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Daniel Bieber, Volker Hielscher, Peter Ochs, Christine Schwarz, Simon Vaut
Evaluation der Maßnahmen zur Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission
Organisatorischer Umbau der Bundesagentur für Arbeit
Zusammenfassung der Ergebnisse
Saarbrücken, Februar 2006
ZUSAMMENFASSUNG 2005
Evaluation der Maßnahmen zur Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission: Organisatorischer Umbau der Bundesagentur für Arbeit
2
Inhalt:
Anlage der Untersuchung.......................................................................................................3
Die neue Organisation der BA und der Veränderungsprozess .............................................3
Das neue Steuerungssystem der BA.....................................................................................4
Das „Kundenzentrum der Zukunft“ in den Agenturen............................................................6
Personalpolitik und Beschäftigte im Reformprozess .............................................................9
Die IT-Infrastruktur der BA....................................................................................................10
Gesamtwürdigung des Reformprozesses............................................................................11
ZUSAMMENFASSUNG 2005
Evaluation der Maßnahmen zur Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission: Organisatorischer Umbau der Bundesagentur für Arbeit
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Im Kontext der Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre ist die Bundesagentur für Arbeit (BA)
in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Sie muss nicht nur die Vielzahl der neu
geschaffenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente in die Praxis umsetzen, sondern sie muss
dies – angesichts verknappter finanzieller Ressourcen – auch effizienter tun als in der
Vergangenheit. Vor diesem Hintergrund sind, ausgehend vom Bericht der Kommission
„Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ im August 2002, sämtliche Strukturen und
Prozesse der BA auf den Prüfstand gestellt und weit gehend umgebaut worden, Dieser
Reorganisationsprozess ist noch immer in vollem Gange. Er ist Gegenstand dieses seit
November 2004 laufenden Evaluationsvorhabens, dessen erste Ergebnisse (Stand Juni
2005) nachfolgend in zusammengefasster Form präsentiert werden.
Anlage der Untersuchung
Die Evaluation beschreibt die Weiterentwicklung der neuen Strukturen und Prozesse in der
Organisation BA im Vergleich zu den vorangegangenen Organisationsmodellen. Als
qualitativer Referenzrahmen für die Bewertung der Befunde ist ein mehrdimensionales
Konzept des „Modernen Dienstleisters“ entwickelt worden. Anhand dieses Rahmens werden
die strategischen Prämissen und die praktische Umsetzung des organisatorischen Umbaus
der Bundesagentur einer – vorläufigen – resümierenden Betrachtung unterzogen.
Zu berücksichtigen ist, dass während der Erhebungen nur wenige Modellagenturen zur
Verfügung standen, die über Praxiserfahrungen mit dem neuen Organisationsmodell
verfügten. Die empirische Basis des Evaluationsberichtes umfasst nahezu 200 Interviews mit
Beschäftigten und Führungskräften in der BA sowie mit einer Reihe von Expertinnen und
Experten aus Verwaltung, Politik und Unternehmensberatungen. Die Interviews innerhalb der
BA wurden mit Akteuren in der Zentrale, in zwei Regionaldirektionen und sechs
Arbeitsagenturen durchgeführt. Dabei wurden Beschäftigte aus allen wichtigen
Funktionsbereichen und aus allen Hierarchieebenen einbezogen.
Die neue Organisation der BA und der Veränderungsprozess
Die Bundesagentur für Arbeit steht im Jahr 2005 inmitten der Implementation des
umfassendsten organisatorischen Umbaus ihrer Geschichte. Nach der Konzeptionsphase im
Jahr 2003 und der Erprobung in 2004 soll die Umsetzung der Reform im Jahr 2005
weitgehend abgeschlossen sein. Dieser ambitionierte Zeitplan ist vor dem Hintergrund der
besonderen Rahmenbedingungen zu würdigen, unter denen die Reform stattfindet. Die
schiere Größe der Organisation mit mehr als 90.000 Beschäftigten, einer
Flächenorganisation mit den Standorten von 178 Agenturen und rund 650 Geschäftsstellen
und mit einem Haushaltsvolumen von rund 58 Milliarden Euro, ist eine besondere
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Herausforderung. Überlagert wurde der organisatorische Umbau zudem durch die
Umsetzung des SGB II zum 1.1.2005, die enorme Kapazitäten sowohl in der Zentrale wie
auch in den Agenturen gebunden hat. Die Reform setzt auf verschiedenen
Organisationsebenen, in unterschiedlichen Feldern und an unterschiedlichen historischen
Organisationsständen in den Agenturen an. Sie gestaltet sich dem entsprechend komplex
und ist von Ungleichzeitigkeiten, Inkonsistenzen und Risiken geprägt.
In der „neuen BA“ sind die Aufgaben, die Größe, die Mitabeiterzahl ebenso wie die Rechtsform
und der formale Aufbau als dreistufig gegliederte Organisation weitgehend konstant geblieben.
Jedoch wurden die Binnenorganisation und die Aufgaben der einzelnen Organisationseinheiten
neu ausgerichtet. Die Umsetzung der Reform ist als konsequenter top-down-Prozess
organisiert, mit einer straffen Einführungslogik und rigiden Umsetzungsvorgaben für die
neuen Strukturen und Prozesse. Sie ist als konsequenter Bruch zu den bislang entwickelten
Organisationsmodellen angelegt. Der Umbauprozess startete mit der Reorganisation der
Zentrale, die nun für die Zielformulierung und Strategieentwicklung der Gesamtorganisation
zuständig ist. Er setzte sich im Umbau der Regionaldirektionen fort, welcher Ende des
Jahres 2004 abgeschlossen wurde und diesen die Steuerung der Agenturen zuwies. Der
Umbau der Agenturen wird Ende 2005 abgeschlossen sein. Sie sind dann mit dem neuen
Geschäftssystem „Kundenzentrum der Zukunft“ für das operative Geschäft zuständig.
Eine Stärke der Reformumsetzung liegt in der Eindeutigkeit der Reform über alle Ebenen
hinweg und in der systematisch umgesetzten Neu-Strukturierung der Organisation. Zugleich
wurde von vielen Akteuren in der BA kritisch vermerkt, dass die Mitarbeiter angesichts der
Reichweite des Umbaus nicht im erforderlichen Maße „mitgenommen“ wurden. Ebenso
waren für die Agenturen nicht in ausreichendem Maße Spielräume vorgesehen, die
Reformarchitektur an lokale Besonderheiten und Bedarfe anzupassen.
Das neue Steuerungssystem der BA
Die einzelnen Organisationseinheiten und die Prozesse in der BA sind einer neuen
Steuerungslogik unterworfen worden, die den Anspruch vertritt, den Mitteleinsatz systematisch
und strategisch nach dem Grundsatz von Wirkung und Wirtschaftlichkeit auszurichten. Die
BA hat zu diesem Zweck in Abkehr von der traditionellen, haushaltsgetriebenen Steuerung
ein Steuerungs- und Führungssystem aufgebaut, das sowohl den Anforderungen der
ausgedehnten Flächenorganisation als auch der differenzierten Aufgabenstellung Rechnung
zu tragen sucht.
Die Steuerung selbst ist von einer betriebswirtschaftlich geprägten Versicherungslogik
bestimmt, die durch eine Verbesserung der Effizienz und der Wirksamkeit der
Bundesagentur eine Minimierung der „Schadensfälle“ für die Versichertengemeinschaft zu
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erreichen sucht. Diese Akzentuierung findet sich bereits in den Vorschlägen der „Hartz-
Kommission“ angelegt.1
Die Organisationsreform der BA wendet sich vordergründig als Dienstleistungs-Reform an
beide Marktseiten, an Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen. Doch vor dem
Hintergrund der Krise der öffentlichen Finanzen, dem politischen Legitimationsdruck durch
die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und angesichts einer Arbeitsmarktpolitik, die primär auf
eine „Aktivierung“ der Arbeitslosen und eine Beitragssenkung zur Nachfragestimulierung
setzt, sind die wesentlichen Parameter der BA-Reform auf eine betriebswirtschaftliche
Wirkungsreform ausgelegt: Das haushaltspolitische und einer Versicherungslogik
entsprechende Ziel, weniger finanzielle Ressourcen zu verbrauchen, soll durch das
Wirkungsziel, die Zahl der Arbeitslosen zu verringern, erreicht werden. Die BA steht vor der
Herausforderung, haushaltspolitische Zwänge mit der Wirkungsperspektive zu verknüpfen.
Es geht also darum, aus den vorhandenen, limitierten Ressourcen die größte Wirkung am
Arbeitsmarkt zu erzielen: Die maximale Entlastung für die BA und mittelbar für die
Beitragszahler erfordert möglichst viele Integrationen unter geringstem Mitteleinsatz. Damit
verfolgt die BA eine Kosten-Nutzen-Logik, der eine inhärente Rationalität nicht abzusprechen
ist. Sie schlägt sich unter anderem in der Sparpolitik der Bundesagentur im Jahre 2003
(beitragsfreier bzw. beitragsarmer Haushalt als Ziel), in der Vermarktlichung der
Lieferantenbeziehungen (durch den zentralen Einkauf) oder in der Vermarktlichung der
Kundenbeziehung (mit dem rentabilitätsorientierten Produkteinsatzregime der
Handlungsprogramme; siehe unten) nieder. Die stark betriebswirtschaftliche Ausrichtung der
Wirkungsreform wird durch den Aussteuerungsbetrag noch verschärft, welcher für die
Bundesagentur ein neues (und großes!) Haushaltsrisiko darstellt, das durch die BA nur in
sehr geringem Maße steuerbar ist.
Das neue Steuerungssystem der BA ist als Zielsteuerung aufgebaut, das heißt, dass jeweils
zwischen der Zentrale und den Regionaldirektionen sowie zwischen den Regionaldirektionen
und den Agenturen einmal jährlich Vereinbarungen über die zu erreichenden Ziele
abgeschlossen werden. Diese Ziele sind als Wirkungsziele (Zahl der geförderten und
ungeförderten Integrationen), als Prozessvorgaben und Qualitätsstandards formuliert. Mit
Hilfe eines aufwändigen Controllingapparates wird der Grad der Zielerreichung permanent
kontrolliert und in monatlichen Abständen nachgehalten.
1 „Die [BA-neu] organisiert eine effiziente Arbeitslosenversicherung, die sich an den Interessen der Versichertengemeinschaft orientiert. Dafür werden die bestehenden gesetzlichen Regelungen verschlankt und Verwaltungsprozesse vereinfacht. Ziele wirksamer Beratung, Vermittlung und Integrationsleistungen sind die Reduzierung der „Schadensfälle“ und der Dauer der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen.“ (Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt 2002, S. 57). Demgegenüber gab es auch innerhalb der Kommission Stimmen, die nachdrücklich vor einer Dominanz der ökonomischen Versicherungslogik warnten.
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Das „Kundenzentrum der Zukunft“ in den Agenturen
Das „Kundenzentrum der Zukunft“ (KuZ) ist das neue Geschäftssystem in den Agenturen
und gilt als das Herzstück der BA-Reform. Es wurde, ausgehend von den Vorschlägen der
„Hartz-Kommission“ von einer Projektgruppe in Nürnberg entwickelt, in einer Agentur
zunächst erprobt, sodann in neun weiteren Agenturen getestet. Dabei wurden weitere
Anpassungen vorgenommen. Mit Beschluss des Verwaltungsrates der BA vom 14.7.2004
wurde seine Flächeneinführung beschlossen, die in Wellen verläuft und nach derzeitigem
Stand Ende 2005 abgeschlossen sein wird.
Mit dem Kundenzentrum wurde eine funktional gegliederte Organisationsstruktur an der
Schnittstelle zum Kunden geschaffen, die erstmalig den gesamten Prozess nach Effizienz-,
Führungs- und Steuerungsgesichtspunkten in einer einheitlichen Logik durchstrukturiert. Die
Kunden erreichen die BA telefonisch über das Service Center und gelangen in den
Agenturen zunächst an den Empfang und in die Eingangszone. An allen drei Punkten
werden Standardanliegen bearbeitet, Kundentermine bei den Fachkräften vergeben und
gegebenenfalls komplexere Kundenanliegen an die Leistungs- oder Vermittlungsabteilungen
weitergeleitet. Ziel ist eine bessere Dienstleistung für den Kunden in den Bereichen Vermitt-
lung/Beratung und Leistung sowie eine Effizienzsteigerung in der Dienstleistungsproduktion,
in dem eine Kundensteuerung nach klar definierten Kriterien eingeführt, die Abläufe
systematisiert sowie eine Trennung von Standard- und spezialisierten Fachkrafttätigkeiten
vorgenommen wird.
Das Geschäftssystem „Kundenzentrum der Zukunft“ wirkt in seiner Grundkonzeption und in
seiner Umsetzung betriebstauglich und lässt Effizienzgewinne erwarten. Insbesondere die
terminierten und störungsfreien Kundengespräche bei den Vermittlungsfachkräften werden
von den Akteuren als eine Verbesserung der Dienstleistungsqualität beschrieben.
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Abb.: Aufbau des Kundenzentrums2
Die Dienstleistungen für Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite sind in so genannten
„Handlungsprogrammen“ systematisiert und standardisiert worden. Außerdem wird der
Ressourceneinsatz zwischen den Marktseiten neu gewichtet: So sollen nun mindestens 20
Prozent der Vermittlerkapazitäten für die Bearbeitung der Arbeitgeberanliegen eingesetzt
werden. Die Handlungsprogrammlogik sieht auf Arbeitgeberseite eine Fokussierung auf die
„potenzialreichen Arbeitgeberkunden“ vor. Als potenzialreich gelten Arbeitgeber mit einem
hohen Personalumsatz. Die übrigen Arbeitgeber werden als „Standardkunden“ mit insgesamt
weniger Ressourceneinsatz und Intensität im Stellenbesetzungsprozess bedient und
erfahren darüber hinaus weniger oder keine Initiativkontakte.
Das von Seiten der Reformberater herangezogene Argument zur Fokussierung auf
personalumsatzstarke Unternehmen (nach der Logik: „20% der Arbeitgeber decken 80% der
Neueinstellungen ab“) hat seine Rationalität im Zusammenhang einer angestrebten
Erhöhung des Einschaltungsgrades der BA in die Marktprozesse. Dort, wo viel Personal
bewegt wird, kann die BA eher ihre Bewerber ins Spiel bringen. Hier geraten allerdings zwei
Dienstleistungsperspektiven miteinander in Konflikt. Die Unternehmen erwarten (so die Logik
des Handlungsprogramms der arbeitgeberorientierten Vermittlung) eine „Bestenvermittlung“,
womit sich der Kreis der in Frage kommenden Bewerber tendenziell auf die „Marktkunden“
einschränkt und in der Such- und Auswahlpraxis der Arbeitgeber-Vermittler auch faktisch so
wahrgenommen wird. Im Sinne ihrer Ausgleichsfunktion am Arbeitsmarkt wäre es
2 Einführung in die Reform in den Agenturen für Arbeit. Leitfaden der Umstellung, Bd. 2, Kundenzentrum – Detaillierung des Konzepts, vorl. Version, 21.6.2005, S. 18.
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andererseits geboten, dass die BA gerade jene Bewerber schwerpunktmäßig anbietet,
denen auf Grund (in der Person liegender Einschränkungen oder Qualifikationsmängel) der
Wiedereinstieg in Beschäftigung nicht ohne begleitende Unterstützung und Förderung
gelingen würde. Dem Gebot der Beschleunigung von Integration zur Verringerung der
Kosten von Arbeitslosigkeit steht damit das sozialpolitische Gebot der Vermeidung sich
verfestigender individueller Arbeitslosigkeit entgegen.
Mit der Festlegung der personalumsatzstarken Arbeitgeber als ihre Ziel- und
Entwicklungskunden fokussiert die BA ihre Dienstleistungen auf ein Kundensegment, das mit
professionellem Personalmanagement als starker Akteur am Markt auftritt. Zu fragen ist
jedoch, ob sich die Agenturen nicht stärker den Arbeitgebern zuwenden sollten, die ohne
strategische Personalkompetenz agieren, also die unzähligen kleineren und mittleren
Unternehmen. Benötigten nicht genau die vielen Unternehmen ohne eigene
Personalabteilung, ohne Sicht für potenzielle Arbeitsplätze, adäquate Stellenzuschnitte und
Qualifikationsbedarfe die Dienstleistungen der BA? Grundsätzlich geht es damit um die
Frage, ob die BA ihr nach der Segmentierungslogik differenziertes Leistungsangebot sowohl
kundenbedarfsgerecht als auch wirkungsorientiert adressiert. Diese Frage stellt sich in
gleicher Weise auf der Seite der Arbeitnehmerkunden.
Die Arbeitnehmerkunden werden in vier Segmente differenziert (Marktkunde,
Beratungskunde Aktivieren, Beratungskunde Fördern, Betreuungskunde), denen über die
Handlungsprogramme in sehr unterschiedlichem Maße Beratung und die potenziell
anzusetzenden Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung zugänglich gemacht werden.
Unter der Prämisse eines „rentablen“ Mitteleinsatzes erfolgt eine Konzentration der
Ressourcen auf das mittlere Kundensegment, insbesondere auf Beratungskunden-
Aktivieren.
Per Definition sind die einzelnen Kundengruppen unterschiedlich weit von einer Integration
entfernt.
1. „Marktkunden benötigen zur Überbrückung der Differenz lediglich einen kleinen
Impuls und können die Differenz im Wesentlichen selbst überbrücken.
2. Beratungskunden können mit Unterstützung, das heißt, mit Aktivierungsmaßnahmen
oder Qualifizierungsmaßnahmen die Differenz zur Integration überbrücken.
3. Betreuungskunden haben eine so große Differenz zur (theoretischen) Integration zu
überbrücken, dass eine Anhebung des Potentials bis zum Erreichen der Integration
mittelfristig nicht möglich, vor allem aber angesichts knapper Ressourcen nicht
„rentabel“ erscheint.“3
3 ebenda
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Der vorrangige Ressourceneinsatz (Vermittlerzeit/Kontaktdichte und Produkteinsatz/Budget)
hat seinen Schwerpunkt demgemäß auf den Beratungskunden, „weil hier die deutlichste
Erhöhung der Integrationswahrscheinlichkeit zu erreichen ist“.4 Die BA stützt sich bei der
Begründung der kundengruppenspezifischen Ressourceneinsatzlogik auf §7 SGB III5 und
leitet insbesondere aus der Berücksichtigung des arbeitsmarktpolitischen
Handlungsbedarfes die Einschränkungen bei der Kundengruppe Betreuungskunden ab. Für
diese Kundenkategorie wird konstatiert, der Handlungsbedarf sei so groß, dass das Ziel des
Gesetzes (die Eingliederung in Arbeit) mittelfristig nicht erreicht werden kann. Mit dieser
Einsatzlogik für die Dienstleistungen tritt ein Dilemma zwischen Wirtschaftlichkeit und
sozialem Auftrag zu Tage.
Personalpolitik und Beschäftigte im Reformprozess
Durch den organisatorischen Umbau haben sich die Arbeitsprozesse und
Arbeitsanforderungen für viele Beschäftigte der BA verändert. Der frühere „Druck der Flure“
konzentriert sich nun vor allem im Empfang und in der Eingangszone. Die Beschäftigten in
diesen Bereichen müssen wegen der Breite der vorgetragenen Kundenanliegen nicht nur
fachlich gut qualifiziert sein, sondern auch über große kommunikative und soziale
Kompetenzen verfügen. Die Arbeit der Vermittlungsfachkräfte hingegen ist durch das Service
Center von der Telefonie entlastet worden. Durch die terminierten Beratungsgespräche mit
im Vergleich zur früheren Praxis erweiterten Zeitfenstern können sie sich auf das
„Kerngeschäft“ Vermittlung konzentrieren.
Allerdings stehen die Beschäftigten vor allem im Service Center, in der Vermittlung und auch
in der Eingangszone in einem Spannungsverhältnis divergierender, im Extremfall
widersprüchlicher Zielvorgaben, die sie individuell bzw. als Team aufzulösen haben. Diese
Ambivalenz lässt sich zwischen den Polen quantitativer Zielvorgaben (Erreichbarkeit, Zahl
von Integrationen oder der Abbau des Drucks der Flure etc.) und qualitativer Ziele
(Abschließende Anliegenbearbeitung, angemessene Unterstützung des einzelnen Kunden
etc.) verorten. Beide Pole entsprechen dem Gesamtverständnis eines Modernen
Dienstleisters am Arbeitsmarkt. Allerdings wird diese Polarität in der Wahrnehmung der
Beschäftigten, aber auch ablesbar an den Zielindikatoren, einseitig zugunsten der
quantitativen Zielvorgaben aufgelöst. Damit bleiben aus Sicht von vielen Beschäftigten, die
direkt an der Schnittstelle zum Kunden arbeiten, wichtige Elemente der Kundenorientierung
4 a.a.O., Folie 219 5 „Bei der Auswahl von Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung hat die Agentur für Arbeit unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit die für den Einzelfall am besten geeignete Leistung oder Kombination von Leistungen zu wählen. Dabei ist grundsätzlich auf 1. die Fähigkeiten der zu fördernden Personen, 2. die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und 3. den anhand der Ergebnisse der Beratungs- und Vermittlungsgespräche ermittelten arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf abzustellen.“ §7 SGB III
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auf der Strecke. Diese Engführung des Kundenbezuges tangiert in ganz besonderem Maße
das berufliche Selbstverständnis der Vermittlungsfachkräfte, die nicht selten mit Verweis auf
den sozialpolitischen Auftrag der BA die Notwendigkeit eines jeweils individuellen Umgangs
mit dem Kunden gegen die als zu rigide empfundenen Systemvorgaben der Zielsteuerung zu
verteidigen suchen.
Im Bereich der Personalentwicklung der BA liegen elaborierte Konzepte vor, die allerdings
bis auf die Beschreibung der neuen Tätigkeitsprofile bisher kaum getestet oder in die Praxis
umgesetzt worden sind. Der organisatorische Umbau ist kaum systematisch mit
personalpolitischen Konzepten verknüpft, die vielfältigen Personalbewegungen in der
Organisation wurden eher ad hoc und entsprechend der situativen Bedarfe vorgenommen.
Die Beschäftigten konnten bisher nur sehr bedingt die neue Organisation mit einer
individuellen Entwicklungsperspektive verknüpfen.
Analog dazu erschwert das Fehlen von Beteiligungsangeboten im Umbauprozess den
Beschäftigten und vielen Führungskräften, sich die Reform in einer produktiven
Auseinandersetzung anzueignen. Sie fühlen sich vielfach „vor vollendete Tatsachen gestellt“.
Die IT-Infrastruktur der BA
Der „Virtuelle Arbeitsmarkt“ sollte die wesentliche zweite Säule der BA-Reform werden. Mit
diesem Projekt sollten interne und externe Prozesse der Vermittlung, der Beratung etc.
miteinander verknüpft werden und den Kunden auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite
vielfältige Möglichkeiten der Selbstbedienung eröffnet werden. Dieser Idee lag die
Vorstellung einer gleichsam automatisierten „Matchingmaschine“ zu Grunde, die die beiden
Seiten am Arbeitsmarkt zusammenbringt.
Dieses bedeutsame Reformmodul ist erst in einzelnen Teilen umgesetzt. Aufgrund von
Mängeln in der Projektsteuerung liegt das Gesamtprojekt mindestens 18 Monate hinter der
ursprünglichen Planung zurück und die Kosten haben sich mit derzeit prognostizierten 228
Millionen Euro um das fast Achtfache gesteigert.6 Der externe Part des VAM ist mit der
Jobbörse und dem neuen Internetauftritt realisiert, weist aber nach Einschätzung von
Experten unter dem Gesichtspunkt der Nutzerführung und der Bedienungsfreundlichkeit
große Mängel auf.
Die neue Informationstechnologie VerBIS zur Unterstützung der internen Prozesse soll die
zuvor getrennten Fachverfahren für Vermittlung, Berufsberatung und Leistungserbringung in
6 Diese Zahlen beruhen auf Daten und Prognosen der Projektgruppe VAM in der BA (Verlauf externe Kosten SGB III. Plan, Ist, Prognose 2003-2008, 04/2005). Die Problematik der Projektsteuerung und der Kostenentwicklung war bereits Gegenstand von Prüfungen des Bundesrechnungshofes (Bericht des Bundesrechnungshofes an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit vom 18.2.2005).
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einem einheitlichen System zusammenfassen. Dieses System soll noch in 2005 in einer
Agentur erprobt werden.
Der IT-Reformprozess orientiert sich immer noch zu wenig an den Anforderungen der neuen
Organisation sowie der sich verändernden Anwenderrealität innerhalb der BA. Zudem sind
die kognitiven, sozialen Anforderungen von Beschäftigten wie Kunden an die sie
unterstützende IT bei der Gestaltung des VAM durchgängig unterschätzt und stattdessen
reine IT- Leistungsdaten überschätzt worden. Eine stärkere Verbindung von Fach- und IT-
Kompetenz sowie ein Einbezug der Nutzerinnen und Nutzer hätte dieser Entwicklung
entgegenwirken können.
Gesamtwürdigung des Reformprozesses
Eine bilanzierende Betrachtung des hoch komplexen Umbauprozesses der BA kann zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nur vorläufigen Charakter haben. Es lassen sich dennoch einige
belastbare Aussagen treffen.
Die Binnenmodernisierung der BA ist auf gutem Wege. Die Geschäftsprozesse in der
Leistungsproduktion sind auf völlig neue Weise systematisch angelegt und auf die
Kernaufgaben fokussiert. Die Steuerung der Organisation durch das mehrstufige, neu
aufeinander bezogene Führungssystem ist auf hohe Effizienz angelegt, zeigt jedoch in zwei
Bereichen eine problematische Entwicklung: Der mit der geschäftspolitischen Zielsteuerung
verfolgte Ansatz einer auf Wirkungen und Ergebnisse ausgerichteten Zielsystematik wird mit
der zeitlich später einsetzenden Neugestaltung der Geschäftsprozesse in den Agenturen
durch enge Vorgaben auf der Ausführungsebene der Leistungsproduktion
(Handlungsprogramme in der Vermittlung) überlagert. Zugleich wird die in der Zielsteuerung
angelegte Stärkung dezentraler Produktionsverantwortung auf der Ebene der Agenturen
durch die den Regionaldirektionen zugewiesene Steuerungs- und Führungsrolle erheblich
eingeschränkt. Die sich abzeichnende Filialisierung der Agenturen entspricht hierbei nicht
den zunächst gehegten Erwartungen der Verlagerung von geschäftspolitischer
Verantwortung und Entscheidungskompetenz auf die lokale Ebene der Agenturen.
Die grundlegende Zielausrichtung der BA bleibt durch ihre nicht widerspruchsfreien
Funktionszuschreibungen bestimmt. In ihrer gegenwärtigen strategischen Ausrichtung
dominiert der wirtschaftliche Aspekt, der als „Versicherungslogik“ beschrieben wurde. Die
Dominanz dieser Zielperspektive geht eindeutig zu Lasten des sozialen Auftrags der BA, den
sie im wesentlichen rückdelegiert an die Politik. Sie überlagert aber auch den Charakter des
Dienstleistungsverhältnisses in der Kundenbeziehung und führt auf diese Weise zu einer
problematischen Ausgestaltung ihrer Dienstleisterrolle im Selbstverständnis und in der
Praxis.
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Aus diesem Grunde muss auch die Kundenorientierung als ambivalent bezeichnet werden.
Wo es um Serviceaspekte geht, bringt das neue Geschäftssystem deutliche
Verbessserungen gegenüber früher. Andererseits führen die der effizienten
Prozessgestaltung geschuldeten Elemente der Kundensteuerung zu einer Einschränkung
der Zugangs- und Kontaktmöglichkeiten der Kunden. Grundsätzlich wird die für personale
Dienstleister gebotene Zuwendung auf den Individualbedarf überlagert durch die aus der
Systemlogik der Organisation abgeleitete, segmentspezifische Festlegung von
Kundenbedarf und Leistungsbereitschaft.
Der Umbau der BA selbst wurde und wird in einem straff angelegten und systematisch
durchgeplanten Veränderungsprozess vollzogen. Die Möglichkeiten einer aktiven und
aktivierenden Aneignung des Neuen durch die Beschäftigten sind hierbei sehr beschränkt.
Die BA sollte sich im weiteren Verlauf ihrer Organisationsentwicklung wieder stärker auf die
in ihr selbst angelegten Ressourcen und Kompetenzen stützen.
Grundsätzlich scheinen bisher die in der Zielsteuerung, in der Balance von zentraler Leitung
und dezentraler Leistungsproduktion sowie in der durch effizientere Geschäftsprozesse für
kundennahe Dienstleistungserbringung angelegten Potentiale noch nicht ausgeschöpft.
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