der maler und guru nikolai roerich - deutschlandfunk€¦ · 4 nikolai roerich war ein ebenso...
Post on 02-May-2020
4 Views
Preview:
TRANSCRIPT
DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 22.01.2013 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 – 20.00 Uhr
Träume von Schambala
Der Maler und Guru Nikolai Roerich
Von Ernst von Waldenfels
URHEBERRECHTLICHER HINWEIS
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
� Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -
2
Musik of Tuva Artii-Sayir (Kargiraa) dazu „Tnoona“ darüber Aufnahme von
einer alten Schelllackplatte mit der Stimme Nikolai Roerichs
O-Ton (Voice Over)
Übersetzer
Welch Freude es ist, wieder die Türme von New York zu sehen! Wie oft in den
Wüsten Asiens und besonders in Tibet dachten wir an die Wolkenkratzer, die
indianischen Pueblos und die uralten Städte Italiens und Spaniens. Die
labyrinthischen Lehmmauern erinnern an die Pueblos von New Mexiko und Arizona.
Die Klöster, die sich stolz an Berggipfel klammern, ähneln den alten Adlernestern
Italiens. Als ich die Türme von New York erblickte, kamen mir die freudigen Ausrufe
wieder in den Sinn, welche die Fotos dieser Bastionen menschlichen
Leistungsvermögens in Asien hervorriefen. Die Bewohner der Lehmhäuser und
Jurten rissen sich diese Souvenirs gegenseitig aus der Hand und riefen: „Das ist das
Land von Schambala“
Erzähler
Am 18. Juni 1929 kam der russische Künstler Nikolai Roerich nach einer
mehrjährigen Expedition durch Zentralasien, die Mongolei und Tibet in New York an.
Noch am Pier erwartete ihn eine Motorradeskorte der Polizei und brachte ihn zum
Bürgermeister der Weltstadt. Drei Tage später ging es nach Washington, wo ihn
Präsident Herbert Hoover im Weißen Haus empfing.
Musik Wagner: Parsifal, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Marek Janowski
Erster Akt - Vorspiel
5. Übersetzer
Träume von Schambala –
Der Maler und Guru Nikolai Roerich
Ein Feature von Ernst von Waldenfels
3
O-Ton (Voice Over)
Übersetzer
Diese berührenden Erinnerungen kamen mir, als ich die Türme New Yorks wieder
erblickte. Und zwischen meinen alten Bekannten sah ich so viele neue Bastionen,
die in den letzten fünf Jahren errichtet worden waren. Solch unaufhaltbarer Fortschritt
ruft echte Freude hervor.
Erzähler
Eines dieser neuen Hochhäuser lag am Riverside Drive auf der vornehmen Upper
West Side Manhattans. Der 29 Stockwerke hohe Art Deco Bau trug den Namen
Roerich Museum. Reiche Anhänger des Künstlers hatten ihn errichtet und mit der
Eröffnung am 29. Oktober 1929 hatte der Ruhm Nikolai Roerichs einen vorläufigen
Höhepunkt erreicht. Am späten Abend erklang auf einem Grammophon das
Präludium des Parsifal. Richard Wagner war der Lieblingskomponist des russischen
Malers, und eine Aufnahme der Oper hatte ihn auf seiner Expedition begleitet.
Parsifal
Erzählerin
Vor neun Jahren war der Künstler mit jener Kraft in Berührung gekommen, die, wie er
sicher glaubte, die Ursache seines Aufstiegs war.
Erzähler
Es geschah 1920 in London. In Russland herrschten Revolution und Gewalt,
Hungersnot und Bürgerkrieg. Die alte Oberschicht hatte sich ins Ausland gerettet.
Die meisten nach Berlin oder Paris. Einige aber auch in die Hauptstadt des britischen
Weltreichs. Unter ihnen der 44 Jahre alte Künstler Nikolai Roerich. In St. Petersburg
ein wohlhabender Mann, war er jetzt fast völlig mittellos und musste sich als
Bühnenbildner durchschlagen. Dabei war er nur drei Jahre zuvor noch Leiter der
kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der schönen Künste und Staatsrat am Hofe
Nikolais II gewesen. Er ging am Hof ein und aus, genoss jedoch auch die Verehrung
revolutionärer Schriftsteller wie Maxim Gorki und Alexander Block.
4
Nikolai Roerich war ein ebenso einflussreicher, wie umstrittener Mann im Kulturleben
der Zarenhauptstadt. Galt er den einen als rücksichtsloser Karrierist und Intrigant, so
war er für die anderen ein unermüdlicher Kämpfer für das Wahre, Schöne und Gute.
Erzählerin
Das war nun alles vorbei. Obwohl sich auch in London neue Liebhaber seiner Kunst
fanden. Darunter so Prominente wie der Inder Rabindranath Tagore, der 1913 den
Nobelpreis für Literatur erhalten hatte.
Erzähler
Es war Nikolai Roerichs suggestive, entrückte Bildwelt, die seine Kunst für viele so
anziehend machte. Eine russische Emigrantin, die es in die USA verschlagen hatte,
sollte ihren ersten Eindruck später so beschreiben:
Musik Tnoona
Zitatorin
Ich stand direkt der Unendlichkeit gegenüber. Große Weiten kosmischen Maßstabes,
Berge, Ströme von Wasser, massive Felsen, irdische und überirdische Boten,
friedvolle Heilige und Helden bevölkerten Roerichs Welt. Mir stockte der Atem,
Tränen rannten in die Augen, Gedanken und Gefühle überfüllten das Herz. Meine,
bis zu diesem Moment verschlossene Welt, machte einer anderen Platz: einer Welt
nicht irdischer Schönheit und Weisheit.
Erzähler
Nikolai Roerich war selbst auf der Suche nach jener Welt, die er in seinen Bildern
darstellte. Zusammen mit seiner blendend schönen und hochintelligenten Frau
Helena führte er seit Jahren spiritistische Sitzungen durch. So auch 1920 in London.
Manchmal war das Ehepaar dabei allein, aber meist nahmen andere russische
Flüchtlinge daran teil. Der Emigrant Wladimir Schibajew schrieb in seinen
Erinnerungen:
Musik Tnoona
5
Zitator
Ich wurde am Abend des 2. Juni 1920 von dem Künstler und Akademiemitglied
Roerich eingeladen und saß wie gewöhnlich mit seinem Sohn in dessen Zimmer. Ich
wusste nicht, dass Roerich und seine Frau nebenan spiritistische Versuche
vornahmen. Auch wusste ich nicht, dass sie im Jenseits nachfragten, ob es erlaubt
sei, mich zum Kreis zuzulassen. Als diese Frage bejaht wurde, bat man mich herein
und bot mir einen Platz am Tisch an. Im Zimmer war helles Licht und jeglicher Betrug
ausgeschlossen. Der Tisch zitterte nervös und rutschte hin und her und als wir ihn
fragten, wer er denn sei, ob er etwa der Lehrer sei, da rutschte der Tisch und es gab
einen Schlag.
Erzähler
Mit „Lehrer“ ist ein geistiger Führer aus dem Jenseits gemeint.
Zitator
Danach wurden die Buchstaben abgefragt. Das ging so, dass einer der Anwesenden
die Buchstaben des Alphabetes aufsagte. Wenn ein Schlag ertönte, wusste man,
welcher Buchstabe gemeint war.
Erzähler
Ende 1920 reiste Nikolai Roerich mit seiner Familie nach New York. Und kam vom
Regen in die Traufe. Er zog von Hotel zu Hotel, immer verfolgt von Gläubigern und
musste seine Bilder verpfänden. Die spiritistischen Sitzungen aber setzte er fort. Bis
es am 20. Juni 1921 zu einer sensationellen Offenbarung kam. Der Geist, mit dem
der Künstler seit London Kontakt hielt, teilte mit, wer er wirklich war. Niemand anders
als Mahatma Morya .
Erzählerin
Mahatma Morya war der persönliche Lehrer und Guru von Helena Blawatzki, die
1875 die einflussreichste esoterische Bewegung der Neuzeit gegründet hatte. Kern-
und Angelpunkt ihrer Theosophie genannten Lehre ist die Legende von den
Mahatmas. Sie leben in Schambala, einem geheimen Ort in Tibet. Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts will Helena Blawatzki dort selbst in die Lehre gegangen
sein. Bei eben jenem Mahatma Morya, der sich 1920 Nikolai Roerich und seiner Frau
6
Helena offenbarte. Die Theosophie der Blawatzki beeinflusste Künstler wie den Maler
Wassili Kandinski oder den Komponisten Alexander Skrjabin und den Dichter William
Butler Yeats. Aber auch nicht wenige Politiker und Männer der Finanzwelt glaubten
an Schambala und die Mahatmas. Darunter Sir Norman Montagu, der Leiter der
britischen Notenbank und einflussreichste Bankier seiner Zeit. Oder Henry Wallace,
einer der bedeutendsten Politiker der USA und Vizepräsident im zweiten Weltkrieg.
Selbst der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt nannte seinen Landsitz
Shangri-La. Shangri-La aber ist nichts anderes als Schambala in der Fassung des
amerikanischen Bestsellerautors James Hilton. Erst nach dem zweiten Weltkrieg
erhielt das Anwesen den heutigen Namen Camp David.
Musik Scriabin: Promethée, Op. 60
Erzähler
Mahatma Morya offenbarte sich Nikolai Roerich nach und nach. Erst umständlich bei
spiritistischen Sitzungen, dann direkt, indem er Helena Roerich, der Frau des
Künstlers, seine Stimme eingab.
Zitatorin
Roerich, liebe die Russen. Dir ist es aufgetragen, Russland zu führen. Ich beschütze
euch mit dem reinen Schild. Jedem von euch ist eine Arbeit aufgetragen. Neue
Fahnen werde ich euch rechtzeitig geben. Ich werde euch die Macht geben, ein
neues Russland zu bauen.
Erzähler
Nikolai und Helena Roerich waren 1921 bereits zwei Jahrzehnte verheiratet. Und fast
ebenso lange war Helena die Muse des Künstlers. Sie sagte ihm, wann und wo er
malen sollte. Und gab ihm sogar die Sujets ein. Nikolai Roerich war es gewöhnt, auf
die Stimme seiner Frau zu hören. Selbst wenn sie Dinge sagte, die 1921 völlig
absurd und unmöglich klangen.
Musik Scriabin: Le Poème De L'Extase, Op. 54
7
Zitatorin
Die Ikone von Sergei - sie bringt ihr dem Dalai Lama. Ich fühle euren Weg. Tibet liegt
vor euch - ihr reist in östlichen Gewändern. Ihr sollt die Sitten östlicher Gesandter
kennen. Ihr seid eine Gesandtschaft. Ich verspreche euch einen unerhörten Weg.
Das Märchen des Lebens bekräftigt sich.
Erzähler
Von Beginn an wurde jede Mitteilung Mahatma Moryas aufgeschrieben. Die
Protokolle wurden Grundlage für 13 Bände einer Agni Yoga oder „lebendigen Ethik“
genannten Lehre, die noch heute hunderttausende von Anhängern hat. Anderes ist
wohl nie veröffentlicht worden, weil es selbst die gutgläubigsten Anhänger der
Roerichs überfordert hätte. So die direkten Berichte aus Schambala mit Jesus
Christus und Mohamed, Konfuzius und Buddha, die alle in der geheimen
Bruderschaft leben. Oder die Mitteilungen Richard Wagners, der sich aus Schambala
direkt an Nikolai Roerich wendete.
Musik Wagner: Parsifal, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Marek Janowski
Erster Akt - Vorspiel
Zitatorin
Sei kräftig, mein geliebter Meister, ich halte Wacht. Ich gebe Dir meine Vollmacht.
Erzähler
Diese Ermahnung an Nikolai Roerich kam am 20.Mai 1921. Der Künstler war
verzagt, nicht einmal genug Geld war da, um sich ordentlich einzukleiden. Noch war
es unvorstellbar, dass aus den Mitteilungen Moryas eine neue esoterische Lehre
entstehen würde. Oder, dass Helena und Nikolai Roerich tatsächlich einige Jahre
später nach Tibet aufbrechen sollten.
Zwei Jahre lang blieb Mahatma Morya eine einsame Stimme, der zum Schluss nur
noch Nikolai Roerich vertraute. Doch dann geschah das ersehnte Wunder. Es fand
sich ein Jünger mit viel, viel Geld.
8
Erzählerin
Es war Louis Horch, ein sehr wohlhabender Börsen- und Devisenmakler mit deutsch-
jüdischen Wurzeln. Er und seine Frau ließen sich völlig in den Bann der Roerichs
ziehen. In die Bildwelt Nikolais und die Verheißungen Mahatma Moryas, der durch
Helena sprach.
Erzähler
Die folgenden Jahre entfalteten Roerichs Anhänger eine staunenswerte Aktivität.
Eine Unmenge von Broschüren zum Lobpreis Nikolai Roerichs wurde von New York
aus in allen Weltsprachen verbreitet und man ging an den Bau jenes Hochhauses,
das 1929 als Roerich Museum eröffnet wurde.
Musik Scriabin: Le Poème De L'Extase, Op. 54
Erzähler
1923 reiste das Ehepaar Roerich erst nach Indien, dann nach Zentralasien und 1926
über die Sowjetunion in die Mongolei. Von dort ging es 1927 auf jene zweijährige
Expedition durch Tibet, die ihn weltweit bekannt machte. Und nicht nur, weil der
Künstler von dort hunderte von Gemälden und Zeichnungen mitbrachte. Die Roerichs
profitierten davon, dass Europäern die Einreise strikt verboten war, so dass jede
Reise dorthin und jede Nachricht von dort sofort große Aufmerksamkeit erregte.
Zudem gab das geheimnisvolle Tibet, das zu weiten Teilen noch nicht einmal kartiert
war, mit seinem nicht minder geheimnisvollen Dalai Lama auch eine hervorragende
Projektionsfläche ab. Nicht nur für die Blawatzki mit ihren Mahatmas, sondern auch
für viele andere Esoteriker und Okkultisten.
Erzählerin
Die aufsehenerregende Expedition hätte auch die Frage aufwerfen müssen, wie es
die Roerichs nicht nur geschafft hatten, unbehelligt in die Sowjetunion und wieder
heraus zu kommen, sondern auch noch monatelang durch den ersten Sattelitenstaat
der UdSSR, die Mongolei zu reisen. Schließlich hatte Nikolai Roerich zur Elite des
Zarenreichs gehört und sich nach der Revolution öffentlich gegen die neuen
Machthaber in Moskau gestellt. Vorerst jedoch wurden solche Fragen nicht gestellt.
Zumindest nicht in der Öffentlichkeit.
9
Erzähler
Die Rückreise Nikolai Roerichs glich einem Triumphzug. Noch in Indien gab er die
ersten Interviews und selbst auf dem Schiff, das ihn nach Frankreich brachte,
belagerten ihn die Journalisten. In Paris hob er ein neues Projekt aus der Taufe. Es
war eine internationale Konvention zum Schutz von Kulturgütern im Kriegsfall, die als
Roerich Pakt in die Geschichte einging. Am 15. April 1935 sollte Präsident Roosevelt
den Vertrag persönlich im Weißen Haus unterzeichnen. Und nur wenige Monate
später alles dafür tun, seine Verbindung zu Nikolai Roerich vergessen zu machen.
Doch das war noch sechs Jahr hin.
Erzählerin
1929 also kam Nikolai Roerich in New York an, wurde mit einer Ehrengarde zum
Bürgermeister gebracht und reiste anschließend nach Washington, wo ihn Präsident
Hoover im Weißen Haus empfing. Dann kehrte er nach New York zurück, wo am 29.
Oktober jener Roerich Museum genannte Wolkenkratzer eröffnet wurde.
O-Ton (Voice Over)
Übersetzer
In den abgelegenen Jurten ist Präsident Hoover der gewaltige Retter der hungernden
Völker. Ford gilt als Symbol für die Kraft des Verbrennungsmotors. Die Mongolen
halten die Indianer für ihre verlorenen Verwandten.
Erzähler
Das Schambala, von dem Nikolai Roerich hier sprach, war das Schambala der
tibetischen Mythologie, das am ehesten dem christlichen Paradies entspricht. Und
natürlich hatte Madame Blawatzki das Wort dort entlehnt. Nur ist es bei ihr zum
Wohnort der Mahatmas, der heimlichen Herrscher der Welt geworden. Und man
kann sicher sein, genau darauf spielte Nikolai Roerich an. Doch deutlicher wurde er
in zwei Büchern, die er 1930 und 1931 in den USA veröffentlichte. Das eine trug den
Titel „Schambala“ und das andere „The heart of Asia“. Beide handelten von seinen
Reisen und in beiden fanden sich zahlreiche Anspielungen auf die Mahatmas. Ohne
es je explizit zu behaupten, sollen sie den Eindruck erwecken, der Künstler sei ihnen
auf seinen Expeditionen begegnet.
10
Musikakzent „Tnoona“
Erzähler
In der ersten Hälfte der dreißiger Jahre wurden in allen wichtigen Ländern Europas
Roerich Gesellschaften gegründet, die seinen Kulturpakt propagierten, und sich mit
Agni Yoga beschäftigten. Also jene zu einer neuen Lehre geronnenen Mitteilungen
Mahatma Moryas an Helena Roerich. 1930 empfing der französische Präsident den
Propheten der Kultur, wie ihn die Presse taufte und der Kulturausschuss des
Völkerbunds gab seine Unterstützung für den Roerich Pakt bekannt. Obendrein fand
sich ein neuer Jünger. Der einflussreichste, den Nikolai Roerich je gewinnen sollte.
O-Ton (Voice Over)
Übersetzer
Wir, die wir direkt oder indirekt die meisten der freien Völker der Erde repräsentieren,
haben uns hier im Interesse von Millionen Menschen aller Nationen versammelt, die
die Freiheit in ihren Seelen haben. Für mich hat dieses Treffen nur einen Sinn: diese
Millionen wissen zu lassen, dass hier in den Vereinigten Staaten 130 Millionen
Männer, Frauen und Kinder leben, die den Krieg bis zu seinem Ende durchfechten
werden. Unser amerikanisches Volk ist absolut entschlossen weiterzumachen, bis es
jene Schläge anbringen kann, die den völligen Sieg bringen und damit einen neuen
Tag für die Liebhaber der Freiheit in aller Welt.
Erzähler
Es war der 8. Mai 1942 und es sprach aus dem Weißen Haus Henry Wallace der
Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Sechs Jahre später, 1948 also, sollte der
enge Gefolgsmann Roosevelts für die Präsidentschaft kandidieren. Als Kandidat
einer eigens gegründeten Partei, die gegen die Konfrontation mit der Sowjetunion
war und eine Atomrüstung strikt ablehnte. Aber es gab ein Fiasko. Nicht einmal vier
Prozent der Wähler stimmten für den Mann, den viele für den populärsten Politiker
des Landes gehalten hatten. Grund waren Schreiben von Wallace an Roerich, die als
sogenannte Gurubriefe in die Geschichte eingegangen sind. Die Presse und
Wallace` politische Gegner hatten sie im Wahlkampf an die Öffentlichkeit gebracht.
11
Die Briefe stammten aus den Jahren 1933 bis 1935, der ersten Amtszeit von Wallace
als Landwirtschaftsminister der USA.
Zitator
Lieber Guru. Ich habe daran gedacht, wie das Neue Land aufbricht, um unter den
drei Sternen die sieben Sterne zu treffen. Wer wird denen, die im Dunkeln wandeln,
die zielführende Antwort geben? In Antwort auf diese Frage heißen wir sie wieder
willkommen. Um die Depression auszutreiben. Um die Furcht auszutreiben. Und so
erwarte ich Sie, bereit, das zu tun, was ich zu tun habe. Möge Frieden, Freude und
Feuer wie immer mit Ihnen sein. In großer Hast aus diesem seltsamen Mahlstrom,
der Washington heißt.
Erzähler
Das war noch einer der verständlicheren Briefe. Spätere waren gänzlich
unverständlich und geeignet, einen unbefangenen Beobachter am Verstande des
Verfassers zweifeln zu lassen. Man findet hier Passagen wie die folgende:
Zitator
Die Affen wollen Freundschaft mit den Herrschern schließen, um das Land der
Meister unter sich aufzuteilen.
Erzähler
Offensichtlich wurde hier, wie auch an vielen anderen Stellen, ein Code verwendet.
Doch da Henry Wallace sich bis zu seinem Tod weigerte, zum Inhalt der Briefe
Auskunft zu geben, blieb der Schlüssel Jahrzehnte lang unbekannt. Erst Wladimir
Rosow, ein russischer Historiker sollte das Rätsel nach jahrelanger Forschung in den
USA lösen. Im Nachlass des Roerich Jüngers Louis Horch, der seinerseits bis zu
seinem Tod geschwiegen hatte, fand er eine Liste mit den Bedeutungen. Affen war
das Codewort für das britische Empire, die Japaner waren als die Herrscher
verschlüsselt und das Land der Meister stand für die Mongolei.
12
O-Ton Russisch (Voice Over)
Übersetzer
Es gelang mir, eine Unmenge Material zu entdecken, Nikolai Roerich zeigte sich in
einem ganz neuen Licht. Bis dahin kannten wir ihn nur als Künstler und als
Begründer des Roerich Pakts. Aber es zeigte sich, dass er nicht nur von einem
neuen Land und einer neuen idealen Regierung sprach, er versuchte dies auch
praktisch umzusetzen. Was unter den Bedingungen der Emigration, in denen er sich
befand, nichts Ungewöhnliches war. Einige der bedeutendsten Köpfe Russlands
hatten sich in der Emigration wiedergefunden. Auch für sie war es selbstverständlich,
nach neuen Wegen zu suche, nach einer neuen Staatsform, nach Wege zu einem
neuen Russland.
Erzähler
Ein neues Land war seit langem auch der Traum von Henry Wallace. Seit den
zwanziger Jahren gab der Farmer aus dem mittleren Westen eine eigene Zeitschrift
heraus, die die Agrarindustrie und Wall Street unbarmherzig kritisierte und radikale
Reformen forderte. Allerdings hatte der Traum des Henry Wallace eine mystische
Dimension. Denn der Farmer war überzeugter Theosoph, und praktizierender
Esoteriker. In den zwanziger Jahren versuchte er, mit astrologischen Mitteln, das
Wachstum seiner Pflanzen zu fördern. Bemühungen, die er 1933 nach seiner
Ernennung zum Landwirtschaftsminister fortsetzte.
Erzählerin
Es war die Verbindung von Mystizismus und praktischer Politik, die Henry Wallace an
Nikolai Roerich so faszinierend fand. Nach seinem Amtsantritt setzte er sich
öffentlich und unermüdlich für den Roerich Pakt ein. Ohne bei Roosevelt auf
Gegenliebe zu stoßen. Vorläufig zumindest. Gleichzeitig ließ er sich im Geheimen
auf das andere Projekt Nikolai Roerichs ein. Das neue Land nämlich, dass der
Künstler gründen und anführen sollte. Wir erinnern uns, schon 1920 hatte Mahatma
Morya durch Helena Roerich mitgeteilt:
Musik „Tnoona“
13
Zitatorin
Roerich, Dir ist es aufgetragen, Russland zu führen. Ich werde euch die Macht
geben, ein neues Russland zu bauen.
Erzähler
Das neue Land sollte in den Weiten Asiens aus den Trümmern der Sowjetunion
geboren werden und sich mit der Mongolei und Tibet zum „heiligen Bund des
Ostens“ vereinen. Mit Nikolai Roerich als Staatsoberhaupt.
Erzählerin
Natürlich ein irrsinniges Projekt. In Wahrheit war der Plan jedoch an ganz praktischen
Gegebenheiten orientiert.
Erzähler
Nämlich an den Spannungen zwischen der Sowjetunion und Japan, die sich schwer
bewaffnet gegenüber standen und mehrmals an den Rand eines Krieges gerieten.
Hintergrund war die Expansion Japans in den Steppengebieten Nordchinas, die
direkt an Sibirien grenzen. Verschärfend wirkten Aufstände der Bauern in Sibirien,
die sich gegen die Kollektivierung wehrten und die Illusion weckten, zum Sturz der
Sowjetmacht brauche es nur noch eines kleinen Anstoßes. Viele der gut zwei
Millionen Russen, die vor den Bolschewiken ins Ausland geflohen waren, setzten ihre
Hoffnungen auf die Japaner. So auch Nikolai Roerich. Es stellte sich allerdings die
Frage, ob die Japaner bereit waren, sich auf ihn und seine Pläne einzulassen. Doch
Nikolai Roerich hatte einen Trumpf.
Erzählerin
Der war Henry Wallace. Im März 1934 besuchte Nikolai Roerich den japanischen
Konsul in New York, gab sich als Verehrer Japans zu erkennen und teilte ihm mit,
einer seiner Jünger sei jetzt Minister in der amerikanischen Regierung. Was den
Konsul hoch erfreute. Denn wenn irgendjemand der japanischen Expansion im Weg
stand, dann waren es die USA. Also lud der Konsul Nikolai Roerich im Namen seiner
Regierung zu Gesprächen nach Tokio ein. Und widersprach auch nicht, als ihm der
Künstler seine großen Pläne andeutete.
14
Erzähler
Von alledem ahnte Wallace nichts oder wollte nichts ahnen. Lieber ließ er sich durch
Erzählungen über die Mahatmas einlullen. Dazu kamen kleine Geschenke, die
angeblich direkt aus Schambala stammten und unablässige Besuche in Washington.
Bis schließlich das Ziel erreicht war. Henry Wallace willigte ein, Nikolai Roerich zum
Führer einer Expedition des Landwirtschaftsministeriums zu machen, die vorgeblich
nach dürreresistenten Pflanzen suchen sollte.
Erzählerin
Hauptziel war ausgerechnet die Mandschurei. Eine gewaltige chinesische Provinz,
die im Norden und Osten an Sibirien grenzt, und seit 1931 von den Japanern besetzt
war. Zwar hatte das Reich der aufgehenden Sonne die Provinz zum eigenständigen
Staat erklärt, und ihm den Namen Mandschukuo gegeben, aber niemand hatte das
Land anerkannt. Auch nicht die USA, deren Beziehungen zu Japan sehr gespannt
waren. Eine Expedition war daher nur unter der Auflage möglich, dass die
Teilnehmer jegliche Begegnung mit offiziellen mandschurischen Stellen vermieden.
Musik Scriabin: Le Poème De L'Extase, Op. 54
Erzähler
In ihrer Anfangsphase glich die Reise einem Triumphzug. In Tokio wurde Roerich im
besten Hotel der Stadt untergebracht und am 22. Mai 1934 von dem mächtigsten
Mann des Landes, Kriegsminister Hayashi, persönlich empfangen.
Zwei Tage später sagte Nikolai Roerich der Presse:
Zitator
Japan kann sich glücklich schätzen, dass einer seiner Führer ein so großer Mann wie
General Senjuro Hayashi ist.
Erzähler
Die nächste Station war Harbin, die größte Stadt der Mandschurei. Hier lebten gut
fünfzigtausend Weißrussen, die immer noch auf den Sturz der Bolschewiki hofften.
Dass der japanische Kriegsminister Nikolai Roerich persönlich empfangen hatte,
löste allgemeine Euphorie aus. Bei strömenden Regen kamen 150 Menschen zum
15
Bahnhof, um den Künstler abzuholen und in der Kathedrale wurde ihm zu Ehren ein
Gottesdienst abgehalten. Ob Erzbischof oder Führer der Veteranenverbände, alle
wollten ihn sprechen. Nikolai Roerich wiederum trat mit Reden an die Öffentlichkeit,
die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen.
Zitator
Wieder hören wir den Klang der Glocken über Russland, und es ist vorhergesagt,
dass das freie russische Volk bald auf freier russischer Erde eine nie dagewesene
Wohlfahrt erleben wird. Um auf diesen Weg zu kommen, muss das Volk sich auf die
Gesandten vorbereiten, die kommen und es erneut zu Heldentaten aufrufen werden.
Das wird bald, bald sein.
Erzähler
Aber Nikolai Roerich hatte den höflichen Empfang in Tokio falsch gedeutet. Die
Japaner hinderten ihn nicht nur daran im Landesinneren ein bewaffnetes Lager zu
errichten, sie verwarnten ihn auch für den Fall, dass er die Emigranten weiter
aufwiegelte. Doch Nikolai Roerich fühlte sich von den Mahatmas berufen und setzte
seine Agitation fort. Schließlich zeigten die Japaner, wer in Harbin das Sagen hatte.
Am 17. November 1934 begann in allen russischsprachigen Zeitungen eine
Kampagne gegen Nikolai Roerich, die ihn solange als Okkultist, Spiritist oder gar als
verkappten Anhänger der Bolschewiki hinstellte, bis er die Mandschurei endgültig
verließ. Im Dezember 1934 befand sich Nikolai Roerich in Peking und war an einem
absoluten Tiefpunkt angelangt. Aber dann geschah etwas, was ihm wie ein Wunder
vorkommen musste. Präsident Roosevelt begann sich für ihn zu interessieren und
mehr als das. Er trat mit Helena Roerich in Kontakt und ließ sich von ihr in allen
möglichen politischen Fragen beraten. Allerdings nicht als Kennerin Asiens, sondern
als Vertreterin und Vertraute der Mahatmas.
Erzählerin
Eben das sollte Henry Wallace bis an sein Lebensende behaupten. Ohne dass ihm
jemand glaubte. Heute aber ist dies unzweifelhaft erwiesen. Die Beweise fand der
Historiker Waldimir Rosov und veröffentlichte sie 2003 in Moskau. Es waren
Aufzeichnungen von Louis Horch, der den Briefboten zwischen Helena Roerich und
dem Präsidenten gespielt hatte. Der erste Kontakt fand am 7.November 1934 statt,
16
als Roosevelt gerade seine Mutter in Manhattan besuchte. Der Präsident war beim
Frühstück, als Louis Horch wie absichtslos vorbeischaute, und einen Brief aus dem
fernen Indien überreichte.
Zitator
Ich sagte, hier sei eine Botschaft von Mutter, die eine einzigartige, von feurigem
Geist inspirierte Persönlichkeit ist, die die höchsten geistigen Höhen erklommen und
die Erleuchtung erreicht hat.
Erzählerin
Mutter, so heißt Helena Roerich im Kreis der Jünger.
Zitator
Sie ist das einzig lebende Verbindungsglied mit der Gemeinschaft der großen
Weisen, die im Himalaya lebt. Diese Vereinigung großer Weiser hat seit
undenklichen Zeiten politischen Führern geholfen und streckt jetzt auch ihm die
helfende Hand aus. Ihm wird Hilfe angeboten und nichts gefordert.
Ich sagte, ähnlich wie er die Politik und das Schicksal Amerikas führe, so führe die
Gemeinschaft der Großen Weisen, denen die Zukunft bekannt sei, das Schicksal des
gesamten Planeten. Er nickte und sagte: „Das ist richtig“. Mir kam es so vor, als hätte
ich mit diesen Worten sein Innerstes erreicht. Danach sagte er, ich solle Mutter
mitteilen, er sei „außerordentlich interessiert und sie soll mir weitere Botschaften
schicken“.
Erzähler
Von nun an reiste Louis Horch regelmäßig nach Washington, schrieb die Fragen des
Präsidenten auf und übergab die Antworten Helena Roerichs. Es waren meist vage
gehaltene, aber klug formulierte Ratschläge zur Innen- und Außenpolitik. Doch
Roosevelt war sehr viel vorsichtiger als Wallace. Weder gab er jemals etwas
Schriftliches aus der Hand noch reagierte er auf Andeutungen Helenas, die
Asienpolitik der USA in gewünschter Hinsicht zu ändern. Allerdings setzte er sich von
nun an persönlich für den Roerich Pakt ein. Was auch die Folge hatte, dass nun, da
Roerich Persona grata war, das Außenministerium aufhörte, Wallace wegen der
skandalträchtigen Expedition unter Druck zu setzen. Vorerst zumindest.
17
Musik of Tuva Artii-Sayir (Kargiraa)
Erzähler
Am 15. April 1935 unterschrieb der Präsident der Vereinigten Staaten im Weißen
Haus den Roerich Pakt. Auf dem Photo, dass die Unterschrift dokumentiert, sieht
man im Hintergrund neben Louis Horch weitere Jünger der Roerichs, sowie Vertreter
jener 21 Staaten, die sich dem Pakt angeschlossen hatten. Aber das war auch der
letzte Höhepunkt in der Karriere von Nikolai Roerich als Vertreter der Mahatmas.
Denn es bahnte sich ein ungeheuerlicher Skandal an. Grund waren die
Anstrengungen des Künstlers, doch noch den Grundstein für einen heiligen
Staatenbund des Ostens zu legen.
Musik of Tuva Artii-Sayir (Kargiraa)
Erzählerin
Als die Nachricht vom Treffen Horchs mit Roosevelt eingetroffen war, hatte der
Künstler neuen Mut gefasst. Erst reiste er in die Hafenstadt Tianjin und forderte
Waffen von einer amerikanischen Infanteriedivision, die dort stationiert war. Nach
einigem Hin- und Her und dem Eingreifen von Henry Wallace bekam er sie auch und
brach dann in den Norden Chinas auf. Dort traf er sich mit aufständischen Mongolen,
die aus den mongolischen Gebieten Chinas und der Volksrepublik Mongolei ein
neues mongolisches Großreich formen wollten. Ein Schritt zum heiligen Staatenbund
des Ostens, wie Nikolai Roerich glaubte. Doch als er sich ihnen als Vertreter der
USA vorstellte und Unterstützung anbot, wurden die Mongolen misstrauisch und
fragten bei der Botschaft in Peking an. Dort reagierte man höchst alarmiert. Was
wenn Nikolai Roerich die USA in einen Kleinkrieg verwickelte? Also teilte man den
Mongolen mit, der Künstler sei allenfalls berechtigt, im Namen der USA Grassamen
zu sammeln. Gleichzeitig ging ein geharnischtes Schreiben an das
Landwirtschaftsministerium. Nebenbei ließ man auch etwas an die Presse
durchsickern.
18
Erzähler
Noch glaubten Roosevelt und Wallace einem Skandal ausweichen zu können. Es
erging lediglich die Anweisung, die Expedition in weniger heiklen Gebieten
fortzusetzen. Was Nikolai Roerich auch versprach. Doch am 20. August 1935 kam
ein Telegramm des amerikanischen Militärattaches aus Moskau.
Zitator
Wie man mir hier mitteilt, ist ein Nikolai Roerich im Norden Chinas mit Kosaken
unterwegs. Sie sind mit Waffen ausgerüstet, die vom 15. Infanterieregiment der USA
stammen. Zur Zeit bewegt sich der Haufen Richtung Sowjetunion. Angeblich als
wissenschaftliche Expedition, in Wahrheit jedoch, um frühere weiße Elemente und
unzufriedene Mongolen aufzuwiegeln.
Erzähler
Nicht nur fühlten Wallace und Roosevelt sich betrogen jetzt drohte auch ein
internationaler Skandal, der erst Wallace und dann auch Roosevelt mit sich reißen
konnte. Sofort wurde die Expedition als aufgelöst erklärt. Dann wurde ein Telegramm
nach China zu Nikolai Roerich geschickt, das ihn zum Schweigen verpflichtete und
als nächstes Louis Horch nach Washington zitiert, um dessen Haltung auszuloten.
Doch auch dem waren längst tiefe Zweifel gekommen. Ohne Zögern sagte er sich
von den Roerichs los. Obendrein lieferte er alles nötige Material, um den Künstler,
der seine gewaltigen Einnahmen nie deklariert hatte, an die Steuerbehörde
auszuliefern. Diese stellte sofort einen Haftbefehl aus und verhinderte damit das, was
Roosevelt und Wallace mehr als alles andere fürchteten: die Rückkehr des
gefallenen Propheten in die USA. Wenige Zeit später erhielt Louis Horch einen
hohen Posten im Landwirtschaftsministerium und ließ danach nie wieder etwas über
seinen ehemaligen Guru verlauten.
Erzählerin
Ende 1935 reiste der nunmehr über 60 Jahre alte Nikolai Roerich nach Indien zu
seiner Frau Helena. Er sollte dieses Land nie wieder verlassen. Hoch verehrt von
den Einwohnern jenes Himalaja Tales, in dem er sich niedergelassen hatte, aber fast
vergessen vom Rest der Welt, starb er dort 1947. Der Ort an dem er sich einäschern
ließ, ist heute eine Pilgerstätte.
19
Erzähler
Seine Träume von Schambala und dem neuen Land lebten weiter. 1954 floss sein
Pakt in die UNESCO Konvention ein und nach 1989 erlebte die lebendige Ethik, die
Lehre seiner Frau Helena, in Russland einen ungeheuren Aufschwung.
O-Ton Russisch (Voice Over)
Übersetzer
In den 90er-Jahren gab es sogar die Idee, die Lehre von der „lebendigen Ethik“ in
der Militärakademie einzuführen. Nein, das ist kein Witz. Ich erinnere mich nicht mehr
daran wer, aber man hat mir davon erzählt. Vermutlich sogar ein Militär. Es hieß,
man müsse etwas einführen, dass an die Stelle der kommunistischen Idee treten
könne und irgendjemand machte den Vorschlag mit der Lehre von der „lebendigen
Ethik“.
Erzähler
Wir sitzen im Obergeschoss der Buchhandlung Ziolkoswki im Zentrum Moskaus.
Oleg Schischkin, ein bekannter Fernsehmoderator und Journalist erzählt. Nicht weit
von unserem Treffpunkt ist Nikolai und Helena Roerich ein ganzes Palais aus dem
18. Jahrhundert gewidmet. Dort werden nicht nur viele der tausenden von Bildern
gezeigt, auf denen Nikolai Roerich seine Expeditionen dargestellt hat, dort wird auch
für die lebendige Ethik geworben. Nicht zuletzt ist dort das Hauptquartier des
internationalen Roerich Zentrums, in dessen Beirat so namhafte Leute wie der
frühere Premierminister Jewgenij Primakow sitzen. Die lebendige Ethik ist die
einflussreichste jener Vielzahl von esoterischen Lehren, die sich seit den neunziger
Jahren in Russland verbreitet haben.
O-Ton Russisch (Voice Over)
Übersetzer
Dass die Lehre von der lebendigen Ethik so mächtig wurde, hängt auch damit
zusammen, dass dahinter eine bestimmte Bank steckt, die Master Bank, die in ihrem
Logo sogar das Zeichen von Roerich benutzt – achten Sie einmal darauf. Die
Buchstaben sind genau im Stil von Roerich, man hat genau seine Buchstaben
benutzt.
20
Erzähler
Die Master Bank wurde in den wilden neunziger Jahren von Oligarchen gegründet
und zielstrebig ausgebaut. 2010 gelang es sogar, einen Cousin Wladimir Putins für
den Vorstand zu gewinnen. Im Straßenbild Moskaus ist das Logo der Bank, ein
großes M mit drei Punkten, unübersehbar. Es gleicht jenem, welches Nikolai Roerich
für seinen Pakt kreiert hatte. Übrigens bezieht sich auch der Name der Bank auf die
Lehre der Roerichs. Master, das ist in den Schriften der lebendigen Ethik einer der
Namen für Mahatma Morya. Jener Weise aus dem Himalaya, der die Lehre
angeblich an Helena Roerich übergeben hat.
O-Ton Russisch (Voice Over)
Übersetzer
Roerich wird zur Gottheit erklärt. In den neunziger Jahren versammelten sich einige
in der Lenin Bibliothek und versuchten mit ihm in spiritistischen Kontakt zu kommen.
Das ist natürlich sehr seltsam. Wir leben in einer Welt, in der es viel Seltsames gibt,
aber das war meiner Ansicht nach doch etwas zu viel. Für mich war es sehr wichtig
Zeugnisse für Kontakte Roerichs mit den Geheimdiensten der Sowjetunion zu finden.
Warum? Weil ein lebender Gott keine Verbindung mit irgendwelchen
Geheimdiensten oder irgendwelchen geheimen Operationen haben kann. Das ist
nicht möglich, dann ist er nämlich kein Gott.
Erzähler
Schischkin wollte das größte Rätsel im Leben des Künstlers lösen, die Frage, wie es
Nikolai Roerich gelungen war, monatelang unbehelligt durch die Sowjetunion, die
Mongolei und durch Tibet zu reisen
O-Ton Russisch (Voice Over)
Übersetzer
Ich suchte überall, an allen möglichen Orten, wo es überhaupt nur ging.
Erzähler
1993 fand der Journalist Dokumente, die den Künstler mit einer legendären Figur des
sowjetischen Geheimdienstes in Verbindung brachten. Es ist Jakob Bljumkin, der
21
zum ersten Mal auf sich aufmerksam gemacht hatte, als er 1919 den deutschen
Botschafter in Moskau ermordete. Später tat Bljumkin als Agent in Paris, Istanbul und
Palästina in Erscheinung und ab 1926 leitete eben dieser Mann den Aufbau des
mongolischen Geheimdienstes. Also zu genau der Zeit, da sich die Roerichs auf ihre
legendäre Expedition vorbereiteten. Als Schischkin mehr herausfinden wollte, erlebte
er eine unangenehme Überraschung.
O-Ton Russisch (Voice Over)
Übersetzer
Ich schickte 1994 eine Anfrage in Sachen Bljumkin an das SWR.
Erzähler
Das ist der Auslandsgeheimdienst der russischen Föderation.
O-Ton Russisch (Voice Over)
Übersetzer
Von dort bekam ich folgende Antwort: „Alle Dokumente, die Sie im Zusammenhang
mit Bljumkin interessieren, haben wir an das internationale Roerich Zentrum
übergeben.“ Ich wandte mich dorthin und man sagte mir, ich würde diese Dokumente
niemals erhalten. Ich war voller Zorn, denn ich verstand, dass es nicht nur um mich
geht, sondern um alle, die das interessiert.
Erzähler
Die Übergabe von Akten des Geheimdienstes an eine private Organisation ist ein
einmaliger Vorgang und spricht für den enormen Einfluss der russischen Roerich
Anhänger. Genauso einmalig ist, dass der Geheimdienst offiziell verkündete, Nikolai
Roerich sei nie Agent der Sowjetunion gewesen. Was Schischkin aber weiterhin
öffentlich behauptet. Zwar ohne direkten Beweis, aber mit einer Reihe von Indizien.
Darauf wurde der Journalist 1995 wegen Schmähen des Andenkens Verstorbener
angeklagt und zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Obgleich die Geheimdienstakte
bis heute kein unabhängiger Forscher gesehen hat.
22
Erzählerin
Was nicht bedeutet, dass man überhaupt kein Fazit unter diese Streitfrage ziehen
kann. Denn auch wenn Roerich mit dem Geheimdienst eng zusammengearbeitet
haben sollte, so war er mit Sicherheit kein gewöhnlicher Agent. Eher ist an einen
Teufelspakt zu denken, den der Künstler eingegangen war, um nach Tibet zu
kommen. Sollte es so gewesen sein, so hat ihn Nikolai Roerich mit Sicherheit nicht
eingehalten. Denn bald nach Beendigung der Expedition wurde der Künstler vom
Geheimdienst zum Feind erklärt und alle, die mit ihm Kontakt hatten, festgenommen,
verhört und zu Haftstrafen verurteilt.
Erzähler
Und so kommt Oleg Schischkin, heute, 18 Jahre nach seiner Verurteilung, zu dem
Fazit:
O-Ton Russisch (Voice Over)
Übersetzer
Er war ein Mensch, der mit Hilfe verschiedener Leute seine wichtigen Themen im
Leben verwirklicht hat und im Besonderen die Expeditionen. Die Expeditionen nach
Tibet und wohin noch. Und dazu bediente er sich aller möglichen Mittel.
Musik Tnoona
Absage
Träume von Schambala
Der Maler und Guru Nikolai Roerich
Ein Feature von Ernst von Waldenfels
Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2013.
Es sprachen: Gregor Höppner, Frauke Poolman, Walter Gontermann, Christiane
Bruhn , Hendrik Stickan, Susanne Dobrusskin, Louis Friedemann Thiele, Josef
Tratnik und Jochen Langner
Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Kiwi Hornung
Regie: Wolfgang Rindfleisch
Redaktion: Hermann Theißen
top related