennen.
Man hatte den Eindruck, daß nicht nur die Besatzungsmitglieder der EUKALYPTUS die Fremden anstarrten, sondern daß diese ebenso verwundertzurückguckten. Ja, Harpo hatte sogar das Gefühl, er säße in einem Zookäfig
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und werde von den Besuchern bestaunt. Ganz unberechtigt war das wohlnicht, denn einige der Wesen hoben kleine Geräte an und ließen Blitzlichteraufleuchten. Fotografierten sie? Dann traten die Wesen zurück. Einer derFremden blieb vorne stehen, zeigte mit der Pranke auf die „Zuschauer“ undbegann unter vielen Grimassen und Gebärden etwas zu erklären. Hörenkonnte man allerdings nichts.
„Das ..., ist ... doch ...“ stotterte Harpo.„Wir werden beobachtet!“ rief Micel. „Die sehen uns.“„Und sie scheinen einen Heidenrespekt davor zu haben, sich zu nähern“,
meinte Karlie.„Was wohl kaum an uns liegt“, sagte Bharos. „Das gilt dem Transmitter.
Wer weiß, welche schlechten Erfahrungen sie damit gemacht haben. Michsollte es auch gar nicht wundern, wenn das Ding dort in einem Museumsteht. Das Innere eines Gebäudes scheint es jedenfalls zu sein.“
Zum erstenmal wurde Harpo so richtig bewußt, was es bedeuten konnte,wenn ihre Vermutungen über die Transmitterstationen zutrafen. Es konnteheißen, daß Hunderte, vielleicht Tausende von Stationen an das Netz angeschlossen waren. Und auf irgendeiner Station war Ollie gelandet. Niemandwußte überhaupt, ob ihr Transmitter gerade diese Station noch einmal alsEmpfänger vorsehen würde. Und wenn Ollie, neugierig wie er war, dort nichtausharrte, sondern ... Es war nicht auszudenken!
„Mit dem Energieschirm draußen ist nicht mehr alles so, wie es sein sollte“,überlegte Micel laut. „Und diese Gebäude hier sind verlassen und nicht gerade gut in Schuß. Ein anderer Transmitter steht eventuell schon im Museum. Das heißt ... Ja, das kann nur bedeuten, daß die Transmitterkette schonuralt ist. Die Konstrukteure leben vielleicht gar nicht mehr. Wir können frohsein, wenn die Maschinen noch einwandfrei funktionieren. Also, wenn wirOllie nicht suchen müßten – keine zehn Pferde würden mich in die Nähe desTransmitterfeldes bringen.“
„Ach, funktionieren wird es noch“, versicherte Bharos. „Sonst könnten wirauch die Bildwürfel nicht mehr sehen. Nein, nein, die Energiequelle für denSchirm draußen kann nichts mit den Transmittern zu tun haben.“
„Was ich nicht verstehe“, sagte Anca, „ist, warum man das Gerät nichtsteuern kann. Und wieso manche Landschaften lange im Würfel bleiben,andere aber nur ein paar Sekunden. Da muß doch etwas faul sein.“
„Wir können die Anlage nicht steuern“, korrigierte Bharos. „Aber zugegeben, ganz geheuer ist mir auch nicht dabei. Vielleicht gibt es eine Umschaltautomatik, die nicht mehr richtig funktioniert. Wie auch immer – wir müssenuns mit den Tatsachen abfinden und das Beste daraus machen.“
„Das heißt aber doch wohl“, überlegte Harpo laut, „es gibt keine Garantiedafür, daß wir zurückkehren. Selbst wenn wir Ollie finden – die Rückfahrkartezum Planeten Dragon und zur EUKALYPTUS haben wir nicht in der Tasche.“
„Hmm“, machte Thunderclap. In der folgenden Stille hätte man leicht eineStecknadel fallen hören können. Natürlich dachte keiner daran, Ollie seinemSchicksal zu überlassen. Das kam überhaupt nicht in Frage. Aber wie sollte es
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ihnen in kurzer Zeit gelingen, entweder die Steuerung des Transmittersystems zu erlernen oder aber ein System hinter den Umschaltungen zu entdecken? Und die Zeit drängte, wenn sie Ollie helfen wollten. Eigentlich zähltejede Sekunde. Selbst wenn es Lonzo und Schwatzmaul gelingen sollte, denSchaltcode – vorausgesetzt, es gab einen – zu entziffern und durch Rückrechnung Ollies Aufenthaltsort zu ermitteln – das würde alles viel zu lange dauern. Vielleicht kämpfte Ollie gerade in einem Sandsturm um sein Leben oderrannte vor einem Raubtier davon ...
Lonzo hatte alle Daten über die bisherigen Umschaltungen längst an denBordcomputer weitergeleitet. Aber daraus ließ sich noch nichts ablesen. Amliebsten hätte Schwatzmaul den Transmitter von den Grünen zerlegen lassen,um hinter das Geheimnis zu kommen. Diese Lösung mußte jedoch ausscheiden. Das würde viele Stunden dauern. Wenn Ollie in der Zwischenzeitzurückkehren wollte, konnte es zu einer Katastrophe kommen. Ohne denfunktionsfähigen Empfänger war Ollie verloren.
„Die Frage ist dann wohl nur, ob sich einer allein in das Transmitterfeldstürzt oder ob es mehrere von uns wagen“, sagte Harpo schließlich. „Etwasanderes bleibt uns jedenfalls nicht übrig. Ich melde mich schon mal freiwillig.“ Dieser Entschluß war ihm nicht leichtgefallen.
„Ich mache mit!“ rief Anca.„Wir sollten mit einer möglichst kleinen Gruppe den Sprung ins Ungewisse
wagen“, riet ihm Bharos. „Wer weiß, was uns erwartet!“Aber niemand wollte zurückstehen, so mulmig den meisten auch zumute
war. Es ging ja um Ollie.„Also, einige müssen schon auf der EUKALYPTUS bleiben“, protestierte
Schwatzmaul über Funk. „Schließlich brauche ich hin und wieder meinKännchen Öl!“ Das war natürlich nicht der wahre Grund, aber das Bordgehirn hatte im Prinzip recht. Sie durften nicht alles auf eine Karte setzen.
„Na ja“, sagte Thunderclap. „Da muß ich wohl in den sauren Apfel beißen,sonst kriege ich gleich noch zu hören, daß ein Rollstuhl nicht das Wahre inMorast oder Geröll ist. Ja, ihr habt ja recht! Aber wartet nur ab, bis die Grünenmir meinen Einmannhubschrauber gebastelt haben. Dann werdet ihr michnicht mehr so leicht los!“
„Noch drei“, forderte Schwatzmaul. „Außer Thunderclap müssen noch dreizurückbleiben!“
Lonzo nickte mit einer heftigen KopfRumpfBewegung, fing die sonstimmer so stramm auf dem Kopf sitzende Matrosenmütze auf und rührte darin mit einem Tentakel herum. „Das haben wir gleich!“ rief er triumphierend.Dann zog er ein Kärtchen aus der Mütze. „Brim Boriam“, las er laut vor.„Brim bleibt bei Pitter.“
„Bei welchem Pitter?“ fragte Thunderclap wütend, denn seinen richtigenNamen hörte er überhaupt nicht gern.
„Sagte ich Pitter?“ fragte Lonzo unschuldig. „Da muß ein Relais ausgefallensein, bei Thunderclap.“
„Ist das auch mit rechten Dingen zugegangen?“ fragte Brim mißtrauisch.
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„Aber ja doch!“ versicherte Lonzo fröhlich. „Für solche Fälle habe ich vonallen Matrosen ein Namenskärtchen in der Mütze. Nicht verzagen, Lonzofragen! Und, Herrschaften“ – Lonzo ließ seine Stimme lauter werden –‚ „schon geht es weiter.“
Abermals griff er in das Mützchen und zog ein weiteres Kärtchen hervor,dann noch eines. „Karlie Müllerchen“, schnarrte er.
„Oooooch!“„Und Micel Fopp!“ fügte Lonzo hinzu und stülpte sich die Mütze mit den
Namenskärtchen wieder über den kleinen Metallkopf.„Na ja, da kann man nichts machen“, kommentierte Micel, aber ein biß
chen enttäuscht sah er doch aus.„Ich habe was für euch“, meldete sich Schwatzmaul.„Ja, was denn?“„Eine feine Sicherheitsmaßnahme. Wir bauen Lonzo einen starken Si
gnalgeber ein. Das geht ganz schnell! Die Peiltöne kann ich über 300 Lichtjahre hinweg anpeilen.“
„Hurra!“ schrie Thunderclap. „Wir holen euch aus dem Schlamassel, wennihr Ärger habt. Egal, wo ihr seid!“
„Warum immer ich?“ kreischte Lonzo. „Ich mag es nicht, wenn in meinemBauch etwas piept! Andere haben auch dicke Bäuche, in denen viel Platz ist.“
„Aber Lonzo!“ sagte Anca honigsüß. „Würdest du es auch nicht mir zuliebetun?“
„Na ja, wenn du mich so nett darum bittest, mein Schätzchen ...“„Dann kann es ja losgehen, sobald Lonzo zurück ist“, sagte Karlie. Vor Auf
regung hatte er rote Flecken im Gesicht.„Wir werden Lonzo zur EUKALYPTUS begleiten“, erwiderte Bharos. „Wir
brauchen Raumhelme, Bodyskinanzüge, Vorräte und ein paar Ausrüstungsgegenstände, auch Waffen gegen wilde Tiere. Ab geht die Post!“ Er sprang indas obere Stockwerk, um den Fahrstuhl zu bedienen.
„Und wir haben eine prima Aufgabe“, sagte Brim. „Während ihr unterwegsseid, laden wir die Tiere aus.“
Die zerbrochene Kuppel
Einige Stunden später kletterte die Expeditionsgruppe aus dem Gleitbootund winkte Brim noch einmal zu. Der wedelte wild mit beiden Armen, dannsprach er etwas in das Mikrophon, offenbar den Befehl für den Start, dennwenig später hob das Boot sanft vom Boden ab. Schwatzmaul bewegte daskleine Raumfahrzeug zur EUKALYPTUS zurück.
Dort würden Karlie und Micel schon damit beschäftigt sein, einen Teil derkleinen Drachen in das zweite Gleitboot zu verladen. Brim würde das vonihm gesteuerte Boot ebenfalls beladen. Sicherlich waren mehrere Pendelflüge
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beider Boote nötig, bis alle Tiere ihre neue Heimat erreicht hatten. Aber dieZurückbleibenden hatten ja Zeit.
Viel Zeit durfte sich die Expeditionsgruppe dagegen nicht nehmen. Wasimmer mit Ollie passiert sein mochte: Mit jeder Stunde, die verstrich, konntedie Situation für den Kleinen womöglich gefährlicher werden. Voller Ungeduld warteten Harpo und seine Freunde darauf, Ollie helfen zu können.Wenn sie nur wüßten, wo sie mit der Suche anfangen sollten! Ein bißchenseltsam fühlte sich Harpo schon, als er vor dem leuchtenden Würfel standund in die rote, leblos wirkende Wüste hineinstarrte.
Als sein Blick auf die Gesichter seiner Freunde fiel, wurde ihm allerdingsrecht schnell klar, daß er mit diesem Gefühl nicht allein war. Auch dieanderen schauten ängstlich und trotzig zugleich auf das fremdartigePanorama – ängstlich, weil sie nicht wußten, was sie dort erwartete, und trotzig, weil sie dennoch den Kampf gegen das mysteriöse Gerät aufnehmenwollten.
Selbst Moritz, der Dackel, schnupperte skeptisch in Richtung des flirrendenEnergiefeldes. Das half ihm natürlich nichts, denn wie alle anderen steckte erin einem Raumanzug aus Bodyskin. Und da konnte er höchstens sich selbsterschnuppern. Aber es sah nicht so aus, als würde er das jemals einsehen.
Moritz’ Nase, so hofften die Kinder, würde ihnen einen guten Dienst erweisen. Sie hatten ihn eigens mitgenommen, weil er Ollies besondererLiebling war und deswegen am ehesten die Spur des Kleinen aufnehmenwürde. Natürlich erst zu einem späteren Zeitpunkt und selbstverständlichohne den Plexiglashelm, der seinen Kopf jetzt luftdicht umschloß.
Auch bei Trompo, jenem winzigen Wesen, das von einem fernen Planetenkam und äußerlich große Ähnlichkeit mit einem rosafarbenen Spielzeugelefanten aufwies, dabei aber hochintelligent war, hatte sich die Bordschneiderei besondere Mühe geben müssen, um einen enganliegendenAnzug zu konstruieren.
Nur einer zeigte sich unbeeindruckt: Lonzo. Er pfiff – grausig falsch – einfröhliches Piratenliedchen vor sich hin und hielt mit zweien seiner Tentakeleinen Rucksack auf dem Rücken fest. Sein Metallkörper war so glatt undrund, daß das Gepäckstück, welches Vorräte und Ausrüstungsgegenständeder Expedition enthielt, keinen rechten Halt fand. Aber Lonzo hatte daraufbestanden, sich wie alle anderen am allgemeinen Schleppen der Ausrüstungzu beteiligen.
„Ulkig“, meinte Alexander. „Was sind wir eigentlich jetzt: Bergsteiger oderRaumfahrer?“
„Laß mal“, antwortete Anca. „Diese Rucksäcke sind verdammt praktisch.Auch wenn wir jetzt aussehen wie ein Kommando der berittenen Gebirgsmarine.“
Alexander lachte brummend. Wenn ihm etwas besonders an der Spracheder Menschen gefiel, so waren das die Wortspielereien. Und natürlich die saftigen Piratenflüche, die Lonzo, wenn er in Rage war, ausstieß.
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Moritz, der die Stimmen über seinen Helmlautsprecher gehört hatte, belltefreudig. Der hintere Teil seines Bodyskinanzugs setzte sich wedelnd in Bewegung.
„Ob Ollie wirklich dort gelandet ist?“ fragte Harpo skeptisch. Er deutete mitdem Kopf auf die rote Wüste.
„Viel zu trocken für einen echten Seemann!“ stimmte ihm Lonzo zu. Aberseine Stimme klang ernster als sonst. Die Angst um Ollies Schicksal ersticktejeden Spaß.
„Wenn sich einer von uns daran erinnern könnte, welches Szenenbild derWürfel zeigte, als das Malheur passierte“, warf Bharos ein, „wäre alles vieleinfacher.“ Und damit hatte er recht. Unglücklicherweise hatte genau in demAugenblick, in dem Ollie in das Energiefeld hineingezerrt worden war, dasBild gewechselt. Und die Landschaft, in der Ollie verschwunden war, hatte soschnell einer anderen Platz gemacht, daß es für die entsetzten Umstehendenunmöglich gewesen war, sie im Gedächtnis zu behalten.
„Ich bin dafür, daß wir jetzt etwas unternehmen“, sagte Harpo ungeduldig.Wenn ihm schon nicht ganz wohl bei der Sache war, so wollte er sie wenigstens schnellstens hinter sich bringen.
„Klar!“ riefen Anca und Alexander. „Ist doch egal, wo wir anfangen!“„Wir nehmen, was kommt!“ ergänzte Lonzo.Harpos Finger bewegten einen Drehwiderstand, der an der Kontrollbox auf
seiner Brust angebracht war. Ihm war es zu warm, und mit dem Knopf konnte man die Temperatur regulieren. Normalerweise – wenn man keine besonderen Wünsche hatte – mußte man sich um diese Box nicht kümmern. Einkleiner Computer registrierte alle Meßdaten und veränderte sie bei Bedarfautomatisch. Das war auch der Grund, warum diese Apparatur den NamenKörperwächter trug: Von hier aus wurden die Sauerstoffvorräte gesteuert, dieHeizventile des Miniaggregats geöffnet oder geschlossen sowie die Preßluftpatronen bedient, die für einen leichten Überdruck innerhalb der Anzügesorgten, um sie prall zu halten. Der Körperwächter war sogar in der Lage,selbst konzentrierte Flüssignahrung direkt in die Venen zu spritzen, ohne daßman dabei etwa einen Schmerz spürte. Aber das war wirklich nur für einenNotfall gedacht. Wenn man die Wahl hatte, griff man natürlich lieber zurichtigem Essen, auch wenn es sich dabei nur um künstlich erzeugtes Synthofood handelte.
„Aufpassen, daß wir zusammenbleiben“, mahnte Harpo die anderen.„Sonst haben wir am Ende Ollie gefunden und sind doch nicht vollzählig.“
„Aber dieser Würfel“, warf Alexander irritiert ein, „wechselt sein Bild jenach Laune. Wenn wir Pech haben, landet jeder von uns auf einer anderenWelt.“
„Daran sollten wir lieber nicht denken“, unterbrach Harpo seineSchwester, die gerade ähnliche Bedenken anmelden wollte. „Solche Überlegungen können wir uns in dieser Situation nicht leisten. Auf jeden Fallmüssen wir alle möglichst gleichzeitig in den Würfel hineinhechten!“
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„Ha!“ schrie Lonzo. „Das ist für uns Seeleute doch überhaupt kein Problem!Schon mein alter Schulfreund Captain Kidd legte allergrößten Wert darauf,daß alle seine Freibeuter gleichzeitig in die Wanten kletterten oder dieEnterhaken schwangen. Wir stellen uns an allen Seiten des Würfels auf undspringen los, sobald das Nebelhorn erklingt!“
„Und wo kriegen wir ein Nebelhorn her?“ fragte Alexander ganz naiv.Harpo grinste.„Du mußt das Nebelhorn aber über Funk ertönen lassen“, sagte Anca, lach
te leise und stupste den Roboter in die Seite. „Sonst können wir nämlich unter unseren Raumhelmen nichts davon hören.“
„Au Backe, das hätte ich glatt vergessen!“ rief Lonzo und tänzelte aufgeregthin und her. „Ja, wenn wir unser Pummelchen ... äh, ich meine natürlich unser Fräulein Anca nicht hätten!“ Er flunkerte natürlich, denn ohne Zweifelwußte er sehr gut, daß ein normal ausgestoßenes Geräusch nicht an die Ohren seiner Freunde dringen konnte. Schließlich unterhielt er sich bereits dieganze Zeit mit ihnen über Funk. Da Lonzo als einziger keinen Raumanzugtrug – seinem Metallkörper konnte weder die giftige Atmosphäre eines unbekannten Planeten noch die Kälte des Weltraums etwas anhaben –‚ hatte erfrüher in solchen Situationen schweigen müssen. Aber inzwischen hatte manihm ein Funkgerät eingebaut.
Wieder wurde das vom Leuchtwürfel projizierte Bild in einen Wirbelflimmernder Farben gezogen. Eine neue Szene stabilisierte sich: Nacht,glitzernder Sternenhimmel, schattenhafte Umrisse. Das Bild blieb stabil.
„Jetzt ist die Chance am größten!“ rief Anca aufgeregt. „Laß uns jetztspringen!“
„Aber warum denn?“ wollte Alexander wissen. „Ollie ist doch in einer Weltverschwunden, in der es hell war.“
„Na und?“ entgegnete Anca. „Seither sind viele Stunden vergangen. Warumsoll es in dieser anderen Welt nicht inzwischen Nacht geworden sein?“
„Schon gut, schon gut“, gab Alexander brummend zu. „Ich gebe mich geschlagen.“
Die Expeditionsmitglieder nahmen um den Würfel herum Aufstellung, wiees ausgemacht war. Anca hielt Moritz ganz kurz an der Leine, damit er sichnicht selbständig machte und verlorenging.
Lonzo war ganz in seinem Element. Aufgeregt wirbelte er mit den beidenfreien Tentakeln herum und dirigierte die Mannschaft hin und her, bis alle sostanden, wie es seiner Vorstellung entsprach. Anca hatte den Dackel nundoch auf den Arm genommen, weil der ausgesprochen eigenwillige Hundmitunter genau das Gegenteil von dem tat, was man von ihm verlangte.Außerdem hätte Moritz doch einen ziemlichen Satz tun müssen, denn diemetallene Plattform des Transmitters war etwa fünfzig Zentimeter hoch.
„Achtung!“ schnarrte Lonzo. „Und ...“ Er ließ einen rostig klingenden, heulenden Ton über alle Funkkanäle sausen. Das Nebelhorn! Fast gleichzeitigwarfen sich die Freunde in das Feld hinein. Wie sie es schon bei Ollie vermu
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tet hatten, spürte jeder, daß er von einem Sog erfaßt wurde, der die noch imFreien baumelnden Beine förmlich mitzerrte.
„Uuuiiiiiii! Das ist ja wie auf einer Achterbahn!“ rief Anca. Harpo spürtezum ersten Mal nach langer Zeit wieder jene fast überwundene Angst, die ihnnoch vor zwei Jahren ständig überkommen hatte, wenn er im Begriff gewesenwar, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihm war, als würde er durcheinen engen, finsteren Schacht in eine bodenlose Tiefe stürzen. Tapfer biß ersich auf die Unterlippe. Er wollte nicht schreien. Die anderen waren ja beiihm. Nichts würde passieren. Alles würde gutgehen.
Dann fühlte er Metall unter den Füßen, eine glatte, harte Fläche. Das mußte die Plattform des anderen Transmitters sein, das Gegenstück – oder dieEmpfangsstation des Gerätes, von dem aus sie aufgebrochen waren.
Sie waren auf einer anderen Welt. Und obwohl er geglaubt hatte, in einenSchacht zu stürzen, waren sie keineswegs gefallen. Nein, die Plattform warganz plötzlich unter ihren Füßen.
Neben sich spürte Harpo jemanden zappeln. Er glaubte, daß es Anca war,doch konnte er es nicht genau erkennen. Die Augen mußten sich erst an dieFinsternis der Nacht und das spärliche Licht des Sternenhimmels gewöhnen.
Aber Lonzo wußte Rat. Er ließ an drei Stellen seines Körpers Öffnungen aufgleiten und fuhr Scheinwerfer aus. Als sie aufflammten und die Plattform unddie Besucher von der EUKALYPTUS hell erleuchteten, konnte man den Roboter selbst kaum erkennen. Lonzo sah wie ein kleiner Leuchtturm aus, als ersich drehte.
„Komisch“, rief Alexander, der als erster wieder reden konnte, „eigentlichmüßten wir doch jetzt unseren Absprungstransmitter sehen. Man sieht abernur die Umgebung unseres Standortes.“
„Entweder ist das eine besondere Eigenschaft dieser Maschine, oder es gibteine Sicherheitsschaltung, die verhindert, daß das Feld neu aufgebaut wird,bevor die Reisenden die Plattform verlassen haben.“ Es war Harpo, der dieseWorte aussprach.
„Oha“, bemerkte seine Schwester kichernd. „Du redest ja beinahe so schlauwie Thunderclap!“
„Matrosen!“ schrie Lonzo. „Sofort die Enterhaken klarmachen. Und dann:Auf mit Gebrüll!“ Erneut ließ er das infernalische Nebelhorn aus seinem Inneren erklingen. Ein Lärm, der selbst tote Piraten wieder auf die Beine gebracht hätte. Lachend kugelte die Mannschaft von der Plattform hinunter.
„Mächtig dunkel hier“, brummte Alexander.Damit hatte er recht. Es war kaum etwas zu erkennen. Aber sie lagen auf
felsigem Untergrund. Trotz der Bodyskinanzüge konnte man deutlich denrauhen, unregelmäßigen Boden spüren, der aus Staub, Geröll und größerenSteinbrocken bestand. Ein Grund mehr, sich aufzurappeln.
„Chissimatucki“, schrie Lonzo. „Jetzt habe ich überall an meinem herrlichen Körper diese ekligen blauen Flecke!“
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Alles kicherte. Dieser Lonzo! Wenn jemand von ihnen gegen blaue Fleckegeschützt war, dann er ganz allein. Selbst um eine Beule zu bekommen, hätteer sich unter eine Lawine legen müssen.
„Was hast du eben gesagt?“ fragte Anca neugierig.„Daß ich überall an meinem Körper blaue und grüne Flecke habe“,
jammerte der Roboter. Und mit einem kläglichen „O weh!“ drehte er sich rasend schnell um seine eigene Achse und ließ die Scheinwerfer tanzen.
„Nein, nein“, meinte Anca ungeduldig. „Vorher ... Chissi... Chissima...“„Chissimatucki!“ wiederholte Lonzo. „Das ist ein Geheimfluch, dessen
wahre Bedeutung nur Captain Kidd und ich kennen!“„Oh, bitte, Lonzo, verrate sie mir“, bettelte das Mädchen. „Ich sage es auch
gewiß nicht weiter!“„Tut mir leid, mein naseweises Schätzchen. Geheimfluch ist und bleibt Ge
heimfluch. Ich darf nichts sagen. Sonst klettert der alte Captain Kidd aus seinem Grab und läßt den armen Lonzo kielholen.“
Einen Moment lang waren alle vergnügt. Aber dann holte sie die Sorge umOllie wieder ein.
Die fröhlichen Gesichter wurden ernst.„Ihr solltet mal auf den Transmitter achten“, murmelte Harpo. „Wir
können nämlich nicht zurück. Wenigstens nicht auf die Welt, aus der wir gekommen sind.“
Er deutete auf den Leuchtwürfel, in dem jetzt die Landschaft eines Sumpfgebiets sichtbar war. Man sah einen kleinen Fluß mit tiefschwarzem Wasser,mehrere Tümpel, Morast und spitzes Gras. In der Ferne kreisten einige zerzaust wirkende Vögel über dem Schilf. Im Vordergrund gluckste das Wasser.Entweder gab es dort Fische, oder Faulgase stiegen an die Oberfläche.
„Puh“, machte Alexander und klapperte mit den Zähnen, „das sieht aberungemütlich aus.“
„Dahin will ich auf keinen Fall“, maulte Trompo.„Ich auch nicht!“ rief Anca. „Nur wenn uns gar keine andere Wahl bleibt.“„Sehen wir uns ein wenig um“, schlug Bharos vor.Die Expeditionsteilnehmer ließen ihre Blicke wandern. Der leuchtende Ku
bus gab jetzt so viel Licht ab, daß die nähere Umgebung genügend erhelltwurde, um einiges auszumachen. Dennoch schaltete Harpo seinen Brustscheinwerfer ein und leuchtete, gefolgt von den anderen, in die Ecken, diedas Licht bisher nicht erreichen konnte.
„Auch hier ist es nicht gerade gemütlich“, kommentierte Bharos. „Aberohne Zweifel war es hier früher anders.“ Er deutete mit ausgestreckter Handauf ein Gebilde mit eigenartig zerlaufenen Formen. An einigen Stellenschimmerte das Ding dort, wo der Staub es noch nicht bedeckt hatte,schwarz. Bharos berührte es und wischte den Staub von der Oberfläche.
„Metall“, gab er bekannt. „Sicher war das einmal eine Maschine. Aber jetztkann man nicht mehr erkennen, welchem Zweck sie früher gedient hat.“
„Seht doch mal!“ rief Alexander und deutete zum Himmel hinauf. „Überuns befindet sich eine gläserne Kuppel!“
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Tatsächlich! Sie hatte eine große Ähnlichkeit mit der durchsichtigen Überdachung, die die Zentrale des Raumschiffes EUKALYPTUS vor der Kälte unddem Vakuum des Weltraums abschirmte.
„Sie ist zersprungen!“ rief Anca.„Dort, die zackigen Kanten!“ piepste Trompo aufgeregt.„Was mag hier nur geschehen sein?“ grübelte Harpo laut vor sich hin.„Na, zunächst müssen wir wohl davon ausgehen, daß die Erbauer der
Transmitteranlagen sich aus unbekannten Gründen nicht mehr um ihrEigentum kümmern“, folgerte Bharos. „Und zwar tun sie dies schon langenicht mehr. Das Transmittersystem scheint vollautomatisch und selbstversorgend zu sein. Es hat all dies schadlos überstanden ...“
„Na, na“, mischte sich Lonzo ein, „sooo gut funktionieren diese vertracktenDinger ja nun auch wieder nicht!“
„Na ja“, gab Bharos zu. „Aber das System hat sich, in Anbetracht der Tatsache, daß es bestimmt seit sehr langer Zeit nicht mehr gewartet wird, relativgut gehalten. Immerhin kann es noch Personen befördern. Möglicherweisespeist es seinen Energiebedarf aus einer Quelle, die wir nicht kennen, dieaber immer noch nicht erschöpft ist. Ja, und dieses hier“ – er machte einegroßzügige Handbewegung, die alles umschloß, was sich in ihrem Blickfeldbefand –‚ „das könnte eine Station der Unbekannten gewesen sein.“
Harpo nickte.„Ich nehme an“, fuhr Bharos fort, „daß wir uns auf einem unbewohnbaren
Planeten, vielleicht auch auf einem Asteroiden befinden. Groß kann dieseWelt jedenfalls nicht sein, am Horizont erkennt man ihre Krümmung. Unddaß wir alle hier weniger wiegen, habt ihr sicher selbst schon gemerkt.“ Wiezur Bestätigung faßte Lonzo Ancas Hand und hüpfte mit ihr mühelos ausdem Stand einen Meter in die Höhe.
„Und was wollten diese Leute auf dieser kalten und leblosen Welt?“ fragteAlexander gebannt.
„Vielleicht haben sie hier seltene Erze gefördert. Und später durchschlugein Meteor die Schutzkuppel.“
„Damit konnte der kosmische Staub ungehindert eindringen“, warf Harpoein, „und legte sich wie ein graues Tuch über alles. Große und kleine Meteorelegten nach und nach die Gebäude in Trümmer, zerstörten die Maschinenund lösten dort, wo noch Energie war, Kurzschlüsse aus. Es entstandenelektrische Lichtbögen, die zerschmolzen, was in ihrem Bereich lag. Nur dasTransmitterfeld schützte sich und die Maschine vor der Zerstörung.“
„So wird es gewesen sein.“ Bharos nickte und registrierte mitVerwunderung Harpos Verlegenheit, die jedoch bald einem träumerischenBlick wich.
In der Tat musterte Harpo jetzt die staubverhangenen Umrisse der Maschine. Seine Phantasie fegte den Staub fort und machte die Zerstörungenrückgängig. Vor seinem geistigen Auge tauchten prächtige Gebäude auf, dieaus hohen Metallkugeln und Waben zusammengesetzt waren. Haushohe Maschinen fraßen Erze in sich hinein, polterten, knurrten, prusteten und stießen
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am anderen Ende lange Metallzylinder aus. Riesige Bergwerksmaschinen,Brecher, Schieber, Sauger, fuhren in den Fels hinein, zermalmten ihn und luden ihn auf Robotkarren und Förderbänder, damit den Fabrikmaschinen diegefräßigen Mäuler gestopft werden konnten.
Er schüttelte den Kopf und verscheuchte die Vision. Dann blickte er wiederauf die nahen und fernen Umrisse der bizarren Staubberge. Sah das da nichtwirklich wie ein Bagger aus? Und jenes Dreieck mochte ein Förderband gewesen sein. Eigentlich hatte Harpo große Lust, sofort zu erkunden, ob seineVermutung stimmte. Und was mochte noch an Schätzen in den erhaltengebliebenen Gebäudeteilen zu finden sein?
„Ich würde ja zu gerne wissen, wie das früher hier ausgesehen hat“,murmelte Harpo. „Oder herumbuddeln. Aber schließlich suchen wir Ollie. –Mensch, der Winzling muß, wenn er hier gelandet ist, längst erfroren sein.“
„Nicht nur das“, fügte Bharos hinzu. „Ohne Raumanzug wäre er sofort totumgefallen.“
„Was redet ihr denn da für dummes Zeug?“ machte sich nun Anca Luft. DieVorstellung, daß dem Kleinen etwas zugestoßen sein könnte, wollte sie soweitwie möglich von sich schieben. „Ihr seht doch, daß Ollie nicht hiergewesenist, daß er gar nicht hiergewesen sein kann! Wenn es stimmt, was Bharos sagt,hätte er keine Gelegenheit gehabt, sich von der Plattform zu entfernen. Undsolange sie besetzt gewesen wäre, hätten wir niemals hier landen können!“
„Schwesterlein“, sagte Harpo seufzend und legte einen Arm um AncasSchulter, „jetzt hast du aber so messerscharf kombiniert wie FreundThunderclap! Und du hast recht. Ollie kann wirklich nicht hiergewesen sein.“
„Worauf warten wir dann noch?“ brummte Alexander und fletschte dieZähne. „Nichts wie rein in die nächste Welt!“
„Chissimatucki!“ krächzte Lonzo unternehmungslustig. „Ich will nicht indiesen gräßlichen Sumpf. Ich will ...“
„Juchhu!“ unterbrachen ihn die anderen. Das Würfelfeld war in den schonbekannten Farbenwirbel gekippt und hatte sich neu stabilisiert.
Vor ihnen lag ein dunkles Etwas, vielleicht eine Höhle. An einer Seite, dort,wo der Eingang war, leuchtete es tief rot.
Die Stadt der silbernen Brücken
Erneut fielen sie durch einen dunklen Tunnel, der sie durch Raum und Zeittransportierte. In Wahrheit wurden ihre Körper in ein Muster aus Atomenaufgelöst und am Ziel der Reise nach eben diesem Muster erneut zusammengesetzt. Kein angenehmer Gedanke, aber nach ihren bisherigenErfahrungen doch nicht so risikoreich, wie man befürchtet hatte.
Das Bild des Würfels hatte sie nicht getäuscht. Auf der Plattform der Empfangsstation angekommen, sahen sie sofort, daß sie tatsächlich im Innern
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einer Höhle gelandet waren. Ein aufmunterndes Kommando von Lonzo erübrigte sich also. Blitzschnell robbte die ganze Gesellschaft nach vorn undfand sich abermals auf felsigem Boden wieder.
Hier war es heller als auf der Welt, die sie soeben verlassen hatten. Aber dashieß noch lange nicht, daß etwa strahlender Sonnenschein vom Höhleneingang her in das Innere fiel. Es herrschte ein diffuses rotes Zwielicht.
„Warum die wohl den Transmitter in einer Höhle versteckt haben?“ meinteHarpo verwundert und richtete seinen Scheinwerfer gegen die Decke. Hiergab es außer dem vertrauten Bild der Plattform nicht viel zu sehen. Die Höhleendete wenige Meter entfernt an graurotem Fels. Nicht ein einziger Tunnelstrang führte weiter in das Innere des Berges hinein und regte die Phantasieder Expeditionsmitglieder an. Die Grotte war gerade groß genug, um denTransmitter zu fassen, und bot außer dem Anblick rohen Gesteins nichts vonInteresse. Wenn es auf dieser Welt Geheimnisse zu erkunden gab, dann dortdraußen, wo das rote Licht lockte. Die Besatzung der EUKALYPTUS rappeltesich vom Boden auf und kletterte über verstreut herumliegendes Geröll insFreie. Dort blieben sie erst einmal alle stehen und bestaunten die Umgebung.
„Möööönsch, ist das eine dicke, rote Sonne!“ rief Anca und deutete auf denriesigen Feuerball, der fast ein Viertel des Himmels einnahm, dabei abertrotzdem erstaunlich wenig Licht abgab.
Eigentlich sah diese Sonne sehr müde und alt aus.„Habt ihr eigentlich schon gemerkt“, meldete sich Bharos, „daß es hier
nicht nur eine Sonne gibt, sondern noch vier weitere?“Alle sahen zum Himmel hinauf. Man konnte in die dicke, rote Sonne
schauen, ohne daß einen dabei die Augen schmerzten. Die Plexiglashelme,die aus einem Spezialglas bestanden und sich bei intensiver Sonnenbestrahlung verdunkelten, um die Augen zu schützen, hatten sich kaum verfärbt.Bharos hatte recht.
Der Gigant wurde von vier weiteren kleinen Sonnen umkreist, die weißgelbes Licht ausstrahlten, aber so klein aussahen, daß man sie für besondershelle, aber weit entfernte Sterne halten konnte.
Vielleicht waren sie aber gar nicht so klein, sondern wirkten nur so. Dasganze System, das wie ein Rad mit der roten Riesensonne als Nabe aussah,mochte so weit von diesem Planeten entfernt sein, daß die Begleitsonnen inWahrheit nicht kleiner waren als andere Sonnen auch.
„Seht euch mal die Umgebung an“, schlug Harpo vor, „und überlegt, obOllie hiergewesen sein kann.“
„Ein altes Piratensprichwort lautet“, sagte Lonzo und kicherte, „daß der,der immer nur zu den Sternen aufblickt, bald auf der Nase liegen wird.“
„Wenn er hier war“, meldete sich der kleine Trompo zu Wort und zeigte mitdem Rüssel auf eine Art Pfad, der den Berg hinabführte, „müßte er dort hinabgeklettert sein. Nicht einfach, mit heilen Knochen hinunterzukommen,aber man könnte es schaffen.“
„Das hat Ollie bestimmt getan!“ rief Anca. „Wo er doch so gerne herumkraxelt.“
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„Fragt sich nur, was er dort unten wollte“, erwiderte Harpo. „Und überhaupt ist mir total unklar, wieso der Transmitter an einer solch unzugänglichen Stelle aufgestellt wurde.“
Sie standen nämlich auf einem Felsplateau, das auf der einen Seite vondem schroffen, steil aufragenden Berg mit der Höhle fast umschlossen wurde,während es nach vorne ziemlich steil in die Tiefe ging. Zur Rechten gab esweitere Berge und eine finstere Schlucht, durch die ein so heftiger Wind pfiff,daß es hier noch an ihren Rucksäcken zerrte.
„Das kann ich dir sagen“, erklärte Alexander mit stolzgeschwellter Brust.„Erstens wollten die Erbauer nicht, daß jemand über die Anlage stolpert. Darum haben sie sie versteckt. Das deutet darauf hin, daß der Planet bewohnt ist.Oder zumindest war. Und was deine erste Frage betrifft: Vielleicht wollte Olliein die Stadt gehen.“
„Noch ein eiskalt kombinierender Thunderclap!“ stöhnte Anca.„Eine Stadt?“ fragte Harpo verdutzt. „Was? Wo? Wie?“„Du hast scharfe Augen“, lobte Bharos den jungen Rotpelz vom Planeten
Nordpol. „Es ist wirklich eine Stadt, wenn sie auch sehr seltsam aussieht.Kommt mal alle zu mir herüber – dann könnt ihr sie besser sehen.“
„Die Großen sind im Vorteil, das ist ungerecht“, protestierte Trompo, aberer folgte wie die anderen Bharos’ Wink, der sich nun ganz weit nach links biszum Rand des Plateaus hin bewegt hatte.
Jetzt konnten sie sie alle sehen. Selbst der Dackel Moritz bellte die fernenTürme an, die bisher durch einen dicken Felsbrocken zum größten Teilverdeckt gewesen waren.
„Toll!“ sagte Harpo.Alle verharrten einen Moment lang in stummer Bewunderung und starrten
zu der mysteriösen Stadt. Eine Unzahl von schlanken Türmen ragte in denHimmel. Zwischen ihnen hing ein silbernes Gespinst graziös geschwungenerBrücken, das wie ein mit Rauhreif überzogenes Spinnennetz aussah.
Lonzo unterbrach die Andacht. „Wenn ihr wollt, könnt ihr jetzt die Goldfischgläser von den Köpfen nehmen“, verkündete er. „Die Atmosphäre istatembar und enthält keine für uns Menschen schädlichen Beimengungen.Auch für Akkais und Rotpelze – und kleine rosa Elefanten – ist sie nichtschädlich. Richtige Seebären können sich hier mal eine echt steife Brise umdie Ohren wehen lassen.“
Das mußte er natürlich nicht zweimal sagen. Sofort nestelten zahlreicheFinger an den Verschlüssen herum und klappten die Helme nach hinten. Tiefatmeten alle die kühle Luft ein, während der Wind durch ihre Haare fuhr.
„Brrrrr, ist das kalt“, schnatterte Anca. „Beinahe wie auf Nordpol!“„Ja“, stimmte Alexander ihr freudig brummend zu, „das ist wirklich herr
lich!“ Er fletschte die Zähne und schnupperte. Die frostige Luft war zwarnicht mit der seines Heimatplaneten zu vergleichen, aber immerhin. Nachder Hitze auf der EUKALYPTUS war dies für den Kälte gewohnten Rotpelzeine richtige Erfrischung.
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„Ich habe rein zufällig einen größeren Posten Pudelmützen dabei“, beeiltesich Lonzo zu versichern. „Wer will, kann sie sich über die Ohren ziehen!“
Schon öffnete er seinen Rucksack und begann, blaue Mützen zu verteilen.Selbst Anca nahm eine und zog sie so weit über die Ohren, daß man ihrGesicht kaum noch erkennen konnte. „Du bist mir einer!“ Sie lachte. „Hastdu nicht gesagt, in dem Rucksack wären deine Vorräte?“
„Sind das etwa keine Vorräte?“ gab Lonzo scheinheilig zurück und stülptesich dann selbst seine geliebte Matrosenmütze über den Metallkopf. DieBänder flatterten im Wind, und der Himmel mochte wissen, wieso die Mützenicht fortgeweht wurde. „Mir nach!“ jauchzte er, schlug zweimal ein Rad aufseinen Tentakeln, kullerte über das Geröll und wäre fast den Abhang hinuntergepurzelt, wenn er sich nicht im letzten Moment an einer Felsspalte festgekrallt hätte. „Hoppla!“ meinte er nur. Die Mütze trug er immer noch undden Rucksack auch.
Die anderen hatten ihm mit immer blasser werdenden Nasenspitzen zugesehen und atmeten auf, als er sich wieder auf die dürren Beine zog.
„Laß den Unfug sein!“ knurrte Alexander. „Da kann einem ja vor Schreckdas Herz stehenbleiben!“
„Jawohl!“ sagte auch Harpo. „Wir haben schon viel zu viel Zeit verplempert.Schluß mit dem Unsinn. Wir müssen endlich den armen Ollie finden! Sonstkönnte es zu spät sein.“ Anca hatte Mühe, Moritz zu halten. Während sie ihmden kleinen Raumhelm abzunehmen versuchte, wollte der Dackel mit allerGewalt hinter Lonzo her, um mit dem radschlagenden Roboter zu spielen.
„Such Ollie! Such!“ rief Anca, als sie den Helm zurückgeklappt hatte.Moritz schoß wie ein geölter Blitz hinter Lonzo her und versuchte laut blaf
fend, einen von dessen schlangenähnlichen Fangarmen zu erwischen. Ermachte wirklich einen Heidenspektakel.
„Schöner Spürhund!“ schimpfte Anca und lachte sich schief, als sie Lonzolaut kreischen hörte, man solle den Drachen vertreiben, der ihm, dem tapferen Ritter Hughbold von Asutria, auf den Fersen sei.
Moritz, der sich überhaupt nicht für einen Drachen hielt, wedelte eifrig mitdem Schwanz, schnupperte dann jedoch interessiert an den Steinen herum,hob schließlich sogar trotz des ihn umgebenden Raumanzuges ein Hinterbein und versuchte, gegen einen Felsen zu pinkeln.
Das Gelächter, das ihm nun aus allen Richtungen entgegenschlug, führtedazu, daß Moritz verwirrt von einem zum anderen äugte und dem in die Tiefeführenden Pfad folgte.
„Sieht nicht gerade so aus, als ob Moritz uns weiterhelfen könnte“, kommentierte Bharos. „Wir müssen uns schon selbst entscheiden, in welcheRichtung wir lostigern.“
„Wenn Ollie wirklich hiergewesen ist, dann ist er auch hier runtergeklettertund hat die Stadt erforscht!“ behauptete Anca fest.
Niemand zweifelte daran, und damit war die Entscheidung der Expeditionsteilnehmer gefallen. Sie würden der Stadt der silbernen Brücken einenBesuch abstatten!
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Die singenden Türme
Seit drei Stunden waren sie nun unterwegs. Längst hatten sie den Geröllpfad verlassen. Jetzt gingen sie auf einer breiten Straße.
Seltsam, daß sich außer ihnen nichts regte. Seltsam auch, wie alt und rissigder Kunststoffbelag der Straße aussah. Man konnte meinen, daß sich hier seithundert Jahren oder mehr weder Fußgänger noch Fahrzeuge vorwärtsbewegthatten. Der mächtige Wind aus der Schlucht blies unerbittlich über die Ebeneund fegte jedes Staubkorn fort. Niemand konnte mit letzter Gewißheit sagen,ob der kleine Oliver diesen Weg gegangen war oder nicht. Moritz schnüffelteweiterhin nur mäßig interessiert.
Aber der Planet war nicht ohne Leben. Fremdartige, baumhohe Schlinggewächse hatten die Ebene vor der Stadt erobert und reckten ihre gespenstischen, schlangengleichen Arme bisweilen so weit in die Straße hinein, daßdie Gruppe es vorzog, sicherheitshalber im Gänsemarsch in der Straßenmittezu gehen. Wenn sich die Äste auch nicht bewegten, sondern höchstens hierund da mal im Wind schwankten – sie wirkten irgendwie bedrohlich und sahen aus, als könnten sie jeden Moment zum Leben erwachen und wie Fangarme nach ihnen greifen.
Eigenartiger als die rissige Straße und die seltsamen Gewächse war jedochetwas anderes. Es wurde deutlicher, je mehr sie sich der Stadt näherten. EineArt von Musik lag über der Ebene, Töne, die sich anhörten, als würde jemandauf einer Orgel spielen, die nur noch aus wenigen heilen Orgelpfeifen besteht. Die Musik kam aus der Stadt. Sie klang seltsam fremd, zerrissen unddüster.
„Weißt du, was ich glaube?“ fragte Harpo seine Schwester. „Ich glaube, daßdiese Geräusche gar nicht von Leuten in der Stadt gemacht werden. Es ist dieStadt selbst, die diese Töne von sich gibt. Der Wind streicht an den schlankenTürmen vorbei und spielt dabei auf ihnen wie auf Musikinstrumenten.
„Aber warum?“ fragte Anca zurück. „Der Wind ist doch kein intelligentesGeschöpf. Und trotzdem hören sich die Geräusche wie Musik an. Alles istso ... so traurig.“
„Es paßt zu diesem Planeten und zu dieser Stadt“, sagte Bharos. „Ich weißzwar auch nicht, wie diese Musik entsteht, aber sie scheint zu diesem Planeten zu gehören. Seht euch die düsterrote Landschaft an oder die sterbenderote Sonne. Dort links – sind das nicht Reste einstiger Türme? Sind nicht sogar die meisten Türme der Stadt verfallen, nur noch Ruinen? Ich glaubeimmer mehr, daß wir uns auf einer dem Untergang geweihten Welt aufhalten. Wer weiß, ob noch jemand in der Stadt lebt.“
„Das hört sich ja richtig unheimlich an“, meinte Anca.„Wo sollen die Bewohner denn geblieben sein?“ fragte Alexander, der am
Ende der Gruppe marschierte.Niemand antwortete. Harpo lag es auf der Zunge, Bharos zu fragen, ob er
mit seinen telepathischen Fähigkeiten die Anwesenheit Ollies oder eines
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anderen Stadtbewohners nicht spüren könne, aber er ließ es bleiben. Erstenswaren sie wohl noch nicht nahe genug, und zweitens würde Bharos schonBescheid sagen, wenn er fremde Gedanken auffing. Er wandte sich dennochzu Bharos um – und sperrte die Augen auf. Wo sich eben noch der Akkai befunden hatte, war jetzt niemand. Bharos war verschwunden. Von einer Sekunde zur anderen hatte er seinen Körper durch reine Geisteskraft von einemOrt zum anderen bewegt. Das war für die Kinder eigentlich keine Überraschung mehr, da früher ein Junge namens Lucky Cicero unter ihnen gewesenwar, der das auch konnte. Lucky lebte allerdings schon seit längerem nichtmehr auf der EUKALYPTUS: Zusammen mit einer ganzen Reihe andererKinder war er auf dem Planeten Nordpol zurückgeblieben, von dem Alexander stammte.
Die Fähigkeit der Teleportation war nur eine von mehreren anderen, derersich der Akkai bedienen konnte. Zaubern konnte Bharos allerdings auchnicht. Das Teleportieren kostete ihn viel Kraft und Konzentration und warüber große Strecken hinweg sogar fast unmöglich. Wahrscheinlich hatte er solange mit seinem Plan gewartet, bis sie der Stadt nahe genug gekommenwaren.
„Verschwindet einfach, ohne was zu sagen“, murrte Harpo. „Sollen wir nunweitergehen, oder warten wir lieber, bis Bharos zurück ist?“ wollte Ancawissen. „Mir tun nämlich die Füße weh.“
„Mir auch!“ schrie Lonzo. „Mir auch!“ Und er fing gottserbärmlich an zustöhnen, obwohl ihm natürlich überhaupt nichts weh tun konnte. Aber daszuzugeben hätte ja womöglich bedeutet, daß er sich selbst für einen Roboterhielt. Da allen nach einer Pause zumute war, gab es nicht viel zu überlegen.Sie ließen sich einfach auf dem Kunststoffbelag der Straße nieder, strecktenalle viere von sich und machten es sich bequem.
Selbst Moritz war müde geworden, gähnte und streckte die Schnauze zwischen die Vorderpfoten.
Eine Weile war es ziemlich still, weil alle zu faul waren, auch nur ein Wortzu sagen. Planetenabenteuer waren ganz schön anstrengend, und außerdemzerrte diese Welt mit ihrer Gravitation an ihren Körpern. Hier war es nichtmöglich, aus dem Stand heraus meterhohe Luftsprünge zu machen wie aufdem Planeten mit der geborstenen Kuppel.
Sie alle waren an das künstlich erzeugte Schwerefeld der EUKALYPTUS gewöhnt, dessen Werte knapp unter denen der Erde lagen. Im Gegensatz dazuwog der menschliche Körper hier noch ein bißchen mehr als auf der Erde.Wer für gewöhnlich 120 Pfund wog, mußte hier vielleicht 130 oder gar 140Pfund mit sich herumschleppen – und dazu noch den Rucksack. Das machtesich unangenehm bemerkbar, zumindest dann, wenn man stundenlang übereinen Gebirgspfad geklettert war. Der Rückweg würde sie, da es dann bergaufging, noch mehr schlauchen.
Schließlich fiel Alexander ein, daß er Hunger hatte. Er holte eine Schachtelmit kalten Kartoffelpuffern heraus, die ihnen Karlie vorsorglich eingepackt
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hatte, und begann, wie ein Höhlenbär zu schmatzen. Kichernd folgten dieanderen seinem Beispiel.
Harpo war schließlich der erste, der sich aufrichtete und sagte: „Bharoswollte sich doch bestimmt nur ganz kurz umsehen und zurückkommen! Damuß etwas passiert sein. Junge, Junge, jetzt haben wir auch Bharos verloren!“
„Nun mal langsam“, meinte Alexander. „Ihr wißt doch, daß sich Bharosmeistens zu helfen weiß, wenn er in Schwierigkeiten kommt. Ein bißchensollten wir noch warten.“
„Hmmm“, brummte Harpo, „warten wir noch fünf Minuten, dann machenwir uns aber auf die Socken. Irgend etwas stimmt da wirklich nicht.“
Er schwieg und überlegte kurz, ob er Bharos über Funk suchen sollte. Aberdas war wohl sinnlos, da auch die Helmfunkgeräte eine begrenzte Reichweitehatten. Anders wäre das natürlich gewesen, wenn sich die EUKALYPTUS mitihren mächtigen Verstärkern in der Nähe aufgehalten hätte. Dank Schwatzmauls Unterstützung hätten sie dann auch über weitere Strecken miteinander sprechen können. Die Funkwellen wurden in einem solchen Fall vomBordcomputer aufgespürt, verstärkt und wieder abgestrahlt.
Die fünf Minuten vergingen, ohne daß Bharos zurückkehrte. „Also los“,meinte Alexander und setzte sich als erster in Bewegung. Lonzo heftete sichvoller Tatendrang sofort an seine Fersen. Die anderen folgten den beiden miteher gemischten Gefühlen.
Die Straße führte geradewegs auf die phantastische Stadt zu. Immer deutlicher wurde beim Näherkommen, wie stark der Zahn der Zeit an den Türmen,Brücken und Gebäuden genagt hatte. Einzelne Türme waren zusammengefallen, und das silberne Netz der Brücken sah aus, als hätte einSturm in einem Spinnennetz gewütet.
Verbindungsstreben hingen herab, zerborstene Metallgitter ächzten imWind, und an einigen Stellen gab es nur noch Fragmente der einstigen Netzstruktur. Rußgeschwärzter Stahl zeigte an, daß hier ein gewaltiges Feuer gewütet hatte. Aber nicht allein die Zerstörungen fielen den Ankömmlingen auf.Die Mauern einiger mächtiger Gebäude wirkten so makellos glatt, als hättenunbekannte Baumeister sie erst vor wenigen Tagen in die Höhe gezogen.Zwischen zwei Gebäudeblöcken dieser Art führte die Straße schnurgerade indie Stadt hinein. Hoch über den Köpfen der Expeditionsmitglieder öffnetensich die ansonsten fensterlosen Gebäude zu Balkons, Galerien und Plattformen mit dahinterliegenden dunklen Tunnelhöhlen.
„Was hältst du davon?“ fragte Anca, tippte Harpo auf die Schulter und deutete auf die in luftiger Höhe angebrachten Terrassen.
„Wer sich dort hinaufwagt, muß schwindelfrei sein.“„Nicht nur das“, warf Trompo ein. „Bei dem Wind muß man ganz schön
aufpassen, daß man nicht weggeweht wird.“„Vielleicht besaßen die Bewohner dieser Stadt Flügel“, vermutete Anca.„Kann sein“, meinte Harpo.
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„Wahrscheinlich ist die Lösung viel einfacher“, mischte sich nun Alexanderein. „Von hier unten sehen die Plattformen klein aus, in Wahrheit sind sieaber vielleicht so groß, daß Hubschrauber auf ihnen landen können.“
„Schon möglich“, sagte Harpo. Seine Worte wurden beinahe von den Geräuschen der singenden Türme verschluckt, die jetzt wieder zu einem phantastischen Konzert ansetzten. Eine Weile hatten sie nur still vor sich hingesummt, aber jetzt stimmten mehrere von ihnen zugleich ein Klagelied an.
Als sie das Eingangsgebäude hinter sich gelassen hatten, passierten sie eineBrücke. Darunter floß ein dunkles Gewässer. Die Straße schraubte sich nunlangsam höher und führte in tausend Verästelungen zu den silbernenBrücken empor und von dort aus zu den Türmen. Unter ihnen lag ein Gewirrvon Kanälen, auf deren schwarzer Wasseroberfläche die düsteren Reflexe derroten Sonne glitzerten. „Wie sollen wir in diesem Durcheinander von Straßenund Brücken Bharos oder gar Ollie finden?“ fragte Alexander.
„Am besten überlegen wir uns, welche Gebäude Ollie oder Bharos ammeisten interessiert haben könnten“, schlug Anca vor. „Und dort suchen wirsie zuerst!“
„Klar!“ stimmte Harpo zu. „Erst mal dorthin, wo es am geheimnisvollstenaussieht. Ich würde sagen: Schauen wir uns den nächstgelegenen Turm malvon innen an.“
„Endlich!“ sagte plötzlich hinter ihnen eine vertraute Stimme, und alle fuhren wie elektrisiert herum. Nur wenige Meter von ihnen entfernt war Bharosaufgetaucht und lächelte ihnen zu. Von Ollie war jedoch keine Spur.
„Tut mir leid, daß ich so plötzlich verschwunden bin“, sagte Bharos zerknirscht. „Aber vielleicht versteht ihr mich, wenn ich euch gestehe, daß dieNeugierde mit mir durchgegangen ist. Ich konnte mich einfach nicht beherrschen!“
„Du hast einen Schatz gewittert, wetten?“ krähte Lonzo rostig. „Das entschuldigt natürlich alles! Captain Kidd erging es genauso: Ihm mochtenschon die Kanonenkugeln um die Ohren fliegen – wenn er auf einen Schatzgestoßen war, ließ er alles stehen und liegen und starrte ihn erst einmal eineStunde und neunundzwanzig Sekunden lang in stummer Andacht an.“
„Nein, nein“, wehrte Bharos lachend ab. „Ich ...“„Du hast Ollie gefunden!“ triumphierte Alexander.Ehe ein allgemeiner Jubel ausbrechen konnte, schüttelte der Akkai rasch
den Kopf, um nicht falsche Hoffnungen in den Kindern zu wecken. „Leidernein“, fuhr er fort, „aber ich weiß inzwischen, daß er hier nicht war! Das warauch der Hauptgrund für meine unbeabsichtigt lange Abwesenheit. Ich binaus purem Zufall in eine Art Informationszentrum geraten, wo bereits beimEintritt eine Lautsprecherstimme auf mich einredete. Sie wurde von einemComputer erzeugt, und mit Hilfe meines Translators gelang es mir, die Sprache zu übersetzen. Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis ich begriff, wasdieser Computer mir mitteilen wollte. Er überschüttete mich förmlich mit Informationen. Als ich dann begann, gezielte Fragen zu stellen, erfuhr ich, daßder letzte Besucher vor uns vor sechsundsiebzig Jahren die Stadt betreten
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hat. Ollie war also nicht hier. Ja, und dann habe ich euch gesucht und konnteeuch zunächst nicht finden. Wie ihr merkt, hat es eine Weile gedauert, bis icheuch auf die Spur kam.“
„Es war trotzdem nicht richtig, einfach wortlos zu verschwinden“, schimpfte Anca. „Wirklich, Bharos, du hättest uns vorher Bescheid geben sollen. Wirhaben uns große Sorgen gemacht!“
„Du hast ja völlig recht, Anca“, gab Bharos kleinlaut zu. „Ich will so etwasauch nicht wieder tun. Da habt ihr es: Obwohl ich euer Urururgroßvater seinkönnte, benehme ich mich manchmal nicht anders als der kleine Oliver!“
„Hmmmm“, machte Harpo. „Dann können wir uns jedenfalls weiteres Suchen in der Stadt ersparen. Machen wir uns auf die Socken. Zurück zumTransmitter! Wir müssen Ollie finden – und wir müssen ihn bald finden.Wenn allerdings unsere Pechsträhne anhält, dann ...“
Die Gruppe setzte sich in Bewegung.„Und unterwegs kannst du uns erzählen, was du über die seltsame Stadt
erfahren hast“, meinte Anca.„Sicher“, antwortete Bharos. „Mach’ ich.“„Was sollen die Türme?“ fragte Alexander neugierig. „Und warum diese
Musik?“„Oh“, sagte Bharos. „Was wir von der Musik hören, ist nur noch ein Rest
der früheren Klangfülle. Stellt euch vor: Diese Stadt wurde erbaut, um Musikzu machen. Windmaschinen, von Computern gesteuert, ließen den Windgegen die Türme blasen und erzeugten damit Töne, die sich zu einem Musikstück zusammenfügten.“
„Aber warum?“ fragte Harpo ungeduldig.„Das habe ich Martin auch gefragt. Er zeigte mir ...“„He!“ unterbrach Alexander. „Wer ist Martin? Lebt doch jemand in der
Stadt?“„Ach, entschuldigt“, antwortete Bharos. „Martin – so habe ich den Compu
ter genannt, als ich mich mit ihm unterhielt. Wie gesagt, er zeigte mir Filmeaus der Vergangenheit der Stadt. Ich sah Menschen, es müssen Menschenvon eurer Erde gewesen sein! Sie erbauten diese Stadt, um ein Fest zu feiern.Dieser Planet, den sie Worlorn nannten ...“
„Aber es können doch unmöglich Menschen von der Erde gewesen sein!“protestierte Anca.
„Nun laß ihn doch mal ausreden!“ schimpfte Harpo.„Nun, dieser Planet ist ein kosmischer Vagabund, der nur zufällig in den
Anziehungsbereich der roten Sonne geriet und sich bereits wieder von ihrentfernt. Offenbar gibt es in der Nähe mehrere bewohnte Planeten. Die Bewohner nutzten die Gelegenheit, um ein großes Fest zu feiern. Jeder Planetbaute eine Stadt, nur für diesen Zweck. Dann überließ man alles sich selbst.Was wir sehen, sind die Reste dieses großen Ereignisses ...“
„Also gibt es noch andere Städte?“ Das war wieder Anca, die fragte.„Ja, aber sie sehen nicht viel anders aus als diese hier. Der Planet stirbt, die
Menschen haben ihn aufgegeben.“
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„So was“, sagte Harpo kopfschüttelnd. „Eine ganze Stadt als Musikinstrument zu bauen.“
Inzwischen hatten sie den Rand der Stadt erreicht und betraten die rissigeStraße, die in die Berge führte. Bald schon sahen die Türme nur noch wieSpielzeug aus, und die Musik wurde zu einem leisen Säuseln. Dann begannder mühselige Aufstieg zum Transmitter.
„Seltsam“, sagte Harpo, den die Geschichte dieser Stadt noch immer nichtlosließ. „Du sagst, daß die Leute in diesen Filmen wie Menschen aussahen.Ich frage mich, ob es tatsächlich Menschen waren.“
„Seltsam wäre das schon“, sagte Bharos und runzelte die Stirn.„Schau mal“, versuchte Harpo zu verdeutlichen, „wir wissen ja bereits seit
geraumer Zeit, daß wir Menschen nicht die einzigen intelligenten Wesen imAll sind. Wir haben auf unserer bisherigen Reise zwar schon mehr als einhalbes Dutzend Völker kennengelernt, aber nie waren Wesen dabei, die unszum Verwechseln ähnlich sahen!“
„Was willst du damit sagen?“ fragte Alexander, der Harpos Worten mitbesonderem Interesse gelauscht hatte. „Daß es keine anderen Wesen gibt, diegenau wie ihr aussehen?“ Harpo zuckte mit den Schultern und machte sichan den Aufstieg. „Ich weiß nicht. Vielleicht sind wir wirklich die einzigen, dieso aussehen, und die Bewohner dieser Stadt waren tatsächlich Menschen,nur andere eben.“
„Hmm“, machten Bharos, Anca und Lonzo gleichzeitig.„Wer weiß, ob uns der Transmitter vielleicht nicht nur durch den Raum
führte, sondern auch noch durch die Zeit. Vielleicht hat Bharos Szenen auseiner fernen Zukunft der Menschheit gesehen, die für uns nun bereitsVergangenheit ist. Man hätte den Computer fragen sollen, ob er den NamenErde kennt.“
„Aber ...“ begann Anca, doch dann verstummte sie. Eigentlich hatte siefragen wollen, wovon überhaupt die Rede war. Aber gerade noch rechtzeitigwar ihr eingefallen, daß sie nicht zum erstenmal seltsame Erfahrungen mitdem Ablauf der Zeit machten. Sie selbst wußte aus den Physikstunden unterSchwatzmauls Anleitung, daß ein fester Zeitablauf mit einem bestimmten Ortim Universum, zum Beispiel dem Planeten Erde, verbunden war. RelativeZeit nannte man das. Wie der große Physiker Einstein herausgefunden hatte,veränderte sich der Ablauf der Zeit, wenn man sich in einem Raumschiff vomursprünglichen Bezugssystem löste und dabei in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit kam. An Bord herrschte dann eine eigene Zeit, die viel langsamer als die auf dem Planeten Erde verlief, obwohl die Beteiligten selbstnichts davon bemerkten. Erst nach der Rückkehr wurde deutlich, waspassiert war – wenn auf der Erde vielleicht schon einige hundert Jahre verstrichen waren, während die Raumfahrer nur wenige Jahre im Weltraum verlebthatten. Richtig bunt wurde es jedoch erst, wenn die Lichtgeschwindigkeit –die Einstein noch als höchstmögliche Geschwindigkeit im Universum angesehen hatte – überschritten oder, das war Thunderclaps Theorie, durch dieExistenz von RaumZeitFalten überlistet wurde. Dann nämlich schienen alle
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bekannten Gesetze über Raum und Zeit verrückt zu spielen. So etwas warpassiert, als sich die EUKALYPTUS aus dem Erdumlauf gelöst hatte. Undanderen war es ähnlich ergangen. Wie wäre es sonst zu erklären gewesen, daßdie Schiffbrüchigen der AESCLIPUS – mit denen die Besatzung der EUKALYPTUS in einem ihrer letzten Abenteuer zusammengetroffen war – 128 Jahre vor der EUKALYPTUS gestartet waren? Daß sie sich in einem Raumsektoraufhielten, den ihre kleine Raumjacht zu Lebzeiten der Besatzung niemalshätte erreichen können, wenn sie innerhalb der Lichtgeschwindigkeit geblieben wäre?
„Noch ist Gelegenheit, die versäumten Fragen nachzuholen“, meinte Bharos. „Wir könnten umkehren ...“
Harpo dachte an die zerfallenen Türme und die traurige Musik. Erschüttelte sich. „Nein“, sagte er dann seufzend, „man muß nicht jedes Rätsellösen wollen. Laßt uns lieber alles daransetzen, unseren verschwundenenKumpel Ollie wiederzufinden.“
Der Große Shuubuu
Obwohl der Bildwürfel des Transmitters eine freundliche, sonnenbeschienene Waldlandschaft gezeigt hatte, durchquerten sie das Tor zwischenden Welten dennoch mit geschlossenen Helmen. Kaum lagen sie auf derPlattform der Empfangsstation, als Lonzo auch schon Entwarnung signalisierte. Seine Meßinstrumente hatten blitzschnell die Atmosphäreanalysiert. Die Luft war also atembar.
Anca klappte den Raumhelm als erste nach hinten. Dabei streifte ihr Blickden Himmel über dem Transmitter. „He! Seht euch das Netzdach an. Wenndas die Plattform vor dem Regen schützen soll, sehe ich schwarz!“
Daß dieses engmaschige Netz nicht als Regenschutz gedacht war, erwiessich kaum eine Sekunde später. Das Netz senkte sich mit ungeheurer Schnelligkeit auf die völlig verdutzte Gruppe hinab.
Alle purzelten durcheinander.„Verrat!“ schrie Lonzo und versuchte, auf die Beine zu kommen. „Wetzt die
Messer, Matrosen! Alle Mann an Deck! Feindliche Piraten wollen uns ans Leder!“ Er schlug wild um sich und versuchte unter Einsatz aller Tentakel, dasNetz zu heben. Aber sein Widerstand hatte nur den sichtbaren Erfolg, daß ersich hoffnungslos verhedderte.
Wieselflinke kleine Wesen rannten hinter einer Buschkette hervor, ergriffenherabhängende Leinen des Netzes und zogen es blitzschnell unter denzappelnden Körpern der Gefangenen hindurch. Ehe die Expeditionsteilnehmer auch nur einen klaren Gedanken fassen konnten, war aus dem Netzein Beutel geworden, der mitsamt Inhalt mit einem primitiven Baum in dieHöhe gezogen und aus dem Transmitterfeld herausgeschwenkt wurde.
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Immer mehr der fremden Wesen eilten hinter den Büschen hervor. Sie halfendabei, das Netz noch enger zu verschnüren und mit Stricken zu verstärken.
„Da hinten muß ein Nest sein“, meinte Alexander stöhnend.„Die haben uns hereingelegt“, knirschte Harpo wütend. „Die Büsche sind
nur Tarnung, dahinter steht ein Gebäude, das wie ein Bunker aussieht. Mankann deutlich Treppen erkennen.“
„Die machen bestimmt nicht zum ersten Mal auf diese Weise Beute“,knurrte der sonst nicht so leicht aus der Ruhe zu bringende Bharos. „Wennsie den Kleinen auch so empfangen haben ...“
„Kannst du dich nicht wegteleportieren?“ fragte Harpo.„Das kann ich schon“, erwiderte Bharos, „aber diese Knilche behalten uns
ziemlich genau im Auge. Ich fürchte, sie werden sich dann an euch rächen,wenn ich jetzt abhaue, um aus dem Dunkel heraus zu operieren.“
„Chissimatucki!“ fluchte Lonzo. „Wenn der alte Captain Kidd das miterlebthätte, wäre ich jetzt aber ganz schön blamiert!“ Er zwängte seine Tentakel indie Netzmaschen und versuchte, diese zu zerreißen. Er mußte sich gewaltiganstrengen, weil das Material zäher als erwartet war. Schließlich riß das Netzan zwei Stellen, was aber nicht ausreichte, um Lonzo durchzulassen. AuchBharos und die anderen versuchten nun, das Netz anzureißen.
Ohne Erfolg. Da mußte man schon Kräfte wie Lonzo haben. Alexanderfletschte die Zähne und zerrte an den Maschen, was das Zeug hielt, aber auchseiner Kraft waren Grenzen gesetzt. So begnügte er sich damit, die wild herumtanzende und johlende Meute ihrer Peiniger zu beschimpfen. „Dreckspatzen“ war noch der freundlichste der saftigen Ausdrücke, die er ihnen andie Köpfe warf.
Lonzo zerriß ächzend eine weitere Masche. Das hätte er besser nicht tunsollen, denn nun waren die Angreifer auf ihn aufmerksam geworden. Mindestens zehn von ihnen kümmerten sich um den Roboter, indem sie dicke Stricke um seinen kugelförmigen Leib schlangen und ihn in Windeseile zu einemhandlichen Paket verschnürten, aus dem nur noch der Kopf hervorsah. Sogardie Matrosenmütze war ihm in der Hektik vom Kopf gerutscht.
„Ist das ein feines Benehmen?“ kreischte Lonzo. „Ihr habt wohl überhauptkeine Bildung, was? Was soll ich mit dieser Strickweste? Mir ist doch überhaupt nicht kalt, ihr Schneckengesichter! Chissimatucki! Captain Kidd! Höllengeister! Wo seid ihr? Kommt uns zu Hilfe! Ein Fäßchen Rum für jeden, deruns aus der Patsche haut! Selbst für gelbe und grüne Teufel!“
Aber nirgends waren Teufel zu sichten. Nur die quirligen Wesen, die Lonzonicht zu Unrecht als Schneckengesichter bezeichnet hatte, flitzten unter ihnen hin und her, schnitten Lonzo aus dem Netz heraus und flickten die Lückemit Stricken.
„Junge, Junge“, rief Bharos keuchend, „da sind wir ja schön in was reingeschlittert!“
Alexander knurrte: „Frechheit! Ist das eine Art, frage ich euch? Ist das eineArt? Keine gute Kinderstube, sage ich euch, gar nichts!“ Er wollte vor Empörung den Kopf schütteln, was ihm aber wegen der herrschenden Enge nicht
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gelang. „O du heiliger Eisberg“, schwor er, „wenn ich hier je wieder rauskomme und diese Burschen entschuldigen sich nicht, werde ich ihnen den Hintern versohlen!“
Harpo gab das Zappeln auf, weil es ja doch nichts half. Statt dessen betrachtete er die fremden Wesen, die jetzt etwas gelassener wurden, weil siesahen, daß die Gefangenen nicht mehr fliehen konnten.
Keines der Geschöpfe war größer als einen Meter fünfzig, und keines trugKleider. Am auffälligsten war die blaue, schuppige und faltige Haut ihrer Körper und der Stützschwanz, der auf den ersten Blick wie ein verkürztes drittesBein wirkte. Die Gesichter der Wesen waren seltsam ausdruckslos undschwammig. Die Haut schien ständig in Bewegung zu sein; nur die beidenrunden Reptilienaugen und die mundähnliche Öffnung darunter wirktenstarr. Aus dem oberen Kopfteil ragten zwei Fühler, die sich dauernd verformten und manchmal fast ganz im Kopf verschwanden. Die Beine dieser Kreaturen waren stämmig und muskulös, während die Arme zierlich aussahen.Daß sie damit dennoch kräftig zupacken konnten, hatten sie zur Genüge bewiesen. Die Füße hatten vorne zwei Zehen und hinten einen kräftigen,krallenartigen Dorn. Vermutlich waren die Fremden gute Kletterer.
Auffällig war, daß die ganze Aktion beinahe lautlos erfolgt war. Die Bewohner dieser Welt bewegten sich geräuschlos und schienen gut aufeinandereingespielt zu sein, so daß es keiner Befehle bedurfte. Man hätte annehmenkönnen, daß sie gar nicht fähig waren, sich sprachlich auszudrücken, aberdas erwies sich wenig später als Trugschluß.
Eine Kolonne niedriger Kastenwagen, die von jeweils vier stämmigen, ponygroßen Echsen gezogen wurden, kam in das Blickfeld der Gefangenen. DieZugtiere blickten ziemlich stumpfsinnig drein, hatten schuppige, gelbgrüneKörper und sehr kleine Köpfe. Den Zähnen nach zu urteilen handelte es sichbei ihnen um Pflanzenfresser.
Während auf den hinteren Wagen nur Wagenlenker saßen, hob sich daserste Gespann deutlich von den anderen ab. Die Zugtiere trugen reichverziertes Geschirr, der Wagen war mit fremdartigen Symbolen verziert und zudem von einem Baldachin überdacht. Drei fremde Wesen kletterten vondiesem Wagen herunter. Auf den ersten Blick unterschieden sie sich nichtvon den anderen, aber als sie näherkamen, erkannte Harpo, daß ihre Stützschwänze von bronzenen Ringen umschlossen waren.
Die Neuankömmlinge wurden mit sichtlichem Respekt behandelt. DasWesen mit dem breitesten Schwanzring ergriff die Initiative, trat an das Netzheran, das jetzt in seine Höhe gehievt wurde, und kniff Anca in die Wange.
„Autsch!“ schrie das Mädchen. „Was will der Kerl von mir?“ Obwohl ihmeigentlich ganz und gar nicht lustig zumute war, mußte Harpo an das Märchen von Hänsel und Gretel denken. Grinsend meinte er: „Er hat wohl gleicherkannt, daß an dir am meisten dran ist, Schwesterlein. Aber tröste dich:Wenn der wirklich vorhat, uns in einen Kochtopf zu stecken, wird er dich fürdie Feiertage aufheben.“
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„Erzähl doch nicht so ‘n Mist!“ zeterte Alexander aufgebracht. Im nächstenMoment wurde er selbst prüfend am Arm befühlt.
„Pfoten weg!“ rief er erbost, aber das half ihm wenig. Immerhin zeigte sichdas Wesen – ob es der Küchenchef war? – von Alexanders Körperbau beeindruckt, was sich in einem Geräusch äußerte, das einem anerkennendenZungenschnalzen nicht unähnlich war. Es musterte Alexander vom Scheitelbis zur Sohle und zischte den Umstehenden etwas zu. Ein allgemeinesZischen und Schnalzen setzte ein, das für Sekunden zu einem Orkan anschwoll, als unterhielte man sich hier in aller Gemütsruhe über die Beute.
Harpo zerrte so lange an dem Netz herum, bis es ihm gelang, die rechteHand an das linke Handgelenk zu bringen. Dort drückte er den Einschaltknopf des Translators. Nun mußte er die Wesen veranlassen, etwas lauter zureden, damit das intelligente Maschinchen Vokabeln sammeln konnte. Da es– einmal betriebsbereit – die Aufmerksamkeit ohnehin auf sich lenken würde,beschloß Harpo, sich jetzt schon ins Rampenlicht zu stellen.
„Schneidet mich los, ihr feigen Gesellen!“ rief er. „Ich will mit euch boxen!“Geschnatter war die Antwort.„Ehrlich?“ Alexander staunte.„Was ist denn mit dir los?“ fragte Anca.„Er will, daß sie etwas lauter reden“, flüsterte Trompo.„Gute Idee!“ lobte Bharos. „Aber du mußt sie ein bißchen frecher reizen.“„Was ist nun?“ tobte Harpo weiter. „Wir kämpfen über zwölf Runden. Der
Sieger bekommt eine Dose Bratfisch!“„Mit Öffner!“ fügte Lonzo hinzu, der jetzt auch erkannt hatte, was Harpo
beabsichtigte.„Eine Dose Bratfisch mit Öffner! Wer kann da noch nein sagen? Nur ein
Feigling kann das!“Der Anführer – oder Küchenchef – starrte Harpo mit seinen unbeweglichen
Augen an und zischte seinen Begleitern erneut etwas zu. Und das hörte sichso an, als würde eine vorsintflutliche Dampflokomotive in einen Bahnhofeinfahren. Als einer der Begleiter antwortete, war der Translator schon in derglücklichen Lage, übersetzen zu können.
„... habt ihr ... pschffft... mein Erhabener ... pschffft... gute Sklaven ...pschffft... viele... pschffft...“
„Sklaven? Was heißt hier Sklaven?“ schnaufte Alexander. „Die haben wohlnicht alle Pfannen auf dem Dach!“
„Immer noch besser als Schaschlik!“ juxte Anca.„Keine Sorge, Seeleute“, dröhnte jetzt Lonzos Baß zu ihnen herüber, „ich
werde nicht zulassen, daß mir etwas Böses geschieht!“ Er kicherte aus seinemverschnürten Bündel heraus wie über einen guten Witz. Der Translator beeilte sich, soweit er mit den wenigen Vokabeln dazu in der Lage war, alles indie Sprache der Fremden zu übersetzen.
Der Anführer schien gute Ohren zu haben, obwohl man die nicht sehenkonnte. Er erkannte sofort, daß die Worte von Harpo ausgingen, und fixierteden Jungen mit starrem Blick. Geistesgegenwärtig bewegte Harpo die Lippen,
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während der Translator zischte. Er mußte unter allen Umständen vermeiden,daß Freund Schneckengesicht merkte, wer hier in Wirklichkeit sprach, undihm das Gerät wegnahm.
„Aha“, sagte der Anführer – zumindest wurde seine Bemerkung so übersetzt –‚ „... Sklave versteht ... pschffft... Sprache der ... pschffft. Kann ihm nicht... pschffft... helfen. Trotzdem ... pschffft... Sklavenmarkt.“
„Aber wir kommen von einem anderen Planeten, einer Welt, die weit ...“begann Harpo, aber der andere zischte so zornig, daß er verstummte.
„Schweig!“ übersetzte der Translator.Harpo drehte ihn so leise, daß er nicht mehr zu hören war. Offenbar war
der Anführer nicht in Verhandlungslaune. Vielleicht ergab sich später einebessere Möglichkeit.
Dann kam eines der anderen Wesen näher. Rasch drehte Harpo die Lautstärke wieder hoch. „Wenn ich den Erhabenen auf diesen anderenGefangenen aufmerksam machen darf“, sagte es.
Der Erhabene geruhte, sich Lonzo zuzuwenden, den man unter all den Stricken kaum noch erkennen konnte. Als er ihn betrachtete, wirkte er seltsamaufgeregt. Sein Stummelschwanz zuckte. Sein blaues Gesicht wurde beinaheschwarz.
„Löst einige Fesseln!“ herrschte er einen Untergebenen an, der sofort einMesser zückte und sich daranmachte, Lonzo zur Hälfte auszuwickeln, wobeier jedoch sorgfältig darauf achtete, daß er die Tentakel nicht mit befreite.
„Er ist es!“ zischte der Anführer der Schneckengesichter leise.Lonzo, der über Funk die Übersetzung des Translators an Harpos Handge
lenk mithörte, schrie: „Hach! Endlich erkennt man den Gefährten von Captain Kidd! Das wurde aber auch Zeit. Hallo, Herr Erhabener! Wie geht es dir?“
Da der Roboter keinen eigenen Translator besaß, konnte der Anführernichts von seinen Worten verstehen. Immerhin starrte er Lonzo verzückt an.
„Soll ich den Translator wieder etwas lauter stellen?“ fragte Harpo.„Besser nicht“, riet Bharos, „weil dieser komische Kerl, dieser ... Erhabene
ja nicht weiß, daß wir in Wirklichkeit gar nichts von seinem Gezischel verstehen. Wenn er tatsächlich an Lonzo einen Narren gefressen hat, wird sichdas über kurz oder lang auch für uns auszahlen. Lonzo braucht nicht sehrlange, um eine fremde Sprache zu lernen.“
„Es ist der Große Shuubuu!“ heulte der Erhabene plötzlich auf. „Endlich,nach so langer Zeit, ist er wieder zu uns zurückgekehrt! Und wir haben ihngedemütigt!“ Er verbeugte sich vor Lonzo und verfluchte seine Untertanen,die ihm das angetan hatten, bis ins siebte Glied. „Großer Shuubuu – verzeihdeinen unwürdigen Dienern. Sie haben dich nicht erkannt.“
Die anderen Wesen sanken zu Boden und verneigten sich so tief, daß sieihre Gesichter geradezu in die Erde bohrten.
„Ich werd’ verrückt!“ sagte Anca. „Die halten Lonzo wohl für einen ihrerGötzen oder so was! Unser Lonzo als der Große Shuubuu – wer immer dassein mag! Ich werde auf der Stelle wahnsinnig!“
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Unwillig drehte sich der Erhabene nach seinen Gefangenen um. „Führt siefort!“ donnerte er. „Sie stören den Großen Shuubuu!“
Sofort sprangen mehrere Dutzend seiner Leute auf.„Weg da!“ keifte Lonzo. „Wagt es ja nicht, meinen Spießgesellen etwas
anzutun! Chissimatucki! Mastbruch und tausend Klabautermänner! CaptainKidd wird euch die Rumrationen kürzen! Und zu Weihnachten gibt es wederNüsse noch Ostereier, ihr Halunken!“
Aber der Erhabene sah ihn nur entgeistert an und flüsterte:„Der Große Shuubuu spricht zu uns! Er hat uns verziehen!“ Dann fiel er in
einen rituellen Singsang und tanzte um Lonzo herum, der gar nicht wußte,wie er sich verhalten sollte, da er zwar verstanden hatte, was der Erhabenegesagt hatte, dem wiederum aber in seiner Sprache nicht antworten konnte.Der Erhabene war so von seiner Entdeckung berauscht, daß er gar nichtmerkte, daß der Angebetete immer noch halb gefesselt zu seinen Füßen lag.Und in dem allgemeinen Gekreische, das jetzt rundherum anhob, war essinnlos, den Translator auf volle Lautstärke zu stellen. Was Lonzo jetzt auchsagte oder schrie: Diesen Höllenlärm konnte auch sein Organ nicht mehrübertönen.
„Mist!“ fluchten Bharos und Harpo im Chor. Daran war jetzt nichts mehrzu ändern. Die Untergebenen erhoben sich und kümmerten sich um die Beute. Das Netz wurde zu Boden gelassen, und eine Armee fiel über sie her. Moritz bellte wütend, und Alexander brüllte wie ein Grizzlybär. Aber auch erkonnte gegen die Übermacht nichts ausrichten.
Weder Harpo noch einer der anderen hatte die Gelegenheit, den Translatorzu bedienen. Alle Gefangenen wurden zu bewegungsunfähigen Paketenverschnürt und auf zwei der wartenden Kastenwagen verladen. Auf einenschrillen Pfiff hin setzten sich die Zugechsen in Bewegung.
„Haltet aus!“ schrie Lonzo hinter ihnen her. „Ich werde diesen verrücktenErhabenen schon dazu bringen, euch wieder freizulassen!“
Die Wagen rumpelten davon.Zurück blieben einige hundert heulende Derwische und ihr Anführer. Und
der Große Shuubuu, der in einer ganz und gar unfrommen Weise alle Flücheherunterrasselte, die er im Laufe seines Lebens gelernt hatte.
Sklavenmarkt
„Hoffentlich ist es nicht mehr weit“, stöhnte Alexander und wand sich aufdem nackten Holz des Kastenwagens, so gut es die Fesseln erlaubten. „VonStoßdämpfern haben die hier wohl auch noch nie was gehört. Mir tun schonalle Knochen weh. Also ehrlich: Lieber als Sklave auf den Feldern schuften, alsdas hier!“
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„Na, warten wir mal ab, was du sagst, wenn du deinen Pelz beugen mußt,um Mohrrüben zu ziehen“, entgegnete Anca.
„Aber recht hat er doch. Auch mir tut alles weh“, meinte Harpo.„Wir müssen bald am Ziel sein“, sagte Bharos tröstend. „Die ersten Häuser
einer Stadt tauchen vor uns auf.“Die beiden Wagen wurden von einer Hundertschaft zu Fuß eskortiert, was
angenehmer war, als auf dem ruckelnden, über jeden kleinen Stein hopsenden Gefährt zu sitzen. Und es strengte auch nicht an. Bei dem Schneckentempo der Echsen konnte jeder mithalten.
Die Wachmannschaft trug Lanzen und schirmte die Wagen gegen die Umwelt ab. Entweder traute man den eigenen Fesselungskünsten nicht ganz,oder man hatte Grund, einen Überfall zu befürchten.
Von der Landschaft hatten die Gefangenen ihrer unbequemen Positionwegen bisher recht wenig gesehen. Hauptsächlich schwitzten sie in derprallen Sonne vor sich hin. Hier und da spendeten braungrüne Blätter baumähnlicher Gewächse Schatten.
Dem Rütteln der Karren nach zu urteilen, mußten sie sich in hügeligem Gebiet befinden.
„Echsenkarren und Holperwege!“ nörgelte Harpo. „Aber einen Transmittermüssen sie haben!“
Mehrmals meldete sich Lonzo über das Helmfunksystem und versuchte,sie aufzumuntern. Seine Stimme war wegen der zurückgeklappten Helmeschwer zu verstehen, aber es half ihnen allen schon sehr, sie überhaupt zuhören. Offenbar machte der Erhabene noch immer keine Anstalten, seinengeliebten Großen Shuubuu von den Fesseln zu befreien, sondern tanzte herum, stieß Beschwörungen aus und verfiel in tranceähnliche Anbetung. UndLonzos kleines Elektronengehirn sammelte inzwischen alle Sprachbrocken,die es aus seiner Umgebung aufnehmen konnte. Aber das war sicherlichnicht allzu viel, wenn man mal von Gebeten absah. Dann blieben LonzosNachrichten aus. Die Entfernung zwischen ihnen war zu groß geworden.
Jetzt wurde deutlich, daß man sich einem Stadtzentrum näherte. Es rumpelte nicht mehr so stark, und zu beiden Seiten waren die Umrisse klobigerSteinbauten auszumachen. Einmal geriet ein quadratischer Prachtbau inHarpos Blickfeld, der aus der Entfernung fugenlos glatt und makellos schönwirkte. Ziersäulen und Reliefs schmückten die Fassade; dahinter waren hohe,schmale Fensterschlitze erkennbar. Offenbar ein Tempel oder ein Regierungsgebäude. Vielleicht war das aber auch der Besitz des Erhabenen. WasHarpo jedoch vollständig den Atem raubte, befand sich unmittelbar vor demEingangsportal des bahnhofsgroßen Gebäudes. Er hatte höchstens zwei Sekunden Zeit, um das Gebilde anzusehen, aber es gab keinerlei Zweifel: Dassteinerne Ding bestand aus einem kleinen, daraus hervorragenden Kopf,spindeldürren Beinen und vier Tentakelarmen. Es sah dem guten Lonzo zumVerwechseln ähnlich!
„Habt ihr das gesehen?“ hauchte Harpo. „Was denn?“ fragten die anderen.„Ich habe eben eine Statue gesehen!“
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„Und ich den Weihnachtsmann!“ sagte Anca vorlaut.„Sei nicht albern! Da stand eine riesige Statue von Lonzo!“„Von Lonzo? Du spinnst!“„Na gut, dann eben nicht von Lonzo. Sagen wir mal: eine Statue vom
Großen Shuubuu!“„Jetzt verstehe ich überhaupt nix mehr!“ schimpfte Anca. Bharos lächelte
geheimnisvoll, während Trompo, der zu einem kleinen rosa Päckchenverschnürt neben Moritz lag, piepste: „Wie? Was?“
„Wuff!“ machte Moritz.„Ohooooo!“ Das war Alexander, dem plötzlich ein Licht aufgegangen war.
„Jetzt wird mir alles klar! Die beten einen Götzen an, der zufälligerweise unserem Lonzo zum Verwechseln ähnlich sieht. Darum also der Terror amTransmitter, als dieser Erhabene unseren alten Kumpel entdeckte!“
„Ja, aber wieso ...“ begann Anca.„Das ist natürlich ein kurioser Zufall“, murmelte Bharos. „Andererseits ...
Ihr habt ja gesehen, daß diese Geschöpfe darauf vorbereitet sind, am Transmitter Beute zu machen. Wer weiß, was im Laufe der Zeit alles an fremdenGeschöpfen hierher verschlagen wurde? Wer weiß, ob darunter nicht auchein Roboter war, der wie Lonzo aussah? Und der sich dank seiner besonderenFähigkeiten oder Kräfte den Ruf eines Gottes erwarb? Vielleicht war es nichteinmal ein Roboter, sondern ein verirrter Raumfahrer. Oder nur ein Tier, dassich seltsam bewegte und angebetet wurde.“
Alle schwiegen nachdenklich, um diese Neuigkeit erst einmal zu verdauen.Dann kam der Kastenwagen zum Stillstand. Die Begleitmannschaft stellte
die Lanzen ab und hob die Gefangenen vom Wagen. Jetzt, da nicht mehr dieSeitenwand der Ladefläche im Weg war, sahen die Freunde mehr von ihrerUmgebung.
Sie befanden sich auf einem Platz, der von den schon vertrauten schlichten, einstöckigen Häusern und einigen Holzschuppen umstanden war.
Auf dem Platz herrschte geschäftiges Treiben. Allerlei seltsame Düfte lagenin der Luft; es roch nach Gewürzen, gebratenem und geräuchertem Fleisch,nach Fisch und dem Mist von Tieren. Die sonst so stummen Wesen zischtenund schnarrten durcheinander.
Auf rohgezimmerten Ständen, Podesten oder auch nur einfach ausgebreiteten Tierhäuten lagen Lebensmittel, Tonwaren, Felle und undefinierbareWerkzeuge, die angepriesen wurden. In Käfigen fiepte und pfiff die lebendige,allerdings tierische Ware. Aber es gab auch andere Käfige, solche, in denenWesen jener blauhäutigen Rasse zum Verkauf angeboten wurden: Sklaven. Eswar für die Besatzung der EUKALYPTUS selbst in ihrer eigenen ungewissenLage deprimierend, das anzusehen.
„He“, sagte Harpo plötzlich, „hier gibt es noch eine andere Rasse!“ Ermachte eine Kopfbewegung und deutete damit die Blickrichtung an.
Tatsächlich! Zwischen den Blauhäutigen bewegten sich einige dürreGestalten, die einen Kopf größer waren als die Schneckengesichter. Sietrugen Fellumhänge und erinnerten mit den knochigen Stelzenbeinen, den
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schnabelähnlichen Mündern und den stechenden Augen ein wenig an Raubvögel. Ihre Haut schimmerte blaßgrün und wirkte ebenfalls schuppig. Siestolzierten unnahbar durch das Gedränge. Und man machte ihnen bereitwillig Platz.
Die Begleitmannschaft des Erhabenen hatte ihre Gefangenen auf die rohbearbeiteten Steinplatten des Marktes gelegt, während die Wagenlenker ihreGespanne fortbrachten. Nun wurden Harpo und die anderen von jeweilssechs Trägern zugleich angehoben und in das Gewimmel hineingetragen.Lanzenträger gingen voran und bahnten sich eine Gasse, indem sie mit denstumpfen Enden ihrer Waffen nach allen Seiten drohten. Moritz bellte undversuchte, seine beiden Träger mit den Zähnen zu erwischen, was ihm abernicht gelingen wollte.
„Macht Platz für die Sklaven des Erhabenen“, zischte der erste Wächter,und bald fielen auch die anderen in diese ständig wiederholten Worte ein.
Aber auch ohne die Ausrufe wurde den Gefangenen Aufmerksamkeit zuteil.Viele Marktbesucher reckten die Hälse und wollten sie sich aus der Nähe ansehen. Eine Sensation schienen sie allerdings nicht zu sein.
Man staunte, das war alles.„Die Ungeheuer mit den Stachelschwänzen waren besser“, sagte jemand
abfällig und wandte sich ab. Diese Äußerung zeigte, daß man damit vertrautwar, daß unbekannte Lebewesen am Transmitter gefangen und als Sklavenverkauft wurden. Aber warum?
Es mußte doch eher ein Zufall sein, wenn sich Tiere oder andere Lebewesen hierher verirrten!
„Wahrscheinlich werden doch noch einige Transmitterstationen regelmäßig benutzt“, vermutete Bharos. „Wenn auch möglicherweise nicht mehr vonden Erbauern.“
„Wie ist das denn möglich?“ fragte Harpo. „Wo man doch nie wissen kann,wo man herauskommt.“
„Einige verstehen es wohl doch, die Maschinen zu steuern. Vielleicht gehört dieser komische Erhabene auch dazu. Aber es kann genausogut sein,daß bestimmte Transmitterstationen nur mit zwei oder drei anderen Weltenverbunden sind. Da wäre ein Sprung nicht so ein Lotteriespiel wie bei uns.“
„Findet ihr es nicht ungewöhnlich“, wandte nun Anca ein, „daß niemandeine flammende Rede hält und berichtet, daß der Große Shuubuu zurückgekehrt ist?“
„Stimmt. Die Nachricht müßte sich doch wie ein Lauffeuer verbreitethaben!“
„Was wissen wir schon über diese Wesen und das Leben hier?“ gab Harpozurück. „Vielleicht kriegt jeder, der es wagt, dem Erhabenen die Schau zustehlen, ganz einfach was auf den Deckel.“
Das Gespräch stockte, weil die ersten Kaufinteressenten an sie herantraten.Wieder war Anca das erste Opfer. Man fühlte durch die Stricke hindurch nachihren Beinen. Das schien unbefriedigend zu sein, da der Bodyskinanzug nicht
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nachgab. Jetzt passierte es zum zweiten Mal, daß man sie in die Wangezwickte.
„Das ist gemein!“ schimpfte Anca.„Ist es auch“, gab Harpo zu. „Niemand hat ein Recht dazu, intelligente
Wesen zu verkaufen. Was ist das bloß für eine Gesellschaft, die so was zuläßt?Selbst ihre eigenen Leute verkaufen sie, als wären sie eine Ware.“
„Auf der Erde war das aber früher auch so“, erinnerte ihn Bharos, der sichüber die irdische Geschichte informiert hatte. „Und ihr wißt, wie man eureEltern behandelt hat, bevor ihr auf die EUKALYPTUS kamt – zwar nicht direktals Sklaven, aber als Versuchskaninchen für irgendwelche verdammtenPillen, an denen sie zugrunde gingen oder wodurch ihre Kinder Mißbildungen bekamen, als ...“
„Ich weiß“, verteidigte sich Harpo. „Ich habe ja auch nicht behauptet, daßunsere eigenen Leute besser sind. Aber eins weiß ich: Hier wie auf der Erde istunbedingt was nicht in Ordnung. Man muß etwas dagegen tun.“
„Wäre ich doch nur auf Nordpol geblieben!“ meinte Alexander seufzendund zerrte an seinen Fesseln. „Das ist ja nicht mehr zum Aushalten, derPessimismus, der sich hier breitmacht! Habt ihr etwa schon aufgegeben, he?“
Harpo knuffte den breitschultrigen Rotpelz in die Seite. „Aufgeben? Wir?“Die Umstehenden kümmerten sich kaum darum, daß sie sich unterhielten.
Gerne hätten sie ihre Translatoren lauter gestellt und sich über die unwürdige Behandlung beschwert, aber sie waren alle zu gut gefesselt, um sichwehren zu können.
Nun mußte Harpo trotz allem kichern. Der potentielle Kunde zog mit derBemerkung ab, das fremde Ungeheuer – also Anca – sei zu mager und fürharte Arbeit nicht zu gebrauchen. „Stell dir vor, Pummelchen“, prustete erlos. „Er hält dich für zu mager! Ausgerechnet dich! Und außerdem bist du inseinen Augen ein Ungeheuer!“
„Harpo Trumpfffff“, zischte Anca, während die anderen beinahe an einemLachanfall erstickten, „du hast es nur dieser vertrackten Fesselung zu verdanken, daß ich dir jetzt nicht in den Hintern treten kann!“ Sie gab aber,humorig wie sie war, bald klein bei und amüsierte sich mit. „Immerhin“,keuchte sie zwischen zwei ziemlich langen Kicheranfällen, „hat der Blaue jadie Wahrheit gesagt: Ich bin wirklich zu mager!“
„O weh!“ stöhnte Alexander ahnungsvoll und blickte auf. „Ich fürchte, diesedürren Burschen mit den Raubvogelaugen interessieren sich für uns. Beidenen werden wir bestimmt nichts zu lachen haben.“
Tatsächlich verhandelten drei jener Wesen in den Fellumhängen, die ihnenschon vorher aufgefallen waren, mit dem Anführer der Wache. Offenbarwurde nur noch um den Preis gefeilscht.
Die Vogelwesen sprachen sehr leise und mit kehligem Akzent; zu leise, umdie Membrane des Translators zu erreichen. Der Anführer der Wache schienjedoch erfreut zu sein und versuchte lediglich, einen kleinen Aufpreis herauszuschlagen.
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„Die Ungeheuer haben geheimnisvolle Talismane und seltsame Häute“,zischte er. „Das sollte euch mindestens eine halbe Schrubbel mehr wertsein!“
„Was soll das denn sein?“ fragte Anca verblüfft. „Eine halbe Schrubbel?“„Das ist wohl eine Zahlungseinheit“, antwortete Harpo.„Jetzt wird es aber wirklich brenzlig“, japste Trompo. „Hoffentlich ist Lonzo
schon unterwegs, um uns zu befreien!“ Dann geschah etwas Merkwürdiges.Die Umstehenden bildeten eine Gasse und wichen mit ängstlichen Gesich
tern zurück.Fünf düstere Gestalten näherten sich. Ihre Statur glich der von Menschen.
Sie trugen Kutten aus schwarzem Stoff, die bis zum Boden reichten. DieGesichter dieser Wesen waren hinter Kapuzen verborgen. Leuchtende Augenfunkelten drohend.
Eines der Vogelwesen sah die geheimnisvollen Kuttenträger, brach abruptdie Verkaufsverhandlungen ab und suchte mit seinen Gefährten eilig dasWeite. Die Lanzenträger des Erhabenen umfaßten zitternd ihre Waffen unddrängten sich enger zusammen.
Sie hatten ganz offensichtlich ein ungutes Gefühl, trauten sich aber nicht,die Ware einfach stehenzulassen und davonzurennen.
Das erste Kapuzenwesen schob einen tiefschwarzen, narbenbedecktenArm mit zwei Gelenken unter dem Umhang hervor, ließ beinahe achtloseinen Lederbeutel fallen und zeigte auf die Freunde von der EUKALYPTUS.Seine Hand besaß fünf kurze, dicke Finger. Dann stieß es einen herrischenKnurrlaut aus.
Der Anführer der Wachmannschaft öffnete mit zitternden Fingern den Lederbeutel und zählte die darin befindlichen elfenbeinähnlichen Kugeln.Schließlich nickte er und trat mit seinen Leuten erleichtert zurück.
Die Vermummten kamen heran, nahmen die Gefangenen und trugen sie zueinem der schon vertrauten Lastkarren in der Nähe. Die Sklaven hatten neueHerren gefunden.
„Au, verdammt!“ murmelte Harpo.
Jetzt ist alles aus!
Während der nun folgenden Fahrt wechselten ihre unheimlichen Begleiternicht ein einziges Wort. Sogar ihre Zugechsen trieben sie wortlos mit einerPeitsche an.
„Wenn ich mich nicht täusche“, flüsterte Harpo, „dann fahren wir den Wegzurück, den wir gekommen sind.“ Aber das war mehr ein Gefühl als eine Tatsache, denn sie lagen jetzt wieder genauso wie auf der Hinfahrt auf einerLadefläche, waren bewegungsunfähig und konnten nur winzige Ausschnitteder Umgebung erkennen.
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„Wenn’s doch stimmen würde“, seufzte Anca. „Dann hätten wir wenigstensdie Chance, Lonzo zu begegnen.“
Sie hatten, als man sie auf den Karren geladen hatte, Gelegenheit gehabt,einem der Kapuzenmänner etwas genauer ins Gesicht zu sehen, und warendabei ganz gehörig erschrocken. Denn die Kreatur, deren Augen wie glühende Kohlen funkelten, tat gut daran, ihr Gesicht zu verhüllen. Es war vonschwarzen Narben bedeckt.
„Wir sind schöne Artisten“, jammerte Trompo. „Statt unseren Ollie zuretten, geraten wir in die Sklaverei und können jetzt selbst Hilfe brauchen!“
„Wuff!“ machte Moritz.„Solange in Alexander die Wut kocht“, knurrte der gefesselte Rotpelz, „ist
noch keine Schlacht verloren.“ Er kicherte plötzlich in sich hinein. „Sobalddiese Halunken uns nämlich auspacken – und das müssen sie, wenn sie unszum Arbeiten bringen wollen –‚ hat ihr letztes Stündlein geschlagen!“ Wie alsBeweis dafür bewegte er seine mächtigen Muskeln, die den enganliegendenRaumanzug zu sprengen drohten.
„Wenn Ollie ebenfalls auf dieser Welt gelandet ist“, piepste Trompo,„können wir lange suchen. Wer weiß, an wen man ihn verkauft hat! Er könntebereits auf der anderen Seite des Planeten sein.“
„Jetzt haben wir schon den dritten Planeten aufgesucht“, sagte Harpo.„Zweimal waren wir auf der falschen Fährte und darüber halb erleichtert undhalb sauer. Hier aber müssen wir tatsächlich von Glück reden, wenn Ollienicht in einen Schlamassel reingeraten ist. Ich frage mich, ob Thunderclapund die anderen uns von der EUKALYPTUS aus überhaupt anpeilen können.Wenn ich daran denke, daß wir auf Worlorn am anderen Ende der Galaxiswaren ... Ich glaube, die Idee, daß die EUKALYPTUS uns anpeilt, war dochnicht so gut. Wir haben eben geglaubt, die Transmitterstationen würden vielnäher beieinanderliegen.“
„Vielleicht liegen sie ja gar nicht so weit voneinander entfernt, wie du jetztvermutest“, versuchte Bharos ihn zu trösten. „Immerhin war Worlorn ja eineArt kosmischer Wanderer. Theoretisch wäre es denkbar, daß er dem Raumsektor der Erbauer damals viel näher war als heute.“
„Trotzdem ...“ Harpo schwieg.Die Wagenkolonne hielt an, und die Kuttenträger eilten zu dem letzten Ge
spann. Sie hantierten eine Weile herum und kamen dann zurück. Zwei derFremden trugen Armbrüste, die sie drohend vorgestreckt hielten, obwohl diePfeile nicht direkt auf die Gefesselten gerichtet waren. Das sollte wohl eineMachtdemonstration sein. Die anderen drei Vermummten begannen nun,eine mitgebrachte Kutte in Streifen zu reißen. Dann packten sie Alexanderund stopften ihm einen Knebel in den Mund. Alexander war so verdutzt, daßer nicht einmal einen Schrei ausstieß, als er es noch gekonnt hätte. „Diese gemeinen Kerle wollen uns zum Schweigen bringen“, empörte sich Bharos.„Die ganze Zeit habe ich versucht, ihre Gedanken zu lesen, und kam einfachnicht durch. Aber jetzt spüre ich sie. Sie sind häßlich und gemein. Diese
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Wesen leben seit vielen tausend Jahren. Es sind Verfemte ihrer eigenen Rasse,Banditen, die nichts anderes als Unheil angerichtet –“
Bharos war der nächste, dem sie mit einem Tuch den Mund stopften. Dannwar Anca dran, die einen schrillen Schrei ausstieß, was dazu führte, daß einerder Bewaffneten seine Armbrust auf sie richtete.
“Sei keine Heldin“, flüsterte Harpo. „Wir wollen hier lebendig wieder herauskommen. Bharos – kannst du nicht verschwinden und Hilfe holen?“
Bharos richtete sich halb auf und nickte mit blitzenden Augen. Dannschloß er sie, um sich zu konzentrieren.
Anca hörte auf zu schreien und ließ widerstandslos zu, daß auch sie geknebelt wurde. Kaum hatten die Vermummten ihre Arbeit erledigt, als siesich umdrehten und erstarrten. Sie entdeckten, daß zwei ihrer Sklaven fehlten. Bharos war fort! Und Alexander, der neben ihm gelegen hatte, ebenfalls.Der körperliche Kontakt zwischen beiden war eng genug gewesen, um esBharos zu ermöglichen, den jungen Rotpelz mitzunehmen. Einen Momentlang hoffte Harpo, Bharos würde zurückkehren, um ihn und die anderen zuholen. Aber dann sah er ein, daß dies für alle Beteiligten sehr gefährlich gewesen wäre. Und gefesselt konnte Bharos sowieso nichts unternehmen.
Einer der Armbrustschützen machte eine ungeduldige Handbewegung,und die anderen Wesen erwachten aus ihrer Erstarrung. Offenbar hatten siejetzt weder Zeit noch Lust, sich um das Rätsel der Verschwundenen zu kümmern. Sie fuhren um so schneller mit ihrem Werk fort und hatten im Nu auchHarpo geknebelt. Da sie mit Moritz und Trompo nichts anzufangen wußten,banden sie ihnen kurzerhand die Mäuler zu. Trompo ließ alles mit sich geschehen, während Moritz wütend nach seinen Peinigern schnappte, einenÄrmel erwischte und knurrend daran zerrte. Ein Vermummter versetzte ihmeinen rohen Klaps hinter die Ohren, und daraufhin gab Moritz Ruhe; sehr zurBeruhigung der Kinder, die bibbernd zusahen und schon um sein Lebenfürchteten. Erneut setzte sich der Karren in Bewegung. Er verließ einige Minuten später den Holperweg und rumpelte in ein Waldstück hinein. Die Sache wurde immer rätselhafter. Nach weiteren zehn oder fünfzehn MinutenFahrt hielt die Kolonne an. Hastig und roh wurden die Gefangenen herausgehoben und unsanft auf den Waldboden geworfen. Zwei der Vermummtenkümmerten sich um die Gespanne und führten sie tief in das Unterholz hinein. Die anderen schlichen gebückt in die entgegengesetzte Richtung davon.Sie waren bald nicht mehr zu sehen, aber Harpo wurde das dumme Gefühlnicht los, daß sie dennoch in der Nähe waren.
Verzweifelt zerrten sie an ihren Fesseln. Ein Pech, daß Bharos nun nichtmehr da war. Jetzt hätte er eine Chance gehabt, sich nacheinander an seineFreunde heranzumachen, sie zu berühren und per Teleportation wegzubringen. Wahrscheinlich aber lag er jetzt irgendwo auf diesem Planeten imGras und versuchte, seine Fesseln abzuschütteln. Vielleicht gelang es Alexander, die Stricke mit den Zähnen durchzunagen. Wenn der Akkai auchteleportieren konnte – ein Entfesselungskünstler war er deshalb noch langenicht.
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Sicher würde Bharos sein Bestes tun, um Lonzo zu finden. Oder ihrenSpuren folgen und einen Befreiungsversuch unternehmen. Alexander würdebestimmt das letztere vorschlagen, denn wo es was zu raufen gab, konnte ernicht fehlen.
Aber der Akkai und Alexander tauchten nicht auf. Statt dessen kehrten diebeiden Vermummten zurück, die sich um die Gespanne gekümmert hatten.Auffällig war, daß sie auch jetzt stumm blieben. Sie verständigten sich entweder durch Zeichen oder waren Telepathen wie Bharos.
Sie schnürten mehrere Bündel auseinander, die sie vorhin von demanderen Wagen abgeladen hatten. Metall klirrte, und Harpo erkannte aus denAugenwinkeln, daß es sich um Rüstungen handelte.
Stumm stiegen die Fremden in die Unterteile der Rüstungen und halfeneinander dabei, die Oberteile anzulegen. Zunächst rafften sie ihre Kutten nurleicht an, dann glitten diese zu Boden. Darunter trugen die Wesenenganliegende schwarze Anzüge, die bis zum Hals reichten. Nur die Schädel,die Unterarme und Hände waren einen Moment lang unbedeckt. Flüchtigkonnte man narbenbedeckte, runzlige, tiefschwarze Haut erkennen. DieKöpfe der Fremden waren haarlos, aber im großen und ganzen wirkten siemenschlich. Harpo glaubte auch, spitze Ohren gesehen zu haben, war sichaber nicht absolut sicher.
Die Kutten wurden zu einem Bündel zusammengerollt. Dann griffen dieFremden zu ihren Armbrüsten und wandten sich ihren Gefangenen zu. Siehatten Helme aufgesetzt und die Visiere hinuntergeklappt. Eigentlich sahensie jetzt noch finsterer und bedrohlicher aus als vorher.
Anca, Harpo und Trompo dachten schon, daß jetzt ihr letztes Stündlein geschlagen hätte. Aber ihre Bewacher beließen es dabei, drohend mit denWaffen zu gestikulieren. Wahrscheinlich wollten sie damit zum Ausdruckbringen, daß Fluchtversuche zwecklos seien. Schließlich hängten sie sich dieWaffen um die Schultern und begannen, ihre Gefangenen noch tiefer in denWald hinein zu tragen.
Harpo und Trompo waren die ersten. Ihre Herzen klopften wild vor Angst.Die Fremden sahen jetzt aus wie mittelalterliche Ritter, auch wenn ihre
Rüstungen eleganter und beweglicher wirkten als die, die man aus den Büchern und Filmen der EUKALYPTUSBordbibliothek kannte. Man sah keinesichtbaren Scharniere und keine unförmigen Gelenkteile. Irgendwie erinnerten die Rüstungen sogar ein bißchen an die Bodyskinanzüge der EUKALYPTUS, wenngleich sie auch nicht so bequem zu sein schienen.
„Ein eigenartiges Metall“, dachte Harpo. Es schimmerte tiefschwarz.Der unheimliche Ritter ließ ihn wieder auf den Boden fallen. Trompo er
ging es genauso.Dann gingen die Geharnischten zurück, um Anca und Moritz zu holen.Harpo wälzte sich herum und spähte durch die Bäume. Nicht weit von hier
war eine Lichtung. Und plötzlich wußte er, wo sie waren: Dort, nur sechzigoder siebzig Meter weiter, befand sich der Transmitter, durch den sie aufdiesen Planeten gekommen waren! Deutlich erkannte er das Transmitterbild.
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Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Diese finsteren Wesenwaren gar nicht auf dieser Welt zu Hause! Sie kamen von einem anderenPlaneten und benutzten den Transmitter für ihre niederträchtigen Geschäfteund Raubzüge!
Anca und Moritz kullerten neben ihm zu Boden. Anca hatte die Stationebenfalls entdeckt und blinzelte Harpo zu.
Die Geharnischten ließen sich zu Boden gleiten und robbten bis an denRand der Lichtung heran. Reglos starrten sie den Transmitter an.
Der bunkerähnliche Unterschlupf, den die Leute des Erhabenen benutzten,lag auf der anderen Seite.
Dort mochte es mehrere Wachen geben, aber sehen konnte man sie nicht.Anscheinend machten sich die Geharnischten um die Wachen recht wenig
Sorgen. Zu Recht wohl, wenn man die Scheu der Planetenbewohner vor ihnen in Betracht zog. Und die Armbrüste waren den primitiven Lanzen derSchneckengesichter garantiert überlegen.
Plötzlich ruckten die Körper der Geharnischten hoch. Das würfelförmigeBild über der Plattform hatte sich verändert. Während vorher eine unwirtliche eisige Ebene zu sehen gewesen war, erkannte man jetzt eine weite Steppeund darüber eine kleine, weiße Sonne.
Aber die Beobachter sanken uninteressiert ins Gras zurück. Harpoverstand: Sie warteten darauf, daß sich ihre eigene Welt in dem Transmitterfeld abbildete. Hoffentlich dauerte das noch recht lange, denn je längersie hier lagen, desto größer wurde die Rettungschance.
Immerhin lag Lonzo nicht mehr gefesselt neben dem Transmitter. Sicherlich hatte er sich dem Erhabenen gegenüber inzwischen verständlich machenkönnen und ließ nach ihnen suchen.
Die Sonne stand bereits tief am Himmel, und die brütende Hitze war einemkühlen Wind gewichen. Bald mußte es Abend werden, auch wenn damitnichts gewonnen war. Die schwarzen Kreaturen waren wohl schlau genug,den Schutz der Dunkelheit auszunutzen.
Plötzlich fuhren die Geharnischten wie elektrisiert hoch. Wieder war dasTransmitterfeld umgekippt. Es zeigte jetzt einen weißen Strand mit denanrollenden Wogen eines Meeres. Im Hintergrund wuchsen unbekanntePflanzen.
Kein Zweifel: Das war ihr Ziel. Sie robbten zurück und schleiften ihreGefangenen noch ein Stück näher an die Lichtung heran. Dann, nachdemauch die drei anderen wieder zwischen den Bäumen aufgetaucht waren,traten zwei von ihnen herrisch auf die Lichtung hinaus.
Ihre Armbrüste zeigten drohend auf die Büsche, hinter denen die Leute desErhabenen das letzte Mal aufgetaucht waren. Die anderen Wesen schlepptenin Windeseile Harpo und Anca als erste der Gefangenen zum Transmittertisch und legten sie davor ab.
„Lonzo! Bharos! Alexander!“ schrie Harpo verzweifelt, aber aus seinemMund kam nur ein leises Murmeln. Der Knebel saß einfach zu fest.
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Wenn nicht bald ein Wunder geschah, waren sie für immer auseinandergerissen: Lonzo, Bharos und Alexander blieben auf dem Planeten derSchneckengesichter, Anca, Trompo, Moritz und Harpo gerieten auf die unbekannte Welt der Geharnischten – und Ollie befand sich irgendwo, wo manihn nie erreichen konnte.
Trompo und Moritz wurden herbeigetragen und sofort auf den Transmittertisch geworfen. Dann folgte Anca. Harpo wurde als letzter angehoben.
„Alles aus!“ dachte er mutlos.Da regte sich Leben in den Büschen. Niemand anderer als Lonzo stürmte
an der Spitze einer mit Lanzen bewaffneten Armee heran.„Elende Schurken!“ schrie Lonzo. „Laßt sofort meine heißgeliebten
Freunde los! Hätte ich mir doch gleich denken können, daß die Brüder in derNähe stecken! Loslassen, habe ich gesagt! Chissimatucki!“
Die Geharnischten schossen ungerührt einige Pfeile ab, die ihr Ziel jedochverfehlten. Dann sprangen sie mit Harpo in das Transmitterfeld.
Im letzten Moment sah Harpo Bharos und Alexander neben dem Transmitter auftauchen. Sie hielten einander an den Händen und wuchsen förmlich aus dem Boden. Alexander schien schrecklich wütend zu sein, Bharoswirkte aufgeregt wie nie zuvor.
Dann gab es nur noch die Schwärze des Tunnels, der Harpo und dieFremden in eine andere Welt führte.
Revolte der Sklaven
Kaum daß sie angekommen waren, rissen harte Hände die Entführten vonder Plattform und warfen sie in den gelben Sand. Die Geharnischten ergriffenihre Armbrüste und richteten sie auf den leuchtenden Würfel.
„Vorsicht!“ wollte Harpo schreien. Er sah Bharos sich im gleichen Augenblick materialisieren, aber der Schrei blieb ihm im Halse stecken. Einenbangen Augenblick lang sah er mit schreckgeweiteten Augen, wie einer derGeharnischten auf Bharos anlegte und schoß. Aber der Pfeil – so gut er auchgezielt sein mochte – traf nur ins Leere. Klirrend schlug er gegen das Metallder Plattform. Bharos hatte sich bereits wieder in Luft aufgelöst.
„Huhu!“ rief er – und stand zwanzig Meter weiter im Sand. Die Schwarzenfuhren herum, hoben ihre Waffen und drückten erneut ab. Ein Pfeilhagel pfiffund segelte weit auf das Meer hinaus.
„Hier bin ich, ihr Deppen!“ rief Bharos jetzt von der anderen Seite desTransmitters her.
Seine Unerreichbarkeit schien seine Gegner jetzt zu beunruhigen. Sieschossen erneut. Umsonst. Aber so leicht und elegant Bharos sich auch bewegte – es war ein ganz schön gefährliches Spiel.
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Wenn man fünf Gegner gleichzeitig im Auge behalten wollte, bedeutete dasein großes Risiko.
Harpos Ohren registrierten ein schepperndes Geräusch. Sein Kopf wirbelteherum, und er sah den guten alten Lonzo auf der Plattform stehen. „Folgtdem Großen Shuubuu!“ schrie er winkend. „Wollt ihr wohl dem Großen Shuubuu folgen, ihr Feiglinge?“ Offenbar hatte er einige Schwierigkeiten, denErhabenen und dessen Leute dazu zu bewegen, auf die Plattform zu steigen.Bei allem Respekt vor dem Großen Shuubuu – vor dieser Maschine hatten siewohl noch mehr Ehrfurcht.
„Dann eben nicht, undankbare Bande!“ grunzte Lonzo. „Ihr seid denGroßen Shuubuu gar nicht wert. Chissimatucki, jawoll! Nur die Piraten desCaptain Kidd haben es verdient, die Gesellschaft des Großen Shuubuu zugenießen!“
Jetzt ließen die Geharnischten ebenfalls einen Pfeilhagel auf ihn los.„Ha! Feindberührung!“ schmetterte Lonzo ihnen entgegen. Seine Fangar
me wirbelten durch die Luft, suchten nach einem Ziel. Natürlich waren diePfeile wirkungslos von seinem metallenen Körper abgeprallt. Auch die zweiteSalve konnte ihm nicht das geringste anhaben.
„Aufhören, ihr Konservendosenritter!“ schnaubte der Roboter und sprangden Angreifern entgegen, was sie so verblüffte, daß sie hastig zurückwichen.Die Tentakel peitschten durch den Sand und feuerten ihn gegen die Rüstungen der Feinde.
Schritt um Schritt zogen die Fremden sich zurück. Jetzt tauchte auch Alexander auf der Transmitterplattform auf. In der rechten Pranke hielt er eineLanze. Er sah ziemlich grimmig aus. Offenbar hatte er so lange gewartet, bisLonzo die Fremden ein wenig zurückgetrieben hatte, ehe er auf den Transmittertisch gestiegen war.
Bharos materialisierte urplötzlich unter den Zurückweichenden und stellteeinem ein Bein. Das Wesen fiel der Länge nach zu Boden.
„Hurra!“ donnerte Alexander und setzte sich wie eine Dampfwalze in Bewegung. Die Geharnischten begannen, offenbar in Panik, loszurennen. Derjenige, der gefallen war, sprang plötzlich vor, huschte an Lonzo vorbei, ergriffTrompo und hielt ihn wie einen Schild vor sich.
Das kam so überraschend, daß niemand etwas dagegen tun konnte. Alexander blieb stehen und hielt unschlüssig die Lanze in der Pranke, währendBharos und Lonzo sofort ihre Attacken einstellten.
Schritt um Schritt zog der fünfte Geharnischte sich nun zurück und schloßzu seinen Gefährten, die sich offensichtlich wieder etwas gefangen hatten,auf.
Bharos nutzte die Zeit, um die Gefesselten blitzschnell zu befreien. Ruck,zuck – schon fielen die Schnüre von Anca und Harpo ab.
„Puh!“ war Harpos erstes Wort, als er sich selbst den Knebel aus dem Mundnahm.
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Er spuckte mehrmals in den Sand, um den muffigen Geschmack des Stoffesvon der Zunge zu kriegen. Dann rieb er seine steifen Glieder und wollte aufstehen.
„Unten bleiben!“ schrie Bharos. „Die Gefahr ist noch nicht vorbei!“ Moritzmachte „Wuff!“, zog aber genau wie Harpo und seine Schwester den Kopf einund schielte zu den Fremden hinüber.
„Das war Rettung in höchster Not“, flüsterte Harpo keuchend. „Wo habt ihrdenn so lange gesteckt?“
„Später“, sagte Bharos. „Erst mal sehen, was die Burschen vorhaben. Unddann müssen wir Trompo retten.“
„Diese Schufte“, sagte Anca mit tränenerstickter Stimme. „Keine Sorge,mein Schätzchen“, tröstete sie Lonzo. „Unseren Trompo kriegen wir schonzurück!“
Die fünf Fremden sahen ihnen aus der Ferne zu. Sie schienen nicht rechtzu wissen, was sie tun sollten. Einerseits wollten sie wohl ungern auf ihre„Beute“ verzichten, andererseits fürchteten sie anscheinend die schwierigenGegner Lonzo und Bharos.
Und Alexander, der so furchtlos wie ein Racheengel mit der Lanze in derHand aus dem Transmitterfeld gesprungen war, schien ihnen auch nichtganz geheuer zu sein. Schließlich entschieden sie sich aber doch und zogenab. Sie bewegten sich langsam durch den Sand und waren bald hinter einigenSchilfgewächsen verschwunden.
„Hinterher!“ schrie Lonzo rauf lustig. „Folgt dem Großen Shuubuu, werimmer das auch sein mag!“
Alle rappelten sich auf und schlichen geduckt den Spuren der Fremdlingenach. Harpo fand einen von den Wellen angetriebenen Knüppel und wog ihnprüfend in der Hand. Vielleicht konnte ihm der als Waffe dienen. Moritzführte sich auf, als sei er ein Wolf. Schließlich hielt er Trompo auch für eineArt Hund, und wenn man ihm seine Spielgefährten raubte, konnte er arggrantig werden.
„Es hat deshalb so lange gedauert“, berichtete Bharos, während sie dieFremden verfolgten, „weil wir eine ganze Weile brauchten, bis wir einanderdie Fesseln gelöst hatten. Alexander und ich sind dann mehrmals hin und herteleportiert, bis wir endlich auf Lonzo und seine Anbeterschar stießen. Es warihm gerade gelungen, sich verständlich zu machen, aber erst mal erwischtenuns die Wächter des Erhabenen, weil sie uns für Attentäter hielten, die einenAnschlag auf das Leben des Großen Shuubuu planten. Als Lonzo uns endlichaus dem ganzen Kuddelmuddel herausgeholt und die Lage erklärt hatte,standen wir vor der Frage, wohin euch die schwarzen Ritter verschleppthaben mochten.
Schließlich gab uns der Erhabene – der ist so eine Art Oberpriester bei denSchneckengesichtern – einige brauchbare Informationen. Er kannte dieVermummten nämlich: Sie nennen sich Morr. Sie benutzen den Transmitter,um von einer Welt in die andere zu gelangen. Für den Erhabenen sind sieeine Art Dämonen. Wenn sie auf der Plattform erscheinen, hütet man sich
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davor, das Netz herabfallen zu lassen. Man läßt sie gewähren, zumal sie wohlauch die Spielregeln einhalten. Meistens kaufen sie Sklaven und entführensie auf ihre eigene Welt. Es gab aber auch schon Kämpfe zwischen einzelnenMorr und den Transmitterwächtern. Wahrscheinlich dann, wenn die Morrdie Rituale der Götzenanbeter störten.“
Sie hatten inzwischen die Buschkette erreicht und sahen die Gestalten derfünf Morr in der Ferne.
„Ollie ist übrigens nicht auf der Welt der Schneckengesichter gewesen“, erklärte Lonzo. „Wenigstens hat mir das der Erhabene versichert.“ Er recktesich stolz. „Und den Großen Shuubuu wird er wohl kaum anlügen.“
„Na, Gott sei Dank!“ erwiderte Harpo. „Auch wenn das bedeutet, daß wirOllie weiterhin suchen müssen, ohne zu wissen, wo.“
Sie stiefelten weiter durch den Sand und achteten darauf, jede sichbietende Deckung auszunutzen. Schließlich konnte man nicht wissen, obsich die Morr nicht anders besannen und auf ihre Verfolger schossen.
„Der Erhabene ist übrigens gleichzeitig der oberste Wächter der sogenannten Gottmaschine“, führte Bharos weiter aus. „Außer den Morr kommennämlich noch allerlei wilde Tiere und manchmal auch Eingeborene andererPlaneten mit zottigen Fellen durch das Transmittertor. Warum das so ist,weiß ich nicht. Vielleicht erregt eine Station irgendwo auf einer fremden Weltregelmäßig die Neugier der Leute. Vielleicht wird irgendwo auch ein weitererTransmitter angebetet, gilt vielleicht als Opferstätte oder als Tor zum Paradies? Wer weiß? Daß mal ein Wesen kam, das Ähnlichkeit mit Lonzo hatte,muß sehr lange her sein und auf einem Zufall beruhen. So, wie auch wirdurch Zufall in diese Geschichte hineingeraten sind.“
Die Morr bewegten sich noch immer an der Küste entlang. Rechts von ihnen erhoben sich flache, mit spärlichem Grün bewachsene Hügel. Vereinzelte knorrige Bäume mit violetten Blättern bildeten den Hintergrund. Eingeierähnlicher, gefiederter Vogel flog krächzend über den Schaumkronen desMeeres dahin. Offenbar suchte er nach Beute.
Die Küste öffnete sich jetzt zu einer engen Bucht. Und man konnte das Zielder Geharnischten erkennen. Auf dem Wasser dümpelte ein riesigesschwarzes Schiff, wahrscheinlich aus Holz gebaut. Mehrere Dutzend ungewöhnlich langer Ruder ragten aus runden Löchern in der Seitenwandungheran. An Deck rührte sich nichts. Tiefschwarze Segel hingen schlaff von denMasten.
„Eine Galeere!“ rief Harpo überrascht und legte eine Hand gegen die Stirn,um besser in die Sonne sehen zu können. „Mensch, wir müssen was unternehmen! Wenn die erst an Bord sind, sehen wir Trompo nie wieder. Vielleichtbefinden wir uns auf einer Insel und haben keine Gelegenheit, diesen Kahnzu verfolgen!“
„Jetzt weiß ich auch“, sagte Anca laut, „was die Morr mit uns vor hatten!Wir sollten als Rudersklaven auf ihrem Schiff arbeiten. Harpo hat recht. Wirmüssen ...“
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„Aber wie denn?“ fragte Alexander. „Die schießen doch, sobald wirangreifen!“
„Die einzige Chance“, sinnierte Bharos, „ist, daß wir den Überraschungseffekt nutzen. Die werden sicherlich mit einem Boot übersetzen und mitkeinem Angriff mehr rechnen. Vielleicht legen sie dann die Waffen beiseite.Ich werde auf das Boot springen, mir Trompo schnappen und wieder abhauen.“
„O je, hoffentlich geht das gut“, meinte Anca.„Der Große Shuubuu wird nicht zulassen, daß ihm auch nur einer seiner
Gläubigen entführt wird“, setzte Lonzo an, „und deswegen –“„Pschschttt!“ machte Harpo und deutete auf das Schiff. Dort wurde jetzt
tatsächlich ein Boot zu Wasser gelassen. Man sah einen weiteren Geharnischten, dann noch einen. Mindestens zwanzig andere Gestalten liefen nun anDeck herum. Sie trugen blanke Rüstungen und waren größtenteils kleiner alsdie Schwarzen. Mit weithin hörbaren, quietschenden Geräuschen wurde dasBoot an Leinen ins Wasser gesenkt. Acht oder zehn Wesen mit blanken Rüstungen stiegen ein und ruderten es zum Strand.
Als sie ihn fast erreicht hatten, ertönte von der Galeere her ein scharferPfiff.
Hunderte von Gestalten, manche in blanken Rüstungen, andere aber unbekleidet, mit Fetzen und seltsamen Gewändern bedeckt, die meisten menschenähnlich, tauchten an Deck auf. Die beiden schwarzen Gestalten wolltenzu den Waffen greifen – jedoch: Es war zu spät. Sie wurden von den Fäustender anderen ergriffen und unter lautem Geschrei ins Meer geworfen. Die Besatzung des Bootes hatte sich auf den Pfiff hin erhoben und richtete Armbrüste auf die wartenden Morr am Strand. Schon zischten die ersten Pfeileheran.
„Kneif mich!“ schrie Harpo Anca zu. „Ich glaube, ich spinne! Das muß einSklavenaufstand sein!“
Die Morr duckten sich und wichen den Pfeilen aus. Plötzlich wandten siesich um und rannten davon. Ein Bündel wurde achtlos in den Sand geworfen.
Das mußte Trompo sein!Die Leute von der EUKALYPTUS stimmten auf der Stelle in das von der Ga
leere herüberdringende Gejubel ein und tanzten ausgelassen im Sand herum.Eigentlich war das sehr unvorsichtig, und tatsächlich wurde die Bootsbe
satzung auf sie aufmerksam. Aber dann legte das Boot an. Die Gestalten inden blanken Rüstungen sprangen an Land und nahmen die Verfolgung derflüchtenden Morr auf. Bald waren sie hinter Büschen und Felsbrockenverschwunden.
„Geht zurück!“ rief Bharos beschwörend. „Ich hole Trompo und rede mitden Leuten. Es wäre bestimmt nicht gut, wenn wir mit der ganzen Horde daauftauchen würden. Vielleicht halten sie uns auch für Dämonen. Auf jedenFall sind sie sehr erregt, da wird manchmal eher geschossen als gefragt!“
„Mir nach!“ trompetete Lonzo. „Bharos wird schon heil rauskommen ausdiesem Durcheinander!“ Die anderen ließen sich das nicht zweimal sagen
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und machten sich auf der Stelle auf den Rückmarsch zum Transmitter. Nochehe sie ihn erreicht hatten, tauchte Bharos wieder auf. Trompo saß auf seinerSchulter, war bereits ohne Fesseln und piepste glücklich. Von den Morr warweit und breit nichts mehr zu sehen.
„Nichts wie weg von hier“, sagte Harpo und fühlte zum ersten Mal, wiemüde er eigentlich war. Wie lange hatten sie nun nicht mehr geschlafen?Neunzehn Stunden? Zwanzig? – Egal, es galt jetzt, Ollie endlich zu finden.Schlafen konnte er anschließend, und wenn er wollte, sogar achtundvierzigStunden an einem Streifen.
Der Transmitterwürfel zeigte augenblicklich eine schneebedeckte Landschaft. Felsen und Berge. Einen eisblauen Himmel.
„Fertig?“ fragte Lonzo.„Fertig!“ brüllten die anderen.„Dann auf zur Schneeballschlacht!“Sie stürzten sich in das Transmitterfeld hinein.
Die Entdeckung
Das erste, was Harpo spürte, als er auf dem Transmittertisch eintraf, warschneidende Kälte. Der plötzliche Schock hatte den Körperwächter überrumpelt. Im nächsten Moment jedoch floß Energie durch die Heizdrähte desAnzugs und vertrieb den Frost. Harpo rollte sich von der Plattform des Empfängers in den Schnee hinein.
„Brrrrrrrrrrr“, schnatterte Lonzo und sprang hinterher. „Bei diesem Wetterjagt man ja keinen Hund vor die Tür! Nur der arme Lonzo muß sich die Zehenabfrieren! Außerdem spüre ich, wie es überall anfängt zu rosten.“ Er schlangseine Tentakel um die Metallschultern, als würde er sich damit wärmenkönnen.
„Bautz!“ machte Alexander und fiel mit dem Hinterteil voran in denSchnee. Der Pulverschnee wirbelte auf, und einen Moment lang war nichtsmehr von Alexander zu sehen. Dann stieß er einen komischen Hilfeschrei ausund begann, einen Abhang hinabzurutschen. Nichts, so schien es, konnte dieunfreiwillige Fahrt aufhalten.
„Rettung naht!“ trompetete Lonzo und hechtete hinterher. Sein runder Metallkörper schien wie ein Schlitten durch den Schnee zu gleiten. Er sah entfernt einer Rakete ähnlich. Anca, die gar nicht begriffen hatte, worum es ging,sprang Lonzo jauchzend nach und zog Trompo mit sich. Der Roboter griff sofort mit den oberen Tentakeln nach den beiden und hielt sie fest. Dann ginges mit wachsender Geschwindigkeit den Hang hinunter.
Alexanders Gebrüll war einem Jubeln gewichen. Er hatte wohl gemerkt, daßihm keine Gefahr drohte, und sah plötzlich nur noch den Spaß, den es machte, über den Schnee zu gleiten. Für Späße dieser Art waren die Rotpelze auf
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dem Planeten Nordpol schließlich jederzeit zu haben. Alexander fühlte sichan alte Zeiten erinnert.
Bharos und Harpo lachten, als sie Alexander, gefolgt von dem seltsamenLonzoschlitten mit Anca und Trompo, den Hügel hinabsausen sahen. Harpomußte an die erste Begegnung mit den Rotpelzen auf Nordpol denken. Lautlachend waren die zotteligen Fellwesen auf den dicken Hinterteilen jenenBerg hinabgerutscht, der sich später als Schneekrabbler, ein riesiges, schildkrötenähnliches Lebewesen, entpuppte. Flunki und seine Raufbolde kamenihm in den Sinn – Zwerge, die in den Panzern der Schneekrabbler lebten, sichunglaublich schnell bewegen konnten und auch beim Essen die Schnellstenwaren ... Wie mochte es ihnen allen in der Zwischenzeit ergangen sein: denRotpelzen, den Raufbolden, den Schneekrabblern, dem Weltraumarzt Hugound natürlich den zurückgebliebenen Besatzungsmitgliedern der EUKALYPTUS? Aber dann fiel ihm Ollie ein, und er drängte die anderen Gedanken zurück.
Während Alexander, Lonzo, Anca und Trompo vor Freude quietschend amFuße des Hügels angekommen waren und auf der Stelle mit einer Schneeballschlacht begannen, konzentrierten Harpo und Bharos ihre Aufmerksamkeit auf die nähere Umgebung. Der Dackel Moritz sah unschlüssig von einerGruppe zur anderen, entschied sich dann aber für die Schneeballschlachtund schoß bellend den Hang hinab.
Lonzo schaufelte eifrig Schnee zusammen, fand jedoch noch Zeit, umnebenbei seine Meßergebnisse zu verkünden. Wer wollte, der konnte getrostden Helm öffnen. Die Luft war gut und gesund – nur ein bißchen kalt.
Harpo schaute zu den nahen Bergen hinüber. Es handelte sich um einenGebirgszug mit verschneiten Gipfeln von gut dreitausend Metern Höhe. Nureinzelne Bergflanken schimmerten graubraun aus dem Weiß hervor. Es gabvereinzelte Bäume, die an Krüppelkiefern erinnerten, aber dreimal so großwaren. Die nächsten davon waren nicht mehr als hundert Schritte entferntund schienen unter ihrer Schneelast förmlich zusammengesunken zu sein.
„Du bist uns noch eine Geschichte schuldig“, erinnerte Harpo den Akkai.„Gewiß“, erwiderte Bharos. „Wir hatten richtig vermutet – es war ein Auf
stand der Galeerensklaven gegen ihre Peiniger. Diese Sklaven gehörten verschiedenen Rassen an. Das hat meine Mission erleichtert. Zwar griff man imersten Moment nach den Waffen, als ich aus dem Nichts heraus an Deck desSchiffes auftauchte, aber dann gab man mir Gelegenheit, alles zu erklären.Dabei erfuhr ich selbst eine Menge über die Sklaven, ihren Planeten und vorallem über ihre grausamen Herren, die Morr. Das meiste davon las ich in ihren Gehirnen, denn die Zeit war zu kurz, um alles zu erklären. Der Planet hateine Fülle von intelligenten Rassen hervorgebracht, die mehr oder wenigerfriedlich nebeneinanderleben. Eine technische Zivilisation in unserem Sinnekennt man nicht, sondern lebt noch ...“ – Bharos suchte in Harpos Gedächtnis nach einem Vergleich – „... wie auf der Erde vor zweitausend Jahren. DieMorr jedoch stammen von einer anderen Welt. Niemand weiß mehr, wie sievor Hunderten von Jahren auf den Planeten gelangt sind – es gibt Sagen über
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einen Kampf mit Fremden, die aus dem Himmel kamen und zurückgeschlagen wurden. Einige Morr müssen überlebt haben. Aber sie überstandenden Kampf nicht unbeschadet. Eine unbekannte Strahlung fügte ihnen dieNarben zu, die wir gesehen haben – und zerstörte Teile des Gehirns. Offenbarwurden sie dabei gleichzeitig langlebig, grausam und gefühllos. Sie unterdrücken andere, verbergen ihre Körper unter Rüstungen und Kutten undleben in riesigen Festungen. Ich glaube nicht, daß die Morr die Erbauer desTransmitternetzes sind – aber sie sind in der Lage, etwas damit anzufangen.Das ist alles, was ich erfahren habe.“
„Seltsame Wesen“, sagte Harpo. „Und beinahe wären wir ihnen zum Opfergefallen. Was mag das für eine Strahlung gewesen sein, der die Morr ausgesetzt waren?“
„Vielleicht Radioaktivität?“ meinte Bharos. „Mag sein, daß es sich um einenUnfall handelte. Oder sie wurden irrtümlich von ihren eigenen Leuten beschossen. Wir können nur Vermutungen anstellen.“
Ein polterndes Geräusch ließ Bharos und Harpo, die inzwischen ihre Helme abgenommen hatten, herumfahren. Aber es war nichts Besorgniserregendes. Von den Ästen des nächststehenden Baumes war ein Teil derSchneelast zu Boden gefallen.
„Puh!“ rief Harpo. „Wenn man sich über die Morr unterhält, glaubt manüberall Gespenster zu sehen.“
Es war so kalt, daß sich beim Sprechen kleine Nebelwölkchen vor demMund bildeten, aber vorerst dachte keiner daran, die klare Luft wieder durcheinen aufgesetzten Helm auszusperren.
Bharos sah sich suchend im Schnee um und meinte: „Wenn der Kleine hiergelandet ist, dann sind seine Fußspuren natürlich längst zugeweht und zugeschneit.“
Harpo nickte. „Und wenn wir nicht bald einen Unterschlupf finden“, sagteer und deutete zum Himmel, „dann schneien wir selbst ein. Sieh dir nur diesedicken Schneewolken an!“ Bharos ging zum Transmitter zurück und betrachtete ihn. Eine nachtschwarze Welt ohne erkennbare Konturen zeigte sich imBildwürfel.
Bharos untersuchte den Schnee in der Nähe des Gerätes. „Aha“, sagte erdann zufrieden. „Ruinen. Der Transmitter stand nicht immer im Freien.“ Erscharrte mit den Händen und legte ein Stückchen Beton frei, aus dem Restevon Eisenstangen ragten.
„Ein unbeschädigtes Gebäude wäre besser“, sagte Harpo. „Das Ding fängtja schon an zu rosten.“ Er zeigte auf braunrote Flecken an der Unterseite desTransmittertisches.
„Jemand hat es abgerissen, oder es ist einer Lawine zum Opfer gefallen“,überlegte Bharos laut. „Seltsam nur, daß der Transmitter nicht beschädigtwurde.“ Er hielt inne, überlegte und fuhr dann fort: „Das wird mit dem Feldzu tun haben; es scheint gleichzeitig ein Schutzdach zu sein. Siehst du? Esliegt kein Schnee auf der Platte. Er wird vom Feld abgefangen.“
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„Müßte er nicht trotzdem eingeschneit sein?“ fragte Harpo. „Normalerweise schon“, gab Bharos zurück. „Aber der Standort wurde wahrscheinlichabsichtlich auf der Kuppe des Hügels gewählt, um das zu verhindern. Undaußerdem strahlt der Transmitter eine gewisse Eigenwärme ab, die Schneeverwehungen schnell abtauen läßt.“
In diesem Moment ertönte unten am Abhang ein vielstimmiger Schrei. DieSchneeballschlacht hatte ein Ende gefunden, und jetzt hüpften Anca, Alexander und Lonzo wie die Wilden auf und ab. Sie schrien und winkten. Imgleichen Moment, als Trompo ebenfalls lospiepste, erkannten auch Bharosund Harpo, was die Schreier beabsichtigten: Sie wollten auf sich aufmerksammachen. Denn in der gut zwei Kilometer entfernten Ebene bewegte sich inrascher Fahrt ein Fahrzeug dahin, das man eigentlich nur als Motorschlittenbezeichnen konnte. Die Sonnenstrahlen gleißten auf einer abgeflachten,halbkugelförmigen Kuppel. Harpo glaubte sogar, zwei Gestalten unter derKuppel ausmachen zu können. Das Fahrzeug nahm einen halsbrecherischenZickzackkurs zwischen Felsnadeln hindurch und entschwand schließlich ausdem Blickfeld.
Bharos erhielt einen begeisterten Schlag auf die Schulter. Das war Harpo.„Dieser Planet ist bewohnt!“ schrie er. „Bewohnt! Juchhuuu! Und ich möchtewetten, daß wir es diesmal nicht mit Sklavenhändlern zu tun bekommen!Wenn Ollie hier aufgetaucht ist, sitzt er vielleicht schon lange in einem Unterschlupf am warmen Feuer.“
Obwohl das Verschwinden des Schlittens die Freude ein wenig gedämpfthatte, waren die Freunde durch die Neuigkeit in helle Aufregung versetztworden. Eigentlich hatte man eher gemeint, diese Schneewelt sei ohne Lebenund damit nur eine kurze Episode bis zum nächsten Transmittersprung. Jetztsah die Sache natürlich anders aus.
Harpo raste den Abhang hinunter, rutschte schließlich aus und landete ineiner gewaltigen Schneewolke am Fuße des Hügels. Bharos ging vorsorglichgleich in die Hocke und rutschte wie Alexander auf dem Hosenboden in dieTiefe. Lachend rappelten sie sich unten wieder auf.
Sofort wurden die Neuankömmlinge mit einem Wortschwall überfallen.„Habt ihr das auch gesehen?“„Einwandfrei – das war ein Schlitten!“„Wer hätte das gedacht!“„Ob die Schlittenfahrer wissen, wo Ollie steckt?“„Laufen wir ihnen nach?“„Aber warum sind sie weitergefahren? Warum haben sie nicht angehalten?“Lonzo fuchtelte mit den Tentakeln herum und schmetterte:„Warum, warum! Weil sie vor dem Großen Shuubuu Angst haben! Zu
Recht! Ich werde sofort etwas unternehmen, um die ungläubigen Bewohnerdieses Planeten zu bekehren. Ich mache euch alle zu Generälen des GroßenShuubuu!“
„Nichts da!“ knurrte Alexander. „So was tun wir nicht.“
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„Na gut“, lenkte Lonzo ein. „Ist mir eigentlich auch lieber, wenn ihr meineMatrosen bleibt. Aber trotzdem haben die Galgenvögel ... äh, die lieben Leuteauf dem Schlitten Angst vor mir gehabt! Ich weiß es! Als ich noch mit CaptainKidd auf Kaperfahrt ging, machten die feindlichen Piraten auch immer in dieHosen, wenn sie mich nur an der Reling auftauchen sahen ...“
Anca unterhielt sich inzwischen mit Bharos. „Hast du etwas in ihrenKöpfen gelesen?“ wollte sie neugierig wissen.
Bharos nickte zögernd. „Na ja“, sagte er. „Ich konnte die Gehirnströme vonzwei denkenden Lebewesen erkennen.“
„Darauf wäre ich auch selbst gekommen“, unterbrach ihn Lonzo sehr vorlaut. „Schließlich habe ich noch nie gesehen, daß Tiere einen Schlitten lenken.“
„Haben sie an etwas Bestimmtes gedacht – vielleicht sogar an Ollie?“ wollteHarpo wissen und hampelte nervös von einem Bein auf das andere.
Jetzt redeten alle durcheinander und deckten Bharos derart mit Fragen ein,daß er sich lachend die Ohren zuhielt.
„Nicht so stürmisch, nicht so stürmisch!“ rief er. „Denkt doch bitte daran,daß ich nicht nur eure Stimmen, sondern auch noch eure sich überschlagenden Gedanken höre. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was das fürein Gefühl ist!“ Wenn sie ihre Gedanken schon nicht abstellen konnten, soschwiegen sie doch zumindest. Alle Blicke saugten sich erwartungsvoll anBharos’ Lippen fest.
„Also“, sagte Bharos gemächlich und lächelte über so viel Aufmerksamkeit.„Um das Wichtigste vorwegzunehmen: Über Ollie habe ich nichts erfahren.Die Schlittenfahrer schienen so etwas Ähnliches wie Postboten und zu einerStation unterwegs zu sein, die ziemlich weit von den anderen bewohnten Gebieten entfernt liegt. Und was konkret die Unterhaltung der beiden betrifft,so erzählte der eine dem anderen gerade einen Witz.“
„Einen Witz?“ fragte Alexander erstaunt.„Einen Witz?“ echote die versammelte Mannschaft.„Unglaublich!“ krähte Lonzo. „Ja, haben denn diese Beamten überhaupt
keine Arbeitsmoral? Während der Dienstzeit erzählen sie sich Witze? Ungeheuerlich, fürwahr!“
„Bei Captain Kidd“, flachste Anca, „hätte es so was nicht gegeben.“„Im Gegenteil“, konterte der Roboter. „Schließlich war Captain Kidd kein
Beamter, mein Schätzchen. Vielmehr haßte er die Beamten, Behördenschreibtische und Dienststunden wie die Pest!“
Harpo wurde plötzlich ganz weiß im Gesicht, weil ihm ein ungeheuerlicherVerdacht kam. Im nächsten Moment spürte er, wie ihm das Blut in den Kopfschoß und ihn tomatenrot leuchten ließ. „Sag mal“, stotterte er. „Bharos ...äh... bist du sicher, daß diese Leute zu einer abgelegenen Station unterwegswaren?“
„Ganz sicher“, sagte Bharos und nickte bekräftigend mit dem Kopf. „Siefreuten sich beide darauf, bald wieder einmal die Beine unter einem Tischausstrecken und ein würziges Süppchen schlürfen zu können. Den einen
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plagten übrigens Zahnschmerzen, und er freute und fürchtete sich zugleichvor der Ankunft auf der Station, weil es dort wohl einen Zahnarzt gibt.“
„Tätterätääää!“ trompetete Lonzo und hechtete in den Schnee. Jetzt klangseine Stimme ganz dumpf und hohl unter der Schneedecke hervor. „Ich weißes! Ich weiß es! Hihihihihi! Mal sehen, wer als nächster drauf kommt!“
Alexander starrte verdutzt Lonzo an, der sich gerade wieder auf rappelte.„Was fehlt dir denn? Oder bin ich blöd? Warum sollen die hier keinen Zahnarzt haben?“
„Find’ ich aber auch!“ sagte Anca. Lonzo gluckste in sich hinein.„Weiter, weiter!“ drängte Harpo. „Woran dachten die beiden ... Postboten ...
noch?“„Nun ...“ Bharos suchte nach Worten und widerstand der Versuchung, in
Harpos Gedanken nachzuforschen, um seiner Unruhe auf die Spur zu kommen. „Das war eigentlich schon alles. Ich kann höchstens noch den Witz erzählen. Soll ich? Also gut, es ging dabei um einen gewissen Rastus, der ...“
Weiter kam er nicht.„Ha!“ schrie Harpo und machte einen Luftsprung. „Ich werd’ verrückt!“
sagte Anca und ließ sich der Länge nach in den Schnee kippen.„Das gibt es doch nicht!“ japste Trompo. „Juchhu!“Jetzt konnte Bharos nicht länger widerstehen. Er las die Gedanken der
anderen, die sowieso schon wie eine Woge gegen sein Gehirn schwappten.Ein Leuchten wanderte über seine Züge.
Anca ergriff Lonzos Tentakel, der schnappte sich den Rüssel des kleinenTrompo und Harpos Hand. Harpo packte Bharos.
Alle bildeten einen Kreis um Alexander und tanzten ausgelassen um ihnherum. Moritz fegte wie ein Wirbelwind von einem zum anderen und belltesich heiser.
„Was habt ihr denn alle?“ rief Alexander. „Was ist denn in euch gefahren?Sagt mir doch, was euch fehlt. Vielleicht finden wir in der Reiseapotheke einMittel dagegen ...“
„Ja, weißt du denn immer noch nicht, wo wir sind?“ quäkte Lonzo undbespritzte mit seinen freien Tentakeln den jungen Rotpelz mit Schnee. „AufNordpol! Wir sind auf deinem Heimatplaneten gelandet!“
„Dadadas glaub’ ich nicht!“ stotterte Alexander. Nach einer Weile fuhr erfort: „Aber der Schnee ... der Motorschlitten ... Rastus ... etwa Rastus, derRaufbold??! Hurrrrraaaaaaaa!“
Endlich ein Lebenszeichen!
Verständlicherweise herrschte helle Aufregung. Alle riefen durcheinanderund versuchten, sich gegenseitig lautstark an die Abenteuer auf dem PlanetenNordpol zu erinnern.
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Nordpol war der erste Planet, den die von den Weltraumärzten nur notdürftig reparierte EUKALYPTUS erreicht hatte, nachdem das Schiff durcheine Katastrophe in die Weiten des Weltraums gerissen worden war. Heilfrohdarüber, eine neue Heimat gefunden zu haben, blieben die meisten Kinderauf Nordpol zurück, als die EUKALYPTUS zu neuen Abenteuern startete. KeinWunder, denn sie hatten Freunde gefunden. Da waren einmal AlexandersLeute, die gutmütigen Rotpelze, zum anderen jene lustigen Zwerge, die sichselbst Raufbolde nannten.
Als Bharos von einer Station mit einem Zahnarzt erzählte, hatte Harpo bereits Verdacht geschöpft. Er mußte unwillkürlich an den Weltraumarzt Hugodenken, der eine medizinische Station auf Nordpol unterhielt. Sie selbstwaren auf dieser Station gewesen. Station – Zähneziehen – Motorschlitten –Schneewelt ... Alles paßte zusammen, hatte Harpo überlegt. Oder konnte esso viele Zufälle auf einmal geben? Andererseits wollte es ihm nicht in denKopf, daß unter Tausenden von möglichen Planeten ausgerechnet Nordpolan das Transmitternetz angeschlossen sein sollte. Bei ihrem Aufenthalt aufdem Schneeplaneten hatten sie nichts davon bemerkt. Aber der Planet wargroß, und sie kannten eigentlich nur einen winzigen Teil davon.
Als der Name Rastus fiel, konnte es keinen Zweifel mehr geben. Zu ofthatten sie diesen Namen bei den Raufbolden gehört, denn er tauchte alsPhantasiefigur immer wieder in ihren Witzen auf.
So unglaublich es allen erschien: Sie waren wieder dort, wo ihre Abenteuerbegonnen hatten. Vielleicht würden sie schon in wenigen Stunden den zurückgebliebenen Freunden von ihren tollen Erlebnissen berichten können.Das würde eine Wiedersehensfeier geben! Namen und Gesichter tauchtenauf: Fantasia Einstein, Lori Powitz, Lucky Cicero und Fidel Flottbek. BabsMonroe, ein geheimnisvolles Mädchen, das als blinder Passagier an Bord desRaumschiffes gefunden wurde und kaum etwas über sich selbst erzählenkonnte, weil es das Gedächtnis verloren hatte. Daniel Locke, der im Kälteschlaf gelegen hatte, weil er auf der Erde an einer gefährlichen Krankheit hätte sterben müssen. Der Weltraumarzt Hugo konnte ihm helfen, und Danielhalf ihnen. Seiner Hilfe vor allem war es zu verdanken, daß die EUKALYPTUSwieder voll funktionsfähig wurde.
Der kleine Trompo tanzte besonders vergnügt herum. Kein Wunder, dennauf der Station des Weltraumarztes gab es ein weiteres Wesen seiner Rasse,das Hugo bei seiner Arbeit half. Er freute sich sehr darauf, es wiederzusehen.
Alexander schwelgte schon jetzt in seliger Vorfreude. Seine Leute würdenstaunen, ha! Noch nach Jahrzehnten würde man von ihm erzählen: Alexander, der erste Rotpelz im All. Alexander, der Tollkühne.
Alexander, der Erbe des Universums ...Es wurde wirklich Zeit, ihn auf den Schneeteppich zurückzuholen!„Deine Leute werden dir die Bärenhaut über den Kopf ziehen, wenn sie hö
ren, daß du auf den kleinen Ollie nicht aufgepaßt hast“, meinte Lonzo undließ ein schepperndes Lachen hören. So ernst war das nicht gemeint, aber eserfüllte den Zweck. Alexander wandte sich wieder den Alltagsproblemen zu.
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Wenn sie auch auf Nordpol waren – Ollie hatten sie damit noch lange nichtgefunden.
„Wenn wir nicht bald etwas unternehmen“, klagte Lonzo, „werden wir unsin dieser Bärenkälte noch was abfrieren.“
„Du kannst dir ja gar nichts abfrieren!“ rief Anca lachend, und die anderenfielen mit ein.
„Bin nicht so sicher“, krähte der Roboter. Ernster fügte er hinzu: „Nehmteuch einen weisen Spruch von Captain Kidd zu Herzen. Der pflegte nachSchiffbrüchen immer zu sagen: ‚Erst mal sehen, wo es was zu futtern und einFäßchen Rum gibt. Dann eine Unterkunft suchen und ein warmes Feuerchenanzünden. Und schließlich eine Flaschenpost absenden, damit die anderenPiraten wissen, wo wir stecken‘“
„Nun mal langsam“, meinte Harpo. „Wenn wir unsere Anzüge schließen,müssen wir nicht frieren. Und zu essen ist auch noch genügend ...“
„Papperlapapp!“ rief Lonzo dazwischen. „Ein Feuer ist viel gemütlicher!“„Aber was ist mit der Flaschenpost?“ fuhr Harpo fort.„Flaschenpost? Wieso Flaschenpost?“ warf Bharos ein. „Na, ihr seid
vielleicht gut!“„Wieso denn?“ fragte Lonzo. „Die Flaschenpost ist längst unterwegs. Ich
habe den Peilton meines Senders modifiziert und per Morsealphabet eineBotschaft an Schwatzmaul gefunkt. Die Matrosen auf der EUKALYPTUSwissen jetzt Bescheid. Die haben nach dem letzten Transmittersprung dochlängst wieder meinen Hyperfunksender angepeilt. Mag sein, daß Schwatzmaul mit Hilfe der Sternkarten auch allein herausgefunden hätte, daß wir aufNordpol stecken. Aber so ist es sicherer. Ihr wißt ja, daß der alte Blechhaufennicht zu den Schlauesten im Universum zählt.“
„Lonzo, du bist gemein!“ schimpfte Anca.„Aber die Idee mit dem veränderten Peilton war sehr gut“, lobte Harpo.„Trotzdem“, knüpfte Alexander an den Vorschlag des Roboters an, „ein
warmes Plätzchen würde sogar mir jetzt gefallen ...“„Ich sehe mich mal in der Gegend um“, sagte Bharos. „Bleibt bitte in der
Nähe des Transmitters, damit wir uns nicht verlieren.“Im nächsten Moment war er verschwunden, tauchte in der Ferne wieder
auf und verschwand erneut. Bharos setzte seine Teleportationskräfte ein.Kaum war der Akkai fort, wandten sich die anderen dem Problem Ollie zu.„Was hättest du getan, Alexander“, fragte Harpo den Rotpelz, „wenn du an
Ollies Stelle hier gelandet wärst? Ohne Schutzanzug und ohne Verpflegung!“„Nun ... ich ...“ Alexander zupfte nachdenklich an seinem Brustfell herum.
Dann warf er einen Blick auf den Transmitter. „Vielleicht hätte ich zunächstan dem Gerät herumgefummelt, um zu sehen, ob man es nicht steuernkann.“
„Falsch!“ unterbrach ihn Anca triumphierend. „Du hättest dir überlegt, daßein Rumfummeln am Transmitter zum Abschalten oder zur Zerstörung führen könnte. Also wären deine Finger hübsch ruhig geblieben!“
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Alexander brummte vor sich hin. „Ähhh ... zugegeben“, gestand er schließlich ein. „Ich hätte gewartet. Auf euch!“ „Es ist aber kalt“, erinnerte Harpo.„Du frierst und hast Hunger. Und deine Freunde kommen und kommennicht. Würdest du immer noch im Schnee hocken und warten? Denk daran,daß Ollie kein natürliches Fell hat wie du.“
Alexander überlegte. „Na ja, irgendwann würde ich mir dann doch wohleinen Unterschlupf suchen. Eine Höhle oder so was. He, ich würde mir einenIglu bauen!“
„Und das wäre alles?“ fragte Harpo.„Nö“, sagte Alexander. „Eine Nachricht würde ich natürlich hinterlassen,
damit ihr wißt ...“„Das ist es!“ Anca klatschte in die Hände. „Und Ollie hätte bestimmt genau
so gedacht! Wir müssen jetzt nur noch ein bißchen suchen, dann ...“„Wenn man dich so hört, denkt man, Ollie müßte auf jeden Fall hier ge
wesen sein“, sagte Harpo.„Miesmacher!“ antwortete Anca, lief als erste zum Transmitter und begann,
nach Ollies Botschaft zu suchen. Die anderen folgten ihrem Beispiel undstrengten sich genauso an.
Im Leuchtkubus über dem Transmittertisch war jetzt eine Felsklippe direktam Rande eines sturmgepeitschten Meeres zu sehen. Schneeflocken aus demHimmel des Planeten Nordpol versuchten, in die fremde Landschaft einzudringen, zerschmolzen aber sofort beim Eintauchen in das Transmitterfeld.Die blanke Fläche des Tisches war makellos und eben; auch das schärfsteAuge vermochte darauf keinen Kratzer zu entdecken, geschweige denn eineeingeritzte Botschaft. Aber wenn man es genau nahm, konnte Ollie dort auchkeine Nachricht hinterlassen haben, weil ihn jedes Eintauchen in das Transmitterfeld neuerlich in Gefahr gebracht hätte.
Der dicke Rand der Platte und der kastenartige Aufbau schienen für einensolchen Zweck eher geeignet zu sein. Aber: nichts.
Als Harpo versuchte, mit dem Taschenmesser das Metall zu zerkratzen,hatten sie immerhin den einen Trost, daß die fehlende Botschaft kein Beweiswar: Das Metall ließ sich nicht zerkratzen. Selbst dort, wo sich Rost angesetzthatte, konnte die Messerklinge nichts ausrichten.
Schon wollte Harpo entmutigt aufgeben, als ihm schlagartig etwas einfiel.„Wir haben den Deckel des Kabelkastens vergessen!“ rief er mit neu erwachender Hoffnung.
„Ach, der besteht doch nur aus den Plastiknoppen ...“Anca brach ab, als ihr einfiel, daß man in Kunststoff leichter etwas einritzen
konnte als in Metall.Bereits auf Dragon hatten sie entdeckt, daß die Oberseite des Kastens aus
Kunststoff bestand und einzelne Noppen verschiedenfarbig aufleuchteten,wenn das Transmitterfeld wechselte.
Aber die Hoffnung, damit den Steuerungsmechanismus gefunden zuhaben, war schnell der Erkenntnis gewichen, daß es zwar verschiedenfarbigeLichter, jedoch keine Steuerungselemente gab.
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„Hepp!“ rief Alexander, packte kurzerhand Anca und setzte sie auf seineSchultern. Aus dieser Höhe konnte Anca auf den Kasten hinunterblicken.
„Hmm“, machte sie. „Das sieht irgendwie ..., was ist das denn? ... Fastkönnte man glauben, daß ... Er war hier! Er war wirklich hier! So ein pfiffigesKerlchen!“ Die letzten Sätze hatte sie derart laut herausgeschrien, daß Alexander vor Schreck beinahe die Balance verlor.
„Was ist denn hier los?“ fragte Bharos und tauchte neben Alexander ausdem Nichts auf. Ancas Erregung hatte ihn herbeieilen lassen. „Unglaublich“,flüsterte er, als er Ancas Gedanken las. „Unglaublich.“
„Was ist denn so unglaublich?“ knurrte Alexander und stampfte mit demFuß auf. Gleichzeitig setzte er seine Last wieder auf den Boden.
„Er hat wirklich eine Nachricht hinterlassen!“ rief Anca keuchend. „Er isthinaufgeklettert und hat es getan!“
„Ja, was hat er denn getan, zum Donnerwetter?“ explodierte Harpo.„Ihr müßt das selber sehen! Er hat mit einem spitzen Gegenstand einzelne
Noppen zerschlagen und auf diese Art Buchstaben zusammengesetzt.“Jetzt hielt es Alexander nicht mehr länger aus. Er suchte nach einem Halt,
fand ihn auf einem dicken Kabelende, das in den Kasten hineinlief, undstemmte sich hoch. „Ha!“ schrie er begeistert. „Der Ollie! Kaum zu glauben,auf was für Ideen der kommt!“
Dann ließ sich Alexander in den Schnee plumpsen und half den anderennach und nach gutmütig auf seine Schultern. So konnten schließlich alleOllies Werk bewundern. Die Nachricht lautete: OLLIE HILFE !
„Ja, da wird ja sogar der Kabeljau in der Pfanne verrückt!“ jubelte Lonzound schlug mit seinen Tentakeln ein Rad. „Aber wo steckt der Wicht? Ollie ...Schiffsjunge Oliver ... Wo steckst du???“
„Nicht so laut, nicht so laut!“ wehrte Bharos lachend das Geschrei ab. „Erist bestimmt nicht in der Nähe, sonst hätte er sich schon längst gemeldet.Aber ich habe auch eine gute Nachricht.“ Er holte erst einmal tief Luft undfuhr dann fort, dabei auf einen der fernen Berggipfel zeigend: „Dort oben warich und habe die gute Aussicht genutzt. Es gibt in der Nähe, vielleichtzwanzig Kilometer entfernt, ein Tal, in dem ein riesiger Iglu steht. Ich konntesogar einige Gestalten erkennen, die sich in der Nähe des Baus bewegten.“
„Hurra!“ schrie Alexander. „Meine Leute!“ Er begann sofort loszurasen,bremste jedoch nach zehn Metern ab und kam mit hängenden Ohren zurück.„Ist wohl ein bißchen weit bis dahin“, brummte er.
„Ach wo“, gab Bharos zurück. „Jedenfalls nicht, wenn man teleportiert. Ichbringe euch alle hin, Alexander zuerst!“
Mit Einzelheiten hielt sich Bharos nicht lange auf. Alexander kam nicht einmal dazu, ein erneutes „Hurra!“ zu brüllen. Bei „Hu...“ war Bharos schonneben ihm, und beide verschwanden.
Harpo folgte als nächster. Die Umgebung veränderte sich von einemMoment zum anderen. Dann stand er in einer weiten, weißen Talebene, unddirekt vor ihm ragte einer jener riesigen Schneeiglus auf, wie er sie vor langerZeit auf diesem Planeten kennengelernt hatte.
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Der Iglu war etwa fünfzig Meter hoch und besaß einen tunnelähnlichenEinstieg, der direkt in die Richtung der Neuankömmlinge zeigte.
Vier Rotpelze hatten den Bau gerade verlassen, kehrten ihnen die Rückenzu und hopsten mit geschulterten Angelruten einen Weg entlang, der zueinem zugefrorenen See in der Nähe führte. Sie schienen in ausgelassenerStimmung zu sein. Am See sah man weitere Rotpelze, die damit beschäftigtwaren, Fische in geflochtene Körbe zu werfen. Offenbar war heute der großeAngeltag.
Harpo mußte daran denken, daß die Raufbolde die Rotpelze gelegentlichFaulpelze nannten, weil sie am liebsten solchen Beschäftigungen wie Rodelnoder Schnarchen nachgingen. Daß diese Bezeichnung – die auch mehraugenzwinkernd ausgesprochen wurde – ungerecht war, konnte man hier sehen.
Alexander zappelte nervös herum. Am liebsten wäre er auf der Stelle jubelnd losgerannt, aber dann wartete er doch, bis die letzten seiner Freundevon Bharos herbeigebracht worden waren. Es waren Trompo und Moritz.
„Nun mal los, Dicker!“ flüsterte Harpo, der genau wußte, was in demjungen Rotpelz vorging, und knuffte ihn in die Seite.
„Huchhuuuuu!“ brüllte Alexander und jagte los. Weit kam er nicht. Errutschte aus und landete kopfüber in einer mächtigen Schneewehe. „Grummel, grummel“, machte er. Irgendwie hatte er den Eindruck, daß dieser Sturznicht so recht in das Bild eines tollkühnen Weltraumhelden passen wollte.
Bis dahin waren die Freunde von der EUKALYPTUS unbemerkt geblieben.Bei Alexanders Jubelruf wandten sich jedoch gleich mehrere Köpfe zu ihnenhinüber.
Von der anderen Seite des Iglus kam ein ganzes Rudel Rotpelzkinder näher,erst ein bißchen ängstlich, dann aber mit lachenden Gesichtern. Quietschendfolgten sie Alexanders Beispiel und warfen sich kameradschaftlich zu ihm inden Schnee.
Prustend kam Alexander wieder auf die Beine. „Ich bin wieder da!“ schrie erin seiner Muttersprache. „Hört ihr – Alexander ist zurückgekehrt!“
Von allen Seiten liefen jetzt Rotpelze herbei. Selbst die Angler ließen ihreAngeln fallen und eilten zum Iglu. So ein Ereignis gab es schließlich nicht jeden Tag. Das mußte gefeiert werden!
Die Rotpelzkinder beäugten inzwischen neugierig Harpo und seineFreunde.
Besonders Lonzo hatte es ihnen angetan.Ollie war nicht unter den Herbeieilenden. Lonzo hob seine Tentakel wie ein
Dirigent und gab das Einsatzsignal. „Ollie! Olllllliiiiiieeeee!“ schrien alle ausLeibeskräften.
Ein wildes Indianergeheul antwortete aus dem Iglu. Der Schnee knirschteunter dahinrasenden Stiefelsohlen. Dann schoß der so lange Gesuchte ausdem Eingangstunnel. Er mußte geschlafen haben. Das Haar stand ihm strubbelig vom Kopf ab, und die schlaftrunkenen Augen waren weit aufgerissen.
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„Is’ nich’ wahr! Kann nich’ wahr sein!“ krähte er. Im nächsten Momentteilte er Alexanders Schicksal, rutschte aus, überschlug sich und schlitterteauf dem Hosenboden auf seine vor Freude auf und ab hüpfenden Freundevon der EUKALYPTUS zu.
Mit weit ausgestreckten Armen und kullernden Freudentränen landete derKleine in Ancas Armen und plärrte: „Daß ich euch endlich wiederhabe! Huhuhuhuhuhuuuuu! Und ich hatte mich schon damit abgefunden, ein Eisbärzu werden!“ Was nichts anderes bedeutete, als daß der kleine Oliver gesundund putzmunter war.
Ein freudiges Wiedersehen
Eingeklemmt zwischen lachenden, ihnen auf die Schultern klopfendenRotpelzen marschierten sie durch den schmalen Tunnel in das Innere desRieseniglus. Für Bharos, der als einziger noch nicht auf der Welt der Rotpelzeund Raufbolde gewesen war, boten sich einige Überraschungen. Staunendstand er in der gewaltigen, halbkugelförmigen Schneefestung und sah sichum.
Wie groß der Iglu war, hatte man schon von außen ahnen können. Wennman die aus Schnee und Eisblöcken bestehende, hundertfünfzig Meter weiteKuppel an Ort und Stelle besah, war man aber trotzdem beeindruckt. Überallim Innern herrschte geschäftiges Treiben. Dutzende von Rotpelzen allerAltersstufen drängten sich heran und betasteten die Neuankömmlinge.
Von überall her steckte man ihnen Leckereien zu oder reichte ihnendampfende Getränke.
Erst nachdem die Besucher auf weichen Matten um eines der vielen Feuerhockten, gelang es ihnen, sich für die Gastfreundschaft zu bedanken.
Die Rotpelze dieses Stammes hatten zwar schon davon gehört, daß Besucher von einem anderen Planeten einmal auf Nordpol gewesen waren, hattenaber noch keinen davon zu Gesicht bekommen. Ollie war der erste Menschvon der Erde, den sie erblickten. Mehrere Rotpelze hatten ihn entdeckt, als ereinsam und frierend durch den Schnee stapfte, und ihm erst einmal einenTopf warmer Suppe eingeflößt. Ollie war natürlich begeistert gewesen. Nichtnur wegen der Suppe, sondern auch, weil der Anblick der Rotpelze ihm verraten hatte, daß er sich auf Nordpol befand. Wenn die Freunde ihn nicht gefunden hätten, wäre er irgendwann in den nächsten Tagen in Begleitungmehrerer Rotpelze zur Station des Weltraumarztes aufgebrochen.
„Klasse, daß ihr Ollie gerettet habt“, sagte Harpo zu den Rotpelzen am Feuer.
„Oh“, erwiderte ein halbwüchsiger Rotpelz unter dem wiehernden Gelächter seiner Verwandtschaft, „wir hatten viel Spaß mit Ollie. Besonders, als eruns beibringen wollte, wie man Hustensaft herstellt.“
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Das war mal wieder typisch für den Kleinen! Ohne seine geliebten Pillenund Tröpfchen gegen jedes mögliche Wehwehchen wäre Ollie ganz trübsinnig geworden – obwohl ihm ja eigentlich überhaupt nichts fehlte. Nichteinmal einen Schnupfen hatte er sich beim Wandern im Schnee geholt. Dannwar ihm ein Hustensaftrezept eingefallen. Mit Feuereifer hatte er sich an dieArbeit gemacht und aus Honigkraut, Fischtran und allerlei Gewürzen ein Gebräu gekocht, das zwar nichts gegen Husten nützte und Ollie selbst gar nichtso recht über die Lippen gehen wollte, ihm aber zu großem Ansehen bei denjungen Rotpelzen verhalf. Denen schmeckte der Saft nämlich ganz hervorragend.
Die Rotpelze hatten den großen IgluSaal zwar in allerlei Nischen unterteilt, aber abgeschlossene Räume gab es nicht. Man liebte die Geselligkeitund zog sich eigentlich nur in die von kaum meterhohen Schneemauernabgetrennten „Privatecken“ zurück, wenn man sich auf wichtige Gesprächekonzentrieren wollte.
Nahe der Kuppelwand gab es mehrere Feuer, riesige Kupferkessel hingendarüber, und es duftete aromatisch. Einige Rotpelze rührten mit hölzernenSchöpfkellen in den Kesseln und leckten sich genießerisch die Lippen. Daswar die Gemeinschaftsküche. Jeder mußte mal kochen, wie überhaupt alleangenehmen und alle lästigen Arbeiten reihum ausgeführt wurden. Wirklichvon jedem, ob er nun dick oder dünn, alt oder jung, Mann oder Frau war.Nicht etwa, daß jemand dazu gezwungen wurde – man tat es, weil es sorichtig war.
Harpo mußte unwillkürlich an die Zustände auf der Ende denken. Dort wardas anders. Dort gab es Leute, die andere für sich arbeiten ließen und nichtsso sehr liebten, wie andere herumzukommandieren. Wer glaubte, daß erselbst einen etwas besseren Arbeitsplatz besaß, hatte Angst davor, ihn wiederzu verlieren, und blickte argwöhnisch auf den Nachbarn. Jeden kämpftegegen jeden, obwohl er das eigentlich gar nicht wollte.
Bei den Rotpelzen kannte man nicht einmal einen IgluBürgermeister, vonirgendwelchen besonderen Aufsehern ganz zu schweigen.
Bharos hatte erstaunt bemerkt, wie angenehm warm es in dem aus Eis undSchnee gefertigten Bau war. Er fürchtete, daß die Wärme den Schnee auftauen und das Bauwerk zusammenstürzen würde. Aber da konnte er ganz unbesorgt sein. Ein klug durchdachtes Lüftungssystem ließ Kaltluft über dieInnenwand fließen. Man brauchte dafür nicht einmal eine Maschine, sondern nur die seit Jahrhunderten vererbten Baukünste der Rotpelze.
Während die heiße Suppe aufgetragen und geschlürft wunde, musterteBharos die Rotpelze in seiner Nähe. Die meisten hatten längere und zotteligere Felle als Alexander. Kein Wunder, denn Alexander hatte sich an Bord derEUKALYPTUS ein wenig den Pelz stutzen lassen, weil es dort viel wärmer alsauf seinem Heimatplaneten war. Erstaunen konnte einen immer wieder –man sah das jetzt besonders gut beim Essen –‚ wie geschickt die Rotpelze mitihner scheinbar so ungefügen Pranken umgehen konnten. Das heißt, eigentlich war das gar nicht so verwunderlich, denn unter dem dichten Fell waren
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schlanke Finger verborgen, die zwar etwas kürzer waren als die eines Menschen, aber kaum weniger vielseitig einsetzbar. Einige aus der Sippe kamenerst später, als die anderen bereits aßen. Das waren Fischer, die ihre Fanglöcher weit draußen in die Eisdecke des Sees geschlagen hatten.
Sie wurden mit lautem Hallo begrüßt. Einer von ihnen, Rauhfell mitNamen, hatte sich erst kürzlich bei Alexanders Sippe aufgehalten und war sogar entfernt mit dem jungen Weltraumfahrer verwandt. Er drückte Alexandersofort gegen seine Brust und erzählte die letzten Neuigkeiten. Rauhfell wußteauch allerhand über Lori Powitz und die anderen Kinder zu berichten, die beiden Raufbolden oder Alexanders Sippe geblieben waren.
Inzwischen war es draußen dunkel geworden, aber so schnell fand man indieser Nacht verständlicherweise nicht zur Ruhe.
Wie sich herausstellte, lagen zwischen diesem Iglu und dem von Alexanders Familie nur knapp vierhundertfünfzig Kilometer. Weitere hundert Kilometer entfernt fraß sich der Schneekrabbler Borro, in dem FlunkisRaufboldclan hauste, durch den Pflanzenteppich unter dem Schnee. Miteinem Motorschlitten wären diese Entfernungen nur ein Katzensprung gewesen, aber die Rotpelze besaßen nur drei Fahrzeuge dieser Art. Und diewaren ausnahmslos im Einsatz und nicht verfügbar.
Am nächsten lag die Station des Weltraumarztes Hugo, der eigentlich garnicht so hieß, aber von den Kindern so genannt wurde, weil sein Name für sieschier unaussprechlich war. Ganze achtzig Kilometer waren bis dahin zurückzulegen. Eigentlich eine lächerliche Strecke für Weltraumfahrer undTransmitterreisende. Wenn man allerdings nicht einmal einen Motorschlitten besaß, bedeutete diese Entfernung einen mehrtägigen Fußmarschdurch den Schnee. Aber sie hatten ja Zeit. Ohnehin würde die EUKALYPTUSerst in einigen Wochen, vielleicht Monaten, im Orbit von Nordpol auftauchen.
Die Rotpelze hörten staunend zu, als von dem Transmitter die Rede war,hatten aber keine Lust, die Maschine selbst einmal auszuprobieren. Nichteinmal Ollie hatte es geschafft, ihre Neugier zu wecken. Ihnen gefiel es aufNordpol, und sie liebten das Leben, das sie führten. Warum sollten sie waghalsige Abenteuer riskieren?
Von weiteren Transmitterreisenden wußten sie nichts. Vielleicht waren diemeisten anderen Stationen, mit denen Nordpol Verbindung hielt, einsamund verlassen. Und vereinzelte Reisende, wie etwa die Morr, schreckten wohlvor der stillen Schneelandschaft zurück. Sie taten gut daran, denn Sklavenhändlern und Sklavenhaltern wäre es bei den Rotpelzen so schlechtergangen, daß sie gewiß darauf verzichtet hätten, noch einmal hierher zurückzukehren.
Am nächsten Morgen erwachte Harpo als erster. Anfangs kuschelte er sichnoch einmal in die von Rauhfell, Breitfuß und Grätenfänger spendierten Decken. Alle Rotpelze trugen Namen, die etwas aussagten und für sie typischwaren, schließlich hatte auch Alexander einen „echten“ Rotpelznamen: Räucherfischvertilger. Im Iglu war es durch die herabgebrannten Feuer gegen
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Morgen kühl geworden. Schließlich raffte Harpo sich auf und weckte seineSchwester. Anca hatte sich ganz eng an Alexanders weichen Pelz gekuschelt.Sie blinzelte und döste halbwach weiter. Dann reckte sie sich. Im gleichenMoment erwachte auch Lonzo. Er hatte sich über Nacht selbst ausgeschaltet.Da die EUKALYPTUS mit ihren Energiequellen, wo er ab und zu seine Akkusaufladen mußte, noch eine Weile ausbleiben konnte, versuchte er, Energie zusparen.
Sonst war noch alles still, von einigen Schnarchlauten abgesehen. DasLicht des frühen Morgens drang durch die Luftlöcher und den Eingangstunnel des Iglus; ansonsten sorgte die letzte Glut der Feuer für ein rötlichesFunkeln.
Irgendwo knackte etwas. Schlagartig waren Harpo und Anca hellwach.„Hast du das auch gehört?“ flüsterte Harpo.Anca nickte und sagte leise: „Was war das? Ob die Morr am Ende doch
gesiegt haben und unseren Spuren gefolgt sind?“„Ach, Unsinn!“ flüsterte Harpo zurück. Er konnte aber nicht verhindern,
daß es ihm kalt den Rücken hinunterrann.Alexander murmelte im Schlaf, dann öffnete er versuchsweise sein rechtes
Auge.„Da ist ein komisches Geräusch“, wisperte ihm Harpo ins Ohr. Er deutete
vage in Richtung der Feuer, obwohl er ziemlich sicher zu sein glaubte, daßdieses eigenartige Knacken nicht direkt von den Feuern gekommen war.Schon gar nicht hatte es etwas mit dem Knacken beim Verbrennen von Holzzu tun gehabt. Es war irgendwie ein ... metallisches ... Knacken gewesen.
Harpo bemerkte hinter dem Feuerschein etwas, das ihm am Abend zuvornicht aufgefallen war. Dort befand sich ein schwarzes Loch in der Igluwand.Beunruhigt starrte er es an. Es war rund und hatte einen Durchmesser vonetwa einem Meter. Da aber kein Licht durch das Loch ins Innere drang, konnte es sich nicht um ein Ausgangsloch handeln. Vielmehr schien es unter dieSchneedecke hinabzuführen.
Natürlich, das mußte so eine Art Kühlkammer sein, in der Vorräte gelagertwurden.
Dann hörte er das Knacken – oder war es eher ein Klicken? – noch einmal.Kein Zweifel, es kam aus dem Kellerraum. Dort unten war etwas, das sich bewegte. Wer oder was mochte das sein? Wer hatte es nötig, in einem RotpelzIglu herumzuschleichen? Etwas Gutes würde der kaum im Schilde führen.
Wieder ein Geräusch. War das eine Art Kichern gewesen? Was hatte dasnun wieder zu bedeuten? Teuflisch! Die Unbekannten machten sich sogarüber ihre Opfer lustig. Er mußte unbedingt sofort Alarm schlagen.
Harpo holte tief Luft und wollte losbrüllen, brachte aber keinen Ton hervor.Bharos war aufgesprungen und hielt ihm den Mund zu. „Auch ohne Geschreiwird es gleich einen Aufruhr geben“, prophezeite er, aber der Schalk blitzteaus seinen Augen. Harpo verstand die Welt nicht mehr.
Im nächsten Moment brach die Hölle los. Aus dem dunklen Loch löstensich mehrere Gestalten und stürmten heran.
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„Hilllll ... Lori!“ schrie Anca. „Tom! Fidel! Fantasia! Wo kommt ihr dennplötzlich alle her?“
Überall auf den Lagern fuhren die eben noch schlummernden Rotpelzehoch, spitzten die Ohren und brachen dann in dröhnendes Gelächter aus.
„Bei allen Geistern und Klabautermännern der neun Weltmeere!“ donnerteLonzo. „Der Große Shuubuu sieht Gespenster! Das halten meine Stromkreisenicht aus!“
Immer noch kletterten Gestalten aus dem Loch. Sie rannten jauchzenddurch den Iglu und fielen den Freunden von der EUKALYPTUS in die Arme.Alle, die mit der EUKALYPTUS den Planeten Nordpol erreicht hatten, es dannaber vorgezogen hatten, hierzubleiben, waren da: Lori Powitz, Big TomSchlitz und Fidel Flottbek, Lucky und Babs, Fantasia, Daniel Locke ... Insgesamt waren es fast dreißig Besucher, die meisten im Alter zwischen zwölf undsechzehn, die mit ihren Kameraden Wiedersehen feierten, ihre Namen riefen,sie in die Arme nahmen und abküßten. Mitten im Karneval hätte der Trubelauch nicht größer sein können.
Inmitten der wirbelnden Meute entdeckte Harpo seinen alten Freund Flunki und drei weitere Raufbolde. Und Hugo, der galaktische Mediziner, winkteauch herüber.
Der Große Flunkerer, wie Flunki in Wirklichkeit hieß, war ganz in seinemElement. Er fluchte wie in seinen besten Tagen und sah sich mit blitzendenAugen um. „Frostbeule und gefrorener Käsefuß!“ schrie er. „Vier Schlittenwaren nötig, um die ganze Bande hierherzubringen. Beim listigen Eierdieb,war das eine Fahrt! Ha, und diese gefräßigen Rotpelze liegen immer noch aufder faulen Haut!“
Ollie hatte einen so gesunden Schlaf, daß er trotz des Trubels erst jetzthochschoß. „Jetzt ist es passiert!“ jammerte er. „Ich habe es kommen sehen,aber jetzt ist es wirklich passiert! Alte Raumschiffwracks, Nomaden, Raumpiraten, Gangster von der Erde, Transmitter... Das war zu viel für meine armenNerven. Ich sehe HaHalluHalluza... naz... also Trugbilder! Helft mir doch!“Er riß Harpo am Ärmel und rief: „Sag mal, siehst du das auch? Siehst du eswirklich?“ Im nächsten Moment bekam er einen dicken Kuß, und jemanddrückte ihn jubelnd an sich. Fantasia!
„Und ich?“ schrie Flunki mit gespielter Empörung. „Wer küßt mich? Damüht man sich ab und ... Harpo, alte Weltraumratte!
„Flunki, altes Schlachtroß!“ Harpo stürzte auf ihn zu und schlug demFreund ausdauernd auf die Schulter. Flunki mühte sich ab, um ein grimmiges, abweisendes Gesicht zu machen. Dazu klopfte seine Stiefelspitze ungehalten einen rhythmischen Takt. Doch das war alles nur Mache. Man sah,daß ihm die Freudentränen in die Augen stiegen. Aber zeigen wollte derbärtige Wicht das nur ungern. Obwohl es kaum einen zweiten gab, der so gutmütig und den Kindern von der Erde so zugetan war wie Flunki, liebte er esnun mal, den Wüterich zu spielen, und hatte einen Heidenspaß dabei.Tränen flossen aber auch anderswo reichlich, und viele brachten vor Freudein den ersten Minuten kaum ein verständliches Wort hervor. Erst als die Rot
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pelze Körbe mit Brot, dazu Räucherfisch und einen Honigtrank herbeischleppten und die ganze Schar zum Frühstück aufforderten, wurde es ruhiger. Denn Hunger hatten sie alle. Die Schlitten waren den größten Teil derNacht hindurch unterwegs gewesen.
Bei der Ankunft am Iglu hatte Flunki gleich gesehen, daß noch alles intiefem Schlummer lag. Sofort war ihm der listige Plan eingefallen, durch dieVorratskammern hindurch in das Innere zu stürmen. Er kannte die Iglus gutgenug, um zu wissen, daß die Vorratskammern zwei Ausgänge hatten, wovonder eine außerhalb des Iglus lag. Das war ein Spaß, wie er einem echten Raufbold gefallen konnte!
„Woher habt ihr eigentlich gewußt, daß wir hier sind?“ wollte Harpo zwischen zwei Bissen Brot wissen.
Flunki zeigte auf Lucky Cicero und schmunzelte. „Das haben wir ihm zuverdanken“, sagte er. „Hugo hat viel mit ihm gearbeitet. Lucky ist jetzt in derLage, seine Fähigkeiten zu kontrollieren. Ihr werdet staunen! Auf jeden Fallhat er eure Gedanken gespürt und schließlich auch herausgefunden, wo ihreuch aufhaltet.“
Also war es dem Weltraumarzt gelungen, sein Versprechen wahrzumachenund Lucky zu helfen. Sie würden umdenken müssen. Lucky war nicht längerjener auf die Hilfe anderer angewiesene Mongoloide, der nur in besonderenSituationen seine Fähigkeiten erkennen ließ.
„Ja, und dann sind wir sofort mit den Schlitten gestartet und haben unterwegs alles aufgelesen, was Beine hat.“
„Aber mich hat Lucky nicht aufgespürt?“ fragte Ollie und erklärte dann:„Ich bin nämlich schon länger hier!“
„Wahrscheinlich denkst du zu leise“, meinte Anca und freute sich überdiesen Spaß.
„Lucky hat etwas gespürt“, antwortete Daniel Locke. „Nicht wahr, Lucky?Aber anfangs war er seiner Sache nicht sicher und wollte nicht so recht mitder Sprache herausrücken.“
„Dann bist du ja jetzt ein Genie, Lucky!“ rief Lonzo und umklammerte ihnmit allen Tentakeln zugleich. „Aber Schätze suchen wir auch in Zukunft gemeinsam, was?“
„Klar!“ sagte Lucky. Er war noch ein bißchen schüchtern und wurde knallrot, weil ihn alle so freundlich ansahen. „Und ihr bleibt alle meine Freunde,so wie früher!“
Ja – und das war der längste Satz, den Lucky in seinem bisherigen Lebengesprochen hatte.
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Der Ring der dreißig Welten
Der erste Tag nach dem Wiedersehen verging wie im Flug. Einige zogen zueiner ausgelassenen Rutschpartie auf die Hügel hinaus, andere lieferten sichvor dem Iglu eine heftige Schneeballschlacht, an der sich auch die jungenRotpelze beteiligten.
Alexander und Anca gingen mit mehreren Rotpelzfischern zum Angeln aufden See hinaus, während Harpo und Fantasia einfach so durch den Schneespazierten und sich dabei eine Menge zu erzählen hatten. Flunki und dieanderen Raufbolde waren unermüdlich im Einsatz, um all denen, die Lustdarauf verspürten, die Umgebung zu zeigen. Auch Bharos, der Akkai, nahman einer solchen Schlittenfahrt teil, ließ es sich auf dem Rückweg aber nichtnehmen, sich selbst einmal am Steuer zu versuchen. Das machte ihm so vielSpaß, daß Flunki anschließend beurlaubt wurde. Wenig später tauchte derRaufbold zwischen den Hügeln auf und rannte auf Harpo und Fantasia zu,die am Ufer des zugefrorenen Sees entlangwanderten.
„Heee!“ schrie er schon von weitem. „Bharos hat mir jetzt eure Transmitterabenteuer in der richtigen Reihenfolge erzählt. Ein dickes Ei! Hättenicht gedacht, daß das vergammelte Ding da oben überhaupt nochfunktioniert!“
„Was?“ fragte Harpo verblüfft. Er wunderte sich nicht darüber, daß derRaufbold ihre Sprache inzwischen gelernt hatte, auch nicht darüber, daßFlunki bei dem Durcheinander am Morgen kaum ein Wort verstanden underst jetzt begriffen hatte, wie sie auf den Planeten gelangt waren.
„Du ... kennst den Transmitter?“ Harpo war fassungslos.„Na, hör mal!“ empörte sich Flunki. „Hältst du uns etwa immer noch für
unterbelichtete Barbaren? Ich habe dir doch schon einmal gesagt, daß wirRaufbolde vor Jahrtausenden bereits die Raumfahrt kannten. Und daß wirfreiwillig darauf verzichtet haben, zwischen den Sternen herumzukutschieren. Ja, die Transmitter haben wir damals auch benutzt – bis die Burschen, die sie installierten, plötzlich einen Rappel bekamen und das Geschäftaufgaben. Weiß das Schneehuhn, warum. Sie verschwanden eines Tages undkamen niemals wieder. Und die Raufbolde verloren dann auch irgendwanndie Lust, von Planet zu Planet zu hüpfen.“ Flunki schmunzelte und zerrte anseinen Bartenden. „Ihr müßt wissen, damals gab es eine Vereinigung vondreißig verschiedenen Planeten. Alle waren dem Transmitternetz angeschlossen. Ja, so war das damals. Aber das ist schon unheimlich lange her.“
„Und die Erbauer verschwanden einfach?“ fragte Harpo aufgeregt. „DieTransmitter funktionierten weiter? Rätselhaft! Warum habt ihr nicht nachgesehen, wo die Transmitterkonstrukteure geblieben sind?“
„Erst mal können!“ gab Flunki zurück. „Du hast ja selbst erlebt, wie dieTransmitter heute funktionieren. Man kann sie nicht mehr steuern. Dashaben die Konstrukteure damals veranlaßt, ganz plötzlich, ohne Vorankündigung, sozusagen über Nacht. Wahrscheinlich war es ihnen zu mühsam, die
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Transmitter einzusammeln. Da haben sie vermutlich nur ihren eigenenTransmitter und die zentrale Steuerung auf ihrem Planeten zerstört. Dennder gehört seither nicht mehr zum Ring der dreißig Welten. Er ist unerreichbar geworden, und niemand kennt seine Koordinaten. Sonst hätten wirschon aus Neugierde mal ein Raumschiff hingeschickt, um zu erfahren, wasin die Kerle gefahren ist.“
„Aber es muß doch Steuergeräte an jedem Transmitter gegeben haben“,meinte Harpo. „Sind die abgebaut worden?“
„Irrtum“, erklärte Flunki. „Wer mit dem Transmitter reiste, trug ein Handgerät bei sich, so eine Art Hyperfunkgerät. Damit wurden die gewünschtenZielkoordinaten an die Zentrale gegeben. Die Zentrale erledigte alles Weitere.Als die Zentrale ausfiel, funktionierten die Handgeräte nicht mehr. Klar,nicht? Aber die Transmitter blieben einsatzfähig – die meisten bis heute. DieEnergiequelle muß noch intakt sein. Aber die Felder werden seither völligwillkürlich aufgebaut. Man weiß nicht, wo man ankommen wird. Na ja, mitAusnahmen vielleicht, denn es scheinen einige Transmitter auf wenige, einander abwechselnde Verbindungen programmiert zu sein. Warum, weiß ichauch nicht. Die ganze Transmittertechnik blieb für uns ein Buch mit siebenSiegeln.“
„Das ist aber eigenartig“, sagte Fantasia. „So Hals über Kopf die Verbindung abbrechen, ohne sich auch nur zu verabschieden. Die müssen docheinen Grund gehabt haben!“ „Vielleicht habt ihr die Transmitterkonstrukteure verärgert?“ fragte Harpo.
„Verärgert? Was? Wen? Wiiiir?“ explodierte Flunki und sprang mindestenseinen halben Meter in die Luft. „Den möchte ich sehen, der Grund hat, sichüber so friedfertige und sanftmütige Wesen wie uns Raufbolde zu ärgern! Ha!Der würde aber Ärger mit mir bekommen!“
Harpo und Fantasia lachten. Aber dann wurde Harpo wieder ernst. „Auf jeden Fall hat die EUKALYPTUS demnächst ein neues Ziel – das sehe ich schonkommen. Irgendwie werden wir schon herausfinden, wo der geheimnisvollePlanet der Transmitterleute liegt! Ganz bestimmt! Und dann brechen wir auf,um das Rätsel zu lösen!“
„Klar machen wir das!“ bekräftigte Flunki und schlug Harpo begeistert aufdie Schulter.
„Moment“, sagte Harpo verdutzt. „Hast du eben ‚wir‘ gesagt?“Flunki grinste. Fantasia verzog ebenfalls das Gesicht zu einem Lächeln.
„Das hättest du erleben müssen, Harpo!“ rief sie. „Ihr wart höchstens zweiTage fort, als Flunki zu fluchen begann. Er hatte sich die Sache anders überlegt und leistete tausend Schnee und Eiseide, daß er an der nächsten Expedition der EUKALYPTUS teilnehmen würde.“
„Ha!“ schrie Flunki. „Wagt es nur, mich abzuweisen! Ich komme mit, undwenn ich mit dem Schlitten fahren muß.“
„Mensch, klasse!“ erwiderte Harpo. „Du hast uns in der Mannschaft geradenoch gefehlt!“
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„Was soll das heißen?“ knurrte Flunki, zwinkerte dabei aber mit einemAuge.
„Flunki wird nicht das einzige neue Mannschaftsmitglied sein“, erklärteFantasia. „Ich möchte nämlich auch mit. Und Fidel redet auch dauernd davon. Ein paar anderen geht es, glaube ich, genauso.“
„Dich hätte ich sowieso überredet mitzukommen“, sagte Harpo undschaute Fantasia in die Augen. Dann tanzte er ausgelassen im Schnee herum.
„Au ja! Thunderclap, Karlie, Micel und Brim werden Augen machen! DieEUKALYPTUS bekommt eine neue Mannschaft!“
„Er hat ganz rote Ohren gekriegt, als von dir die Rede war“, sagte Flunkiund stieß Fantasia an. Er redete absichtlich so laut, daß ihn Harpo hörte.
„Ist gar nicht wahr!“ protestierte Harpo.„Hihihi“, kicherte Flunki. „Sie sind noch röter geworden!“ Dann machten
sich die drei auf den Rückweg zum Iglu. Es galt, Pläne zu schmieden.Drei Monate später kehrte die EUKALYPTUS zum Planeten Nordpol zu
rück. Thunderclap, Micel, Karlie und Brim warteten gar nicht erst ab, bisSchwatzmaul das kilometerlange Riesenschiff in eine Parkbahn um denPlaneten gesteuert hatte. Ihr Gleitboot schoß bereits Nordpol entgegen undlandete unter großem Jubel direkt vor der Nase des Schneekrabblers Borro –der darüber sogar das Fressen vergaß. Später wollte er von den Weltenbummlern die allerneuesten intergalaktischen Witze erfahren. Borro hörtenämlich unheimlich gern Witze, die er sich sonst von eigens dafür abgestellten Raufbolden erzählen ließ. Bald erschütterten Borros Lachsalven wiederdie Behausungen der Raufbolde, die ja unter dem Panzer des riesigen Tiereslebten.
Zunächst schien es so, als wolle das Erzählen kein Ende nehmen, denn dieNeuankömmlinge wurden von allen Seiten mit Fragen bestürmt und wolltennatürlich ebenfalls wissen, was es auf Nordpol Neues gab. Und auchSchwatzmaul wurde nicht vergessen: Die auf Nordpol zurückgebliebenenKinder – und auch viele Raufbolde und Rotpelze – wollten unbedingt malwieder „Raumluft“ schnuppern. Die Gleitboote brachten in ununterbrochenem Pendelverkehr Passagiere zur EUKALYPTUS und zurück.
Nach einiger Zeit war dann doch der Reiz des Neuen verflogen, und der Alltag zog wieder auf Nordpol ein. Eigentlich war der immer noch aufregendgenug, wenn man an die Ernteexpeditionen der stets zu Scherzen aufgelegtenRaufbolde, die für Borros Winterschlaf Futter einfuhren, oder die Fischfangund Rodelausflüge der Rotpelze dachte. Aber einige spürten bereits wiederdas Kribbeln, das sie zu weiteren spannenden Abenteuern im Weltraum rief.Eine neue Expedition der EUKALYPTUS wurde vorbereitet ...
Und eines Tages war es dann soweit. Alle Freunde waren gekommen, umden Sternenfahrern Lebewohl zu sagen. Auch Alexander, der junge Rotpelz,der die allergrößte Reise aller jungen Rotpelze mit der EUKALYPTUS gemachthatte, nun aber lieber wieder bei seinen Leuten bleiben wollte. „Erst einmal“,wie er sagte. Doch als das letzte Gleitboot in den Himmel stieg, kullertenTränen über seine Wangen.
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Auch vier andere hatten feuchte Augen, als die Freunde davonflogen, nämlich Micel, Brim, Trompo und Bharos. Brim und Trompo wollten dem Weltraumarzt Hugo bei der medizinischen Betreuung der Nordpolbewohnerhelfen. Trompo freute sich außerdem darauf, längere Zeit mit einem weiblichen Geschöpf seiner Art – nämlich Neli, die den Weltraumarzt bei der Arbeitunterstützte – zusammenzusein.
Und Brim durfte guten Gewissens bleiben, denn Hugo hatte Fantasia inzwischen so gut ausgebildet, daß sie Brims Platz als Arzt auf der EUKALYPTUS einnehmen konnte.
Micel wollte gemeinsam mit Lucky ausprobieren, was sie mit ihrenaußergewöhnlichen Talenten alles anzustellen vermochten. Bharos würde ihnen helfen, solange er sich noch auf Nordpol aufhielt. Er wollte bleiben, weiler die Ankunft eines Raumschiffes der Weltraumärzte erwartete. DiesesSchiff, so hoffte er, würde ihn ein Stückchen weiter auf dem langen, langenRückweg zur Heimat bringen.
Die alten Weltraumhasen Harpo, Anca, Karlie, Thunderclap, Ollie – natürlich nicht ohne den Dackel Moritz – und Lonzo waren allerdings um keinenPreis dazu zu bewegen, auf Nordpol zurückzubleiben. Schwatzmaul konntesie – selbstverständlich mit der gewohnten Geschwätzigkeit – wieder an Bordwillkommen heißen. Aber ihnen zur Seite standen vier neue Raumfahrer:Fantasia, Fidel, Lori und der Raufbold Flunki.
„Das wird eine lustige Reise!“ freute sich Flunki, als sich die EUKALYPTUSaus dem Orbit des Planeten löste. „Schneezapfen und Eisflocken, jawoll!“Und dann lieferte er sich erst einmal ein hitziges Rededuell mit Schwatzmaul,den er einen humorlosen Schrotthaufen nannte.
Wer wollte unter diesen Umständen daran zweifeln, daß es wirklich einelustige Reise werden würde ...
Ende
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Die Besatzung der EUKALYPTUS
Harpo Trumpff:Sechzehn. Blondes, schulterlanges Haar. Hat gelegentlich Angst vor dem
Alleinsein in der Dunkelheit. Grund seines Aufenthalts auf dem Sanatoriumsschiff: Schwindelanfälle, Gedächtnisstörungen nach Stürzen. Chronist undLogbuchführer der EUKALYPTUS.
Anca Trumpff:Harpos Schwester. Zwölf. Langes schwarzes Haar. Klein. Etwas pummelig.
Regt sich auf, wenn man sie „Pummelchen“ nennt. Liebt Tiere. Mit Ollie sehreng befreundet. Übertreibt gern. Wurde auf das Schiff geschickt, damit Harposich nicht allein fühlt.
Brim Boriam:Vierzehnjähriger Negerjunge. Krauses Haar. War anfangs sehr schüchtern.
Litt unter starken Sprachstörungen. Stottert jetzt nur noch, wenn er sehr aufgeregt ist. Hat medizinisches Talent. Wurde von den Galaktischen Medizinern in einem Schnellhypnose Verfahren zum Arzt ausgebildet.
Thunderclap Genius:Deckname eines gelähmten fünfzehnjährigen Jungen. Hütet seinen echten
Namen sorgsam. Hochintelligenter Tüftler. Technisch begabt. AlleswissendeLeseratte mit eidetischem Gedächtnis (vergißt kaum etwas, was er einmal gehört oder gelesen hat). Hobby: Entschlüsseln von Geheimschriften.
Alexander:Sieht wie ein Bär aus. Träg einen roten Pelz. Kein Wunder, denn er ent
stammt einer intelligenten Lebensform des Planeten Nordpol, die als Rasseder Rotpelze bekannt ist. Vielleicht zehn Jahre alt, aber sehr stark. Und lerneifrig. Nur mit der menschlichen Sprache will es noch nicht so richtigklappen.
Lonzo:Roboter. Im Gegensatz zu seinen maschinellen Kollegen, die wegen ihrer
teddybärartigen Aufmachung die „Grünen“ genannt werden, ohne Verkleidung. Behauptet von sich, überhaupt keine Maschine, sondern ein ehemaliger Seeräuber zu sein. Ist zweifellos defekt. Steht voll auf der Seite derKinder. Akzeptieren ihn, so wie er ist. Klopft gern Sprüche. Hat so ziemlich jedes Buch über Piraten gelesen. Ist in der Lage, kleinere Verletzungen undKrankheiten mit einem eingebauten medizinischen System zu behandeln.Besitzt aus Metallringen zusammengesetzte Beine und einen kugelrundenKopf.
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Micel Fopp:Vierzehn. Schwarzhaarig. Dunkle Augen. Wurde durch falsche Medi
kamente, die seine Mutter während ihrer Schwangerschaft einnahm, mit verkürzten Armen geboren. Hände klein wie die eines Fünfjährigen und direktan seinen Schultern angewachsen. Ansonsten körperlich unversehrt. „Telepath“ (ist in der Lage Gedanken zu lesen).
Karlie Müllerchen:Fünfzehn. 2,20 Meter groß. Niemand weiß, wann er aufhören wird zu
wachsen. Bürstenhaarschnitt. Liebt nichts mehr als Kartoffelpuffer. Tischt siejedesmal, wenn er mit Küchendienst an der Reihe ist, den anderen in hundertVariationen auf. Hat Humor und starkes Interesse an Funktechnik und Astronavigation.
Ollie:Elf. Strubbelkopf. Fransenbesetzte Lederhose. Ziemlich frech. Sogenannter
„Hypochonder“ (eingebildeter Kranker). Kerngesund, redet sich aber ständigein, gegen alles und jeden allergisch zu sein. Schreit nach Medizin, sobald ereinen einsamen Pickel auf seiner Haut entdeckt. Sein Ziel: rasch erwachsenzu werden, weil er Anca Trumpff heiraten will.
Moritz:Dackel. Ollies Liebling. Darf eigentlich nicht in die Zentrale. Wird von Ollie
immer wieder eingeschmuggelt. Hat es auf Lonzos Metallbeine abgesehen.Und auf Trompo, den er für eine Art Hund hält.
Trompo:Außerirdisches Wesen von Katzengröße. Sieht wie ein rosafarbener Elefant
aus. Schlappohren. Haut ist von einem Fell bedeckt. Ist kein Tier, sondern einintelligentes Lebewesen von einem Planeten mit unaussprechlichem Namen.Lebte als eine Art „Krankheitsaufspürer“ bei den Galaktischen Medizinern,bevor er auf das „Raumschiff der Kinder“ kam.
Bharos:Elfenhaft zierlicher Mutant aus dem Stamme Akkai. Langlebig. Kann Ge
danken lesen sowie sich selbst und andere durch Kraft des Geistes von einemOrt zum anderen transportieren. Strandete mit einem Raumschiff vor vielenhundert Jahren und überlebte Generationen von Nachkommen seinereinstigen Schiffskameraden, die sich zu Weltraumnomaden entwickelten.Schloß sich der EUKALYPTUSCrew an, weil er gern auf seine Heimatwelt zurückkehren möchte.
Schwatzmaul:Elektronengehirn der EUKALYPTUS. Umfaßt alle elektronischen Teile,
Steuer und Kontrollelemente des Schiffes. Und die Speicherbänke. Die Bord
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bibliothek. Ist nicht perfekt. Muß manchmal zugeben, daß er Wissenslückenhat. Redet mit menschlicher Stimme viel, gern und geschwollen. Auch überSachen, die keinen interessieren. Das hat ihm seinen Namen eingetragen.
EUKALYPTUS:Den Namen erhielt das Schiff erst durch die Kinder. Obwohl es ja eigentlich
eher wie eine riesige Hantel aussieht. Zwei Kugeln, ein zylindrisches Verbindungsstück. Besteht aus einer Vielzahl von Decks, jedes kilometergroß,viele davon als künstliche Wüsten und Dschungel ausgestattet.
Ob das Raumfahrzeug ursprünglich als eine Art Auswanderungsschiff fürinterstellare Reisen vorgesehen war, weiß man nicht so genau. Sicher ist nur,daß es einen neuartigen, vorher nicht getesteten Antrieb besitzt, der mehrfache Lichtgeschwindigkeit zuläßt. Es umkreiste als Hospitalschiff für krankeund umweltgestörte Kinder die Erde – bis es sich aus noch ungeklärter Ursache aus seiner Umlaufbahn riß. Die ursprüngliche Besatzung ließ das Schiffund die Kinder im Stich. Diese mußten selbst lernen, das Schiff zu steuern.Oder steuern zu lassen, denn die meiste Arbeit nimmt ihnen der allgegenwärtige Computer Schwatzmaul ab. Daß sich die EUKALYPTUS überhauptwieder manövrieren läßt, verdanken die Kinder vor allem den hilfreichen„Weltraumärzten“, – einer extraterrestrischen Rasse – und dem tüchtigenTiefschläfer Daniel Locke, der mit anderen Besatzungsmitgliedern auf demPlaneten Nordpol zurückblieb. Die EUKALYPTUS hat mehrere Beiboote,Fabrikationsstätten für alles, was an Bord benötigt wird, Wartungsroboter –und natürlich eine sehr tüchtige, aber auch fröhliche Besatzung.
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