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Der «Kulturkanton»
Abb.86Heinrich Zschokke(/77/-/848): Der gebürtigeMagdeburger war währendder Helvetik in den KantonenWaldstätten, Tessin und BaselRp'8if"rlln8~kommiG~är oder-statthalter. Er hielt sich seit1802 im Aargau auf, bekleideteim jungen Kanton zahlreicheÄmter (Oberforst- undBergrat, Tagsatzungsgesandter, 1815-1841 Grossrat)und galt als Autorität des politi chen und kulturellen Lebens. Als Verfasser zahlreichervolkstümlicher und historischer Werke und als Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften genoss er im In- undAusland Bekanntheit undAnsehen. Zschokke verfügteüber hervorragende Beziehungen zu Persönlichkeitenaus ganz Europa und machtedie Stadt Aarau, wo seine Veröffentlichungen gedrucktwurden, weitherum bekannt.
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Der Elan, mit welchem sich aufgeklärtdenkende Politiker um die Gründung desKantons, um seinen Aufbau und um dasZusammenwachsen seiner Regionen bemühten, bewirkte besondere Leistungenauf kulturellem Gebiet. Noch war ein aargauisches Schulsystem erst zu entwickeln,noch war im Sinne einer umfassenden Bildung des Bürgers viel Arbeit zu leisten. Imjungen Kanton, an dessen Spitze sich fastausschliesslich die progressiven Politikerder Aarauerpartei befanden, war das Klima für eine fortschrittliche Kultur- undBildungspolitik äusserst günstig. Über dieAufgeschlossenheit des politisch-intellektuellen Zentrums Aarau äusserte sichWolfgung Mcnzcl, ein 1820 nuch Auraugelangter politischer Flüchtling ausDeutschland, folgendermassen :
«Aarau war damals schon eine dervorgerücktesten Städte in derSchweiz, im Gegensatz gegen Bernund Zürich, die alten Bollwerke derAristokratie, ein Zufluchtsort undHauptherd alter und neuer Demokratie. [ ...] Aarau war schon eineganz modeme Stadt. Man sah dortnur noch wenig Zöpfe und es gabnur noch einen Regierungsrath nachder alten Mode [den Zofinger PeterSuter, »Zöptlipeter« genannt], weIcher stark gepudert auch von allen,die seine Gunst nachsuchten, gepudertes Haar verlangte, indem er zusagen pflegte: 'I luge numen, ob aMa puderet ischt.'»
Wohlfahrt als kulturelles ZielHeinrich Zschokke, Regierungsrat JohannNepomuk von Schmiel, Verleger HeinrichRemigius Sauerländer und andere gründeten am 2. März 1811 die «Gesellschaft fürvaterländische Kultur», genannt «Kulturgesellschaft». Ihr gehörten zahlreiche aufgeschlossene Männer an, denen Wohlstand und Bildung des Volks ein ernsthaftes Anliegen waren. Zwei Jahre nach derGründung umfasste sie bereits 130 Mitglieder. Etliche Inhaber hoher Ämter, zumBeispiel der langjährige BürgermeisterHerzog, sorgten mit ihrer Mitgliedschaftvon Anfang an für eine enge VerbindungL.wisth n <-!tr Ot:scllsl,;hafL un<..l <..Ier POlilik.Auch geistliche Vertreter beider Konfessionen wirkten mit, darunter der einflussreiche katholische Aarauer Pfarrer AloisVock und der Gansinger Pfarrer JohannNepomuk Brentano, der seit 1810 auf privater Basis Volksschullehrer für das Fricktal ausbildete.
Die Kulturgesellschaft bezweckte die«Beförderung alles dessen, was zur genaueren Kenntnis der Geschichte, Naturund Staatskräfte, sowie zur Erhebung derWissenschaft und Kunst und des Wohlstandes im Vaterlande führt». Ihre Mitglieder legten beim Regierungsgebäudeeinen botanischen Versuchsgarten an, veranstalteten landwirtschaftliche Vorträgeund begründeten bereits 1812 eine Ersparniskasse, um das Volk zu ermuntern, dasersparte Geld zinstragend anzulegen. Diespätere Allgemeine Aargauische Ersparniskasse hat in diesem Institut ihren Ursprung. Aus der Tätigkeit der Gesellschaftgingen auch lokale Sparkassen, Mädchenarbeitsschulen, Anstalten für behinderteund verwahrloste Kinder sowie zahlreicheArmenvereine und Fürsorgeorganisationen hervor. Neben der aktiven Mutterge-
Kulturgesel/schaft: Sie entfaltete ihre Haupnätigkeit zwischen 1811 und 1840, benannteich später um in «Aargaui
sche Gemeinnützige Gesellschaft» und verlegte ihre Aktivitäten vermehrt auf ozialesGebiet. Aus ihr gingen 0
bedeutende Werke wie die1894 angeregte Lungenheilställe Barmelweid hervor. DieGesellschaft exi tiert heutenoch. Das Engagement derKulturgesellschaft in den verschiedensten Bereichen weistauf einen im 19. Jahrhundertehr weitgefassten Kulturbe
griff hin.
Abb.87Alois Vock (/785-1857): AJskatholischer Pfarrer vonAarau (1814-1830) und ersterresidierender Domherr desAargau in Solothurn(1830-1857) war der Sarmenstorfer Alois Vock der bedeutendste Kirchenpolitiker deraargaui ehen Frühzeit. EinZeitgenosse beschrieb ihn alseinzigen Mann, der dem allmächtigen BürgermeisterHerzog ebenbürtig gegenüberstehe und ihn bisweilen herbfreundlich kritisiere. Vocksteuerte einen versöhnlichenKurs zwischen den Konfessionen. Zahlreiche Reformierte, darunter Vertreter derRegierung, besuchten seinePredigten. Auf diese Weiseund durch seine Tätigkeit inpolitischen Gremien wie demKirchen- und Schulrat trugVock entscheidend zum konfessionellen Frieden und zurEntwicklung des aargaui ehenSchulwesens bei.
Kulturkanton : Mit den Aktivitäten des Kantons im «Kulturkampf» der 1870er Jahre hatdie Bezeichnung nichts zu tun.Sie wurde eindeutig imZusammenhang mit der Kulturgesell chaft geprägt. Seitherwurde sie zum selten hinterfragten KJischee.
seilschaft in Aarau entstanden in verschiedenen Bezirken Ableger. Die ZofingerBezirksgesellschaft betrieb bespielsweisenach 1825 in Oftringen eine Handwerker-Sonntagsschule mit der Möglichkeitzur allgemeinen und beruflichenWeiterbildung.
Den «Kulturmännern» lag besondersdie Förderung der kantonalen Solidaritätam Herzen. In ihren samstäglichen Diskussionsrunden warfen sie unter anderemFragen auf wie: «Worin liegt der Hauptgrund gegenseitiger Rivalität und Gehässigkeit mancher Städte im Aargau und gibtes ein Mittel, derselben entgegenzutreten?» Die behandelten Themen betrafenzum Teil staatliche Bereiche und reichtenvon «Abschaffung des Strassenbettels»über die «Nützlichkeit der Aufnahme vonNeubürgern in den aargauischen Städten»bis zur Diskussion über die «Taubstummen- und Blindenbildung».
Wegen der vielseitigen, in die ganzeSchweiz ausstrahlenden Tätigkeit der Gesellschaft wurde der Aargau bald teilsspöttisch, teils bewundernd als «Kulturkanton» bezeichnet. Der ironische Beiklang kennzeichnet nicht nur die rührigeArt und Wei e, mÜ welcher die «Kulturmänner» ans Werk gingen, sondern auchden Neid au erkantonaler Beoba hter.Die Idee, aus reinem Patriotismus Zeit,Geld und Arbeit für gemeinnützige Zwekke zu opfern, war neu und stiess nichtüberall auf Verständnis. Ferner haftete derGesellschaft in den ersten Jahren der Makel der Geheimbündlerei an. Kritiker witterten in ihrem eifrigen Gebahren schwarze Magie und begegneten ihr mit Argwohnund Abneigung. Für den Kanton leistetedie Kulturgesellschaft unzweifelhaft viel.Die Verbindung von privatem Einsatz undpolitischem Handeln zur Förderung vonKultur jeglicher Art war im Aargau in denersten drei Jahrzehnten seines Bestehenseinzigartig und rechtfertigte die Bezeichnung «Kulturkanton».
Gewaltiger Bildungsschub
Die im selbständigen Kanton möglich gewordene Ausübung politischer Rechteund der aufklärerische Grundsatz, jederMensch sei mündig, liessen die allgemeineSchulpflicht und die Schaffung höhererBildungseinrichtungen als staatsnotwen-
dig erscheinen. Zur kulturellen Leistungzählten daher im frühen 19. Jahrhunderteuropaweit in erster Linie die Bildungsanstrengungen.
Heinrich Zschokke formulierte dieBedürfnisse des modemen Staats1820 in seinem Bericht zu einemneuen Schulgesetz folgendermassen : «Ohne gute Erziehung und Geistesbildung unserer Jugend sindgrösserer Wohlstand, reinere Sitte,mächtigere Vaterlandsliebe inchweren Zeiten und ächte Religio
sität in unserem Volke zweifelhaft.»Wolle man erreichen, «dass die Freiheit des Aargaus nicht untersinke,dass unsere Kinder nicht in das Jochselbstverschuldeter Untertanenschaft geraten», müsse man für eingutes Schulwesen, auch für die Ärmsten, sorgen.
Diese Einsicht und nicht zuletzt das Verlangen der wachsenden Industrie nachAngestellten, die mindestens lesen, schreiben und rechnen k nnten, filhrten im19. Jahrhundert zu vier Schulgesetzen, diestufenweise die Qualität der Bildung imAargau stark verbesserten. Das Schulgesetz von 1835 stellte in dieser Entwicklungden markantesten Sprung dar. Es begründete das dreigeteilte aargauische Schulsystem mit Gemeinde-, Fortbildungs(Sekundar-) und Bezirksschule, wie es imwesentlichen heute noch besteht.
Manche Gemeinden und Eltern leisteten anfänglich Widerstand gegen denVollzug dieser Schulgesetze, als plötzlichSchulhäuser gebaut, Lehrer besoldet unddie Kinder auch im Sommer in den Unterricht geschickt werden mussten, da mansie doch auf dem Feld brauchte. Für dieKinder war die Schule oft kein Vergnügen.Zum Alltag gehörten kleine, dunkle undungeheizte Schulstuben, Züchtigungendurch den Lehrer und viel zu grosse KJassenbestände. Zwischen 1832 und 1885sank die durchschnittliche Schülerzahl proAbteilung nur geringfügig von 73 auf 56.In manchen Ortschaften unterrichtete eineinziger Lehrer gleichzeitig weit über hundert Schüler aller Jahrgänge. Ein einzelnesKind erfuhr unter diesen Bedingungen
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schlechte oder oft gänzlich fehlende Ausbildung der Lehrer war eines der Grundübel im Bildungswesen. Der Aargau reagierte auf diesen Missstand 1822 mit derGründung des ersten Lehrerseminars derSchweiz.
Abb.88Der Neuhof bei Birr, die ersteWirkungs tälle des weltberühmt gewordenen PädagogenJohann Heinrich Pestalozzi(1746-1827). icht zufälligwählte der Zürcher den Platzfür sein 1769 errichtetes landwirtschaftliches Mustergut,dem er 1772 eine Annenerziehungsanstalt anfügte, ganz inder ähe des Tagungsortesder Helvetischen Gesellschaft.Hier schrieb er - seinerseitvom Aufklärer Jean-JacqueRou seau in piriert 1781-1787 seinen vierbändigen, zur Weltliteratur zählenden Erziehungsroman«Lienhard und Gertrud», imGrunde genommen eine Dorfge chichte des Birrfelds. Aufdem euhof begann er, seinevon aufgeklärtem Denkenbeeinflussten Erziehungsgrundsätze erstmals in diePraxis umzusetzen. Wie derum 1780 verlassene und1825-1827 erneut von ihmbezogene Neuhof litten auchPestalozzis spätere Anstaltenin Stan , Burgdorf, Münchenbuchsee und Yverdon unterseinen geringen organisatorischen Fähigkeiten. Sein pädagogischer Grundsatz dergleichwertigen Erziehung vonKopf. H"r7 und H~nd ~elzte
sich aber allgemein durch undgilt bis heute.
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kaum Förderung. Zudem entsprach dieWirklichkeit nicht überall den schwierigdurchzusetzenden gesetzlichen Vorschriften. Bis zum Schulgesetz von 1835 endetebeispielsweise die Schulpflicht in katholischen Gebieten im Alter von 13 Jahren, inprotestantischen drei Jahre später. Die
Entwicklung der Volksschule 1805-1865
Schul- Wichtigstegesell Neuerungen
Schülerpro lehrer
Ferien
Lehrerseminar: Der Kantonrichtete das Lehrerseminar1846 im fünf Jahre zuvor aufgehobenen Kloster Wettingenein. Vorher befand ich dasSeminar nacheinander inAarau und Lenzburg. Ein Lehrerinnen eminar wurde erst1873 gegründet. 1976 reorganisierte der Aargau seine Lehrerau bildung, worauf er dasSeminar Wellingen in eineKamonsschule umwandelte.
Kanlonsschule: Aarau erhieltdas erste Gymnasium derSchweiz, dessen Lehrer nichtmehr dem geistlichen Standangehörten. Das Kantonsschulge etz von 1813 sah einezweite Millelschule für denkatholischen Landesteil vor.Die e Gesetzesbestimmungwurde trotz vieler Bemühungen erst erfüllt, als die Aargauer Stimmbürger 1960 dieErrichtung einer Kanton schule in Baden beschlossen.
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1805
1822
1835
1865
Jede Gemeinde muss eine eigene SchulehabenAllgemeine Schulpflicht ab 6. JahrSchulaustritt dann, wenn das Kindfertig lesen, schreiben und wenn möglichrechnen kann
Jede Gemeinde muss ein Schulhaus bauen
Offene Stellen sollen nur noch mitausgebildeten lehrern besell1 werdenSchulaustritt aufgrund einer Prüfung(keine Altersgrenze)
Einteilung in Schulstufen:Gemeinde-, Fortbildungs- und 8ezirksschuleArbeitsschulen für Mädchen werdenobligatorischBessere lehrerausbildung (2-3 Jahrel
Mädchen dürfen Bezirksschule besuchenKonfessionell getrennte Schulen beginnenzu verschwindenlehrplan sieht Turnunterricht vorBessere lehrerausbildung (4 Jahre lehrerseminarl
80
legt der Kleine Ratfest
100,ausnahmsweise 120
80
Unterricht hauptsächlichim Winter
8 Wochen, vermehrtUnterricht im Sommer
B-12 Wochen
10 Wochen
Bezirksschule: Die rascheDurchsetzung des Schulgesetze von 1835 wurde mit derUmwandlung der bestehendenSekundarschulen in Bezirksschulen erreicht. In jedemBezirk sollte mindesten einderartiges Institut tehen.Diese Forderung war 1843erfüllt. 1836 bestanden bereits14, 188523 Bezirk chulen,darunter drei 1875/76 entstandene Mädchenbezirksschulenin Baden, Lenzburg undAarau.
Zurlaubialla: Die Bibliothekdes Generals Zurlauben,Angehöriger des bekanntenZuger Ge chlechts, das in denFreien Ämtern zu Einfluss undBesitz gekommen war, enthältTausende zum Teil seltenerDruckschriften und eine 300Bände umfassende Sammlunghandschriftlicher Urkundenund Amtsakten. Seit 1973wertet ein Forscherteam dieunglaublich reichhaltigeHandschriftensammlung derZurlaubiana aus und macht sieder Öffentlichkeit zugänglich.
WeitereBildungsanstrengungen
Die Bemühungen des Aargaus um das Bildungswesen sind im Vergleich zu anderenKantonen überdurchschnittlich gross. Dasklassische Beispiel für einen regelrechtenBildungsidealismus ist die KantonsschuleAarau. 114 Aarauer Bürger aus allenSchichten, an ihrer Spitze der Seidenbandfabrikant Johann Rudolf Meyer, eröffneten diese Schule 1802 aus privater Initiative mit Beiträgen, die sich nach dem Vermögen und Einkommen der Gründer richteten. 1813 entlastete der Kanton die Stifterund übernahm die Schule. Gleichzeitigwandelte er die jahrhundertealten Lateinschulen in den Städten in Anstalten um,die von ihrem Niveau her den unterenKlassen eines Gymnasiums entsprachen.Dieses dezentrale Angebot einer mittlerenBildungsstufe in allen Bezirken war eineschweizerische Pionierleistung. 1835 erhielten diese Institute den damals sinngemässen Namen «Bezirksschule». Wegweisend über den Kanton hinaus wurde die1809-1835 im aufgehobenen Kloster Olsberg betriebene höhere Töchterschule, woder Kanton Mädchen beider Konfessio-
nen zur Ausbildung zuliess, was als besonders fortschrittlich galt. Auf die Bedürfnisse der Aarauer Industrie zugeschnittenwar die 1826 durch die Fabrikanten KarlHerose und Johann Georg Hunziker gegründete Gewerbeschule. Sie wurde 1835in die Kantonsschule integriert.
Die Staatsmänner der ersten Stundebetrachteten eine für alle Kantonsbürgerzugängliche Bücherei als unverzichtbar.Schon 1803 gründeten sie die Kantonsbibliothek und erwarben als Grundstockaus der helveti chen Liquidationsmassedie als «Zurlaubiana» bezeichnete Bibliothek des Generals Beat Fidel Zurlauben.Der Kanton liess sich den Erwerb etwaskosten: Die 19000 Franken für den Ankauf entsprachen dem Gegenwert vonrund 200 Lehrer-Jahresgehältern. Durchzahlreiche Schenkungen und zielbewussteBücherankäufe, nicht zuletzt durch die1841 einverleibten wertvollen Buch- undHandschriftensammlungen der aufgehobenen Klöster Muri und Wettingen, wuchsdie Kantonsbibliothek rasch. Der anfängliche Bestand von 9000 Bänden nahm bis1857 auf 60000 zu. Mit ihren 450000 Bänden im Jahr 1990 gehört die AargauischeKantonsbibliothek zu den mittelgrossenBibliotheken der Schweiz.
Abb.90Spielende Knaben imSchlo hof von Lenzburg, woder aus Braunschweig stammende Christian Lippe von1823 bis 1853 eine privateErziehung anstalt betrieb. Diekörperliche Betätigung unddie Entwicklung der spielerischen Eigenschaften desKindes nehmen in der Pädagogik Pestalozzis, welcheauch Lippe aufgriff, einenbreiten Raum ein. Währendgrösstenteil Kinder vermögender Eltern aus dem Ausland Lippe Internatbesuchten, diente ein weiteresprivates Bildungsinstitut, derin Aarau von 1819 bis 1830be tehende «Lehrverein» derKulturgesellschaft, hauptsächlich jugendlichen oder bereitserwachsenen Aargauern, dieihre Volksschulbildung für daspraktische Leben als Beamte,Kaufleute und Handwerkererweitern wollten. Der«Lehrverein» war in diesemSinn eine Art Volkshochschule.
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Abonnenten
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davon Aargau
1822 1828
D Verkaufsauflage
Zeitung der Schweiz. Dauernd erregte sieden Unwillen ausländischer Diplomaten,die ihre aristokratischen oder reaktionärenRegierungen heftig angegriffen sahen undbei der Tagsatzung gegen das streitbareBlatt aus Aarau Sturm liefen. Sie verlangten Zensur, Verbot und Bestrafung underreichten immerhin, dass die AargauerRegierung 1819 eine Polizeiaufsicht überpolitische Blätter einführte. 1821 entschlossen sich die Herausgeber der «Aarauer Zeitung» aufgrund der Proteste undEinschränkungen, das Blatt nicht weitererscheinen zu lassen. Paul Uteri führtedanach seine journalistische Arbeit bei der«Neuen Zürcher Zeitung» weiter, welchedie «Aarauer Zeitung» in ihrer Funktion als führende fortschrittliche Zeitungablöste.
Diplomatischer Affront politische Erstarrung
Interventionen benachbarter Staaten gegen den progressiven Aargau waren um1820 beinahe an der Tagesordnung. Dankder liberalen Presseverordnung von 1816war hier eine weitaus freiere Meinungsauss~rung möglich als in den meistenanderen Kantonen. In Aarau liess sich inden zwanziger Jahren ein halbes Dutzendpolitischer Flüchtlinge nieder, weshalbkonservative eidgenössische Politiker undausländische Diplomaten den Aargau alsHerd revolutionärer Machenschaften betrachteten. Doch entgegen allen Vorwürfen bereiteten sie nichts vor, was die reaktionären Verhältnisse in den deutschenStaaten hätte verändern können. ImGegenteil: Die Flüchtlinge, die Aarau aufsuchten, weil sie über Bekannte von dessen vergleichsweise liberalem Klima gehört hatten, hüteten sich, auf ihr Heimatland Einfluss zu nehmen. Sie fügten sichbestens ins gesellschaftliche Leben derKantonshauptstadt ein, nahmen still undbescheiden an den Versammlungen derKulturgesellschaft teil und betätigten sichals Lehrer an der Kantonsschule und ananderen Schulen, allerdings nicht ohneihre Zöglinge in freiheitlich-progressivemGeist zu erziehen. Unter den Kantonsschülern der 1820er Jahre befand sich dieganze spätere Politikergarde des Kantons.Unübersehbar prägten Deutsche den jungen Kanton massgeblich: Nicht nur et-
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breiteten Zeitung der Deutschschweiz undzum Organ, das die Ideen der KulturgeseIlschaft ins Volk hinaustrug. Um seineZeitung herauszugeben, liess Zschokkeden Verleger Heinrich Remigius Sauerländer nach Aarau kommen.
Im rasch wachsenden Verlag Sauerländer erschienen nicht nur der «Schweizer-Bote», sondern eine ganze Reiheweiterer aufklärerisch-liberaler Presseerzeugnisse. Der Verlag galt bei seinen Gegnern im deutschen Sprachraum bald alsVerbreiter fanatischer Revolutionsbegeisterung, als «Arsenal des Jakobinismus».Von 1814 bis 1821 druckte Sauerländer diehauptsächlich vom Zürcher Paul Usteri redigierte «Aarauer Zeitung». Sie war fürein anspruchsvolles und fortschrittlicheingestelltes Publikum die meistgelesene
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Um aufklärerische Ideen und wIssenschaftliche Erkenntnisse, zum Beispielüber eine ertragreichere Landwirtschaft,zu verbreiten, eigneten sich am besten Zeitungen. Aus diesem Grund gab HeinrichZschokke in Aarau ein allgemeinver tändliches Blatt heraus. Dieser «aufrichtigeund wohlerfahrene Schweizer-Bote» erschien ab 1804 und wurde zur meistver-
Presse, Zensurund Pressefreiheit
Abb. 9/Aunageentwicklung des«Schweizer-Boten». Zum Vergleich: Die Druckaunage der«Aarauer Zeitung» betrug1819 rund 1000 Exemplare.Diese Zahlen erscheinengering, doch beide Blätterfanden vor allem gro se Verbreitung durch das Weiterreichen von Hand zu Hand. Imeinen Dorf mag der Lehrer dereinzige Abonnent des«Schweizer-Boten» gewesensein, im anderen der Pfarrer.Über den Schulunterricht odervon der Kanzel herunterkonnten die im Blatt aufgegriffenen Themen je nachBelieben in noch volkstümlicllerer t-orm verbreitetwerden.
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seiner Anstellung in Aarau das Bürgerrecht von Effingen erlangt. Ein fremderStaat stellte also das Begehren nach Auslieferung eines Kantonsbürgers ! Die Aargauer Regierung wies das Ansinnen zwarab, liess sich aber vom hemmungslosenpreussischen Gesandten mündlich undschriftlich traktieren und duldete schliesslich, dass ein preussischer Offizier im Aargau erschien, um Folien abzuholen. UnterDruck hatte dieser inzwischen beschlossen, sich freiwillig zu stellen. Eine psychische Krankheit, in die er sich aus Angstflüchtete, bewahrte ihn schliesslich vor derVerhaftung. Preussen hatte immerhin einen diplomatischen Sieg über den Aargauerrungen. Die Aargauer Regierung musstesich vorwerfen lassen, Souveränitätsrechtepreisgegeben zu haben.
Der Vorfall ist typisch für das politische Klima in den 1820er Jahren. Männerder Helvetik beherrschten nach wie vordie Aargauer Politik. Sie waren jedoch ineinen bisweilen aristokratisch anmutenden Regierungsstil abgeglitten, der nurnoch wenig mit der fortschrittsbegeistertenStimmung vor 1820 gemein hatte. Am16. März 1824 verschärfte die Regierungdie Zensurbestimmungen, womit es auchim Aargau schwieriger wurde, sich frei inder Presse vernehmen zu lassen. Erst 1828änderte sich die Situation, als die «Appenzeller Zeitung» von der Beseitigung derZensur in diesem Kanton profitierte undsich zum aufgeschlossensten Blatt derSchweiz mauserte. Die Aargauer Oppositionellen sandten jetzt ihre Artikel nachTrogen, von wo sie in Zeitungsform annicht wenige Aargauer Abonnenten gelangten. Der Aarauer Anwalt Karl RudolfTanner, ein späterer politischer Wortführer der 1830er Jahre, war beispielsweisehäufig gelesener Kolumnist der «Appenzeller Zeitung». Dem Badener Lehrer Johann Baptist Brosi gelang es sogar, 1830mit Artikeln in diesem Blatt in seinem Heimatkanton Solothum einen politischenUmsturz auszulösen. Der Aargau war seiner Rolle als progressivster und pressefreundlichster Kanton verlustig gegangen.Erst am 7. Dezember 1829, im gleichenZeitraum wie in der übrigen Schweiz,schaffte der Kleine Rat die Zensur ab.Dieser Entscheid, ein Vorgeschmack despolitischen Umschwungs von 1830, bildetedie Grundlage, auf der in den folgendenJahrzehnten zahlreiche Aargauer Zeitungen entstanden.
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liche Kantonsschulprofessoren, sondernauch die viel früher eingewandertenZschokke, Sauerländer und Regierungsratvon Schmiel waren ursprünglich deutscher Abstammung.
Die hartnäckig vorgetragenen Proteste gegen die schweizerische und vor allemaargauische Presse- und Flüchtlingspolitikveranlassten die Tagsatzung am 21. August1823 zum Erlass eines «Press- und Fremdenkonklusums». Es beinhaltete eine verschärfte Presseüberwachung mit neuenZensurbestimmungen und hinterliesseinen schwarzen Fleck in der SchweizerAsylgeschichte. Den Höhepunkt der diplomatischen Verwicklungen erlebte derAargau mit dem «Folien-Handel». 1824stellte der preussische Gesandte ein Begehren nach Verhaftung und Auslieferungdes Kantonsschulprofessors Adolf Folien.Dieser Deutsche war 1821 aus preussischerGefangenschaft geflüchtet und hatte nach
Abb.92Titelseite des «SchweizerBoten» mit Zensurlücke, 1825.Eine verfassungsmässige Pressefreiheit existierte weder inder Mediations- noch in derRestaurationszeil. Jeweils einRegierungsrat untersuchte diePresseerzeugnisse höchstpersönlich auf ihre Botmässigkeil.Die Zen ur war im Aargauwesentlich milder als in denmeisten anderen Kantonen.
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