die elefanten meines bruders
Post on 16-Jan-2016
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Die Elefanten meines Bruder
Helmut Pöll
„Die Elefanten meines Bruder“ – ein Roman über ADHS und einen Zirkusbesuch, der nie
stattgefunden hat.
Billy Hoffmann ist elf und findet es doof, dass zwischen seinem Vor- und Nachnamen kein „Tiee“
steht wie bei einem Amerikaner; „Tiee“ stünde für Trevor oder Timothy, was ziemlich cool wäre.
Als er sechs Jahre alt war, hat er seinen Bruder, Phillipp, verloren. Eigentlich wollte Billy T.
Hoffmann mit ihm die Elefanten im Zirkus ansehen, als Phillipp von einem Auto erfasst wird und
dabei umkommt. An diesem Tag hat sich für die Familie alles verändert.
Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen und er hat die Zirkuskarten von damals immer noch. Die
Familie leidet unter dem Verlust und vor allem Billy hat schwer zu tragen: er hat ADHS und
flüchtet sich in eine Welt aus Filmzitaten und cineastischen Welten. Einzig und allein Mona, seine
beste Freundin, steht ihm bei, wenn er in seinem Leben mit ständigen Psychologenbesuchen,
ewiger Ablenkung und Missverständnissen niemanden mehr findet, der Verständnis für ihn hat, im Kampf gegen seine eigene Welt und den Zwängen in seinem Kopf.
Ein Roman aus der Sicht eines Kindes zu schreiben gelingt wenigen. Ein Roman aus der Sicht eines
Kindes, das unter ADHS leidet, noch weniger. Und nichtsdestotrotz hat sich Helmut Pöll daran
gewagt, einen personalen Ich-Erzähler zu verwenden, der mit elf Jahren über seine Welt spricht,
über seine Gefühle und seinen Alltag und schafft es mit einer Leichtigkeit, die einen verwundert.
Denn Billy wirkt ab der ersten Zeile so echt wie ein wahres Kind, welches den Bruder verloren
hat und seitdem darunter leidet. Seine Krankheit wird so klar herausgearbeitet, dass man mitten
im Korp des Jungen sitzt und plötzlich sich wiederfindet, in einer Welt von fehlender
Geborgenheit und der ständigen Ablenkung und Abschweifung.
Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ist eine Belastung fürs gesamte Leben. Sie grenzt ab und ein,
sie hält auf und lässt einen nicht mehr los. Bei Billy geht sie sogar mit hyperaktiven Momenten
einher, in denen er versucht sich unter Kontrolle zu bringen um sich nicht zu verlieren.
Fiktion und Realität treffen sich plötzlich auf einer Basis. Was ist nur in Billy's Kopf, was ist
wirklich? Was wünscht er sich oder was träumt er nur. Seine Phantasie versucht ihn über alles
hinwegzutrösten um die Unverständnis der Erwachsenen und seine Umgebung zu vereinbaren.
Ein echtes Kind voller Probleme und tiefsitzendem Schmerz.
Diese bittere Authentizität zieht sich durch gesamten Roman, der in seiner kindlichen und
einfachen Sprache, die Last für den Leser umso schwerer macht. Die großen Worte fehlen und
doch dringt alles prägnant ein, selbst wenn Billy noch so sehr vom eigentlichen Thema abkommt,
bedingt von seiner Störung, und der Leser ihm konzentriert folgen muss. Mit Witz und Charme
schildert er sein Leben und oft muss man über ihn lächeln, obwohl der rote Faden der Geschichte,
der sich durch „Die Elefanten meines Bruders“ zieht, oftmals sticht und einem die Luft manchmal
abzuschneiden droht.
Man findet sich selbst immer wieder mit Mitleid, mit Verständnis für die überforderten Eltern, mit
Missgunst über die Leute wieder, die nicht mit ihm umzugehen wissen. Die zwischenmenschliche
Beziehung, die immer mehr zu bröckeln scheint und die der eigene Sohn zu spüren scheint, kommt
durch. Die Zeit und Nerven, die die Eltern ihr Sohn kostet, kommt auf und bleibt doch so am
Rande, dass man nicht davon erschlagen wird, ohne unerwähnt zu bleiben.
Und nebst diesen einzigartigen, kindgerechten, tapferen Protagonisten, schleicht sich der Alltag
heimlich hinein. Helmut Pöll greift Alltagsphänome auf, bringt sie mit ADHS in Kontakt und
schafft dabei eine leise und durchsickerende Kritik an unsere Hektik, die ein Kind mit
Aufmerksamkeitsdefizitstörung vollkommen aus den Konzept bringen kann. Über unseren Ärger
von Verspätungen, der nicht nötig ist, über unseren Frust, der durch kleinste Dinge entsteht.
Dieser leise Ton macht die Handlung aus. Das Auge fürs Detail, die Schlichtheit und Reinheit im
Text und die Unberührtheit des Schmerzens, der doch so tief sitzt. „Die Elefanten meines Bruders“
ist kein lautes Werk, welches schreit und rumrennt, sondern hinter seiner Fassade Traurigkeit und
Leid versteckt, welches sanft durchscheint.
Das Ende passt sich dem an. Man erwartet es, man denkt es sich ab der ersten Seite, und doch, so
wie es kommt, leise und ausklingend, wie eine Befreiung, macht es das Herz schwer und bringt uns
ein Lächeln auf das Gesicht.
Fazit
„Die Elefanten meines Bruders“ ist ein einzigartiger Roman, der das Leben eines Kindes mit ADHS in Perfektion verkörpert. Sprachlich authentisch, bitterlich ehrlich und greifbar. Eine
Leseerfahrung der besonderen Art für einen Roman, der sich traut, fernab von falschen
Vorstellungen zu sein. Ein kleines Meisterwerk.
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