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Lehren und Lernen online
Ilse Aichinger Das Fenster-Theater
Verschiedene Materialien und Arbeitsblätter
Gert Egle
Konstanz 2005/2014 – Version 3.1 – www.teachsam.de
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teachSam-OER: Ilse Aichinger, Das Fenster-Theater
Gert Egle/w Gert Egle/ww.teachsam.de – Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Wei-tergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz., CC-BY- SA - OER Logo © 2012 Jonathas Mello, used under a Creative Commons license BY-ND
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Inhaltsverzeichnis
TEXTERFASSUNG MIT INTERPRETATIONSHINWEISEN 3
ARBEITSANREGUNGEN FÜR DIE PRODUKTIVE TEXTARBEIT 5
FRAGEN UND ARBEITSANWEISUNGEN 6
INHALTLICHE GLIEDERUNG NACH SINNABSCHNITTEN 7
ERZÄHLTECHNISCHE MITTEL 8
SPRACHLICHE MITTEL 9
DIE TITEL-METAPHER 10
MOTIVGEGENSÄTZE 11
MOTIVGEGENSÄTZE 12
FIGURENKONSTELLATION 13
FIGURENCHARAKTERISIERUNG 18
TEXTPUZZLE 21
TEXTVARIANTEN 23
INHALTSANGABE 23
LITERATURVERFILMUNG 24
ARBEITSTECHNIK: ZITIEREN 27
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Texterfassung mit Interpretationshinweisen Ilse Aichinger, Das Fenster-Theater
Die Frau lehnte am Fenster und sah hin-
über. Der Wind [...] brachte nichts Neues.
Die Frau hatte den starren Blick neugie-
riger Leute, die unersättlich sind. Es
hatte ihr noch niemand den Gefallen ge-
tan, vor ihrem Haus niedergefahren zu
werden. Außerdem wohnte sie im vor-
letzten Stock, die Straße lag zu tief un-
ten. Der Lärm rauschte nur mehr leicht
herauf. Alles lag zu tief unten. [...] der
Alte gegenüber Licht angedreht hatte.
Da es noch ganz hell war, blieb dieses
Licht für sich und machte den merkwür-
digen Eindruck, [...] Die Frau blieb am
Fenster.
I. Vorstellung von Ort, Zeit und Per-
sonen (Exposition)
Grundmotiv: Theater (ein Fenster Bühne,
zwei Fenster Zuschauerraum)
- Frau (Rolle der Zuschauerin)
Wohnung im vorletzten Stock
verbringt Zeit am Fenster
Neugierde, sensationsgierig
- alter Mann im gegenüberliegenden
Häuserblock (Rolle des Schauspielers,
Narrs)
hat am helllichten Tag Licht angeknipst
erleuchtetes Fenster
Der Alte öffnete und nickte herüber.
Meint er mich? dachte die Frau. Die
Wohnung über ihr stand leer [...] Sie be-
wegte leicht den Kopf. Der Alte nickte
wieder. Er griff sich an die Stirne [...] und
verschwand im Inneren des Zimmers.
II. Missverständnis
Frau nimmt an, dass der Mann mit ihr
kommuniziert
Gleich darauf [...] in Hut und Mantel [...]
zog den Hut und lächelte. Dann [...]
weißes Tuch aus der Tasche und begann
zu winken. [...] Er hing über die Brüs-
tung, dass man Angst bekam, er würde
vornüberfallen. Die Frau trat einen
Schritt zurück, [...] Er [...] löste seinen
Schal [...] und ließ ihn aus dem Fenster
wehen. Dazu lächelte er. Und als sie
noch einen weiteren Schritt zurück-
trat, [...] wand den Schal wie einen
Turban um seinen Kopf. Dann kreuzte er
die Arme über der Brust und verneigte
sich. [...] kniff er das linke Auge zu, als
herrsche zwischen ihnen ein gehei-
mes Einverständnis. Das bereitete ihr
so lange Vergnügen, bis sie plötzlich
[...] seine Beine in dünnen, geflickten
Samthosen in die Luft ragen sah. Er
stand auf dem Kopf. Als sein Gesicht
[...] wieder auftauchte, hatte sie schon
die Polizei verständigt.
III. Beginn der "Theatervorstellung"
Rückkehr des Mannes in "Verkleidung"
(Hut, Mantel)
Mann winkt mit weißem Tuch
distanziertes "man"
zweimalige zaghafte räumliche Distanzie-
rung der Frau vom Geschehen
Gesten des Mannes (lächeln, winken, ver-
neigen, Auge zukneifen) werden von der
Frau als quasi "intime" bzw. Vertrautheit
(Einverständnis) aussagende Gesten ge-
deutet
Frau genießt die Theatervorführung, bis
der Mann auf dem Kopf steht und seine
Beine und die geflickten Hosen einen er-
bärmlichen Eindruck bei ihr hinterlassen
Frau verständigt Polizei
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Und während er, in ein Leintuch gehüllt,
abwechselnd an beiden Fenstern erschien,
unterschied sie [...] das Hupen des
Überfallautos. [...] Der alte Mann lachte
jetzt,[...] schien das Lachen eine Sekunde
lang in der hohlen Hand zu halten und
warf es dann hinüber.
Erst [...] gelang es der Frau, sich von sei-
nem Anblick loszureißen.
IV. Die Theatervorstellung geht weiter
Aufmerksamkeit der Frau ist zweigeteilt:
hört das Näherkommen des Über-
fallautos
blickt gebannt auf die weitere
"Theatervorstellung"
Sie kam atemlos unten an. Eine Men-
schenmenge hatte sich um den Polizei-
wagen gesammelt. [...] die Tür aufbra-
chen. Sie arbeiteten schnell [...]. Es war
inzwischen finster geworden. [...] Die
Frau schlich hinter ihnen her.
V. Auf der Straße
Frau in der sensationsheischenden Men-
schenmenge rückt mit der Polizei bis zur
Wohnung des Mannes vor.
beobachtet das Vorgehen der Polizei
Als die Tür aufflog, [...] alte Mann mit
dem Rücken zu ihnen gewandt noch
immer am Fenster. [...] großes weißes
Kissen auf dem Kopf, [...] Den Teppich,
[...] trug er um die Schultern. Da er
schwerhörig war, wandte er sich auch
nicht um, [...] und die Frau über ihn hin-
weg in ihr eigenes finsteres Fenster
sah.
VI. In der Wohnung des alten Mannes
(neue Blickrichtung!)
Mann spielt immer noch Theater
Blick auf das finstere Fenster der Frau
Die Werkstatt unterhalb war, [...] ge-
schlossen. Aber in die Wohnung ober-
halb musste eine neue Partei eingezogen
sein. An eines der erleuchteten Zimmer
war ein Gitterbett geschoben, in dem
aufrecht ein kleiner Knabe stand. Auch
er trug sein Kissen auf dem Kopf und die
Bettdecke um die Schultern. Er sprang
und winkte herüber und krähte vor Jubel.
Er lachte, [...] Dann warf er es mit aller
Kraft den Wachleuten ins Gesicht.
VII. Blick auf das Fenster unterhalb
der Wohnung der Frau
Fenster-Theater des kleinen Jungen im
Gitterbett
macht die Handlungen des alten Mannes
nach
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Arbeitsanregungen für die produktive Textarbeit
Ilse Aichingers Kurzgeschichte "Das Fenster-Theater" eignet sich sehr gut für die produk-
tive Textarbeit.
1. Textproduktive Gestaltungen: Wiederherstellen und Transformieren
1.1. Verfassen Sie einen Zeitungsbericht, der das Geschehen aus Sicht eines zugrunde
liegenden Polizeiberichts wiedergibt.
1.2. Verfassen Sie einen Zeitungsbericht im Leadstil.
1.3. Verfassen Sie ein Drehbuch für die Verfilmung der Kurzgeschichte.
1.4. Textpuzzle ohne Titel und Schluss
1.5. Verfassen Sie einen inneren Monolog, in dem Sie die Gedanken niederschreiben,
die die alte Frau während des Geschehens hat. (Einbauen von Denkblasen in den
Text)
1.6. Charakterisieren Sie eine der beiden Figuren (alter Mann oder Frau), indem Sie
sie in Ich-Form vorstellen.
2. Visuelle Gestaltungen
2.1. Gestalten Sie eine Bildcollage zum Thema der Geschichte.
2.2. Zeichnen Sie ein Bild zur Illustration des Textes. Überlegen Sie, welche Szene Sie
dafür auswählen wollen.
3. Szenische Gestaltungen
3.1. Stellen Sie in einem kurzen Rollenspiel dar, wie Frau und Polizisten auf der Stra-
ße zusammentreffen.
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Fragen und Arbeitsanweisungen
Die folgende Zusammenstellung von Fragen und Arbeitanweisungen zu Ilse Aichinger
»Das Fenster-Theater« könnte als Hilfe zur Texterfassung, Analyse der Erzählstrukturen
und Textinterpretation eingesetzt werden. (vgl. Ansätze zur produktiven Textarbeit)
1) Texterfassung
a) Teilen Sie die Geschichte in Sinnabschnitte/Erzählschritte ein.
b) Orientieren Sie sich zunächst an der vom Text vorgegebenen typographischen Ge-
stalt, indem Sie den Inhalt der von der Autorin gemachten Absätze wiedergeben.
c) Welche Begründungen gibt es für die von der Verfasserin vorgenommene Absatz-
gestaltung?
d) Nehmen Sie eine eigenständige Gliederung des Textes nach Sinnabschnitten vor.
e) In welchem Raum, an welchen Orten spielt sich das Geschehen ab?
f) Geben Sie den Text in Form einer Inhaltsangabe wieder.
2) Erzählstrukturen
a) Aus welcher Perspektive wird die Handlung erzählt?
b) Welche verschiedenen Darbietungsformen des Erzählens können Sie feststellen?
3) Interpretationsansätze
a) Untersuchen Sie das Verhalten der Frau:
Wie verhält sie sich?
Welche Motive für ihr Verhalten lassen sich dem Text entnehmen?
b) Untersuchen Sie das Verhalten des Mannes:
Wie verhält er sich?
Inwiefern zeigt die Autorin mit der Figur des Mannes eine realisierbare Hand-
lungsalternative zu dem Alltagsverhalten und der Alltagslage der Frau auf?
c) Inwiefern wird die Destruktion eines Vorurteils unmittelbare Leseerfahrung?
d) Halten Sie die dargestellte Problematik für zeitgemäß?
e) Worauf kann man Ihrer Ansicht nach die Aussage der Geschichte übertragen?
f) Zeigt die Verfasserin im Verhalten ihrer Figuren Handlungsalternativen auf, um
aus der Isolation herauszukommen?
g) Sammeln Sie sprachliche Beobachtungen unter folgenden Gesichtspunkten:
h) Welche sprachlichen Merkmale zeigt der Text im Hinblick auf Satzbau und Wort-
wahl?
i) Inwiefern spiegeln sich die Aussagen des Textes in Satzbau und Wortwahl wieder?
j) Welche rhetorischen Mittel werden zur Gestaltung der Aussage des Textes einge-
setzt?
k) Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Titel der Geschichte?
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Inhaltliche Gliederung nach Sinnabschnitten
Der Text »Das Fenster-Theater« von Ilse Aichinger ist durch sieben Absätze geglie-
dert.
Diese sieben Absätze können bei der inhaltlichen Gliederung des Textes nach Sinn-
abschnitten auf vier Sinnabschnitte reduziert werden.
Inhaltliche Gliederung des Textes
1 Die Beobachtung des alten Mannes und die Fehldeutung seines Verhal-tens durch die Frau am Fenster hoch über der Straße
2 Das Fenster-Theater des alten Mannes und seine Wirkungen auf die Frau
3 Die Polizeiaktion und die sensati-onslüsterne Menschenmenge
4 Das Kind als nachahmender Zuschauer
Kriterium der Einteilung in diese Sinnabschnitte sind die Handlungen der Figuren.
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Erzähltechnische Mittel
Die wichtigsten erzähltechnischen Mittel, die Ilse Aichinger in ihrer Kurzgeschichte »Das
Fenster-Theater« verwendet, lassen sich in Form der nachfolgenden Übersicht darstellen.
Darbietungsformen:
Im Allgemeinen reiner Erzählerbericht, im ersten Absatz telling und showing, da-
nach meist showing, Ausnahme Gedanke der Frau: "Meint er mich? dachte die
Frau." (mglw. Signal für die nachfolgende personale Erzählperspektive)
Erlebte Rede: "Sobald man die Leute zu verscheuchen suchte,..."; "Aber in die
Wohnung oberhalb musste eine neue Partei eingezogen sein"
Innerer Monolog: "Meint er mich?"
Zeitgestaltung:
lineares Erzählen (Es wird allmählich dunkel) ohne Vorausdeutungen und Rückwen-
dungen
z. T. zeitdeckendes, zeitraffendes (Sprungraffung, z.B. "Sie kam ... unten an", zeit-
dehnendes Erzählen (z.B. in den beiden letzten Absätzen)
Raumgestaltung:
Handlungsraum: vorletzte Etage, in dem die alte Frau lebt, dient zur Motivierung
ihrer Sensationslust ("Alles lag zu tief unten.")
Kontrastraum: Wohnung im vorletzten Stock (vom pulsierenden Leben entfernt) -
Straße unten (das pulsierende Leben); Helligkeit in den Fenstern des alten Mannes
und des kleinen Jungen (Lebenszugewandtheit, Öffnung des Privaten) und Dunkel-
heit im Fenster der Frau (Lebensabgewandtheit, Abriegelung des Privaten) (inso-
fern auch Tendenz zum Symbolraum)
Figurengestaltung:
Die Frau ist eine statisch angelegte Figur, die keine Veränderung durchmacht (offe-
ner Schluss); als Figur wirkt sie geschlossen, weil ihre Charakterzüge, wenn auch
nur andeutungsweise motiviert erscheinen (Ihre Sensationslust hat einen Grund:
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Isolation) fügt sich unzufrieden zwar, aber passiv in ihr Schicksal der sozialen Isola-
tion
Alter Mann wendet sich bewusst dem Leben zu, kommuniziert, spielt.
Erzählperspektive:
überwiegend personale Erzählperspektive, Blickwinkel der Frau
einzelne auktoriale Textpassagen ("Die Frau hatte den starren Blick neugieriger
Leute, die unersättlich sind.")
Textsorte:
Kurzgeschichte, da wichtige Textsortenmerkmale vorhanden wie:
kurzer, eigentlich belanglos erscheinender Ausschnitt aus dem Alltagsleben
unvermittelter Anfang
offener Schluss
Sprachliche Mittel
Ilse Aichinger setzt in ihrer Kurzgeschichte »Das Fenster-Theater« verschiedene sprach-
liche, stilistische und rhetorische Mittel ein, um die Aussage ihrer Geschichte zu gestal-
ten.
Wortwahl
Alltagssprache ohne Fremdwörter oder fachsprachliche Ausdrücke
Kaum Vergleiche:
"Licht [...] machte den merkwürdigen Eindruck, den aufflammende Straßen-
laternen unter der Sonne machen"
"wand den Schal wie einen Turban um seinen Kopf"
Titelmetapher: Fenster-Theater
ansonsten wenige bildhafte Ausrücke:
"schien das Lachen eine Sekunde lang in der hohlen Hand zu halten" - Wie-
derholung des Bildes am Ende der Geschichte
Motivgegensätze:
hell – dunkel
Licht - Dunkelheit
Satzbau
o meist einfache, kurze Sätze (Parataxe)
o nur einmal Häufung von Attributen (starr neugierig, unersättlich)
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Die Titel-Metapher
Der Titel der Kurzgeschichte "Das Fenster-Theater" von Ilse Aichinger stellt eine Meta-
pher dar.
Merkmale des Theaters:
Szenische Anordnung des Geschehens gleicht einer Guckkasten-Bühne mit ver-
schiedenen Rängen/Logen für die Zuschauer: Fenster des alten Mannes als Bühne,
Fenster der alten Frau und des Kindes als Zuschauerränge
Spiel des Mannes mit Elementen des Theaters: Verkleidung (Hut, Mantel, Schal,
Turban, Leintuch), Clownereien und artistische Einlagen (Mann hängt über die Brüs-
tung, steht auf dem Kopf), Kommunikation mit einem Publikum (zuwinken, vernei-
gen), Pantomime.
Einfache, kleine Gesten
Bild des Theaters als Modell der Welt mit grotesken Zügen
Frau:
kann die Zeichensprache des Mannes nicht verstehen
Beobachtungen lösen bei ihr Angst aus
"Unnormales" bricht in ihre streng gefügtes Wirklichkeitskonzept ein
scheitert mit ihrer vermeintlich klaren Wirklichkeitskonstruktion im Moment des
Perspektivenwechsels (beim Blick durch das Fenster des Mannes auf Kind und eige-
nes Fenster), der ihr eine andere Wahrnehmungsperspektive ermöglicht
Alter Mann:
seine Beziehung zur Wirklichkeit realisiert sich über das Spiel
Kontaktaufnahme ist in der Welt der Erwachsenen mit ihrer gelebten Beziehungslo-
sigkeit nicht mehr möglich
Die Polizei:
in einer beziehungslos gewordenen Welt wird der Polizeieinsatz völlig überdimensi-
oniert vollzogen ("Motivierung" ihres Vorgehens: die nicht sehr klaren Erklärungen"
und die aufgeregte Stimme der Frau bei ihrem Anruf)
Gegensatz zwischen harmlosem Spiel des alten Mannes und der Polizeiaktion
Die metaphorische Weitergabe des Lachens als zentrales Bild
zweimal im Text verwendet (alter Mann, kleiner Junge)
vom Jungen "mit aller Kraft den Wachleuten ins Gesicht" geworfen
Das Theater, das Spiel, das Lachen als zentrales Element des Theaters befreit
von den Zwängen einer grotesk daherkommenden Wirklichkeit.
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Motivgegensätze
Ilse Aichinger verwendet in ihrer Kurzgeschichte »Das Fenster-Theater« verschiedene
Motivgegensätze zur Gestaltung der Aussage.
Motiv des Lichts
hell dunkel
Zimmer des alten Mannes und des kleinen
Jungen Zimmer der Frau
Lebensfreude, Kontaktbereitschaft und -
fähigkeit; menschliche Nähe Kontaktunfähigkeit; Alleinsein, Ausge-
schlossensein
Motiv der Nähe /Ferne
Wohnung im vorletzten Stock Straße "tief unten"
Lebensferne Schnittpunkt und Zentrum des Lebens
Motiv des Spiels
alter Mann Frau
pantomimisches Gebärden- und Verklei-
dungsspiel Spielverweigerung
anthropologische Bedeutung: Leben als
Spiel Selbstkontrolle bis zum Lustverzicht
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Motivgegensätze
Motiv des Lichts
hell dunkel
Zimmer des alten Mannes und des kleinen Jungen
Zimmer der Frau
Lebensfreude, Kontaktbereit-schaft und -fähigkeit; mensch-liche Nähe
Kontaktunfähigkeit; Alleinsein, Ausgeschlossensein
Motiv der Nähe /Ferne
Wohnung im vorletzten Stock Straße "tief unten"
Lebensferne Schnittpunkt und Zentrum des Lebens
Motiv des Spiels
alter Mann Frau
pantomimisches Gebärden- und Verkleidungsspiel
Spielverweigerung
anthropologische Bedeutung: Leben als Spiel
Selbstkontrolle bis zum Lust-verzicht
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Figurenkonstellation
Personenkonstellation
Frau
Kind
LeerstehendeWerkstatt
Alter Mann
Menge
Polizei
Spiel - Kommunikation
beobachtet
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14
Figurencharakterisierung
Alter Mann Frau
Kind
unbewohnte Werkstatt
Polizei Menge
schwerhörig
dennoch zu
Kommunikation
bereit
Gesten der
Kontaktauf-
nahme
(lächeln, winken
...)
wirkt freundlich,
dem Leben
zugewandt
phantasievolle
Aktivitäten
Symbol des Lichts
isoliert
sensations-
hungrig
ich-bezogene
Kontaktlosigkeit
wirkt reserviert,
unsicher, dem
Leben
abgewandt
Mangel an
Phantasie,
Denken in
Stereotypen
Symbol der Dunkelheit
Perspektive 1
Perspektive 2
Wechsel der Beobachtungsperspektive verändert Wahrnehmungsperspektive
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Figurencharakterisierung
Alter Mann Frau
Kind
unbewohnte Werkstatt
Polizei Menge
Perspektive 1
Perspektive 2
Charakter-eigenschaften
Charakter-eigenschaften
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Figurencharakterisierung
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Figurencharakterisierung
Alter Mann Frau
Kind
unbewohnte Werkstatt
Polizei Menge
schwerhörig
dennoch zu
Kommunikation
bereit
Gesten der
Kontaktauf-
nahme
(lächeln, winken
...)
wirkt freundlich,
dem Leben
zugewandt
phantasievolle
Aktivitäten
Symbol des Lichts
isoliert
sensations-
hungrig
ich-bezogene
Kontaktlosigkeit
wirkt reserviert,
unsicher, dem
Leben
abgewandt
Mangel an
Phantasie,
Denken in
Stereotypen
Symbol der Dunkelheit
Perspektive 1
Perspektive 2
Wechsel der Beobachtungsperspektive verändert Wahrnehmungsperspektive
Alter Mann Frau
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18
Figurencharakterisierung
Die Figurencharakterisierung in Ilse Aichingers Kurzgeschichte »Das Fenster-Theater«
erfolgt im Text mit wenigen Ausnahmen, bei denen der Erzähler direkt charakterisiert
(z.B. "hatte den starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind") in Form der indi-
rekten Charakterisierung durch das erzählte Verhalten der Figuren.
In einer tabellarischen Gegenüberstellung lassen sich die beiden Hauptfiguren wie folgt
darstellen:
Alter Mann Frau
schwerhörig
dennoch bereit zur Kommunikation
Gesten der Kontaktauf-nahme (lächeln, win-ken...)
wirkt freundlich
dem Leben zugewandt
phantasievolle Aktivität
isoliert
sensationshungrig
Ich-bezogene Kontaktlo-sigkeit und -unfähigkeit (geht in der Menge un-ter!)
wirkt reserviert und ver-schlossen
unsicher
dem Leben abgewandt
Mangel an Phantasie
Denken in Stereotypen
Symbol des Lichts Symbol der Dunkelheit
teachSam-OER: Ilse Aichinger, …
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19
....
Ilse Aichinger
Sie kam atemlos unten an. Eine Menschenmenge hatte sich um den Poli-
zeiwagen gesammelt. Die Polizisten waren abgesprungen, und die Men-
ge kam hinter ihnen und der Frau her. Sobald man die Leute zu ver-
scheuchen suchte, erklärten sie einstimmig, in diesem Hause zu woh-
nen. Einige davon kamen bis zum letzten Stock mit. Von den Stufen be-5
obachteten sie, wie die Männer, nachdem ihr Klopfen vergeblich blieb
und die Glocke allem Anschein nach nicht funktionierte, die Tür aufbra-
chen. Sie arbeiteten schnell und mit einer Sicherheit, von der jeder Ein-
brecher lernen konnte. Auch in dem Vorraum, dessen Fenster auf den
Hof sahen, zögerten sie nicht eine Sekunde. Zwei von ihnen zogen die 10
Stiefel aus und schlichen um die Ecke. Es war inzwischen finster gewor-
den. Sie stießen an einen Kleiderständer, gewahrten den Lichtschein am
Ende des schmalen Ganges und gingen ihm nach. Die Frau schlich hinter
ihnen her.
Und während er, in ein Leintuch gehüllt, abwechselnd an beiden Fens-15
tern erschien, unterschied sie schon drei Gassen weiter über dem Ge-
klingel der Straßenbahnen und dem gedämpften Lärm der Stadt das Hu-
pen des Überfallautos. Denn ihre Erklärung hatte nicht sehr klar und ihre
Stimme erregt geklungen. Der alte Mann lachte jetzt, so dass sich sein
Gesicht in tiefe Falten legte, streifte dann mit einer vagen Gebärde dar-20
über, wurde ernst, schien das Lachen eine Sekunde lang in der hohlen
Hand zu halten und warf es dann hinüber. Erst als der Wagen schon um
die Ecke bog, gelang es der Frau, sich von seinem Anblick loszureißen.
Die Frau lehnte am Fenster und sah hinüber. Der Wind trieb in leichten
Stößen vom Fluss herauf und brachte nichts Neues. Die Frau hatte den 25
starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind. Es hatte ihr noch
niemand den Gefallen getan, vor ihrem Haus niedergefahren zu werden.
Außerdem wohnte sie im vorletzten Stock, die Straße lag zu tief unten.
Der Lärm rauschte nur mehr leicht herauf. Alles lag zu tief unten. Als sie
sich eben vom Fenster abwenden wollte, bemerkte sie, dass der Alte 30
gegenüber Licht angedreht hatte. Da es noch ganz hell war, blieb dieses
Licht für sich und machte den merkwürdigen Eindruck, den aufflammen-
de Straßenlaternen unter der Sonne machen. Als hätte einer an seinen
Fenstern die Kerzen angesteckt, noch ehe die Prozession die Kirche ver-
lassen hat. Die Frau blieb am Fenster. 35
Der Alte öffnete und nickte herüber. Meint er mich? dachte die Frau. Die
Wohnung über ihr stand leer und unterhalb lag eine Werkstatt, die um
diese Zeit schon geschlossen war. Sie bewegte leicht den Kopf. Der Alte
nickte wieder. Er griff sich an die Stirne, entdeckte, dass er keinen Hut
aufhatte, und verschwand im Inneren des Zimmers. 40
teachSam-OER: Ilse Aichinger, …
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20
Als die Tür aufflog, stand der alte Mann mit dem Rücken zu ihnen ge-
wandt noch immer am Fenster. Er hielt ein großes weißes Kissen auf
dem Kopf, das er immer wieder abnahm, als bedeutete er jemandem,
dass er schlafen wolle. Den Teppich, den er vom Boden genommen hat-
te, trug er um die Schultern. Da er schwerhörig war, wandte er sich 45
auch nicht um, als die Männer auch schon knapp hinter ihm standen und
die Frau über ihn hinweg in ihr eigenes finsteres Fenster sah.
Gleich darauf kam er in Hut und Mantel wieder. Er zog den Hut und lä-
chelte. Dann nahm er ein weißes Tuch aus der Tasche und begann zu
winken. Erst leicht und dann immer eifriger. Es hing über die Brüstung, 50
dass man Angst bekam, er würde vornüberfallen. Die Frau trat einen
Schritt zurück, aber das schien ihn zu bestärken. Er ließ das Tuch fallen,
löste seinen Schal vom Hals - einen großen bunten Schal - und ließ ihn
aus dem Fenster wehen. Dazu lächelte er. Und als sie noch einen weite-
ren Schritt zurücktrat, warf er den Hut mit einer heftigen Bewegung ab 55
und wand den Schal wie einen Turban um seinen Kopf. Dann kreuzte er
die Arme über der Brust und verneigte sich. Sooft er aufsah, kniff er das
linke Auge zu, als herrsche zwischen ihnen ein geheimes Einverständnis.
Das bereitete ihr so lange Vergnügen, bis sie plötzlich nur mehr seine
Beine in dünnen, geflickten Samthosen in die Luft ragen sah. Er stand 60
auf dem Kopf. Als sein Gesicht gerötet, erhitzt und freundlich wieder
auftauchte, hatte sie schon die Polizei verständigt.
...
(aus: Aichinger, Ilse: Der Gefesselte. Erzählungen, Frankfurt/M.: S. Fi-
scher Verlag 1963, S.61ff.)
Arbeitsanregungen zur produktiven Textarbeit:
Der Text ist durcheinander geraten. Außerdem ist der Schluss und der Titel weggelassen
worden.
1) Stellen Sie die Reihenfolge wieder her.
2) Schreiben Sie danach einen Schluss für die Geschichte.
3) Im Anschluss daran geben Sie der Geschichte einen passenden Titel.
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Textpuzzle Lösung
....
Ilse Aichinger
Sie kam atemlos unten an. Eine Menschenmenge hatte sich um den Poli-
zeiwagen gesammelt. Die Polizisten waren abgesprungen, und die Men-
ge kam hinter ihnen und der Frau her. Sobald man die Leute zu ver-
scheuchen suchte, erklärten sie einstimmig, in diesem Hause zu woh-
nen. Einige davon kamen bis zum letzten Stock mit. Von den Stufen be-
obachteten sie, wie die Männer, nachdem ihr Klopfen vergeblich blieb
und die Glocke allem Anschein nach nicht funktionierte, die Tür aufbra-
chen. Sie arbeiteten schnell und mit einer Sicherheit, von der jeder Ein-
brecher lernen konnte. Auch in dem Vorraum, dessen Fenster auf den
Hof sahen, zögerten sie nicht eine Sekunde. Zwei von ihnen zogen die
Stiefel aus und schlichen um die Ecke. Es war inzwischen finster gewor-
den. Sie stießen an einen Kleiderständer, gewahrten den Lichtschein am
Ende des schmalen Ganges und gingen ihm nach. Die Frau schlich hinter
ihnen her.
Und während er, in ein Leintuch gehüllt, abwechselnd an beiden Fens-
tern erschien, unterschied sie schon drei Gassen weiter über dem Ge-
klingel der Straßenbahnen und dem gedämpften Lärm der Stadt das Hu-
pen des Überfallautos. Denn ihre Erklärung hatte nicht sehr klar und ihre
Stimme erregt geklungen. Der alte Mann lachte jetzt, so dass sich sein
Gesicht in tiefe Falten legte, streifte dann mit einer vagen Gebärde dar-
über, wurde ernst, schien das Lachen eine Sekunde lang in der hohlen
Hand zu halten und warf es dann hinüber. Erst als der Wagen schon um
die Ecke bog, gelang es der Frau, sich von seinem Anblick loszureißen.
Die Frau lehnte am Fenster und sah hinüber. Der Wind trieb in leichten
Stößen vom Fluss herauf und brachte nichts Neues. Die Frau hatte den
starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind. Es hatte ihr noch
niemand den Gefallen getan, vor ihrem Haus niedergefahren zu werden.
Außerdem wohnte sie im vorletzten Stock, die Straße lag zu tief unten.
Der Lärm rauschte nur mehr leicht herauf. Alles lag zu tief unten. Als sie
sich eben vom Fenster abwenden wollte, bemerkte sie, dass der Alte
gegenüber Licht angedreht hatte. Da es noch ganz hell war, blieb dieses
Licht für sich und machte den merkwürdigen Eindruck, den aufflammen-
de Straßenlaternen unter der Sonne machen. Als hätte einer an seinen
Fenstern die Kerzen angesteckt, noch ehe die Prozession die Kirche ver-
lassen hat. Die Frau blieb am Fenster.
Der Alte öffnete und nickte herüber. Meint er mich? dachte die Frau. Die
Wohnung über ihr stand leer und unterhalb lag eine Werkstatt, die um
diese Zeit schon geschlossen war. Sie bewegte leicht den Kopf. Der Alte
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nickte wieder. Er griff sich an die Stirne, entdeckte, dass er keinen Hut
aufhatte, und verschwand im Inneren des Zimmers.
Als die Tür aufflog, stand der alte Mann mit dem Rücken zu ihnen ge-
wandt noch immer am Fenster. Er hielt ein großes weißes Kissen auf
dem Kopf, das er immer wieder abnahm, als bedeutete er jemandem,
dass er schlafen wolle. Den Teppich, den er vom Boden genommen hat-
te, trug er um die Schultern. Da er schwerhörig war, wandte er sich
auch nicht um, als die Männer auch schon knapp hinter ihm standen und
die Frau über ihn hinweg in ihr eigenes finsteres Fenster sah.
Gleich darauf kam er in Hut und Mantel wieder. Er zog den Hut und lä-
chelte. Dann nahm er ein weißes Tuch aus der Tasche und begann zu
winken. Erst leicht und dann immer eifriger. Es hing über die Brüstung,
dass man Angst bekam, er würde vornüberfallen. Die Frau trat einen
Schritt zurück, aber das schien ihn zu bestärken. Er ließ das Tuch fallen,
löste seinen Schal vom Hals - einen großen bunten Schal - und ließ ihn
aus dem Fenster wehen. Dazu lächelte er. Und als sie noch einen weite-
ren Schritt zurücktrat, warf er den Hut mit einer heftigen Bewegung ab
und wand den Schal wie einen Turban um seinen Kopf. Dann kreuzte er
die Arme über der Brust und verneigte sich. Sooft er aufsah, kniff er das
linke Auge zu, als herrsche zwischen ihnen ein geheimes Einverständnis.
Das bereitete ihr so lange Vergnügen, bis sie plötzlich nur mehr seine
Beine in dünnen, geflickten Samthosen in die Luft ragen sah. Er stand
auf dem Kopf. Als sein Gesicht gerötet, erhitzt und freundlich wieder
auftauchte, hatte sie schon die Polizei verständigt.
...
(aus: Aichinger, Ilse: Der Gefesselte. Erzählungen, Frankfurt/M.: S. Fi-
scher Verlag 1963, S.61ff.)
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Textvarianten Produktive Textarbeit – Schülerarbeiten
Als Ergebnis der produktiven Textarbeit mit dem Lückentext haben Schülerinnen und
Schüler zu der Kurzgeschichte "Das Fenster-Theater" von Ilse Aichinger folgende Varian-
ten für den Titel der Geschichte und den Schluss verfasst.
1. DER MANN HINTER DER MASKE
Als sie die Türe erreicht hatten, sahen sie durch die kleine Öffnung der Tür den alten
Mann, der sich noch weiter herausgelehnt hatte. Man konnte auch die Menge auf der
Straße unten hören, die vor Angst immer aufheulte, wenn der Anschein bestand, er kön-
ne aus dem Fenster fallen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und die beiden Polizisten
stürmten herein und nahmen den Mann in Gewahrsam.
Später stellte sich heraus, dass der alte Mann, der immer so nett und freundlich war,
schon seit 3 Jahren tot war und dass an seine Stelle nun ein Verrückter getreten war. Er
bekam eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mord.
2. DER TOD KAM DURCH DAS FENSTER
Plötzlich hörte der alte Mann Geräusche und nahm Anlauf, um zu springen. Er wandte
sich zu den Polizisten und sprach: "Ich werde springen, ihr könnt mich nicht aufhalten!"
Die Frau erwiderte mit leisester Stimme: "Warum wollen Sie springen, wir können doch
in Ruhe reden und alles klären." Er schaute nach unten und sagte: "Ich springe!" Plötz-
lich sah man, wie er sich schmiss und wie er mit seinem Kopf auf die Erde prallte. Die
Frau schrie: "Nein, nein!" - Doch der Schrei war zu spät.
3. ALLEIN AM FENSTER
Am Ende des schmalen Ganges lag ein ebenso schmales und lieblich eingerichtetes
Wohnzimmer. Der Alte saß auf dem Boden und starrte durch das offene Fenster zum ge-
genüberliegenden Haus. Die Beamten gingen langsam auf ihn zu und sprachen ihn an.
Erschreckt drehte er sich um, sah die zwei Beamten und die Frau von nebenan und be-
gann ihnen entgegenzugehen und freundlich zu lachen. Er bot ihr und den Herren der
Polizei einen Sitzplatz an und etwas Gebäck dazu. Verwirrt lehnten alle drei ab. Jetzt be-
gann der Alte lebhaft zu erzählen: dass er schon seit drei Jahren keinen Besuch mehr
gehabt hat, dass seine Frau gestorben war und vieles mehr. Die Frau nutzte eine kleine
Redepause und fragte: "Wieso wollten Sie aus dem Fenster springen?" Darauf antwortet
er: "Das wollte ich nicht, ich wollte Sie fröhlich machen. Sie sahen so traurig aus."
Arbeitsanregungen:
1. Untersuchen Sie, an welchen Elementen des vorgegebenen Erzähltextes die Fortset-
zungen ansetzen.
2. Überlegen Sie, ob und inwieweit die drei Fortsetzungen mit dem Sinn der Geschichte
in Einklang gebracht werden können.
3. Begründen Sie Ihre Kritik an einem Punkt schriftlich, indem Sie auf widersprechende
Textstellen der Erzählung verweisen.
Beachten Sie dabei die nötigen Zitierregeln
Inhaltsangabe
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Ilse Aichingers Kurzgeschichte "Das Fenster-Theater" könnte in Form der nachfolgenden,
kurz gehaltenen Inhaltsangabe, wiedergegeben werden:
In der Kurzgeschichte "Das Fenster-Theater" von Ilse Aichinger, erschienen in
"Der Gefesselte. Erzählungen, Frankfurt a. M. 1963, S. 61 ff., geht es um ver-
schiedene Wirklichkeitswahrnehmungen, die im sozialen Leben der Gesellschaft
die Handlungsweisen der Menschen bestimmen. Erzählt wird, wie eine Frau im 5
Fenster des gegenüberliegenden Hauses die in ihren eigenen Augen seltsamen
Gebärden eines alten Mannes beobachtet. Sie verständigt die Polizei und muss bei
deren Eindringen in die Wohnung des schwerhörigen Mannes feststellen, dass der
Mann nur ein harmloses Spiel für einen kleinen Jungen am Fenster, der über ihr
liegenden Wohnung aufführt. 10
Eine Frau, die allein in der vorletzten Etage eines höheren Hauses wohnt, beo-
bachtet neugierig von ihrem Fenster aus die Geschehnisse auf der Straße. Dabei
fällt ihr ein Mann auf, der ihr gegenüber wohnt. Dieser nickt ihr von seinem Fens-
ter scheinbar zu und scheint Späße zu machen. Sein ausgelassenes Verhalten, das
ihr zunächst durchaus gefällt, irritiert die Frau jedoch mehr und mehr. Daher ver-15
anlasst sie schließlich, dass die Polizei erscheint, um nach dem Rechten zu sehen.
Als die Polizei erscheint, folgt sie den Polizisten, die offenbar von einem Verbre-
chen ausgehen, zur Wohnung des Mannes. Als die Tür von der Polizei aufgebro-
chen wird, werden die gewaltsam eindringenden Personen von dem Mann nicht
wahrgenommen, da er schwerhörig ist. Aber durch das Fenster ist zu erkennen, 20
dass die Späße des alten Mannes an einen kleinen Jungen gerichtet sind, der mit
seiner Familie, ohne dass die Frau davon Kenntnis genommen hat, in der Woh-
nung einen Stock über der Wohnung der alten Frau wohnt. (250 Wörter)
Arbeitsanregungen:
Untersuchen Sie Inhalt und Aufbau der Inhaltsangabe.
Welche Angaben enthält der Aussagekern zu Autor, Erscheinungsort und -datum,
Textsorte und Titel?
Was steht im Aussagekern über den Inhalt?
Was erfährt man im Aussagekern über das Thema der Geschichte?
Wodurch unterscheidet sich der Aussagekern von der Inhaltsangabe im engeren
Sinne des zweiten Textabschnitts?
Welche Merkmale der sprachlichen Form können Sie feststelle
Literaturverfilmung Johannes Fluhr
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Die mit dem Friedrich-Wilhelm-Murnau-Filmpreis im Jahr 1994
ausgezeichnete Verfilmung der Kurzgeschichte "Das Fenster-
Theater" von Ilse Aichinger ist ein Kurzspielfilm (Dauer: 3:30
min) des Regisseurs, Drehbuchautors und Produzenten Johan-
nes Fluhr. (ausleihbar bei den verschiedenen Medienzentren) 5
Inhalt:
Nach dem Titelvorspann zeigt die Kamera einen Wohnzimmer-
schrank mit zwei eingebauten Regalen. Während die Kamera
langsam von rechts nach links fährt, sind auf den Regalen zahl-
reiche Fotografien unterschiedlicher Größe sowie verschiedene 10
Dekorationsstücke zu sehen. Gleichzeitig ist das Pfeifen eines
Vogels, sowie, überlaut, das Ticken einer Uhr zu hören. Eine Art
Klatschen kommt dazu und kurz darauf bekommt man von links
zwei Hände zu sehen. Diese halten eine kleine Tischuhr, um sie
im nächsten Moment auf ein kleines Beistelltischchen vor dem 15
Wohnzimmerschrank zu stellen. Danach erscheint eine etwa
sechzig Jahre alte Frau, die zum geöffneten Fenster hinübergeht
und einen prüfenden Blick nach oben wirft. In dem Augenblick,
in dem sie sich abwenden will, erregt offenbar irgend etwas ihre Aufmerksamkeit, so
dass sie innehält und geradeaus hinausschaut. Im Fensterglas spiegelt sich die ganze 20 Zeit über die Fassade des gegenüberliegenden Wohnblocks. Danach erfolgt ein Schnitt.
Zu sehen ist nun (ganz offensichtlich weiterhin aus der Perspektive des Wohnzimmer-
fensters der Frau) der gegenüberliegende Wohnblock mit vier Stockwerken. An einem der Fenster werden die Vorhänge beiseite geschoben und das Fenster geöffnet.
Schnitt: Zu sehen ist die Frau. Sie schließt das Fenster, tritt ein wenig zurück, bleibt 25
aber so stehen, dass sie weiterhin das andere Fenster im Blickfeld hat. An diesem Fens-
ter erscheint nun ein ebenfalls älterer Mann, der ihr freundlich zulächelt. Zunächst
scheint der Frau dies zu gefallen. Jedenfalls lächelt sie zaghaft, streicht sich mit der lin-ken Hand übers Haar, als wollte sie es "zurechtrücken".
Schnitt: Der Mann trägt nun über seinem Hemd einen hellen Morgenmantel sowie einen 30
locker über die Schultern geschwungenen Schal und einen Hut. Wie wenn er sie grüßen
wollte, nimmt er seinen Hut ab und setzt ihn wieder auf. Dann zieht er aus der Mantelta-
sche ein weißes Tuch und schwenkt damit auf und ab.
Schnitt: Auch diese Form des Grußes scheint der Frau durchaus nicht unangenehm zu
sein. Plötzlich aber geht sie etwas näher an das Fenster heran und ihr Blick wird mehr 35
und mehr misstrauisch, weil das Verhalten des Mannes offenbar merkwürdig wird. Der
hat nämlich inzwischen das weiße Tuch abgelegt und schwingt stattdessen seinen Schal
durch die Luft. Doch sein Verhalten wird noch seltsamer. Nach einem kurzen Zwischen-
schnitt auf die nun recht unsicher blickende Frau sieht man, wie der Mann seinen Schal
wie einen Turban auf den Kopf bindet und sich danach mit verschränkten Armen ver-40
beugt. Damit nicht genug. Zwischenschnitt auf die Frau: Man sieht lediglich noch die
Beine des Mannes in die Höhe gestreckt. Nur ein paar wenige Sekunden, dann kippen sie
langsam nach hinten weg. Danach ist zu sehen, wie die Frau einen Telefonhörer auflegt.
Gleich darauf zeigt die Kamera - nach einem kurzen Blick auf das weiterhin leere Fenster
des Mannes - von oben, wie ein Polizeistreifenwagen auf den Innenhof fährt. 45
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Schnitt: Die Frau und zwei Polizisten stehen vor einer Wohnungstür (an der das Schild
"Kehrwoche" hängt). Sie klingeln, doch niemand öffnet. Da schließt einer der beiden Be-amten die Tür mit einem Schlüssel auf (woher er diesen hat, bleibt unbekannt).
Schnitt: Die Kamera zeigt die Rückenansicht des Man-
nes mit Blick zum Fenster hinaus. Hinter dem Rücken 50
trägt er ein Tuch und so schwingt er mit dem Oberkörper
hin und her. Jetzt erst ist zu sehen, dass auf der gegen-
überliegenden Seite ein Junge am Fenster steht, der
dasselbe macht, nur mit einem Kissen auf dem Rücken.
Und erst jetzt wird klar, dass die Frau das Verhalten des 55
Mannes irrtümlicherweise auf sich ausgerichtet verstand,
während es tatsächlich dem Kind in ihrer Nachbarschaft
galt. Hier folgt nun der Abspann. Nachdem dieser vo-rüber ist, zeigt das Schlussbild nochmals das lachende Kind.
(aus dem Beiheft zum Video, verfasst von Klaus Schuker, leicht verändert und gekürzt) 60
Gestaltung:
Der Kurzspielfilm kommt ohne Worte aus und konzentriert die Aufmerksamkeit des Zu-
schauers ganz auf das mimisch-gestische Verhalten der Protagonisten und die Handlung.
Die Wohnblocksiedlung, in der die Geschichte spielt, wirkt trotz ihrer grauen Fassade
nicht gänzlich trostlos. Dies liegt vor allem an der Sonne, die das Ganze in ein mildes 65
Licht taucht.
Der Zuschauer übernimmt von Anfang an die Perspektive der Frau. Diese lebt ganz of-
fensichtlich in einer Welt der Erinnerungen, die durch die mit Fotografien übersäten Re-
gale des Wohnzimmerschranks symbolisiert wird. Am Ende des langsamen Kamera-
schwenks steht die Uhr, die von der Frau gehalten wird, und als Symbol für die Lebens-70
uhr, die Lebenszeit, verstanden werden kann. Während der Mann als Kommunikations-
partner mit dem Kind handelt und damit aktiv ist, verharrt die Frau in ihrer Vergangen-heit und wird nur in dem Augenblick aktiv, als die die Polizei verständigt.
Besonders auffällig bei dieser Literaturverfilmung ist der Verzicht auf die in der Kurzge-
schichte von Ilse Aichinger erwähnten anderen Personen (Passanten, Hausbewohner und 75
sonstige Schaulustige). Damit fokussiert der Film die Thematik der Geschichte eindeutig
auf das Problem gesellschaftlicher Isolation und Einsamkeit, während die allgemein vor-handene Sensationsgier keine Rolle mehr zu spielen scheint.
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Arbeitstechnik: Zitieren
Beim Zitieren muss man die folgenden Regeln beachten:
1. Anfang und Ende eines Zitates gehören in Anführungszeichen.
2. Zitate müssen selbst bei orthographischen Besonderheiten oder merkwürdiger In-
terpunktion originalgetreu übernommen werden.
3. Wenn man einen zusammenhängenden Text nicht vollständig zitiert, müssen die
Auslassungen mit rechteckigen Klammern und drei Auslassungspunkten […]
gekennzeichnet werden. Bei Aufsätzen in der Schule können Auslassungen aber
auch nur durch drei Auslassungspunkte ... ohne oder mit runden Klammern (...)
kenntlich gemacht werden.
4. Falls bestimmte Teile des Zitates hervorgehoben werden sollen, muss dies als
Veränderung des Zitates ausgewiesen werden. Dies geschieht z.B. durch folgende
Formen: [Hervorhebung durch den Verfasser]. Wenn einmal zum besseren
Verständnis einer Textstelle Erläuterungen eingefügt werden müssen. werden sie
wie folgt kenntlich gemacht. Beispiel: "Sie (die Nachbarin, d. Verf.) war schon
Witwe."
5. Längere Textpassagen können auch in Form indirekter Rede (Konjunktiv) zitiert /
referiert werden. (vgl. S.…)
6. Auch sinngemäßes Zitieren muss kenntlich und damit überprüfbar gemacht wer-
den. Dies geschieht durch die Anfügung eines in runden Klammern gesetzten
Quellennachweises , z.B. (vgl. S.…)
7. Beim Zitieren von Verszeilen kann man diese entweder originalgetreu wiederge-
ben oder den Zeilenwechsel durch Virgel "/" kennzeichnen.
Zeichensetzung beim Zitieren
1. Zitate mit hinweisendem Begleitsatz
Wenn vor, innerhalb oder hinter dem Zitat ein hinweisender Begleitsatz steht, wird ein
Zitat wie bei der wörtlichen Rede gekennzeichnet. Dies gilt besonders, wenn ganze Sätze
zitiert werden.
Beispiel: Das Verhalten des Mannes wird von der Frau gründlich missdeutet. So erscheint
ihr das Augenzwinkern, das der Mann dem Kind schenkt, als ein Zeichen für "ein gehei-
mes Selbstverständnis" zwischen ihr und dem Mann.(Z 23)
2. Eingebaute Zitate
Häufig wirkt es eleganter, wenn Zitate in den jeweils eigenen Satzbau eingefügt werden.
Dabei entfällt dann der Doppelpunkt.
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Wenn man nur den Satzanfang zitiert, wird je nach Wort groß- oder kleinge-
schrieben.
Wird dagegen ein ganzer Satz als Zitat eingefügt wird, bleibt auch die Groß-
schreibung zu Beginn erhalten.
Beispiele:
1. Mit ihrem "starren Blick neugieriger Leute"(Z 2) weist sich die alte Frau bis in ih-
ren Gesichtsausdruck hinein als sensationsgierig aus.
2. Die Handlungen des Mannes beim Eindringen der Polizei in seine Privatsphäre "Er
lachte, strich mit der Hand über das Gesicht, wurde ernst und schien das Lachen
eine Sekunde in der hohlen Hand zu halten." (Z 56f.) zeigen, wie sehr er sein
Spiel genießt und auf welche fröhliche Art sich seine Überraschung über die Ein-
dringlinge entlädt.
Wenn man einzelne Wörter in die eigenen Formulierungen und den eigenen Satzbau
einfügen will, muss häufig die Endung der zitierten Wörter verändert werden. Solche Än-
derungen können vorgenommen werden. Allerdings müssen diese Veränderungen durch
runde Klammern kenntlich gemacht werden.
Beispiel aus dem Drama Maria Stuart von Friedrich Schiller:
Maria scheut sich gegenüber Paulet nicht "de(n) Gram, das lange Kerkerelend"
anzusprechen.
Wenn nur bestimmte Teile eines zitierten Satzes wiedergegeben werden sollen, macht
man die Auslassungen mit eckigen Klammern und drei darin enthaltenen Auslassungs-
punkten kenntlich.
Beispiel:
Maria zeigt sich sehr besorgt um das eigene Leben, als sie erklärt: "Meine Tage
sind / Gezählt [...] und ich achte mich / Gleich einer Sterbenden."
Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede
Wenn der Redebegleitsatz vor der wörtlichen Rede steht:
Redebegleitsatz: "Aussagesatz." R: "A."
Redebegleitsatz: "Fragesatz?" R: "F?"
Redebegleitsatz: " Befehlssatz!" R: "B!"
Wenn der Redebegleitsatz hinter der wörtlichen Rede steht:
"Aussagesatz", Redebegleitsatz. "A", R.
"Fragesatz?", Redebegleitsatz. "F?", R.
"Befehlssatz!", Redebegleitsatz. "B!", R.
Wenn der Redebegleitsatz die wörtlichen Rede unterbricht:
"Aussagesatz", Redebegleitsatz, "Aussagesatz." "A", R, "A."
"Fragesatz", Redebegleitsatz, "Fragesatz?" "F," R, "F?" "Befehlssatz", Redebegleitsatz, " Befehlssatz!" "B", R, "B!"
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