erfahrungsbericht erasmus an der universidade nova ... · in lissabon toll zu afrikanischer und...
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Erfahrungsbericht ERASMUS an der Universidade NOVA Lissabon Sommersemester
2018
10. Fachsemester an der Charité Berlin
1. Bewerbung und Vorbereitung
Meine Bewerbung lief total entspannt über das Erasmus-Büro der Charité ab: da Portugal nicht
unbedingt Ziel Nummer 1 ist, musste ich auch keine weiteren Auswahlverfahren durchlaufen. Die
aktuellen Bewerbungsbedingungen am besten direkt beim Erasmus-Büro nachschauen. Wichtig ist,
dass ein gewisses Sprachniveau erforderlich ist (zum Zeitpunkt meiner Bewerbung war das A2) und ich
würde auch absolut empfehlen, so viel Sprachkenntnisse wie möglich vor Antritt des Semesters zu
sammeln (TU bietet ganz gute Kurse an). Portugiesisch brauchte für mich ein wenig „Reinhörzeit“, aber
da man jeden Tag in der Klinik gezwungen ist, zu verstehen und zu sprechen, lernt man zum Glück dann
auch recht schnell. Die NOVA bietet auch semesterbegleitende Sprachkurse an, von denen ich einen
belegt habe, allerdings nicht weiterempfehlen kann: viel zu viele Studis und sehr schleppende Didaktik.
Wer richtig motiviert ist, sucht sich eine gute private Schule (von vielen wurde mir Language Craft
empfohlen).
Ein weiterer großer Teil der Vorbereitung ist die Auswahl der Module, die man an der
Auslandsuniversität belegt. Ich habe in vorherigen Semestern schon teilweise Module ausgesetzt,
sodass mein Learning Agreement vielleicht nicht ganz prototypisch ist: Ich habe mir für die Charité
M27 (Ortho), M32 (Wahlplicht), M33 (Schwangerschaft) und die Blockpraktika für Innere und Gyn aus
dem 10. Fachsemester anrechnen lassen (insgesamt 24 Credit Points) und dafür in Lissabon die Module
Especialidades de Medicina I und Ginecologie e Obstétrica (23 CP) belegt. Es ist also an sich möglich
mit langfristiger Planung Module aus verschiedenen Semesters von der Charité zu absolvieren, ich
würde aber empfehlen im Ausland Kurse aus einem zusammenhängenden Semester zu belegen
(macht die Organisation viel einfacher). Ich studiere insgesamt ein Semester länger, was für mich
aufgrund von Doktorarbeit und Reiseplänen aber sowieso einkalkuliert gewesen ist. Ich kann nur
empfehlen weniger Module im Erasmus zu belegen: im Vergleich zum Modellstudiengang gibt es viel
mehr Präsenzzeiten und das Medizinstudium hier ist echt eine 40h Woche Anwesenheit, und es gibt
während eines Erasmus-Aufenthalts meist noch mehr zu sehen als die Seminarzimmer.
2. Unterkunft
Man ist es ja von Zuhause gewöhnt: Wohnungs- oder WG-Suche in europäischen Großstädten macht
keinen Spaß, und auch Lissabon ist da keine Ausnahme. Es gibt wenig WGs mit portugiesischen Studis
und luxus-sanierte Zimmer teuer an Erasmus-Studierende zu vermieten ist groß im Trend. Mit Geduld
und Muße lassen sich aber trotzdem richtige Perlen (inklusive Dachterasse oder Balkon!) finden. Ich
habe in einer Erasmus-WG mit vier anderen Studis in einem Zimmer für 350 Euro zentral und schön
gewohnt und dieses Zimmer über uniplaces gebucht (hab mich aber auch viel zu spät organisiert) und
dann Leute kennen gelernt und dann noch einige Monate total schön in einer WG mit Garten gewohnt.
Für etwa 400 Euro kann man also auf jeden Fall gut wohnen, manche meiner Erasmus-
Kommiliton*innen haben aber auch über 500 Euro pro Monat für 10 qm zahlen müssen (was auch
deutlich über dem Mietspiegel liegt). Es gibt auch ein Wohnheim der NOVA, das hat aber nur sehr
wenige Plätze.
Was ich empfehlen würde: vielleicht einen Monat fest etwas buchen und dann versuchen hier über
Kontakte etwas zu organisieren (eine Woche im Hostel schlafen und sich eine Bude suchen, klappt
nach den meisten Berichten, die ich gehört habe, aber nicht mehr so gut). Ansonsten kann man auch
über facebook-Gruppen (auch ruhig in den Uni-Erasmus Gruppen) gut suchen und Kontakte herstellen.
Uniplaces ist eine Option, aber aufgrund der absurden Service-Gebühr, die meist verlangt wird, eher
eine der Letzteren.
3. Anreise und Mobilität
Für die Anreise hat man verschiedene Optionen: Flug (günstige Airlines sind die üblichen Verdächtigen
und TAP, kosten circa 70 Euro variierend nach Saison und dauern 3,5 Stunden), Zug (im besten Fall
dann mit Zeit und Muße per Interrail, Kosten etwa 200 Euro) oder man fährt mit dem Auto selbst und
macht eine ausgiebige Tour. Ich habe mich aus Zeitgründe für erstere Version entschieden, würde aber
im Nachhinein eher selbst mit einem Auto fahren. Wobei hier auch schon das Thema Mobilität in der
Stadt angeschnitten wird: Lissabon hat ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz mit U-Bahnen und Bussen (alle
etwa so pünktlich wie die M41 ab Hermannplatz). An schöne (Surf-)Strände kommt man auch mit Bus
und Bahn, aber für spontanere Ausflüge, die auch mal weiter weg gehen oder Camping ist ein Auto
richtig praktisch, insbesondere um z.B. Boards zu transportieren.
Um sich innerhalb der Stadt mit dem Nahverkehr zu bewegen ist eine Monatskarte (etwa 35 Euro)
empfehlenswert, denn ein Semesterticket gibt es nicht. Dafür muss man an eine Service-Stelle der
carris (Lissaboner bvg) und sich ein Dauerticket ausstellen lassen (Passbild nötig), dass dann ausgestellt
wird (per Eilantrag dauert das einen Werktag und kostet aber 12 Euro extra).
Ansonsten ist es möglich die App uber zu benutzen, die auch wirklich günstig ist, was ich meistens
nachts zum Ausgehen gemacht habe. Es gibt auch Scooter-Sharing über die App ecooltra, über die man
für circa 25 ct pro Minuten Elektroroller leihen kann – nicht ganz günstig, aber im Sommer eine tolle
Möglichkeit schnell durch die Stadt zu kommen.
Last but not least: ja, man kann auch mit dem Fahrrad durch die Stadt, ich habe mir nach einer Weile
doch eins zugelegt, weil mir das sehr gefehlt hat und meine Lehrklinik in Belem lag und ich somit den
flachen Weg am Wasser entlangfahren konnte. Fahrradwege gibt es mittlerweile ein paar, auch
ausleihbare Stadtfahrräder, ich würde auf jeden Fall aber mehrere Gänge und Vorsicht empfehlen.
4. Studium an der NOVA
Der Innenhof des Instituts der NOVA Medical School
Die medizinische Fakultät der NOVA ist eine der beiden, die es in Lissabon gibt, und liegt sehr zentral
am Campo Martires da pátria. Die Lehrkrankenhäuser sind jedoch über die ganze Stadt verteilt und
liegen teilweise auch etwas außerhalb. Die einzelnen Semester sind in Turma à circa 40 Studierende
aufgeteilt, die mit den Modulen über das Semester verteilt rotieren (ähnliches Prinzip wie
Seminargruppen an der Charité). Jedes Semester hat zuständige studentische Mitarbeiter*Innen
(Comissao de Curso), die man bei Fragen zu Rate ziehen kann.
Ich habe die Module Especialidades de Medicina I (EMC I) und Ginecologia e Obstétrica aus dem
viertem Fachsemester an der NOVA belegt. Beide Module haben Anwesenheiten in den Lehrkliniken
umfasst und ähneln damit am ehesten den Blockpraktika in Berlin. Es gab parallel dazu einmal in der
Woche nachmittags Vorlesungen zu den Prüfungsinhalten (Folien meist auf Englisch, Vortrag auf
Portugiesisch – hilft auf jeden Fall für medizinisches Vokabular). Es gibt Seminare und Praktika nur sehr
vereinzelt während der Blockpraktika, die jeden Wochentag von 9 bis 13 Uhr geplant sind. Während
der Blockpraktika muss man ein Logbook führen, teilweise auch täglich unterschreiben lassen muss
und über das am Ende auch die Benotung der Praktika erfolgt (50% der Endnote bestehen aus der Note
des Blockpraktikums, 50% über die Klausur am Ende des Semesters).
EMC I dauert 10 Wochen und schließt die Fachrichtungen Innere Medizin (4 Wochen), Neurologie (2
Wochen), Rheumatologie (1 Woche), Orthopädie (1 Woche) und Infektiologie (2 Wochen) ein. Manche
der Praktika (éstagios) sind besser, das heißt mit geplanten Unterrichtseinheiten, andere gar nicht
organisiert (zugeteilten Ärzt*Innen mitlaufen bzw. einfach in bestimmte Sprechstunden gehen und
dort hospitieren). Dementsprechend durchmischt war auch die Qualität der Lehre in diesem Modul:
Ich hatte in der Inneren richtig Glück mit meinem Arzt und Gruppe und habe viel gesehen und gelernt,
nur Infektiologie war wirklich schwierig, weil man viel Zeit nur abgesessen hat. Insgesamt also sehr
abhängig von Station und Lehrenden.
Gynäkologie habe ich in einer Maternidade (Frauen- und Geburtsklinik) verbracht und in den 5 Wochen
ein breites Spektrum der Fachrichtung kennen lernen können. Doch auch hier gilt: man ist in einer
Gruppe (3-4 Studierende) einer lehrenden Person zugeteilt und hospitiert die jeweiligen Tätigkeiten.
Der Ablauf meiner Ärztin war zum Glück sehr vielseitig: OPs, Sprechstunde für Jugendliche und
Sprechstunde für Risikoschwangerschaften, Geburtshilfe. Dieses Modul hat noch ein paar Seminare
und Praktika, z.B. zur Palpation der Mamma oder Spekulum-Untersuchung, umfasst.
Prüfungen sind auch an der NOVA MC-basiert und finden am Computer statt (wodurch man seine Note
gleich 10 Minuten nach Abgabe erfährt). Ich fand es nicht schwer mit moderater Vorbereitung mithilfe
der VL-Folien, Ausarbeitungen fleißiger Kommiliton*Innen aus höheren Semestern und Altklausuren
zu bestehen. Es gibt die Möglichkeit bei Nichtbestehen Prüfungen nachzuschreiben oder auch zu
verbessern (Nachschreibetermine sind meist ein bis zwei Wochen nach dem ersten Termin).
Insgesamt ist empfehlenswert, was auch an der Charité meistens hilft: Eigeninitiative und gute
Vorbereitung (gerade, wenn die Sprache meist schon genug Hürde ist), dann lernt man mehr und die
Zeit ist viel besser genutzt. Wie auch bei uns, ist die Studienorganisation manchmal ein einziges Enigma
– haltet euch an die portugiesischen Studis! Die sind meistens richtig gut über facebook-Gruppen
vernetzt, haben haufenweise Lernmaterial auf google drives und dropboxes etc. und sind immer
hilfsbereit.
5. Freizeit
Strand bei Zambujeira do mar
An dieser Stelle könnte dieser Bericht einen Umfang von 20 Seiten annehmen – Lissabon ist eine
unheimlich großartige und vielseitige Stadt und es gibt einerlei zu entdecken: so banal es klingt, ist und
bleibt der große Renner unter den meisten Erasmus-Studis: Rumstreunern und sich verlaufen, um
irgendwo die nächste bisher unbekannte Ecke zu entdecken. Das Gleiche gilt eigentlich auch für den
Rest des Landes: ab in den Bus und erkunden – der Alentejo ist wunderschön, aber auch im Norden
gibt es viel zu entdecken.
Ich selbst habe viel gesurft – Strände sind per Zug und/oder Bus in einer halben Stunde gut zu
erreichen. Auch Seilklettern und Bouldern geht gut z.B. In Sintra oder Setúbal. Ansonsten gibt es eine
Boulderhalle (vertigo), die nicht übel ist (aber nicht mit dem Berliner Angebot vergleichbar), einige
Fitnessschuppen und auch mehrere gute Yogastudios (ich mag das Ministry of Yoga – unterrichten aber
auf Englisch). Die NOVA selbst bietet auch viele, sehr günstige Sportkurse an – einfach mal die
Facebook Seite von NOVA desporto anschreiben.
Bezüglich Nachtleben stellt natürlich nichts Berlin als Techno-Mekka in den Schatten, dafür kann man
in Lissabon toll zu afrikanischer und lateinamerikanischer Musik ausgehen und es gibt in der Gegend
um Anjos/Intendente viele spannende Barprojekte – Anjos70, RDA, Casa Independente sind die
Klassiker. Ansonsten gibt es ab und zu ein paar unter der Hand empfohlene kleine Technoabende wie
z.B. East Lisbon Afters.
An Kunst und Museen gibt es auch eine große Auswahl – viele der Museen sind sonntags oder einen
Sonntag im Monat gratis geöffnet, da lohnt es sich, sich vorab zu informieren (z.B. Gulbenkian, Centro
cultural de Belem, Museu dos Azuleijos u.v.m.).
6. Fazit
Vielleicht klang es schon heraus: ich bin sehr glücklich mein Erasmus-Semester in Lissabon verbracht
zu haben. Wenn die ganze Organisation an der Uni mitunter auch nicht tiptop war (was in Berlin
ehrlich gesagt des Öfteren nicht anders läuft), habe ich fachliche, sprachliche und private
Erfahrungen gemacht, die mir sehr wertvoll sind. Tatsächlich gefällt es mir so gut, dass ich jetzt
meine ambulante Famulatur in einer Notaufnahme in Lissabon und vielleicht auch ein PJ-Tertial hier
verbringe. Man sieht sich also vielleicht auf einen Bica (Bebe isto com azúcar - der Lissabonner
Espresso) in den Gassen der Stadt 😊
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