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Post on 24-Jun-2022
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Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Mein zweiter Rundbrief
Über Jingle Bells bei 25 Grad und glückbringende Unterwäsche
Wow! Unglaublich, wenn man realisiert, dass man jetzt schon exakt vier Monate in Peru ist. Ein
Drittel meines Freiwilligendienstes liegt nun schon hinter mir. Und noch unglaublicher ist es für mich,
wenn ich realisiere, dass es gerade Mitte Dezember ist und ich geradewegs auf Weihnachten
zusteuere. Letzteres ist wahrscheinlich deshalb unglaublich für mich, weil ich bisher, eine Woche vor
Heilig Abend, noch überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung bin. Die Gründe dafür und viele weitere
Eindrücke und Einblicke in meine, um bei dem Wort zu bleiben, letzten unglaublich intensiven und
ereignisreichen Monate in Peru, findet ihr auf den folgenden Seiten. Viel Spaß beim Lesen!
Bevor es nun aber wirklich losgeht, möchte ich wie in meinem letzten und in den zukünftigen
Rundbriefen darauf verweisen, dass das Geschriebene ausschließlich auf meinen persönlichen
Eindrücken und Erlebnissen beruht und nicht auf ganz Peru, schon gar nicht auf ganz Südamerika
bezogen werden kann.
Mein neuer Arbeitsalltag
Seit meinem letzten Rundbrief hat sich in meinem Arbeitsalltag so einiges verändert. Deshalb ist es,
glaube ich, sinnvoll meine jetzigen Tätigkeiten nochmal zu beschreiben. Bis zu meinem ersten
Rundbrief habe ich sehr viel im Cáritas-Büro mitgeholfen. Genaueres dazu ist, wie beschrieben, in
meinem ersten Rundbrief zu lesen, der auch auf der Homepage der FIF (Fachstelle für Internationale
Freiwilligendienste) zu finden ist. Mittlerweile bin ich laut Plan eigentlich nur noch für meine
Mittagspause im Büro. Jetzt stehen allerdings erst mal von Ende Dezember bis März die
Sommerferien an (Ja, Sommerferien!!), in denen ich wahrscheinlich auch wieder öfters im Büro
helfen werde, da ich über die Ferien logischerweise nicht an den Schulen mitarbeiten kann. Das sehe
ich allerdings als Vorteil, denn da Cáritas Arequipa eine sehr große Einsatzstelle ist, gibt es das ganze
Jahr über was zu tun und ich bin nicht gezwungen in den schulischen Sommerferien meinen Urlaub
zu verbrauchen, sondern kann ihn mir so legen, wie ich das möchte. Nun aber etwas zu meinem
Alltag während der Schulzeit.
Vormittage an den Schulen:
In meinem letzten Rundbrief habe ich schon darüber berichtet, dass ich zunächst alle Schulen für
Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung von Cáritas gesehen habe und mich dann für die
Schulen entscheiden durfte, an denen ich gerne mitarbeiten möchte. Mittlerweile bin ich an drei
verschiedenen Schulen. An allen drei Schulen fühle ich mich richtig wohl und bei allen habe ich
unterschiedliche Aufgaben und Dinge, bei denen ich die Lehrer unterstütze. Die Lehrerinnen sind
übrigens richtig nett, haben mich gut aufgenommen und unterstützen mich jeder Zeit bei der
Mitarbeit in den Schulen. Generell gefällt mir die Atmosphäre an den Schulen sehr und die Art wie
die Lehrerinnen mit den Kindern umgehen. Wie viel Geduld sie tagtäglich für jedes einzelne Kind
aufbringen, finde ich bemerkenswert. Gleichzeitig ist das in diesem Beruf wahrscheinlich auch
unerlässlich. Zum Beispiel gibt es ein Mädchen in einer Schule, das sehr große Probleme hat, sich
Dinge aus dem Kurzzeitgedächtnis zu merken. Das bedeutet also, dass sie alle zehn Sekunden fragt
ob man denn morgen auch kommt oder was man heute noch so macht. Dies kann auf Dauer doch
schon ziemlich anstrengend sein. Nichtsdestotrotz bewahren die Lehrerinnen, soweit ich es
mitbekommen habe, immer die Ruhe und Geduld und behandeln jedes Kind mit dem nötigen
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Respekt. Außerdem finde ich es auch toll, dass in allen Schulen zusammen Mittag gegessen wird.
Dabei wird auch jeden Tag was anderes gekocht und darauf geachtet, dass es vielfältig und
reichhaltig ist. Ich weiß nämlich von einem Jungen, dessen Vater und Mutter vor 2-3 Jahren beide
verstorben sind und er so alleine ist, wenn er nach Hause kommt, da seine Geschwister arbeiten
müssen. Eine Lehrerin sagte, dass sie ihm deshalb immer eine Extraportion serviert. Meine Aufgaben
bestehen in allen Schulen darin, die Lehrerinnen in den Klassen zu unterstützen und auch mal mit
einzelnen Schülern zu arbeiten. In den Klassen ist es nämlich weniger Unterricht im traditionellen
Sinn, sondern eher so, dass jedes Kind an etwas anderem arbeitet oder spielt. Die Fähigkeiten,
teilweise das Alter und auch die jeweiligen Beeinträchtigungen der einzelnen Schüler sind nämlich
sehr unterschiedlich. So ist es keine Seltenheit, dass in einem Raum mit 10 Schülern, jedes Kind an
etwas anderem arbeitet.
Maria de los Remedios, Socabaya:
Der C.E.B.E. Maria de los Remedios befindet sich in Socabaya, im Süden Arequipas. Da ich ganz im
Norden wohne fahre ich auch immer über eine Stunde (was von den drei Schulen aber noch am
nächsten/kürzesten ist). Montags und dienstags arbeite ich an dieser Schule mit. Von den acht
Schulen für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung, die es von Cáritas in Arequipa gibt, habe
ich diese Schule als erstes gesehen und hatte mich eigentlich direkt für sie entschieden. Die Schule ist
mit Gärten und bunt dekorierten und bemalten Wänden sehr liebevoll und hübsch angelegt und
stellt somit einen krassen Kontrast zu der Gegend außerhalb des Schulgeländes, mit seinen staubigen
und sandigen Straßen, dar. Es gibt auch zum Beispiel Hühner und Meerschweinchen, für die jede
Woche eine andere Klasse zuständig ist und sie versorgen muss. Auch wenn es meistens so ist, dass
die Lehrerin die überwiegende Arbeit macht und die Kinder bestenfalls ihr das Wasser für die Hühner
bringen, finde ich es ziemlich gut, dass es so etwas gibt, da die Kinder so in den Kontakt mit den
Tieren kommen und ich doch auch denke, dass sie so (zumindest einige) lernen Verantwortung zu
übernehmen. Meine Aufgaben bestehen, wie in den anderen Schulen, zum einen darin, die
Lehrerinnen in den Klassen zu unterstützen, aber auch öfters darin, Dekorationen oder Lernspiele zu
basteln. Es gibt nämlich einen Katalog mit Lernmöglichkeiten und Spiele für die Kinder, die man
bestellen kann und wenn die Lehrerinnen etwas entdecken, was ihnen gefällt, fragen sie öfters mich,
ob ich das denn auch basteln könne. Dabei habe ich in mir übrigens überraschenderweise ein bis
dahin verborgenes Talent zum Basteln entdeckt.
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
San Martin de Porres, Miraflores:
Mittwochs und donnerstags unterstütze ich die Lehrerinnen in dem C.E.B.E
in Miraflores. Das Besondere an dieser Schule ist, dass es eine Bäckerei
gibt. Die älteste Gruppe (15-17 Jahre) backt hier regelmäßig mit einer
Lehrerin verschiedene Backwaren und verkauft sie dann nach Schulschluss.
Und auch ich darf immer wieder in der Bäckerei helfen, was mir großen
Spaß macht. Gleichzeitig liefert es auch für die Jugendlichen erste
Erfahrungen, wie es im Berufsalltag ablaufen kann und bietet ihnen mit den
Kenntnissen, die sie in der Bäckerei erlernt haben, vielleicht einen
leichteren Einstieg in das Berufsleben. Deshalb finde ich es toll, dass es die
Bäckerei an der Schule gibt und bin immer wieder gerne dort.
Nuestra señora del Perpetuo Socorro, Miguel Grau (Paucarpata):
Da ich an der Schule in Miguel Grau nur an einem Tag der Woche bin (freitags), ist es für mich
teilweise etwas schwerer Fuß zu fassen und die Kinder kennenzulernen - zumal in den letzten
Wochen oft irgendwelche Feiern anstanden oder ich aus verschiedenen Gründen nicht kommen
konnte. So gab es bisher nur 3-4 reguläre Schultage, bei denen ich den Alltag mitbekam.
Nichtsdestotrotz kenne ich einige Kinder, auch aus den Tagen in Mollendo (siehe Abschnitt „Climática
Mollendo“), mittlerweile relativ gut und verstehe mich auch mit den Lehrerinnen super.
Tag der Inklusion am C.E.B.E in Miguel Grau
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Mitarbeit im Inklusionsprojekt:
Seit einigen Wochen bin ich jetzt auch in dem Inklusionsprojekt von Cáritas eingebunden. Es gibt ca.
170 Kinder in ganz Arequipa, die in diesem Projekt sind. Alle haben verschiedene Beeinträchtigen, die
meisten Autismus oder Down Syndrom. Sie gehen aber, anders als die Kinder bei denen ich morgens
bin, nicht in die C.E.B.E's von Cáritas, sondern auf Regularschulen, mit anderen Kindern, ohne
Beeinträchtigung. Zwei der Kinder (Anyelo und Fabrizio) leben ziemlich nahe an meinem Haus.
Deshalb besuche ich die beiden jetzt an zwei Nachmittagen die Woche (jeweils einen Tag bei einem
Kind) in ihrem Haus und verbringe etwas Zeit mit ihnen und der Familie. Zum Beispiel machen wir
zusammen Orangensaft oder spielen etwas. Wir machen auch Übungen zusammen, die die Kinder
selbstständig machen sollen oder ich versuche Dinge umzusetzen, die meine Ansprechperson im
Projekt (Ángel) mir erklärt, um ihre Kommunikation zu verbessern oder sie zu sozialisieren. Denn
diese Dinge (Selbstständigkeit, Kommunikation und Sozialisierung) sind oftmals die größten
Probleme, bei Kindern mit Autismus. Allerdings ist es so, dass ich ganz und gar kein Experte in diesem
Thema bin und es deshalb für mich auch nicht immer einfach ist, mit den Kindern umzugehen und
Übungen durchzuführen. Jedoch habe ich das Gefühl, dass die Familien sich ziemlich viel von den
Besuchen versprechen, eine Mutter fragt zum Beispiel immer, wie ich heute meine „Therapie"
umsetze oder wie ich heute mit dem Kind „arbeite"; bei meinem ersten Besuch ist sie sogar aus
Dankbarkeit in Tränen ausgebrochen. Für mich sind meine Besuche keineswegs eine „Therapie" oder
„Arbeit“ mit dem Kind, da ich dafür überhaupt nicht die Ausbildung und das Know-how habe.
Deshalb habe ich etwas die Befürchtung, dass Erwartung und Realität am Ende des Jahres ziemlich
weit auseinander klaffen könnten. Jedoch kann ich bei Fragen und Problemen immer auf Ángel
zukommen und ich habe es auch schon öfters in der Familie angesprochen, dass ich eben kein
Experte bin. Es ist aber auch so, dass bei Cáritas einfach auch die Leute fehlen, um die 170 Kinder
wöchentlich zu besuchen. Deshalb denke ich schon, dass die Besuche nicht ganz umsonst sind, da
ansonsten vielleicht nur alle zwei Monate jemand zu ihnen kommen würde. Gerade weil ich in den
Familien auch eine Kontaktperson sein soll zwischen den Familien und Cáritas. Und tatsächlich
unterhalte ich mich immer viel mit den Müttern, gerade die ersten Male, und sie erzählen mir von
den Problemen, die ich dann an meinen Ansprechpartner weitergeben kann. Wahrscheinlich bin ich
bei den Besuchen also eher eine Ansprechperson oder „Zuhörer" für die Familien und weniger eine
Hilfe für die Kinder selbst. Das ist, finde ich, aber auch in Ordnung. Insgesamt bin ich aber auch sehr
gerne nachmittags in den Familien. Das Projekt veranstaltet auch noch einige Aktionen für die
Familien der Kinder, wie zum Beispiel Vorträge über verschiedene Themen. Es gibt auch eine Gruppe,
der Geschwister der Kinder mit Beeinträchtigung, da es oft so ist, dass sich diese benachteiligt fühlen,
da meistens der ganze Fokus der Erziehung auf dem Kind mit Beeinträchtigung liegt. Für sie gibt es
zum Beispiel Sporttage, Weihnachtsfeiern oder andere Aktionen. Viele von ihnen sind mittlerweile
auch Freiwillige bei Cáritas.
Sporttag der Geschwister Weihnachtsfeier der Freiwilligen im Projekt
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Mitarbeit bei Seniorengruppen:
In Zukunft werde ich auch, gerade in den Ferien, stärker bei Seniorennachmittagen mitarbeiten.
Cáritas unterstützt dort verschiedene Seniorengruppen in Arequipa bei der Organisation und bei der
Ausrichtung von Aktionen o.ä. Bisher war ich da erst 2-3 Mal dabei, deshalb kann ich noch nicht allzu
viel zu diesem Projekt sagen. Da aber jetzt gerade Ferien sind, werde ich in den nächsten Wochen bis
März da stärker involviert sein. Vielleicht schreibe ich in meinem nächsten Rundbrief nochmal etwas
darüber.
Spendenkampagnen in Dörfern außerhalb Arequipas:
Hin und wieder veranstaltet Cáritas Spendenkampagnen in Dörfern außerhalb Arequipas. Bei einer
sogenannten „Kältekampagne“ war ich jetzt schon einmal dabei. Hierfür sind wir in ein Andendorf,
ca. 3 Stunden entfernt von Arequipa, gefahren. Dort wurden Kleider, Lebensmittel, Hygieneartikel
etc. verteilt, die Cáritas von den Firmen erhalten hat. Außerdem waren da auch zwei Zahnärztinnen
dabei, die die Kinder zahnärztlich kontrolliert haben. Etwas aufgestoßen sind mir jedoch die vielen
Fotos, die gemacht wurden, vielleicht aber auch nur weil ich für das Fotomachen zuständig war.
Dabei sollten zum Beispiel die Kinder, um deren Produkte zu repräsentieren, Schilder hochheben auf
denen zum Beispiel „GRACIAS Gloria“ (Gloria: Bekannte Milchmarke in Peru) stand. Und die Kinder
wussten schon, wann sie in die Kamera lachen sollten. Gleichzeitig habe ich mich auch gefragt, ob
Milchprodukte, wie im Beispiel, nachhaltige Spendenprodukte sind oder ob es nicht besser wäre
Sachen zu spenden, von denen die Leute längerfristig etwas hätten. Klar, es waren auch Dinge wie
Decken, Tupperdosen etc. dabei, was ich viel nützlicher finde. Und vielleicht ist es auch naiv zu
glauben, dass eine Organisation, die auf Spenden angewiesen ist, keine Bilder für die
Öffentlichkeitsarbeit macht. Es ist nur so, dass mir das bei der Kampagne aufgefallen ist und ich dies
als etwas gestellt und aufgesetzt empfand. Aber gerade die ärztliche Versorgung betrachte ich schon
als sinnvolle Arbeit, denn es ist nun mal so, dass Peru ein sehr großes und gleichzeitig sehr auf die
Städte (Lima: ca. 13 Millionen Einwohner) zentralisiertes Land ist und so die Menschen auf dem Land
Schwierigkeiten haben, Zugang zu ärztlicher Versorgung zu finden. Die nächste Möglichkeit ist oft
Stunden entfernt und ohne Auto nur schwer zu erreichen.
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Was noch so passiert ist…
Zwischenseminar Seminar in Arequipa
Ende Oktober trafen sich die Hälfte der Voluntarios (die, aus dem Süden) für eine Woche hier in
Arequipa für ein Seminar. Auf dem Seminar ging es hauptsächlich darum, sich über die vergangenen
Monate auszutauschen und die erste Zeit des Freiwilligendienstes Revue passieren zu lassen. Ich
finde es immer wieder gut und hilfreich sich in den Einheiten mit anderen Freiwilligen, die in einer
ähnlichen Situation sind, über Gastfamilie, Einsatzstelle und sonstiges auszutauschen. Und generell
tat es auch mal wieder gut alle wiederzusehen, über eine längere Zeit deutsch zu reden und nicht bei
jedem Satz nachdenken zu müssen, wie man sich ausdrückt. Auch wenn mir hin und wieder auf dem
Seminar, aus Versehen, auch mal ein knappes „Si“ von den Lippen kam. Unter anderem haben wir
uns auf dem Seminar auch mit interessanten Inhalten wie der Terrorzeit in Peru in den 80er Jahren
(darüber werde ich vielleicht in den folgenden Rundbriefen nochmal schreiben) oder mit dem Thema
Privilegien und Perspektivwechsel beschäftigt. Natürlich hatten wir auch die Chance Arequipa ein
wenig kennenzulernen. Dabei musste ich zu meinem Bedauern feststellen, dass ich selbst (obwohl ich
hier wohne) viele Dinge und Ecken im Zentrum Arequipas noch nicht kannte. Es ist eben doch so,
dass man sich hauptsächlich in der Einsatzstelle und dann in der Parroquia (Pfarrgemeinde) und dem
Distrikt, in dem man wohnt, aufhält. Mittlerweile hat sich das aber denke ich gewandelt und ich
kenne mich jetzt schon viel besser aus. Ich komme in letzter Zeit durch die verschiedenen Tätigkeiten
in der Einsatzstelle und verschiedene Freizeitaktivitäten viel mehr rum. Arequipa ist einfach eine
richtig schöne Stadt, deshalb genieße ich es auch immer wieder im Zentrum ein „Queso helado“
(„Käseeis“; Spezialität in Arequipa, wird aber ohne Käse, sondern mit Milch und Kokos gemacht) zu
essen oder durch die kleinen malerischen Gassen der Altstadt zu schlendern. An meiner Gastfamilie
fällt mir aber auch auf, dass sie sich nur ziemlich selten im Zentrum aufhält. Fast alle
Freizeitaktivitäten hängen mit der Parroquia zusammen, nur zur Studienvorbereitung sind meine
Gastgeschwister öfters im Zentrum. Meine Gastschwester sagt zum Beispiel auch immer, ich würde
Arequipa schon besser kennen als sie.
Als ich nach dem Seminar wieder in meinem Alltag angekommen war, habe ich auch das erste Mal
gemerkt, dass mein Spanisch eigentlich schon ganz solide ist. Im Alltag kam ich meistens damit schon
echt gut durch. Natürlich gab es (und gibt es auch immer noch) einige Dinge, die ich nicht verstand
und gerade wenn ich neue Leute kennenlerne ist es nicht immer ganz einfach, weil ich mich zunächst
auf ihre Art zu reden, einstellen muss. Aber jede geführte Unterhaltung ist irgendwie ein
Erfolgserlebnis und von denen gibt es von Woche zu Woche mehr.
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Weihnachten
Dass ich dieses Jahr nicht wirklich in Weihnachtsstimmung kommen würde, war mir schon in der
Adventszeit bald klar. Das lag sicherlich daran, dass ich Weihnachten dieses Jahr ohne meine Familie
und Freunde verbringen musste, aber andererseits mag darauf auch das Wetter einen starken
Einfluss genommen haben. Es fühlt sich einfach surreal an, schwitzend bei 25 Grad
Weihnachtsgeschenke einkaufen zu gehen und im Hintergrund den Refrain von „Jingle Bells“
erklingen zu hören. Auch wenn um mich herum alle schon ganz aufgeregt Krippen aufstellten und
Lichterkette aufhängten, fühlte ich mich eher wie an einem warmen Septembertag in Deutschland,
an dem man zum ersten Mal Lebkuchen im Supermarkt entdeckt. Es war einfach nicht das richtige
Klima für Weihnachten, zumindest für mich nicht. Als dann aber endlich der 24.12. anstand, sind wir
abends um 21:00 Uhr in die Kirche gegangen, die bis um ca. halbzwölf dauerte. Normalerweise, so
habe ich mir sagen lassen, wird dann erst um 0:00 Uhr zu Abend gegessen. Zu meinem Glück habe ich
aber eine zweijährige Gastschwester, weshalb wir dann schon vor der Kirche gegessen haben. Nach
der Kirche hat mich alles schon ziemlich an Silvester erinnert. Wir haben uns mit der Familie
zusammengesetzt und jeder hat erzählt wie sein Jahr verlief. Schön fand ich, dass alle, einschließlich
ich, dann erzählten wie sie die neue Situation mit mir als „neuen Teil der Familie“ empfinden. Um
kurz vor 0:00 Uhr sind wir dann aufs Dach gegangen und haben den Countdown runtergezählt,
worauf ein großes Feuerwerk über Arequipa folgte. Und ja, ihr seid nicht im Abschnitt verrutscht, das
war wirklich Weihnachten! Anschließend haben wir uns noch zusammengesetzt und gemeinsam
deutsche Weihnachtsplätzle (die ich von zuhause zugeschickt bekommen habe) und peruanischen
Paneton gegessen. Das ist hier übrigens das verbreitetste Weihnachtsgebäck. Paneton ist ein Zopf
mit Rosinen und kandierten Früchten. Eigentlich ist er das ganze Jahr erhältlich, aber so richtig oft
gibt es ihn nur in der Weihnachtszeit. Vorher kannte ich das auch gar nicht.
Insgesamt kann ich auf jeden Fall sagen, dass dieses Jahr ein sehr spezielles Weihnachten war, das
mir sicher noch lange im Gedächtnis bleiben wird – gerade weil es so anders war. Ich kann auch
behaupten, dass es ein schöner Abend war, auch wenn das für mich nicht viel mit dem Weihnachten
zu tun hatte, das ich kenne und schätze. Ruhig und besinnlich eben.
Weihnachtsgrippe in meiner Gastfamilie
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Silvester in Huancayo
Silvester habe ich dieses Jahr in Huancayo gefeiert. Das ist eine Stadt ca. 6-8 Stunden östlich von Lima
in den Anden. Dort haben wir uns mit einem Teil der Voluntarios und peruanischen Freiwilligen, die
ebenfalls in der Partnerschaft aktiv sind, getroffen und ein Haus für fünf Tage gemietet. Es waren, für
mich, fünf richtig schöne Tage, vor allem auch weil man alle wiedersehen konnte. Auch das kältere
Wetter (gerade nachts) in Huancayo half, im Gegensatz zu Heilig Abend mit, in Silvesterstimmung zu
kommen, wenn das schon bei Weihnachten nicht der Fall war. Es gibt für Silvester unzählige
Traditionen und Rituale, die für das kommende Jahr Glück, Liebe, Geld und sonstiges bringen sollen.
Die peruanischen Freiwilligen zeigten uns einiges und brachten uns die verschiedenen Traditionen
näher. Um 0:00 Uhr isst man zum Beispiel zwölf Trauben und darf sich für jede etwas für das
kommende Jahr wünschen. Nach Mitternacht wurden wir mit gelben Blumen gesegnet, um die
negativen Energien aus dem Körper zu verbannen. Generell war alles gelb geschmückt, was Glück
bringen soll. Und auch eine Piñata haben wir anschließend zerschlagen. Der für mich merkwürdigste
Brauch war aber sicherlich, dass man sich gelbe (Glück), rote (Liebe) oder grüne (Geld) Unterwäsche
schenkte, die man natürlich direkt anziehen musste, um im nächsten Jahr die Farbe in die jeweilige
Bedeutung umwandeln zu können. Am Tag nach Neujahr haben wir noch eine Wandertour in die
Berge nach Huaytapallana auf ca. 5000 Meter gemacht. Insgesamt also ein paar richtig gelungene
Tage in Huancayo.
Silvesterparty
Ausflug nach Huaytapallana
Ein Tag ohne Reis…
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Climática in Mollendo
Jedes Jahr macht Cáritas Arequipa einen Ausflug an den Strand nach Mollendo (Küstenstadt, zwei
Stunden westlich von Arequipa). Dabei sind Schüler aus allen acht Schulen von Cáritas Arequipa,
Studenten des CETPRO’s (Institut von Cáritas, wo die Jugendlichen nach dem C.E.B.E eine Ausbildung
abschließen können) Lehrerinnen, Freiwillige und Kinder der Lehrerinnen. Der Ausflug dieses Jahr
ging von Montag bis Freitag (06.-10.01.20), also vier Tage. In den letzten Jahren war Cáritas immer
für sieben Tage und mit 100 statt 70 Personen dort, allerdings ist vor kurzem einer der drei
Sponsoren, die die Climática finanziert haben, abgesprungen. Deshalb fand das alles dieses Jahr
etwas verkürzt statt. Unklar ist deshalb auch, ob es das in der Form nächstes Jahr überhaupt nochmal
geben wird. Während der vier Tage waren wir in einer Alberque in Mollendo, wo auch eine andere
Freiwillige der Erzdiözese arbeitet. Ihre Rundbriefe sind auch auf der Homepage zu finden. Jeden Tag
sind wir zum Strand gegangen und haben verschiedene Aktivitäten (Sport, Zeichnen,…) gemacht. Am
letzten Abend gab es noch eine Abschlussfiesta mit Tanz, Musik und einem Gruß an die deutschen
Sponsoren, die die Climática finanziert haben. Die Lehrerinnen sagen, dass der Kontakt mit Wasser
und speziell Meerwasser sehr hilfreich für die Sensibilisierung und Reizaufnahme der Kinder ist und
sie nach der Woche in der Schule „ruhiger“ wären. Ob das stimmt, werde ich noch herausfinden
müssen. Das war auf jeden Fall eine sehr schöne und gelungene Woche und für mich auch hilfreich,
um einmal mehr Zeit mit den Schülern zu verbringen und sie besser kennenzulernen.
Täglicher Strandbesuch und gemeinsamer Malabend
Gemeinsame Abschlussfeier
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Privilegien, Privilegien und noch mehr Privilegien
Ein Thema, mit dem ich, im Vergleich zu meinem Leben in Deutschland, hier ständig konfrontiert
werde, sind Privilegien. In Deutschland habe ich mir über das Thema so gut wie keine Gedanken
gemacht und bin erst durch die Seminare zur Vorbereitung auf den Freiwilligendienst darauf
aufmerksam geworden und auch hier in den letzten Monaten immer wieder darauf gestoßen. Auch
wenn ich mich in Deutschland als nicht besonders reich bezeichnet hätte, ist mir auf den Seminaren
und der Zeit in meinem Freiwilligendienst bewusste geworden, dass ich global gesehen sehr reich
bin. Und das nicht nur materiell sondern auch reich an Privilegien. Privilegien sind Dinge, die
angeboren sind – ein von Geburt aus gegebener Vorsprung gegenüber anderen, für den man nichts
geleistet hat. Und genau das ist es, was mich manchmal auch frustriert, wenn ich so darüber
nachdenke. Gerade bei meiner Mitarbeit in den Einrichtungen mit Kindern und Jugendlichen mit
Beeinträchtigung, mache ich mir oft Gedanken darüber, wie ungerecht das doch eigentlich sei. Der
Gedanke, dass vielen Schülern nur aufgrund einer angeborenen Beeinträchtigung, so viele Chancen
verwehrt bleiben und – wenn überhaupt – im Niedriglohnsektor arbeiten werden und immer wieder
Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren, ist manchmal nur schwer zu ertragen. Auch wenn ich von
den Lehrerinnen weiß, dass Mitleid genau der falsche Weg im Umgang mit den Jugendlichen ist, so
mache ich mir im Nachhinein doch noch oft darüber Gedanken und komme letztlich zu keiner
richtigen Lösung oder Antwort. Und auch, für die Fähigkeiten und Handlungsweisen, völlig
unerhebliche Dinge können ein Privileg sein. Eins davon ist es zum Beispiel weiße Haut zu haben.
Gerade in Peru werde ich damit sehr häufig konfrontiert, im Gegensatz zu Deutschland, wo ich mit
meiner weißen Haut zur Mehrheit gehörte. Es liegt aber nicht daran, dass ich einfach anders aussehe,
als die Mehrheit der Peruaner, sprich, dass es einer dunkelhäutigen Person in Deutschland genauso
geht wie mir hier. Es ist nämlich so, dass weißer und schwarzer Haut automatisch gewisse
Charaktereigenschaften zugeschrieben werden – meistens sind die für Menschen mit heller Haut
positiv (zivilisiert, gebildet, zuverlässig) und für dunkle Haut negativ (unzivilisiert, ungebildet,
kriminell). So findet oft schon im Voraus ein Prozess in unseren Köpfen statt, der Menschen in
gewisse Schubladen steckt – ohne sie überhaupt zu kennen. Eine Situation, in der ich in Peru das
Privileg meines Aussehens stark gespürt habe war, als wir Freiwillige mit einem peruanischen
Freiwilligen, auf dem Seminar, in einer Bar in Arequipa waren. Als wir dort ein bis zwei Cocktails
getrunken hatten, stellte uns der Kellner immer wieder ein gratis Cocktail auf den Tisch und am Ende
bot er dem peruanischen Freiwilligen an (wie dieser uns später erzählte), dass wenn er das nächste
Mal mit einer „Reisegruppe“ kommen würde, er 20% des Umsatzes bekommen würde und den
Abend über kostenlos trinken dürfe. Gratiscocktails mit bitterem Beigeschmack also. Es gibt noch
unzählige andere Privilegien und bei fast allen muss ich mit einem unguten Gefühl feststellen, dass
ich zur privilegierteren Position gehöre. Herkunft, Geschlecht, Wohlstand, soziale Absicherung und
der Zugang zu Bildung sind nur einige davon.
Eine Sache, die wir bei einem Seminar in einer Einheit zu dem Thema gelernt haben, ist, dass aus den
Privilegien eine große Verantwortung für die privilegierte Person erfolgt. Die Menschen, die die
Privilegien haben, sind es nämlich, die in der Position sind diese abzubauen und etwas an diesen
Strukturen zu ändern Und vielleicht heißt es dann auch, dass wir in der Bar die Getränke nicht hätten
annehmen sollen. Ich weiß es nicht. Es mag zunächst trivial klingen, letztendlich ist es aber doch ein
Beweis für die Existenz dieser Strukturen, wenn wir nur aufgrund unseres Aussehens die einzigen
waren, die ein Freigetränk nach dem anderen auf den Tisch gestellt bekommen haben.
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Fazit nach fast der Hälfte
Tatsächlich fühlt sich es komisch an das zu schreiben. „Fast die Hälfte“. Unglaublich wie schnell die
Zeit nach dem letzten Rundbrief verging und tatsächlich habe ich jetzt schon ein etwas mulmiges
Gefühl, wenn ich daran denke, dass mir gerade noch die Hälfte der Zeit bleibt. Aber eigentlich sollte
das ja ein gutes Zeichen sein, das zeigt ja nur wie gut es mir hier gefällt. Und tatsächlich bin ich
zurzeit richtig zufrieden. Klar, gibt es immer wieder kleinere Probleme,
Kommunikationsschwierigkeiten oder Dinge, über die ich mich ärgere, aber jedes Mal, wenn ich über
meinen Freiwilligendienst im Gesamten nachdenke, komme ich immer wieder zum Schluss, dass ich
es echt richtig gut erwischt habe und ich hier echt happy bin. Zum einen die Einsatzstelle, in der ich in
denen Projekten und Schulen mitarbeiten kann, in denen ich möchte, mich einfach total gut
einbringen kann und eine Anleiterin und Kollegen habe, die auf der einen Seite immer ein offenes
Ohr für mich haben und ich, auf der anderen Seite, mit ihnen aber auch immer wieder locker reden
und Späße machen kann. Zweitens habe ich meine Gastfamilie, wo ich mich echt wohl fühle und vor
allem in meiner Gastschwester und meinem Gastvater zwei Bezugspersonen in Peru gefunden habe,
mit denen ich mich richtig gut verstehe. Drittens wäre da noch mein Einsatzort, den ich mit Arequipa
wohl kaum besser hätte treffen können. Ich habe vorher noch nie in einer großen Stadt gewohnt und
ich muss sagen, dass ich das zurzeit schon sehr genieße. Mag auch daran liegen, dass Arequipa auf
mich nicht wirklich wie eine Stadt mit über einer Millionen Menschen wirkt. Wenn ich nicht gerade
im Feierabendverkehr stecke, genieße ich es einfach mich an den vielen schönen Orten der Stadt
aufzuhalten und zum Beispiel die allabendlichen Sonnenuntergänge zu betrachten, die ich aus
Deutschland so nicht kannte. Das, zum Beispiel, sind auch die Momente, in denen ich merke, dass ich
hier genau richtig bin. Auch in Sachen „Soziale Kontakte“ hat sich etwas geändert. Zuvor war es
nämlich so, dass ich zwar viele Leute kannte, die meisten davon aber nur flüchtig und ich konnte
niemand so richtig als Freund bezeichnen. Mittlerweile bin ich aber in verschiedenen Freundeskreise
reingerutscht und glaube, dass das sich in Richtung „richtige Freunde“ entwickeln könnte. Außerdem
habe ich jetzt auch Kontakt zu einer Gruppe aus der Parroquia (Pfarrgemeinde), die einmal in der
Woche Fußball spielen. Eine der Dinge, die ich hier bisher schmerzlich vermisst habe. Ihr merkt also
schon, dass es mir, wenn ich das Große und Ganze betrachte, schwerfällt allzu viel Negatives zu
finden. Ich fühle mich zurzeit einfach wohl und merke, dass ich auch außerhalb der „Blase“ mit
Einsatzstelle und Familie mehr Kontakte habe und das „Drumherum“ alles gerade anläuft.
Nun bleibt mir noch zu hoffen, ich konnte euch mit meinem Rundbrief ein wenig an meinen letzten
Monaten in Peru teilhaben lassen. Vielen Dank an alle, die meine Rundbriefe lesen und sich für
meinen Freiwilligendienst interessieren. Falls jetzt noch mehr Interesse besteht, habe ich auch eine
Whatsapp-Gruppe gegründet, wo ich während dem Jahr ab und zu Bilder reinstelle und kleine
Berichte dazu schreibe. Hierfür mir einfach eine E-Mail mit der Handynummer schicken. Generell
freue mich sehr über Anmerkungen, Fragen o.ä. zu meinem Bericht oder allgemein über Nachrichten
aus der Heimat. Ich werde versuchen so schnell wie möglich zu antworten – verzeiht mir, falls das
nicht immer klappen sollte.
Zuletzt bleibt mir nur noch, liebe Grüße aus Arequipa in die Heimat zu senden und noch einmal auf
die Rundbriefe der anderen Freiwilligen in den verschiedenen Ländern (Peru, Südafrika, Israel, Nord-
/Irland) zu verweisen, die ihr ebenfalls auf der Homepage der FIF findet. Auf den letzten Seiten
meines Rundbriefes findet ihr einige Bilder von meiner Zeit in Peru, die einen kleinen Teil der
unfassbar großen Vielfalt des Landes widerspiegeln sollen.
E-Mail: mm-ldl@gmx.de
Instagram der Peru-Freiwilligen: @365diasperu
Cáritas Arequipa Marc-Maurice Lindl
Bildergalerie
Mollendo (Region Arequipa)
Valle Chilina (Arequipa)
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Huacachina (Ica)
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