meine vergangenheit / maria freiin von wallersee / 1913
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7/22/2019 Meine Vergangenheit / Maria Freiin von Wallersee / 1913
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MarieFreiin Wallersee
Meine
Vergangenheit
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11. bis 60. ausendPreis 8 KronenVerlag Es werde Licht G.m.b.HBerlin 1913
Cover Front:Mary Vetšera und Kronprinz Rudol Cover Back: Kaiserin Elisabeth »Sisi«
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Inhalt
Vorwort ……………… 6
1. Kapitel ……………… 7
2. Kapitel ……………… 22
3. Kapitel ……………… 45
4. Kapitel ……………… 60
5. Kapitel ……………… 78
6. Kapitel ……………… 94
7. Kapitel ……………… 112
8. Kapitel ……………… 124
9. Kapitel ……………… 134
10. Kapitel ……………… 149
11. Kapitel ……………… 163
12. Kapitel ……………… 178
13. Kapitel ……………… 195
14. Kapitel ……………… 209
15. Kapitel ……………… 223
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Vorwort
E
s sind viele Berichte über das Drama von Meyerling
geschrieben worden. Viele haben versichert, daß sie
allein die Wahrheit kennen. Sogenannte Augenzeu-
gen haben ihre Darstellung der Angelegenheit auspo-
saunt, und ein Netz von Lügen ist um meine Mitschuld
an dem ode meines Vetters, des Kronprinzen Rudol
von Österreich, und der Baronin Mary Vetsera gewoben
worden. Bisher habe ich den Verleumdungen über mich,
als meiner Beachtung unwürdig, nicht widersprochen.
Aber nachdem mein Sohn George Larisch sich inolge
der Lektüre eines dieser Lügenbücher erschossen hat
und das Leben meiner öchter durch all die unwahren
Berichte über meine Rolle in dem Drama verbittert wor-
den ist, habe ich mich entschlossen, das Schweigen von
ünundzwanzig Jahren zu brechen und der Welt die
Wahrheit der Ereignisse vor und nach der ragödie von
Meyerling bekannt zu geben.
Metz, im Mai 1913.
Maria Freiin von Wallersee.
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Erstes Kapitel
M
ein Vater, Herzog Ludwig von Bayern, der jetzt
im zweiundachtzigsten Lebensjahre steht, ist
der Bruder der ün Schönheiten: Elisabeth,Kaiserin von Österreich; Marie-Sophie, Exkönigin von
Neapel; Sophie-Charlotte, Herzogin d’Alençon; Mathilde,
Prinzessin rani, und Helene, Fürstin von Turn und
axis. Nachdem er den Rechten als ältester Sohn des
Herzogs von Bayern entsagt hatte, ging er am 28. Mai
1859 eine morganatische Ehe ein mit der lieblichen jungen Schauspielerin Henriette Mendel. Sie wurde zur
Baronin Wallersee erhoben und von der herzoglichen
Familie mit offenen Armen augenommen. Meine Mutter
hat mit Freuden die Bühne verlassen, die sie im Grunde
ihres Herzens verabscheute. Sie gehörte nicht zu jenen
Frauen, die den Ruhm ihrer Liebe opern und es dannein langes Leben hindurch bereuen. Über ihre ragwür-
digen Bühnenähigheiten war sie sich vollkommen klar
und wußte sehr wohl, daß sie ihre Beliebtheit nur ihrer
Schönheit und Anmut verdankte.
Ich wurde als ihr einziges Kind in Augsburg, in der
Nähe Münchens, geboren, wo mein Vater als Komman-deur des Vierten Chevauxlegers-Regiments stand. Im
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Winter lebten wir in einem großen Hause in der Stadt,
den Sommer verbrachten wir im Gebirge. Ich wurde
ganz als Junge erzogen, ja, als ich drei Jahre alt war und
meine Mutter mit mir hinausuhr zum Exerzierplatz, war
es Papas größtes Vergnügen, mich am Genick au seinPerd hinauzuheben, mich vor sich au den Sattel zu
setzen und mit mir davon zu galoppieren. So wurde ich
schon rüh mit Perden vertraut, kannte im Sattel keine
Geahren und ritt mit ün Jahren mein temperament-
volles Pony.
Ich wurde zu Hause unterrichtet und haßte alle meineausgezeichneten und leidgeprüfen Erzieherinnen. Ich
hatte Fechtunterricht, ritt sechs Perde am age und war
sicherlich in allen meinen Neigungen und Betätigungen
ein sehr knabenhafes Mädchen. Nach dem Kriege
von 1866 siedelten wir nach München über, erst in ein
Mietshaus, später in meines Vaters Palais. Dort herrschtezwischen mir und etlichen Lehrmeistern ein Wettstreit
gegenseitigen Quälens, doch erwarb ich mir dabei im-
merhin eine gewisse Kenntnis des Lateinischen.
Zu dieser Zeit erheischte meines Vaters Gesundheit
seinen Abschied aus dem Heere. Doch die Krankheit,
an der er litt, hinderte ihn nicht, in alter Weise seinenLebensgewohnheiten nachzugehen. Wir uhren of
hinaus zu unserm Schloß Garatshausen, das dicht bei
dem Schlosse meiner Großeltern – Possenhoen am
Starnberger See – lag. Eines ages überraschte mein Vater
uns mit der Nachricht, daß er Garatshausen au sechs
Wochen an seine Schwester, die Kaiserin von Österreich, vermietet habe, da sie die kleine Erzherzogin Valerie zur
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Luf-veränderung von Wien dorthin überühren wolle.
Ich zitterte vor Spannung, die ante zu sehen, über die
ich soviel gehört hatte, und obwohl ich noch ein junges
Kind war, werde ich niemals meine erste Begegnung mit
der bezaubernden, rätselhasten Frau vergessen, die einenso schicksalsschweren Einfluß au mein Leben ausüben
sollte.
Es war Sommer, und Garatshausen prangte in seiner
wunderholdesten Lieblichkeit. Wir waren in ein klei-
nes Nachbarhaus gezogen, um unserem Besuch Platz
zu machen. Am age der Ankunf der Kaiserin erwar-teten wir sie in dem kühlen Vestibül des Schlosses. Ihr
Vertrauensarzt Wiederhoer und Mrs. Trogmorton,
Valeries ergebene englische Pflegerin, langten zuerst an,
und ich erinnere mich noch, mit welchem Herzpochen
ich die Equipagen mit dem kaiserlichen Geolge vorah-
ren sah. Elisabeth reiste nämlich mit einem gewaltigenAugebot von Bediensteten aller Grade.
Wieder verging eine Stunde, und dann ederte ein von
prächtigen Perden gezogener Wagen heran. Eine Dame
entstieg ihm und trat in die Halle. Sie küßte meine Mutter
und meinen Vater herzlich, dann wandte sie sich mir zu
und küßte auch mich, indem sie dabei in dem ihr eige-nen mokanten on ausrie:
»O, welch eine kleine Bohnenstange!«
Ich starrte sie gebannt an, denn in einer seltsamen
Vorahnung ühlte ich schon den Einfluß, den sie au mich
ausübte. Sie erschien mir wie eine Feenkönigin, die gera-
deswegs aus den Gefilden der Romantik gekommen warund aus Laune ihre dufigen Flügel und schimmernden
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Gewänder mit einem grünschwarzen Überwur, einem
grauen Hute und einem schwarzen Kleide mit langer
Schleppe vertauscht hatte.
Meine kindliche Bewunderung bereitete Elisabeth o-
ensichtlich Vergnügen und machte ihr Spaß. Nachdemsie uns alle noch einmal der Reihe nach geküßt hatte, zog
sie sich in ihre Zimmer zurück, und an diesem age sa-
hen wir sie nicht wieder.
Ich sprach den ganzen ag über von nichts anderem
als von ihr, und meine Eltern konnten mich nur durch
das Versprechen beruhigen, daß ich »ante Sissi« sehrbald wiedersehen würde, da sie den Wunsch geäußert
hätte, ich solle der kleinen Valerie Spielgeährtin sein
während ihres Auenthalts in Garatshausen.
Ich wurde nicht enttäuscht; am nächsten Morgen ließ
die Kaiserin mich ruen; ich bebte vor Ungeduld, vor sie
hinzutreten.Rettungslos flog mein Herz ihr zu, als ich sie jetzt
wiedersah. Elisabeth saß beim Frühstück, während ihre
Friseurin ihr das Haar ordnete. Sie war wirklich zauber-
schön wie im Märchen, wenigstens erschien sie mir so.
Und in der at war die Kaiserin, die damals in der vollen
Blüte ihrer Frauenherrlichkeit stand, ein berauschenderAnblick. Eine Matinee aus kostbarer Spitze umfloß ihre
schlanke Gestalt; ihr wunderbares Haar, das ich zum
ersten Male offen sah, flutete an ihr nieder in schweren,
kastanienbraunen Wogen. Ihre abgründigen Augen hat-
ten einen tieen goldigen Bernsteinglanz, und das hell
hereinströmende ageslicht enthüllte ihre Schönheit inihrer strahlenden Makellosigkeit. Elisabeth dünkte mich
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eine ochter der Sonne und des Feuers, wie sie da saß
in dem goldenen Morgen, der ihre Lieblichkeit und das
Fremdartige ihrer unirdischen Erscheinung noch erhöh-
te.
Ich eruhr bald den Grund meiner Beruung. Ich soll-te am Nachmittag mit Valerie spielen. »ante Sissi« sag-
te dann, sie wolle jetzt ausreiten, und ich war entlassen.
Die heißersehnte Begegnung war gewesen, und ich ging
davon in den Banden ihrer Charme und Schönheit. Ich
brachte es nicht über mich, jetzt nach Hause zu gehen.
Ich mußte allein sein. So wanderte ich hinein in den Park,fischte Krebse in den ei-chen, und als ich heute dieser
Zerstreuung, der ich sonst nie müde geworden war, bald
überdrüssig wurde, kletterte ich au einen Baum, zog
meine durchnäßten Strümpe aus, hing sie zum rocknen
über einen Zweig und träumte wieder mit wachen Augen
von meiner Kaiserin.Ich dachte an alles, was ich jemals über sie gehört hatte,
und da ich ein hellhöriges Kind war, entsann ich mich
auch, daß Papa bisweilen gesagt hatte, »Sissi« sei nicht
allzu glücklich. »Aber das kann nicht wahr sein, sie kann
nicht unglücklich sein,« dachte ich und sah wieder die
Szene vom Morgen vor mir. Denn der Glanz und diePracht, die meine ante als Kaiserin von Österreich um-
strahlten, hatten einen tieen Eindruck bei mir hinterlas-
sen.
Plötzlich hörte ich das Geräusch nahender ritte, und
aus meinem grünen Versteck herauslugend, fiel ich bei-
nahe von dem Baume, als ich die Kaiserin erkannte, dieihre Absicht, auszureiten, wohl augegeben hatte und
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ohne jede Begleitung daherkam. Obwohl das Sonnenlicht
Elisabeths Schönheit verklärte, ürchtete sie es und trug
stets einen wunderlichen blauen Schirm an ihrem Hute
zur Abwehr gegen Sonnenbrand und Sommersprossen;
auch am Abend hatte sie immer einen Fächer zur Hand,zum Schutze ihres Gesichts.
Elisabeth kam langsam au meinen Baum zu, un-
ter dem eine Steinbank stand, setzte sich nieder, indem
sie mit verzweielter Geste die Hände rang und leise zu
weinen begann. Ich konnte die Größe ihres Schmerzes
erkennen, denn in ihren Zügen stand eine verzehrendeHoffnungslosigkeit, und dann und wann durchschüttel-
te ein wehes Schluchzen ihren Körper. Bald weinte sie
haltlos, und ich überlegte, ob ich es wagen dürfe, sie zu
trösten. Ich beugte mich nieder; doch als die Blätter von
meiner jähen Bewegung erschauerten, blickte die Kaiserin
au und gewahrte mich. Sie gewann schnell ihre Fassungwieder und ragte mich mit ihrer süßen Stimme:
»Was treibst du dort in dem Baume, Marie?«
»Ich trockne meine Strümpe, ante Sissi« erwiderte
ich beschämt.
»Aber, was hast du denn angestellt?«
»Krebse geangen. Ich bin sehr schmutzig,« erwiderteich.
»Komm herab von dem Baume, Marie,« gebot die
ante, »ich will mit dir sprechen.«
Ich wagte keinen Widerstand. So glitt ich, so peinlich
es mir war, herab und stand mit moosbeschmutzten,
nackten Beinen vor meiner ante, meine trieenden, san-digen Strümpe in der Hand.
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O, dachte ich schmerzlich, warum bin ich kein hüb-
sches kleines Mädchen! Warum mußte ich in solch häß-
lichem Auzuge vor der Kaiserin stehen! Gestern hatte
sie mich eine Bohnenstange genannt, wie mußte ich ihr
erst jetzt erscheinen! In hilflosester Verlegenheit trat ich von einem Fuß au den anderen und wartete, bis sie spre-
chen würde.
»Marie,« sagte sie und sah mich an mit schimmern-
den, träneneuchten Augen, »antworte mir soort, hast
du mich weinen sehen?«
»Ja, ante Sissi.«»Warum, glaubst du, habe ich geweint?«
»Ich weiß es nicht,« sagte ich ehrlich, denn ich konnte
mir nichts vorstellen, was eine Kaiserin zu ränen zwin-
gen konnte.
Ich wußte damals nicht, daß ihre Kaiserkrone schwer
war von Schmerzen, und daß die Edelsteine ihres Diademsspitz waren wie Dornen. Ich ließ es mich damals nicht
träumen, daß ihr vornehmes Wesen, au das ein Rei ge-
allen war in den ersten agen einer hoffnungsseligen
Ehe, verblutend zuckte, und daß sie sich erzog zu jener
Verbitterung und Kälte, die später jenen verderblich wer-
den sollte, die sie unter ihren Ein-fluß zwang.»Ich werde dir den Grund meiner Mißstimmung ver-
raten. Setz’ dich neben mich – hierher.«
Und als ich mich urchtsam niederließ und mich be-
mühte, meine gräßlichen Beine zu verstecken, sagte sie
milde:
»Fürchte dich nicht. Valerie war heute nacht nicht wohl,ich machte mir Sorgen, deshalb habe ich geweint.«
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Es drängte sich mir zwar au, daß die ante sich heute
morgen beim Frühstück anscheinend keine Sorgen über
die Gesundheit meiner Cousine gemacht hatte, doch ich
antwortete nur:
»Ach, Valerie wird bald wieder gesund sein, anteSissi.«
»Woher weißt du das? Warum sagst du das?«
»Weil,« erwiderte ich mit großem Vertrauen in die
Richtigkeit meiner Behauptung, »sie ein Pulver bekom-
men muß, das hilf immer.«
Die Kaiserin antwortete nichts. Sie schien in tieeGedanken versunken.
Mehrmals sah sie mich von der Seite an und lächelte
sonderbar. Dann nahm sie meine schmutzige, heiße klei-
ne Hand und sagte:
»Nun, Marie, haben wir lang genug hier gesessen. Wir
wollen ins Schloß gehen.«Sie hielt noch immer meine Hand. Wortlos schritten
wir durch die grünen Wege. Es war ein Morgen voll Licht,
und Garatshausen mit seinen vier ürmen zeichnete sich
schar ab von dem tielauen Himmel. Ein errischender
Wind kam vom ernen Gebirge her-nieder, und als ich
scheu zu Elisabeth aulickte, sah ich, daß sie sich wie-dergeunden hatte. Gerade als das or des Schlosses vor
uns aufauchte, blieb sie stehen, sah mich mit Blicken an,
die meine geheimsten Gedanken zu erorschen suchten,
und sagte:
»Jetzt werde ich einmal sehen, Marie, ob du Mund hal-
ten kannst oder ob du eine dumme Plaudertasche bist,die nichts ür sich bewahren kann.«
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Ich war gekränkt und entgegnete trotzig unter
Auietung meiner ganzen kindlichen Würde:
»Ich bin keine Plaudertasche, ante Sissi; natürlich
kann ich den Mund halten.«
Die Kaiserin lächelte.»Gut, Marie; beweise es mir und erzähle keinem, daß
du mich hast weinen sehen. Ich werde bald wissen, ob du
wirklich ein kluges Kind bist.«
Der Nachmittag mit der kleinen Valerie erschien mir
recht öde nach dem auregenden Vormittag. Ich verriet
nicht, daß ich einen eil des Morgens mit der ante zu-gebracht hatte, als Mama mich wegen meiner langen
Abwesenheit zur Rede stellte. Irgend etwas sagte mir, daß
die Kaiserin unsere Begegnung nicht erwähnen würde,
und der romantische Wunsch, ihre Vertraute zu sein, ge-
bot mir Schweigen.
Wenn ich heute au die vergangenen Jahre zurückblik-ke, möchte ich ast wünschen, ich wäre eine Plaudertasche
gewesen. Denn wenn auch die Neigung meiner ante
mich später mit allem überschüttete, was sich eine Frau
nur wünschen kann, so war jener Sommertag, an dem
die Kaiserin Elisabeth von Österreich mich ragte, ob
ich schweigen könne, doch ein Wendepunkt meinesSchicksals.
Während all der Wochen, die dann verstrichen, schien
meine ante unser Gespräch vergessen zu haben, denn
sie machte niemals Anspielungen darau, wenn ich zuäl-
lig einmal mit ihr allein war. Jeder ag ihres Auenthalts
war mir ein Freudentag. Ich vergötterte Valerie, die einentzückendes Kind war. Mrs. Trogmorton bereitete
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mir ausgiebiges Vergnügen, wenn sie die Verrenkungen
eines tanzenden Derwisch nachahmte, um die kleine
Erzherzogin zu belustigen. Denn der Gegensatz zwi-
schen ihrer gewöhnlichen gewichtigen Haltung und der
Würdelosigkeit ihres anzes war erschütternd grotesk.Elisabeth ühlte sich sehr wohl in Garatshausen, und
als sie nach Wien heimkehren mußte, traten ihr beim
Abschied von meinen Eltern die ränen in die Augen.
Wir standen alle in dem Marmorvestibül, in dem wir
sie bei ihrer Ankunf erwartet hatten. Sie schien mir be-
rückender als je zuvor in ihrem weißen Kleide, in demweißen Hute mit den Federn, die das schimmernde
Kastanienbraun ihres Haares liebkosten. Valerie war ein
Bild in weiß und mauve.
Als die Kaiserin meine Mutter umarmt hatte, kam
sie au mich zu, drückte mir ein kleines Samtetui in die
Hand und sagte dabei:»Hier hast du eine Erinnerungsgabe von Valerie ür
ein kluges, kleines Mädchen.«
Dann war sie ort. Den Wagen verschlang eine Staub-
wolke, und nur das leise Rollen der Räder tönte aus
der Ferne herüber als letzter Gruß unserer lieblichen
Verwandten. Erst als ich allein war, öffnete ich das kleineEtui.
Ich drückte au die Feder und and ein goldenes
Medaillon mit den Initialen Marie Valeries in glitzernden
Rubinen und Smaragden. Innen and ich ein Miniatur-
bild des Kindes und ein Datum, das mir zunächst ohne
Bedeutung schien, bis mir eine plötzliche Erleuchtungoffenbarte, daß es ein Gedenkzeichen des ages im Park
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von Garatshausen war. Die Kaiserin hatte also doch nicht
vergessen.
Nach unserer Rückkehr nach München ging das Leben
seinen stillen Gang weiter, und einige Jahre schwanden
dahin, ehe ich die ante wiedersah. Doch die Ferne nahmihr nicht den Zauber in meinem Gemüte; mein Ehrgeiz
ging dahin, die Eigenschafen zu erwerben, au die sie
Wert legte. So wurde ich eine gute Reiterin, die stunden-
lang im Sattel zubringen konnte, ohne zu ermüden. Ich
ocht, ich übte meine Kräfe als Fußgänger, ich wurde ein
guter Schütze; ich vergaß nie, daß ich meine Zunge hütenmußte, und bestrebte mich, des Lobes der Kaiserin wür-
dig zu werden.
Als ich zwöl Jahre geworden war, schickten die Ärzte
meinen Vater nach Italien. So gingen wir nach Rom in
Begleitung unseres bayrischen Arztes, eines großen,
beleibten Mannes mit einer erstaunlichen Begabungim Essen. Papa schrieb eine Anzahl seiner kleineren
Krankheitserscheinungen seiner rühen Erziehung in
Sachsen zu, wo er in den agen seiner Jugend zwischen
Dresden und dem Schlosse Pillnitz hin und her getrieben
worden war. Er schob einen hartnäckigen Kopschmerz
au die dumpe, bedrückende geistige AtmosphäreDresdens und ein immer wiederkehrendes Magenübel
au die unverdauliche Kost in Pillnitz, die auch wahr-
scheinlich den Grund zu seinen späteren Ver-dauungs-
störungen legte.
Bei unserer Ankunf in Rom hegten wir, als gute
Katholiken, natürlich den Wunsch, vom Heiligen Vaterempangen zu werden, und als Anbahnung besuchten
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wir den Kardinal Antonelli, einen guten Bekannten mei-
nes geistlichen Lehrers in München.
Pius IX. bewilligte uns eine Sonderaudienz. Ich trug ei-
nen schwarzseidenen Rock und einen schwarzen Schleier,
die Zwangstracht bei solchen Anlässen. Ich kämpfe mitdem Lachen, denn ich and mich urkomisch in meinem
Gernegroß-Kostüm. atsächlich sahen wir alle recht
bunt aus.
Mama war in Schwarz, Papa in Uniorm, und der bay-
rische Doktor stellte einen vorsintflutlichen Zylinder zur
Schau. Papa gab uns ortwährend Verhaltungsmaßregelnür unser Benehmen beim Anblick des Papstes.
»Niederknien, niederknien,« wiederholte er alle drei
Minuten. Aber als der große Augenblick kam und wir
alle vor Seiner Heiligkeit au den Knien lagen, entglitt
des Doktors Hut seinen Händen und trudelte mit ste-
tig wachsender Geschwindigkeit über das gewachsteParkett. Da verpue die ganze Feierlichkeit; der Papst
lachte, lud uns in sein Privatgemach und plauderte mit
uns. Pius IX. war sehr liebenswürdig und richtete seine
Aumerksamkeit besonders au mich.
»Ich möchte gern mit dieser kleinen Dame sprechen,«
äußerte er; »wollen Sie sie mir morgen rüh schicken?«Meine Eltern waren sehr geschmeichelt von dieser ho-
henpriesterlichen Gunst, und am nächsten age ging ich
mit meiner Erzieherin in den Vatikan. Der Papst prü-
te mich in Religion; wir sprachen zusammen lateinisch,
und am Schlusse seines Verhörs lächelte Pius und ragte:
»Nun, hast du große Angst gehabt?«»Nein,« sagte ich, denn der Papst, ein großer, wohl-
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gebauter Mann, hatte eines jener »guten« Gesichter, die
Vertrauen und Liebe einflößten.
»Ach, das reut mich,« sagte er, »aber ehrlich, was ist dir
lieber, ein Religionsexamen oder ein änzchen? Als ich
jung war, hätte ich sicher geantwortet, daß mir anzenlieber ist als Religion.«
Er blinzelte mit den Augen, tätschelte ermunternd
meine Hand und gab mir, ehe ich ortging, sein Bild und
ein allerliebstes Medaillon und weihte die Gaben mit sei-
nem besonderen Segen.
Der Papst war sehr gütig gegen unsere Familie; er standPate bei der ochter der Königin von Neapel, und als das
Mißgeschick über meine ante und den Onkel herein-
brach, lebten sie viele Jahre lang im Palazzo Farnese.
Eins der interessantesten Geschehnisse meiner Jugend
war meine erste Begegnung mit Richard Wagner, der, wie
man weiß, seine späte Anerkennung als Genie der Güteund Gunst Ludwigs II. verdankte. Der König, der Papa
sehr gern hatte, ragte ihn eines ages, ob seine Braut,
meine ante, die Prinzessin Sophie von Bayern, mit
Wagner in unserem Hause zusammentreffen könnte.
Natürlich gab Papa seine Einwilligung, und eine
Zusammenkunf wurde verabredet. Doch durch irgend-welchen unglücklichen Zuall war keiner außer mir an-
wesend, als der große Mann eintra.
Ich hatte meine Einsamkeit dazu benutzt, die Schrän-
ke meiner Mutter zu plündern und mich zu ver-
kleiden. Ich zog ihre umangreichste Krinoline an,
ihr seidenes Kleid, setzte ihren Hut au und legte ihrenMantel an, ergriff dann einen kleinen, grünen Schirm
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mit silbernen Fransen und stelzte wohlgeällig vor dem
großen Spiegel au und nieder.
Plötzlich erklang die Hausglocke, und in der Vermutung,
es sei meine Erzieherin, eilte ich selbst zur ür, öffnete sie
– und stand Wagner gegenüber. Damals reilich wußte ichnicht, wer er war. Ich entsinne mich seiner noch genau
als eines kleinen Mannes mit einer großen Nase, der hö-
lich in breitem sächsischen Dialekt ragte:
»Wohnt hier der Herzog von Bayern?«
Ich verbeugte mich und sagte voll Keckheit:
»Bitte, hereinzuspazieren.«Wagner schien ziemlich nervös, und das war kein
Wunder, denn ich sah sonderbar genug aus in meiner
Riesenkrinoline und den Gewändern, die ür mich viel
zu weit waren. Aber vielleicht dachte er, da unsere Familie
wegen ihrer Exzentrizitäten berüchtigt war, er hätte ei-
nen der »Sonderlinge« erwischt. So olgte er mir geügigin den Salon, wo ich ihn sich selbst überließ.
Eine Stunde verging, und als meine Erzieherin heim-
kehrte, berichtete ich ihr, daß Papas Schneider im Salon
sitze. Doch sie antwortete nur: »Er kann warten,« und
richtete ihre Energien au einen hefigen adel we-
gen meines Verkleidens und die Aufforderung, meineAugaben zu erledigen.
Kein Laut drang aus dem Zimmer, in dem Wagner
saß, mit Geduld umgürtet. Doch als meine Mutter nach
Hause kam und ich ihr die interessante Mitteilung mach-
te, daß »Papas Schneider im Salon sitze«, ging sie sporn-
streichs selbst nachsehen und fiel ast in Ohnmacht vorSchreck, als sie Richard Wagner erkannte. Mama war tie
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betrübt bei dem Gedanken, daß er in so wegwerender
Weise behandelt worden war, und erging sich in lebha-
ten Entschuldigungen. Doch Wagner sagte belustigt:
»Jemand sagte mir, ich sollte warten, und Sie sehen, ich
habe gewartet.«Bald darau tra meine ante mit ihrer Hodame ein;
ich glaube, die Begegnung verlie sehr angeregt. Ich dur-
te reilich meine Bekanntschaf mit Wagner nicht ortset-
zen und bäumte mich in der einsamen Dunkelheit mei-
nes Schulzimmers au gegen den mütterlichen Unwillen.
Aber ich kann mich des leisen Argwohns nicht erweh-ren, daß meine Verkleidung meine Mutter am meisten
ärgerte, und daß Wagners langes Warten eine Nichtigkeit
war gegenüber der Entweihung ihres Kleides und der
Mißhandlung ihrer Krinoline.
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Zweites Kapitel
Als ich vierzehn geworden war, lud die Kaiserin
meine Eltern zu einem Besuch nach Wien ein.Sie wurden besonders augeordert, mich mit-
zubringen. Ich war über die Aussicht, meiner ante wieder
zu begegnen, entzückt, und zitterte bei dem Gedanken,
Wien zu sehen, das nach den Beschreibungen, die ich ge-
hört hatte, die strahlendste Stadt Europas war.
Die »Bohnenstange« hatte sich inzwischen zum regel-rechten Sahnenmast ausgewachsen, und Mama beschloß,
daß dieser Besuch den kurzen Röcken, die ich bisher
noch getragen hatte, den Garaus machen müsse. Meine
Eltern waren einache Leute mit einer hefigen Abneigung
gegen jeden Luxus; meine Kleidchen hatte stets der
Gesichtspunkt der Nützlichkeit und nicht der Schönheitbestimmt. Vielleicht interessiert es Mädchen mit extrava-
ganten Wünschen, zu erahren, daß man drei Kleider als
ausreichende Aussteuer ür diesen Besuch betrachtete;
ein Reisekleid, ein Straßenkleid und eine schwarz-seide-
ne Gesellschafsrobe. Dieses Schwarzseidene haßte ich
mit einem tiegewurzelten Abscheu, denn es war viel zualt im Stil. Ich empörte mich dagegen.
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»Laß mich nichts mehr von diesem Unsinn hören,«
schalt Papa, als ich mich an ihn als Schiedsrichter wand-
te; »wenn das Kleid dich auch alt macht, so ist es doch
jedenalls sehr elegant!«
Ein zweites Kümmernis war, daß ich aus irgendeinemGrunde, den man nie erahren wird, mit dicksohligen,
nagelbewehrten Gebirgsstieeln ausgerüstet wurde.
»Welch ein Schaustück werde ich abgeben!« dachte ich
verzweielt. »ante Sissi wird mich eine bayrische Bäuerin
nennen, und jeder wird mich auslachen.«
Doch auch damit waren meine Leiden noch nichterschöpf. Papa konnte mein blondes Haar nicht leiden
und hatte es sich in den Kop gesetzt, es in Haaröl zu
ertränken, in der vagen Hoffnung, mich hierdurch aus
einer Blondine in eine Brünette umzuhexen. Das wurde
bei ihm zur fixen Idee, als der Besuch in Wien zur at
werden sollte, und meine Locken wurden täglich mehr-mals unter Öl gesetzt.
»Packt nur genügend Vorrat ein,« beahl er. So reisten
wir mit einem ganzen Lager von Makassaröl.
Endlich brach der ereignisvolle ag herein, an dem
wir München verließen. Spät abends erreichten wir
Penzing, die Schönbrunner Station, von der aus uns eineHoequipage zum Schloß brachte. An diesem Abend sa-
hen wir niemanden mehr. Ich erhielt ein prachtvolles
Schlazimmer mit einem Paradebett, über welchem das
Gemälde eines finster blickenden Erzherzogs hing, des-
sen Düsternis mich mit dem Bangen erüllte, er könne
mir als Geist erscheinen.Ein reichliches Souper wurde augetragen, aber es ge-
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hörte zu Papas Grundsätzen, daß man am späten Abend
nicht zu viel essen düre.
»Wir müssen alle gut schlaen,« meinte er, »denn Sissi
wird uns sicher recht rüh besuchen.«
Unsere Zoe war ein stämmiges bayrisches Gebirgs-mädel, das einen ast unverständlichen Dialekt sprach;
ihre Unkenntnis der Etikette hielt meine Mutter in ei-
nem ortwährenden Angstfieber. Sie war indessen ein
gutes Geschöp, weckte mich rüh am nächsten Morgen
und setzte eine energische und überschwemmende
Haarölung ins Werk. Sie striegelte mir das Öl au, wie einPerdeknecht sein Roß striegelt, und beteuerte inmitten
ihres Knuffens und Reibens ortwährend laut, daß in
ganz Wien sicherlich kein gewissenhafer geöltes Haar
zu finden sei. Dann hakte sie mich in mein abscheuli-
ches Seidenkleid, das mir viel zu lang war; meine Füße
waren in die großen Stieel eingesargt, und gleißend vonÖl stampfe ich in das reizende Zimmer, in dem meine
Eltern saßen.
»Himmel!« rie Mama, »Marie wird über ihr Kleid al-
len. Schnell, bringt mir Nadeln!«
Und kurzerhand wurde mein Rock zu einer passen-
deren Länge gegürtet. Dann kam der Kaffee, und als wiruns gerade am Frühstück labten, stürzte die bayrische
Zoe sans ceremonie ins Zimmer und brüllte:
»Die Kaiserin kommt!«
Durch die ür des Salons hatten wir den Ausblick au
eine lange Flucht von Zimmern. Eine ür nach der ande-
ren tat sich au, jemand kam immer näher, und da sah ich,daß es meine berückende ante war.
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Wir gingen ihr alle entgegen. Ich sage »gin-
gen«, doch der Ausdruck bezieht sich nur au die
Fortbewegungsmethode meiner Eltern. Ich hatte nicht
mit meinen Stieeln gerechnet; sie bewirkten, daß ich
höchst ungraziös vorwärts-schlitterte und mit einem rei-zenden Lächeln und den Worten begrüßt wurde: »Aber,
Marie, in Schönbrunn läuf man im August nicht Schlitt-
schuh !«
Ich empand, daß die Kaiserin meinen seltsamen
Auzug anstarrte, und täuschte mich nicht. Plötzlich
brach sie in ein schallendes Gelächter aus, und als ihreHeiterkeit sich etwas gelegt hatte, wandte sie sich an mei-
ne Mutter, die etwas verdutzt über den Grund dieser jä-
hen Fröhlichkeit dastand, und sagte mit vor Lachen er-
schöpfer Stimme:
»Liebe Henriette, laß Marie doch einmal mit mir in
mein Ankleidezimmer kommen.«Ich begleitete meine ante in ihre Privatgemächer,
wo ihre Friseuse und Zoen au sie warteten. Elisabeth
wandte sich an eine von ihnen und sagte:
»Bringen Sie eine Anzahl Kleider und viel Wäsche.
Meine Nichte muß soort eine Aussteuer erhalten.«
Dann ging sie in ihr Ankleidezimmer und ließ sichrisieren. Die Zoen lieen hin und her mit Stößen herr-
licher Kleider, zarter Unterwäsche, niedlicher Korsetts
und entzückenden Schuhchen. Nie vorher hatte ich ei-
nen solchen Luxus gesehen; er benahm mir den Atem,
ich schwelgte in dem Batist und den Spitzen, die bald an
Stelle meiner schlichten Unterkleidung meinen Körperumschmiegten. Das seidene Korsett saß an meinem ge-
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raden, jungen Wuchse wie angegossen, und meine Füße
boten jetzt einen Anblick, dessen ich mich nicht mehr
zu schämen brauchte. Natürlich erorderten die Kleider
mancherlei Änderung; die Kaiserin wählte die meinem
Alter zusagendsten aus und schüttete ihren kostbarenrousseau mit verschwenderischer Freigebigkeit mir in
den Schoß. Als die Auswahl der Kleider getroffen war,
betrachtete meine ante mich kritisch und beahl:
»Führen Sie die Baronin ort und waschen Sie ihr das
Öl aus dem Haar.«
Und zu mir sagte sie:»Jetzt werde ich dich ür heute dir überlassen, Marie.
Gott sei Dank siehst du jetzt manierlicher aus. Morgen
werde ich dich in der Reitschule treffen; ich will sehen,
wie du reitest.«
Sie küßte mich, dann wurde ich den Händen einer
Zoe überlieert, die zwei mühselige Stunden an mei-nem Haar scheuerte. Doch schließlich nahm die Qual
ein Ende. In meiner neuen racht, mein dichtes, blondes
Haar vom Öle bereit, wurde ich in unsere Gemächer zu-
rückgeührt.
Das Bayernmädel wieherte heiser au vor Staunen ob
meiner Verzauberung.Papa drehte sich au dem Absatz um, nachdem er
mich mit Gedanken betrachtet hatte, in deren iee kei-
ne Worte hinabreichten.
Und Mamas leicht verwundete Geühle, die verletzt
worden waren durch der Schwägerin Mangel an Respekt
vor den bayrischen Moden, wurden erst milder gestimmt,als im Laue des ages die hübschen Gewänder mit dem
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bezaubernden Zubehör und »ante Sissis Grüßen« mir
übersandt wurden.
Am nächsten Morgen gingen wir zur Reitschule, wo
die Kaiserin mit prüenden Augen über meine Reitkunst
richtete. Ich mußte drei oder vier verschiedene Perdereiten, eins immer temperamentvoller als das andere.
Nach Beendigung meiner Vorührungen drückte mir
Elisabeth ihre große Zuriedenheit aus und or-derte
mich au, am nächsten age mit ihr in den Prater zu rei-
ten. Dann uhr sie mit mir zu einem Schneider, bestellte
mir ein Reitkleid und erprobte die Wirkung eines »ho-hen Hutes« au meinem blonden Haare.
»Viel zu alt!« rie sie emphatisch; »nein, Marie, gerade
jetzt paßt es mir, daß du wie ein Kind aussiehst. Ein eng-
lischer Strohhut wird das Richtige sein, und laß sie zu
Hause ja nicht dein Haar flechten. Es soll rei gelöst über
deinen Rücken heraballen. Wir werden eine rohe Zeitzusammen durchleben, und ich werde dir so manches
zeigen, wovon du dir in München nichts hast träumen
lassen.«
Ach, wie habe ich diese strahlende Frau geliebt, die
mich zu schätzen und ür mein Wohl zu sorgen schien!
Ich war kein sentimentales Kind, aber jede Fiber in mei-nem Herzen zitterte ihr entgegen. Sie bezauberte mich
und beherrschte meine Phantasie und flößte mir mit
ihrem seinen aktgeühl Selbstvertrauen ein. Mir gegen-
über war sie damals niemals die Kaiserin, sie war ante
Sissi; voll scheinbaren Verstehens und so reger Sympathie
ür mich, daß ich mit Freuden ür sie in den od gegan-gen wäre.
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»Je weniger man über dein Äußeres spricht, desto bes-
ser,« bemerkte mein Vater, als ich zur Besichtigung vor
ihn hintrat. »Sissi hat sicher seltsame Ideen, das ist die
einzige Entschuldigung daür, daß meine ochter wie
eine blondlockige ranzösische Puppe aussieht.«Mama war toleranter.
»Natürlich erscheint uns Maries Reitkleid etwas son-
derbar,« meinte sie; »aber das Kleid sieht elegant aus,
und Elisabeths Wünschen können wir uns nicht wider-
setzen.«
Wir uhren in zwei Equipagen in den Prater, dieKaiserin und ihre Hodame in der ersten, meine Eltern
und ich in der zweiten. Wir hielten vor Elisabeths klei-
nem Pavillon, der inmitten eines hübschen Gartens wie
eine Insel des Friedens im lärmenden Prater lag. Hier
harrten die Perde unser. Wir stiegen soort in den Sattel
und waren bald das Ziel aller Augen, denn es war dieKorsostunde, und das vornehme Wien paradierte.
Ich ritt der Kaiserin zur Rechten. Hinter uns olg-
ten der Oberstallmeister und zwei Lakaien. Leuchtend
klar steht mir die Begeiste-rung noch vor Augen, die
Elisabeths Erscheinen entesselte an diesem strahlen-
den Augustnachmittage. Denn sie sah hinreißend aus indem Reitkleid, das sich wie eine Haut ihrer ebenmäßigen
Gestalt anschmiegte. Die Bewegung und die Luf vertie-
te das zarte Rosa ihrer Wangen, und die Sonne, die durch
das grüne Laub der Bäume rieselte, verzauberte ihr brau-
nes Haar zu unkelndem Golde. Die Leute starrten mich
an, wie ich da an der Seite meiner ante ritt, und ich ühl-te au jeder Lippe die Frage: »Wer ist dieses Mädchen?«
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Ich empand wohltuend, daß ich sehr gut aussehe, und
daß meine Haare, die in einer langen, blonden Mähne
hinter mir her flatterten, sehr hübsch anmuteten.
Wir galoppierten bis ans Ende des Praters, da die
Kaiserin die Gruppe der Pavillons und Ställe besuchenwollte, welche die vornehmen Reiter Wiens sich dort er-
baut hatten. Viel Herrenvolk war hier versammelt, dar-
unter auch einige Ungarn; meine ante stellte mir den
Graen Nikolaus Esterhazy vor, einen hübschen, schwar-
zäugigen Mann, mit dem sie au sehr reundschaflichem
Fuße zu stehen schien. Dann ritten wir zurück durch das jubelnde Volk Wiens, verließen die Perde am Pavillon
und uhren nach Schönbrunn. Es war ein entzückender
Nachmittag, und nur die verwirrte Verassung meines
Haares beeinträchtigte mein Vergnügen. Doch ich trö-
stete mich damit, daß dieses Leid gering sei, und im übri-
gen: »Il aut souffrir pour être belle.«Am nächsten Abend waren wir zum Familiendiner ge-
laden, und dort sah ich zum ersten Male seit meiner rü-
hesten Kindheit meinen Vetter, den Kronprinzen Rudol.
Als er ins Zimmer trat, empand ich ein unerklär-
liches Geühl des Unbehagens. Vielleicht ahnte mein
Unterbewußtsein die Geahr, die mir Rudol werden soll-te; meine Unruhe wuchs, als ich bemerkte, daß er mich
schar aus den Winkeln seiner Augen beobachtete. Der
Kronprinz war mein ischnachbar und begann soort,
mich unbarmherzig zu necken. Obwohl er damals noch
ein Knabe war, schien er mir die Intelligenz eines Mannes
zu besitzen. Er war schön, doch ich zerbrach mir denKop darüber, an welches wilde ier er mich gemahnte.
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Denn sein Blick hatte etwas Bestialisches. Plötzlich wuß-
te ich es – Rudol erinnerte mich an einen Wol; in sei-
nen Augen stand bisweilen ein grünes Funkeln, und sein
Wesen hatte etwas Lauerndes. Ich grübelte darüber, ob er
wohl auch grausam sei wie ein Wol; und da kroch ein ei-siger Schauer mir das Rückgrat entlang in Erinnerung an
die Worte der Kaiserin, die sie zu mir gesprochen hatte,
als ich ihr vor isch mein hübsches Kleid zeigte.
»Marie,« hatte sie gesagt, »heute abend wirst du Rudol
sehen. Ich warne dich vor ihm. Er ist geährlich, wenn er
zum Feinde wird.«Ich betrachtete meinen Vetter neugierig, der seines
Vaters Art, den Schnurrbart zu drehen, nachäe. Franz
Jose konnte nämlich nicht ün Minuten still sitzen,
ohne sich zu überzeugen, daß ihm der Schnurrbart im-
mer noch im Gesicht hing. Der Kaiser war mir gegen-
über sehr reundlich und sagte mir, daß ich kein Kind,sondern ein bayrischer Besenstiel sei. Das hielt er ür ei-
nen gewaltigen Witz.
Nach isch besuchte ich mit meinen Eltern die Oper.
Doch ehe wir gingen, ührte mich meine ante in ihr
Boudoir.
Dort gab sie mir eine wunderbare Diamantnadel undbeestigte sie in meinem Haare, das nach ihrem Gebot
in schweren Zöpen, wie ihr eigenes, meinen Kop um-
krönte.
Wir saßen in der kaiserlichen Loge, und viele Leute
starrten mich an. Aber in der glücklichen Hut meines
weißen Spitzenkleides und der sprühenden Diamantenühlte ich in mir die Kraf, jeder Kritik zu begegnen.
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Während der Vorstellung überkam mich ein quälendes
Geühl des Hungers, denn das Familiendiner war alles
eher als ein Bankett. In der Pause flüsterte ich daher Papa
zu, daß ich etwas essen möchte. Au den Wutausbruch,
der dieser einachen Bitte olgte, war ich reilich nichtgeaßt.
»Noch ein Wort, und ich hau dir eins hinter die Ohren!«
zischte er. »Untersteh’ dich, in der Oper hungrig zu sein!
Und wenn du es bist, so höre au die Musik und sättige
dich an ihrer Schönheit.«
Ich versuchte diesem Rate zu olgen, aber mir wurdezum Umsinken flau, und obwohl ich Opern abgöttisch
liebte, war ich doch heilroh, nach Schönbrunn und zu
einem Abendessen zu gelangen.
Unser reudevoller Auenthalt in Wien nahte allzu
schnell seinem Ende; wir kehrten nach München zurück.
Nach einigen agen erhielt ich olgendes elegramm:»Liebe Marie, ich schenke dir die kleine Stute, die du
in Wien geritten hast. Sie kommt mit dem nächsten Zuge.
ante Elisabeth.«
Ich war ganz aus dem Häuschen vor Freude über die-
sen neuen Beweis der Liebe meiner ante, und ich erin-
nerte mich an ihre Abschiedsworte: »Fahre so ort, unddu wirst mich wiedersehen.« Ich hatte die Gewißheit, daß
die Kaiserin mir vertraute. Denn wiederholt waren aller-
lei seltsame Fragen an mich gerichtet worden, au die ich
stets antwortete: »Ich weiß nicht.« Etwas sagte mir, daß
sie selbst es gewesen war, die mich au die Probe stellen
wollte, und daß meine Antwort gerade die war, die sie zuhören wünschte.
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Mit sechzehn Jahren erhielt ich mehrere Heiratsan-
träge. Mein glühendster Verehrer war Gra Herbert
Bismarck, den ich durch meine intimen Freundinnen,
die Prinzessinnen Wittgenstein, kennen gelernt hat-
te. Laura, die älteste, viel älter als ich, war eine überausschöne Frau. Der verstorbene König Eduard VII. war ei-
ner ihrer größten Bewunderer. Herbert Bismarck mach-
te mir seinen Antrag durch Lizzie Wittgenstein; doch da
ich seinen Antrag nicht ernst nahm, wandte Lizzie sich
an Mama, die soort meine Großmutter, die Herzogin
von Bayern, ins Vertrauen zog. Doch Großmama lehn-te Heiratserörterungen ab und verwies meine Mutter an
König Ludwig.
Der König, der mich gern hatte, widersetzte sich au
das hefigste der Partie und sagte mit großer Bestimmt-
heit, daß er mich lieber tot als eines Protestanten Weib
wissen möchte.Da Mama hiernach au die Ehre einer Verbindung
mit den Bismarck verzichtete, sah ich meinen enttäusch-
ten Liebhaber erst im nächsten Mai wieder, als wir nach
Kissingen uhren, wo meine ante, die Königin von Neapel,
zur Kur weilte. Herbert, der seinen Vater in Kissingen be-
suchte, schien noch sehr in mich verliebt. Eines ages er-hielt ich von ihm einen flammenden Liebesbrie, in dem
er mich bat, mit ihm durchzugehen und König Ludwig
zu trotzen. Er würde au mich am nächsten Abend vor
dem Hotel warten.
»Er ist seiner Sache zu sicher,« dachte ich, war aber
doch neugierig, zu erahren, ob er seine papierenenVorschläge auch in die at umsetzen würde. So beobach-
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tete ich Herbert von meinem Fenster im dritten Stock
aus, wie er au und nieder wandelte, bis er sich überzeugt
hatte, daß sein Warten au mich aussichtslos war, und in
die Dunkelheit und ür lange Zeit aus meinem Leben
verschwand. Erst viele Jahre später sah ich ihn in Wienwieder – als Gräfin Larisch.
In Kissingen erhielt ich einen unerwarteten Brie
von der Kaiserin Elisabeth, die im Begriff stand, nach
Feldafing, dicht bei Possenhoen, zu reisen. Sie orderte
mich au, soort zu ihr zu kommen und meine Perde
mitzubringen. »Wir werden ganz allein sein,« schriebsie, »denn ich beabsichtige, ohne Hodame auszu-kom-
men.«
Ich brauche nicht zu beteuern, daß ich mich so schnell
als möglich nach Feldafing au den Weg machte. Jede
Minute, die mich von meinem Idol trennte, wurde mir
zur Stunde. Ich ver-suchte nicht erst, ihr meine Anbetungzu verbergen, glaube auch, daß sie trotz ihrer gewohnten
zynischen Art davon heimlich bewegt und geschmei-
chelt war. Denn schließlich, was ist reiner und süßer, als
eines jungen Mädchens Schwärmerei? Des Lebens Mai
ist immer das Schönste, und eine Liebe, die noch nicht
gesündigt und gelitten hat, ist rührend in ihrer keuschenInnigkeit.
Damals verstand ich die Kaiserin nicht ganz. Ich liebte
sie, sie bezauberte mich, und nach und nach machte sie
mich zu ihrer Vertrauten und beichtete mir, wie schwer
sie an ihrem Leben trug und wie sie den Pomp und das
Gepränge haßte, die sie als Kaiserin von Österreich um-gaben.
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»Ich hasse die Zeremonien des Lebens,« schrie sie au.
Etwas fiel mir peinlich au zu Beginn unserer Intimität;
das war die alles beherrschende leidenschafliche Liebe
meiner ante zu ihrer Schönheit. Sie betete ihre Schön-
heit an wie ein Heide seinen Götzen und lag vor ihrau den Knien. Der Anblick der Vollkommenheit ihres
Körpers bereitete ihr einen ästhetischen Genuß; alles,
was diese Vollkommenheit trübte, war ihr unkünstle-
risch und zuwider. Sie erzählte mir mit ast peinlichem
Freimut, wie sie die Zeiten ihrer Schwangerschaf verab-
scheute, die zeitweilig das Ebenmaß ihrer Figur entstellthatten.
»O, wie entsetzlich ist es, alt zu werden!« rie sie aus,
»zu ühlen, wie die Zeit die Hand au unseren Körper legt,
zu beobachten, wie die Haut runzelig wird, am Morgen
mit Furcht vor dem ageslicht zu erwachen und zu wis-
sen, daß man nicht mehr begehrt wird! Ein Leben ohneLiebe hätte ür mich jeden Reiz verloren.«
Jeden Morgen in aller Frühe ging die Kaiserin mit
mir spazieren. Dann badete sie, ließ sich risieren, und
darau tra sich die ganze Familie beim Frühstück, das
einer Mahlzeit im Restaurant sehr ähnelte, da jeder sich
etwas anderes bestellte. Meine Großmutter kam stets von Possenhoen herüber; die Königin von Neapel und
Herzog Karl Teodor mit Frau und Kindern stellten sich
auch ein. Aus München kam des Kaisers älteste ochter,
die Erzherzogin Gisela. Rudol aber erschien nie; ich be-
dauerte seine Abwesenheit nicht.
Nach dem Frühstück geleitete ich Großmama zurücknach Possenhoen. Sie war eine sehr würdige, alte Dame,
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die nirgends hin ging ohne ihre beiden kleinen, weißen
Spitze, die es ür ihre Mission au Erden hielten, jeden zu
beißen, der in Sicht kam. Gewöhnlich aßen wir zu Mittag
in Possenhoen, und in der Abendkühle ritt ich allein mit
der Kaiserin.O, wie traut ist die Erinnerung an jene glücklichen
age! Seite an Seite ritten wir durch die tieen Wälder, in
denen der dufige eppich der Sichtennadeln den Laut
der Perdehue dämpfe. Seite an Seite scheuchten wir
das flüchtige Wild au. Seite an Seite schwelgten wir im
Sonnenuntergang und träumten hinein in den augehen-den Mond.
Elisabeth war ür mich ein Wesen aus der alten Götter-
welt. Artemis war sie – kalt, herrlich und unnahbar.
Meine Phantasie sah sie mit ihren Hunden durch die
Wälder streien au der Spur des Hirsches. Dann malte
ich mir wieder ihre Schönheit aus, wie sie beim Bade imMondlicht weiß wie Elenbein auglänzte, eine Venus. In
dieser würzigen Einsamkeit war sie mir wie eine Gottheit
aus alten verklungenen agen.
Eines ages, als wir tie in den Forst hineingeritten wa-
ren, kamen wir zu einem kleinen, von Wasserlilien über-
säten See. Rings umsäumten ihn Bäume, die bewegungs-lose Oberfläche glänzte ast schwarz; denn kein Licht
drang durch die verketteten Zweige.
Die Luf war kühl von der Feuchtigkeit, die die Farren
und regennassen Blätter am Boden ausatmeten. Es
war ein unheimlicher Ort, aber er sprach das Gemüt
der Kaiserin an. So stiegen wir aus dem Sattel, überga-ben dem Reitknecht die Perde und schritten über den
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schwammig-wippenden Grund dicht an das Uer heran
zu einigen flachen, moosbedeckten Steinen.
»Hier wollen wir uns niederlassen,« sagte Elisabeth,
»dieser Ort muß ein ummelplatz sein ür Nymphen
und Waldeen.«Lange blickte sie wortlos au das Wasser, au dem die
Lilien weiß und einsam träumten. Dann wandte sie sich
mir zu:
»Liebst du Märchen?«
»Ja, sehr, ante Sissi,« erwiderte ich.
»Ich will dir eins erzählen, an das dieser See mich er-innert. Höre. –
Es lebte einmal eine unglückliche junge Königin.
Die hatte einen König geheiratet, der über zwei Länder
herrschte. Sie hatten einen Sohn, aber sie wünschten
sich einen zweiten als Tronolger in dem anderen
Königreiche, das ein herrliches Land, reich an Gebirgenund Wäldern war mit einer romantischen und hochher-
zigen Bevölkerung. Doch kein Kind kam, und die junge
Königin wanderte lange Wege allein in den Wäldern und
saß lange Stunden an einem See, ganz wie dieser hier ist.
Eines ages sah sie plötzlich die stille Oberfläche au-
wallen, die Lilien traten auseinander, und ein schönerMann tauchte empor. Er schwamm au sie zu und stand
plötzlich an ihrer Seite.
Die junge Königin erschrak; doch der Fremde bannte
ihre Furcht.
›Ich bin der Geist des Sees,‹ sprach er, ›und ag ür ag
habe ich dich weinen sehen an des Wassers Rand. Deineränen sind Perlen geworden, sie liegen in einer golde-
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nen Schale in meinem Palast au tieem Grunde. Folge
mir, vergiß die Welt und sei Königin in meinem Reich.‹
Die junge Königin blickte den Wassergeist an und
seuzte tie. Wie anders war er als der König, ihr Gemahl!
Er trug eine. schimmernde Rüstung aus Drachenflügeln,seine Haltung war edel, sein schönes, ausdrucksvolles
Gesicht durchleuchteten große, schwarze Augen, in de-
ren ieen die Liebe zu der Königin lohte.
›Ich kann dir nicht olgen,‹ klagte sie. Doch während
sie sprach, kam eine seltsame Benommenheit über sie.
Sie lehnte den Kop an die Brust des Geistes und schlieein. Da hob er sie empor in den Armen, au sein Gebot
öffnete sich der See, die Wasser bildeten eine kristallene
reppe, au der er sie hinabtrug zu seinen ieen.
Als die junge Königin erwachte, and sie sich wieder
in dem Zauberland am Grunde des Sees. Das Schloß
prangte in Wasserblumen, Korallen und schimmern-den Muscheln, und seltsame bunte Fische glotzten sie an
durch die durchsichtigen Wände. Der Geliebte schenkte
ihr ihre ränen, die jetzt zu langen Perlenketten gewor-
den waren. Voller Staunen sah die junge Königin, wie
viele sie vergossen hatte. Doch sie erinnerte sich daran,
daß Frauentränen ja unerschöpflich sind wie das ewigeropen der Zeit.
Bisweilen erhellte die Sonne die Dämmerung unter
dem Wasser zu Bernstein. Und manchmal verwandel-
ten ihre sterbenden Strahlen das Wasser in Blut. In den
Nächten küßte der Mond die Herzen der kalten Blumen,
die sich nur seiner Liebe öffneten. Dann durchzitterteein blaues Licht das Feenreich.
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Liebliche Nymphen tanzten und sangen vor der gean-
genen Königin und schmückten ihr schweres Haar mit
unkelndem Aquamarin und jenen vielarbigen Steinen,
die man im Rheine findet. Sie saß neben ihrem Geliebten
au dem kristallenen Trone und schlie in seinen Armenau dem Bett von Lilienblättern.
Doch nach einiger Zeit ergriff Heimweh sie nach der
Welt über dem See, und sie flehte um ihre Bereiung.
Endlich willigte der Seegeist ein, und Wassernymphen
trugen sie zur Oberfläche hinau und legten sie nieder
au das Gras unter den Bäumen. Dort küßten Sonne undwehende Winde sie ins Leben zurück, und sie kehrte
heim in des Königs Schloß.
Monde gingen hin, und die Königin wußte, sie würde
einem Kinde das Leben geben, und sie sehnte sich nach
einem Sohne, der dem Wassergeist glich und herrschen
würde über das romantische Land der Gebirge undWälder, das sie so liebte.
Doch kein Sohn wurde geboren. Denn als das Kind
in ihren Armen lag, preßte die junge Königin eine klei-
ne ochter ans Herz, die des Feenvaters große, schwarze
Augen hatte.«
»Hat sie ihn je wieder gesehen?« ragte ich vollereilnahme.
»Ich glaube nicht,« erwiderte die Kaiserin; »wenn du
mehr Lebenserahrung haben wirst, wirst du wissen, daß
das Kind of das Ende der Liebe bedeutet.«
»Was hat der König gesagt?« orschte ich.
»Er war zu selbstbewußt, irgend etwas zu sagen, wenner vielleicht auch manches ahnte.«
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Sie lachte ihr mokantes Lachen und hatte ihre zy-
nische Selbstsicherheit wiedergewonnen. Schweigend rit-
ten wir heim.
Das Leben in Feldafing war sehr angenehm. Ich reute
mich jedesmal, wenn der Herzog Karl Teodor uns mitseiner zweiten Gemahlin, Marie Josepha, besuchte, die
ein bezauberndes Geschöp war voll übersprudelnder
Ausgelassenheit. Sie war zwöl Jahre jünger als ihr Mann.
Sie pflegte sich über die Prinzessin Gisela lustig zu machen,
die alles nachäe, was sie trug. Eines Morgens erschien
Marie Josepha, einen kleinen Strohkorb au den Kopgestülpt. Dies, sagte sie Gisela, sei die Pariser Hutmode
von übermorgen. Als Gisela sich unter einem Vorwande
hastig verabschiedete, amüsierte Marie Josepha sich kö-
niglich, denn sie wußte, daß Giselas plötzlicher Auruch
nur zu dem Zweck erolgte, ihrer Münchener Modistin
den Aufrag zu erteilen, ihr einen ähnlichen Strohhut zu verschaffen, koste es was es wolle.
Marie Josepha, die eine Inantin von Portugal war,
kam mir mit größter Freundlichkeit entgegen und steht
bei mir in liebevollster Erinnerung. Sie assistierte ihrem
Manne immer bei seinen Operationen als Augenarzt
und brachte seinen beiden Kliniken in München undegernsee das größte Interesse entgegen.
Gelegentlich kam auch der Kaiser au einige age nach
Feldafing. Doch er liebte den Ort nicht. Franz Jose trug
ungern Uniorm, die Kaiserin aber ärgerte ihn immer
wieder mit der Bemerkung, daß er in Zivil aussehe wie
ein Schuhmacher im Sonntagsstaat. Elisabeth nannteFranz Jose nie bei seinem Namen, sondern sprach ihn
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immer mit »Du« an: »Du, komm her,« apostrophier-
te sie den Herrscher von Österreich, vor dessen Willen
die ganze Familie zitterte, dessen Machtwort ausässige
Erzherzöge in die Verbannung trieb.
Doch »Du« konnte auch bisweilen seiner Frau dieKrallen zeigen. Die Kaiserin sprach immer sehr leise und
hielt dabei die Lippen dicht zusammengepreßt. Diese
Angewohnheit und die seltsame Marotte, den Mund ort-
während mit dem aschentuche zu betupen, war ihren
schlechten Zähnen zuzuschreiben, die sie sich zu verber-
gen bemühte.Wer Elisabeth nicht genau kannte, konnte sie nur mit
der größten Anstrengung verstehen, und da niemand
wagte, sie um die Wiederholung ihrer Worte zu bit-
ten, war die Unterhaltung zwischen der Kaiserin und
Fremden of ein drolliges Frage- und Antwortspiel.
Da ich die meisten Eigenarten meiner ante nachahm-te, spitzte ich die Lippen und flüsterte ganz leise, als der
Kaiser mich bei einer besonderen Gelegenheit ansprach.
»Um Himmels willen, Marie,« rie hefig »Du«, »mach’
den Mund au, wenn ich mit dir rede. Er ist doch wahr-
hastig groß genug. Werde mir ja nicht so affektiert wie
deine ante Sissi.« Worau Elisabeth eine völlig unver-ständliche Bemerkung flüsterte.
Zwei Stunden zu Perd von Feldafing, an der gegen-
überliegenden Seite des Starnberger Sees, lag eines von
König Ludwigs Schlössern, in dem ihn die Kaiserin, die
dem Vetter sehr zugetan war, of besuchte.
Eines ages erbat sie meine Begleitung, und da ich denKönig lange nicht gesehen hatte, ergriff ich gern diese
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Gelegenheit zur Neubelebung meiner Bekanntschaf mit
ihm.
Die Kaiserin ging allein in das Schloß und ließ mich
im Parke warten, denn Ludwig hatte schon damals sei-
ne Launen und mußte vorsichtig au einen ungeladenenBesuch vorbereitet werden. Über eine halbe Stunde muß-
te ich warten, bis des Königs Kammerdiener erschien
und mich zum Schlosse ührte. Ich stieg vom Perde und
betrachtete mich wehmütig in den vielen Spiegeln, denn
ich war über und über mit Staub bedeckt, und meine
Kehle war wie ausgedorrt nach dem langen, heißen Ritt.Ich wurde in ein verdunkeltes Zimmer geührt, in dem
ich die Umrisse meiner ante in einem Sessel dicht ne-
ben Ludwig erkannte, der au einer Chaiselongue lag, den
Kop in Binden und Bandagen. Den königlichen Dulder
quälten Zahnschmerzen, die ihn periodisch als Folge sei-
nes Übergenusses von Zucker heimsuchten.Neben ihm stand ein kleiner isch voller Flaschen in
allen Größen. Als ich mich näherte, winkte Ludwig matt
mit der Hand, sagte aber nichts. Elisabeth berührte mich
am Arm und flüsterte:
»Lach’ nicht.«
Und laut sagte sie:»Der König möchte dich gern singen hören. Geh’ ins
Musikzimmer und singe etwas aus Lohengrin.«
Ich war nicht übermäßig erreut, denn mein Hals war
rauh vom Staub, und ich ühlte, ich würde mich bla-
mieren. »Das wird ein schöner Schwanengesang wer-
den,« dachte ich, als ich mich ans Klavier setzte. Ich warschrecklich nervös, und da ich keine Noten hatte, spielte
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und sang ich das meiste alsch. Doch Ludwig war von
seinem Zahnweh in Anspruch genommen und suchte
nur irgendeine Ablenkung. ante aber war durchaus un-
musikalisch; so fiel es nicht weiter au. Ich verhunzte also
Elsas Partitur, bis der König mit mir Mitleid hatte undmich erlöste.
Als ich in das verdunkelte Zimmer zurückkam, nahm
ante Sissi von dem Könige Abschied, der sich von dem
Soa erhob und ihr die Hand küßte: Ich konnte kaum
mein Lachen bezwingen, denn Ludwig stand wirklich
da wie ein Bild des Jammers. Er war der größtgewach-sene Mann in Bayern, und da die Bandagen, mit denen
sein Gesicht umwickelt war, weit herausstehende Enden
hatten, sah sein Kop aus wie der einer riesigen weißen
Eule. Gnädig bot er mir die Hand zum Kusse, wobei mir
ganz übel wurde von dem Schwall von Gerüchen, der
ihr entströmte. Es roch lieblich durcheinander nachLaudanum, Chloroorm, Nelken, Kamper und andern
Zahnheilmitteln.
Halbwegs nach Feldafing überraschte uns ein Ge-
witter; in wenigen Augenblicken waren wir von einem
Wolkenbruch bis au die Haut durchnäßt. Wir suchten
Zuflucht in einer Strohhütte, in der eine alte Frau hauste,die, wie wir später eruhren, eines Fischers Witwe war.
Sie erkannte die Kaiserin nicht, die sie ragte, ob sie ganz
allein hier wohne.
»Ja, ganz allein,« antwortete die Frau, »aber ich erwar-
te immer die Rückkehr meines Sohnes.«
»Wo ist Euer Sohn?« ragte Elisabeth.»Er liegt seit sieben Jahren im See.«
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ante und ich wechselten Blicke, und mich überlie
es kalt bei dieser unheimlichen Äußerung, die beim
Flammen des Blitzes und dem Rollen des Donners noch
grausiger wirkte.
»Er kehrt zurück,« uhr die Frau ort. Während siesprach, pochte der Wind und, der Regen düster an das
Fenster – »Er wird zurückkehren.«
»Wann?« ragte die Kaiserin.
»Wann es Gott geällt,« seuzte die Alte; »aber ein an-
derer wird seinen Platz einnehmen, und der ist nicht weit
von dieser Hütte.«Elisabeth stellte keine weiteren Fragen, aber sie erklär-
te später immer, daß die Äußerung der Frau prophetisch
au Ludwigs Ende hingedeutet hätte, das, seltsam genug,
einen eil dieser Weissagung erüllte. Die Kaiserin gebot
mir, der Alten einen aler zu geben, doch da sie den Wert
des Geldes nicht zu kennen schien, ließ ich ihn ihr indie asche gleiten. Dann ritten wir davon, da das Gewitter
sich verzog. Ein herrlicher Regenbogen schlug seine
Farben über den See.
»Jetzt werden wir Glück haben, weil wir den
Regenbogen sahen,« bemerkte meine abergläubische
ante,Am nächsten age sandte Ludwig der Kaiserin einen
wunderbaren Blumenkorb, ür mich lag ein herrliches
Jasminbukett bei; die begleitende Karte enthielt die vier
Worte:
»Für die kleine Sängerin.«
»Weißt du, was Ludwig von dir gesagt hat?« ragte dieKaiserin. »Er meinte, du erinnerst ihn ast schmerzlich
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an deine ante Sophie *. Ach – er kann sie nicht verges-
sen!«
Der abwechslungsvolle Besuch in Feldafing muß-
te schließlich enden. Beim Abschied sagte mir ante
Sissi, daß ich ihr in jeder Weise gefiele und daß ich imSeptember au einige Monate zu ihr nach Gödöllö kom-
men müsse.
* Die Herzogin d’Alençon.
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Drittes Kapitel
I
m September reisten meine Eltern mit mir nach
Gödöllö. Von Pest aus uhren wir per Extrazug; ich
machte die zweistündige Fahrt im Viehwagen beimeinen Perden, die sehr unruhig waren und nur durch
meine Nähe besänfigt werden konnten.
Am Bahnho erwartete uns die Kaiserin hoch zu
Roß. Ich sehe sie noch heute vor mir in ihrer sieghasten
Schönheit unter dem tielauen Herbsthimmel. Sie war
hocherreut über das Wiedersehen mit mir, und Papaund Mama schwelgten in eitler Freude über ihre offen-
sichtliche Neigung zu mir.
Gödöllö ist ein Jagdschloß in Ungarn, das dem Kaiser
von Österreich gehört. Das Haus ist ein großes, langes,
niedriges Gebäude mit kuppelörmigen ürmen. In der
Nähe sind ausgedehnte Waldungen, aber die nächsteUmgebung bildet eine Art sandiges Buschwerk. Elisabeth
ührte uns selbst au unsere Zimmer, aß aber nicht mit uns
zu Abend, und erst in der Frühe des nächsten Morgens
sah ich sie wieder, als ich die Aufforderung erhielt, mich
in ihre Gemächer zu begeben.
ante Sissi bot mir ein inniges »Guten Morgen« undorderte mich au, mich zu setzen.
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»Du siehst, Marie,« begann sie, »daß ich mein
Versprechen gehalten und dich hierher geladen habe.
Erinnerst du dich noch, daß ich dir bei unserem Abschied
in Feldafing vorschlug, bei mir bis Weihnachten zu blei-
ben?«»Wie hätte ich das vergessen können!« rie ich aus.
Die Kaiserin lächelte.
»Ich bin zu dem Entschluß gekommen, dich viel mehr
um mich zu haben. Dein Vater ist mein Lieblingsbruder,
ich liebe und achte deine Mutter und will alles ür dich
tun, was in meiner Macht steht. Aber der Dienst beimir ist nicht leicht, Marie. Er erordert vieles, dem ein
Durchschnittsmädchen nicht gerecht werden kann. Du
bist von meinem Blute, und das ist ein starkes Band.
Meine Stellung als Kaiserin von Österreich soll niemals
eine Schranke zwischen uns bilden. Für dich werde ich
immer ante Sissi sein, und ich werde in dir immer dieliebe kleine Marie sehen, die mich weinen sah und es kei-
nem verriet.«
Sie preßte meine Hand und uhr ort:
»Aber achte au meine Worte, mein Kind. Eines mußt
du dir in Gödöllö zu jeder Stunde des ages zur Regel
machen: du mußt blind und taub sein ür alles, was dusiehst und hörst, und deine Antwort au alle Fragen muß
lauten: ›Ja‹ und ›nein‹ oder ›ich weiß nicht‹ Ich werde
dich von allen Hofintrigen ernhalten, und ich warne
dich vor meiner Hodame Gräfin F. …, die zur Spionage
neigt.
Bis zum Beginn der reibjagden wirst du Mittag undAbend mit Valerie speisen; sie liebt dich, und du wirst si-
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cher des Kindes Anhänglichkeit nicht zurückstoßen.«
Und obenhin ügte sie hinzu:
»Ich hoffe, meine Worte haben dich nicht erschreckt,
Marie. Du wirst hier viel Zerstreuung haben. Und nun
begleite mich, ich will dir einiges von Gödöllö zeigen.«Elisabeth ührte mich in ihren kleinen Privatzirkus,
der die genaue Miniaturausgabe eines richtigen war. Mir
scheint, unsere ganze Familie muß mit einem Faible ür
Zirkusse behastet sein, denn mein Großvater, der Herzog
Maximilian, unterhielt einen Zirkus in München, wo er
unter dem rauschenden Beiall seiner Verwandten selbstaufrat, und auch ich muß ehrlich gestehen, daß es mich
stark zur Manege zieht.
In Gödöllö and ich einen Zirkusdirektor und eine
Menge wohltrainierter Zirkusperde, die durch alle
Finessen der hohen Schule gingen. Es waren sehr edle
iere, und es bot einen reizenden Anblick, wenn antein ihrem schwarzsamtenen Kostüm ihren kleinen
Araber rings um den Ring im anzschritt ührte. Für
eine Kaiserin war es reilich eine etwas ungewöhnliche
Beschäfigung.
Der erste ag der reibjagd in Gödöllö begann um
ün Uhr rüh; doch wir waren schon lange vorher au.Ich uhr mit ante die halbe Strecke zum Stelldichein, wo
die Perde au uns warteten. Dann hatten wir noch ei-
nen halbstündigen Ritt bis zu dem Orte, an dem das Feld
versammelt war. Gra Nikolaus Esterhazy, der Jagdleiter
war und in Megyar, in der Nähe von Gödöllö, wohnte,
begrüßte die Kaiserin ehrerbietig bei ihrer Ankunf undzeichnete mich durch ergiebiges Anstarren aus.
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»Nun, Baroneß,« sagte er, »erinnern Sie sich noch an
unsere Begegnung vor einigen Jahren?«
Ich entsann mich soort des schwarzäugigen Reiters in
Wien; doch da mir Gra »Nickys« barsche Manier miß-
fiel, erwiderte ich kühl:»O ja, ich vergesse niemals Leute, die mich so unhö-
lich anstarren wie Sie.«
Er lachte und sagte leise etwas zu Elisabeth. Die lächel-
te. Dann waren wir bald von einer Horde von Herren
umringt, die darau brannten, sich der Kaiserin bemerk-
bar zu machen. Unter ihnen war Aristides Baltazzi undder scharmante Gra Elemér Batthyany, der Sohn des be-
rühmten Opers der ungarischen Revolution. Sein Vater,
Gra Ludwig Batthyany, wurde vom Kaiser zum ode
verurteilt, entging jedoch dem Henker dadurch, daß er
sich im Geängnis vergifete. Seine gebrochene Witwe
ließ ihren Sohn schwören, unter keinen Umständen je-mals mit Franz Jose zu sprechen.
Die Kaiserin war den Batthyanys sehr gewogen, ja,
Elisabeth, die immer ein wenig mit der revolutionären
Partei kokettierte, zeichnete den Graen Elemér durch
viele Beweise ihrer Freundschaf aus.
Der Gra hielt treu an seinem Eide, und, obwohl erden Kaiser of au der Jagd tra, nahm er niemals von
seiner Gegenwart Notiz, und Franz Jose übersah seltsa-
merweise diesen offenen Affront. Ich glaube sogar, daß
er im Grunde die Haltung des ungarischen Edelmanns
achtete. Gra Elemér war der schönste Mann, den ich je
gesehen habe, und schon die Melancholie seines Wesensließ ihn mir interessant und romantisch erscheinen. Er
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war sehr liebenswürdig zu mir, und ich war viel mit ihm
zusammen. Wir ritten of miteinander aus, und allmäh-
lich glitt in diesen milden agen unsere Freundschaf
hinüber zur Liebe. Eines Morgens, als wir unter den gel-
ben Herbstblättern dahinritten, bat mich der Gra ummeine Hand. Ich konnte ihm natürlich keine endgültige
Antwort geben, denn meine Pflicht der Kaiserin gegen-
über erlaubte mir nur zu erwidern: »Ich weiß nicht.«
Elisabeths scharem Instinkt entging mein Geheimnis
nicht, und schon au dem Rückweg nach Gödöllö ragte
sie mich gerade heraus, wie mir Gra Elemér gefiele.»Er ist sicherlich sehr nett,« stammelte ich.
»Möchtest du ihn heiraten?«
»O, ante Sissi, darau kann ich nicht soort antwor-
ten.«
»Nun,« sagte Elisabeth leichthin, »mir scheint es eine
gute Partie ür dich. Du könntest ihn dahin beeinflussen,sich reundlicher zu dem Kaiser zu stellen. Aber, meine
liebe Marie, als Mann würde Elemér dich bitter enttäu-
schen.«
»Weshalb?« ragte ich.
»Frage nicht,« erwiderte sie. »In der Ehe würdest du
sehr bald das ›Weshalb‹ erahren.«Ich vertraute antes geheimnisvolle Äußerung dem
Graen Esterhazy an und ragte ihn, ob es irgend etwas
Fürchterliches in Elemérs Vergangenheit gäbe.
»Nicky« amüsierte sich gewaltig über meine Frage und
sagte:
»Ja, Baroneß, ich kann nur sagen daß BatthyanysVergangenheit bar alles Fürchterlichen ist. Nur seine
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Gesundheit prädestiniert ihn nicht sonderlich zur Ehe.«
Dann wurde er ernst und ügte hinzu:
»Ihre ante ist eine Egoistin, sie will Sie ganz ür sich
behalten, und selbst, wenn ich Ihnen einen Antrag ma-
chen wollte, würde sie Sie zweiellos vor mir warnen.«Dreimal in der Woche war Jagd. Ach, es war herrlich!
Elisabeth sah zu Perde berückend aus. Ihr Haar lag in
schweren Flechten um ihren Kop, darüber trug sie ei-
nen Zylinder. Ihr Kleid saß wie angegossen; sie wurde
jedesmal, wenn sie ausritt, hinein genäht. Hiermit meine
ich, daß der Schneider, nachdem sie die aille angezogenhatte, den Rock darannähte.
Den Grund dieser seltsamen Marotte habe ich nie ein-
sehen können. Sie trug hohe Schnürstieel mit winzigen
Sporen und zog drei Paar Handschuhe übereinander;
der unvermeidliche Fächer wurde stets in den Sattel ge-
steckt.Ehe es zur Jagd ging, genoß Elisabeth eine seltsame Art
Suppe. Sie bestand aus einer Mischung von Rindfleisch,
Huhn, Reh und Rebhuhn, alles durcheinander gekocht.
Dieser Extrakt war stärker als die stärkste Krafbrühe. Zu
der Suppe trank sie zwei Glas Wein, und während der
Fahrt zum Stelldichein nahm sie eine leichte Mahlzeit von belegten Brötchen und Wein.
ante war eine absolut urchtlose Reiterin. Ihr Anblick
au der Fährte bleibt mir ein unvergeßliches Bild. Sie
liebte Perde, und mochte sie abends auch noch so
müde sein, sobald sie sich umgezogen hatte, ging sie ihre
Lieblinge üttern. atsächlich verbrachten wir Stunden inden Ställen.
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Wenn die Kaiserin nicht sagte, ritt ich mit dem Kaiser
aus. Er war immer sehr liebenswürdig zu mir, und ich
glaube, daß er in jenen agen viel umgänglicher war,
als er es heute ist, wo nur meine Cousine Valerie das
Menschlichste an ihm sieht.Doch bei einer Gelegenheit war Franz Jose mit mir
ernstlich böse. Wir kamen an einen sehr breiten Graben,
und da ich natürlich annahm, daß er ihn im Sprunge
nehmen würde, hielt ich nicht an, als ich hinüber war,
um mich zu vergewissern, ob er olgte. Plötzlich bemerk-
te ich, daß ich allein war; als wir uns später traen, sagtemir der Kaiser, daß er sehr gekränkt sei.
»Aber warum?« ragte ich; »ich konnte doch nicht wis-
sen, daß der Graben ür Sie, Majestät, zu breit war.« Doch
die Wolke au der kaiserlichen Stirn verriet mir, daß ich
die Lage nur noch verschlimmert hatte.
Ich glaube immer, daß Franz Jose seine Volkstüm-lichkeit zum größten eile seinem gutmütigen Ausdruck
verdankt. Sein Gesicht ist in dieser Hinsicht sein Glück,
denn selbst am späten Abend seiner age wird er stets
nur bezeichnet als »dieser liebe alte Herr« oder »dieser
reundliche alte Herr«, und schließlich sollen diese ange-
nehmen Epitheta ja auch nicht ehlen au der Ehrentaelder vielen ugenden, die ihm im Gedächtnis der Nachwelt
bleiben werden.
Eines ages trat »Nicky« Esterhazy au mich zu und
erschreckte mich, indem er ohne jede Einleitung in sei-
ner brüsken Art sagte:
»Sie sind zu bedauern, Baroneß, daß Sie hier draußenerzogen werden. Aber wenn Sie den richtigen Mann wäh-
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len, wird er Sie noch jetzt vor dem bösen Einfluß retten,
der hier au Sie eindringt.«
»Nun, Gra,« ragte ich, »wo ist der rechte Mann?«
»Hier steht er,« erwiderte Esterhazy ernst; »Marie,
ich liebe Sie. Ich würde Ihnen ein guter Gatte werden.Sie werden weit glücklicher als meine Frau sein denn
als die Vertraute der Kaiserin. Überlegen Sie sich mei-
nen Antrag,« uhr er ort, »lassen Sie sich nur von Ihren
Geühlen leiten und ragen Sie nicht vorher die Kaiserin
um Rat. Darum bitte ich Sie, Marie.«
Doch am Abend erzählte ich, meinem Versprechen ge-treu, Elisabeth alles zu beichten, der Kaiserin des Graen
»Nicky« plötzliche Erklärung.
»Was soll ich ihm nun sagen, ante Sissi?« ragte ich
assungslos.
»O, . . .« erwiderte sie, »sag’, was du willst.«
Ich war roh, als sie mir »gute Nacht« sagte, denn sieschien sehr mißgestimmt.
Als ich wach im Bette lag und über die Antwort sann,
die ich dem Graen Esterhazy geben wollte, öffnete
sich die ür meiner Schlastube, und zu meiner starren
Überraschung trat die Kaiserin, eine Lampe in der Hand,
ins Zimmer.Sie war ganz in Weiß gekleidet; ihr Haar umhüllte sie
wie ein schwerer Mantel, und ihre Augen unkelten wie
die Lichter eines Panthers. Sie erschien mir so seltsam,
daß ich vor Furcht bebend wartete, bis sie den Mund öff-
nete.
»Schläst du, Marie?«»Nein, ante Sissi.«
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»Dann setze dich au und höre au das, was ich dir zu
sagen habe.«
Ich setzte mich gehorsam au, und sie uhr in kalten,
schneidenden Worten ort:
»Ich halte es ür meine Pflicht, dir zu eröffnen, daßGra Esterhazy eine Liaison mit einer verheirateten Frau
hat, die er liebt. Willst du jetzt, nachdem du das weißt,
noch seinen Antrag annehmen?«
Mein Einblick ins Leben, der sich seit meiner Ankunf
in Gödöllö beträchtlich vertief hatte, sagte mir zwar, daß
zahllose hübsche Mädchen dazu verurteilt sein würden,alte Jungern zu werden, wenn Liaisons mit verheirateten
Frauen als unüberwindliche Hindernisse betrachtet wür-
den bei Männern, die sie zu heiraten wünschten. Aber ein
Blick in antes Gesicht verriet mir, daß ich nicht wagen
durfe, in dem Graen Nikolaus einen Heiratskandidaten
zu erblicken.»Ich warte au deine Antwort, Marie.«
»O … ich werde ihn nicht heiraten,« murmelte ich,
und dann vergrub ich ohne Rücksicht au ante Sissi den
Kop in die Kissen und brach in ränen aus.
Als ich den Graen das nächste Mal tra, sagte ich ihm
in aller Kürze, daß ich nicht sein Weib werden könnte.»Ich hätte es mir ja denken können, daß Sie mit der
Kaiserin sprechen würden, ehe Sie mir Ihre Antwort gä-
ben,« war seine einzige Äußerung au meine Abweisung.
Um diese Zeit kam Kapitän William Middleton, der
unsterbliche Held der Jagd, nach Gödöllö zu einem
Besuch des Kaiserpaares. Elisabeth bemühte sich nicht,ihre Neigung zu dem amüsanten Schotten zu verber-
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gen, dessen Bekanntschaf sie in Irland gemacht hatte.
Wir schätzten ihn alle als einen außergewöhnlich netten
Burschen, denn obwohl »Rotkop« sso genannt wegen
seiner Haararbe) alles eher als hübsch war, hatte er doch
ür Frauen etwas Verührerisches und war ein glänzen-der Gesellschafer. In Kapitän Middletons Gegenwart
blieb niemand ernst.
Ich entsinne mich eines recht lustigen Zwischenalles
bei »Rotkops« erstem Besuch in Pest. Er hatte den
Wunsch geäußert, die Stadt zu sehen, und die Kaiserin
beorderte einen der Kammerherrn von Gödöllö, ihndorthin zu begleiten und heil zurückzubringen.
Man kann sich leicht die allgemeine Bestürzung vor-
stellen, als der Kammerherr ohne seinen Schützling zu-
rückkehrte. Die Kaiserin war außer sich; doch der Mann
konnte ihr nichts anderes berichten, als daß Kapitän
Middleton au eigene Faust zu einer »Forschungsreise«ausgezogen war mit dem Versprechen, ihn später im
Kasino zu treffen.
Wir dachten an Mord und plötzlichen od, doch nach
einer ür manche Leute schlaflosen Nacht tra in Gödöllö
ein elegramm ein, das meldete, der »Verlorene« befinde
sich au dem Polizeirevier in Pest. Es wurde ruchbar, daßder Kapitän, nachdem er seinen Führer abgeschüttelt
hatte, einer reizenden Dame von unbestimmter sozialer
Lebensstellung begegnet war, die ihn in ihr Haus einge-
laden hatte. Da »Rotkop« bald die Entdeckung machen
mußte, daß er in eine Diebshöhle geraten war, hielt er
es ür ratsam, in dem sicheren Haen des Polizeireviers vor Anker zu gehen, denn man hatte ihn bis au den
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letzten Heller ausgeplündert. Au seine Bitte hatte der
Revierbeamte nach Gödöllö telegraphiert.
Elisabeth tobte, als sie den Grund von »Rotkops«
Verschwinden eruhr. Doch sie vergab ihm bald, und
wir nahmen unsere lustigen Ritte in des KapitänsGesellschaf wieder au. Of überließ mich die Kaiserin
dem Stallmeister und ritt allein mit ihrem englischen
Freunde davon.
»Nicky« Esterhazy hörte hiervon und ragte mich, ob
es wahr sei.
»Aber, was denken Sie,« rie ich, »ich bin immer da-bei!«
»Nicky« blickte mich mißbilligend an und sagte:
»Sie sind noch ein junges Ding; es ist ein Jammer,
daß Sie in diese höfischen Intrigen eintauchen wie eine
Ente ins Wasser. Ich rate Ihnen, kleine Baroneß, kehren
Sie nach München zurück, ehe man Sie ganz verdorbenhat.«
Ärgerlich war ich den Kop zurück. Wer gab dem
Graen Esterhazy das Recht, mir Vorwüre zu machen?
Schließlich gehorchte ich nur antes Weisungen, niemals
etwas zu wissen, wenn man mir verängliche Fragen stell-
te. Sie war meine einzige Richterin, über die ich keineremde Kritik duldete. Ich war noch sehr empört, als ich
»Nickys« Worte der Kaiserin wiederholte.
Elisabeth lachte ihr kleines mokantes Lächeln.
»Ach,« sagte sie, »dann bist du ja gar nicht so dumm,
wie du aussiehst!«
Das war, um wenig zu sagen, ein Kompliment, das man vielleicht auch anders hätte ausdrücken können.
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Ich werde niemals den Nachmittag vergessen, an
dem Kapitän Middleton Gödöllö verließ. Elisabeth, die
den ganzen Morgen geweint hatte, beahl mir, in dem
Zimmer neben ihrem Boudoir zu sitzen, wenn »Rotkop«
Abschied nehmen kam. Das Gemach der Kaiserin hattedrei üren. Die eine ging in Madame Ferenzys Zimmer,
die zweite in die Stube, in der ich saß, die dritte in den
Korridor.
Ich fing schon an, des Wartens müde zu werden, als
ante, die ein auserlesenes Negligé trug, hastig herein-
kam und mir ein Zeichen gab, mich still zu verhalten.Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen; gereizt sag-
te sie:
»Sieh nach, Marie, wer an der ür ist. Ich bin ür nie-
mand zu Sprechen.«
Dann hörte ich jemand an die ür pochen, die in den
Korridor ührte. Ich eilte hinzu und ragte:»Wer ist da?«
»Der Kaiser,« antwortete eine Stimme, »kann ich her-
einkommen?«
»O, Majestät,« stammelte ich, »welch ein Mißgeschick,
daß ante Sie nicht empangen kann; sie probiert eben
einige neue Reitkleider an.«»Dann werde ich später wiederkommen,« antwortete
Franz Jose, und ich hörte den Schall. seiner sich enter-
nenden Schritte au dem Korridor.
Am Abend war ante sehr bedrückt.
Doch sie lobte mich, daß ich in meiner Verhandlung
mit dem Kaiser einen ganz ungewöhnlichen akt bewie-sen hätte.
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»Du hast richtig empunden, daß ich nicht wünschte,
irgend jemand sähe, daß ich geweint hatte,« bemerkte
sie.
Ich genoß in vollen Zügen die langen Ritte mit der
Kaiserin, die bisweilen einen Geallen daran and, sich alsKnabe zu verkleiden. Natürlich mußte ich ihrem Beispiel
olgen; doch ich entsinne mich noch der Scham, die
mich marterte, als ich mich zum ersten Male in Hosen
sah. Elisabeth bildete sich ein, daß diese verrückte Laune
in Gödöllö nicht allgemein bekannt war; in Wahrheit
sprach jedermann darüber. Nur Franz Jose, glaube ich,hatte keine Ahnung von dem, was aller Geheimnis war.
Der Kronprinz kam nach Gödöllö zur Jagd. Er war da-
mals achtzehn Jahre, gut gelaunt und sehr unterhaltsam,
wenn er Lust hatte. Doch ich hatte mein erstes Geühl
der Abneigung gegen ihn nicht verloren, und of kam es
zwischen uns zum Streit. Eines ages neckte er mich mitdem Graen Elemér.
»Man hat dich hierhergebracht, um ein hübsches, zah-
mes ier nach Mamas Geschmack zu heiraten,« spottete
er. »Kleine, dumme Marie, sei nicht so ügsam.«
»So lange ich nicht ür dich bestimmt bin, schadet es
nichts,« uhr ich ihn an.»Höre mal,« sagte Rudol, »du bist immer mit meiner
Mutter zusammen; sei einmal lieb und sag’ mir, was sie
treibt.«
»Da ist nichts zu sagen,« entgegnete ich.
Aber als ich die Kaiserin von ihres Sohnes Neugier un-
terrichtete, wurde sie sehr böse und sagte: »Er ist ein übel-wollender Knabe, du mußt vor ihm au der Hut sein.«
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So traurig es ist, muß ich berichten, daß Mutter und
Sohn sich nicht leiden konnten. Die Kaiserin sagte of,
daß sie Rudols Mutter nur durch Zuall sei. Alles, was
man über ihre große Liebe zu ihm geschrieben hat, ist
vollständig erunden. Meiner ante war Mutterlieberemd. Valerie reilich bildete eine Ausnahme. Sie glaubte,
ihre Kinder machten sie alt, und hatte einen Widerwillen
gegen alles, was, wie das Heranwachsen ihrer Kinder,
Zeugnis ablegte ür ihr Altern. »Ich will immer jung blei-
ben,« wiederholte sie mir immer und immer wieder.
Am nächsten age war Rudol sehr rech. Als er michau einem Ritt mit dem Graen Elemér tra, trieb er sein
Perd zwischen uns hindurch und lachte anzüglich. Ich
begegnete ihm später vor den Ställen und ragte ihn so-
gleich: »Warum hast du vorhin gelacht, Rudol?«
»Warum ich gelacht habe? Weil es mir immer Spaß
macht, Marie, wenn ich liebeskranke Mädel sehe. Elisa-beth … schmachtet genau so nach mir wie du nach
Elemér. Die dumme Pute glaubt, ich bin in sie vernarrt.
Und daher kann ich mit ihr machen, was ich will.«
»Du bist ein Renommist und ein Lügner!« rie ich.
»So? Na, sieh mal hier.« Und der Kronprinz öffnete
seine Briefasche und zeigte mir eine Photographie vonElisabeth …, au deren Rückseite sie einige leiden-
schafliche Worte geschrieben hatte.
»Gib mir das Bild,« gebot ich, »ein Schuf wie du ist
nicht wert, es zu besitzen.«
»Mein edeldenkendes Kind, verschwende deine Worte
nicht ür Elisabeth, sie ist nicht besser als die meisten jungen Mädchen.«
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Da verlor ich meine Beherrschung, vergaß meines
Vetters Rang und ohreigte ihn.
Rudol verbeugte sich in gezügeltem Haß. »Das werde
ich dir nicht vergessen!« knirschte er.
Beim Abendessen erzählte ich der Kaiserin den gan-zen Vorgang.
»Das war eine etwas unüberlegte at,« meinte sie.
»Rudol ist ein sehr geährlicher Feind.«
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Viertes Kapitel
Das waren age voll Glück in Gödöllö. Bisweilen
nahmen die Kaiserin und ich das Abendmahl zu-
sammen mit der kleinen Valerie, und gelegentlich
gesellte sich auch der Kaiser hinzu.Nach Gödöllö kam auch »Onkel Nando«, wie der
Großherzog Ferdinand von oskana im Familienkreise
genannt wurde. Der Großherzog markierte immer dem
Honarren, um Franz Jose zu belustigen; es gelang ihm
ungemein gut. Elisabeth sah mit gutmütiger Verachtung
au ihn herab, und ich erinnere mich »Onkel Nandos«als eines gutherzigen, nicht sehr adrett aussehenden
Mannes, der sich immer bemühte, eine Liebelei mit mei-
ner Mutter in Gang zu bringen.
»Geben Sie mir einen Kuß, Baronin,« sagte er in seiner
spaßigen Art.
Mamas ernste Antwort brachte alle zum Lachen.»Ich würde schon,« erwiderte sie, »aber, ehrlich gespro-
chen, sehen Sie zum Küssen nicht sauber genug aus.«
Die Kaiserin hatte ür den Großherzog den Spottnamen
»der Perlenfischer« erunden, weil jedesmal, wenn ein
neuer Sprößling in Salzburg eintra, Franz Jose dem klei-
nen Erzherzog oder der Erzherzogin ein Perlenhalsbandbescherte. Und da »Onkel Nandos« Familie sich Jahr
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um Jahr vermehrte, pflegte Elisabeth zu sagen: »Der
Perlenfischer wird bald eine hübsche Sammlung von
Perlen und Kindern haben.«
Of aß die Kaiserin allein mit mir zu Abend, und nach
der Mahlzeit ließ sie die Nadeln aus ihrem wunderbarenHaar enternen und es rei über ihre Schultern herabwal-
len.
Wenn sie glücklich und roh war und das Leben ihr
rosig erschien, ging sie aus sich heraus. Doch of war sie
düster, melancholisch und niedergedrückt durch die
Furcht vor dem Alter. Sie sah ihre Lebensaugabe darin, jung zu bleiben, und all ihr Sinnen drehte sich um die
besten Mittel zur Erhaltung ihrer Schönheit.
Elisabeth war au keine bestimmte Gesichtspflege ein-
geschworen. Manchmal gebrauchte sie nur eine eina-
che oilettencreme, gelegentlich trug sie nachts eine Art
Maske, die innen mit rohem Kalbfleisch »geüttert« war.In der Erdbeerzeit bestrich sie sich Gesicht und Hals mit
der zerdrückten Frucht.
Die Kaiserin nahm of warme Olivenölbäder, die nach
ihrer Meinung die Geschmeidigkeit der Figur erhalten
sollten. Aber einmal war das Öl ast kochend, und sie
entging mit genauer Not dem urchtbaren ode so man-cher christlichen Märtyrer. Sie schlie of mit euchten
üchern oberhalb der Hüfen, um ihre Schlankheit zu
bewahren, und trank aus demselben Grunde eine gräßli-
che Mixtur von ün oder sechs Weißeiern mit Salz.
Einmal im Monat wurden Elisabeths schwere kasta-
nienbraunen Zöpe mit rohem Ei und Branntwein ge-waschen und nachher mit einem »Desinektionsmittel«,
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wie sie es nannte, abgespült. Nach der Waschung ging die
Kaiserin in einem langen, wasserdichten Seidenmantel au
und nieder, bis ihr Haar getrocknet war. Die Frau, die das
Amt der Friseurin übte, sah man nie ohne Handschuhe,
die sie sogar, wie man sagte, nachts nicht ablegte. IhreNägel waren kurz geschnitten, Ringe waren ihr verboten.
Die Ärmel ihres weißen Kleides trug sie ganz kurz. Es ist
durchaus keine bloße Sage, daß die Haare au ante Sissis
Kop numeriert waren.
Die Kaiserin liebte kleine, dicht anschmiegende Hemd-
chen; ihre Beinkleider waren im Sommer aus Seiden-trikot, im Winter aus Leder. Ihre bunten Seiden- und
Moirékorsetts wurden in Paris gearbeitet; sie trug sie
nur einige Wochen. Sie hatten vorn keine Mechanik,
Elisabeth wurde vielmehr stets in ihre Korsetts hineinge-
schnürt; diese Prozedur dauerte bisweilen eine geschlage-
ne Stunde. Ihre seidenen Strümpe lieerte die LondonerFirma Swears & Wells, und in jenen vorstrumpänder-
lichen agen beestigte die Kaiserin sie mit Bändern an
das Korsett.
antes Wäsche war wundervoll und außerordentlich
sein. Ihre Nachthemden waren ganz einach, aber immer
mit mauve Seidenbändern durchzogen und gebunden.Unterröcke trug sie nie, und bei ihren rühen
Spaziergängen im Sommer zog sie die Schuhe über die
nackten Füße und trug das Kleid unmittelbar au dem
nackten Körper.
Bei diesen Promenaden duldete sie auch keinen Hut;
doch die Sonnenschirme, die sie trug, waren groß, plump,mit Leder geüttert, sehr unelegant und schwer.
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Einen eil ihres agewerkes bildeten Sommer und
Winter ihre leidenschaflich betriebenen Spaziergänge
von vier oder ün Stunden. Ja, sie konnte sogar neun
oder zehn Stunden hintereinander marschieren, ohne zu
ermüden. Aber ihre Hodamen besaßen nicht die glei-che Begabung der Beine, und man kann von ihnen ast
behaupten, daß sie sich aus ihrem Dienst »marschier-
ten«. Schließlich untergrub dieser übermäßige Sport die
Gesundheit der Kaiserin, da sie auch nur gerade soviel
Nahrung nahm, als die Erhaltung ihres Körpers unbe-
dingt orderte.Elisabeth schlie in einer einachen Eisenbettstelle,
die sie au allen Reisen mit sich ührte. Sie verschmähte
Kopissen und lag ganz flach, wahrscheinlich, weil ihr
irgend jemand eingeredet hatte, daß dies ihre Schönheit
wohltätig beeinflusse.
Die Kaiserin haßte Parüm; in ihrer Umgebung warsein Gebrauch streng untersagt. Sie machte sich nichts
aus Edelsteinen, wenn sie auch bei Staatseiern in herrli-
chen Kleinodien prangte. Niemals litt sie einen Schmuck
am Finger, doch sie trug einige Ringe an einer Kette um
den Hals. Hingegen hatte ante eine Vorliebe ür Perlen
und besaß viele seltene und kostbare Exemplare, denensie häufig die »Seebehandlung« angedeihen ließ, die ihre
Reinheit und ihren Glanz risch halten soll.
Elisabeth verbrachte Stunden bei ihrem Schneider mit
dem Anprobieren ihrer Reitkleider, denn sie war sehr
schwer zuriedenzustellen und studierte den Schnitt und
Wur im Sattel eines Holzperdes, das vor einem großenSpiegel stand. Ich höre schon, wie einige Leute sagen:
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»Alles ist eitel.« Aber ante betrachtete die Augabe, sich
gut zu kleiden, als die Pflicht einer Kaiserin.
»Die Leute erwarten, daß ich immer schön und ele-
gant aussehe,« sagte sie of zu mir.
»Ich bedaure es of, daß sie ihre Herrscher nicht indem Gepränge vergangener age sehen können, wie die
Könige und Königinnen der Sage. Manche Fürsten klei-
den sich wie Spießbürger und bilden sich ein, ihre Würde
verleihe ihnen hinreichend äußeren Glanz. Doch da ir-
ren sie sich, ihre Untertanen bedauern schmerzlich ihre
geschmacklose Erscheinung. Die Prinzessin von Wales *
ist außer mir die einzige Frau in Europa, die in der Art,
sich zu kleiden, eine hohe Kunst sieht, und einen eil ih-
rer Beliebtheit verdankt sie sicherlich dem akt, mit dem
sie ür jede Gelegenheit das passende Kleid zu wählen
weiß.«
Eines ages bemerkte ich beim Stelldichein ein neuesGesicht. Eine schöne Frau lenkte meine Aumerksamkeit
au sich, die sehr sonderbar au ihrem Perde kauerte.
Es war die Baronin Vetsera, die Mutter Mary Vetseras,
deren Name unlöslich verknüpf ist mit der ragödie
von Meyerling. Aristides und Hektor Baltazzi, die bei-
den Brüder der Baronin, waren zu Besuch bei »Nicky«Esterhazy, und alle schienen sehr bereundet mit dem
Kaiserpaare. ante selbst stellte mich der Baronin vor,
eine atsache, die in krassem Widerspruche steht zu der
Behauptung, ich hätte die Vetseras erst lange nach meiner
Verheiratung kennen gelernt. Elisabeth erzählte mir viel
* Jetzige Königin Alexandra.
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von dem Gerede, das über die Baronin im Umlau war,
und ließ durchblicken, daß Rudol sie, einem Gerücht
zuolge, ür außerordentlich sympathisch gehalten haben
sollte, als die ersten Liebesgedanken in ihm wach wur-
den.Um diese Zeit beschloß die Kaiserin den Besuch von
Prag, da sie in Böhmen jagen wollte. Ich begleitete sie.
Wir verließen Gödöllö um acht Uhr abends mit dem kai-
serlichen Luxuszug, der aus einem Salonwagen bestand,
an den sich das Schlagemach der Kaiserin anschloß,
das mit dem meinigen in Verbindung stand. Ihre beidenZoen und die Hodame waren in den nächsten Waggons
untergebracht, und auch ür die Herren des Geolges, die
zwei Stunden später den Zug besteigen sollten, war hin-
reichend Raum und Bequemlichkeit.
Ich nahm das Abendbrot mit der Kaiserin ein, die in
heiterster Stimmung war und mir eine Geschichte er-zählte, in der sie als itania, der Kaiser als Oberon und
ein junger ungarischer Offizier, Gra Imry Hunyadi, als
liebeskranker Ele Imo eine Rolle spielte. Diese Allegorie
bezog sich au Elisabeths erste Ehezeit, als sie nach einer
schweren Krankheit nach Madeira reiste. Gra Hunyadi
gehörte zu ihrem Geolge. Was wirklich geschehen ist,weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß der diensttuende
Kammerherr sie mit positivem Erolge belauschte. Der
Gra wurde nach Wien zurückberuen, und Elisabeths
Auenthalt in Madeira and ein jähes Ende.
Ich trank zum Abendbrot eine Menge bayrisches Bier,
das mich müde machte; so schickte ante mich zu Bett.Ihre Zoen entkleideten sie, und bald unterbrach nichts
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mehr die Stille als das Donnern des Zuges, der durch die
Dunkelheit dahinstob.
Zu unserer Ankunf in Pardubitz am nächsten Morgen
hatte sich der böhmische Adel zahlreich eingeun-
den. Eine große Vorstellung erolgte, die ante höchst-lich langweilte. Sie war roh, als wir wieder in unserem
Waggon und au dem Wege zu dem kaiserlichen Gestüt
Kladrub waren.
Ich schlie in der Sakristei der Kapelle, in die das
Mondlicht durch zwei hohe Fenster hereinströmte, die
au die Gärten hinausblickten. Am Morgen war ich rühau und uhr mit der Kaiserin nach Pardubitz, wo die
Herren des Geolges Wohnung genommen hatten. Dort
wurde ich dem Fürstenpaare Fürstenberg vorgestellt. Der
Fürst war Jagdleiter. Die Fürstin war rüher einmal die
Vertraute der Kaiserin gewesen, doch eine Spannung war
zwischen ihnen entstanden, und jahrelang waren sie ein-ander nicht mehr begegnet.
Nachdem die Kaiserin die Ställe besichtigt hatte, be-
suchten wir den Fürsten Auersperg, bei dem ich zum
ersten Male die ganze Familie Larisch sah. Mein zukün-
tiger Mann, Gra Georg, war damals ein scheuer kleiner
Leutnant, dessen etwas einältiges Gesicht durch Pickelnicht gewann.
Meine ante ging an diesem Abend um acht Uhr schla-
en; ich zog mich in meine Sakristei zurück und schlie
ausgezeichnet in den heiligen Räumen. Ich war rüh au
und, von den tausend Stimmen des Morgens verlockt,
schlüpfe ich in mein Reitkleid und galoppierte hineinin den jungen ag. In der Nähe von Pardubitz tra ich
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»Nicky« Esterhazy, der auch einen einsamen Ritt genoß,
und rie ihn mit herzlichem Gruße an.
Doch er erwiderte mein Willkommen nicht, sondern
sagte ärgerlich:
»Es ist sehr unklug von Ihnen, Baroneß, allein auszu-reiten. Ich muß mich über Ihr Benehmen als Begleiterin
der Kaiserin wundern.«
»Danke sehr,« erwiderte ich, »geben Sie acht, daß Ihr
Perd sich keinen Schnupen holt.« Damit ließ ich ihn
stehen.
Ich erzählte ante die Begegnung mit »Nicky«, aber sielachte nur.
»Warum verolgt uns dieser zudringliche Mensch über-
all hin?« ragte ich.
»Ach, Marie, er ist doch so nett,« war ante Sissis
Antwort.
Diese Äußerung »er ist doch so nett!« war typisch ürsie; sie brauchte sie immer, wenn sie von Leuten sprach,
die sie gern hatte.
Nach dem Dejeuner uhren wir hinüber nach Slatinan
zum Schloß des Fürsten Kinsky, wohin eine esche
Gesellschaf als Empang ür die Kaiserin geladen war.
Wir wurden mit großer Zeremonie in einen weitenSaal geührt, und ich begann meine gesellschafliche
Machtstellung als Lieblingsnichte der Kaiserin zu emp-
finden. Man bot uns ee an, den Elisabeth verabscheu-
te. Sie hatte den kalten, hochmütigen Ausdruck, den sie
immer trug, wenn sie im »Geschirr« war, wie sie diese
Cercle nannte. So of mein Blick den ihren tra, huschteein kleines verächtliches Zucken über ihr Gesicht, und
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die eetrinkerei wurde ein ziemliches Fiasko, da die
Kaiserin keine Anstalten tra, die achtungsvolle Steieit
der Gäste zu bannen.
Ich saß neben Georg Larisch und kam zu der Über-
zeugung, daß ich meinen Lebtag keinem verzweielterlangweiligen jungen Manne begegnet war. Fast erstarrt
von der eisigen Atmosphäre ringsum, war ich roh, mit
ante Sissi zu entrinnen und Fürst Kinskys berühmte
Ställe zu besichtigen. Wir lobten seine Perde und Hunde
nach Gebühr und nahmen Abschied.
Au dem Heimweg ragte mich die Kaiserin: »Washältst du von Georg Larisch?«
»Ich denke, er sollte etwas gegen seine Pickel tun,« er-
widerte ich; »und welch ein unzuriedener, unglücklicher
Mensch scheint er zu sein!«
»Georg ist der Neffe des alten Graen Larisch,« sag-
te die Kaiserin, »seine Eltern sind tot. Seine Mutter wardie schöne Helene Stirbey, sein Vater starb im Irrenhaus.
Georg wurde von seinem Onkel Johann Larisch erzo-
gen, und ich glaube, der arme Junge ist immer etwas
zurückgesetzt worden. Er hat zwei Schwestern – Yetta,
die ihren Vetter Heinrich geheiratet hat, und Mitzi, die
noch nicht ›ausgeht‹. So, Marie, da hast du die ganzeFamilienchronik.«
ante machte eine Pause und uhr dann sehr ernst
ort:
»Liebste, der ag ist nicht ern, an dem du wirst heira-
ten müssen. Ich würde au jeden Mann, der zwischen uns
träte, schrecklich eiersüchtig sein, wenn er mich hindernwürde, dich zu sehen, wann immer ich danach verlange.
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Dieser harmlose kleine Larisch würde sich nie in das
un und Lassen seiner Frau einmischen, das glaube ich
bestimmt. Er wäre just der rechte Mann, an den ich dich
verheiratet sehen möchte.«
»Aber, ante Sissi – ich kann doch nicht mit solchemEinaltspinsel wie Gra Georg zusammenleben!« rie ich.
»Was das anlangt,« erwiderte Elisabeth, »so kann eine
Frau aus unserer Welt nur einen Einaltspinsel als Mann
brauchen. Laß den Geist von außen kommen. Also, mein
Kind, überlege dir meinen Vorschlag. Wenn dir diese Ehe
möglich scheint, könnte sie leicht in der nächsten Saisonarrangiert werden.«
Am nächsten age uhren wir nach Prag, da Elisabeth
die alte Kaiserin Maria Anna im Hradschin besuchen
wollte. Während wir durch die Stadt uhren, machte mich
die Kaiserin darau aumerksam, daß ich mich zurück-
haltend zu benehmen hätte, da wir die adeligen Damen vom Orden der Heiligen Teresa antreffen würden, die
im Hradschin ihr Klosterleben ühren.
Der Zweck dieses Ordens ist der, alleinstehenden
Damen vornehmer Geburt ein Heim und ein sorgen-
loses Dasein zu schaffen. Sie erhalten eine Flucht von
Zimmern im Palast, Pension aus den kaiserlichen Küchenund Wagen und Perde aus den Ställen.
An ihrer Spitze steht immer eine Erzherzogin, die als
Äbtissin das hohe Vorrecht genießt, die Königinnen von
Böhmen zu krönen. Wenn der Kardinalerzbischo von
Prag die Krone des Heiligen Wenzeslaus dem Kaiser von
Österreich aus Haupt setzt bei seiner Krönung zumKönig von Böhmen, legt die Äbtissin dieses Ordens die
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Krone der Königin von Böhmen seiner Gemahlin aus
Haupt. Dies ist der einzige Fall, in dem eine Frau zur
Ausübung voller priesterlicher Weihe von der römisch-
katholischen Kirche ermächtigt wird, ein Privileg, das
dem Orden seit Jahrhunderten zusteht.Als wir die Equipage verließen, flüsterte Elisabeth mir
zu, voranzugehen, und als ich die lange Vorhalle betrat,
sah ich mich im Kreise einer Anzahl knicksender alter
Damen, von denen eine mit einem großen Bukett au
mich zustürzte und mir die Hand küßte. Die Kaiserin
lachte ausgelassen, doch die alten Damen eraßten nichtrecht den Witz und betrachteten mich mit so eindlichen
Blicken, daß ich roh war, als ich mich in die Sicherheit
unserer Gemächer geborgen hatte.
ante Sissi besuchte soort die Kaiserin Maria Anna,
und ich aß zum Abend allein in einem großen, dunk-
len Gemache. Ich war gerade ertig geworden, als dieür auging und Elisabeth mit einer sehr hageren gro-
ßen Frau hereintrat. ante gab mir ein Zeichen, näher zu
kommen, und die Fremde, die niemand anderes war als
die Kaiserin Maria, küßte mich. Ich entsinne mich eini-
ger reundlicher Bemerkungen, die sie machte, dann sag-
te Elisabeth gute Nacht und äußerte dabei:»räume nicht von alten Damen, Marie, sie bringen
Unglück.«
Ich habe zwar nicht von alten Damen geträumt, den-
noch lie am nächsten Morgen die traurige telegraphi-
sche Nachricht aus Pardubitz ein, daß ein schwerer Frost
eingesetzt hätte. Das machte allen Jagdplänen ein Ende:So kehrten wir nach Pest zurück, wo wir von den ent-
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täuschten Herren Abschied nahmen, und dann ührte
uns der Sonderzug hurtig nach Gödöllö zurück.
Weihnachten eierte ich mit der Kaiserin und amüsier-
te mich prächtig. Fest olgte au Fest, und die glückliche,
riedevolle, trauliche Stimmung der Seiertage herrschteüberall. Drei große Christbäume waren mit Geschenken
beladen, und Rudol und ich teilten einen isch zwi-
schen uns, der mit Bonbons überschüttet war. Ich weiß
noch genau, wie er mich damit ärgerte, daß er die Ecken
meiner Süßigkeiten abknabberte und sie dann in die sei-
denen Schachteln zurücklegte.Der Kaiser schenkte mir ein wunderschönes schwar-
zes Emaillekreuz mit eingelegten Diamanten, einige rei-
zende Armbänder und niedliche Fächer. Von ante Sissi
erhielt ich traumhaste Kleider, die nur Schöpungen eines
großen Wiener Schneiders sein konnten, und last but not
least erhielt ich ein großes Album mit einem Gemälde von Gödöllö au dem Einband, das die Photographien
der hervorragendsten Jagdgenossen enthielt.
Nach Weihnachten kehrte ich nach München zurück.
Meine Erzieherin und Papas Adjutant holten mich ab; wir
unterbrachen die Reise in Wien und blieben die Nacht in
der Hourg.Viel Wasser war durch die Brücken geflossen, seit ich die
Heimat verlassen hatte. Ich ühlte die große Veränderung,
die mit mir vorgegangen war, und wußte, daß ich nie
wieder ganz die jungenhaste offenherzige Marie von
Wallersee werden konnte. Die Kaiserin beherrschte voll-
ständig meinen Sinn. Ich wußte, daß ihr Einfluß michnicht nur zu meinem Vorteil verändert hatte, und konnte
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dennoch ihrem Charme nicht widerstehen. Und in dem
Bewußtsein, meilenweit von ihr enternt zu sein, tat mir
das Herz vor Sehnsucht nach ihr weh, und nur der eine
Wunsch, sie wiederzusehen, beseelte mich.
Zu Beginn des Jahres ging ich au meinen ersten Ball.Mein herrliches weißes Spitzenkleid mit Rosengirlanden
war ein Geschenk der Kaiserin. Der bloße Anblick ihrer
Handschrif stimmte mich traurig, und ich verabscheu-
te die braven Biederleute, mit denen ich in Berührung
kam. Dann blitzte der Gedanke in mir au, daß Elisabeth
mich vielleicht nur ihren Verluf empfinden lassen wollte,damit ich selbst den Weg zu ihr zurückände, plötzlich
erinnerte ich mich ihrer Worte au der Rückahrt vom
Fürsten Kinsky. Vielleicht ging der Weg aus meinem
Kummer über die Ehe mit Georg Larisch. War ich erst
einmal mit ihm verheiratet, dann hatte niemand mehr
mir Vorschrifen zu machen. Ich konnte ante Sissi be-suchen, so of sie es wünschte, und meine rasch Reisende
Lebenserahrung sagte mir, daß ich ihr als Gräfin Larisch
vielleicht nützlicher sein konnte, denn als ihre kleine un-
verheiratete Nichte.
In diesem Jahre tra ich die Kaiserin in Feldafing, aber
diesmal begleitete sie die Gräfin Festetics. Der Grundwurde bald klar, da die Gräfin mit der Familie Larisch
sehr bereundet war. ante Sissi sprach von meiner Heirat,
und ich war über das Wiederseben so glücklich, daß ich
den euel in eigener Person genommen hätte, wenn sie
es gewünscht haben würde.
»Ich wünsche, daß du die Gräfin nach Solza begleitestund eine Woche bei den Larischs bleibst,« sagte sie mir.
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»Dann könnt ihr beide zu mir nach Gödöllö kom-
men.«
Die Gräfin Festetics und ich blieben zwei age in Wien,
ehe wir nach Solza uhren, wo ich enthusiastisch emp-
angen wurde und eine sehr glückliche Zeit verlebte. Ichzeigte mich von meiner besten Seite, und es entging mir
nicht, daß die ganze Familie in Georgs Heirat mit mir
einen großen Schritt der Erhebung der Larischs zu ürst-
lichem Range erblickte.
Ich war viel mit Georg zusammen, der sich bei seinem
Oheim auielt, und and ihn noch immer langweilig unduninteressant genug. Aber, überlegte ich, welche Frau hei-
ratet ihr Ideal! Ideale sind im Leben sehr unbequem. Und
die Liebe – die ist in der Ehe nicht immer wünschenswert;
denn wo Liebe ist, ist auch Eiersucht, und die bringt Pein.
Es ist sicherlich viel besser, man hat sich gern und liebt
sich nicht, und ich kann mit gutem Gewissen sagen, daßich Georg nicht ungern mochte. Schließlich ist er einer
von den erträglichen Alltagsmenschen.
Gra Heinrich Larisch allein war mir gegenüber ehr-
lich.
»Ich weiß« sagte er, »daß die Kaiserin Sie und meinen
Vetter verehelicht zu sehen wünscht; ich halte es aber ürmeine Pflicht, Ihnen nicht vorzuenthalten, daß eine sol-
che Heirat nicht zum Glück ausschlagen wird. Georg ist
ein Sonderling voller Launen und ein Dickkop.«
»ante Sissi wünscht es,« erwiderte ich halsstarrig.
»Und ihr Wunsch ist mein Wunsch.«
Als daher Georg mir noch am nämlichen age seinenAntrag machte, nahm ich seine Werbung an. Doch als er
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mich küßte, hielt ich still wie ein Operlamm und wein-
te, als ich mich der Worte meiner Heldin erinnerte: »Der
Dienst bei mir ist nicht leicht.« Ach, ich begann schon
seine Bürde zu ühlen!
Als Braut des Graen Larisch kehrte ich nach Gödöllözurück. Und die ungeheuchelte Freude der ante versöhn-
te mich etwas mit meinem Geschick. Nach dem Wunsche
der Kaiserin sollte die Hochzeit in sechs Wochen stattfin-
den. So lebte ich in einem Wirbel nicht unangenehmer
Auregungen, denn welches junge Mädchen kann dem
Zauber einer märchenhasten Aussteuer widerstehen?Meine Eltern kamen nach Gödöllö, doch sie nah-
men nicht tätig teil an den Vorbereitungen zu meiner
Hochzeit.
ante Sissi sorgte ür alles. Aus Wien kam der geradezu
kaiserliche rousseau; Franz Jose schenkte mir die kost-
barsten Spitzen ür mein Brautkleid, und die Kaiserin be-scherte mir ein wunderbares Perlenhalsband. Ich wurde
mit wertvollen Geschenken überschüttet, und alle gratu-
lierten mir. Nur einer nicht.
Dieser eine war Gra Nikolaus Esterhazy, den ich ei-
nes ages zuällig allein tra. Er blickte mich mit tiester
Verachtung an und sagte mit brutaler Offenheit:»Baroneß, ich kann Ihnen nicht Glück wünschen. Ich
habe keine Achtung vor einem Mädchen, das sich an ei-
nen Affen verkauf.«
Dies waren die letzten Worte, die Nikolaus Esterhazy
damals an mich gerichtet hat, denn wo und wann ich
ihm auch immer später begegnete, nahm er niemals diegeringste Notiz von mir.
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Am Abend vor meiner Hochzeit veranstaltete die
Kaiserin mir zu Ehren eine Soiree. Gerade als ich die
reppe herabkam, begegnete ich dem Kronprinzen
Rudol, der hinauging. Er blieb stehen und sagte mir,
daß er gerade mich suche.»Ich habe etwas ür dich, hier ist es.« Mit diesen Worten
reichte er mir ein flaches Maroquinetui. »Öffne es,« üg-
te er hinzu, »und sage mir, ob mein kleines Souvenir dir
geällt.«
Ich öffnete das Etui, das eine Brosche mit einer riesigen
schwarzen Perle enthielt. Ich erschrak hefig, denn ichhabe immer ein Bangen davor gehabt, schwarze Perlen
zu tragen.
»Nanu, bist du etwa ebenso abergläubisch wie Mama?«
ragte mein Vetter. »Meine liebe Marie, du selbst machst
dich unglücklich ürs ganze Leben durch diese närrische
Heirat. Meinst du nicht auch im Grunde deines Herzens,daß es eine ganz verrückte Idee ist? Sicher tust du es nur
Mama zu Geallen.«
Rudol sprach so ernst, daß ich ihm sein offenes Wort
nicht übelnehmen konnte.
»Es ist jetzt zu spät, die Dinge ungeschehen zu ma-
chen,« erwiderte ich.»Nun, jedenalls gib meiner schwarzen Perle nicht die
Schuld,« erwiderte er.
Au der Soiree versammelten sich die Hochzeitsgäste.
Unter ihnen war der Gra und die Gräfin Julius Andrássy
mit ihrer ochter Eleonore, Fürst Kinsky und Fürst
Auersperg, die Georgs Brautührer waren, und meineBrautjungern Finchi und Mitzi Larisch.
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Onkel Nando war natürlich auch dabei. Er liebte
Familieneste leidenschaflich, weil es dabei viel und gut
zu essen gab und auch weil sie ihm Gelegenheit boten,
seine ehrwürdigen Witze ahnungslosen Gästen zu ver-
setzen. Ich reute mich aber doch, sein röhliches Gesichtzu sehen, denn mir war sehr weh zumute, und schließlich
war er doch sehr liebenswürdig und weit mehr Mensch,
als so mancher unter den übrigen Gästen. Die süße
kleine Valerie erstickte mich mit ihrer Zärtlichkeit, und
ante Sissi brachte mir mehr Innigkeit entgegen, als ich
ihr zugetraut hätte. Und doch wünschte ich, ich könnteerwachen und erkennen, daß alles nur ein raum war.
Doch mein Hochzeitstag brach an, und ich wußte, daß
ich der Wirklichkeit des Lebens ins Auge schauen mußte.
Es war der 20. Oktober 1877, einer jener age voll herbem
Herbstduf. Es war mir nicht beschieden, in der Jahreszeit
zu heiraten, in der die Welt schwelgt im Überschwangedes Frühlings. Keine Braut des Sommers sollte ich sein,
die au einem eppich von Rosen wandelt und den
Glanz der Liebe und der Sonne rings um sich ühlt. Ich
wurde in dem Monat verheiratet, der den Stempel des
Vergehens au die letzten purpurgelben Blätter drückt
und sie zur Erde wirbelt. Keine Sommersonne leuchtetemir. Es war die Jahreszeit der leidenden Hoffnungen, und
die letzten Rosen hatten rühe Fröste erstarrt, Boten des
nahenden Winters.
Fast mechanisch ließ ich mir das Brautkleid aus
weißer Seide anlegen und die Orangeblüten wie ein
Diadem ins Haar stecken. Mein Spitzenschleier war mitDiamantnadeln beestigt, und äußerlich schien ich eine
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glückliche, junge Braut.
Die rauung vollzog ein ungarischer Bischo in der
Privatkapelle von Gödöllö, dann olgte ein opulentes
Diner, dem Onkel Nando alle Gerechtigkeit widerah-
ren ließ. Mein Kleid war so eng, daß ich nichts zu essenwagte; ich war sehr roh, als ich es mit einem bequeme-
ren Reisekostüm vertauschen durfe. Endlich nahte die
Stunde unserer Abreise nach Wien. Der Kaiser küßte
mich herzlich und wünschte mir viel Glück. Meine Eltern
boten mir den althergebrachten Familienabschiedsgruß,
Onkel Nando hielt eine scherzhaste kleine Rede, danntrat ante Sissi, bleich, aber engelhast schön, au mich zu
und schloß mich in die Arme. Wir hielten uns wortlos
umschlungen, ohne Rücksicht au die Anwesenden.
Die Kaiserin weinte bitterlich. Vielleicht empand sie
im Augenblick des Abschieds Mitleid mit mir in dem
Bewußtsein, wie blind ich ihrem Wunsche, Georg Larischzu heiraten, gehorcht hatte. Ich weiß es nicht genau, aber
ich möchte es doch wenigstens gern glauben …
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Fuenftes Kapitel
W
ir verbrachten die Flitterwochen in Paris;
wie manche andere Hochzeitsreise war es
keine Glücksahrt, doch mein Verstand sag-te mir, daß ich nichts anderes zu erwarten berechtigt war.
Ich hatte den Graen Georg Larisch lediglich geheiratet,
weil es ante Sissi paßte, und mein Hauptreiz in seinen
Augen war mein nahes Verwandt-schafsverhältnis zu der
Kaiserin von Österreich. Ich war durchaus darau gesaßt,
nicht glücklich, aber ich war nicht darau vorbereitet,gepeinigt zu werden. Doch in dieser ersten Zeit kamen
bei Georg viele jener Eigentümlichkeiten zum Vorschein,
vor denen sein Vetter mich gewarnt hatte.
Von Paris gingen wir nach London, die Kaiserin zu er-
warten, die Combermere Abbey gemietet hatte und dort
zu jagen beabsichtigte.Wir nahmen im Claridge Wohnung, das damals ein
dunkles, unbequemes Gasthaus und nicht wie jetzt ein
Hotel mit prächtigen, schönen Zimmern war. Bei unse-
rer Ankunf anden wir den König und die Königin von
Neapel dort vor. Ich war außer mir vor Freude, ante
Sophie zu sehen, denn sie hatte mir immer große Liebeund Güte erwiesen. Ich glaube, sie war eigentlich schöner
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als ihre Schwester Elisabeth, die sie in lächerlicher Weise
kopierte. Ihr ausgeprägtester Charakterzug war ihre un-
gewöhnliche Gutmütigkeit. Die Königin hing sehr an
meinem Vater und liebte meine Mutter innig, und da sie
eine vernünfige lebensrohe Frau war, verbrachte ich an-genehme age mit ihr in London.
Nach unserer Ankunf hatte ich eine oder zwei bittere
Szenen mit meinem Manne. Nichts konnte ich ihm recht
tun. Erst weinte ich, dann wurde ich hefig.
»Wie töricht war ich, nicht au Heinrich zu hören, als
er mir abriet, dich zu heiraten!« flammte ich eines agesau.
»Wie töricht war ich, die Ehre meiner Familie durch
die Ehe mit der ochter einer Schauspielerin zu schän-
den!« gab er mir zurück.
Diese Schmähung meiner geliebten Mutter mach-
te mich rasend, und ich gab ihm eine unbeherrschteAntwort.
»Mein Onkel trägt an allem die Schuld,« tobte Georg.
»Sein blinder Ehrgeiz ging darau hinaus, mit dem
Kaiserhause verwandt zu werden; mein eigenes Wohl
war ihm völlig gleichgültig.«
Meinen Mann verolgte die Angst vor Anzeichen derGeisteskrankheit seines Vaters; in müden Stunden pfleg-
te er mich anzuflehen, ihn nicht zu verlassen, wenn er je-
mals Symptome des Wahnsinns zeigen sollte, und vor al-
lem, ihn niemals in ein Irrenhaus zu sperren. Ich konnte
diese Furcht niemals verstehen, vielleicht deswegen nicht,
weil ich dem Wahnsinn gegenüber stump geworden wardurch die Erahrung, wie plötzlich er die Habsburger
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und meine eigenen nahen Verwandten des bayrischen
Königshauses überfiel.
Gra Georg und ich empfingen die Kaiserin am Bahn-
ho; sie küßte mich immer und immer wieder, dann uh-
ren wir ins Claridge zurück, wo eine große Flucht vonZimmern ür sie reserviert war. Nachdem sie eine Weile
mit der Königin von Neapel geplaudert hatte, ließ sie
mich ruen.
Als ich eintrat, betrachtete Elisabeth mich mit ei-
nem sonderbar zynischen Blick. Dann sagte sie ohne
Einleitung:»Nun, … wie verträgst du dich mit Georg?«
»Wie ich mich mit ihm vertrage?!« –
da brachen meine zurückgedämmten Geühle hervor,
und ich sagte ihr alles. Die Kaiserin hörte aumerksam zu
und meinte dann:
»Schade, daß er so diffizil ist. Jedenalls, mein liebesKind, mußt du gute Miene zum bösen Spiel machen. Zank
dich nicht mit ihm und – amüsiere dich nach Kräfen.«
Sie zog die Schultern hoch, während sie sprach, und
ich konnte sehen, daß Georg ür sie abgetan war.
Elisabeth hatte ihren Hostaat mitgebracht. So tra
ich meine rüheren Bekannten wieder: die FürstinFürstenberg, Gräfin Festetics und Dr. Wiederhoer. Die
Kaiserin machte und empfing viele Privatbesuche, und
als ich die schöne Prinzessin von Wales das erstemal
sah, teilte ich vollkommen die Wertschätzung meiner
ante. Die verstorbene Herzogin von eck, eine hübsche,
stattliche Frau, besuchte Elisabeth mit ihren Kindern;ich entsinne mich der jetzigen Königin von England als
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eines niedlichen kleinen Mädchens. Ihre Brüder waren
schmucke Jungen.
Eines ages orderte die Kaiserin mich au, sie nach
Windsor Castle zu begleiten. ante Sissi, die Königin
Viktoria als Herrscherin sehr bewunderte, bedauertedie Langeweile ihres Hoes und die etwas audringliche
Einachheit, die den Tron umgab. Sie empand es daher,
glaube ich, heimlich recht angenehm, daß unser Ausflug
nach Windsor au einen Nachmittagsbesuch beschränkt
blieb.
Eine königliche Equipage erwartete uns am Bahnhound brachte uns zu dem Schlosse, wo ich lange Zeit in
einem sehr prunkvollen Gemach allein blieb, bis endlich
die Königin und die Kaiserin zusammen eintraten.
Mir drängte sich der Gegensatz zwischen den beiden
Damen au. Elisabeth trug ein dunkelblaues, pelzver-
brämtes Sammetkleid, eine Schöpung der Rue de la Paix.Ihr Hut war ein Meisterwerk mit sanf schimmernden,
irisierenden Federn.
Königin Viktoria war beleibt und untersetzt. Sie trug
ein bauschiges, schwarzes Seidenkleid, das zum eil
durch einen geschmacklosen indischen Schal verdeckt
wurde. Eine enorme weiße Witwenhaube thronte auihrem Kope. Aber alles dies konnte ihrer angenehmen
anheimelnden Erscheinung keinen Abbruch tun.
Als die Königin das Zimmer betrat, stand ich au und
machte eine tiee Verbeugung. ante Sissi wandte sich ihr
zu und sagte;
»Das ist meine Nichte, die Gräfin Georg Larisch.«Worau Königin Viktoria mir die Hand zum Kusse bot
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und einige reundliche Gemeinplätze äußerte. Hierau
nahmen wir Abschied. Elisabeth einziges Kommentar
über diese Begegnung war ein langes:
»Ah … Gott sei Dank, daß es vorüber ist!«
Einige age nach unserem Besuch kam Rudol an.Eines Abends gingen wir mit ihm zu einem Empang
beim Graen Deym von der österreichischen Botschaf,
einem Verwandten meines Mannes.
Bei isch saß ich neben Lord Beaconsfield, der nur
von seinen Büchern sprach und durchaus wissen wollte,
wie sie mir gefielen. Er erwies sich als ein hervorragendkluger Mann, der gern im Rampenlicht lebte. Zu mei-
ner Rechten saß Fürst Radolin, und nach isch sagte der
Prinz von Wales, der Lord Beaconsfield und mich beob-
achtet hatte) zu Radolin:
»Diese kleine Gräfin hat Beaconsfield erobert.«
»O,« erwiderte Radolin, laut genug, daß ich es hörenkonnte, »die Gräfin wird noch manchen erobern.«
Der Prinz lächelte und kam zu mir herüber.
»Sie haben mich schon entzückt,« sagte Seine
Königliche Hoheit, wandte sich bei diesen Worten an
Rudol und meinte lachend:
»Ich wünsche, ich hätte eine so hübsche Cousine.«Georg Larisch, der diesen kleinen Scherz mitangehört
hatte, zog mich ohne Rücksicht au den Prinzen ort.
»Du solltest dich schämen, Marie,« sagte er ärgerlich,
»du benimmst dich wie ein bayrisches Bauernweib.«
»Du Arme … das Schlimmste ist ein eiersüchtiger
Eheherr,« lachte Rudol, als er mit dem Prinzen vonWales davonging.
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Ich war au Georg wütend, und der hübsche Abend
war mir vollständig verdorben. Später schlug Rudol, der
in einer verteuelten Stimmung war, mir vor, mit ihm in
einer Droschke ins Hotel zu ahren; doch mein Mann
wollte hiervon nichts wissen, so mußte ich die langweili-ge Fahrt mit ihm zusammen machen.
Eines Abends gab die Kaiserin ein Diner, zu dem der
Prinz von Wales und der Herzog von eck erschienen. Ich
saß zwischen beiden. Der Herzog, der Hochländerkostüm
trug, dünkte mich, trotz seines hübschen Äußeren, der
Stumpsinn in Person. Ich war sehr abgespannt, dennich war den ganzen ag mit ante Sissi draußen au
dem Lande gewesen. Der Prinz von Wales, der meine
Müdigkeit merkte, riet mir, ein großes Glas Whisky und
Soda zu trinken, das würde mich soort ermuntern. Er
war sehr galant und plauderte launig, so daß ich einen
sehr unterhaltsamen Abend verlebte. Nach dem Dinergab es einen kleinen Ball. Ich tanzte zwei- oder drei-
mal mit dem Prinzen, und als ich später ante Sissi gute
Nacht wünschte, sang ich das Lob des Tronolgers in
allen onarten.
»Du, du«, drohte Elisabeth, »der Prinz von Wales ist
geährlich! Hüte dich, Marie!«Doch das war natürlich nur ein Scherz.
Am olgenden age verließen wir Claridge Hotel
und uhren nach Combermere Abbey, wo Kapitän
Middleton uns empfing. Gra Larisch und ich schlugen
unser Quartier in einem grausigen Hotel in Whitchurch
au. Gra Kinsky und seine Perde waren schon in derStadt untergebracht, und jeden ag uhren wir in einer
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Dogcart zum Besuch der Kaiserin hinüber. Bald darau
begann die Jagd. Da wir mit dem Gelände nicht vertraut
waren, olgten die Kaiserin und ich immer der Führung
Middletons, und einmal, als ante Sissi die Verolgung
augab, stürmte ich mit »Rotkop« weiter und gewann dieFuchsrute. Zu Mittag speisten wir stets in Combermere,
und ich werde nie vergessen, wie reizvoll Elisabeth in
den schwarzen oder weißen Sammetgewändern aussah,
die sie immer trug.
Eines ages ritten ante und ich allein mit Kapitän
Middleton aus. Ich ritt eins von Elisabeths Jagdperden,und als wir eine gute Strecke zurückgelegt hatten, gebot
mir die Kaiserin, nach Combermere zurückzukehren.
»Ich will die Stute morgen reiten,« sagte sie, »sie dar
heute nicht übermüdet werden.«
»Aber Majestät,« wandte »Rotkop« ein, »die Gräfin
kann den Rückweg unmöglich allein finden!«»So sagen Sie ihr Bescheid,« erwiderte Elisabeth in
einem one, der jede weitere Erörterung abschnitt. Der
Kapitän gab mir also einige verwirrende Anweisungen,
welche Wege ich einschlagen sollte, und natürlich ver-
lor ich die Richtung. Als die Dämmerung fiel, wurde ich
gewahr, daß ich mich verirrt hatte. Da es rasch dunkelwurde, ragte ich in einem Hause nach dem Wege, und
als ein diensteiriger Junge mich au die Chaussee ühr-
te, hörte ich Huschläge und erkannte »Rotkop«, der au
der Suche nach mir war. Er war ganz außer Atem und
sehr entrüstet.
»Es war höllisch blöde von ›Ihr‹, Sie ortzuschicken,«waren seine ersten Worte. Doch ich erwiderte, daß es mir
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eigentlich Vergnügen gemacht hätte, da es ür mich eine
neue Sensation sei, mich in England zu verlauen.
Als ich heim kam, and ich den Graen Larisch in aller-
schlechtester Stimmung. Ich wagte daher nicht, ihm zu
sagen, daß ante mich allein nach Hause geschickt hatte.Er wütete und wollte von Erklärungen nichts wissen.
»Diese kaiserliche Sklaverei muß ein Ende haben,«
schrie er, »die Kaiserin ist mir widerwärtig. Ich werde
nicht dulden, daß meine Frau in ihre Intrigen verwickelt
wird. Du wirst deiner ante ein ür allemal sagen, daß ich
nicht gesonnen bin, dich nach ihrer Peie tanzen zu las-sen. Dein Platz ist bei mir; ich beabsichtige, soort nach
Hause zurückzukehren.«
Ich war außer mir vor Bestürzung, als ich erkannte, daß
er wirklich meinte, was er sagte. Das also war das Ende
aller meiner Hoffnungen und der Pläne der Kaiserin! Das
war unser ungestörtes Zusammensein! So entpuppte sichGeorg Larisch, der zu meinem Gatten erwählt worden
war wegen seiner scheinbaren Willährigkeit!
Eine Woge verzweielten Ärgers wallte über mich hin.
Ich war zwecklos au dem Altar einer liebelosen Ehe ge-
opert worden; mir war zumute wie einem Geangenen,
der keinen Weg zur Freiheit sieht.Ich setzte die Kaiserin von dem Wutausbruch des
Graen in Kenntnis, doch zu meiner starren Überraschung
ermunterte sie mich nicht zur Empörung.
»Sag’ ein Wort!« rie ich, »und ich werde Georg ür im-
mer verlassen.«
»Nur keinen Skandal,« erwiderte sie, »am Ende ist es vielleicht das Beste, daß er dich ortnimmt.«
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»Aber, ante Sissi,« schluchzte ich – all meine aper-
keit schwand dahin –
»ich habe ihn doch nur geheiratet, um immer in deiner
Nähe zu sein!«
»Der Mensch denkt und Gott lenkt,« entgegnete sielakonisch. Und ich kehrte unglücklich und zerschlagen
in das Hotel zurück. Wenige age nach der Unterredung
mit der Kaiserin uhren wir nach Wien. Bei meinem
Abschied von ihr schien sie tie gerührt.
»Sei nicht so traurig, liebes Kind,« tröstete sie, »wir
werden uns ja wiedersehen, und vielleicht wird Georgin anderen Dingen geügiger sein, wenn er in dieser
Angelegenheit seinen Willen durchsetzt.«
Doch Georg blieb est bei dem Entschlusse, mich von
Elisabeth zu trennen und zwang mich, ast immer in
Pardubitz zu wohnen, wo er ein Schloß gekauf hatte. Dort
verbrachte ich eine stille, ereignislose Zeit, in der zweimeiner Kinder geboren wurden, und erst unsere Reise
nach Baden-Baden brachte wieder etwas Abwechslung
in mein leeres Leben.
Die Stadt eierte das Jubiläum der großen Rennen. Ich
tra dort eine Menge meiner rüheren Bekannten. Mein
erster Besuch galt der Herzogin von Hamilton, einerSchwester der Großherzogin von Baden. Ich hatte die
Herzogin sehr gern, tra bei ihr auch deren reizende
ochter Marie, die jetzige Gräfin Festetics de olna, die
aber damals mit dem Fürsten von Monaco verheiratet
war.
Eine Engländerin maßte sich die erste Rolle bei allengesellschaflichen Veranstaltungen an. Wir waren vom
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ersten Augenblick unserer Bekanntschaf an Rivalen.
Diese Dame war die Herzogin Louise von Manchester,
die »doppelte Herzogin«, wie ich sie habe nennen hö-
ren, nachdem sie auch Herzogin von Devonshire gewor-
den war. Aus irgendeinem Grunde hatte die Herzogineine Antipathie gegen mich, und da sie eine sehr böse
Zunge hatte, ging sie mit mir nicht gerade gelinde um,
so of ich den Gegenstand der Unterhaltung bilde-
te. Der Prinz von Wales war damals in Baden-Baden.
Und da Seine Königliche Hoheit sich reute, unsere alte
Bekanntschaf zu erneuern, verbreitete die Herzogin al-lerhand Skandalgeschichten über unsere unschuldige
Freundschaf.
Der Prinz veranstaltete einen sehr lustigen Maskenball,
zu dem alle Gäste als Bedienstete verkleidet erschienen.
Er selbst ging als Küchenche mit der vorschrifsmäßi-
gen Mütze und Schürze und überreichte allen Damenreizende Erinnerungsgaben. Ich erhielt ein goldenes
Kettenarmband mit einem Perdehu aus Rubinen. Die
Herzogin beobachtete mich die ganze Zeit und äußerte
in der gehässigen Absicht, daß ich es hören sollte:
»Die Gräfin hat offenbar Flirtunterricht bei ihrer ante,
der Kaiserin, erhalten.« Ich wiederholte dem Prinzen diese Worte. Er lach-
te und riet mir, der neidischen Dame keine weitere
Beachtung zu schenken, die in noch hellere Wut geriet,
als sie sah, wie Seine Königliche Hoheit mir den Arm
reichte und mit mir im anzsaal au und nieder schritt.
Der Herzogin verbreitete auch die Mär, ich wech-selte meinen Hut dreimal während der langen Fahrt
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zum Rennplatz, um dadurch kundzutun, daß ich kein
Kleidungsstück länger als eine Viertelstunde trüge. Sie
wollte auch wissen, daß ich mir das Haar ärbe, und daß
es zum größten eile alsch sei. Das machte mir viel Spaß,
und eines Abends erschien ich bei einem Balle, mein üppi-ges blondes Haar in zwei schlichte, schleiengeschmückte
Zöpe geflochten, die mir tie unter die Hüfen herabfie-
len. So wurde die Behauptung der Herzogin durch den
Augenschein widerlegt.
Zwei Winter verlebte ich in Mentone, wo wir die Villa
Michel mieteten. In dem einen Jahre wohnte König Albert von Sachsen und Königin Carola im Hotel Angleterre.
Sie begegneten mir sehr liebenswürdig, ich mußte jeden
Nachmittag mit ihnen ausahren und am Sonntag mit ih-
nen die Messe besuchen. Den König nannte ich Onkel, die
Königin »ante« Carola. Es waren zwei liebe Menschen,
die man au ihren Spaziergängen ür ein biederes Pro-essorenpaar hätte halten können, denn sie sahen durch-
aus nicht »königlich« aus. Es gab damals einigen Ärger
über die Beziehungen der Hodame der Königin zu
dem Kammerherrn. Doch Königin Carola brach jedem
Skandal über die Folgen die Spitze ab, indem sie darau
bestand, daß die Leutchen sich soort heirateten.Mein Mann unterhielt eine Wohnung in Wien,
Praterstraße 38, und unser gelegentlicher Auenthalt
dort hat zu der absurden Fabel Anlaß gegeben, daß wir
in einem Schloß wohnten und während der Saison große
Gesellschafen veranstalteten. Wir hatten die Wohnung
nur zwei Jahre und erneuerten den Mietsvertrag nicht.Wenn ich später nach Wien kam, wohnte ich stets im
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Hotel. Ich ging viel in Gesellschaf, und wenn die Kaiserin
in der Hourg anwesend war, konnte Gra Larisch mich
nicht verhindern, dauernd um sie zu sein.
Die Hourg ist ein unörmlicher, höchst ungemütli-
cher Bau, doch die Zimmer der Kaiserin heimelten sehran. Sie hingen durch einen Gang und eine reppe mit ei-
ner Art Anbau zusammen, der im übrigen ganz getrennt
lag von den Gemächern der Kaiserin. Hier wohnte ihr
Vorleser. Die Hodamen waren in einem anderen eile
der Hourg untergebracht.
ante Sissis Salon war ganz in Weiß gehalten; dar-an schloß sich ein unbehagliches Eßzimmer, und dann
kam ein Boudoir, das eine Studie in Rot darstellte. Ihr
Ankleidezimmer enthielt einen sehr großen oilettetisch
mit einem wahren Schatz von Kristall und Silber.
Dahinter lag ein Raum, der mit aller Art gymnastischer
Geräte ausgestattet war.In diesem Zimmer nahm die Kaiserin Fechtunterricht;
sie sah allerliebst aus in dem kurzen, grauen Rock und
dem kleinen Panzer. Ihr Lehrer war der Sohn des Herrn
Schültzer, meines alten Fechtmeisters aus München, und
gut wie sie alles tat, was sie ernsthaf betrieb, ocht sie
auch ausgezeichnet.Diese Übung ersetzte ihr den Zirkustick; auch sagte
Elisabeth, die damals an Ischias litt, nicht mehr so eirig
wie rüher.
Des Kaisers Zimmer lagen weit von denen ante
Sissis enternt, vor ihren üren standen immer
Wachtposten. Franz Jose, der in seine Frau sehr ver-liebt war, mußte sich ihr ernhalten, wenn Elisabeth
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ihre rübsinnsanwandlungen hatte, denn dann duldete
sie keinen um sich, außer den Personen ihrer nächsten
Umgebung.
Die Kaiserin gab entzückende kleine späte Soupers
zu einer Zeit, zu der die meisten ehrsamen Bewohnerder Hourg längst im Schlummer lagen. Ich verlebte
sehr glückliche Abende bei diesen Anlässen und begeg-
nete auch au einem dieser Soupers wieder dem Graen
Herbert Bismarck, der damals Attaché in Wien war.
Elisabeth ühlte sich zu dem Graen hingezogen, miß-
billigte aber seine Aumerksamkeiten mir gegenüber, bisich ihr verriet, daß ich in Kissingen seine Jugendliebe ge-
wesen war.
Die Kaiserin war sehr abergläubisch, und manchmal,
wenn ich den Wiener Klatsch erschöpf hatte, schlug sie
ein Weißei in ein Glas Wasser, und wir versuchten ge-
meinsam, Vorbedeutungen aus den Gestalten heraus-zulesen, die es annahm. So of Elisabeth eine Elster sah,
machte sie drei Verbeugungen vor ihr, und bei Neumond
flehte sie um die Erüllung langgehegter Wünsche. Die
Kaiserin glaubte est und stei an die Schutzgewalt des
kalten Eisens und ging niemals an Nägeln oder verlore-
nen Hu-eisen vorüber, ohne sie auzuheben. Vor dembösen Blick hegte sie eine unbändige Angst und ürchte-
te den unheilvollen Einfluß derer, die ihn besaßen.
Einmal besuchte ante Sissi inkognito eine Karten-
legerin; doch sie weigerte sich, über die Enthüllungen
der »Seherin« Mitteilungen zu machen und sagte nur,
daß sie ihr prophezeit habe, sie würde nicht in ihremBette sterben.
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»Und das ist sehr wahrscheinlich,« meinte sie, »denn
wenn Valerie erst erwachsen ist, werde ich in erne
Weltteile reisen, und einmal werde ich nicht wiederkeh-
ren.«
Ich liebte sie stets in ihrer Unterhaltung, wenn siedie echte Elisabeth mir gegenüber war und zog ihre
Melancholie ihrer erheuchelten Fröhlichkeit vor. ante
verabscheute Menschen, die ihr schmeichelten, und da
ich mir dies nie zuschulden kommen ließ, kamen wir
recht gut miteinander aus. Die Speichelleckerei ihrer
Familie irritierte sie immer, und of zankte sie sich mitihren Schwestern. »Ich wünsche, ich wäre au der Straße
geboren und hätte meine Familie nie gekannt!« rie sie
einmal. Bisweilen kam ein unnatürlicher Haß gegen ihre
Kinder über sie. »Kinder sind der Fluch der Frau, denn
sie vernichten ihre Schönheit, und sie ist die beste Gabe
der Gottheit,« sagte sie einmal zu mir. Of and ihreVerachtung ihrer hohen Stellung Worte.
»Was hat man davon, heutzutage Kaiserin zu sein!«
bemerkte sie voll Bitterkeit.
»Man ist nur eine Anziehpuppe. Ah, wie gern hätte ich
im alten Rom geherrscht! Die Kaiserinnen vergangener
age wußten noch, was iee des Lebens und der Liebeist. Ihr Dasein war nicht grau und trübe, wie das mei-
ne, das von einem Wall von Etiketten ummauert ist. Jene
Frauen herrschten über wahre Männer, und ich beneide
noch die Schlimmste unter ihnen.«
Ihre Bernsteinaugen leuchteten au bei diesen Worten,
und ich konnte sehen, daß die Phantasie sie weit ort ühr-te von dem starren Zwange des kaiserlichen Österreich
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zu dem bebenden, leidenschaflichen Leben des kaiser-
lichen Rom.
»Doch einmal wird die Zeit meiner Freiheit kommen,«
uhr sie, in Sinnen verloren, ort.
»Bisweilen, Marie, glaube ich, daß ich verzaubert bin,und daß ich nach meinem ode in eine Möwe verwan-
delt werde und über die weiten Flächen des Ozeans
schweben oder au dem Gipel einer ragenden Klippe ni-
sten werde. Dann werde ich, die enggebundene Elisabeth,
endlich rei sein, denn meine Seele wird den Weg aus
der Geangenschaf finden. Sollte es mir beschieden sein,alt zu werden, wird niemand jemals mein Gesicht sehen.
Wenn mich einmal die Zeit berührt hat, werde ich mich
verschleiern, und die Leute werden von mir sprechen als
von »der Frau, die einst war«.
Dieser seltsamen Idee war wohl auch die Abneigung
der Kaiserin gegen das Photographieren zuzuschreiben,denn nur höchst selten ließ sie sich bewegen, einem
Photographen zu sitzen.
ante war außerordentlich gütig, und solange sie
nicht beleidigt wurde, begegnete sie jedem mit herzlich-
ster eilnahme. Es war aber immer sehr schwierig, ihr
wahres Geühl zu durchschauen, und immer hatte ichdas Empfinden, sie sage niemals ihre wahre Meinung.
Elisabeth betonte stets den Mut ihrer Überzeugungen.
»Was ich ohne Scheu tue, darüber brauchen andere
sich nicht zu entrüsten,« sagte sie of.
»Liebe ist keine Sünde,« äußerte sie häufig.
»Gott hat die Liebe geschaffen, und jeder hat seine ei-gene Moral. Solange man mit seiner Liebe keinen Dritten
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verletzt, sollte niemand sich zum Richter über sie au-
weren.«
Elisabeth charakteristischster Zug war ihr Stolz und
die Verachtung des Lebens, das sie zu ühren gezwun-
gen war. War ihr Zorn einmal entflammt, so vergab sienie. Erklärungen und Reue waren gleich zwecklos. Die
Kaiserin blieb absolut unversöhnlich, der Beleidiger war
ür sie tot. Dieses Schicksal sollte auch ich selbst erah-
ren.
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Sechstes Kapitel
I
ch tra Rudol bisweilen in der Hourg, doch wir
sprachen immer nur flüchtig miteinander, und da
er gewöhnlich seine eigenen Wege ging, begegneteich ihm selten an dritten Orten. Der Kronprinz war viel
gereist und hatte rasch den Zauber seiner Persönlichkeit,
seine Klugheit und leider auch die Entartung zur Reise
gebracht, die unglücklicherweise so viele männliche
Mitglieder des Hauses Habsburg gezeichnet hat.
Um diese Zeit begann die Kaiserin ihre Biographie zuschreiben. Das Werk wurde in den Kellern der Hourg
gedruckt und der Satz später vernichtet. Zwei Abzüge
dieser hochinteressanten Autobiographie sind erhalten
und liegen in sicheren Händen. Doch in den nächsten
ünundvierzig Jahren kann das Werk nicht veröffent-
licht werden.Kurz nach der Geburt meiner ochter Marie machte
die Kaiserin mir eines Abends um neun Uhr einen un-
erwarteten Besuch in der Praterstraße. Bei ihrem Eintritt
ins Haus stieß sie au die Amme des Kindes, eine eiste
Böhmin in kurzem Rock und Nachtjacke. Die arme Frau
litt an einem argen Schnupen und hatte ihre Nasenlöchermit Watte verstopf, um das Kind nicht anzustecken. Sie
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wollte gerade mit einer Lampe in ihr Zimmer gehen.
Elisabeth erklärte, sie habe die Amme ür einen Geist ge-
halten und neckte mich später of mit der Frage, ob ich
immer meine Kinder von Geistern säugen ließ.
Der wahre Grund ihres Besuches war die Mitteilung,daß Rudol bald au die Suche nach einer Frau ausziehen
sollte.
Uns tat schon heute die Prinzessin leid, die die Ehre
seiner Wahl treffen würde. Elisabeth gab sich keinen
äuschungen über ihres Sohnes Haltlosigkeit hin, und
wir wußten beide, daß nur eine Frau von ungewöhnli-chem akte ähig sein würde, sich seine Liebe oder auch
nur seine Neigung zu bewahren.
Zuerst wandte er sich nach Dresden, da Prinzessin
Mathilde von Sachsen als eine Sicherheitskette ür mei-
nen flatterhasten Vetter betrachtet wurde. Mathilde sah in
jenen agen ganz gut aus. Doch Rudols kunstsinnigemBlick entgingen die ersten Anzeichen des Embonpoints
nicht, der sich seitdem so erolgreich entwickelt hat; er
empand, daß er die Zukunf an der Seite einer solchen
Frau nicht würde ertragen können. Er zog daher weiter
nach Spanien, wo sich herausstellte, daß die erwählte
Inanta zwar ein sehr nettes Mädchen, ihr Gesicht abernicht das Schönste an ihr war. Er kam daher zu der
Einsicht, daß ihre Häßlichkeit eine noch schlimmere
Mitgif sein würde als Mathildes Übergewicht.
Inzwischen war Rudol seiner Inspektionsreisen über-
drüssig geworden. Er hatte seiner Mutter Schönheitssinn
geerbt und wollte wirklich nur eine Frau heiraten, dieihm gefiel. Doch durch seine vielen Abenteuer mit schö-
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nen und geistvollen Frauen war sein Geschmack ganz
besonders empfindlich geworden. Es ist daher nicht ver-
wunderlich, daß er alle diese unschönen und geistlosen
jungen Mädchen zurückwies, die man ihm als geeignete
Bräute vorschlug.Schließlich ührten Rudol seine Wanderungen nach
Brüssel, wo er sich, müde der Wahl unter all den Übeln,
entschloß, das kleinste von ihnen zu nehmen, das ihm
in der Prinzessin Stephanie von Belgien entgegentrat.
Sein Antrag wurde vom braven König Leopold mit bei-
den Händen augegriffen, und der Kronprinz nahm seinSchicksal mit philosophischem Gleichmut hin.
Als die ersten Bilder der erwählten Braut in Wien
eintraen, stutzte jeder über ihre reizlose Erscheinung.
Die Eingeweihten, die Rudols Vergangenheit kannten,
schüttelten ernst die Köpe und meinten, sie wäre nicht
die richtige Frau ür den Kronprinzen.Die zahlreichen Damen, die ihn kannten und liebten,
waren überglücklich. Denn bei der Braut stand nicht zu
beürchten, daß jemals ein vorbildlicher Ehemann aus
ihm werden würde.
Ich muß es ablehnen, die Erinnerung an die vielen
Skandalgerüchte wieder wachzuruen, die währendder Verlobungszeit umlieen. Es war ein öffentliches
Geheimnis, daß er in Begleitung einer Dame nach
Brüssel geahren und von der Königin und seiner Braut
bei einem unerwarteten Besuch mit ihr überrascht wor-
den war. Man erzählte sich, daß die Partie darauin
beinahe zurückgegangen wäre, doch da weiter nichtsAnstößiges geschah, wurde die Hochzeit am 10. Mai 1881
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in der Hourg geseiert. Die Hochzeit des Kronprinzen
von Österreich veranstaltete sich natürlich zu einem
glänzenden Feste. Ich nahm damals die Stellung einer
»Palastdame« ein und hatte inolgedessen den Vortritt
vor allen anderen Damen. Ich trug ein wunderbares gel-bes Kleid mit silberner Stickerei und einen blauen, silber-
gestickten »Manteau de Cour« mit einer drei Meter lan-
gen Schleppe, die ein Page trug. Der Glanz der Juwelen
der Damen war buchstäblich blendend.
Die belgische Prinzessin sah in ihrem Brautkleid so
unvorteilhast wie möglich aus; ihre Arme waren rot, ihrstumpes, gelbes Haar sehr unkleidsam risiert. Sie war
sehr groß und ihre Figur in jenen agen geradezu kläg-
lich. Seitdem hat reilich andauernde Pflege und eine ge-
schickte Corsetière manches gebessert. Sie hatte weder
Augenbrauen noch Wimpern, und das einzig Schöne an
ihr war ihr porzellanweißer eint.Ich konnte mir sehr gut vorstellen, was ante Sissi über
Stephanie dachte; ein Blick in ihr Gesicht genügte. Rudol
sah aus wie ein Mann, der eine ruhmvolle Vergangenheit
ür eine ragwürdige Zukunf hingegeben hat.
Nach der Feier gingen wir alle in den großen
Empangssaal der Burg, wo Rudol und seine Gemahlineinige gnädige Worte an jede Dame richteten. Als sie zu
mir kamen, blickte der Kronprinz mich mit einem selt-
samen Gemisch von Spott und Selbstbedauern an und
sagte zu Stephanie:
»Das ist meine Cousine Marie.«
Die Kronprinzessin umarmte mich und äußerte, daßsie sich reue, mich kennen zu lernen. Dann gingen sie
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weiter, und ich weiß noch, wie tiees Mitleid ich mit
Rudol, im Gedanken an meine eigene liebelose Ehe,
empand.
Erst im September des olgenden Jahres sah ich
den Kronprinzen und Stephanie wieder. Ich war nachSchönbrunn geahren, um meine Eltern dort zu besu-
chen; nach dem Abendbrot promenierte die Kaiserin
mit mir in dem kleinen Privatgarten. Während wir in der
Dunkelheit au und nieder schritten, sprach die Kaiserin
von mancherlei Dingen und auch von Rudols Ehe, die
sich schon damals als ein Fehlschlag erwies. Der Abendwar sehr still, und von dem Garten aus konnten wir die
erleuchteten Fenster im Schlosse überblicken. Plötzlich
eilte ein Diener au uns zu und meldete die Ankunf des
Kronprinzenpaares. Im nächsten Augenblick zeichneten
sich zwei Schattenrisse gegen das Licht ab, dann kam
eine Gestalt die Stuen herab. Es war Stephanie. Elisabethsah ihr gespannt entgegen.
»Ich habe nicht erwartet, Rudol und das häßliche
rampeltier heute abend noch zu sehen,« äußerte ante
Sissi zu mir, während sie über das Gras hinweg ihrer
Schwiegertochter entgegenging, deren Äußeres sich seit
ihrem Hochzeitstage merklich verschönt hatte.Mir gegenüber war Stephanie immer außerordentlich
nett, und als ich sie einmal um eine Audienz bitten ließ,
orderte sie mich au, sie in Zukunf ganz ormlos zu be-
suchen. Es erscheint mir immer bedauerlich, daß sie sich
so stark von ihrer Schwester Louise von Coburg beein-
flussen ließ, die ihre Eiersucht austachelte und ihr allemöglichen Geschichten von dem Kronprinzen erzählte,
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der das Leben an ihrer Seite allmählich unerträglich and.
Denn Stephanie machte ihm so tolle Eiersuchts- und
Wutszenen, daß ante Sissi ihr Vorhaltungen über den
Skandal, den solche Zwistigkeiten verursachten, ma-
chen mußte. Die Kaiserin hatte als Braut schweigend zudulden gelernt und erwartete inolgedessen das Gleiche
von ihrer Schwiegertochter. Rudol liebte seine kleine
ochter, die Erzherzogin Elisabeth, abgöttisch, die im
dritten Jahre der Ehe geboren wurde. Doch Stephanie
machte sogar das Kind zu einer Quelle des Streites. So
geriet meines Vetters häusliches Leben immer tieer inden Sump, und wir alle dachten mit Schrecken daran,
was daraus werden sollte.
Das gesellige Leben in Wien war damals sehr aus-
gelassen, und keiner kümmerte sich um das un und
reiben des anderen. Ich besuchte leidenschaflich gern
Maskenbälle und entsinne mich noch einer Begegnungmit der Baronin Vetsera (Marys Mutter) und dem
Erzherzöge Wilhelm au einem Maskenest im kaiser-
lichen Opernhaus. Die Baronin strahlte in einem oran-
gearbigen Domino, und als sie mit dem Erzherzöge
au einer kleinen Bank saß, erzählte ihr der alte Herr,
der gern den neuesten Klatsch weitergab, gedankenlos,daß einer der Esterhazys, zu dem sie in sehr vertrauten
Beziehungen stand, Eugenie Croy zu heiraten gedenke.
Kaum hatte die Baronin dies vernommen, so fiel sie
prompt in Ohnmacht, und da die Bank keine Rückenlehne
hatte, verschwand sie hintenüber, und nur die veränglich
ins Leere hinausragenden Schuhe und Strümpe verrie-ten die Stelle, an der sie versunken.
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Alles lachte, und der Erzherzog machte sich voll Reue
über den Effekt seiner Geschwätzigkeit mit wunderbarer
Energie ans Werk, die Dame in mehr als einer Beziehung
wieder auzurichten.
Der orangearbene Domino der Baronin gemahnt michübrigens an eine interessante Begebenheit, die sich zu-
trug, als ante Sissi einmal in Begleitung, des Erzherzogs
Ludwig Viktor einen Maskenball besuchte. Elisabeth und
Ludwig trugen ganz gleiche Dominos, und keiner der
Anwesenden erkannte sie. atsächlich hielt man sie ür
Schwestern. Unter den Masken war ein hübscher, jungerHorat, der die Aumerksamkeit der Kaiserin erregte; von
der Laune des Abends angesteckt, trat sie au ihn zu und
sprach ihn an.
Diese Maske hielt die unbekannte Dame ür eine
Ballettratte, unterhielt sich mit ihr, wurde gepackt und
lud sie zum Souper in eins der eschen Restaurants.»Gut,« sagte Elisabeth, ganz im Banne des Abenteuers,
»ich komme unter der Bedingung, daß Sie mir Ihr
Ehrenwort geben, mir nicht die Maske zu lüfen.«
»Meinetwegen,« willigte der verliebte Herr ein. Die
Kaiserin bat ihre »Schwester«, sie an einem bestimm-
ten Ort zu erwarten, und verließ mit ihrem Galan denBallsaal.
Seinem Versprechen getreu, machte der Horat keinen
Versuch, Elisabeths Maske zu enternen, obwohl er sich
gründlich in sie verliebt hatte, als es Abschied nehmen
galt. Die Kaiserin versprach, ihn am nächsten age zu
treffen, hielt aber das Rendezvous nicht inne. Doch ausromantischer Laune und in Erinnerung an den reizen-
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den Abend sandte sie ihrem Bewunderer jedes Jahr einen
Liebesbrie mit der Unterschrist: »Der gelbe Domino«.
Doch die Neugier des Empängers eruhr nie den Namen
der Absenderin. Diese Briee wurden in den verschie-
densten eilen Europas zur Post gegeben; den letzten gabeiner meiner Vetter in Rio de Janeiro au.
Elisabeth erzählte mir dieses Abenteuer zuerst un-
ter dem Deckmantel eines Märchens, das sie das »ma-
gische Alpenveilchen« nannte. Ein schönes schlaendes
Mädchen wird darin durch die dufenden Alpenblumen
an glückliche Stunden gemahnt. »Erinnerst du dich desgelben Dominos,« ragt die eine, während eine andere ihr
die Fahrt durch die Dunkelheit ins Gedächtnis zurück-
ruf und eine dritte ihr von der Anbetung des Geliebten
spricht. Die Kaiserin erklärte mir dann die heimliche
Bedeutung des »Alpenveilchens«, behandelte aber die
ganze Angelegenheit als Bagatelle.Elisabeth war in die Liebe verliebt, weil sie ihr das
Lebenseuer bedeutete. Sie betrachtete die Sensation, an-
gebetet zu werden, als einen ribut, der ihrer Schönheit
zukam. Doch ihre Begeisterungen dauerten nie lange, o-
enbar, weil sie zu künstlerisch empand, um ihre Sinne
geangen zu geben. Und der Geliebte, der den Glaubenan seine Idealgestalt erschütterte, erhielt soort den
Laupaß.
»out lasse, tout casse, tout passe,« hätte Elisabeths
Lebensmotto sein können, denn ihr Dasein war eine gro-
ße Enttäuschung, und sie gehörte zu jenen Frauen, de-
ren Los es ist, durch ihre Liebe zu leiden. Sie hätte unterGöttern thronen, sie hätte umworben sein müssen au
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den Hügeln des Parnaß oder erkoren werden wie Leda
und Semele von einem sieghasten Zeus. Die Roheit des
Lebens stieß die Kaiserin ebenso stark zurück wie seine
Schönheit sie anzog. Ich glaube daher, daß sie weit glück-
licher wurde, als ihre Sonderbarkeiten sich entwickeltenund sie mit den Wesen der Schattenwelt verkehrte oder
sich mit Heines Geist unterhielt, der sie, wie sie meinte, zu
ihren Dichtungen begeisterte. Die Weltabgeschiedenheit,
in der sie später lebte, hing aus engste mit der grausamen
Furcht zusammen, man könne sie ür weniger schön hal-
ten, weil sie altere. Und nur diejenigen, die, wie Elisabeth,in ihrer Schönheit die Gewähr ür die Liebe sehen, kön-
nen ihre Leiden nachühlen. Durchschnittsmenschen
mögen sie als eine eitle und oberflächliche Frau verurtei-
len und meinen, wahres Glück könne eine alternde Frau
in Kindern und Kindeskindern finden. Doch, wer so
denkt, ist eben nicht mit dem schönheitsdurstigen Sinnder Kaiserin begnadet — oder bebürdet.
Elisabeth war in der Wiener Gesellschaf höchst unbe-
liebt; sie hielt sich ihr auch ern und besuchte während
der Saison höchstens einen oder zwei offizielle Bälle.
Ich erinnere mich, daß ich sie einmal bei dem Fest des
Corpus Christi sah, wie sie durch die drei Höe der Burgschritt, eine wunderbare Märchenkönigin in ihrem grau-
en Seidenkleide und violetten Samtmantel.
Die Fürstin Pauline Metternich ist immer die aner-
kannte Führerin der Wiener Gesellschaf gewesen. Sie ist
sehr gewandt, äußerst klug und kann sehr grob werden.
Ich habe sie immer gern gehabt und bin in mancher derLiebhaberauffühungen augetreten, die sie so gern veran-
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staltete. Ihre Abende waren glänzend. Sie ist die geborene
Gastgeberin, ein typisches Beispiel der »Grande Dame«,
die leider immer mehr ausstirbt.
Einmal kam die Fürstin sehr spät au einen Ball beim
Erzherzog Ludwig Viktor, das Kaiserpaar war bereits län-gere Zeit anwesend, und der Gastgeber machte Pauline
über ihr spätes Erscheinen Vorwüre.
»Es ist doch gleichgültig, wann ich komme«, antwor-
tete sie verächtlich; »ich komme immer noch rüh genug,
um so viel von der Kaiserin zu sehen und zu hören, als
mir paßt.Elisabeth bemerkte ihre Unterhaltung und ragte den
Erzherzog später, was die Fürstin Metternich gesagt habe.
Ludwig Viktor weigerte sich die ungehörige Äußerung
Paulines zu wiederholen, doch die Kaiserin bestand au
ihrem Wunsche.
»Ah … die arme Fürstin!‹, bemerkte die Kaiserin,»wenn sie nur wüßte, wie viel Spaß sie mir bereitet, denn
ich kann ihr nie ins Gesicht sehen, ohne an einige bös-
artige ierchen in meinem Affenhaus in Schönbrunn zu
denken.«
Mir scheint, meine ante lockte zuerst die Sensation,
Kaiserin zu werden, denn das Blut meines Großvaters,der Perden, Frauen und Wein durchaus nicht abhold war,
strömte in ihren Adern. Und ihre Jugend orderte vom
Leben alle Herrlichkeiten der Welt. Mein Vater erzählte
mir, daß Elisabeth bei ihrem Einzuge in Wien durch ihre
Schönheit allen Männern die Köpe verdrehte, und daß
ihr späteres rübsal durch die unreundliche Behandlungentstand, mit der des Kaisers Mutter sie während der er-
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sten Jahre ihrer Ehe peinigte. Jede Natürlichkeit war ihr
verboten. Diese Unterdrückung brachte die angeborenen
Exzentrizitäten ihrer Familie bei ihr zum Ausbruch, und
als sie gar ihres Gatten Beziehungen zu einer polnischen
Gräfin entdeckte, erhielt ihre Liebe zu Franz Jose einenChoc, von dem sie sich nie wieder erholte.
Die Schwiegermutter nahm ihr die Kinder mit der
Begründung, man könne sie ihrer Sorge nicht anvertrau-
en. Und schon hierdurch, glaube ich, wurde ihre Liebe
zu Rudol und Gisela im Keime erstickt; sie übertrug sie
später mit aller Kraf au Valerie, die allein unter ihrerObhut auwuchs. Arme Frau! Kann man sich wundern,
daß sie zynisch und verbittert wurde! Man kann sich eher
wundern, daß sie mit der Zeit innerlich nicht ganz ver-
härtete, als sie erkannte, daß alle ihre Ideale Seienblasen
gewesen waren!
Solange des Kaisers Mutter lebte, stand Elisabethbuchstäblich allein, und als die tyrannische alte Frau ge-
storben war, war schon zu viel in ihr zerbrochen.
Ungarn regte ihre Phantasie immer an, und gegen die
Bevölkerung des Landes, dessen König Franz Jose war,
war sie niemals die hochmütige, unnahbare Kaiserin von
Österreich.Als im Jahre 1885 das Reisefieber Elisabeth ergriff,
machte ihr gütiges Herz ihr bittere Vorwüre bei dem
Gedanken, daß der Kaiser in ihrer Abwesenheit vielleicht
einsam sein könnte.
»Weißt du nicht eine vertrauenswürdige Frau, die dem
Kaiser Gesellschaf leisten könnte und nicht versuchenwürde, ihn zu beeinflussen?« ragte sie mich eines ages.
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Ich nannte mehrere Damen, die sicherlich nur allzu roh
gewesen wären, den kaiserlichen Strohwitwer zu trösten.
Doch ante Sissi lehnte alle ab, und die Angelegenheit
wurde nicht weiter berührt, bis sie mir eines ages plötz-
lich mitteilte, daß sie die Gesuchte in der SchauspielerinKatrina Schratt geunden habe, die ern von der Bühne
des Burgtheaters immer ür interessanter galt als au ihr.
Sie war und ist noch heute eine reizende, einache Frau,
von der ante sehr hoch dachte. Elisabeth besuchte Frau
Schratt of und machte ihr viele Geschenke, unter ande-
rem ein kleines Buttersaß, au das Katrina sehr stolz war.Man verübelte Elisabeth ihre Haltung der Schauspielerin
gegenüber sehr; sie hatte aber vollkommen recht mit
ihrer guten Meinung von der Frau, die sich seit antes
ode Franz Jose gegenüber als eine ergebene Freundin
erprobt hat.
Frau Schratt hat eine wundervolle Villa in derGlorienstraße zu Hietzing, die ein wahres Museum ist
und viele Geschenke des Kaisers birgt. Sie hat auch ein
kleines Häuschen in Ischl, und immer, wenn Franz Jose
dort weilt, wohnt sie ebenalls dort, und jeden Nachmittag
kommt der Kaiser zu ihr zum ee. Man erzählt eine spa-
ßige Geschichte von einem Abendbesuch des Kaisersbei seiner Freundin. Er war ziemlich lange geblieben,
wollte mit der ihm eigenen Rücksicht die schlaenden
Hausbewohner nicht stören und schlich so leise wie
möglich einen Gang hinunter, der zur Gartenporte ühr-
te. Als er sie gerade erreichte, öffnete sich eine ür, und
Frau Schratts neue Köchin kam im Nachthemd heraus,ein Licht in der Hand. Das Geräusch der Schritte hatte
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sie augescheucht, und als sie die Gestalt eines Mannes
erblickte, wollte sie natürlich losbrüllen.
Doch Franz Jose trat eilig au sie zu und flüsterte:
»Still, Sie dummes Weib, kennen Sie mich nicht! Ich
bin der Kaiser!«Die Köchin versteinerte, denn in ihren ausschweiend-
sten Phantasien hatte sie sich nie träumen lassen, dem
Kaiser von Österreich au einer solchen späten nächtli-
chen Wanderung zu begegnen. Noch immer zweielnd,
ließ sie das Licht der Kerze voll au des Fremden Gesicht
allen und ersah die wohlbekannten Züge Franz Joses.Soort fiel das kaisertreue Mädchen au die Knie und
begann mit ganzer Lungenkraf die Nationalhymne her-
auszuschmettern. Der Kaiser machte sich schleunigst da-
von, und ich habe so einige Zweiel, ob eine patriotische
Weise jemals unter drolligeren Umständen gesungen
worden ist.Der Kaiser ist in seiner Familie sicherlich schwer heim-
gesucht worden, – denn der Schatten des Wahnsinns liegt
über den Habsburgern, und kaum ein Zweig der Familie
hat nicht ein geisteskrankes, epileptisches oder lasterha-
tes Mitglied zu betrauern. Man kann es nur beklagen, daß
die gesunden Kinder aus der Ehe Franz Ferdinands mitSophie Chotek von der Tronolge ausgeschlossen sind,
da der Knabe, der aller Wahrscheinlichkeit nach einmal
Kaiser von Österreich werden wird, von der Mutterseite
auch noch mit dem Schwachsinn des Hauses Bourbon-
Parma erblich belastet ist.
Kaum ein Jahr geht dahin, ohne daß die Welt Zeugeder ollheiten der Erzherzöge wird. Die Erzherzoginnen
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sind leichter im Zaum zu halten, weil ihre Eltern ihnen
in der Regel gestatten, den Mann ihrer Wahl zu heiraten,
vielleicht unter dem warnenden Einfluß des Schicksals
der Prinzessin Louise von oskana, in deren Ehe mit
König Friedrich August von Sachsen der Grund ihrer vielen späteren Abenteuer lag.
Erzherzog Ludwig Viktor ist des Kaisers jüngster
Bruder. Ich entsinne mich seiner als eines lustigen,
klatschrohen Mannes, dessen Gesellschafen zu den be-
liebtesten Festlichkeiten des eleganten Wien gehörten. Es
lieen mancherlei Gerüchte um über eine Neigung desErzherzogs zu Lastern, die nur in den agen des Sokrates
geduldet wurden.
Schließlich meinte der Kaiser, daß die Salzburger
Luf seinem Bruder gut tun würde. So verschwand der
Erzherzog aus der Gesellschaf, und Wien sah ihn nicht
wieder.Franz Joses zweiter Bruder, der verstorbene Erzherzog
Karl Ludwig, hatte aus seiner Ehe mit der Prinzessin
Annunziata von Bourbon-Sizilien drei Söhne, deren äl-
tester der Erzherzog Franz Ferdinand ist, der seinem
Oheim au dem Tron von Österreich olgen wird.
Franz Ferdinand ist im Volke am meisten bekannt ge-worden durch seine morganatische Ehe mit der Gräfin
Sophie Chotek, der rüheren Hodame der Erzherzogin
Isabella.
Die Gräfin und der Erzherzog unterhielten ein heimli-
ches Liebesverhältnis, das eines ages in Preßburg durch
ein Medaillon mit der Photographie Franz Ferdinands,das die Gräfin verloren hatte, entdeckt wurde. Die
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Erzherzogin entließ Sophie Chotek soort, doch der
Geliebte machte sie ohne Zaudern zu seinem Weibe.
Da der Kaiser bald einsah, wie glücklich die Ehe war,
ernannte er die reizende Frau zur Gräfin Hohenberg und
erhob sie später zum Range einer Herzogin.Erzherzog Karl Ludwig, ein dicker alter Mann mit
brutalen Instinkten, heiratete in dritter Ehe die Inantin
Maria Teresia von Portugal. Sie war eine entzückende
Frau und ünzehn Jahre jünger als ihr Mann, dessen
Hauptbeschäfigung darin bestand, zu reiten, zu jagen
und sie zu quälen. Als der Erzherzog starb, glaubte manallgemein, die Witwe werde ihren Kammerherrn, den
Graen Cavriani, heiraten und machte ein lächerliches
Aueben davon.
Der Name des verstorbenen Erzherzogs Otto, der ein
sehr hübscher Mann war, wird in Österreich wegen sei-
ner mannigaltigen Ruchlosigkeiten nur mit Abscheugenannt. Ich meine manchmal, daß die Jugenderziehung
der Habsburger ihre keimenden Laster zur Reise treibt,
denn Selbstsucht, Nichtstuerei und Ausschweiung ent-
wickelt in der Regel ihre ererbte Entartung.
Otto heiratete die Prinzessin Maria Josepha, eine
Schwester des Königs von Sachsen, eine der edelstenFrauen, die er vom Hochzeitstage an systematisch ver-
nachlässigte. Eines Abends soupierte der Erzherzog
mit einigen Damen bei Sacher, wo er glücklicherweise
ein Chambre separée gemietet hatte, plötzlich erschien
er stockbetrunken au der reppe des Restaurants, nur
mit Handschuhen, Mütze und Säbel bekleidet. Den töd-lichen Schreck eines höchst achtbaren Graen, der im
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Der letzte Weg der Habsburger ührt sie hinab in
die düstere Gruf unter der Kapuzinerkirche in Wien.
Dort ruhen die oten in langen Reihen in steinernen
Sarkophagen aus, von des Lebens Leid und Leidenschaf,
und nur die verrosteten Kronen au den verschlossenenSärgen künden den Rang und die Würde derer, die hier
liegen … Draußen dröhnt der Lärm der Stadt. Die eiligen
Füße der Passanten hasten dahin in gleicher Höhe mit
den Fenstern, die das Gewölbe matt erhellen. Doch die
Habsburger schlaen ihren ungestörten Schla, aber das
Böse, das viele von ihnen verübt haben, lebt ort in ihrenNachkommen.
Elisabeths sterbliche Reste stehen in der Mitte der
Gruf. Neben ihr liegt Rudol, und eines ages wird der
leere Raum an ihrer Seite des Kaisers irdische Hülle tra-
gen, wenn der od ihn ruf zu seiner wohlverdienten
Rast. Es ist ein geisterhafer Ort, diese otenkammer.Die Jungen und Alten, die Schönen, die Braven und die
Bösen, alle find sie hier versammelt, und die Wogen der
Zeit fluten über sie hin und tragen ihre Namen hinüber
in die Vergessenheit.
Am Weihnachtsabend, dem Geburtstage der Kaiserin,
am 10. September, ihrem odestage, und an jenemschicksalsschweren 30. Januar, an dem Rudol sein blu-
tiges Geschick erüllte, kommt Franz Jose, bei seinen
oten zu beten.
Sieht er dann wohl die Kaiserin vor ihm auerstehen,
zart wie Morgennebel? Und wenn ein kalter Lufhauch
durch die Gruf streicht, bringt er dem Kaiser wohl einenGeistergruß von Rudol und dem jungen Weibe, das mit
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ihm starb an jenem Wintermorgen, an dem sie ihren ei-
genen Weg zur Freiheit suchten und anden?
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Siebentes Kapitel
D
ie Mitglieder des königlichen und herzoglichen
Hauses Wittelsbach sind, alles in allem genom-
men, sicherlich interessanter und geistvoller alsdie Habsburger.
Wohl arten auch die Sonderlichkeiten der Bayern bis-
weilen in Wahnsinn aus, doch ist der Unterschied zwi-
schen den beiden Familien der, daß bei den Habsburgern
der Irrsinn sich meistens in Unmoral, Selbsterniedrigung
und gemeinen Ehen äußert, während er den Wittelsbacherin einen romantischen Dulder verwandelt, der in Welten
hoch über allen Banalitäten des Lebens schwebt. Und
nur sehr selten kommen bei ihm niedrige und tierische
Instinkte zum Durchbruch.
Durch die königliche Familie haben sich immer Spuren
von Wahnsinn gezogen, Sonderlinge hat es immer in derherzoglichen Linie gegeben. Aber keiner von uns hat je-
mals die grausigen Schandtaten der Habsburger verübt.
Ich kannte König Ludwig II. sehr gut, denn als ich
noch ein kleines Kind war, besuchte er meinen Vater, mit
dem er sehr bereundet war, of in Garatshausen.
Ludwig wurde mit achtzehn Jahren König und wardamals recht despotisch, sehr romantisch und voll sprü-
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henden Geistes. Der junge Monarch war mit meiner
ante, der Prinzessin Sophie von Bayern, verlobt, doch
die Verlobung dauerte, dank den Intrigen der Hopartei,
der die Partie ein Dorn im Auge war, nur kurze Zeit.
Der Oberstallmeister Gra Holnstein, ein sehr hüb-scher Mann, der des Königs Vertrauen und Freundschaf
besaß, ließ sich als Werkzeug der Hopartei gebrau-
chen und überreden, die Prinzessin zu einer Liebelei
zu verlocken, um des Königs Eiersucht zu erregen. Der
Hophotograph wurde in den Plan eingeweiht und nahm
heimlich einige sehr »zärtliche« Photographien desGraen und der Prinzessin au, die dem König von den
üblichen »guten Freunden« mit dem natürlichen Erolge
gezeigt wurden, daß Ludwig den tiesten Argwohn gegen
seine Braut schöpfe.
Immer wieder verschob er unter neuen Vorwänden die
Hochzeit, bis mein Großvater, der Herzog Maximilian,ihm christlich mitteilte, daß er seine ochter nicht in die-
ser beleidigenden Weise behandeln lasse. Da entschloß
sich der König, von seinem zukünfigen Schwiegervater
in die Enge getrieben und augehetzt von seinen intri-
ganten Ratgebern, das Verlöbnis endgültig zu lösen. Es
war ein harter Schlag ür Prinzessin Sophie, denn sieliebte Ludwig innig, wenn sie auch einige Jahre später die
Werbung des Duc d’Alençon annahm.
Nach dieser Liebesgeschichte, deren traurigen Ausgang
er selbst verschuldet hatte, versank der König allmäh-
lich in einen dumpen rübsinn, wurde Melancholiker
und Weibereind, wenn er auch in seiner Phantasie dieIdealgestalt einer Frau trug. Seine Güte der Dienerschaf
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gegenüber verwandelte sich in Grausamkeit. Er stellte
die gewöhnliche Lebensordnung au den Kop, indem er
die Nacht zum age machte.
Die Vorstellungen, denen er allein im Teater bei-
wohnte, begannen um Mitternacht und waren of erstum ün Uhr morgens zu Ende.
Seine Lieblingsoper war Parzival, und, wie ast jedes
Kind weiß, hat Ludwig sich unvergänglichen Ruhm um
die Musik durch die treue Unterstützung erworben, die
er Wagner angedeihen ließ zu einer Zeit, da noch wenige
sein Genie erkannten.Der König liebte München nicht, sondern wohnte
gern in seinen prächtigen Schlössern Neuschwanstein,
Herrenchiemsee und Linderho, wo sich sein Größen-
wahn in Bauten und Gartenanlagen im Stile Ludwigs
XIV. erging.
In Linderho ließ er eine blaue Grotte anlegen, dieeine genaue Kopie der berühmten Grotte zu Capri war;
Herrenchiemsee war ein Miniatur-Versailles, und hier
im Spiegelsaal gab der König seine Geisterdiners, von
denen er eins später meiner ante beschrieb, die wieder
mit die Einzelheiten, wenn auch nicht in genau densel-
ben Worten, wie olgt, erzählte:Kurz vor Mitternacht schimmerte die wundervolle
Galerie im sanfen Lichte vieler Kerzen und verwandelte
die Kristallkandelaber in Ketten glitzernder Diamanten.
Der mit goldenem Besteck, kostbarem Glas und Blumen
geschmückte isch war ür dreizehn Gäste gedeckt; ün
Minuten vor Mitternacht betrat König Ludwig den Saal,ihre Ankunf zu erwarten.
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Als die Uhr zwöl schlug, öffneten sich die großen
Flügeltüren, und der Zeremonienmeister meldete – Köni-
gin Marie Antoinette.
Ludwig ging ihr entgegen, und was sah er? Eine mär-
chenhast schöne Frau in zarter Seide, das gepuderte Haarmit Perlen und Rosen umwunden, und um den Hals ei-
nen dünnen blutigen Strich.
Denn der König bildete sich ein, daß au seine
Einladung hin der Geist der Königin wieder das irdische
Aussehen aus den prunkvollen agen von Versailles an-
nahm, reilich verdüstert durch das grausame Zeichender Guillotine.
Ludwig XIV., mit wallender Perücke und einem
Gewande aus steiem, goldgesticktem Brokat, kam mit
kleinen Schritten au hohen roten Absätzen seinem
Gastgeber entgegen. Dann blickte die Königin Mary von
Schottland, lieblich anzuschauen in ihrem schwarzenSamtkleide, den roten Kuß des odes au dem Nacken,
dem Könige tie in die Augen und bezauberte seine
Seele.
Katharina die Große, im Glanz ihrer stolzen Gewänder,
brachte einen Hauch von Blut und Sinnlichkeit in den
strahlenden Raum, und der romantische roubadourWolram von Eschenbach, der hinter der hohen Dame
herschritt, erschauerte, als er aus Versehen ihren Arm
streiste.
Zusammen mit dem siegreichen Alexander trat Julius
Cäsar herein, dessen Glatze der Lorbeerkranz verdeck-
te, und Kaiser Konstantin olgte ihnen im Banne derKreuzesvision.
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Hamlet, Prinz von Dänemark, und der übellauni-
ge zynische Diogenes ühlten sich in dem Lichterglanz
sehr wenig heimlich, und ebenso erging es dem Kaiser
Barbarossa, der mürrisch Ludwigs Gruß hinnahm. Der
nächste Ankömmling war ein ernster Mönch. Dannblickte der König besorgt drein, denn ein Gast ehlte.
Doch endlich schwebte die Fee der Berge in den Saal.
Sie war schön wie das Morgenrot im Gebirge, und ihre
Augen waren tielau wie stille Gletscherseen. Unter ei-
nem Kranze von Eiszapen fiel ihr langes, blondes Haar
über die weißen Schultern herab; ihre durchsichtigenGewänder prangten in Blumen und samtenem Moose.
Der König lächelte der Fee zu; sie küßte ihn mit kalten,
euchten Lippen, die von der Reinheit des Alls ern vom
Menschengewühl raunten. Dann legte sie ihm die Hand
au die Stirn und erweckte in ihm süße Erinnerung an
die Wälder und an die wilden iere, die er so liebte undderen Leben ihm heilig war.
Jetzt ging man zu isch, und dreizehn Diener be-
dienten die Gäste, deren Unterhaltung alle Weiten der
Welt und des Geistes umspannte, wie es sich ür eine
Versammlung der Großen aller Zeiten gebührte. Die
Gebirgsee aber saß neben dem König und sprach vonihrem ernen Heim, in dem flüchtige Bäche über sma-
ragdene Wasserpflanzen huschen. Sie erzählte ihm von
dem Geheimnis, das der Wind den annen zuflüstert an
dunklen Wintertagen, und verriet ihm, daß die harzigen
ränen, die sie im Sommer vergießen, den Augen der
Dryaden entquellen, die in ihren Herzen eingeschlossensind. Sie atmete ihm den Duf des blumigen Mooses ih-
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res Gewandes entgegen, und der entzückte König hatte
wenig Aumerksamkeit übrig ür Marie Antoinette, die
Nichtigkeiten vom rianon und den Versailler Fontainen
erzählte.
Zum Schlusse hielt Ludwig einen rinkspruch au sei-ne Gäste, und als die große vergoldete Uhr eins schlug,
zerschellte er sein Glas, au daß es niemals wieder
Verwendung finde zu einem oast au weniger erlauch-
te Gäste. Dann verschwand leise und schwebend die ge-
spenstische Versammlung, und der König schritt hinter
ihr drein.Ludwig glaubte est an die Wirklichkeit dieses Diners,
und seine Dienerschaf bestärkte seine Einbildung, in-
dem sie die Speisen auzehrte, sobald sie abgetragen wa-
ren. Als der König daher durch das Dienerzimmer kam
und sah, daß alles wirklich vertilgt war, war er mehr denn
je von der Wahrheit seines raumgesichtes überzeugt.Herrenchiemsee wurde nie vollendet, da das Geld
zur Ausührung der grandiosen Pläne des Königs ehl-
te. Doch ist es auch in seinem unertigen Zustande ein
wunderbarer Ort.
In Neuschwanstein ließ sich der König bei ische nicht
bedienen.Wenn er au eine Feder drückte, versank sein runder
Eßtisch durch eine Öffnung im Fußboden, der nächste
Gang wurde hingestellt, und der isch stieg wieder zum
Eßzimmer empor.
Etliche Flaschen Sekt standen in Eiskühlern neben
dem König, und wenn der isch nicht schnell genug wie-derkehrte, schleuderte er einige Flaschen durch das Loch
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hinunter als nachdrückliche Mahnung ür die Diener,
daß er nicht zu warten wünsche.
Des Nachts weckte der König (wahrscheinlich au
die geisterhafe Einladung der Gebirgsee) of seinen
Haushalt aus dem Schlae, um nach einem seiner Jagd-schlösser zu sprengen. Und Bauern, die den Lärm seines
rosses durch die Dunkelheit dahinstieben hörten, be-
kreuzten sich voll Grauen und glaubten, der wilde Jäger
mit seinem gespenstischen Geolge sei unterwegs.
Elisabeth schrieb ihrem Vetter immer in Versen; in die-
ser Korrespondenz war sie stets die »Seemöwe« und derKönig der »Adler der Berge«. Die Kaiserin liebte Ludwig
sehr, dessen Romantik eine verwandte Saite in ihrer ei-
genen weitabgewandten Seele berührte. Sie vergaß dem
verstorbenen Prinzregenten niemals seine Beteiligung
an der ragödie, die Ludwigs Leben ein so trauriges Ziel
stellte.Der König hatte in München einen prächtigen Winter-
garten, der au dem Dache der Residenz angelegt war.
Hier plätscherte auch ein künstlicher See mit dem Hima-
layagebirge als Panorama-Hintergrund. Und wenn der
König in dem Garten saß, war ein Kulissenmond sein
bleiches Licht au die schneebedeckten Gipel.Das Schlazimmer der Königin Marie lag unmittelbar
unter dem Wintergarten.
Eines Nachts, als die Königin mit einer schweren
Erkältung zu Bett lag, wurde sie durch die Entdeckung
zu ode erschreckt, daß der See durch die Decke tropfe
und ein langsamer, aber unaualtsamer Regen au ihreBettstatt niederging.
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Die unglückselige Dame wußte zuerst nicht recht, was
sie tun sollte, da die Ärzte ihr streng verordnet hatten,
unter keinen Umständen das Bett zu verlassen.
Flugs rie sie ihre Bedienung, die einen großen Regen-
schirm brachte, unter dem sie zwei Stunden lang Schutzsuchte, bis der undichte Boden des Gartens ausgebessert
war.
Es erübrigt sich, mitzuteilen, daß die Königin am
Morgen die Zimmer wechselte und einen eil der
Residenz ern der Geahrzone wählte.
Der König ließ of Künstler des Teaters im Winter-garten aufreten. Ich entsinne mich noch des Geschickes
der Josephine Schezky, einer starken, großen Person, de-
ren einziger Lebenswunsch es war, die Aumerksamkeit
Ludwigs au sich zu lenken.
Da alle Sänger hinter einer spanischen Wand verbor-
gen sangen, waren Josephines Chancen, dem König Augein Auge zu begegnen, außerordentlich gering. Doch wel-
che Frau wäre je um Hilsmittel verlegen gewesen! Sie
wußte, wie romantisch ritterlich der König gelegentlich
sein konnte; so beschloß sie, in den See zu allen und ihn
zu zwingen, sie zu retten.
Der ersehnte Abend erschien, Josephine sang demlauschenden Könige so schmelzend wie nie, und als der
Gesang verschollen war, fiel sie mit hellem Auschrei in
den See.
Es entstand ein mächtiges Getöse, und die Wasser
spritzten bis hinau zu den höchsten Gipeln des Himalaya.
Doch die Dame stand nur bis zum Kinn im Wasser, dennder See war nicht so tie, wie er aussah.
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»Lohengrin, rette mich, rette mich!« schrie die liebes-
entbrannte Sängerin; doch den König ließ ihr Hileru
völlig kalt. Er klingelte.
»Holt das Weib aus dem See und schickt es nach
Hause!« beahl er, und Josephine marschierte trieend,traurig und um eine Erahrung reicher aus dem Wasser
und ür immer aus der Residenz heraus.
Eines ages, da ich ungeähr ünzehn Jahre alt war,
sprachen Ludwig und mein Vater über Musik, und als
Papa zuällig äußerte, daß ich eine ganz nette Stimme
hätte, sagte der König soort, er würde mich gern einmalhören.
»Schade, daß der Wintergarten nicht im Stande ist,
denn sonst hätte Marie mir dort vorsingen können, «be-
merkte Ludwig ein oder zwei age später, als er sich sehr
gnädig über meine Leistung aussprach.
»Auch ich bedaure es sehr«, antwortete ich, »denn ichhabe den märchenhafen Garten schon lange einmal se-
hen wollen.«
Der König entgegnete nichts, doch ehe er München
am nächsten age verließ, ließ er Papa kommen und teil-
te ihm mit, daß der Wintergarten ausdrücklich ür mich
hergerichtet worden war, und daß wir ihn am Abend allezusammen besichtigen sollten. Er sah sehr hübsch aus,
und der See war recht romantisch. Der Mond stieg glatt
hinter den Pappebergen hervor, und als wir Abschied
nahmen, überreichte mir der Obergärtner ein großes
Bukett im Namen des Königs.
Ludwig nahm au die Empfindungen anderer wenigRücksicht. Man erzählte sich eine komische Geschichte
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über Jose Kainz, der zum Deklamieren beohlen war.
Kainz rezitierte Stück au Stück, doch als die Stunden
vorschritten, begann er Hunger zu empfinden, und
schließlich trieb ihn der Anblick des taelnden Königs
ast zur Verzweiflung.Ludwig, der in glücklicher Ahnungslosigkeit über die
Raubtiergelüste seines Untertanen schwelgte und nur des-
sen einschmeichelnde Stimme seine Lieblingsgedichte
vortragen hörte, war nicht au den jähen Ausbruch ge-
saßt, der der Ankunf einer Schüssel Koteletts olgte.
Kainz hielt mitten in der Rezitation inne, stürzte auden König zu und flehte in tragischen önen:
»Um des Himmels willen, Majestät, geben Sie mir ein
Kotelett; ich sterbe vor Hunger.«
Der König sprang au und floh wortlos aus dem
Zimmer. Ich weiß nicht, ob Kainz sich seine Abwesenheit
zunutze gemacht und die Koteletts verschlungen hat; aberdas weiß ich, daß er niemals wieder zum Deklamieren in
die Residenz geladen wurde.
Mancherlei Gerüchte sind über den od König
Ludwigs im Schwange gewesen. Man hat unter ande-
rem verbreitet, er sei au Bismarcks Anstifung ermor-
det worden; doch als Familienmitglied kann ich mitallem Nachdruck versichern, daß von diesem Unsinn
kein Wort wahr ist. Des Königs Wahnsinn nahm eine so
ernste Wendung, daß es absolut notwendig wurde, ihn
zu bewachen. Er war indessen noch klar genug, zu er-
kennen, was diese Freiheitsberaubung ür ihn bedeute-
te, der bisher rei wie ein Vogel gelebt hatte. Er wählteals Bereiungsmittel den od, der vielleicht das Beste ür
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ihn war. Niemand wird jemals genau wissen, was sich au
jenem letzten Spaziergang ereignete, den er mit seinem
Arzt am Starnberger See unternahm. Doch als die Leichen
am Morgen geunden wurden, hielt der König den Arzt
unter Wasser, und darüber herrscht kein Zweiel, daß siebitter miteinander gerungen haben.
Ludwig II. starb am 13. Juni 1886. Ihm olgte au dem
Trone sein Bruder Otto, dessen ich mich als eines gut-
mütigen, hübschen Jünglings erinnere, der uns of in un-
serer Loge im Opernhause besuchte. Sein Gehirnleiden
begann bei seiner Rückkehr von einer Reise nach demOrient, wo er sich eine sehr traurige Krankheit geholt
hatte. Der arme Mensch bekam urchtbare Krampanälle,
und es war ein schmerzlicher Anblick, ihn im Teater zu
sehen, da sein Leiden ihn of zwang, sich die Hände zu
kratzen, bis sie bluteten.
Später litt Otto auch an epileptischen Anällen. Manhielt ihn in Nymphenburg verborgen, wo Papa ihn of
besuchte. Einmal begleitete ich ihn und setzte mich
im Garten nieder, um Papa zu erwarten. Plötzlich hör-
te ich Fußtritte, und zu meinem Entsetzen stand Otto
vor mir. Er sah erschreckend krank aus und hatte sich
bis zur Unkenntlichkeit verändert, denn sein Haar hinglang herab, und seine Nägel glichen Krallen. Zu meinem
Erstaunen erkannte er mich und sagte reundlich:
»Liebst Du Blumen, Marie?«
»Sehr,« antwortete ich voller Neugier, was nun wohl
kommen würde.
Otto begann soort allerhand Gewächse auszureißen,die er in einem Hausen zu meinen Füßen auschichtete.
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Ich war sehr nervös und blickte mich ängstlich nach ei-
nem Wege zur Flucht um, doch glücklicherweise erschien
in diesem Augenblicke sein Wärter und ührte ihn ort.
Der König lebt jetzt in Gewahrsam au Schloß
Fürstenried, das von einem großen Hirschpark umschlos-sen ist. Es liegt ungeähr zwei Stunden von München.
Ehe er unheilbar krank wurde, besuchte ihn seine Mutter,
die Königin Marie, of. Doch jetzt ist er ganz zum iere
geworden. Der verstorbene Prinzregent sorgte immer
daür, daß seinem unglücklichen Neffen die peinlichste
Pflege zuteil wurde, und zweiellos tut sein Sohn, der jet-zige Regent, das gleiche. Doch mit dem ode des kranken
Königs und der Tronbesteigung des Prinzen Ludwig
sollte endlich ür Bayern eine neue und glücklichere
Epoche des Königtums anbrechen.
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Achtes Kapitel
A
lle meine anten waren sehr schöne Frauen,
doch mit sehr verschiedenem emperament,
obwohl sie sich sehr ähnlich sahen.Königin Sophie von Neapel lebt meistens in München
und ist bei den Leuten, mit denen sie in Berührung kommt,
sehr beliebt. Sie heiratete durch Stellvertretung mit ün-
zehn Jahren und war sehr enttäuscht, als sie bei ihrer
Ankunf in Neapel ihren Gemahl zum ersten Male sah,
da das Bild, das man ihr geschickt hatte, einen sehr hüb-schen Mann zeigte, während das einzig Hervorragende
an dem Könige seine Häßlichkeit war. ante bezwang
philosophisch und mutig ihren Schmerz; doch das pein-
liche Ereignis, das während der Hochzeitsnacht eintrat,
flößte ihr einen unüberwindlichen Ekel gegen ihren
Mann ein.Die junge Braut wurde mit allerhand Zeremonien
von ihren Hodamen zu Bette gebracht, und nachdem
König Franz sich eingeunden hatte, wurden die Schla-
zimmertüren verschlossen; die Schlüssel blieben im
Gewahrsam hoher Beamten. Unglücklicherweise hatte
der König bei dem Staatsbankett zu übermäßig geges-sen und war inolgedessen während der ganzen Nacht
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sehr unwohl. Da das Zimmer keine Klingel hatte, kann
man sich den angenehmen Zustand ungeähr vorstellen,
der sich den Beamten bot, als sie die üren am nächsten
Morgen auschlossen.
ante war sehr unglücklich, denn König Franz wareine widerliche Kreatur, der mit seiner Frau nicht ei-
nen Gedanken gemein hatte; sein od muß eine wahre
Erlösung ür sie gewesen sein.
Man hat Königin Sophie »die Heldin von Gaeta«
genannt in Anerkennung des Mutes, den sie bei der
Verteidigung der Stadt während der Belagerung durchViktor Emanuel zeigte. Man kann ruhig behaupten, daß
sie die ganze Verteidigung allein leitete. Ihr war es zu ver-
danken, daß die Besatzung mit allen kriegerischen Ehren
abziehen durfe. Die Königin stand au den Wällen und
hal sogar beim Richten der Kanonen.
Ich erinnere mich, daß ante Sophie mir erzählte, ihreGesellschaferin zur Zeit der Belagerung sei eine alte ita-
lienische Herzogin gewesen, die ihr zwar sehr ergeben,
aber so entsetzt war, als das Geschützeuer begann, daß
sie die meiste Zeit unter dem Bette verbrachte.
Nach dem Kriege lebte das Königspaar einige Jahre
lang in Rom, wo ihr einziges Kind starb. Als ich nochein ganz kleines Mädchen war, besuchte ich ante Sophie
au zwei Monate in St. Mandé, wo sie eine Villa besaß.
Während meines Auenthaltes dort verkehrten wir viel
mit den Rothschilds. Ich lernte Bettina Rothschild ken-
nen, eine der entzückendsten Frauen, die ich je gesehen
habe, die im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern derberühmten Familie nicht die Spur jüdisch aussah.
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Meine ante Prinzessin Helene, der Franz Jose einen
Korb gab, um ihre jüngere Schwester Elisabeth zu heira-
ten, wurde die Gemahlin des Fürsten Turn und axis,
des reichsten Fürsten in Bayern. Es war eine lieblose Ehe;
nach . ihres Mannes ode wurde die Prinzessin rommund endete schließlich ihr Leben in Bigotterie. Nach
dem ode nahm sich die Kaiserin ihres ältesten Sohnes
Max an. Zwischen beiden bestand eine große Zuneigung,
doch mein Vetter starb sehr jung, und sein Bruder, der
Gatte der Erzherzogin Marguerita, ist jetzt der Che des
Hauses.Meines Vaters dritte Schwester, Prinzessin Mathilde,
heiratete den Prinzen rani, den Bruder des Königs
von Neapel. Die beste Beschreibung von ihr ist die, daß
sie eine Karikatur der Kaiserin war. Wie Elisabeth ver-
stand sie die Kunst, sich zu kleiden; ihre außerordentli-
che Dürfigkeit trug ihr in der Familie den Spitznamen»Spatz« ein.
Die Herzogin d’Alençon war ein engelhafes Geschöp,
deren heroischer od mit ihrem seelenvollen Leben in
harmonischem Einklang stand. Sie hat sich in Wahrheit
niemals von dem Schmerz über die Auflösung ihrer
Verlobung mit König Ludwig erholt und blieb immereine leidgebeugte Frau. Ich war gerade in München, als
sie nach des Königs od dorthin kam. Sie bat mich, sie in
die Kapelle zu begleiten, da sie an der Bahre beten wolle.
Die Herzogin legte einen wundervollen Kranz mit pur-
purnen Schleien am Sarge nieder, dann fiel sie au die
Knie und weinte herzbrechend. Ich ließ ihren Schmerzsich austoben, ehe ich sie zu trösten suchte, denn ich
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empand, daß solchem Leid gegenüber Worte ohnmäch-
tig sind. Plötzlich blickte meine ante mich an und sagte
mit unbeschreiblichem Weh in der Stimme:
»Marie, glaubst du, daß er mir vergeben hat?«
Die Ehe meiner Großeltern war, wie die meistenHeiratsunternehmungen der Familie, recht unglück-
lich. Die rauung and im Schlosse egernsee statt, der
Sommerresidenz des alten Königs Max Joseph I. Meine
Großmutter, ein großes, schönes Mädchen, sträubte sich
gegen den kleinen schlichten Mann; doch da ihr beoh-
len wurde, den Herzog Max zu heiraten, hatte sie sichdamit abzufinden.
egernsee, das rüher ein Kloster war, ist ein seltsa-
mer alter Bau mit vielen langen Gängen, aus denen klei-
ne üren in die zahlreichen Oenräume ühren, die das
Schloß heizen.
Hier in egernsee gab es nicht die Zeremonie derEntkleidung der Braut, die die Ehe der Königin von
Neapel eingeleitet hatte. Meine Großeltern gingen
ohne jede Begleitung den Korridor hinab, der zu ihrem
Brautgemach ührte. Da wurde die Abneigung meiner
.Großmutter gegen ihren Mann plötzlich so hefig, daß
sie empand, sie könne und wolle die Nacht nicht beiihm bleiben. Ein glücklicher Gedanke kam ihr, als sie bei
einer der offenen üren vorüberschritten. Die Braut äu-
ßerte eine starke Neugier nach den Geheimnissen hin-
ter dieser ür. Zuvorkommend ging der Bräutigam au
Erkundung. Kaum war er aber über die Schwelle, da ver-
schloß meine Großmutter die ür, steckte den Schlüsselin die asche und lie davon.
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Am nächsten Morgen meldete ein verstörter Diener, in
dem langen Gange tobe ein höllischer Lärm. In der at ver-
nahm man ein dumpes Dröhnen, Klopen und Fluchen,
als eine Unter-suchungskommission au dem Plan er-
schien. Nach einigem Zaudern schloß ein Beherzter dieür des Oenraumes au, aus dem das Gepolter wetterte,
und zur allgemeinen Verblüffung erwies es sich, daß die
rußige Gestalt, die da hervortauchte, niemand anders
war als der Herzog, der nach Recht und Billigkeit sich in
viel angenehmerer Lage hätte befinden sollen.
Es ist nicht verwunderlich, daß das Eheleben mei-ner Großeltern nach diesem »schwarzen« Anang nicht
sonderlich reundlich war, und während ihrer letzten
Lebensjahre sahen sie sich kaum, obwohl sie unter dem-
selben Dache wohnten,
Mein Vater hat mir of eine amüsante Begebenheit er-
zählt, die sich zutrug, als er mit meiner Großmutter zuElisabeths Hochzeit mit Franz Jose nach Wien uhr. Es
gab in jenen agen noch keine Eisenbahnen; die lange
Reise wurde daher in sehr großen Wagen zurückgelegt.
Im ersten saß meine Großmutter, Prinzessin Elisabeth
und eine Hodame; mein Vater, der Hoammerherr und
zwei Beamte olgten in dem zweiten, während die übri-gen Wagen die Dienerschaf und das Gepäck beörder-
ten.
Meine Großmutter hatte einen sagenhafen neuen Hut
gekauf, mit dem sie die Wiener niederschmettern wollte,
und aus Furcht, ihm könne etwas zustoßen, vertraute sie
ihn meinem Vater an, der die Riesenschachtel mit demkostbaren Inhalt während der ganzen Reise ans Herz
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preßte. Kurz vor Wien kippte meines Vaters Wagen um,
und in der Verwirrung, die diesem Mißgeschick olgte,
setzte er sich unseligerweise au die Schachtel und brach
durch den Deckel durch.
»Mein Hut, mein Hut!« schrie meine grauenentstellteGroßmutter, die hastig ihren Wagen verlassen hatte, um
nachzusehen, was geschehen war.
»Ihm ist nichts passiert,« rie Papa, stellte bei diesen
Worten den lädierten Kopschmuck au die Knie und ver-
suchte seine geknickte Befiederung wieder auzurichten.
Doch das Stroh war sehr sein, und bei seinem Drückenund Streichen stieß er das Knie mitten durch die Krone
hindurch und gab ihm den Rest. Meine Großmutter ra-
ste, und während ihres ganzen Wiener Auenthaltes hör-
te sie nicht au, darüber zu jammern, daß Wien ihren
Wunderhut aus Bayern nicht erlebt hatte.
Des verstorbenen Regenten Schwester, PrinzessinAlexandra, war ebenalls wahnsinnig; das Gerücht schrieb
ihren Zustand einer unglücklichen Liebesaffäre zu. Sie
hatte sich in einen jungen Offizier vernarrt, doch der
bloße Gedanke an eine Ehe mit ihm wurde als Wahnwitz
betrachtet, und das schöne Mädchen wurde trübsinnig,
wie aus ähnlichen Gründen König Ludwig.Die Prinzessin wurde von der fixen Idee verolgt, sie
sei von Staub bedeckt. Sie und ihre Kleider wurden da-
her den ganzen ag lang von Mädchen, die sich hier-
in ablösten, abgebürstet; ja, selbst ihre Speisen und ihr
rank mußten vor ihren Augen abgestaubt werden. Eine
andere ihrer Wahnideen ging dahin, daß ein Soa seinenAuenthalt in ihrem Kope genommen habe, so daß die
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Prinzessin es ür höchst geährlich ür sich hielt, durch
eine ür zu gehen, da sie dabei leicht die Enden des Soas
abstoßen konnte.
Diesem lästigen Zustande wurde glücklicherweise ein
Ende bereitet. Denn ein Pfiffikus kam au die Idee, einPuppensoa in die Schüssel zu legen, die die Prinzessin
bei einer Übelkeit benutzte. Man redete ihr nun ein, daß
ihr Leid durch das Ringen des Soas nach Freiheit ver-
ursacht worden war und daß jetzt alles gut sei, da es ja
glücklich durch den Mund entkommen wäre.
1887, im Jahre nach König Ludwigs ode, reiste ichnach Bad Kreuth bei egernsee, wo ich die Kaiserin tra.
Elisabeth hatte mich seit der ragödie vom Starnberger
See nicht gesehen; wir sprachen viel über den König und
mancherlei Begebenheiten aus seinem Leben, die nur wir
beide kannten.
Eines ages unternahmen wir einen weiten Spaziergang,bei dem die Unterhaltung wie gewöhnlich au Ludwig
kam. Wir hatten uns zur Rast niedergelegt, und vielleicht
erweckte die einsame Größe der Gebirgswelt ringsum
die Erinnerung an den toten Vetter in unserem Gemüte.
»Er ist nicht glücklich,« sagte ante Sissi, und ein my-
stischer Glanz verklärte ihre Augen bei diesen Worten.»Ich spreche of mit Ludwig. Seine Seele hat keinen
Frieden geunden.«
Ich war an Elisabeths sonderbare Ideengänge so ge-
wöhnt, daß ich kein Erstaunen zeigte und nur ragte:
»Hast du den König gesehen?«
»Ja, Marie,« antwortete ante; »was ich dir jetzt erzäh-len will, ist Wort ür Wort wahr. In der ersten Nacht, die
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ich nach Ludwigs ode in Bayern zubrachte, ist er mir
erschienen.«
»Aber, ante Sissi, das war sicherlich ein raum!«
»Es war kein raum,« entgegnete die Kaiserin.
»Ich hatte mich zu Bett begeben, konnte aber keinenSchla finden, obwohl das Zimmer dunkel und draußen
alles ruhig war.
Während ich die einsamen Stunden hindurch wach
lag, quälten mich allerlei Gedanken, und plötzlich schien
es mir, als hörte ich ein monotones ropen von Wasser.
Es regnet wahrscheinlich, sagte ich mir, und dieropen allen au die Blätter dicht an meinem Fenster.
So beachtete ich denn das Geräusch nicht weiter, bis ich
einen Laut vernahm, wie das Gurgeln des Wassers ge-
gen den Strand.Du kennst dieses Rauschen, Marie; wir
haben es of au unseren Ritten am Stamberger See ge-
hört. Allmählich erüllte dieses sanfe Sickern das ganzeZimmer, und ich durchlebte alte Nöte des Ertrinkens. Ich
röchelte und erstickte und rang nach Luf, dann schwand
das Grauen, mit letzter Kraf setzte ich mich im Bett au
und atmete wieder rei.
Der Mond war jetzt augegangen, und sein Schein er-
leuchtete das Zimmer mit ageshelle. Da sah ich, wie dieür sich langsam öffnete, und Ludwig kam herein.
Seine Kleider waren schwer vom Wasser, das an ihm
herabtriefe und kleine Lachen au dem Parkett bildete.
Sein euchtes Haar klebte um sein weißes Gesicht, doch
es war Ludwig, wie er im Leben ausgesehen hatte.
Wir starrten einander schweigend an, dann sagte derKönig langsam und traurig:
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›Hast du Angst vor mir, Sissi?‹
,Nein, Ludwig, ich habe keine Angst‹
,›Ach,‹ seuzte er,‹ der od hat mir nicht den Frieden
gebracht, Sissi; sie verbrennt in Qualen. Die Flammen
umflackern sie, der Rauch erstickt sie. Sie verbrennt, undich kann sie nicht retten!‹
›Wer verbrennt, lieber Vetter?‹ ragte ich.
›Ich weiß es nicht, denn ihr Gesicht ist verhüllt,‹ ant-
wortete er, ›doch ich weiß, daß es eine Frau ist, die mich
geliebt hat, und bis ihr Geschick sich erüllt, werde ich
nicht rei sein. Doch nachher wirst du uns begegnen, undwir drei werden zusammen glücklich sein im Paradies.‹
›Was bedeutet das? Wann soll ich dir begegnen?‹
›Das kann ich dir nicht sagen‹, erwiderte Ludwig, ,denn
im Reiche der Seelen kennt man keine Zeit.‹
›Au welchem Wege soll ich Euch begegnen? Wird es
eine Reise durch ein schmerzliches Alter sein voller Reueund Erinnerung?‹
›Nein, Sissi‹, sagte mein Vetter, ›wohl wirst du viele
ränen vergießen und Reue und Erinnerung kennen ler-
nen, ehe du zu uns kommst. Aber deine Reise wird ein
rasches, jähes Ende finden.‹
›Werde ich leiden müssen?‹Er lächelte: ›Nein, du wirst nicht leiden.‹
›Wie soll ich wissen, daß ich nicht träume?‹ ragte ich.
Ludwig kam langsam an mein Bett, die Kälte des
odes und des Grabes durchröstelte die Luf. ›Gib mir
die Hand,‹ gebot er.
Ich streckte die Hand aus, und seine nassen Fingerumschlossen sie. In diesem Augenblick wurde all mein
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Mitleid lebendig. ›O, bleibe,‹ rie ich, ›verlaß’ nicht die
Freundin, die dich liebt, um zu deinen Leiden zurückzu-
kehren. O, Ludwig, bete mit mir um deinen Frieden.‹
Doch während ich sprach, verschwand die Gestalt;
wieder hörte ich das ropen des unsichtbaren Wassersund das Gurgeln des Sees gegen das Uer. Entsetzen aßte
mich, denn ich ühlte die Nähe der Schatten jener ande-
ren Welt, die ihre gespenstischen Arme nach dem rost
der Lebenden ausstreckten.
Dann wurde ich bewußtlos und muß wohl eingeschla-
en sein. Als ich erwachte, graute der ag; doch ich wußte,wie ich es jetzt weiß, daß ich Ludwig wirklich gesehen
und mit ihm gesprochen hatte.«
»Wen kann er wohl mit der Frau, die verbrennt, ge-
meint haben?« ragte ich.
»Ich habe keine Ahnung,« antwortete ante Sissi.
Die Kaiserin sprach of von ihrer seltsamen Erscheinung,und man hat mir erzählt, daß Elisabeth nach dem ode
der Herzogin d’Alençon in jenem urchtbaren Brande
des Wohltätigkeitsbasars anderen erklärt hat, Ludwigs
Prophezeiung habe sich nun erüllt, und auch sie müsse
sich zu ihrer letzten Reise rüsten. Sechzehn Monate nach
dem ode ihrer Schwester hat sie sie angetreten.ZweielIos werden viele diese Geschichte, die ich da-
mals niederschrieb und die ich ast genau mit den Worten
der Kaiserin wiedergebe, albern finden. Doch wer glaubt,
daß die Sympathie der Seelen über das Grab hinaus dau-
ern kann, dem wird es nicht unmöglich erscheinen, daß
Elisabeth und Ludwig sich noch einmal begegnet sind.
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Neuntes Kapitel
Seit jenem Oktobertag, an dem ich lediglich derKaiserin zu Geallen die Frau des Graen Larisch
wurde, war mein Leben ziemlich ereignislos ver-
ronnen. Meines Gatten plötzliches Selbstbewußtsein hat-
te Elisabeths Absichten über den Hausen geworen, und
wenn ich auch viel mit ihr zusammen war, wenn ich ge-
rade in Wien weilte, so war meine Vertrauensstellung beiihr doch dahin. Und manchmal dachte ich voll Bitterkeit
daran, daß ante sich um mich und mein Wohl nicht
mehr halb so viel kümmerte als damals, da ich ihr noch
nützlich sein konnte.
Ich lebte mit dem Graen zuerst in einer einsamen
Gegend Schlesiens, dann zogen wir au ein anderes Gutin der Nähe des Wohnortes der Verwandten meines
Mannes. Doch da Georg nicht zum besten mit seinen
Leuten stand, entschloß er sich, einen Besitz in Böhmen
nicht weit von Pardubitz zu erstehen. Dort baute er einen
Landsitz. Ich hegte keine große Liebe zu unserem neuen
Heim, wo ich mich zu ode langweilte, wenn die Jagden vorüber waren. Aber glücklicherweise gehörte mir ein
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reizendes kleines Haus in den bayrischen Bergen, wo ich
sehr glückliche Zeiten mit meinen Kindern verlebte. Gra
Larisch verschonte uns in Bayern mit seiner Gesellschaf,
da er eine tie eingewurzelte Abneigung gegen meine
Heimat und meine Familie empand. Seine Besuche inVilla Valerie dauerten daher immer nur einige Wochen.
Aber ich war nicht eigentlich unglücklich. Ich liebte mei-
ne Kinder, hatte mancherlei Beschäfigung, und vielleicht
wurde auch die beschränkte bayrische Art in mir ein we-
nig zur Philosophie. Ich hatte, wie die meisten Frauen,
eine stille Liebe, doch das war mein Geheimnis, und derGegenstand meiner Sehnsucht wußte nichts von ihr. Ich
trieb riedlich durch meine gleichmäßigen age dahin,
erwartete keine Veränderung mehr, denn meine Geühle
hatten sich abgestumpf, und ich hatte mich dazu erzo-
gen, das Leben hinzunehmen wie es war.
Im Jahre 1886 tra mich ein Unall, während ich in derPrivatreitbahn der Kaiserin ritt. Mein Perd stürzte mit
mir, und ich brach mir am Sattelknau die Rippen. Ich
verletzte mir Augen und Nase, meine Zähne lockerten
sich, und sechs Wochen lang lag ich hilflos, in einer ver-
dunkelten Stube.
Damals war ante Sissi sehr lieb zu mir, kam of undsaß bei mir und bezauberte mich wie in den alten agen,
und ich ühlte wieder etwas von der rüheren großen
Liebe zu ihr.
Gerade damals begann Elisabeth, sich ihren räumen
vom antiken Griechenland hinzugeben. Sie schien über
die Nichtigkeiten des Lebens hinaus zu sein und rostin ernsten Dingen zu suchen. Eines ages machte ich ihr
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Vorwüre, daß sie mich ihren Zwecken geopert habe.
»Meine liebe Marie,« antwortete sie, »ich kann nichts
daür, daß ich selbstsüchtig bin. Meine Stellung hat mich
dazu gebracht; die Leute opern sich mir, sollte ich es
nicht annehmen?«»Es war nicht gut von dir, mich aus meinem Leben in
München herauszureißen,« sagte ich bitter.
»Du gehörtest mir seit jenem age in Garatshausen,«
erwiderte sie. »Du hast mich weinen sehen, und keiner
außer dir sah je meine ränen. Wenn dich das Leben ent-
täuscht hat, mir ist es nicht besser ergangen, denn auchmich hat es sehr hart mitgenommen. Warum ziehst du
dich nicht in das Heiligtum deiner Seele zurück, wo du
deinen Frieden finden und ausruhen kannst von den
kleinlichen Leiden, die den ruhelosen Sinn noch beküm-
mern?«
Ich suchte ihr darzulegen, daß Marie Larisch nicht inder Welt des Unwirklichen leben konnte, die Elisabeth
von Österreich ür sich entdeckt hatte, und daß ich in ei-
nem solchen Dasein nicht mein Heil zu finden vermoch-
te.
»Ich habe eine seltsame Ahnung, daß dein Leben an
einem Wendepunkt steht,« äußerte ante Sissi, plötzlichin Gedanken verloren. »Manchmal sehe ich dich unter
Blut und ränen, und ich höre Stimmen, die mich vor der
Zukunf warnen.«
»Wirst du nicht immer meine Freundin sein?« orsch-
te ich.
»Immer, so lange ich mich in dir nicht täusche,« ant-wortete Elisabeth.
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»Du hast mich bisher doch immer deines Vertrauens
und deiner Freundschaf würdig beunden,« hielt ich ihr
vor.
»O, meines Vertrauens – ja,« sagte ante Sissi,
»Freundschaf gibt es nicht. Sie ist ein schwankes Rohr,au das man sich in wirklicher Geahr nicht stützen kann.
Dichter besingen ihre Herrlichkeit, aber glaube mir, kei-
ne at, die im Namen der Freundschaf getan wurde, ent-
sprang je einem selbstlosen Motiv. Sie ist eine Farce zwi-
schen Mann und Weib, denn noch kein Mann hat jemals
einer Frau geholen, ohne zu hoffen, daß sie ihm das, waser ihr gab, gelegentlich in gleicher Münze erstatten wür-
de.«
»Du halt seltsame Gedanken,« sagte ich, »deine An-
sichten erschrecken mich.«
Die Kaiserin schwieg. Doch ich mußte über ihre Worte
nachdenken und flehte inbrünstig, daß mir eine Zukunf voller Blut und ränen erspart bleibe.
Im September 1888 kam ich nach Wien, ohne zu ah-
nen, daß das Schicksal mich bald zwingen sollte, gegen
meinen Willen eine Rolle in der ragödie zu spielen, die
als eines der größten Mysterien unserer Zeit betrachtet
wird.Der September ebendieses Jahres war ein wunderba-
rer Nachsommer. Ich genoß in vollen Zügen die Woche,
die ich zu Einkäuen in Wien verbrachte. Ich wohnte im
Grand Hotel und hatte keinem meine Ankunf mitgeteilt,
da ich nicht mit Einladungen belästigt sein wollte. Eines
Morgens, als ich au dem Ring spazieren ging, hörte ichmeinen Namen ruen, und als ich mich umwandte, stand
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die Baronin Vetsera (die Mutter) vor mir.
Die Baronin war eine sehr kleine Frau, deren überaus
geschickt gearbeiteten Kleider ihre schlecht proportio-
nierte Figur und den hohen Rücken kaschierten. Doch
trotz dieser Fehler war sie wirklich sehr hübsch, dennihre ausdrucksvollen dunkelgrauen Augen hätten jedes
Gesicht verschönt.
»O Marie,‹ rie sie, »wie reue ich mich, dich zu sehen!
Was ührt dich nach Wien?«
»Neue Kleider!« antwortete ich lakonisch, »das heißt,
der Wunsch, sie zu besitzen. Doch ich bin nur en passanthier.«
»Bist du allein?«
»Absolut.«
»Dann lasse ich keine Ausrede gelten. Komm’ zu uns
zum Frühstück. Mary und Hanna sind zu Hause, und du
weißt, wie entzückt die ›kleine Mary‹ sein wird, dich zusehen. Du kommst also?«
Ich zögerte.
»Ihr werdet ganz en amille sein?«
»Ganz,« antwortete die Baronin, »ich gehe soort nach
Hause, um den Kindern dein Kommen zu melden.«
Sie schüttelte mir herzlich die Hand, und ich ging wei-ter. Ich hatte die Baronin recht gern, obwohl Gra Larisch
die ganze Familie grob Hochstapler nannte.
Das ganze elegante Wien verkehrte im Vetsera-
Palais, und wenn die Frauen auch böse Dinge über die
Gastgeberin tuschelten, so amüsierten sie sich doch treff-
lich au ihren Diners; denn sie war eine bedachtsame undtaktvolle Frau, die immer daür sorgte, daß ihre Gäste die
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Leute bei ihr traen, die sie zu treffen wünschten.
Der Vater der Baronin Vetsera, Herr Baltazzi, stammte
aus Konstantinopel, wo er eine verantwortliche Stellung
im Hause eines einflußreichen Paschas bekleidet hatte.
Nach des Paschas ode ging Baltazzi nach England, hei-ratete dort und siedelte dann mit seinen Kindern nach
Österreich über.
Da die Söhne tüchtige Sportsleute und die Mädchen
schön und pikant waren, wurden die Baltazzis, die mit
ihrem Gelde waren, mit offenen Armen in die Wiener
Gesellschaf augenommen. Evelyn Baltazzi heirateteden Graen Georg Stockau, ihre Schwerer Marie Virginia
(»Bibi«) den Graen St. Julien, und Helene wurde die
Gemahlin des Baron Vetsera, von dem sie vier Kinder
hatte: Hanna, Mary und zwei Söhne: Lazlo und Féry.
Die Brüder Baltazzi: Alexander, Hektor, Aristides und
Heinrich, waren alle schöne, etwas orientalisch aussehen-de Männer, und wenn sie auch nie zu Hoe gingen, erwies
ihnen das Kaiserpaar doch viel Liebenswürdigkeit, und
Elisabeth selbst stellte mich, wie ich schon erzählt habe,
der Baronin vor.
Madame Vetseras Ru war nicht gerade gut, doch die
Wiener Aristokratie ist in puncto Liebelei sehr duldsamund vergibt so manches einer Frau, die gut und ge-
schmackvoll zu bewirten versteht. Ich war von Zeit zu
Zeit mit den Vetseras recht viel zusammen gewesen, und
die »kleine Mary«, wie sie ihre Freunde nannten, war mir
sehr zugetan. Die ganze Familie ging im Winter 1887 we-
gen des Barons Krankheit nach Kairo, und von dort er-hielt ich höchst romantische und unbedachte Briee von
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Mary; die ein Verhältnis mit einem englischen Offizier
angeknüpf hatte. Als sie im März 1888 nach ihres Vaters
ode nach Wien zurückkehrte, war Mary nicht mehr das
schöne, junge Mädchen, das sie gewesen war. Sie erzählte
mir die ganze Geschichte, als wir uns traen und beklagte,daß der Mangel an Geld und Aussichten eine Ehe zwi-
schen ihr und dem Leutnant verhindert hätte.
Ich tra etwa eine halbe Stunde vor der Frühstückszeit
im Vetsera-Palais ein, und da ich mit Hanna und Mary
etwas plaudern wollte, ging ich unangemeldet zu den
Zimmern der Mädchen.Als ich leise die ür öffnete, vernahm ich den Laut är-
gerlicher Stimmen, und als ich ins Zimmer trat, hörte
ich Mary etwas sagen, was die Schwester offensichtlich
reizte.
Hanna Vetsera, ein ruhiges, reserviertes, schlichtes
Mädchen, war bei ihrer Lieblingsbeschäfigung, ihrerMalerei. Ihr Zimmer ging in das Marys. Sie hatten sich
anscheinend hefig gezankt, denn Hanna blickte böse
und grimmig drein.
»Guten ag, kleine Mary,« sagte ich.
Bei dem Klange meiner Stimme blickte ein junges
Mädchen, das sich über einen Schreibtisch beugte, au;als sie mich erkannte, war sie sich in meine Arme und
küßte mich immer und immer wieder.
Mary Vetseras Bild steht unauslöschlich in meiner
Erinnerung, und ich brauche nur die Augen zu schlie-
ßen, um sie in ihrer rischen Schönheit vor mir zu sehen.
Sie war nicht groß, und ihre geschmeidige Gestalt undihr vollentwickelter Busen ließen sie älter als achtzehn
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erscheinen. Ihr eint war wunderbar zart; ihr kleiner,
roter genußroher Mund öffnete sich über kleinen, wei-
ßen Zähnen, die ich Mausezähne zu nennen pflegte, und
niemals habe ich wieder solche beseelten Augen gesehen
mit solch langen Wimpern und solchen eingezogenenBrauen. Ihr dunkelbraunes Haar war sehr lang, die Hände
und Füße ein und klein, ihr Gang war von einer verüh-
rerischen und unwiderstehlichen Grazie. »O Marie,« rie
sie zwischen den Küssen, »wie ich mich reue, dich zu
sehen!«
»Sachte, sachte,« sagte ich, »was ist denn los? DeineAugen sprühen böse, deine Wangen sind gerötet; du bast
dich sicher mit Hanna gezankt?«
»Mary ist ein törichtes Kind,« rie Hanna aus dem
Nebenzimmer; »mir scheint, sie ist dabei, das bißchen
Verstand zu verlieren, das sie besitzt.«
»Durchaus nicht,« gab Mary zurück.»Was ist denn los?« ragte ich wieder.
»Nun,« sagte Hanna, legte den Pinsel nieder und kam
in das Zimmer der Schwester, »ich werde es dir sagen,
aber du wirst niemals glauben, daß ein Mensch so när-
risch sein kann. Denke dir, sie ist wahnsinnig verliebt
in …, ich werde es dir ganz vorsichtig versetzen, sie ist verliebt – in den Kronprinzen! Was sagst du zu diesem
Blödsinn! Und sie ahnt gar nicht, wie lächerlich sie sich
macht.«
Marys Augen unkelten au, doch sie sagte nichts.
Hanna uhr ort:
»Ihre ganze Liebe zu dir geht au Konto deinerVerwandtschaf mit Rudol. Sie bildet sich auch ein, du
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sähest ihm ähnlich. Sage ihr doch bloß, was er ißt und
trinkt, es interessiert sie brennend.«
»Und wen geht es an, wenn ich mir gestatte, den
Kronprinzen zu bewundern?« ragte Mary gedehnt und
keck. »Es macht mir Vergnügen, jemand anzubeten, der soganz anders ist als alle anderen Männer. Miguel Braganza
hat mir schon eine Menge von ihm mitgeteilt.«
»Ja, du sprichst mit ihm überhaupt von nichts anderem
als von Rudol. Der arme Mann war schon ganz krank
von deinen Fragen,« bemerkte Hanna.
Hier meldete ein Diener, daß das Frühstück auge-tragen sei, und der Streit and zum Glück sein Ende.
Ich war erstaunt, als ich sah, daß die Baronin Marys
Heldenverehrung kannte und sie ür einen guten Witz
hielt. Doch da ich die impulsive Natur ihrer ochter
kannte, beruhigte mich nur der Gedanke einigermaßen,
daß sie Rudol wohl kaum jemals im Privatleben begeg-nen würde.
Welch ein seltsames Geschöp Mary doch war! Sie
war kokett aus Instinkt, unbewußt unmoralisch in ihren
Neigungen, ast Orientalin in ihrer Sinnlichkeit und da-
bei so süß und lieblich, daß jeder sie gern haben mußte.
Sie war zur Liebe geboren, und ihre ägyptische Episodehatte sie zum Weibe gereif, das schon die Gluten der
Leidenschaf kannte.
Marys Phantasie war leider durch schlechte Bücher
verdorben worden, die ihre Zoe Agnes ihr heimlich ver-
scha hatte, und manche ihrer Ideen über Liebe und
Anbeter entsprangen unsittlichen, grell augetragenenranzösischen Romanen.
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Nach dem Frühstück schleppte Mary mich in ihr
Zimmer und bombardierte mich geradezu mit Fragen
nach meinem Vetter. Das machte mir eigentlich Spaß,
denn ich hatte in ihm nie einen Mann gesehen, der die
Phantasie eines jungen Mädchens geangen nehmenkonnte.
»Liebe Marie, ich habe eine große Bitte an dich,«
flüsterte sie und preßte ihren schönen Kop an meine
Schulter.
»Nun, was ist es denn, du dummes Mädel?«
»Du gehst zu den Feierlichkeiten zur Diamanthochzeitdeiner Großeltern,« antwortete sie; »ich weiß, Rudol
wird dort sein. Bitte, sag’ ihm, daß eine, die ihn liebt, ihm
innige Grüße sendet.«
»Fällt mir gar nicht ein!« erwiderte ich. »Wöle wie
Rudol ressen schließlich solche kleine Lämmer, wie
du bist, mein liebes Kind. Ich versichere dich, er ist inWirklichkeit gar nicht der Heros, den du in ihm siehst,
sondern ein ziemlich herzloser und hefiger Mann.«
»Das glaub’ ich nicht!« rie sie. »Jedenalls überbringe
ihm meine Botschaf.«
Doch ich wollte mir diesen Unsinn nicht länger an-
hören, und als ich Abschied nahm, sah ich ihr voll insGesicht und sprach:
»Ich hoffe ernsthaf, ich werde bei meiner Rückkehr
nach Wien hören, daß du dir Rudol aus dem Sinn ge-
schlagen hast. Glaube mir, ›kleine Mary‹, er ist einer ern-
sten Neigung nicht wert.«
Bald vergaß ich Mary Vetseras Angelegenheit. Doch,als ich au einige age nach Wien zurückkehrte, empfing
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ich von ihr einen Brie, in dem sie anragte, ob sie mich
eines Nachmittags zum ee besuchen düre. Ich erwider-
te, daß ich mich sehr reuen würde, und bald darau tra
Mary mit ihrer Zoe im Hotel ein.
Ich erwartete, Rudols Namen zu hören, sobald wirallein waren. Doch zu meiner großen Überraschung
erwähnte Mary ihn nicht, sondern erzählte mir den
ganzen Wiener Klatsch, und ich reute mich, daß ihre
Schwärmerei ür meinen Vetter erloschen war.
Ehe Mary ging, bat sie mich um die Erlaubnis, einen
Brie zu schreiben, den sie dann in ihren Sealskinmuffsteckte. Sie ersuchte mich, mit ihr hinunter zum Wagen
zu kommen, »bloß zu einem letzten Kuß,« wie sie erklär-
te.
Als ich ihr Adieu sagte, stürzte sie zu meiner
Überraschung plötzlich au den Hotelbrieasten zu und
war den Brie ein, den sie oben geschrieben hatte. Danngab sie mir noch einen flüchtigen Kuß und war ort.
Am nächsten age erhielt ich einige Zeilen von Mary.
»Laß mich dich, bitte, heute abend besuchen,« schrieb sie,
»ich habe dir viel zu erzählen.« Da ich ganz allein war,
hatte ich gegen ihren Besuch nichts einzuwenden. So
schrieb ich denn der Baronin und ragte an, ob Mary denAbend mit mir verbringen düre.
Sie war an jenem Abend in ausgelassenster Laune,
tanzte im Zimmer umher, küßte mich dazwischen im-
mer wieder, bis sie endlich ruhiger wurde und sich neben
mich setzte.
»Marie, kannst du ein sehr, sehr großes Geheimnis be-wahren?« ragte sie.
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Ich lächelte bei dem Gedanken, wessen Geheimnisse
ich seiner Zeit bewahrt hatte. »Ich glaube,« sagte ich.
»Und wirst keinem jemals etwas verraten?«
»Ich werde keinem jemals etwas verraten.«
»Dann höre, laß mich deine Hand halten, Marie – dubist so lieb, so – jetzt werde ich anangen. Endlich habe
ich Rudol kennen gelernt. Ich konnte ohne ihn nicht le-
ben. Er war mein einziger Gedanke. Ich mußte ihm sa-
gen, was ich ür ihn empand.«
Ich uhr au. Was würde ich noch hören! Aber ich
konnte nichts anderes sagen, als: »Nun, Mary?«»Ich habe ihm geschrieben,« uhr sie ort. »ich sagte
ihm, daß ich ihn liebe, und daß ich nur den einen Wunsch
hätte, ihn zu sprechen. Ob er mir eine Zusammenkunf
bewilligen wolle. Ein postlagernder Brie unter der und
der Nummer würde mich erreichen.«
»Und Rudol?« ragte ich, und wußte nicht recht, obich schlie oder wachte.
»Rudol antwortete,« erwiderte Mary. »Er teilte mir
mit, daß jede Nacht um zwöl Uhr ein Fiaker eine Stunde
lang in der Salesianergasse warten würde. Wenn ich also
entschlüpen könne, würde ich wissen, was ich zu tun
hatte.«»Hatte er eine Ahnung, wer die Absenderin des Briees
war?« ragte ich.
»Ich glaube« erwiderte sie, »denn er hat mich of ange-
starrt, wenn er im Prater uhr.«
»Ich hoffe doch, daß du nicht so unklug warst, mit
meinem Vetter zusammen zu treffen!«»Blick doch nicht so chokiert drein, Marie!«
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»Ich bin chokiert. Antworte soort!«
»Nun … ja, ich bin gegangen.«
Ich war einach erschlagen, denn ich wußte, wie streng
Mary gehalten wurde, und daß sie ohne Begleitung nicht
über die Straße gehen durfe.»Ich habe Agnes ins Vertrauen gezogen,« erläuterte
Mary; »sie war die geeignetste Person, denn da ihr Vater
Hauswart in unserem Palais ist, kann sie sich leicht des
Schlüssels bemächtigen, wenn ich unbeobachtet hinaus
oder hinein will.«
Ich konnte Agnes nicht leiden, die, wie man allgemeinwußte, zu allen Männern der Baltazzi-Familie in recht
reien Beziehungen gestanden hatte. Ich sagte Mary, daß
ich ihr Benehmen skandalös ände.
Sie lachte und zündete sich eine Zigarette an. Dann uhr
sie in ihrem Berichte ort: »Jedenalls bin ich hinausge-
schlüpf. Ich zog einen Schlarock über mein Nachthemd,und als ich erst bei Hanna vorbei war, die wie eine ote
schläf, kroch ich die reppen hinunter. Dort erwartete
mich Agnes mit einem langen Mantel und einem dich-
ten Schleier, den ich um Kop und Gesicht wickelte. Sie
schloß die ür au, und ich lie die Straße hinab, sprang
in den Fiaker, der an der Stelle wartete, die Rudol be-zeichnet hatte.«
»Und dann?«
»Wir uhren los, und bald hielt der Fiaker. Eine Gestalt
tauchte aus der Nacht. Es war Rudol! O, Marie, wie kann
ich dir meine Geühle schildern? Ich wurde ast ohn-
mächtig vor Freude, als ich ihn an meiner Seite wußte.Ich ühlte mich wie im Himmel. Wir sprachen von tau-
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send Dingen. Er war gerade so anbetungswürdig, wie ich
ihn mir vorgestellt habe.«
»Mary, Mary!« rie ich. »Armes Kind, denk’ doch an
die Folgen! Solch ein Abenteuer kann doch nicht gut ab-
lauen!«Sie schlang die Arme um meinen Hals. »Du wirst uns
nicht verraten!«
»Nein, nein,« versicherte ich, »mich geht es überhaupt
nichts an. Ich will durchaus nicht in diesen verrückten
Skandal hineingezogen werden.«
Mary gab sich die größte Mühe, mir zu beteuern, daßdie ganze Sache höchst unschuldig sei. Wenn man sie
hörte, war des Kronprinzen Moral unerschütterlich. Ich
blieb ziemlich ungläubig, denn ich hatte Rudol niemals
als einen Mann schildern hören, der vor Jugend und
Unschuld zurückscheute, wenn seine Wünsche in Frage
kamen.Ich weiß, es ist nur ein glücklicher raum,« uhr sie
ort, »von dem ich eines ages erwachen werde. Dann
werde ich irgendeinen anderen heiraten. Ich habe sogar
mit Rudol über den Mann gesprochen, der mich zum
Weibe haben will.«
Das interessierte mich, und ich ragte, wer dieser prä-sumtive Bräutigam wäre.
»Der dumme Herzog von Braganza,« lachte Mary, »er
kennt auch meine ganze Affäre mit dem Kronprinzen.«
»Wirklich?« staunte ich. »Und du bildest dir ein, daß er
dich trotz dieser Kenntnis heiraten wird?«
»Er ist so in mich verliebt, daß er alles tun wird, wasich von ihm verlange. Du weißt doch, wie blöd er ist.«
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Marys Zynismus stieß mich zurück. »Höre au mei-
nen Rat,« versuchte ich es wieder, »und gib diese Liebelei
mit Rudol au. Sie ist geährlich, und ist sie erst bekannt,
wird nicht einmal dein toleranter Miguel dich heiraten,
wenn die Sache zum öffentlichen Skandal geworden ist.Im übrigen wollen wir nicht weiter davon sprechen.«
Und ich wechselte das Tema. Sie war taktvoll genug,
den Gegenstand nicht weiter zu berühren. Aber beim
Abschied sagte sie einach:
»Du wirst mein Geheimnis wahren, Marie?«
»Ich habe es dir schon einmal versprochen,« erwider-te ich. »Du kennst meine Ansicht über dein Benehmen,
und du weißt, wie Rudol dich kompromittieren kann.«
Mary wurde nervös und gereizt, doch ich nahm au
ihre Geühle keine Rücksicht.
»Du hast auch mit der Kronprinzesssin zu rechnen,«
uhr ich ort, »und ich versichere dich, sie kann einesehr bittere Feindin sein, also, alles in allem, sind deine
Aussichten au Glück gering. Und vergiß nicht, auch die
Kaiserin ist noch da, und was würde sie von dir den-
ken?«
»Was sie von mir denken würde?« erwiderte Mary
verächtlich. »Als ob die Kaiserin jemals an irgend etwasoder an irgend wen außer an sich dächte!«
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149
Zehntes Kapitel
I
ch blieb einige Wochen in Pardubitz, während deren
ich nichts von Mary hörte. Sport und Jagden üllten
meine Zeit aus, und, wenn ich ehrlich sein will, mußich bekennen, daß mich ihr reiben nicht allzu sehr in-
teressierte. Da diese Gleichgültigkeit vielleicht ungünstig
beurteilt werden könnte, will ich erklären, daß anderer
Leute Liebesgeschichten mir niemals sonderlich nahe-
gegangen sind, und daß ich damals den blutigen Ernst
dieser Schwärmerei Marys noch gar nicht ahnte. Wennich heute die ganze Angelegenheit objektiv betrachte, so
sehe ich ein, daß es das einzig Richtige ür mich gewesen
wäre, Madame Vetsera soort alles mitzuteilen, was ich
wußte. Aber ich scheute davor zurück, weil ich nicht da-
von überzeugt war, daß Mary ernstlich in Rudol verliebt
war, und dann hatte ich auch mein Wort verpändet, ihreBekenntnisse nicht zu verraten.
Die ersten Fröste machten der Jagd ein Ende, und da
ich mit meinen Zähnen zu tun hatte, beschloß ich, wie-
der nach Wien zu ahren.
Gra Larisch erhob keinen Widerspruch, als ich ihm
meine Absicht kundtat. »Ich bitte dich nur, Marie,« sag-te er, »dich nicht zu sehr mit der Baltazzi-Horde einzu-
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lassen, und … Madame Vetsera und Mary sind mir im
höchsten Grade unangenehm.«
»Mein lieber Georg,« antwortete ich kalt, »ich bin wirk-
lich ziemlich ähig, mir meine Freunde allein auszusu-
chen. Du hast dich schon mit Erolg zwischen ante Sissiund mich gedrängt, ich ersuche dich, nicht das Gleiche
bei den Baltazzis zu tun.«
Die Konsultation bei meinem Zahnarzt ergab, daß ich
länger in Wien bleiben müßte, als ich ursprünglich be-
absichtigte. Alle Welt ast, außer den Vetseras, war ver-
reist, und da ich mich ziemlich langweilte, wurde es beimir zur Gewohnheit, sie zu besuchen, so of ich dazu in
Stimmung war.
Mary erwähnte Rudol nicht, schien aber nervös und
überreizt und ich bemerkte mit Bedauern die häufigen
Reibungen zwischen ihr und Hanna. Sie zankten sich
ortwährend, und eines ages gerieten die Schwesternbeim Frühstück in offenen Streit, ohne au die Baronin
oder mich die leiseste Rücksicht zu nehmen. Schließlich
war Mary Messer und Gabel hin, stieß den Stuhl zurück
und rannte weinend aus dem Zimmer. Die Mutter olgte
ihr, und ich mußte Hannas Zornerguß über die Schwester
mit anhören.»Wenn Mama vernünfig wäre, würde sie Mary einmal
durchhauen,« sagte sie; »mir ist übel vor ihr. Sie ist nur
noch ein Bündel Nerven und …«
Da machte der Eintritt der Baronin Hannas Anklagen
ein Ende.
»Mary ist wirklich nicht wohl,« bemerkte MadameVetsera. »Du würdest mir einen großen Geallen tun,
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Marie, wenn Du heute nachmittag mit ihr ausahren
würdest. Das arme Kind meint, rische Luf würde ihr
gut tun.«
Hanna zuckte die Schultern. Als ich nach dem
Frühstück in Marys Zimmer ging, hatte sie ihre ränengetrocknet und war heiter und erregt.
»Liebe, liebe Marie, willst du mich wirklich mitneh-
men?« rie sie soort. »Ach, du bist ein Engel. Wir wollen
um vier in den Prater ahren. Bitte, bitte, sag’ ja!«
»Was in aller Welt gibt es um vier Uhr im Prater zu
sehen?«Mary küßte mich.
»Aber ›ER‹ ährt doch of dort um diese Zeit, und ich
möchte ür mein Leben gern einen Blick von ihm erha-
schen. Dabei ist doch nichts Schlimmes,« ügte sie ängst-
lich hinzu, als sie bemerkte, daß ich nicht gerade erbaut
war. »Du bist ein solch verstehender Mensch, daß du mirnachempfinden wirst, wie elend ich mich zu Hause ühle.
Ich habe Rudol eine Ewigkeit nicht gesehen. Schlag mir
diesen kleinen Geallen nicht ab, liebe, gute Marie.«
Auch ein hartherzigerer Mensch als ich hätte ihr nicht
widerstehen können, und schließlich schien es ja nur
eine geringügige Bitte.»Gern tu’ ich es nicht,« gab ich nach, »aber ich werde
mit dir in den Prater ahren.«
Hanna, die unbemerkt das Zimmer betreten hatte,
sagte ironisch:
»Ach, das arme Kindchen will in den Prater ahren!
Fahre nur ja mit ihr hin, sonst wird sie am Ende wiederkrank.«
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Um vier Uhr waren Mary und ich in der ast ausgestor-
benen Praterallee. Da ich meinen schottischen errier im
Wagen mitgenommen hatte, beschloß ich, auszusteigen
und ihn ein bißchen lauen zu lassen, sobald wir dem
Kronprinzen begegnet sein würden. Wir brauchten nichtlange zu warten. Denn bald kam ein Phaethon in Sicht,
und als er an uns vorüberflog, erkannte ich Rudol, der
selbst kutschierte. Er blickte zu uns herüber, doch da
Mary vorsichtig war und kaum Notiz von ihm nahm,
reute ich mich, daß ich ihr den Wunsch erüllt hatte.
»Laß ›Boy‹ nicht hier aussteigen,« sagte sie. »wir wollenlieber zum Praterstern ahren, dort ist es viel schöner.«
Wir verließen den Wagen am Stern, und ich achtete
nicht weiter darau, als ich hörte, wie Mary dem Kutscher
beahl, hinter der Brücke au uns zu warten. Dann hak-
te sie sich in meinen Arm ein, und wir marschierten zu
»Boys« großem Entzücken au die einsamen Gebüschelos.
»Jetzt können wir uns in aller Ruhe unterhalten,« sag-
te Mary. »Ich bin so unglücklich, wie ein Mensch nur sein
kann. Hanna quält mich den ganzen ag und hetzt Mama
gegen mich au. Ich habe das Leben satt.«
»Vielleicht argwöhnt Hanna mehr, als sie eingesteht,«bemerkte ich. »Mary, wie stehst du mit Rudol? Ich hoffe,
du hast diesen törichten Flirt augegeben. Mir graut vor
einem Klatsch oder Skandal, denn du bist ein solch un-
vorsichtiges, impulsives kleines Mädel.«
Mary lachte zynisch. »O, der Klatsch hat schon ein-
gesetzt. Die böse Kronprinzessin weiß, daß ich ihreNebenbuhlerin bin.«
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Ich war wie vor den Kop geschlagen und and minuten-
lang keine Worte. Mary sah an diesem Herbstnachmittag
hinreißend aus. Ihre Wangen blühten wie leuchtende
Nelken; sie trug ein esches graues Kostüm mit kostba-
rem Pelz. Ich konnte mir vorstellen, daß Stephanie er-kannte, wie geährlich ihr dieses Mädchen werden konn-
te, und daß Sie keine sanfe Feindin sein würde, wenn
ihre Eiersucht einmal geweckt war.
Wir hatten jetzt den »wilden« eil des Praters erreicht,
der wie ein von vielen Fußwegen durchkreuzter Wald ist.
Ich schlug den Weg ein, der uns zu der Allee zurücküh-ren mußte, wo unser Wagen wartete, plötzlich löste sich
Marys Strumpand. Sie verschwand in ein Gebüsch, um
es zu beestigen, ich mußte »Boy«, dessen Jagdinstinkte
erwacht waren, schar im Auge behalten. Denn ich wollte
meinen kleinen Hund nicht dem Schicksal des Wilderers
aussetzen. Au einmal fiel mir Marys Abwesenheit au;doch als ich mich umwandte, entdeckte ich zu meiner
äußersten Bestürzung, daß sie nirgends zu sehen war.
Ich rie, erhielt aber keine Antwort. Und plötzlich ging
mir ein Licht darüber au, daß man mich zum Narren
gehalten hatte und daß alles zwischen Mary und dem
Kronprinzen ein abgekartetes Spiel war.Ich überlegte verzweielt, was ich tun sollte. Sollte ich
au Mary hier warten? Sollte ich zu dem Wagen zurück-
kehren? Oder wäre es das beste, soort zur Baronin zu
ahren und ihr alles zu sagen?
Während ich grübelnd unter den Bäumen stand, sah
ich plötzlich einen Mann mich fixieren, und außer mir vorFurcht, man könne mich erkennen, gab ich das Warten
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au und eilte, so schnell meine Füße mich trugen, zu mei-
nem Wagen zurück. Gerade als die große Allee in Sicht
kam, stand ich plötzlich Rudol und Mary gegenüber.
Ich uhr zurück, denn im ersten Moment erkannte ich
meinen Vetter nicht, der in einen langen Militärmantelgehüllt war.
»Liebe Marie,« sagte er und küßte mir die Hand, »ver-
gib uns diese kleine Kriegslist; sie ist wirklich sehr harm-
los.«
Ich war zu erbittert, um Worte zu finden, und eilte wei-
ter, Mary hinter mir her. Der Kronprinz olgte schwei-gend, und, nachdem er ziemlich betreten Abschied ge-
nommen hatte, ging er davon.
Als der Wagen sich in Bewegung setzte, blickte Mary
zum Fenster hinaus, dann sank sie in die Kissen zurück.
»Wie empörend!« stöhnte sie.
»Was ist empörend?« ragte ich schar. »DeineAufführung wohl, wie?«
»Nein,« antwortete sie, »dieser gemeine Herr von
Pechy hat hinter uns her spioniert. Ich dachte gleich, daß
er es ist. Jetzt bin ich meiner Sache sicher.«
Ich war entsetzt bei dem Gedanken, daß der Fremde,
den ich in dem Gehölz gesehen hatte, vielleicht auchPechy war, der ür eins der größten Klatschmäuler Wiens
galt. Ich wandte mich Mary zu.
»Ich hoffe, du bist mit dem Erolg deines Komplotts
zurieden. Bis morgen rüh wird Pechy die Geschichte in
ganz Wien herumgebracht haben, und mein Name wird
hineingezerrt werden. Denn es sieht genau so aus, als hätteich dich hierher gebracht, damit du dein Rendezvous mit
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dem Kronprinzen abhalten kannst. Mary, der Verstand
steht mir still über deine Arglist!«
»Wenn ich es dir gesagt hätte, so hättest du mich heu-
te nachmittag doch nicht mitgenommen,« antwortete
sie mit einer Offenheit, die mich entwaffnete. »Marie,ich mußte Rudol irgendwie sehen. Denke dir, Agnes ist
eine Woche krank gewesen, und ich hatte keinen, den ich
ins Vertrauen ziehen konnte. Als ich eruhr, daß du bei
uns rühstücken würdest, habe ich ihm geschrieben, ich
würde dich überreden, mit mir nachher in den Prater zu
ahren.«»Ich bin sehr, sehr böse,« sagte ich ernst. »Ihr beide, du
und Rudol, seid krasse Egoisten; keiner von euch denkt
an meine Lage in der Sache.«
Mary brach in ränen aus und versicherte mir zwi-
schen dem Schluchzen, daß sie mir keine weiteren
Unannehmlichkeiten bereiten würde. Es sei wirklich nureine platonische Liebe, sie würde sie augeben.
»Nur, bitte, sag’ Mama nichts! Mama liebt mich nicht
ehrlich. Schon als kleines Mädchen hat sie mich nur als
eine Sache behandelt, über die sie zu ihrem Vorteil ver-
ügen will. Und Hanna – ich hasse sie, sie hätte in ihrem
Kloster bleiben sollen. Sie ist zur Nonne geboren, dannhätte sie und ihre langweilige Malerei mich nicht so ir-
ritiert, wie sie es jetzt tun. Ich will ja heiraten, aber du
darst mir das bißchen Glück, das ich vorher kosten will,
nicht mißgönnen. Du weißt am besten, was ich von ei-
ner Konvenienzehe zu erwarten habe. Denk an dich. Du
weißt ja, wie unglücklich du mit dem Graen Larischbist.«
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Ich konnte mich eines Geühls des Mitleids mit dem
erregten Mädchen nicht erwehren.
»Mary,« sagte ich, »ich will dir dieses Mal noch verge-
ben. Wir wollen nicht mehr darüber sprechen. Du kannst
mich zu Jungenaum begleiten, ich will mir einige Sachenmachen lassen.«
Während ich sprach, hielt der Wagen, und bald schien
Mary ihr Leid im Eier der Besichtigung der letzten
Winterneuheiten vergessen zu haben. Ich war verblü
über den schnellen Umschwung ihrer Stimmung, reu-
te mich darüber aber bei dem Gedanken, daß sie, wennes mit Rudol zu brechen galt, die rennung nicht zu
schmerzlich empfinden würde.
Beim Vetsera-Palais setzte ich Mary ab und kehrte
ins Hotel zurück, wo ich ein elegramm vorand. Meine
jüngste ochter hatte einen Unall erlitten, und unser
Arzt in Pardubitz wünschte einen zweiten Arzt zuzuzie-hen, ich war urchtbar erschrocken, schickte soort nach
Proessor Wiederhoer und verließ mit ihm Wien am sel-
ben Abend.
Die Verletzung war nicht so schlimm, als man zuerst
beürchtet hatte. Doch die Krankheit und der od mei-
nes Großvaters, des Herzogs Maximilian, der bald daraueintrat, machten es mir unmöglich, meinem Versprechen
gemäß an Mary zu schreiben. Bald jedoch bekam ich von
ihr einen Brie, und seiten habe ich einen solchen hyste-
rischen Erguß gelesen. Ein orientalischer Fatalismus tob-
te sich darin aus, seltsam vermengt mit einer trotzigen
Auflehnung gegen ihr Geschick. Ich konnte erkennen,wie heiß sie nach Freiheit und Liebe lechzte. Das Herz
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tat mir weh, doch es schien mir das beste, ihr hart und
vernünfig zu antworten.
Anang Dezember uhren Gra Larisch und ich zu
Weihnachtseinkäuen nach Wien. Am zweiten age teil-
te Georg mir mit, daß er eine Einladung zum Diner imVetsera-Palais ür uns angenommen habe. Ich starrte ihn
erstaunt an.
»Was hat deine Ansicht über die Baronin so geändert?«
ragte ich.
»Ach,« antwortete mein Mann, »ich tra die Baronin
heute, Mary war mir ihr. Ich bin ganz überrascht, wiehübsch sie geworden ist.«
Ich lächelte. Das ungezogene Mädchen hatte offenbar
versucht, meinen Mann zu erobern.
Am Abend speisten wir bei den Vetseras und tra-
en dort auch Marys treuen Verehrer, den Herzog von
Braganza, der mit mir durch seine Ehe mit Elisabeth axis verwandt war. Damals war Miguel ein .junger, hübscher
Witwer, denn Elisabeth war vor einigen Jahren gestorben;
seine beiden Söhne wurden von der Erzherzogin Maria
Teresia erzogen. Wir unterhielten uns köstlich, und ich
war ganz traurig, als Georg daran erinnerte, daß es Zeit
ür die Oper sei.»Wie, ihr geht zu Fuß?« rie Mary, »ach, nehmt mich
doch mit!«
Ich blickte meinen Mann an. Ich bat ihn nie gern um
einen Geallen, konnte Mary aber die Bitte nicht abschla-
gen. Zum Glück hatte Georg gut gegessen, so daß meine
Frage ein ungewöhnliches Entgegenkommen and. Ichsagte Mary, sie solle ihren Mantel holen, und als wir ihr
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Schlazimmer betraten, küßte sie mich in überströmen-
der Dankbarkeit.
»Wie bist du lieb!« rie sie und machte sich dann an ih-
rem oilettentische zu schaffen. Ich sah, daß sie sehr erregt
war, und als sie einen wundervollen Diamanthalbmondin ihrem dunklen Haar beestigte, rie ich aus:
»Aber, Kind, wir gehen doch nicht zum Ball!«
Agnes, die sie bediente, lächelte maliziös, als wolle sie
sagen: »wie naiv Du doch bist«. Und Mary lachte.
»Warum, glaubst du wohl, wollte ich in die Oper ge-
hen?« ragte sie. »Faust zu hören! Keine Idee. Ich will hin,weil die beiden belgischen Bäuerinnen da sein werden
und ich mich an ihrem Staunen weiden will, wenn sie
mich in eurer Loge sehen.«
»Betrage dich vernünfig,« gebot ich, »vergiß geäl-
ligst nicht, daß ich keinen Ärger mit der Kronprinzessin
wünsche. Mir scheint, du beweist ein sehr raglichesaktgeühl damit, daß du dich und deine Diamanten
heute abend in der Oper zur Schau stellst.«
Wir eilten zum Wagen, denn es war schon spät ge-
worden. Bei unserer Ankunf hatte der erste Akt be-
reits begonnen. Ich barg mich hinter den Samtgardinen,
Georg kauerte im Hintergrund, und Mary saß zu meinerRechten vor aller Augen. Man muß es ihr lassen, daß ihre
Schönheit den Saal durchstrahlte. Ihr weißes Crepe-de-
Chine-Kleid war raffiniert in seiner Einachheit, und ihr
herrlicher Nacken und die Arme hoben sich wie schim-
merndes Elenbein ab von den roten Vorhängen der
Loge. Große Diamantboutons unkelten in ihren Ohren,und der Halbmond in ihrem Haar war eine flammende
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Farbenglut. Ihre Augen sprühten, ihre Wangen brannten,
und keck glitt ihr Blick über die kaiserliche Loge gegen-
über hin, als sie Rudols Gegenwart mit einem imperti-
nenten kleinen Lächeln quittierte. Die Kronprinzessin
und Louise von Koburg schienen höchlichst amüsiertbei Marys Anblick. Dann stellten sie beide mit seiner
Bosheit ihre Operngläser au sie ein. Mir war sehr un-
behaglich zumute, doch zum Glück bewahrte Mary ihre
Selbstbeherrschung, und der peinliche Abend verlie wi-
der Erwarten ohne jeden wetteren Zwischenall.
Früh an nächsten Morgen brachte meine Zoe Jennymir einen Brie, au dessen Beantwortung der Bote
wartete. Jenny war eine sehr zuverlässige Person, deren
Familie seit Generationen im kaiserlichen Dienst gestan-
den hatte; sie kannte allen Wiener Klatsch. Als ich ragte,
wer wartete, antwortete sie vielsagend: »Fräulein Agnes«.
Der Brie kam von Mary und enthielt die Anrage, obich sie um ün Uhr empangen könne. Ich überlegte ei-
nen Augenblick und antwortete dann »ja«.
Mary war pünktlich. »Du bist doch nicht böse?« rag-
te sie und sah mich ängstlich an, denn ich war orciert
kühl.
»Ich liebe diese Art nicht, in der du mich ür deineZwecke ausnutzest’. erwiderte ich.
»Aber, Liebste, ich habe nichts Schlimmes getan. Hast
du jemals etwas so Garstiges gesehen wie die belgischen
Prinzessinnen? Sie haben keine Figuren, sie sind wie
Heubündel, die man in der Mitte zusammengebunden
hat. Mir tat Rudol leid. Hast du gesehen, wie sie michangestarrt haben?« ragte Mary, sich überstürzend.
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»Nicht so viel au einmal. Ich gebe zu, daß die
Prinzessinnen nicht sehr schön ausallen, aber daür
können sie nichts. Und daß sie dich anstarrten, ist nicht
wunderbar,« antwortete ich; »du bist doch ein dummes
Mädel, Mary.«»Ah, sie hassen mich!« rie sie. »Und Stephanie nennt
mich ›la petite.‹ «
»Wer hat dir das gesagt?«
»Wer außer Rudol kann das wissen?«
»Höre, Mary,« sagte ich. »Ich habe die Überzeugung,
daß du mir etwas verheimlichst, und daß du Rudol vielöfer siehst, als du wahr haben willst.« Sie errötete. »Nein,
Marie, ich sage dir wirklich alles, aber – wie lange bleibst
du noch in Wien?«
»Was kümmert dich das?«
»Sag’ es mir doch, bitte, liebe Marie!«
»Nun, noch zwei oder drei age.«»Dann muß es morgen sein.«
»Ich habe deine Abenteuer satt,« lehnte ich ab. Doch
sie wollte nicht hören.
»Du brauchst weiter nichts zu tun, als mich zu beglei-
ten. Ich will mich im Atelier Adele photographieren las-
sen.«»Wahrscheinlich ein Geschenk ür den
Kronprinzen?«
Mary antwortete nicht, doch ehe sie Abschied nahm,
hatte ich in meiner Schwäche eingewilligt, ihren Wunsch
zu erüllen. So gingen wir zu Adele.
»Du sollst das beste Bild haben,« sagte sie, als dieSitzung vorüber war. Und dann hatte sie eine Idee.
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»Weißt du was, Marie, wir wollen uns zusammen pho-
tographieren lassen. Die Gelegenheit bietet sich vielleicht
nie wieder. Komm.« Und sie schleppte mich ast in den
Oberlichtsaal.
Später hatte ich guten Grund, dieses atale Bild zu be-dauern. Doch wer konnte damals das Kommende ah-
nen!
Weihnachten eierten wir in Pardubitz. Es war ein
trauriges Wetter. ieer Schnee bedeckte die Erde und
während der langen, düsteren Abende wanderten mei-
ne Gedanken gegen Süden. Ein sehnsüchtiges Verlangennach dem blauen Himmel der Riviera packte mich. Ich
lechzte nach Sonne und Wärme und röstelte, wenn
ich durch das Fenster au die Winterlandschaf hin-
ausblickte. Aus Wien kam keine Nachricht; nur am
Weihnachtsmorgen hatte ich Marys Photographie erhal-
ten. Darunter standen die rätselhasten Worte: »reu bisin den od«.
»Dies ist die letzte Photographie, die ich von mir ma-
chen lasse,« schrieb sie. »Ich will es wie die Kaiserin hal-
ten und in jedermanns Erinnerung in meiner Schönheit
und Jugend ortleben.«
Armes Kind. Sie ahnte nicht, wie tragisch ihre Wortebald wahr werden sollten!
In mir war eine vage Unruhe, doch ich schob mei-
ne ungewöhnliche Nervosität au meine bedrückende
Umgebung. Georg nörgelte über seine Gesundheit und
teilte mir zu meiner großen Freude mit, daß er sich ent-
schlossen habe, sogleich nach der Riviera zu ahren undnicht bis zu unserem üblichen Exodus im Februar zu
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warten. Er bildete sich ein, daß er immer mit einem Fuße
im Grabe stände, und bei der geringsten Erkältung sah er
stets sein Ende voraus.
»Wenn wir wirklich nach dem Süden gehen, muß ich
nach Wien und mir Kleider besorgen,« bemerkte ich.»ue das,« stimmte er bei, »nimm Jenny mit und ahre
einige age rüher. Aber das muß ich dir sagen, ich habe
die gute Meinung verloren, die ich von Mary Vetsera hat-
te. Das Mädchen ist eine Erzkokette, ich wünsche diese
große Freundschaf zwischen ihr und dir nicht.«
»Nanu? Was hat Mary denn verbrochen?«Er lächelte und blickte vielsagend drein.
»Sprich doch, ich bin wirklich gespannt,« sagte ich.
»Erinnerst du dich noch an den ag, an dem du mit ihr
zu Adele gingst? Denk dir, sie hatte doch die Dreistigkeit,
mir zu sagen: ,Ich will mich nur ür Sie photographieren
lassen, lieber Gra, denn ich weiß, wie lieb Sie mich ha-ben‹.«
»Hast du ihr geglaubt?«
»Marie, das Mädchen wollte mich zu einer Erklärung
verlocken,« versicherte mein Gemahl ernst. »Ich kann
natürlich nicht daür, daß ich Frauen reize – aber ich er-
mutige sie nicht.«»O, Georg, wie einältig du bist,« gab ich zurück.«
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Elftes Kapitel
I
ch bestellte mir telegraphisch unsere gewohnten Zim-
mer im Grand Hotel und kam mit Jenny nach Wien.
Da ich zuällig einen eil der Reise von Pardubitzmit einem gesprächigen Freunde der Vetseras mach-
te, war ich überzeugt, daß die Baronin sehr bald meine
Ankunf in der Hauptstadt erahren würde. Doch zu
meinem großen Staunen ließ Mary nichts von sich hö-
ren, und ich wunderte mich, ob wohl etwas Unerwartetes
seit unserer letzten Begegnung geschehen sei. Zwei agenach meiner Ankunf kam ich nach ün Uhr von eini-
gen Besorgungen heim, legte ab und wollte gerade nach
Jenny klingeln, als sie zu meiner Überraschung in den
Salon stürzte. Das Mädchen sah erregt aus und flüsterte
mir bestürzt zu:
»Der Kronprinz ist da!«Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, da trat eine
hohe Gestalt im Offiziersmantel ins Zimmer. Es war
mein Vetter.
Rudol hatte den Kragen des Mantels hochgeschla-
gen und das Käppi tie in die Stirn gezogen. Einige
Augenblicke starrte ich ihn verwundert an, dann trat erau mich zu, küßte mir die Hand und sagte: »Ich hoffe, du
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wirst mir diesen ormlosen Besuch verzeihen, Marie.«
Ich schwieg, und mein Vetter sah mich mit seinem
mokanten Lächeln an:
»Du scheinst Mamas weise Lehren über die Notwen-
digkeit der Selbstbeherrschung vergessen zu haben. Dusiehst wie ein erschrecktes Schulmädchen aus.«
»Ich habe nicht die Ehre deines Besuches erwartet,«
sagte ich.
»Ja, meine liebe Cousine, ich mußte dich unbedingt
sprechen.«
Er setzte sich bei diesen Worten, legte aber den Mantelnicht ab.
»Ich will dir jetzt in aller Kürze den Grund meines
Kommens mitteilen. Meine Beziehungen zu dem kleinen
Vetsera-Mädel sind dir kein Geheimnis?«
»Ich weiß einiges,« erwiderte ich vorsichtig.
»Eine Antwort, die deiner Erziehung in Gödöllö Ehremacht. Du kannst mich nicht täuschen, Marie, du weißt
alles.«
»Nun, vielleicht, ich glaube es aber nicht.«
»Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß es eine plato-
nische Freundschaf ist?« sagte der Prinz. »Solltest du das,
so muß ich dir den Wahn leider zerstören. Die Sache istdurchaus nicht unschuldig. atsächlich bin ich in mehr
als in einer Beziehung in einer gräßlichen Lage. Ich ver-
traue au deine Hile.«
»Woher wußtest du, daß ich in Wien bin?« ragte ich.
»Von Mary natürlich, obwohl ich sie in den letzten
agen nicht gesprochen habe. Doch wir schreiben uns,und sie schickt mir ihre Briee durch Agnes. Einiges
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Gerede über uns ist der ›alten Dame‹ zu Ohren gekom-
men (so nannte mein Vetter immer die Baronin), und
das arme Kind wird beobachtet und gescholten, daß sie
der Verzweiflung nahe ist.«
»Ich vermute, daß Herr von Pechy der Urheber desSkandals ist.«
»Stimmt. Und du weißt, was er ist.«
Ich nickte. »Geährlich ist er. Aber, Rudol, wie konn-
test du nur so töricht sein und dich so in die Nesseln set-
zen?« Der Kronprinz zuckte die Achseln.
»Nichts passiert einem Manne leichter, als sich mit ei-ner hübschen Frau einzulassen, und Mary ist ein wahrer
kleiner euel. Das Dumme ist, daß sie den Kop verloren
hat, und wenn du sie nicht irgendwie zur Vernunf bringt,
wird sie über die Stränge schlagen und einen regelrech-
ten Skandal entesseln. Das muß verhindert werden.«
»Ja,« stimmte ich bei. »Doch du hast schon so mancheweibliche Fessel abgeschüttelt, warum nicht Mary?«
»Einach, weil sie sich nicht abschütteln läßt,« sagte
Rudol wütend. »Weiß der euel, ich habe mir die Lunge
ausgeredet, sie zu bewegen, Miguel Braganza zu heiraten.
Es würde mir wunderbar passen; denn ich glaube, ich bin
ür die Rolle des Hausreundes geradezu prädestiniert.«»Du trägst von allem Anang an die ganze Schuld,
Rudol. Es war ein bodenloser Egoismus von dir, Marys
Seelenrieden zu stören, und jetzt ürchte ich, wirst du
liegen müssen, wie du dich gebettet hast. Ich kann dir
nicht helen.
Übrigens,« ügte ich hinzu, »warum wendest du dichgerade an mich? Wir hatten einander niemals übermä-
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ßig gern gehabt. Wir wollen ehrlich sein und uns hierin
nichts vormachen.«
Der Kronprinz hatte sich erhoben, war ans Fenster
getreten und trommelte nervös gegen die Scheiben.
Plötzlich kam er zu mir und nahm meine Hand. Irgendetwas in seinem unglücklichen Gesicht erinnerte mich
an den ag, an dem ich seine Mutter unter dem Baum
in Garatshausen hatte weinen sehen. Ich ließ ihm mei-
ne Hand und dachte, daß ich vielleicht doch kein Recht
hätte, ihm meinen Beistand zu versagen. Er war Blut von
meinem Blute, war mein Vetter und der Sohn der gelieb-ten ante, der ich immer blindlings geolgt war. Und ich
sagte:
»Rudol, ich werde dir helen!«
»Ich wußte, ich könnte mich au dich verlassen,«
antwortete er. »Höre. Diese Intrige wäre weiter nicht
schlimm, wenn sie nicht mit viel wichtigeren Dingenzusammenträe. Ich habe keine Zeit ür Liebeleien, denn
dringende Dinge verlangen meine ganze Spannkraf. Du
weißt wie schlecht ich mit Stephanie lebe; du weißt, wie
unleidlich mein Vater ist, und dich brauche ich nicht dar-
an zu erinnern, wie wenig meine Mutter mich liebt. Kurz,
mir ekelt.«Rudol ließ meine Hand los und ging im Zimmer au
und ab. Jede Bewegung verriet seine Erregung.
»Ach,« rie er, »ich habe dieses Leben satt! Ich wünsch-
te bloß, ich hätte den Mut und die Unabhängigkeit
Johanns von oskana. Er ist ein reier Geist, der dem
Kerker der Hofintrigen entronnen ist. Du weißt, wie wi-derlich dies alles ist; du hast hinter die Kulissen geblickt
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lebt und daß es ast erschöpf ist? Mary ist ihr letzter
Einsatz.« Ich war starr vor Überraschung, zweielte in-
dessen nicht, daß mein Vetter die Wahrheit sprach. Ich
konnte die Unterredung nicht ortsetzen, denn ich hat-
te mich zu isch bei meiner Schwägerin angesagt, undes war schon spät. Rudol bemerkte, daß ich ungeduldig
wurde.
»Ich halte dich wohl au?« bemerkte er. »Aber bitte,
überbringe Mary meine Wünsche.«
»Rudol,« sprach ich, »nachdem ich einmal mein Wort
gegeben habe, halte ich es. Ich will in dieser unangeneh-men Angelegenheit tun, was ich kann, und Mary morgen
besuchen.«
»Marie, das willst du wirklich ür mich tun?!«
»Ja, ich habe es dir zugesagt!«
»Dann schreibe mir das Ergebnis. Du kannst mir den
Brie in meine Zimmer in der Burg schicken. Ich bin dortallein mit Loschek. Aber sorge daür, daß dein Brie nur
ihm persönlich abgegeben wird. Adieu, liebe Cousine.
Du ahnst nicht, welche Last du mir abgenommen hast.«
Ich dachte ziemlich vorwursvoll daran, daß er seine
Last au meine Schultern abgewälzt hatte; doch da ich
versprochen hatte, ihm zu helen, mußte ich nun einmalmein Wort halten.
»Hat dich jemand erkannt, als du herau kamst?« rag-
te ich.
»Nein,« versicherte er, »ich kam unbemerkt die
Dienstbotentreppe herau, und Bratfisch erwartet
mich mit seinem Fiaker vor der Kutscherkneipe in derMaximilianstraße.
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»O, au Bratfisch ist Verlaß,« sagte ich ganz beruhigt,
denn der brave Mann hätte jeden Blutstropen ür mei-
nen Vetter hingegeben. Er war in alle Abenteuer des
Kronprinzen eingeweiht, und ich glaube, wenn Rudol
ihm beohlen hätte, in die Hölle zu ahren, so hätte ersich bemüht, den nächsten Weg dorthin zu finden.
Jenny ergänzte später meines Vetters Bericht. Sie hatte
ihn im Korridor getroffen, und er hatte verlangt, soort in
meine Zimmer geührt zu werden.
»Wollen Kaiserliche Hoheit einen Augenblick warten,
bis ich Sie gemeldet habe?« ragte das Mädchen. DochRudol war ihr au dem Fuße geolgt.
Wir waren beide ganz verstört von den Ereignissen des
Nachmittags. Jenny wußte, daß irgend etwas Unerwartetes
den Kronprinzen zu mir geührt haben müßte; ich konn-
te ihr deutlich ansehen, daß sie ahnte, Mary Vetsera stehe
damit in Zusammenhang.Ich war bei dem Diner sehr bedrückt, und jeder be-
merkte meine Geistesabwesenheit. Ich war herzlich
roh, als ich wieder in dem Hotel war. Doch ich schlie
sehr unruhig und wurde von gräßlichen räumen ver-
olgt, in denen ich mit Rudol und Mary verzweielte
Abenteuer erlebte. Ich erwachte zerschlagen und konntemeine gewöhnliche Ruhe nicht finden. Auch vermochte
ich ein Geühl der Sorge nicht loszuwerden. Ich such-
te mir darüber Klarheit zu schaffen, ob Rudol mich
nur als Strohmann benutzte, und mir fiel ein, daß mein
Mißtrauen gegen ihn schon aus meinen Kindertagen
stammte. Es war mir nichts Neues, von meinen verschie-denen Verwandten als Mittelsperson benutzt zu werden.
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Aber ihre Intrigen waren meistens romantisch und harm-
los und vor allem bald vorüber und vergessen. Doch der
Prinz glich nicht meinen verliebten Familienmitgliedern,
und ich hatte bisher noch nicht mit dem Feuer gespielt.
Ich erinnerte mich an Elisabeths Worte: »Hüte dich vor Rudol!« Die Kaiserin hatte diese Warnung gegen ih-
ren Sohn offenbar nicht ohne ernsten Grund ausgespro-
chen. »Man dar ihm nicht trauen,« hatte sie gesagt, »er
kann ein geährlicher Feind sein.« Warum hatte ich mich
von einer plötzlichen Auwallung ortreißen lassen und
meine Hile versprochen! Es war sehr wohl möglich, daßMary und Rudol ein geheimes Spiel spielten. aten Sie
das wirklich? Ich beschloß, keine Minute mehr zu ver-
lieren, ging zum Schreibtisch und wollte einen Brie an
Mary schreiben.
Dieser Mühe wurde ich indessen enthoben, denn
Jenny meldete die Baronin Mary Vetsera und ihreGesellschaferin, eine Dame, deren Pflicht es war, sie au
allen Gängen zu begleiten.
Ich eilte au sie zu und küßte sie. Mary wandte sich an
ihre Begleiterin und sagte:
»Wollen Sie so reundlich sein und in Jennys Zimmer
au mich warten? Ich möchte allein mit der GräfinLarisch sprechen.«
Die Gesellschaferin verließ mit Jenny das Zimmer.
Mary war sich in einen Sessel und zündete sich eine
Zigarette an. Sie war sehr nervös und erregt, und eine
auffällige Veränderung in ihrem Äußeren machte sich
geltend. Ihre blauen Augen hatten jenen wissendenBlick, den nur das dauernde Zusammensein mit dem
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Geliebten verleiht. Um den roten Mund war eine harte
Linie; mit einer ungeduldigen Bewegung schlug sie die
hohen Absätze zusammen.
»Nun, Marie,« begann sie mit einem leisen Anflug von
Arroganz in der Stimme, »du siehst, ich bin hier, um dei-ner Predigt zu lauschen.«
»Mein liebes Kind,« wollte ich widersprechen; doch
sie uhr ort, als sage sie einen einstudierten Spruch her:
»Er schrieb und gebot mir, zu dir zu gehen. Ich weiß,
daß er gestern hier war. Ich soll brav sein und vernünfig
reden. Da steht alles.«Sie schlug gegen die Bluse, und ich vernahm das
Knittern des Papieres.
»Ich bin bereit, zu hören.«
»Mary, Mary, warum bist du so widerspenstig? Ich
dachte, du siehst in mir deine Freundin?«
Ihre Stimmung schwang um, ihre Züge wurden sanf,ränen stiegen au und ertränkten das böse Wissen in
ihren Augen. Dann schlang sie die Arme um mich und
schluchzte bitterlich:
»Liebe einzige Marie, bringe mich von Wien ort. Ich
sterbe, wenn ich länger zu Hause bleibe. Du hast keine
Ahnung, wie grausam meine Mutter ist. Mama will mich verkauen. Ich bin das Wertobjekt, das uns alle vor dem
Ruin retten soll. Ach, Liebste, ich bin so unglücklich …«
»Hanna wird niemals eine gute Partie machen,« uhr
Mary ort. »Ich weiß, ich gelte ür schön, und ich muß
wohl tun, was man von mir verlangt, wenn es so weit
ist. Ich liebe Rudol, aber ich will ihm keine Last sein. Erwünscht, daß ich Wien verlasse. Muß ich?«
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»Liebstes Kind, er meint nur, daß eine kleine Reise
nach der Riviera dir gut tun würde,« sagte ich.
Mary lächelte unter ränen. »O, ich weiß, was das
bedeutet! Ich bin nicht mehr das kleine, dumme Mädel,
das ich noch vor einem Monat war. Ich bin jetzt kluggeworden. Rudol hat mir von seinen Sorgen und von
der schrecklichen Lage erzählt, in der er sich befindet. Es
ist besser, wenn ich von Wien ern bin. Aber ich möchte
ihn nicht gerade jetzt verlassen, wo er so sehr eine Stütze
braucht.«
Ich sah sie erstaunt an, voll Überraschung darüber, wierauenhaf Mary geworden war.
»Erzähle mir alles, was er gesagt hat,« drängte sie. Ich
tat es. Sie war ziemlich enttäuscht, und ich hatte das
Empfinden, sie halte mich ür berechtigt, mehr zu erah-
ren. Doch sie gab mir keinen weiteren Auschluß.
»Ich muß jetzt ort,« rie sie. »Richtig, ich wußte doch,ich hatte dir noch etwas zu sagen. Wir gehen heute abend
zum Ball in die deutsche Botschaf. Ich habe ein entzük-
kendes Kleid, komm’ doch und sieh es dir an.«
»Ich kann mich deiner Mutter so spät am Abend doch
nicht audrängen,« bedachte ich.
»Ach, Mama!« erwiderte sie geringschätzig, »die istnur zu roh, die Nichte der Kaiserin zu jeder ages- und
Nachtzeit bei sich zu sehen.«
»Also, ich komme. Und, Mary, sei lieb!«
Sie lachte ihr schönes Lachen. Ich habe es nie wieder
gehört.
Ich setzte mich nieder und schrieb an Rudol. »Alles istin bester Ordnung,« teilte ich ihm mit, »meine Mission
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ist zu Ende. Mary ist der Vernunf zugänglich und bereit,
Wien zu verlassen.« Ich beaufragte Jenny, den Brie in
der Burg abzugeben, und ühlte mich herzlich erleichtert,
nachdem ich ihn abgesandt hatte.
Gegen acht Uhr kam ich zum Vetsera-Palais, und da ichnicht lange zu bleiben gedachte, beahl ich dem Kutscher,
zu warten. Ich tra die Baronin und ihre öchter beim ee
im Rauch-Zimmer. Beide Mädchen trugen Morgenröcke,
und die Locken an Marys Stirn waren noch gewickelt. Sie
war heiß und erregt, im krassen Gegensatz zu Hannas
satirischer Ruhe, während die Baronin Vetsera in besterLaune war.
»Ich bin neugierig, wie Dir Marys Kleid geallen wird,«
sagte Hanna und nahm ein Kaviarbrötchen, »es ist von
Maison Spitzer. Mama findet es wundervoll. Aber Mary,«
ügte sie hinzu und blickte hinüber zur Schwester, »um
Himmels willen, tu nicht so viel Rum in den ee, iß lieberetwas!«
Die Schwester antwortete nicht, sondern zündete sich
eine Zigarette an, was die Mutter in Harnisch brachte.
»Wie of soll ich dir verbieten, zu rauchen, ehe du zum
Ball gehst,« schalt sie. »Du bist wirklich unverbesser-
lich!«Mary stand au und ging hinaus, und als sie die ür
hinter sich zuschmetterte, bemerkte Hanna: »Jetzt siehst
Du einmal, wie unausstehlich Mary ist. Daran bist du
aber Schuld, Mama; wenn du ein einziges Mal streng mit
ihr wärest, würde dieser ewige Ärger auören.«
Ich olgte Mary in ihr Zimmer und and sie vor ih-rem oilettentisch. Ihre Hände spielten nervös mit den
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kleinen hübschen Silber- und Kristallgegenständen, aber
ihre Gedanken waren weit ort, und zuerst, glaube ich,
bemerkte sie mich gar nicht.
Agnes zog ihr die einen Seidenstrümpe und Satin-
schuhe an, und ich betrachtete das hübsche Schlazim-mer, das ein wahres Jungmädchenidyll war. Ein Bild
der Madonna hing über dem kleinen weißen Bette.
Photographien standen au dem Kamin und dem
Schreibtische. Vor den Fenstern hingen Perlenschnüre.
Mary hatte die Gewohnheit, an dem Fenster zu stehen
und die Perlen abzuzupen, wenn sie nervös oder be-drückt war. Ich sah viele leere Fäden an diesem Abend.
Ich setzte mich und sah zu, wie Agnes Marys üppiges,
braunes Haar risierte und den glitzernden Diamantmond
hoch oben au den künstlerisch geordneten Zöpen be-
estigte. Das junge Mädchen war noch immer in dunkle
Gedanken versunken, und wieder fiel mir ihre wunder-bare Schönheit au.
»Vielleicht gestattet die Prinzessin gnädigst, daß Agnes
auch mir einmal einen Augenblick hilf!« rie Hanna und
steckte den Kop durch die ür.
Mary sagte der Zoe, daß sie ihrer nicht mehr bedüre,
begann emsig ihre Nägel zu polieren und legte ihre vie-len kostbaren Ringe an. Dann wandte sie sich mir zu.
»Seh’ ich hübsch aus?« ragte sie gespannt.
Ich lächelte. Ob sie hübsch aussah! Ich hatte nie etwas
Schöneres gesehen und sagte es ihr rückhaltlos.
»Meinst du, ich werde geallen?«
»Ja, das meine ich.«Sie lächelte kalt. »O, dann wird sie eiersüchtig sein.«
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»Welche ›sie‹?« ragte ich.
»Nun, Rudols dummes, augedonnertes belgisches
Weib!«
»Mary, du mußt so etwas nicht sagen. Ich wünsche
dergleichen nicht zu hören. Es ist auch nicht wahr.«Ihre Augen blickten böse drein.
»Ach, du würdest sie auch hassen, wenn du alles wüß-
test. Sie macht Rudols Leben zur Hölle. Sie gibt sich keine
Mühe, ihn zu verstehen, und anstatt ihm zu helen, zieht
sie ihn hinab. Stephanie ist eine Närrin, weiter nichts.
Ach, Marie, Rudol ist so unglücklich! Wenn ich doch nurimmer bei ihm sein könnte. Aber das kann ich dir sagen,
wenn er in Not ist, werde ich ihn nie verlassen.«
Diese letzten Worte sprach sie hastig und leise. Dann
kam Agnes und meldete, der Wagen warte,
Mary trug ein hellblaues Kleid mit gelbem Besatz, eine
von Spitzers genialen Schöpungen. Eine Diamantschleiesprühte an ihrer Brust. Für meinen Geschmack trugen
sowohl sie wie die Mutter zu viel Diamanten.
Madame Vetsera prangte in einem schwarzen Samt-
kleide und einem Halsband aus diamantenen Eeublät-
tern, und Diamantnadeln hielten die weiße Reihereder
in ihrem Haar. Hanna trug ein einaches weißes Kleidund als einzigen Schmuck eine Perlenkette.
Ich wollte gerade Adieu sagen, als Mary bat: »u mir
einen Geallen, Marie, wenn du mich liebst.«
»Welchen?« ragte ich.
»Laß mich mit dir zur Botschaf ahren. Es ist nicht
weit, und Mama und Hanna werden viel mehr Platz ohnemich haben.«
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Ich willigte ein. Agnes kam mit den pelzbesetzten
Abendmänteln, und wir gingen hinunter. Sobald wir al-
lein waren, legte Mary ihren Arm um meine aille.
»Welch eine Bereiung, nicht mit Mama in dem an-
deren Wagen eingesperrt zu sein! Sie hätte mir die gan-ze Zeit weise Lehren erteilt.« Sie zitterte, während sie
sprach.
»Was hat dich so augeregt, liebes Kind?« ragte ich.
»Du warst heute abend ganz außer dir.«
»Er hat mir geschrieben, Mary, etwas quält ihn. Ich
wünschte, er würde alles über Bord weren und mit unsan die Riviera gehen.«
Doch da hielten wir vor der Botschaf. Mary küßte
mich und ging mit Mutter und Schwester hinein.
Später hörte ich von Marys Aufführung, die ganz Wien
an diesem unglücklichen Abend empörte. Der Ballsaal
bot ein glänzendes Bild, und die kaiserliche Familie warschon anwesend, als die Vetseras eintraen. Alle Augen
richteten sich au Mary, hauptsächlich wegen ihrer
Schönheit, doch auch, weil die Saat des Herrn von Pechy
schon anfing, Früchte zu tragen. Rudols Name wurde
mit dem ihren in Zusammenhang gebracht; und viele
wohlbekannte Damen betrachteten Mary mit mißbilli-genden Blicken. Diese Behandlung trieb das schon über-
reizte Mädchen zum Wahnsinn. Und als die kaiserlichen
Gäste durch den Ballsaal schritten und ihre Bekannten
ansprachen, brannte Mary darau, sich zu rachen. Sie lä-
chelte, als Rudol einige Worte an sie richtete, doch als
die Kronprinzessin an ihr vorüberkam, blickte sie ihrvollins Gesicht, ohne sie zu grüßen. Die Augen der beiden
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Frauen traen sich, und man erzählte mir, daß sie wie
zum Sprunge bereite iger ausgesehen hätten.
Die Zuschauer blickten verdutzt drein, und gerade
als jeder gespannt wartete, was jetzt wohl erolgen wür-
de, stampfe Mary einmal, dann noch einmal mit demFuße au und war den Kop mit einer Bewegung tiester
Verachtung zurück.
Jetzt stürzte die Baronin Vetsera herbei, die den
Vorgang mit Entsetzen beobachtet hatte, hochrot vor
Ärger und Scham über die öffentliche Beleidigung der
Kronprinzessin durch ihre ochter. Sie aßte Mary amArm und zog sie schleunigst aus dem Ballsaal hinaus. Ihr
Abgang öffnete die Schleusen der Empörung, und bald
schwelgten alle, die Madame Vetseras Gastreundschaf
genossen hatten, als »gute Christen« in der Freude über
die gesellschafliche Vernichtung ihrer ochter.
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Zwoelftes Kapitel
Von Mary eruhr ich nichts über den Ball. Am
olgenden age hatte ich viel zu tun und warabends so müde, daß ich Jenny beahl, mich
nicht rüh zu wecken. Ich war daher sehr ärgerlich, als
sie kurz vor acht Uhr in mein Zimmer kam, und noch
sehr verschlaen, wurde aber bald recht munter, als ich
eruhr, daß Bratfisch einen Brie vom Kronprinzen ge-
bracht hatte. Er enthielt nur wenige Zeilen.»Ich muß dich allein sprechen,« schrieb Rudol.
»Erwarte mich um ün Uhr heute nachmittag. Sorge da-
ür, daß du allein bist. Jenny soll acht geben, daß die Luf
au der Dienstbotentreppe rein ist.«
Diese Mitteilung machte mich schrecklich nervös. Ich
war auch sehr erbittert über Rudols Gleichgültigkeit ge-gen die alsche Lage, in die mich sein Benehmen bringen
mußte. Ich entschloß mich, nichts mehr mit ihm und sei-
nen Angelegenheiten zu tun zu haben, denn ich wußte,
daß die Kaiserin mir niemals vergeben würde, wenn sie
eruhr, welche Rolle ich gespielt hatte.
Als ich die Ereignisse der letzten age überblickte, wur-de mir Rudols Benehmen immer unverständlicher. Ich
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erinnerte mich der age von Gödöllö, als er höhnische
Bemerkungen machte, und mich »die Oberstallmeisterin-
Vertraute der Kaiserin« nannte. Einmal hatte er mich
»die Zuträgerin« genannt und sich über unser schlichtes
Leben in München mokiert. Ich empand auch, daß ermir wegen der Liebe seiner Mutter zu mir nicht wohl-
wollte. Schließlich vibrierten meine Nerven. Ich sprang
aus dem Bett und schrieb meinem Vetter einige Zeilen,
in denen ich mich aus bestimmteste weigerte, ihn zu
empangen.
Ich klingelte meiner Zoe.»Ziehen Sie sich soort an und bringen Sie diesen Brie
in die Burg,« beahl ich. »Fragen Sie nach Loschek und
händigen Sie den Brie keinem außer ihm aus.«
Ich war ast ertig angekleidet, als sie zurückkehr-
te. Die Empfindungen, die mich durchzuckten, als sie
mir meinen Brie mit dem Bescheide zurückgab, derKronprinz habe Wien verlassen und sei in Laxenburg,
lassen sich in Worten nicht schildern, diese unerwartete
Vernichtung meiner Pläne verstörte mich sehr. Jenny war
davon überzeugt, daß mein Vetter ort war, denn seine
Privatgemächer wurden gerade gereinigt, als sie ankam.
So gab es ür mich kein Entrinnen. Ich sah ein, daß jeder weitere Versuch, der Begegnung auszuweichen,
zwecklos sei, und ergab mich in mein Geschick. Es war
ein dunkler, nebliger ag; die Stunden schlichen bleiern
dahin. Doch pünktlich um ün Uhr erschien Rudol. Wie
bei seinem ersten Besuch war er in einen Offiziersmantel
gehüllt. Aber diesmal begrüßte er mich nicht. Er war sehrerregt, und seine ersten Worte waren:
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»Marie, wenn du mir nicht hilst, ist alles verloren.«
Ich starrte ihn wortlos an. Mein Vetter war nicht wie-
derzuerkennen. Er sah bleich und zermürbt aus. In sei-
nen Augen unkelte ein seltsamer Raubtierglanz, den ich
immer an ihm bemerkt hatte, wenn es in ihm tobte. Ichempand instinktiv, daß etwas Furchtbares geschehen
war. Er übte eine hypnotische Gewalt über mich aus, und
ich ühlte, daß ich ihm willenlos jeden Wunsch erüllen
müßte.
Wir standen beide. Ich konnte Rudols hastigen Atem
hören, der außer dem icken der Uhr allein die Stille desZimmers durchdrang.
»Um Himmels willen,« stammelte ich, »was ist gesche-
hen?«
»Du kannst dir die Wirrnis nicht vorstellen, die mich
umstrickt,« antwortete Rudol. »Doch bevor ich au mei-
ne Sorgen eingehe, muß ich dir sagen, daß Mary in ihremZimmer eingesperrt ist.«
»Eingesperrt, weshalb?« stieß ich hervor.
»Sie hatte nach dem Ball eine urchtbare Szene mit der
›alten Dame‹,« berichtete der Kronprinz, »dieses gehässi-
ge axis-Weib, das dem Vetsera-Palais gegenüber wohnt,
hat Mary allem Anscheine nach nachts ortgehen sehenund die schlimmste Zeit gewählt, es der Baronin zu ver-
raten.«
Er lächelte boshaf.
»Sie war wahrscheinlich nicht übermäßig erreut über
Marys Benehmen gegen Stephanie. Ich nehme an, daß du
die Geschichte kennst?«Ich nickte. »Ja, weiter.«
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»Dann wurde Mary eingesperrt, und nur du kannst sie
bereien.«
»Rudol, ich werde mich nicht einmischen.«
»Doch wirst du. Ich muß Sie sprechen.«
»Du bist wahnsinnig.«»Nein, nein. Ich bin durchaus normal. Hör’ zu. Ich ver-
lange, daß du Mary in die Hourg bringst.«
Ich suchte an einer Stuhllehne Halt, denn ich taumelte
bei dieser Zumutung und wiederholte mechanisch seine
Worte.
»Mary in die Hourg bringen!!«»Ja, ich bestehe darau. Hör’ doch nur zu, Marie. Nichts
ist einacher. Du mußt die Baronin überreden, Mary
mit dir ausgehen zu lassen. Dann ährst du zu dem
Privateingang, und Loschek wird dich direkt in meine
Zimmer ühren.«
»Ich kann nicht … Ich will nicht …, das tue ichnicht!«
Und dann packte mich eine rasende Wut.
»Was ällt dir ein, mich zu ruinieren?« keuchte ich.
»Ich hasse dich …Geh mir aus den Augen!« Dann brach
ich au dem Soa zusammen und weinte in mich hinein.
Rudol beugte sich über mich.»Liebe Marie,« sagte er mit seiner bezaubernden, ver-
ührerischen Stimme, »mach keine Szene. Wenn jemand
uns hört, gibt es einen Skandal. Ich versichere dich, ich
muß Mary sehen. Übrigens bin ich selbst in Geahr.«
Ich hob den Kop. »Du in Geahr?«
»Ja, in großer Geahr! Wir sprechen jetzt ›Mann zuMann‹. Du bist der einzige Mensch, dem ich unbedingt
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vertrauen kann. Schwöre mir, daß du zu meinen Lebzeiten
niemals verraten wirst, was ich dir jetzt sagen werde.«
»Wenn ich damit eine Geahr von dir abwenden kann,
gern. Ich schwöre es.«
Der Kronprinz blickte mich seltsam an. Dann zog erwortlos einen kleinen, dunklen Gegenstand unter sei-
nem Mantel hervor. Ich konnte erkennen, daß es eine
kleine, in Stoff genähte Schachtel war. Unbewußt schrak
ich zurück, doch mein Vetter legte seine reie Hand au
meine Schulter. »Marie, du mußt diese Schachtel an dich
nehmen und sie soort an einem sicheren Orte verstek-ken. Sie dar unter keinen Umständen in meinem Besitz
geunden werden. Jeden Augenblick kann der Kaiser eine
Durchsuchung meines Eigentums beehlen.«
»Der Kaiser,« ächzte ich.
»Ja, der Kaiser.« Hiermit händigte mir der Kronprinz
die Schachtel ein, die zu meinem Erstaunen schwer wieBlei war.
»Es ist eine Stahlkassette,« erläuterte Rudol, dem mei-
ne Überraschung nicht entging.
»Aber ich kann sie doch nicht mit au Reisen neh-
men,« wandte ich ein.
»Du mußt sie in deinen Koffer tun. Dort kannst dusie leicht verbergen. Sie enthält nichts ür dich Kompro-
mittierendes.«
»Wie lange soll ich dieses schreckliche Ding aue-
wahren?«
»Bis ich sie zurückordere,« entgegnete Rudol, »oder
bis jemand anderer sie zurückverlangt. Für den Fall, daßes dazu kommen sollte,« sagte er ernst. »muß ich dir
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Verhaltungsmaßregeln geben. Nur ein Mensch kennt das
Geheimnis dieser Kassette, und er allein hat außer mir
das Recht, sie zurück zu verlangen.«
»Wer ist das?«
»Sein Name tut nichts zur Sache. Du kannst sie derPerson übergeben, die dir vier Zeichen nennt. Schreib’ sie
dir au und wiederhole sie.«
Und langsam sprach der Kronprinz die Buchstaben:
»R. I. U. O.«
Ich wiederholte sie und schrieb sie in mein kleines
Notizbuch. Dann trug ich, wie unter dem Zwang einesstärkeren Willens, die geheimnisvolle Schachtel in mein
Schlazimmer und verbarg sie am Boden meines großen
Reisekoffers.
Ich schrieb auch R. I. U. O. in eine Ecke des Futters und
schloß den Koffer ab.
»Diese Geschichte ist mir höchst peinlich,« sagte ichbesorgt, als ich wieder neben meinem Vetter saß.
Rudol versuchte mich zu beruhigen.
»Es ist ja gar nicht so schlimm,« meinte er. »Doch die
Zeit vergeht, Marie, und wir müssen deinen morgigen
Besuch in der Hourg besprechen.«
»Das ist Wahnsinn, das ist Wahnsinn!« wiederholte ich.»Das kann ich nicht.«
»Beruhige dich. Du wirst es tun. Ich muß Mary allein
sprechen. Vielleicht kann ich dadurch der Geahr entrin-
nen, die mir droht.«
Das glaubte ich nun zwar nicht, doch ich ragte:
»Betri die Geahr die Zwistigkeit mit Stephanie?«Rudol lachte.
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»Stephanie! – Ach nein, die ist nur ein häusliches
Unheil. Die Geahr, die mir droht, ist politischer Natur.«
Jetzt war ich geradezu entsetzt, denn ich hätte nie ver-
mutet, daß der Kronprinz so wahnwitzig sein würde, sich
in geährliche politische Umtriebe einzulassen.»Um Himmels willen,« rie ich. »Ich flehe dich an,
Rudol, verliere keine Zeit, Vertrau’ dich der Kaiserin an,
oder … noch besser, gehe zum Kaiser.«
»Du Närrin,« schalt er. Dann uhr er sanfer ort:
»Das kann ich nicht tun, Marie. Wenn ich dem Kaiser
beichten wollte, würde ich mein eigenes odesurteil un-terschreiben.«
Mein Herz setzte bei dieser grausigen Enthüllung aus.
Ich konnte keine Worte finden.
»Jetzt zu Mary,« uhr er ort.
»Du mußt tun, als ob du mit ihr Einkäue machen
wolltest. Nimm einen Fiaker und laß dich von demMann hinter das Palais des Erzherzogs Albrecht ahren,
das an die Hourg angrenzt. Dort wirst du eine kleine,
eiserne ür sehen. Geh darau zu, dort wird Loschek dich
erwarten. Es ist schon of eine sehr nützliche ür gewe-
sen,« lächelte Rudol. »Und so manche meiner reizen-
den Freundinnen hat es vorgezogen, au diesem Wege zuHoe zu gehen.«
»Versprichst du mir, daß du mit mir kein alsches Spiel
treiben wirst, wenn ich Mary bringe?«
»Ich verspreche dir, daß ich dich in keinen Skandal
verwickeln werde,« war seine Antwort.
»Also gut,« gab ich nach. »Aber bitte, vergiß nicht, daßich sehr bald nach Pardubitz zurückkehren muß. Sage
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also bei dieser nächsten Begegnung alles, was du ihr zu
sagen hast.«
»Darau kannst du dich verlassen,« versicherte Rudol.
»Ich werde dir nie vergessen, was du ür mich getan hast.
Und nun au Wiedersehen bis morgen.«Als ich allein war, ühlte ich mich ganz Schwach vor
Angst. Doch ich wurde ruhiger bei dem Gedanken, daß
ich ja bald weit ort von Wien sein würde, und beschloß,
an der Riviera so wenig wie möglich mit Mary zu verkeh-
ren. Aber da ich Rudol mein Wort gegeben hatte, schrieb
ich der Baronin Vetsera und ragte an, ob sie Mary ge-statten würde, mit mir am nächsten age auszugehen.
Bejahenden Falles würde ich sie im Laue des Vormittags
abholen.
Jenny trug den Brie hin und kam mit der Antwort
zurück. Sie lautete bejahend. Jetzt zögerte ich nicht län-
ger – ich ühlte, es war nutzlos. Ich hatte versucht, Rudolzu entrinnen; ich hatte der Baronin die Gelegenheit ge-
boten, meine Bitte abzulehnen; doch das Schicksal war
stärker als ich.
An diesem Abend war meine heitere Freundin Frau
Müller, eine liebe alte Dame, die gelegentlich Besorgun-
gen ür mich machte, bei mir. Sie war die typische Wiene-rin und eine höchst unterhaltsame Frau. Ich war sehr
roh, sie bei mir zu haben, und vergaß au Stunden mei-
ne Sorgen.
»Jeder spricht von dem Kronprinzen und Mary
Vetsera,« erzählte mir Frau Müller, »doch es ist nur eine
von seinen vielen Liebschafen. Jedenalls ist die kleineBaronin ungeährlicher als diese intrigante Prinzessin P.
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ür ›unseren Rudi‹. Mit den Vetseras ist nicht viel los,«
uhr sie ort. »Die Mutter weiß alles und schließt die
Augen. Aber die Sache ist nicht sehr ernsthaf.«
Unser Gespräch wurde durch ein scheues Klopen an
der ür unterbrochen.»Herein,« rie ich ziemlich unwirsch. Die ür öffnete
sich, und eine dicht verschleierte Dame kam ins Zimmer.
Frau Müller und ich blickten sie voller Staunen an.
Plötzlich erkannte ich sie.
»Mary«, schrie ich au. Mary Vetsera starrte mich mit
einer erschreckenden Ruhe an. Ich gab Frau Müller einZeichen, in Jennys Stube zu gehen. Dann nahm Mary
langsam den Schleier ab, der ihren Kop umhüllte. Sie
war totenbleich, und die Augen schienen ür ihr Gesicht
viel zu groß. Sie machte au mich den Eindruck, als sei ihr
etwas ürchterliches zugestoßen.
Ich war aus äußerste erschreckt und nahm sie in dieArme. »Kleine Mary, sag’ doch ein Wort!« bat ich.
Sie begann hefig zu zittern. »Um Gottes willen, was
ist geschehen?«
Mary sank mit einer trostlosen Geste in einen Stuhl.
Ich knöpfe ihr den Sealskinmantel au, und da bemerkte
ich, daß sie einen dünnen Hausrock und Pantoffel trug.»Bitte, bitte, schick mich nicht ort!« flehte sie fiebe-
risch. »Ich bin ortgelauen, Marie. Wenn du mich nicht
aunimmst, springe ich in die Donau. Ich kann nicht län-
ger zu Hause leben. Verschließ’ die ür, vielleicht verolgt
man mich!«
Ihre Stimme wurde ast zum Kreischen.»Ich lasse mich nicht ortholen!«
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»Liebling, beruhige dich,« versuchte ich sie zu besän-
tigen. »Sag mir, was geschehen ist. Ich schicke dich ja
nicht ort.«
Mary brach in schüttelndes Schluchzen aus.
»Seit dem Ball … Mama … urchtbar. Im Wagen hat siemich geschlagen … sie und Hanna sind wie Furien. Ich
kann dir nicht all die schrecklichen Dinge wiederholen,
die sie gesagt haben. Als wir nach Hause kamen, war ich
mich aus Bett … dann bin ich ohnmächtig geworden.«
»Armes Kind,« murmelte ich.
»Als ich zu mir kam, entdeckte ich, daß sie mich ge-angen hielten. Es war Morgen. Hanna brachte mir den
Kaffee und sagte, daß ich mich nicht aus meinem Zimmer
rühren düre. Die Stunden verstrichen. Ich wurde ast
wahnsinnig. Ich bildete mir alles mögliche ein, und dann
entschloß ich mich, an Rudol zu schreiben. Es gelang
mir, einen Zettel mit Bleistif zu schreiben, den ich Agnesgab, und ich wartete voll Angst au die Aussprache mit
Mama, die kommen mußte.
Wie endlos mir die Zeit schien! Und so elend ühlte
ich mich! Marie, soll ich denn immer nur unglücklich
sein? Manchmal denke ich, daß meine Liebe zu Rudol
mein Unglück ist. Aber sie ist stark, sie läßt mich nicht,und ich will lieber durch sie leiden, als ohne sie leben.«
Mary sah mich traurig an und sagte dann in einem
plötzlichen Umschwung ihrer Stimmung in bitterster
Verachtung:
»Ich mußte bis heute abend warten, ehe ich Mama sah.
Sie kam in mein Zimmer und sagte mir, daß sie sich estentschlossen habe, mich in ein Kloster zu schicken, bis
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ich wieder zu Verstand käme. Aber als ich nichts antwor-
tete, wurde sie wütend und war mir vor – was denkst du
wohl?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Mama war mir vor, daß ich Schande über unse-re Familie brächte – über ›die ehrbaren‹ Vetseras,«
sagte Mary mit einem harten Ausdruck im Gesicht.
»Aber ich schwieg, Marie, und alle ihre Vorwüre und
Anschuldigungen verpuen ins Leere.«
»Was geschah dann?« ragte ich.
»Mama bemerkte den eisernen Ring und das eiser-ne Armband, das ich immer trage, und rie zornig: ›Mir
scheint, der Kronprinz hat dir diese albernen Dinge ge-
geben. Nun, ich werde die Wahrheit darüber schon von
der Gräfin Larisch erahren.‹«
»Wieso wurde mein Name hereingezogen?« ragte ich
sehr überrascht.»Liebste Marie,« rie Mary, und ihre Augen baten um
Verzeihung. »Ich habe es dir nicht gesagt. Rudol hat mir
den Ring und das Armband gegeben. Aber ich mußte
Mama doch sagen, daß es Geschenke von dir seien.«
Diese Unwahrheit berührte mich sehr unangenehm,
um so mehr, als sie mir verheimlicht hatte und ich sieleicht, ohne es zu wollen, hätte verraten können.
»Ich habe sie nie bemerkt,« sagte ich.
»Ich trage so viele Armbänder und Ringe,« antwortete
sie, »aber hier, Sieh!«
Bei diesen Worten streckte sie die linke Hand aus. Am
vierten Finger trug sie einen dünnen, eisernen Ring, undam Arm war ein dünner, eiserner Rei.
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»Liebe Marie,« stöhnte sie, »ich weiß, es ist egoistisch
von mir, dich in mein Elend hineinzuziehen. Aber ich lie-
be dich doch.«
Das arme Mädchen war ast hysterisch. Ihr Vernunf
zuzusprechen, war unmöglich. Schließlich ragte ich:»Hat deine Mutter meinen Brie erwähnt?«
»Nein. Welchen Brie?«
Ich erzählte Mary von der Abmachung zwischen
Rudol und mir.
»Wird dich,« sagte ich, »die Aussicht, ihn morgen
zu sehen, nicht bewegen, jetzt ruhig nach Hause zu ge-hen?«
Die Aprilstimmung kam über sie. Sie stieß einen klei-
nen Freudenschrei aus, und Lachen olgte den ränen. Ja,
sie wollte zurückkehren, doch nur, wenn ich sie begleitete.
Und Rudol wieder zu sehen, das bedeutete den Himmel
au Erden.»Gut, wir wollen soort gehen,« mahnte ich. »Und jetzt,
Mary, versprich mir, dich zu beherrschen, wenn deine
Mutter augebracht ist. Ich werde mir alle Mühe geben,
ihr die Idee auszureden, dich in ein Kloster zu schicken.
Bist du ertig zum Gehen?«
Mary erschauerte, gewann aber schnell ihreSelbstbeherrschung wieder. Ich klingelte nun Jenny und
beahl ihr, nach einem Fiaker zu schicken. Dann machte
ich mich schleunigst ertig, und wir gingen zusammen
die reppen hinunter.
Beim Anblick des Fiakers hatte Mary wieder eine
Nervenkrisis, und ich atmete erst bereit au, als wir glück-lich im Wagen saßen. Doch als wir uns der Salesianergasse
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näherten, wurde sie urchtbar erregt, und ich ürchtete,
sie würde aus dem Wagen springen.
»Marie, laß’ mich nur nicht mit Mama allein,« bat sie.
»Liebes Kind, verlaß’ dich au mich,« sagte ich. »Ich
verspreche dir, daß ich ür dich tun will, was in meinerMacht steht.«
Bei diesen Worten hielt der Fiaker, wir stiegen aus, und
ich beahl dem Kutscher, zu warten.
Das Palais Vetsera lag ast in völliger Dunkelheit, und
der Portier öffnete nicht au mein Klingeln. Nach einigen
Minuten des Wartens erschien Agnes, und als sie michsah, rie sie aus:
»Frau Gräfin, ist die Baroneß Mary bei Ihnen?«
Ich sagte ja, und als wir die reppen hinau kamen, be-
gegneten wir Hanna, die zu ode erschrocken aussah.
»Hast du Mary mitgebracht?« rie sie.
»Ja,« sagte ich, und versuchte ruhig zu sprechen. »Dieseimpulsive junge Dame hat mich ganz plötzlich besucht.«
»Gott sei Dank! Mama ist halb tot. Die Diener suchen
Mary überall.«
Ich ging zuerst in das Boudoir. Die Baronin liebte
immer gedämpfes Licht. Doch jetzt brannte nur eine
Lampe, und ich konnte eben noch die Umrisse einer zu-sammengekauerten Gestalt au dem Soa erkennen. Die
ganze Lage war mir schrecklich peinlich. Hanna ging
hinüber zur Mutter.
»Weine nicht mehr, Mama,« sagte sie, »das ungezoge-
ne Mädchen ist schließlich nur bis zum Grand Hotel ge-
lauen, und Gräfin Larisch hat sie wohlbehalten zurück-gebracht.«
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Die Baronin erhob sich und reichte mir die Hand.
Dann blickte sie Mary empört an, sagte aber nichts.
»Sei nicht böse, Helene,« bat ich, »das Kind ist ganz
elend. Morgen könnt ihr alles besprechen; Mary will dich
nicht unglücklich machen.«»Sie soll schlaen gehen,« sagte die Baronin. Sie küßte
die ochter schweigend, und Hanna flüsterte ihr zu:
»Sag’, Mama, wie leid es dir tut, Mary.«
Die Schwester achtete nicht au sie, sondern wandte
sich zu mir.
»Bring’ mich doch, bitte, zu Bett, Marie, dann werdeich gut schlaen.«
Ich olgte ihr in das hübsche Schlazimmer. Hanna
begleitete uns und hal Mary stumm beim Entkleiden.
Dann ging sie hinaus, und wir blieben allein.
»Wirst du morgen bestimmt kommen?« ragte sie.
»Bestimmt. Und du versprichst mir, meine brave, liebe,kleine Freundin zu sein und uns keinen Kummer mehr
zu bereiten. Deine Mutter liebt dich wirklich, und viel-
leicht wird sich in deinem Leben noch alles zum Guten
wenden. Sei taper, Mary, du bist noch so jung, und viele
glückliche age sind dir noch beschieden.«
Ich küßte sie zärtlich und dachte, wie lieblich sie da inihren Kissen aussah. Ich sehe Mary of vor mir, wie ich
sie an jenem Abend sah – dem letzten, den sie unter ihrer
Mutter Dach verleben sollte.
Sie sollte eine bittersüße Stunde der Liebe auskosten,
sie sollte den rank der Leidenschaf trinken und tragisch
dahin gehen. Denn Mary Vetsera und ein anderer solltenbald zu jenen zählen, »die von nichts mehr wissen«.
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Auch ihre Liebe, ihr Haß und ihre Eiersucht sind jetzt
dahin, und keinen Anteil haben sie mehr an irgend etwas,
was unter der Sonne geschieht.
Ich schloß die Schlazimmertür leise. Hanna wartete
im Gange.»Mama möchte mit dir sprechen,« sagte sie; »geh’ doch
au einen Augenblick zu ihr hinein. Jetzt siehst du selbst,
was aus Mary geworden ist als Resultat von Mamas
Erziehung. Es ist höchste Zeit, daß etwas geschieht; je
eher sie ortgeschickt wird, desto besser.«
Ich ging ins Boudoir, und die Baronin schien bei mei-nem Anblick sehr erleichtert.
»Ich weiß, daß ich ganz offen mit dir reden kann, liebe
Marie,« sagte sie, »denn ich bin davon überzeugt, daß du
alles weißt.«
»Ich weiß nicht, was du mit ›alles‹ meinst,« antwortete
ich.»Liebe, ich spiele au Marys Affäre mit dem Kronprin-
zen an. Ich habe die Überzeugung, daß sie mit ihm liiert
ist, aber ich hoffe, daß nichts Ernsthafes zwischen ihnen
vorgeallen ist.«
»Ich weiß nicht, wie weit ihre Intimität geht.«
»Natürlich ist er sehr unglücklich,« uhr die Baroninort, »und es gehen Gerüchte um, daß er sich von
Stephanie scheiden lassen will. Ich wünsche nicht, daß
meine ochter offen kompromittiert wird, obwohl es so
manche gibt, die au eine Liaison mit dem Kronprinzen
fliegen würden. Du bist seine Cousine, willst du eine sehr
delikate Mission ür mich übernehmen? Ich will mitdem Prinzen ganz offen über Mary sprechen. Du kannst
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ihm andeuten, daß sich alles arrangieren ließe, wenn er
wirklich verzweielt in Mary verliebt ist. Wenn wir doch
noch in den Zeiten Ludwigs XIV. lebten!« seuzte die
besorgte Dame. »Damals wurden Favoritinnen wie die
Pompadour und die Dubarry offen von der Gesellschafanerkannt. Wie dumm, daß heutzutage Liebschafen
mit Fürstlichkeiten so geheim gehalten werden müs-
sen! Manchmal denke ich,« ügte sie hinzu, »daß mein
Vater ganz recht hatte mit der Behauptung, der türkische
Sultan habe das beste Leben, was Frauen anlangt.«
Sie stöhnte – vielleicht bei dem Gedanken, was Maryalles dadurch entging, daß sie ein Jahrhundert zu spät ge-
boren war.
»Jedenalls weigere ich mich nicht, die Angelegenheit
mit dem Kronprinzen zu verhandeln. Glaubst du, daß du
ihn besuchen und ihm das sagen kannst? Wenn er erst
einmal weiß, daß ich in diesen Flirt eingeweiht bin, wirder sich mir gegenüber viel reier ühlen.«
»Gut,« sagte ich, »ich werde versuchen, mit Rudol
zu sprechen, ehe ich Wien verlasse. Übrigens werde ich
Mary morgen vormittag um el Uhr abholen. Gute Nacht,
Helene, und zürne Mary nicht. Glaub’ mir, das ührt zu
nichts. Man kommt in Güte mit ihr viel weiter.«Als ich ins Hotel kam, war ich mit meinen Kräfen
vollständig ertig. Aber trotz der Ereignisse des ages
legte ich mich mit der esten Überzeugung zu Bett, daß
alles noch gut werden, und daß die Zusammenkunf in
der Hourg allen meinen Sorgen um Mary und Rudol
ein Ende bereiten würde. Ich vergaß, daß das Schicksaldie Fäden hält und wir uns nur wie Puppen bewegen.
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Dreizehntes Kapitel
A
m nächsten Morgen erwachte ich mit dem
Geühl, daß mir irgend etwas sehr Unange-
nehmes bevorstehe. Keine Zeit steht so unterdem Zeichen der Bedrückung wie die Dämmerstunden.
Doch im Sommer entfliehen die Schatten vor dem Lichte
des strahlenden jungen ages. Im Winter aber nisten sie
sich est ein. »O Sonne und Wärme des Südens!« dach-
te ich. Aber dann fiel mir ein, daß die Riviera mit den
Vetseras einach unmöglich war.»Georg muß statt dessen nach Biarritz gehen,« dachte
ich. »Er wird leicht dazu zu überreden sein, wenn ich ihm
sage, daß die Baronin und ihre öchter beabsichtigen, an
demselben Ort, wie wir, Auenthalt zu nehmen.«
Pünktlich hielt ich meine Verabredung inne, und um
el Uhr war ich im Palais Vetsera, wo ich die Baroninund Hanna im Boudoir antra. Madame Vetsera häkelte
Wolljacken ür die Armen, während Hanna, wie gewöhn-
lich, malte. Alles sah so riedlich und heimlich aus, daß ich
ast zu dem Glauben neigte, die stürmischen Ereignisse
des gestrigen Abends seien nur ein raum gewesen.
Ich plauderte über allerlei, vermied aber sorgältig, denhäuslichen Kummer zu berühren. Mary blieb unsichtbar,
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und da ich darau brannte, den Besuch in der Hourg
hinter mir zu haben, ragte ich Hanna:
»Wo ist Mary?« Ist sie nicht ertig? Ich sagte ihr doch,
daß ich sie pünktlich um el Uhr abholen würde.«
Hanna hob den Kop nicht von der Arbeit.»Seit zwei Stunden hat sie sich in ihr Zimmer einge-
schlossen. Ich weiß wirklich nicht, was sie dort treibt.
Man überläßt sie am besten sich selbst, wenn sie ihre
Mucken hat.«
Ich griff nach diesem letzten Strohhalm, der vielleicht
die Zusammenkunf vereiteln konnte.»Wenn Mary nicht besonnen ist,« sagte ich und stand
au, »ist es dann nicht klüger, wenn sie nicht ausgeht?«
In diesem Augenblick erschien Agnes’ schlaues, blei-
ches Gesicht in der ür.
»Baroneß Mary läßt Frau Gräfin bitten, zu ihr zu kom-
men,« sagte sie; »die Baroneß ist soort ertig.«Ich olgte Agnes. Mary saß vor dem Spiegel und lächel-
te mir aus dem Glas entgegen, als ich eintrat. Ihr Haar war
schlicht zusammengeknotet, und ihre ganze Erscheinung
wirkte so risch und jungräulich, daß sie eher wie eine
unschuldige Braut als wie die leidenschafdurchwühlte
Frau der letzten age aussah. Ich ühlte mich erleich-tert bei dem Gedanken, daß Rudol ihr in dieser stillen
Stimmung begegnen würde.
Mary trug ein dichtanliegendes, olivengrünes Schnei-
derkleid, mit schwarzer resse besetzt, und während
sie den Kragen mit einer einachen Brosche beestigte,
sagte sie, sie wäre soort ertig. Dann ging sie zu ihremSchreibtisch hinüber, verschloß ihn und steckte den
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Schlüssel in die asche. Sie trug keinen Schmuck außer
ihren Boutons, dem eisernen Armband und Ring und
einem goldenen Kreuz um den Hals. Ich machte hier-
über eine Bemerkung, doch sie lächelte und gab keine
Antwort.Agnes brachte ihr den Hut aus grünem Filz, der reich
mit schwarzen Straußenedern garniert war. Mary nahm
einen schwarzen Schleier, den sie unter dem Kinn zu-
sammenband. Sie trug ihren Sealskinmantel und einen
hierzu passenden Muff. Es schien mir, als habe sie nie so
elegant ausgesehen. Mary küßte ihre Mutter unauffälligbeim Abschied; doch sowie sie aus dem Boudoir heraus
war, verflog ihre Gleichgültigkeit, sie stürmte die reppen
hinab und sprang in den Fiaker. Ich olgte langsamer, und
als wir abuhren, bemerkte ich, daß sie fieberisch erregt
war.
O weh, meine riedliche Zusammenkunf!, dachte ichund legte ihr die Hand au die Schulter.
»Mary, ich muß dir etwas sagen. Ist dir klar, daß ich
gegen ante und Onkel verräterisch handle, indem ich
dich zu einem Rendezvous mit dem Kronprinzen in die
Hourg ühre?«
Sie schwieg.»Merke dir, daß diese Schwäche von mir ein Akt rei-
ner Freundschaf ist,« uhr ich ort. »Ich ertrage es nicht,
dich unglücklich zu sehen, und ich habe die Gewißheit,
daß Rudol dir sagen wird, was ür dich das beste ist. u,
was er dir sagt, olge meinem Rate und mach’ mit dieser
Episode ein Ende. Denn sonst, ürchte ich, werden dieFolgen ür uns alle sehr traurige sein.«
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Mary blickte mich an. Niemals werde ich den Ausdruck
in ihren wunderbaren Augen vergessen. Eine ast überir-
dische Liebe strahlte in ihren blauen ieen. Noch immer
sprach sie nichts, und nur ein Händedruck verriet mir,
daß sie meine Worte vernommen hatte.Der Fiaker hielt vor der »Weißen Katze«, einem be-
kannten Wäschegeschäf, wo wir ausstiegen und ich
Einkäue machte. Aber Mary war so ungeduldig, daß sie
es kaum erwarten konnte, in den Fiaker zurück zu ge-
langen.
Ich wies den Kutscher an, in der Straße hinter demPalais des Erzherzogs Albrecht zu halten. Nachdem ich
ihm beohlen hatte, au uns zu warten, gingen wir au
den Eingang in der Burgmauer zu.
Wir wurden offenbar erwartet, denn die kleine Eisentür
war nur angelehnt. Mary stieß sie au, und wir erblickten
Loschek, des Prinzen Kammerdiener, der im Innern desGanges stand. Er sprach nicht, gab uns aber ein Zeichen,
ihm zu olgen. So ging es, Flucht au Flucht, eine dunkle,
steile reppe hinan.
Ich konnte kaum den Weg vor mir sehen und war ganz
außer Atem, als unser Führer plötzlich stehen blieb und
eine ür öffnete, durch die helles ageslicht hereinflute-te.
Ich erkannte, daß wir uns au dem flachen Dach
der Hourg beanden, und konnte nicht umhin, die
Umgebung mit Interesse zu betrachten, denn von unse-
rem Standort aus hatten wir einen großartigen Blick über
ganz Wien. Doch der kalte Wind, der über den lufigenPlatz egte, riß uns beinahe um.
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Loschek schritt voran über das Dach ort, und eine
wahnsinnige Lust zu lachen packte mich, als mir ein-
fiel, was ante Sissi wohl sagen würde, wenn sie wüßte,
wer da über ihrem Kope zu ihres Sohnes Gemächern
schlich. Ich blickte Mary an. Der Wind hatte ihre blei-chen Wangen gerötet und einige reizende kleine Strähne
ihres Haares gelöst. Plötzlich ergriff mich eine jähe Angst,
und in meinem Unterbewußtsein wehrte sich etwas ge-
gen mein un, als wolle es mich gegen .eine unbekann-
te Geahr warnen. Ich blieb stehen. War es zu spät zum
Rückzug?Mary sah mein Zögern und aßte mich konvulsivisch
bei der Hand.
»Nein, nein, nein, ich will Rudol sehen, du darst
mich jetzt nicht mehr daran hindern!« schrie sie.
Loschek beobachtete uns mit blassierter Gleichgültig-
keit. Zweiellos hatte er schon manche zögernde Dameüber das Dach eskortiert. Das machte keinen Eindruck
mehr au ihn. Er ührte uns zu einem Fenster, durch
das wir in einen darunterliegenden Korridor kletterten.
Abermals umfing uns tiees Dunkel. Ich war urchtbar
nervös. »Wo gehen wir hin?« ragte ich. Und dann fiel
mir au, daß Mary mit dem Wege eigentümlich vertrautwar.
Ich wütete innerlich über meine Dummheit, mei-
ne Hand zu diesem Abenteuer geboten zu haben, als
Loschek eine ür am Ende des Ganges öffnete und ich
hinter Mary eintrat. Etwas schoß mit surrenden Flügeln
aus dem Schatten hervor und schwirrte mir um denKop. Ich schrie erschreckt au, da ich zuerst nicht sehen
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200
konnte, was es war. Dann ühlte ich zwei eisige Klauen
au meinem Nacken und ein heiseres Krächzen klang
durch die Stille.
»Es ist nur ein zahmer Rabe,« bemerkte Mary unge-
duldig. »Komm her,« und sie hob den Vogel von meinemNacken und nannte ihn dabei mit Namen.
»Armer Kerl,« sagte sie, das ier streichelnd. »Du bist
aber ein Feigling, Marie! Es tut keinem was, das liebe
Viecherl.«
»Das mag ja sein,« erwiderte ich wütend, »aber ich
habe keine Lust, weiter au meinen Nerven herumspie-len zu lassen. Ich hoffe wirklich, wir sind nun bald an
Rudols Zimmern.«
Der Nistort des Raben war eine Waffenkammer, die
mit Geweihen und Jagdtrophäen geschmückt war. Sie
öffnete sich in ein Vestibül, an dessen Ende ich große
Flügeltüren bemerkte. Loschek schwang sie au, und wirtraten in ein prächtiges Vorzimmer, das in Weiß und
Gold gehalten war.
Mary ging ungeduldig einige Augenblicke au und nie-
der. Dann kam sie zu mir. ränen standen in ihren Augen.
Sie war bleich, und ein verzweielter Entschluß schien sie
zu beherrschen. Sie nahm meine beiden Hände und küß-te mich; dann sagte sie sehr ruhig und traurig:
»Marie, vergib mir aus tiestem Herzen all die Sorge,
die ich dir gemacht habe. Was auch immer geschehen
mag, glaube nie, daß ich dich betrügen oder ein alsches
Spiel mit dir spielen wollte.«
Ich war von ihrer ehrlichen Liebe gerührt und sagteihr, daß ich nur ihr Glück wollte und daß ich sehr roh
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wäre, wenn sie aus dieser Zusammenkunf endgültig ih-
ren Seelenrieden heimbrächte.
Da öffnete sich die ür au der anderen Seite des
Zimmers und der Kronprinz kam uns entgegen. Rudol,
der eine Litewka trug, sah ganz heiter aus und lächelte,als er uns begrüßte. »Kommt in mein Zimmer,« sagte er.
»Da ist es behaglicher als hier.«
Er ging voran in ein helles Gemach, das hübsch wohn-
lich aussah, denn eine Menge illustrierter Zeitungen,
Bücher, Blumen und ein großer Flügel, au dem einige
musikalische Neuheiten lagen, machten es warm undgemütlich. Eine Brille lag au dem Schreibtisch, und ich
wunderte mich, wie Stephanies Glas dort hin kam, da
man doch allgemein annahm, daß sie und Rudol sich
nicht zu besuchen pflegten.
»Nun,« sagte mein Vetter in höchst prosaischem one,
»möchte ich diese kleine Unterredung allein mit Maryim Rauchzimmer ühren. Gestattest du es, Marie?«
»Nein, bleibt lieber hier,« antwortete ich in einer unbe-
stimmten Angst vor Unheil, »Ich werde in das Vorzimmer
zurückgehen.«
»Unsinn,« rie Rudol, »man könnte dich sehen, wenn
du dort wartest. Ich verspreche dir, ich werde die Baroneßnur zehn Minuten aualten,« Er öffnete die ür, und ehe
ich etwas erwidern konnte, schlüpfe Mary an mir vor-
über und war draußen. Der Kronprinz olgte ihr.
»Nur zehn Minuten,« wiederholte er, während er die
ür schloß.
Dann hörte ich, wie der Schlüssel im Schloß umge-dreht wurde.
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Ohnmächtig mußte ich mich ügen und ging hin-
über zu den Fenstern, um zu sehen, ob ich entdecken
konnte, in welchem eile der Burg ich mich beand. Zu
meiner Überraschung sah ich, daß die Fenster au den
Amalienho hinausgingen und daß gerade gegenüber diemir wohlvertrauten Gemächer der Kaiserin lagen. Ich
konnte die große Uhr sehen und hörte das Rollen der
Equipagen, die unten durch den Ho uhren.
Ich beobachtete das emsige reiben eine Zeitlang und
blickte dann nach der Uhr. Die zehn Minuten waren
schon vorüber.Ich ging zum Spiegel und glättete mein Haar, das die
Flügel des Raben in Unordnung gebracht hatten. Und
während ich dies tat, hörte ich Militärmusik. Es war die
Stunde der Ablösung der Wache. Da das Zimmer unan-
genehm warm war, legte ich mein Jackett ab. Kaum hatte
ich dies getan, da trat mein Vetter wieder ein. Er war al-lein!
Ich starrte Rudol verstört an und vermochte nur zu
stammeln:
»Wo ist Mary?«
Er lächelte, beachtete meine Frage aber gar nicht, son-
dern machte sich daran, alle üren des Zimmers abzu-schließen.
»Antworte!« schrie ich. »Um Himmels willen, sag’ mir,
was geschehen ist! Rudol, gib mir – eine Erklärung!«
Ich war so bestürzt, daß ich nur mit Anstrengung ste-
hen konnte. Das Blut schoß mir zu Kope. Ich schwankte
und zitterte, und das Zimmer verschwamm mir vor denAugen. Der Kronprinz nahm mich bei der Hand.
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»Da ist nichts zu erklären,« sagte er.
»Mary! Mary! Wo ist sie?! Sag’ mir, was du mit ihr ge-
macht hast?!«
»Beruhige dich, Marie, und hör’ mich an. Bitte, un-
terbrich mich nicht. Du wirst ohne Mary zurückkehrenmüssen.«
Die Klänge der röhlichen Musik draußen tönten
herein, wahrend wir sprachen; nie mehr kann ich eine
Militärkapelle spielen hören, ohne an jenen schreckli-
chen Augenblick zu denken. Mir wurde übel vor Angst.
»Du scherzest! Du weißt nicht, was du sprichst! Dukannst mir nicht im Ernst sagen wollen, daß du beab-
sichtigst, sie hier zu behalten.«
»Kümmere dich nicht darum, wo ich Mary zu behal-
ten beabsichtige. Du hast jetzt weiter nichts zu tun, als
soort zu gehen.«
Seine Unverrorenheit machte mich rasend.»Ich werde nicht ohne sie gehen. Du wirst …«
»Mary ist nicht in der Burg.«
Der Schreck nahm mir das Bewußtsein. Als ich wieder
zu mir kam, uhr mein Vetter ort:
»Wenn du dich ruhig verhältst, wird nichts geschehen.
Geh’ zu der Baronin zurück und sag’ ihr, daß Mary ort-gelauen ist.«
»Das werde ich nicht, du Feigling! Ich werde direkt zur
Kaiserin gehen.«
»Durch verschlossene üren wirst du keinen Weg fin-
den.«
Ich stürzte zum Fenster, versuchte es auzureißen, undschrie um Hile. Der Prinz preßte mir roh die Hand au
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den Mund und zerrte mich zurück. »Du – ich tu dir
was an!« knirschte er mit urchtbarer Drohung in der
Stimme.
»Du ehrloser Mensch!« keuchte ich, »du hast jedes
Schamgeühl verloren. Ich werde nicht still sein! Ich wer-de nicht still sein! Ich sag es der Kaiserin. Laß mich … laß
mich … soort …«
»Wenn du nicht schwörst, Ruhe zu halten, bring’
ich dich um!« zischte Rudol. Er ließ meine Hand-
gelenke los, die er wie in Schraubstöcken hielt, öff-
nete ohne ein weiteres Wort eine Schubladeund nahm einen kleinen schwarzen Revolver heraus.
Damit trat er vor mich hin.
»Soll ich dich erschießen?« Er packte mich an der
Kehle und preßte mir die Waffe gegen die Stirn.
»Ja, schieß’ zu!« rie ich verzweielt. »Das wäre eine
Barmherzigkeit, jetzt, wo du mein Leben ohnehin ver-nichtet hast.«
Der Kronprinz ließ den Revolver sinken und blickte
mich an. »Jedenalls hast du Mut,« sagte er.
»Ich kann taper sein, wenn es gilt, solchem euel, wie
du bist, zu trotzen!« rie ich. »Du bist ein Satan. Du hast
mich hergelockt unter der eierlichen Versicherung, mirehrenhaf zu begegnen. Du weißt nicht, was ein Wort
bedeutet. Ja, ich wiederhole es, du weißt nicht, was Ehre
ist.«
Der Kronprinz betrachtete mich mit einem Gemisch
von Grausamkeit und Zynismus.
»Dar ich mir die Frage gestatten, Marie, seit wann dudir die Rolle einer Heiligen anmaßest? Du bist gerade die
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Richtige, die von Ehre und Ehrbarkeit reden dar. Du, die
den Liebesmittler ür meine Mutter gespielt hat, seit du
ein Kind warst. Du wagst es, mir gegenüber von Moral
zu sprechen, du, die ohne Skrupel dabei gestanden hat,
wenn Mama meinen Vater betrog?!«»Das ist eine verruchte Lüge! Ich werde das nicht mit
anhören! Ich dulde es nicht, daß du deine Mutter ver-
leumdest! Ich liebe sie.«
Dann brach ich in ränen aus und weinte, als ob
das Herz mir brechen wollte. Da sagte Rudol sehr ru-
hig: »Marie, liebst du Mama wirklich, so erspare ihr dieSchande eines Skandals.«
Zu meiner großen Überraschung ührte er mich hin-
über zum Soa und setzte sich neben mich nieder. »Ja, du
hast ganz recht,« bemerkte er, in seinem Benehmen voll-
ständig verändert; »ja – ich habe dich sehr hart behan-
delt. Kannst du es mir vergeben, Marie?«»Oh … h … h … h …« war meine einzige Antwort.
»Ich muß wahnsinnig gewesen sein … Willst du mich
anhören? Ich bitte dich, mir Gehör zu schenken. In dei-
ner Hand allein liegt es, eine ragödie abzuwenden.«
»Wie kann ich dir noch glauben?«
»Ich schwöre dir bei der Schwarzen Jungrau der Burg,daß ich die Wahrheit sprechen werde. Ich will Mary bei
age bei mir behalten, um die Baronin mürbe zu ma-
chen.«
»Ach, du bist ja wahnsinnig,« sagte ich. »Du sagtest
mir, du hättest keine Zeit ür Liebesgeschichten; da wä-
ren Dinge, die deine ganze Spannkraf orderten, und,nachdem du mir das gesagt hast, entührst du ein junges
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Mädchen. Ich glaube dir kein Wort mehr. Es ist alles ein
wirres Lügengewebe.«
»Es ist die Wahrheit. Viel kann in zwei agen gesche-
hen, und ich will Mary bei mir haben. Ich stehe am Rande
des Abgrundes. Warum willst du mir das bißchen Glücknicht gönnen?«
»Mary hat mir genau dieselben Worte gesagt,« erwi-
derte ich, »aber was du Glück nennst, ist es in Wahrheit
nicht. Ich glaube, Menschen wie du lernen es niemals
kennen.«
»Gib mir diese letzte Chance,« bat er.»Gut. Ich kann ja anhören, was du von mir verlangst.«
»Ich wünsche, daß du zu deinem Fiaker zurückgehst
und dich zu irgendeinem Geschäf ahren läßt, wo du als
Kundin bekannt bist. Wenn du dort bist, schicke einen
Angestellten hinaus zu dem Fiaker mit einer Botschaf
von dir an die Baronin Mary Vetsera.Natürlich wird er zurückkommen und melden, daß
die Baronin nicht da ist. Au diese Weise wirst du dir ei-
nen Zeugen daür verschaffen, daß du glaubtest, sie säße
noch im Wagen.«
»Der Kutscher wird aber doch wissen, daß ich die Burg
allein verlassen habe.«Der Kronprinz öffnete eine Ledertasche und entnahm
ihr ein Paket Banknoten.
»Hier find ünundert Gulden,« sagte er. »Gib sie dem
Kutscher mit der Mitteilung, daß ich sie ihm schicke, und
wenn er irgendwie in Verlegenheit kommt, soll er sich
an Bratfisch wenden, der wird ihm sagen, was er zu tunhat.«
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»Und ich soll ihrer Mutter sagen, daß Mary ortgelau-
en ist, während ich in dem Geschäf war?«
»la,« nickte Rudol, »das wird ür zwei age genügen,
dann werde ich selbst mit ihr sprechen.«
»Es wird dir leicht allen, mit ihr einig zu werden,«sagte ich und wiederholte ihm die Unterredung, die ich
mit Madame Vetsera gehabt hatte.
Der Kronprinz lachte. »Welch eine bequeme Mutter
Mary hat,« spottete er, »aber jetzt, Marie, mußt du gehen.
Möchtest du ein Glas Wein haben? Du siehst ein bißchen
mitgenommen aus, mein armes Cousinchen.«Ich lehnte den Wein ab. Noch immer weinte ich. Ich war
in einem urchtbaren Zustande nervöser Erschöpung,
und meine Kräfe waren vollständig augerieben. Ich hat-
te nur den einen Wunsch, ortzukommen.
Plötzlich nahm Rudol meine Hand. »Laß uns nicht in
Unrieden scheiden, Marie,« bat er; »wenn du wüßtest,wie unglücklich ich bin …Vielleicht kommt noch alles
ins rechte Gleis … eines ages. Versprich mir nochmals,
Stillschweigen über alles zu bewahren!«
»Ich verspreche es,« antwortete ich mit erstickter
Stimme.
Da zog der Kronprinz mich an sich und schloß michin die Arme. Dann küßte er mich zum ersten und letzten
Male au den Mund. Wie im raum ging ich durch das
Vorzimmer und beand mich wieder im Nistraum des
Raben. Schweigend ührte mich Loschek über das Dach
zurück und die reppe hinab zu der ür in der Mauer.
Als sie sich schloß, ühlte ich, daß ich den schöneren eilmeines Lebens hinter mir hatte.
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Beim Fiaker and ich den Kutscher dabei, eine dicke
Käseschnitte zu verzehren, und die Perde hatten die
Futtersäcke um. Offenbar hatte er sich au ein langes
Warten geaßt gemacht.
Der Mann, der mich seit Jahren uhr, war ganz be-troffen von meinem veränderten Aussehen. Doch ich
gab ihm schnell Rudols Beehle und händigte ihm die
Banknoten aus.
»Viel zu viel ür eine Dame,« bemerkte er. »Das ist eine
kostspielige Liebelei, die dem Kronprinzen ünundert
Gulden kostet!«Mehr tot als lebendig, uhr ich davon. Doch mit ei-
ner ungeheuren Anstrengung rae ich mich zusammen
und uhr zu Rodeck au dem Kohlmarkt, wo alles vor-
schrifsmäßig verlie, ohne daß der geringste Verdacht
erweckt wurde. Ich tat sehr erstaunt, als man mir Marys
Abwesenheit mitteilte, und eilte soort aus dem Laden.»Führen Sie mich so schnell wie möglich zum Vetsera-
Palais,« sagte ich vernehmlich.
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209
vierzehntes Kapitel
I
ch betrat das Vetsera-Palais in einem sehr wenig
beneidenswerten Gemütszustande. Ich ühlte mich
krank und meine Knie zitterten, während ich lang-sam die reppen hinaustieg. Ein appetitanregender
Speisengeruch drang aus dem Eßzimmer, als Hanna mir
entgegenkam.
»Mama war so hungrig, daß wir ohne euch angean-
gen haben,« entschuldigte sie. Aber als sie bemerkte, wie
elend ich aussah, schwieg sie und wartete au meineEröffnung.
»Hanna … bitte deine Mutter, zu mir zu kommen … es
ist kein Augenblick zu verlieren.«
Fast mechanisch ging ich ins Rauchzimmer und war
mich aus Soa, ich wußte kaum, was ich tat. Die ür ging
au und Madame Vetsera egte herein, die Serviette in derHand.
»Was ist los? Bist du krank?« rie sie ängstlich.
»Mary ist ortgelauen. Ich bin ohne sie zurückgekom-
men …« Ich erkannte kaum meine Stimme, als ich diese
schicksalsschweren Worte hervorstieß und die Baronin
mit angstvoller Spannung betrachtete, um die Wirkungmeiner Nachricht au sie zu beobachten.
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Madame Vetsera erbleichte, biß sich au die Lippen und
sagte dump: »Ich wußte ja, daß sie etwas Unüberlegtes
tun würde.«
Hanna, die der Mutter geolgt war, schien die Sprache
verloren zu haben. Die Baronin brach in ränen aus, undich kämpfe, meiner Geühle Herrin zu werden. Ich er-
innerte mich an Rudols Bemerkung, die Baronin wäre
»eine sehr bequeme Mutter«. Es schien mir auch, als ver-
rieten ihre Worte mehr verletzten Ehrgeiz als verzweiel-
te Mutterliebe. Madame Vetsera trocknete ihre ränen
und suchte ihre Fassung wieder zu gewinnen.»Sage mir alles,« bat sie.
Ich spielte die Rolle, die mir Rudol zugewiesen hatte,
und zwang mich zu einer Lüge nach der anderen. Doch
schließlich gingen meine Nerven mit mir durch, und ich
brach in einen Strom von ränen und Selbstanklagen
aus.»röste dich,« sagte die Baronin, »es ist nicht deine
Schuld. Es war mit Mary nicht mehr auszuhalten. Du
kannst dir nicht vorstellen, wie sie mir das Leben vergällt
hat. Doch von ihm ist es eine unverzeihliche Handlung,«
ügte sie mit jäher Empörung hinzu.
»Helene,« ragte ich atemlos. »Du bringst also denKronprinzen mit Marys Flucht in Zusammenhang?«
»Ja,« entgegnete Madame Vetsera, und ihre Augen un-
kelten vor Ärger. »Ja, ich argwöhne so manches. Leider
habe ich erst kürzlich von allem erahren.«
Ein Stein fiel mir vom Herzen. Ich verschuldete nicht
allein die Folgen dieser Intrige, da Marys Mutter selbstzugab, daß sie darum wüßte.
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»Was soll jetzt geschehen?« ragte ich.
»Nichts, wenigstens nicht gleich,« erwiderte die
Baronin. »Wir wollen warten und sehen, ob sie zurück-
kehrt. Ich will jeden Skandal vermeiden, der ür unse-
re Stellung in Wien nachteilig wäre. Man muß alles ge-heim halten. Vor allem müssen wir daür sorgen, daß die
Dienstboten nicht schwatzen. Au den alten Christian
kann ich mich verlassen. Auch der Portier ist zuverläs-
sig. Agnes – o, aber – Agnes!« uhr Madame Vetsera au,
»sie steckt sicher hinter allem. Mit ihr werde ich spä-
ter abrechnen. Vorläufig ist die Hauptsache das tiesteSchweigen.«
Diesen letzten Satz sprach sie leise vor sich hin.
Plötzlich schien mein trostloser Zustand sie von neuem
zu erschrecken, denn ich glaube, ich sah wie ein wan-
delnder Leichnam aus.
»Nimm etwas,« drang sie in mich. »Mir scheint, dubist sehr krank, ich werde Wein kommen lassen.«
Mit diesen Worten ging Madame Vetsera ins
Eßzimmer.
Hanna, die unbemerkt hinausgegangen war, kam jetzt
zurück, in der einen Hand ein Stück Papier, in der ande-
ren ein kleines Schmuckkästchen. Sie wollte gerade spre-chen, als ihre Mutter mit Christian zurückkehrte, der mir
ein Glas Wein und Keks anbot.
Hanna gab den Papierstreien der Baronin, die ihn laut
vorlas: »Liebe Mutter, wenn du dies liest, bin ich in der
Donau – Mary.«
»Welch ein Unug!« rie ich. »Mary lebt und ist gesund,sie will nur verhindern, daß man ihr Versteck entdeckt.«
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»Natürlich,« nickte die Baronin.
Hanna wandte sich der Mutter zu.
»Mary hat ihren ganzen Schmuck in einer silber-
nen Schale au ihrem oilettetisch stehen lassen, die
Schreibtischschubladen sind leer, und nur diesesKästchen war da.«
Damit gab sie es der Mutter.
»Wir wollen das Schloß aurechen,« riet ich. »Vielleicht
finden wir darin den Schlüssel zu dem Geheimnis.«
Christian brach das Kästchen au; es barg aber nur die
Photographie eines Kindes, in dem ich Rudol im Alter von drei Jahren erkannte.
Nachdem ich den Wein getrunken hatte, ühlte ich
mich etwas besser, und wir besprachen jetzt eingehend
Marys Verschwinden und Madame Vetseras Wunsch, je-
den Skandal zu vermeiden. Die Furcht vor dem Gerede
schien sie weit ernster zu beunruhigen als der Verlust ih-rer ochter. Ein tiees Mitleid mit Mary stieg in mir au,
als ich erkannte, wie wenig echte Liebe die Mutter ür sie
empand.
»Willst du mir einen großen Geallen tun?« ragte
Madame Vetsera, als ich mich zum Gehen erhob.
»Gern,« antwortete ich.»Dann ahre zur Burg und rage nach Nachrichten
über den Kronprinzen. Du bist seine Cousine, man kann
dir die Auskunf nicht verweigern. Und dann noch et-
was … kannst du nicht deine Rückreise nach Pardubitz
au vierundzwanzig Stunden verschieben? Bis dahin
werden wir sicher irgendeine Nachricht haben.«Ich zögerte.
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Zu einem zweiten Besuch in der Burg hatte ich nicht
die Kraf … doch ich konnte meine Zoe schicken. Aber
meine Rückreise verschieben, das war eine ganz ande-
re Frage. Da hatte mein Mann mitzusprechen. Ich ühlte
indessen, daß es meine Pflicht war, alles, was in meinerMacht stand, ür die Baronin zu tun, zumal ich der un-
schuldige Grund all ihres Kummers war.
»Gut,« sagte ich. »Ich werde in der Burg nachragen
und noch einen ag in Wien bleiben.«
Die Baronin dankte mir unter Küssen. Ich sagte
Hanna Lebewohl und uhr ins Hotel, wo ich zu mei-ner größten Freude Frau Müller vorand, die zweiellos
in der Erwartung gekommen war, daß ich ihr erzählen
würde, was am Abend vorher geschehen war. Getreu
dem Versprechen, das ich Madame Vetsera gegeben hat-
te, schickte ich Jenny soort zur Hourg und bat Frau
Müller, in meinem Namen ein elegramm nach Pardubitzzu schicken.
»Kommen Sie zurück, wenn Sie nichts Besseres vorha-
ben,« sagte ich ihr. »Meine Nerven beben, und ich habe
Angst, allein zu sein.«
Ich wartete voll Unruhe au Jenny, und als sie zu-
rückkehrte, eruhr ich, daß der Kronprinz zur Jagd inLaxenburg sei …
Natürlich war das eine alsche Nachricht. Da ich jetzt
etwas ruhiger geworden war, beschloß ich, wieder zur
Baronin zu gehen und ihr zu berichten, was ich gehört
hatte. Vor allem aber hoe ich auch, daß Mary inzwi-
schen etwas getan haben würde, die Angst ihrer Mutterzu besänfigen.
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Als ich ins Vetsera-Palais kam, geriet ich mitten hin-
ein in einen Familienrat, da die Baronin nach Alexander
Baltazzi geschickt hatte, der außer sich war über das
Benehmen seiner Nichte. Hanna, deren Gesicht vom
Weinen geschwollen war, versuchte den Onkel zu beru-higen, während Madame Vetsera unter den wuchtigen,
zornigen Vorwüren ihres Bruders den Kop vollstän-
dig verloren zu haben schien. Alexander erklärte, daß er
mit dem Kronprinzen sprechen und ihn zwingen wür-
de, Rechenschaf zu geben. Doch die Baronin blieb unter
ränen und Jammern dabei, man düre keinen Skandalprovozieren. Ich unterstützte ihre Bitten.
»Gut,« sagte Alexander, »dann werde ich dem
Kronprinzen nicht nachahren, aber ich muß wissen, wo
er steckt. Sie, Gräfin, als Familienmitglied können Fragen
stellen, die uns unmöglich sind. Wollen Sie mit mir den
Che der Geheimpolizei besuchen. Er wird sicher wissen,wo Ihr Vetter ist. Wir brauchen ihm von Mary nichts zu
sagen, wenn es nicht absolut nötig ist.«
»Wir werden es ihm sagen müssen,« entgegnete ich
ruhig.
Obwohl ich ohne jede sichtbare Erregung sprach,
konnte ich die Worte nur mit der größten Anstrengunghervorbringen. So schlecht und verräterisch Rudol auch
war, so widerstrebte es mir doch, jemanden au seine
Spur zu bringen, zumal er vielleicht wirklich in jene my-
steriöse politische Affäre verwickelt war.
Madame Vetseras Haltung war mir ein Rätsel. Denn,
da sie Rudol ür den Entührer ihrer ochter hielt, wa-rum war sie dann so dagegen, ihn zu stellen? Ich konnte
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dies nur ihrer Empfindlichkeit hinsichtlich der Ehre ih-
rer Familie zuschreiben. Aber Mary hatte doch geäußert:
»Die Chronik der ›braven‹ Vetseras ist in der Gesellschaf
wohl bekannt.«
»Hören Sie,« sagte ich zu Alexander nach einer end-losen Debatte. »Ich werde Sie begleiten, aber bitte, sei-
en Sie vorsichtig. Ich möchte nicht in Rudols peinliche
Angelegenheiten verwickelt werden. Sie wissen, daß ich
noch au andere, außer mir, Rücksicht zu nehmen habe,
auch wünsche ich keinen Streit mit der Kaiserin.«
Wir uhren zur Polizeipräektur, einem düsteren, be-drückenden Ort, der in eine Atmosphäre von Geheimnis
und Verbrechen gehüllt war.
Ich schickte meine Karte mit der Bitte um eine
Unterredung hinein, worau wir zu dem Che der
Geheimpolizei geührt wurden, einem ernst dreinblik-
kenden Manne, der über unsern späten Besuch über-rascht schien.
Sobald ich dem Che mitteilte, daß ich eine Verwandte
der Kaiserin sei, wurde er soort sehr liebenswürdig, und
ich erklärte ihm in aller Kürze, daß ich den Auenthalt
des Kronprinzen ermitteln wollte, der eine junge Dame
überredet hatte, ihr Heim zu verlassen und ihm zu ol-gen.
»Die Ehre eines bekannten Namens steht au dem
Spiele,« sagte ich; »jeder Skandal muß vermieden wer-
den, und die Hauptsache ist, das Mädchen zu veranlassen,
soort zu ihrer Mutter zurückzukehren.«
Der Polizeiche hörte mich schweigend bis zu Ende an.»Ich kann mich unmöglich einmischen,« antwortete er
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entschieden. »Das gehört nicht zu meinem Pflichtenkreis.
Denn glauben Sie mir, Gräfin, wenn ich mich au die
Liebesgeschichten des kaiserlichen Hauses einlassen
wollte, hätte ich alle Hände voll zu tun. atsächlich,« üg-
te er bei, »wage ich es gar nicht.«Da verlor Alexander Baltazzi seine Beherrschung.
»Was,« rie er wütend, »düren die Habsburger sich
wie gemeine Strauchdiebe aufführen und doch straflos
ausgehen! Gibt es keine Gerechtigkeit in Wien?!«
»Ich kann mich nicht in Dinge einmengen, die der
Kronprinz zu tun beliebt,« wiederholte der Polizeiche.»Vielleicht wissen Sie nicht,« sagte ich, daß die junge
Dame zur Aristokratie gehört?«
»Wie! Sie ist kein Bürgermädchen? Aber das ist ja eine
ganz andere Sache!« rie der Beamte. »Dann werde ich
mal sehen, was ich tun kann.« Und er verließ das Zimmer,
während wir gespannt au seine Rückkehr warteten.»Seine Kaiserliche Hoheit ist in Alland,« meldete der
Che, als er nach einer Viertelstunde zurückkam. Die
höfliche Verbeugung, mit der er seine Worte begleitete,
deutete uns an, daß wir entlassen waren.
Als wir die Polizeipräektur verließen, ragte ich
Alexander, ob er wüßte, wo Alland sei. Er erwiderte, daßes nicht weit von Wien wäre, und als wir der Baronin
Mitteilung machten, beschloß sie, am olgenden age
nach Alland zu ahren und darau zu dringen, Mary und
den Kronprinzen zu sprechen.
Halbtot vor Unruhe und Müdigkeit kam ich ins Hotel.
Dort and ich Frau Müller in meinem Schlazimmer vor.Ein elegramm war gekommen. Mit bebenden Fingern
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er mit Papieren vielleicht seine Korrespondenz mit Mary
Vetsera gemeint haben könne.
Das Rattern des Zuges wiederholte mit monotoner
Hartnäckigkeit die Namen »Rudol« und »Mary«. Ich
bemühte mich, meine Gedanken abzulenken, indem ichau die vorbeihuschende Landschaf hinausblickte, die
leicht mit Schnee gepudert war. Aber die Winteröde be-
drückte mich nur noch mehr, und ich war roh, als ich
endlich in Pardubitz ankam.
Die erste Nacht zu Hause war eine Wohltat, denn ich
war vollständig erschöpf.Ich schlie den traumlosen Schla äußerster Ermattung
und ühlte mich errischt und ruhiger, als ich erwachte.
Ich hatte Jenny alles erzählt und empand es als eine gro-
ße Erleichterung, mit ihr darüber zu sprechen, denn sie
war so ergeben und treu, daß ich mein Geheimnis bei ihr
in sicherer Hut wußte.Gra Larisch machte einige Bemerkungen über mei-
ne Niedergeschlagenheit und meinte, daß der Besuch in
Wien mich sehr angestrengt hätte.
»Aber,« sagte er, »mir geht es auch gar nicht gut. ich
habe mich entschlossen, soort noch Mentone auzubre-
chen. Wir werden nicht in Wien bleiben, sondern direktdurchahren und die Reise erst in Nabresina unterbre-
chen.«
Zwischen meinen emsigen Reisevorbereitungen war-
tete ich ängstlich au Nachricht von der Baronin Vetsera.
Doch da keine kam, teilte ich ihr brieflich mit, daß wir
nur noch zwanzig Stunden in Pardubitz blieben, und daßich ihr von Monte Carlo aus schreiben würde.
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Am Abend des 30. Januar war ich spät zu Bett gegangen
und schlie est, als Jenny am nächsten Morgen in mein
Zimmer kam und die Vorhänge zurückschlug. Das Feuer
brannte nicht, ich röstelte und zog die Eiderdaunendecke
dichter um mich. Zugleich sagte ich ärgerlich:»Warum haben Sie mich so zeitig geweckt?«
»Gnädigste Gräfin,« antwortete Jenny mit so verän-
derter Stimme, daß ich sie kaum wieder erkannte, »etwas
Furchtbares ist geschehen. Mein Gott … wie soll ich es
Ihnen sagen?«
Sie fiel neben dem Bett au die Knie.»Wie kann ich Ihnen das sagen,« wiederholte sie, »ich
ürchte … mich so.«
»Sprechen Sie, Jenny, Sagen Sie es mir soort!« schrie
ich.
»O, gnädige Frau, der Kronprinz ist getötet!«
Ich sah sie an, ohne den grauenvollen Inhalt ihrerWorte zu begreien. Meine Zunge war gelähmt.
»Ja, ja,« schluchzte Jenny, »der Bäcker hat eben die
Nachricht gebracht. Aber man hat schon gestern abend
spät in Pardubitz davon gesprochen. Man sagt, Seine
Kaiserliche Hoheit wurde aus Versehen au der Jagd er-
schossen.«»Wo? In Alland?« stammelte ich mühsam, denn die
Kehle war mir wie ausgedorrt.
»Nein, in Meyerling,« antwortete das weinende
Mädchen. Ich sprang aus dem Bett, mein Blut war zu Eis
erstarrt. Ich hatte nur den einen Gedanken, zu meinem
Manne zu eilen, doch Jenny bat mich, bis zum Frühstückzu warten, da der Diener gerade bei ihm war.
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Wie ich mich an diesem entsetzlichen Morgen angezo-
gen habe, weiß ich nicht mehr. Ich hatte jedes Empfinden
verloren. Ich wußte nichts, als daß Rudol tot war. Aber
wie – durch wessen Hand? Ich ragte Jenny, doch sie
wußte keine Einzelheiten. Dann, mit einem Stich imHerzen, dachte ich an Mary. Wo war sie? Was war ihr
zugestoßen? Sie hatte doch nicht etwa ihren Geliebten
ermordet?!
Ach, die Zeitungen … sie würden voll der ragödie
sein. Ich stürmte die reppen hinab, und als ich an mei-
nes Mannes Zimmer vorbei kam, hörte ich ihn mit demDiener über die Katastrophe von Meyerling sprechen.
Die Zeitungen lagen au dem Frühstückstisch.
Ich sah die Überschrifen: »od des Kronprinzen
Rudol«. Die Seiten waren mit dicken, schwarzen
Rändern umrahmt, und über dem Kop der Zeitungen
war ein Kreuz!Die Buchstaben tanzten mir vor den Augen, aber ich
las mit Auietung aller Kraf den Bericht, der eine bloße
Nachricht war ohne jede Einzelheiten. Der Leitartikel be-
klagte den Verlust, den Österreich-Ungarn erlitten hatte.
Das war alles.
Ich war halb wahnsinnig vor Schreck und Verzweiflungund hörte kaum hin, als mein Mann mir die Nachricht
von Rudols od mitteilte. Gra Larisch war ganz gleich-
gültig und bemerkte, er hätte ein solches Ende bei mei-
nem Vetter immer vorausgesehen.
»Es ist sehr ärgerlich, daß wir zum Begräbnis nach Wien
ahren müssen,« sagte er in gereiztem one. Dann aß ermit großem Appetit sein Frühstück, während ich mein-
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te, an jedem Bissen zu ersticken. Schließlich konnte ich
nicht länger bei isch sitzen. Als ich in das Schlazimmer
zurückkam, and ich Jenny beim Packen.
»Ich muß soort ein elegramm an die Baronin Vetsera
schicken,« sagte ich; »beeilen Sie sich, Sie müssen esgleich zur Post bringen.« Und ich setzte mich an meinen
Schreibtisch.
»Frau Gräfin,« antwortete sie, »nehmen Sie es mir nicht
übel, wenn ich wage, Ihnen zu sagen, daß das unklug ist.
Ich bitte Sie, zu warten, bis Sie nach Wien kommen, es
hat keinen Zweck, in einer so kritischen Zeit den LeutenStoff zum Gerede zu geben.«
Ich konnte mich der Wahrheit dieser Äußerung nicht
verschließen. Als ich die Feder hinlegte, fiel mein Blick
au Marys Photographie mit den Worten: »reu bis in
den od.« Enthielten sie eine düstere Prophezeiung? Ich
schrie so gell au, daß die Zoe herbeistürzte, um zu se-hen, was mir ehle. Dann umfing mich eine barmherzige
Ohnmacht.
Doch nicht ür lange. Das Leben mit seiner Not rie
mich zurück; und mein gequältes Gehirn durchdrang
die grausame Erkenntnis, daß die Stahlkassette und ihr
Geheimnis ein Legat des oten ür mich sei.Spät an diesem urchtbaren Abend rae ich meine
Nerven zusammen, öffnete den Koffer und nahm die
geheimnisvolle Kassette heraus. Rudol konnte sie nun
niemals zurückordern. Aber wer würde sich als sein
Vertrauter melden?!
Ich war roh, als die Stunde der Abahrt kam, denn dieseelischen Oualen, die ich litt, waren ast unerträglich! Es
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erging mir wie einem Reisenden in einem unbekannten
Lande voller verborgener Geahren, der vorwärts schrei-
tet in der entnervenden Furcht, der nächste Schritt werde
ihn ins Verderben stürzen. Der od wäre mir willkom-
men gewesen, so ürchtete ich mich vor dem, was mirnoch bevorstand: Das Bild des oten verolgte mich. Ich
durchlebte noch einmal unsere letzte Begegnung, und
obwohl ich sehr wohl wußte, daß ich durch sein selbst-
süchtiges Doppelspiel zu leiden haben würde, reute ich
mich doch, daß ich Rudol den Abschiedskuß nicht ver-
weigert hatte.
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Fuenfzehntes Kapitel.
W
ir uhren die Nacht durch, und als wir rüh
in Wien ankamen, anden wir eine Stadt
des Schmerzes. Ich kann das Geühl nichtschildern, das mich marterte, als ich die schwarzen
Volksmengen und die Wahrzeichen allgemeiner rauer
sah. Ein düsteres Schweigen lag wie ein Leichentuch über
Menschen und Dingen, und ein Hauch des Schreckens und
des Grauens durchzitterte die Luf. Bei unserem Eintritt
in das Grand Hotel sah ich zu meiner Überraschung, wiedie Leute mich anstarrten und flüsterten, als ich vorüber-
kam. Denn damals wußte ich noch nicht, daß tausend
Verleumderzungen schon begonnen hatten, sich emsig
mit mir zu beschäfigen.
Ich empand einen eisigen Schauer, als ich mich wieder
in meinem alten Zimmer beand, in dem sich das leiden-schafliche Drama der letzten age zum eil abgespielt
hatte. Mir war, als sähe ich wieder Marys liebliches, ver-
zweieltes Gesicht; ich hörte Rudols hastigen Atem und
lauschte seinen wilden Worten. Dort stand das Soa, au
dem wir gesessen hatten, als er mir die Stahlbüchse gab,
dort war der Stuhl, au dem Mary gesessen hatte, als siemeine »Predigt« angehört hatte. Ja, ich konnte den Duf
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ihrer Zigarette riechen und das ungeduldige Klickklick
ihrer kleinen, hohen Absätze hören. Ach, es war schreck-
lich!
Wo war Mary? Warum konnte ich von ihr nichts er-
ahren? Ich ertrug die Spannung nicht länger, und nachdem Frühstück schickte ich Jenny zum Vetsera-Palais.
Es beunruhigte mich auch, daß keine Botschaf von der
Kaiserin kam, die von unserer Ankunf in Wien wuß-
te. Der einzige, der nach mir geragt hatte, war Doktor
Wiederhoer, der die Mitteilung hinterließ, er werde mich
in einer dringenden Angelegenheit heute nachmittag be-suchen.
Der Gra ging zu seiner Familie, und ich wartete ge-
spannt au Jennys Rückkehr, war aber bestürzt, als sie
mir die Nachricht brachte, daß das Vetsera-Palais ver-
schlossen sei. Herrin und Dienstboten wären ort, und
der Hausknecht, der allein zurückgeblieben war, könnekeinerlei Auskunf geben.
»Ach, Frau Gräfin,« rie Jenny, »was bedeutet das alles
nur?! Gestern sagte mir der Kammerdiener des Prinzen
A. , der mit mir uhr, sein Herr hätte gehört, der Kronprinz
sei nicht versehentlich erschossen, sondern im Walde er-
mordet worden. Was soll man eigentlich glauben?!«Ich wußte keine Antwort. Ich ging hinüber zum Fenster,
uhr aber entsetzt zurück, als ich die schwarzen Fahnen
und Kreppgirlanden in den Straßen flattern sah.
Die sich windenden Bänder erschienen mir wir die
schwarzen Schlangen, die sich im Haare der Furien rin-
geln, und instinktiv wiederholte ich die Worte: »Sag mir, von welcher Furie … wirst du verolgt?« Meine Seele
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wand sich in Qualen, meine Nerven rissen, ich wollte
schreien, den Kop gegen die Wand schlagen … irgend
etwas … ich ballte die Fäuste, die Nägel drangen mir
ins Fleisch, keine ränen linderten das Brennen meiner
Augen, meine Kehle war verdorrt – o, was sollte ich be-ginnen!
Und dann wurde die Luf draußen durchbebt von den
tieen, eierlichen Klängen der Glocken.
Jeder Schlag tra mein Herz und schlug in
mein schmerzendes Hirn wie ein Eisenhammer.
Wollten die Glocken denn gar nicht auören?Eins – zwei – drei – Rudol liegt jetzt in der Augusti-
nergruf. Wo war sein Geist? Mir nah … ich ühlte
es … was hatte eben meine Wange gestreif? … der letzte
Kuß … ja, ich ühlte ihn … eins – zwei – drei – noch im-
mer die Glocken! Sie werden ewig durch meine räume
dröhnen.Ich war mich aus Soa. Ich bohrte die Finger in die
Ohren, das geisterhafe Brausen zu ersticken. Ich vergrub
den Kop in die Kissen. Ich ühlte, ich mußte sterben,
wenn ich es noch länger hörte.
Plötzlich uhr ich au. Eine Hand hatte sich au meine
Schulter gelegt. Meine Augen begegneten dem ruhigenBlick meines alten Freundes und Arztes, Dr. Wiederhoer.
Er drückte mir beruhigend die Hand.
»Fassen Sie sich, liebe Gräfin,« sagte er, »denn Sie müs-
sen aumerksam au meine Worte achten. Die Kaiserin
hat mich zu Ihnen geschickt.«
»Wünscht ante Sissi mich zu sehen?« ragte ich ha-stig.
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»Nein, sie wünscht, daß Sie ihr eine Frage beantwor-
ten. Was wissen Sie von der Sache?«
»Ich weiß nichts. Ich sterbe ast vor Angst. Haben Sie
Erbarmen und sagen Sie mir etwas.«
»Sprechen Sie auch sicher die Wahrheit?«»Ich schwöre es.«
»Dann, meine arme Freundin …, nehmen Sie Ihre
Kraf zusammen … Mary ist tot.«
»O, mein Gott!« schrie ich au. »Wie ist sie gestor-
ben?«
»Mit dem Kronprinzen … Gräfin … seien Sie tap-er … Sie zittern wie Espenlaub … so … sehen Sie, es geht
schon. Ja, sie sind beide tot. Und die Kaiserin gibt Ihnen
die Schuld! Ich bedaure Sie, mein armes Kind, denn Sie
sind in einer urchtbaren Lage,« sagte der Doktor mit zit-
ternder Stimme.
»Aber ich bin unschuldig!« schrie ich.»Man weiß in der Burg alles,« sagte er ernst. »Die Ge-
heimpolizei hat entdeckt, daß Sie Rudols Vertraute wa-
ren und daß Sie Mary Vetsera in die Hourg gebracht
haben. Der Kutscher, der Sie hingeahren hat, hat alles ge-
standen. Aber ich bitte Sie, sagen Sie mir, was die Kaiserin
vor allen Dingen zu wissen wünscht: war der Kronprinzganz normal, als Sie ihn zuletzt sprachen?«
Ich rae mich zu der Antwort au:
»Nein, das war er nicht.«
Dann brach mein zurückgedämmtes Leid hervor.
»Sie sagen, sie wissen in der Burg alles. Weiß der Kaiser
und die Kaiserin auch, daß man mir schamlos mitgespielthat? Ich bin die Betrogene in dieser Angelegenheit. Man
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hat mich hinters Licht geührt. Ich gehe zur Kaiserin. Ich
laß’ mich nicht ungerecht verurteilen.«
Meine Stimme schwoll an zu wildem Schrei und ebbte
nieder zu konvulsivischem Schluchzen. Dr. Wiederhoer
ließ mich einige Augenblicke weinen.»Mut, Mut, liebe Gräfin, ich bin davon überzeugt,
daß Sie die Wahrheit sprechen. Es ist schon das be-
ste, ich erzähle Ihnen alles. Aber es ist eine grauenvolle
Geschichte.«
»Der Kronprinz hat, allem Anscheine nach, nach
Laxenburg geschrieben,« erzählte der Doktor, »und sei-ner Gemahlin mitgeteilt, er ginge au drei age nach
Meyerling zur Jagd, würde aber zu dem Familiendiner
am 30. Januar zurück sein. Inolgedessen kümmerte man
sich weiter nicht um seine Schritte. Der Prinz verließ
Wien zwei Stunden nach Mary Vetsera, die Bratfisch nach
dem Jagdschloß hinausuhr. Das unglückliche Mädchengelangte unbemerkt durch den Privateingang hinein,
und Loschek ührte sie in das kleine Ankleidezimmer in
den Gemächern, die der Kronprinz benutzte. Diesen ag
und die olgende Nacht blieb sie mit dem Geliebten allein,
und am neunundzwanzigsten kamen einige Freunde von
Rudol hinaus zur Jagd.«»War Philipp von Coburg unter ihnen?«
»la. Philipp,« uhr Dr. Wiederhoer ort, »wuß-
te, daß eine Dame in Meyerling war – übrigens nichts
Seltenes – denn dann blieb Rudol niemals lange bei
isch. Der Kronprinz schützte eine arge Erkältung vor
und ging nicht mit au die Jagd. Und am Abend saß er beiisch, den Hals mit einem seidenen uche umwickelt.
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Das Abendbrot wurde ür den Prinzen und Mary au
ihren Zimmern serviert, und Loschek erhielt den Beehl,
seinen Herrn um sieben Uhr am nächsten Morgen zu
wecken.
Unten tobte eine runkenheitsorgie, aber die beidenarmen Seelen verbrachten ihre letzte Nacht ungestört.«
»Um Barmherzigkeit willen, seien Sie kurz, ich kann es
nicht ertragen,« stöhnte ich.
»Sie müssen alles hören,« entgegnete mein Freund.
»Loschek kam, seinen Herrn um sieben Uhr zu wecken,
und der Kronprinz beahl ihm, in einer halben Stundewieder zu kommen. Das tat er. Aber da er au sein wie-
derholtes Klopen keine Antwort erhielt, wurde er un-
ruhig und benachrichtigte den Graen Hoyos, der beim
Frühstück saß.«
»Und … weiter?«
»Sie erbrachen die ür. Ich hoffe, man wird nie wiederÄhnliches sehen. Alles schwamm in Blut. Die Kopissen
waren besudelt, die Wände bespritzt, es rieselte in einem
purpurnen Bache vom Bett au die Erde herab, wo es eine
schreckliche Lache bildete. Rudol lag au der Seite, die
Hand hielt noch immer den Revolver, der Schädel war
ast völlig zerschmettert.«»Ich kann nicht mehr …«
»Gräfin … Sie müssen alles hören. Das Bett bauschte
sich ein wenig au, und Gra Hoyos lüfete die Decken.
Mary Vetsera lag unter ihnen – tot. Auch sie hatte einen
Kopschuß.«
»O, Mary, Mary, arme Mary!« rie ich und bäumtemich au.
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»Gra Hoyos beahl Loschek, den Leichnam des
Mädchens in ein anderes Zimmer zu schaffen und alle
üren des Sterbezimmers abzuschließen. Dann ging
der Gra hinunter und teilte den Jagdgästen mit, der
Kronprinz wäre plötzlich schwer erkrankt, er müsse so-ort nach Wien ahren, dem Kaiser Meldung zu machen
und einen Arzt nach Meyerling zu ruen. Er telegraphier-
te an mich, und ich kam ast zur gleichen Zeit mit ihm in
der Hourg an.
»Zuerst sahen wir die Kaiserin. Sie hatte gerade ihre
urnübungen beendigt. Es war schrecklich, sie so un- vorbereitet zu überallen. Ich kann Ihnen nicht mitteilen,
wie wir ihr die Nachricht beibrachten …«
»Arme, arme ante!«
»Ich gewann es über mich, ihr zu sagen: ›Sie müssen
es dem Kaiser mitteilen, Majestät. – Sie allein können es.‹
Die Kaiserin starrte mich verständnislos an, dann rich-tete sie sich au, ein Schauer überrieselte sie. ›Wir wollen
gehen,‹ sagte sie.«
»Wir gingen mit der Kaiserin zu des Kaisers Gemächern
und warteten draußen. Was zwischen den gebeugten
Eltern vorging, weiß ich nicht. Doch als wir hineingeru-
en wurden, saß Franz Jose am isch, das Gesicht in dieHände vergraben. Die Kaiserin stand neben ihm.
Man beahl mir, soort nach Meyerling zu ahren. Gra
Hoyos gab mir den Schlüssel des Zimmers.«
»Was geschah weiter mit der Kaiserin?«
»Als die Kaiserin in ihre Zimmer zurückkam, meldete
ihr Madame Ferenzy, daß die Baronin Vetsera um eineAudienz bäte. Die Baronin behaupte, der Kronprinz habe
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ihre ochter entührt und flehe die Kaiserin an, ihr zu
helen.
Elisabeth zögerte, beahl dann aber Madame Ferenzy,
die Baronin herein zu ühren.
Die Kaiserin stand in der Mitte des Vorzimmers. Siewar grausig anzusehen in ihrer unnatürlichen Ruhe. Die
Baronin erschien. Die beiden Mütter blickten einander
schweigend an. Dann fiel Madame Vetsera au die Knie
und schrie verzweielt au: ,Mary – meine ochter –‹
Elisabeth wich vor den ausgestreckten Armen der jam-
mernden Frau zurück. Sie betrachtete sie mit mitleidslo-ser Neugier und sagte dann kalt und grausam:
›Es ist zu spät, sie sind beide tot!‹
Madame Vetsera fiel in Ohnmacht. Die Kaiserin blick-
te unbewegt au sie nieder – und ging stumm hinaus.«
Ich hatte dieser schrecklichen Erzählung mit unbe-
schreiblicher Erregung gelauscht. Ich wußte, daß meinSchicksal ante Sissi gegenüber besiegelt war. Sie wür-
de niemals einer Erklärung zugänglich sein. Ich bat den
Doktor, in seinem Bericht ortzuahren, ohne recht zu
wissen, ob ich die Kraf haben würde, ihn zu Ende zu hö-
ren.
Wiederhoer erzählte weiter, daß er nach Meyerlinggeahren und soort in die Zimmer geührt worden sei,
die der Kronprinz bewohnte. Hier and er alles so
vor, wie Gra Hoyos es geschildert hatte. Die Reste des
Abendbrotes standen noch au dem isch in dem kleinen
Salon.
Einige leere Sektflaschen standen umher, und ein Stuhlwar umgeworen.
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Eine Kristallflasche, halb mit Kognak geüllt, lag au
dem eppich in der Nähe des Bettes.
Wiederhoer ließ sie enternen, damit der Kaiser sie
nicht sähe. Er legte dann einen Notverband um den zer-
schmetterten Kop und wusch dem Kronprinzen Gesichtund Hals. Mit Loscheks Hile deckte er das blutbefleckte
Bett zu und bahrte die Leiche au. Alles andere blieb un-
berührt bis zur Ankunf des Kaisers.
Und jetzt sagte Loschek zu Dr. Wiederhoer:
»Sehen Sie sich einmal die Frau an.«
Er ging dem Doktor voran und ührte ihn ei-nen Korridor entlang. Dann öffnete er eine ür und
Wiederhoer sah sich in einer kleinen Kammer, die durch
ein Dachenster spärlich erhellt wurde. Zuerst konnte er
die mannigachen Gegenstände, die rings umherstan-
den, kaum unterscheiden. Aber schließlich entdeckte der
Doktor einen großen Wäschekorb. Obenau lag ein mitStraußenedern garnierter Hut, am Fußboden lagen al-
lerlei weibliche Kleidungsstücke umher.
Wiederhoer war durch seinen Beru an grausige
Anblicke gewöhnt.
»Aber,« sagte er, »zum ersten Male in meiner Praxis
ühlte ich einen Schwindelanall, als Loschek das Lakenbeiseite zog, das den Korb bedeckte.«
»Da sah ich den Körper einer Frau – nackt bis au ein
dünnes Batistspitzenhemd, das ihr über den Kop gezo-
gen war. Ich sagte Loschek, daß ich in der Dunkelheit die
Leiche dort, wo sie lag, nicht besichtigen könne. So trug
er sie denn in das anstoßende Zimmer und legte sie auden Billardtisch.
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»Gräfin Marie,« antwortete mein alter Freund, »ich
wünsche, diese Unterredung wäre uns erspart geblieben.
Ich versichere Ihnen, sollten Sie jemals einen Freund
brauchen, so werden Sie ihn immer in mir finden.« Er
gab mir einen väterlichen Kuß. Da war ich mich in seineArme und weinte bitterlich.
»Liebes Kind, leben Sie wohl« waren seine letzten Wor-
te.
Es war ein Abschied ür immer. Denn ich habe den
Graen Julius Andrássy niemals wiedergesehen.
Es war schon Spät, als ich Jennys Mantel anzog undmeine Pelzmütze mit einem dichten Schleier umhüllte.
Die geheimnisvolle Kassette trug ich unter dem Arm
und rae all meinen Mut zusammen, denn ich war
schrecklich nervös. Jenny hatte die Droschke an den
Dienstboteneingang gebracht, und da niemand zu sehen
war, schlüpfe ich, ohne einen Augenblick zu verlieren,die reppe hinab.
Die Nacht war kalt und nebelig, doch ich reute mich
darüber, da ich meine Verabredung so leichter unbemerkt
einhalten konnte. Ich beahl dem Kutscher, zuerst am
Schwarzenbergplatz 5 zu halten und mich später vor
der Drogerie an der Ecke des Rings zu erwarten. Mitzitternden Knien stieg ich aus und preßte die kostbare
Kassette an meine Brust. Ich ging über die Brücke und
and zur Rechten die kleine, von Bäumen eingehegte
Promenade, wo ich Rudols Vertreter treffen sollte.
Es war ein düsterer Ort, der zu dieser Abendstunde
ganz verlassen da lag. Eine hohe Laterne war ihrewässerigen Strahlen durch den Nebel. In der Nähe
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des Lichtes ühlte ich mich sicherer, und hier wartete
ich – wie mich dünkte, eine endlose Zeit. Plötzlich hörte
ich kurze, harte Schritte und sah einen Mann au mich
zukommen. Er trug einen steierischen Mantel und einen
Filzhut. Da wurde mir Angst, und ich versuchte, an ihm vorbeizugehen.
Der Fremde sah mich an und lüfete flüchtig den Hut.
»Gräfin Larisch?« ragte er leise.
»Was wollen Sie?« stammelte ich und versuchte, noch
immer zu entkommen.
Da machte der Mann einen Schritt vorwärts undflüsterte:
»Rudol!«
Soort blieb ich stehen.
»Haben Sie meinen Brie erhalten?« ragte der
Fremde.
»Ja, ich habe einen Brie erhalten. Aber das ist nichtalles.«
»Ah… ich verstehe. R. I. U. O.«
Soort zog ich die Kassette hervor und hielt sie dem
Unbekannten hin. Doch er nahm sie nicht.
»Gestatten Sie mir ein paar Worte, Gräfin Larisch,«
sagte er.»Sie sind eine beherzte Frau, daß Sie gekommen
sind. – Aber wir düren nicht unter der Laterne mitein-
ander sprechen.« Er ging langsam hinweg, und ich
olgte ihm. Ich ürchtete mich nicht mehr, denn die tiee
Stimme des Fremden klang so wohllautend, und seine
ganze Erscheinung war so edel, daß ich soort erkannte,er sei kein gewöhnlicher Mensch.
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»Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind,« uhr er
ort. »Sie taten recht daran, seinen letzten Wunsch zu
erüllen.«
»Aber,« wandte ich ein, »mir blieb ja nichts anderes
übrig. Ich hatte versprochen, die Kassette dem zu geben,der sein Recht au sie nachweisen könnte.«
»Haben Sie jemals von dieser Kassette gesprochen?«
»Niemals – niemals.«
Der Fremde schien bei meinen Worten sehr erleich-
tert.
»Hat ›ER‹ Ihnen von dem Geheimnis erzählt?«»Nein, ich weiß nichts davon.«
»Es ist auch besser so, sonst könnte Ihr Leben au dem
Spiele stehen.«
»Bitte – bitte, nehmen Sie die Kassette,« unterbrach ich
ihn, denn es trieb mich davon.
Zwei Hände streckten sich unter dem Mantel desFremden hervor und nahmen mir die Kassette ab. Ich
werde nie vergessen, wie schön und stark sie waren. An
dem einem kleinen Finger leuchtete ein großer Diamant.
Als ich diese wunderbaren Hände berührte, war ich sehr
beruhigt, denn ich ühlte, daß ich das mir anvertraute
Gut an den Richtigen abgelieert hatte.»Gräfin Marie,« sagte der Unbekannte, »ich möchte
gern etwas ür Sie tun. Rudol hat Sie schamlos behandelt.
Ich kenne die ganze Geschichte und halte es ür eine
Gemeinheit von ihm, daß er Sie in seine Angelegenheiten
verwickelt hat.«
Ich sah ihm dankbar ins Gesicht.»Sie haben wohl keine Ahnung, wer ich bin, Gräfin?«
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»Nein.«
Da nahm er den Hut vom Kope und blickte mir in die
Augen. Ich prallte erstaunt zurück.
»Kaiserliche Hoheit!« schrie ich au. Der Fremde war
der Erzherzog Johann von oscana!Ich war dem Erzherzöge nur hin und wieder in
Gesellschaf begegnet, doch ich erkannte soort seine
ungewöhnlich schönen Augen und das interessante
Gesicht, ich erinnerte mich der engen Freundschaf, die
zwischen ihm und dem Kronprinzen bestanden hatte.
Ich hatte auch gehört, daß der Erzherzog mit dem Kaiserschlecht stand, und daß er wahrscheinlich Österreich
bald verlassen würde.
»Erschrecken Sie nicht, Gräfin,« lächelte der Erzherzog
zynisch und traurig. »ich bin nicht geährlich.« Dann
ragte er, wie lange ich die Kassette in Besitz gehabt
hätte.»Ungeähr vierzehn age,« antwortete ich.
»Haben Sie nicht versucht, sie nach der ragödie zu
öffnen?«
»Nein, sie ist völlig unberührt.«
»Ich ürchtete schon, Sie könnten am Ende versucht
gewesen sein, sie der Kaiserin auszuhändigen. Ich habeIhren Auenthalt erst heute rüh erahren.«
Ich erzählte ihm alles über des Graen Andrássy
Besuch.
»Ach, hat sie den alten ›Moschushirsch‹ zu Ihnen
geschickt!« Er lachte und sagte dann ernsthafer:
»Aber, Sie hätten in Ihrem Interesse wohlgetan, dieseKassette dem Graen zu geben. Denn ich kann Sie
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versichern, anstatt Ihnen die Hourg zu verbieten, hätte
man Sie zur Herzogin gemacht. Aber so ist es besser.
Einem Feigling wie Rudol konnten Sie nicht helen, aber
mir haben Sie das Leben gerettet.«
Ich fing an zu weinen. Alles war so verwickelt undgeheimnisvoll. Der Erzherzog nahm meine Hand.
»Bedauern Sie Rudol nicht,« sagte er. „Hätte der
Kaiser diese Papiere geunden, so hätten die Dinge
viel schlimmer ür ihn gestanden. Der Kronprinz hat
Selbstmord begangen; aber hätte der Kaiser alles gewußt,
so hätte er ihn vor ein Kriegsgericht stellen und alsHochverräter erschießen lassen müssen.«
»Mein Gott,« schrie ich, »was hat er getan? … Hat er
an die Krone von Ungarn gedacht?«
Der Erzherzog nickte zustimmend, und mir fielen
plötzlich antes Worte ein, mit denen sie vor langer Zeit
einmal angedeutet hatte, daß Rudol sich in den Händender Freimaurer befinde. Aber Elisabeth hatte wenig
Grund, einen Stein au ihn zu weren, denn sie kokettierte
selbst immer mit der Sozialistenpartei.
»Glauben Sie, daß Rudols Pläne ehlschlugen,«
ragte ich, „und daß er hiervon in Meyerling Nachricht
erhielt? … Er ürchtete etwas,« uhr ich ort, »dennabgesehen davon, daß er mir diese Kassette übergab,
hat er auch, wie ich höre, schon vor einigen Wochen
den größten eil seiner Papiere an Herrn von Szögyeny-
Marich geschickt.«
Der Erzherzog schwieg. »Vielleicht,« sagte er
ausweichend. »Können Sie sich vorstellen, was dieFurcht vor Entdeckung ür Rudol bedeutet haben muß,
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Ich beichtete meinem Manne alles, und zu seiner Ehre
muß ich bekennen, daß er sich wie ein Edelmann benahm.
Er glaubte mir aus Wort, stellte sich völlig au meine
Seite, und inmitten des Sturmes Klatsch und Gerede, der
mich umtobte, hat er nicht ein einziges Mal geschwankt.Ich hielt es unter meiner Würde, meinen Verleumdern
entgegen zu treten, obwohl Alexander Baltazzi, der Mary
liebte, mich als schuldig an ihrem Falle an den Pranger
stellte. Ich hätte ihm die Briee seiner Nichte aus Kairo
zeigen können, die einen untrüglichen Beweis daür
erbracht hätten, daß sie nicht unschuldig war, als Rudolihr zuerst begegnete. Doch ich ließ alles unerwidert
hingehen.
Den Kaiser und die Kaiserin habe ich nie wieder
gesehen und mich auch niemals dazu gedrängt. Den
Frühling verlebten wir an der Riviera und blieben au
unserem Rückweg nach Pardubitz in Wien. Das Lebenging seinen altgewohnten Gang weiter. In jedem Jahre
verlebte ich den Sommer in egernsee und den Herbst
in Wien. Alle waren lieb zu mir. Meine Freunde blieben
meine Freunde, und meine Eltern behandelten mich, als
wäre nichts geschehen.
Gra Larisch und ich lebten bis zum Jahre 1896zusammen, in dem unsere Ehe rechtsgültig geschieden
wurde. Doch diese Vorgänge hingen nicht mit der
ragödie von Meyerling zusammen, wie gewisse
phantasievolle Schrifsteller behaupten.
Man möchte kaum glauben, daß das Publikum so
bereitwillig alles glaubt, was es gedruckt sieht. Aber, wassich jene Zeitungsschreiber und Bücherabrikanten, die
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sich ür beruen erachteten, über Ereignisse meines
Lebens zu schreiben, an Unwahrheiten geleistet haben,
ist einach haarsträubend. Erst kürzlich habe ich einen
höchst rührenden Bericht über Rudols erste Begegnung
mit Mary in meinem Palais zu Wien mit dem üblichenmelodramatischen Hintergrund gedämpfer roter Lichter
gelesen, und wenn ich mich recht entsinne, entdeckte
der Prinz sein Dornröschen hingegossen au einem Soa.
Nun gibt es zwar ein Palais Larisch, aber leider gehörte
es nicht meinem Manne, und ich wohnte gewöhnlich im
Hotel.Man hat auch herausgeunden, daß ich von Rudol
ür meine Beihile bei den Begegnungen mit Mary
Geld erhalten habe und daß meine schreckliche
Verschwendungssucht schließlich die Freigebigkeit
meiner ante ermüdete. Ich habe niemals eine Mitgif oder
irgendwelche größere Summen von der Kaiserin erhalten.Es ist richtig, daß sie mir viele kostbare Geschenke machte
und daß meine Aussteuer ein gemeinsames Geschenk von
ihr und dem Kaiser war. Aber das ist auch alles, was ich
erhalten habe. Die Beschuldigung aber, Rudol habe mir
Geld geschenkt oder geliehen, kann ich nur als lächerlich
bezeichnen. Die Behauptung, daß ein Brie von mir anden Kronprinzen nach seinem ode in der Brusttasche
eines seiner Dolmans geunden wurde, tri zwar zu, das
Geld aber, au das jene Zeilen anspielen, betra Mary und
nicht mich.
Man hat viel zu viel Geheimnisse um die ragödie von
Meyerling gewoben. zu einem Mysterium aber wurdesie nur, weil alle Eingeweihten zuerst vollständig den
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Kop verloren. Das Richtige wäre gewesen, soort nach
des Kronprinzen ode die volle Wahrheit zu bekennen.
Es wäre zweiellos ür einige Zeit eine Riesensensation
gewesen, aber die Neugier wäre nicht immer und immer
wieder darau zurückgekommen. Rudol stand nie indem Rue besonderer Moralität, man erwartete von
ihm nicht viel Gutes. Der Kaiser hat nur sich selbst alle
Schuld beizumessen, wenn die Gerüchte mit der Zeit
immer mehr ins Ungeheuerliche wuchsen. Es ist sogar
behauptet worden, daß Rudol Marys Bruder war, daß
diese Entdeckung ihn zum Wahnsinn getrieben und daßer zuerst sie ermordet und dann sich umgebracht habe.
Nun herrschte allerdings einiger Klatsch über Marys
Vater, doch zielte er nie au den Kaiser oder irgendeinen
Prinzen des kaiserlichen Hauses.
Am meisten Glauben hat in maßgebenden Kreisen
die Darstellung geunden, daß Rudol von der Handeines der Oheime Marys geallen sei, der die Schande
seiner Nichte rächte. Meine Erzählung widerlegt dies.
Das Letzte, was die Baltazzi wünschten, war ein Skandal
irgendwelcher Art, und ein Mord kam ihnen nie in
den Sinn. Der zertrümmerte Zustand des Schädels des
Kronprinzen bot dem Gerücht Nahrung, er sei voneinem Gewehrkolben zerschmettert worden. Doch das
unwiderlegliche Zeugnis Dr. Wiederhoers, der die Leiche
sah und die Wunden verband, stellt diese Annahme als
unzutreffend hin.
Was wirklich geschehen ist während der Zeit, in der
Mary und Rudol in Meyerling allein waren, bleibt Spielder Vermutung. Es besteht nicht der geringste Zweiel
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Ich weiß es nicht und ich zweifle, ob jemals die Zeit
kommen wird, die Rudols Beweggründe enthüllt.
Vierundzwanzig Jahre sind hingegangen seit jenem
age, an dem die Kaiserin sich weigerte, mich zu
empangen, und mich ungehört verurteilte. Die Zeit hatdie Bitterkeit gemildert, die ich einst empunden habe,
und wenn ich heute zurückblicke, dünkt es mich, daß
ein gewisser Schein des Rechtes au Seiten meiner ante
stand. Vielleicht hätte ich unter gleichen Umständen
ebenso gehandelt. Doch ür mich war es hart, aus dem
Leben der Frau ausgestoßen zu werden, die ich so innigliebte und deren Vertrauen ich ohne Schwanken heilig
gehalten hatte … Mehr habe ich nicht zu sagen.
W
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