postmoderne - Übersetzen von drama
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Universität Heidelberg
Seminar für Übersetzen und Dolmetschen
Französische Abteilung
Seminar Übersetzungswissenschaft (WS 2011/2012)
Seminarleiter: Dr. Iris Plack
Referent: Cyril Gulevsky-Obolonsky (cyrilobolonsky@gmail.com)
Postmoderne im Theaterübersetzen am Beispiel des Stückes „Le dieu du carnage“ von Yasmina Reza
Februar 2012
2
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis...................................................................................................................3
Einleitung........................................................................................................................................4
1. Der Begriff „Postmoderne“.........................................................................................................6
1.1 Definition......................................................................................................................6
1.2 Exkurs in die Genealogie des Begriffs..........................................................................7
1.3 Fazit: Die Analysierbarkeit der Postmoderne.............................................................11
2. Das postmoderne Theater..........................................................................................................12
2.1 Was ist das postmoderne/postdramatische Theater?...................................................12
2.2 Yasmina Reza, Le dieu du carnage.........................................….................................14
3. Postmoderne und Übersetzung................................................................................................. 16
3.1 Die Übersetzung und der Übersetzer in der Postmoderne...........................................16
3.2 Analyse einer postmodernen Übersetzung...................................................................20
3.2.1 Methode.........................................................................................................20
3.2.2 Analyse..........................................................................................................21
Schlussbemerkung..........................................................................................................................26
Literaturverzeichnis........................................................................................................................29
3
Abkürzungsverzeichnis
PM (die Postmoderne)
PT (das postmoderne/postdramatische Theater)
4
Einleitung
Diese Arbeit soll das Problem des Übersetzens im postmodernen Theater analysieren und
darstellen. Im Fokus der Untersuchung werden die Problematik der Wahrnehmung der
postmodernen Weltanschauung vom Übersetzer und seine Aufgaben bei Interpretierung des
postmodernen Textes in eine andere Sprache stehen. Als Beispiel für die Analyse wird die
Übersetzung des französischen Theaterstücks Le dieu du carnage (Der Gott des Gemetzels) von
Yasmina Reza ins Deutsche genommen. Das vorzustellende Problem ist bis heute noch kaum
erforscht und ist deswegen von höchstem Interesse.
Als erstes wird der Begriff „Postmoderne“ behandelt, auf den heutzutage in fast allen
Bereichen des Lebens verwiesen wird. Aus der Philosophie, wo er ursprünglich als
zeitdiagnostisch gedeutet wurde, wurde er auf Politik, Wissenschaft, Kunst und andere Sphären
des Lebens transponiert und kennzeichnet aktuell die vorherrschende Weltanschauung. Im
ersten Teil dieser Arbeit werden die wichtigsten Merkmale der Postmoderne im Bezug auf
Literatur bzw. Theaterübersetzen beschrieben.
Im folgenden wird der Begriff des postmodernen oder postdramatischen Theaters abgegrenzt
und definiert. Es werden die wichtigsten Eigenschaften des postmodernen Theaters im
Vergleich zum konventionellen Theater aufgezählt und abgegrenzt, die für das Übersetzen
eines Theaterstückes relevant sind.
Des Weiteren wird die Postmoderne im Rahmen der Übersetzungstheorie näher erläutert. In
diesem Zusammenhang werden auch Begriffe wie Hermeneutik und Übersetzungspragmatik
erwähnt, die es uns ermöglichen, den philosophischen Begriff der Postmoderne auf die
Sprachwissenschaft bzw. Übersetzungswissenschaft zu übertragen. Es werden die Aufgaben
des Übersetzens in diesem Zusammenhang beschrieben.
5
Im letzten - praktischen - Teil wird eine Übersetzung eines Theaterstückes, das sich nicht als
rein postmodernes Werk darstellt, auf der Basis der zusammengefassten postmodernen
Theorieansätze analysiert. Das Werk ermöglicht es, die übersetzerische Handlungsweise in der
Postmoderne Schritt für Schritt im Kontrast zur klassischen Herangehensweise zu verfolgen.
Einzelne Beispiele, die aus dieser Übersetzung entnommen werden, sollen die wichtigsten
Tendenzen in der Übersetzung von Theaterstücken mit postmodernen Elementen
widerspiegeln.
6
1. Der Begriff „Postmoderne“
1.1 Definition
„Die Postmoderne beginnt dort, wo das ganze aufhört.“
(Welsch 2002: 39)
Heute ist es ebenso schwierig, den Begriff „Postmoderne“ (PM) zu definieren, wie seine
Entstehung nachzuvollziehen. Es kann daran liegen, dass von Anfang an kein fest umrissener
und leicht definierbarer Begriff zur Verfügung steht und es mehrere Prozesse und Phänomene
gibt, die man der PM unterordnen kann. Deshalb tendiert man dazu, die PM ganz frei und
inkonsequent zu deuten und mit vielen anderen Begriffen zu assoziieren.
Als Beispiel herfür kann die relative Häufigkeit des Präfixes „post-“ dienen, das in Wörtern wie
z. B. Postindustrialismus, Postkolonialismus, Poststrukturalismus, Postgeschichte,
Postfeminismus, Postmaterialismus, Postdemokratie usw. zu finden ist. Diese Begriffe
bezeichnen Phänomene, die in der modernen Gesellschafts- und Wissenschaftstheorie
entstanden sind, aber ihre Form bis heute verändert haben und schon zu einer anderen Epoche
gehören, aus der dieses Präfix stammt und die sich von der „vorangegangenen“ Moderne
grundsätzlich unterscheidet. Weil sich die Gesellschaft noch in dieser sich entwickelnden
Epoche befindet, ist es problematisch, sie und ihre Attribute neutral und allumfassend zu
analysieren. Folglich gibt es mehrere Deutungen und Schulen der PM, die in ihrer
Weltanschauung heterogen sind und manchmal einander widersprechen können.
Der amerikanische Wissenschaftler Gary Aylesworth beschreibt die Postmoderne
folgendermaßen:
That postmodernism is indefinable is a truism [Hervorhebung von uns]. However, it can be described as a set of critical, strategic and rhetorical practices employing concepts such as difference, repetition, the trace, the simulacrum, and hyperreality to destabilize other concepts such as presence, identity, historical progress, epistemic certainty, and the univocity of meaning (Aylesworth 2005 : 1).
Diese Beschreibung spricht bereits die grundlegenden Merkmale der PM an. Die Tatsache, dass
es heute noch unmöglich ist, die PM genau zu definieren, wird als Axiom (truism)
7
wahrgenommen. Man kann sie nur im Gegensatz zur Moderne beschreiben, indem man den
philosophischen und kulturellen Maximen der sogenannten Moderne (presence, identity,
historical progress, epistemic certainty, the univocity of meaning) die der PM (difference,
repetition, the trace, the simulacrum, hyperreality) gegenüberstellt (vgl. Aylesworth 2005: 1).
Solche Herangehensweise ist aber nicht in allen Fällen effektiv, weil die PM sehr oft von der
Moderne nicht zu trennen ist. Trotzdem hilft es, die wichtigsten Merkmale der PM, die im
Laufe dieses Kapitels als Teil der Genealogie der PM noch ausführlicher behandelt werden, zu
bestimmen.
1.2 Exkurs in die Genealogie des Begriffs
Der Begriff „Postmoderne“ entstand erst im 19. Jahrhundert und ist nach dem zweiten
Weltkrieg als kulturphilosophisches Phänomen aus unserem Sprachgebrauch nicht mehr
wegzudenken (vgl. Welsch 2002: 12-14). Wie schon erwähnt wurde, wird der Begriff ganz
unterschiedlich verwendet. Trotzdem ist es einen Versuch wert, das Konzept der PM zu
beschreiben, um ein Instrumentarium für die Analyse der dramatischen Übersetzungen zu
bereitzustellen. Prägend für die Theorie der PM waren die Werke von Wissenschaftlern wie
Lyotard, Derrida, Deleuze, Foucault und Barthes, die von verschiedenen Seiten zur
Vervollständigung des Begriffes beigetragen haben.
Als Haupttheoretiker der PM, der den Begriff in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in die
wissenschaftliche Diskussion eingeführt hat, gilt heutzutage Jean-Francois Lyotard. Er hat die
PM auf folgende Weise definiert:
Das Postmoderne wäre dasjenige, das im Modernen in der Darstellung selbst auf ein Nicht-Darstellbares anspielt; das sich dem Trost der guten Formen verweigert, dem Konsensus eines Geschmacks, der ermöglicht, die Sehnsucht nach dem Unmöglichen gemeinsam zu empfinden und zu teilen; das sich auf die Suche nach neuen Darstellungen begibt, jedoch nicht, um sich an deren Genuss zu verzehren, sondern um das Gefühl dafür zu schärfen, daß es ein Undarstellbares gibt (Lyotard 1993: 47).
8
Hier deutet Lyotard darauf hin, dass die PM erstens ein Teil der Moderne ist und zweitens das
omnipräsente Unfassbare berührt. Ihr Zweck ist nämlich, durch die fehlende Form zu zeigen,
dass es Widersprüche gibt, die nicht dargestellt werden können:
Ein postmoderner Künstler oder Schriftsteller ist in derselben Situation wie ein Philosoph: Der Text, den er schreibt, das Werk, das er schafft, sind grundsätzlich nicht durch bereits feststehende Regeln geleitet und können nicht nach Maßgabe eines bestimmenden Urteils beurteilt werden, indem auf einen Text oder auf ein Werk nur bekannte Kategorien angewandt würden. Diese Regeln und Kategorien sind vielmehr das, was der Text oder das Werk suchten. Künstler und Schriftsteller arbeiten also ohne Regeln; sie arbeiten, um die Regel dessen zu erstellen, was gemacht worden sein wird (Hervorhebung vom Verfasser). Daher rührt, daß Werk und Text den Charakter eines Ereignisses haben. Daher rührt auch, daß sie für ihren Autor immer zu spät kommen, oder, was auf dasselbe führt, daß die Arbeit an ihnen immer zu früh beginnt. Postmodern (Hervorhebung vom Verfasser) wäre also als das Paradox der Vorzukunft (post-modo) (Hervorhebung vom Verfasser) zu denken (Lyotard 1993: 47 - 48).
Wenn das postmoderne Werk entsteht, richtet sich der Autor nicht nach den bis jetzt
existierenden Regeln, die ihrerseits dafür nicht benutzt werden können, um dieses Werk zu
beurteilen. Die Regeln und Kriterien werden vom Werk bedingt, dessen Zweck ist es, neue
Regeln und Kriterien zu schaffen. Das Werk gilt als „Event“, in dem jeweils neue Regeln und
Bedingungen existieren, die den Autor dynamisch von seinem Werk entfernen. Damit möchte
Lyotard wahrscheinlich sagen, dass der postmoderne Pluralismus diese Rahmen eigentlich
abschafft und es unmöglich macht, die postmodernen Werke konventionell zu beurteilen.
Ein anderer Theoretiker der PM ist Michel Foucault. Obwohl er selbst sich nie als
Postmodernist betrachtete, trug er wesentlich zur Entwicklung der postmodernen Diskussion
bei, indem er die Geschichte der Menschheit kritisch analysierte und die herrschenden Symbole
und „Erzählungen“ bestimmt hat (vgl. Foucault 1983). Genauso wie Lyotard, der in seiner
Abhandlung „Ende der großen Erzählungen“ die vorherrschenden wissenschaftlichen und
gesellschaftlichen Dogmen als „Erzählungen“ bezeichnete (Lyotard 1999: 13, 74 - 75), ist
Michel Foucault auch der Meinung, dass die „Beziehung zur Aktualität“ vieler Menschen, die
durch das „Ethos“ der Epoche geprägt wird, das Paradigma der Moderne formt (vgl. Erdmann
1990: 42). Das bedeutet, dass die Moderne nicht nur eine historische Epoche ist. Als Ethos
enthält die Moderne solche philosophischen Komponenten wie individuelle Freiheit,
Solidarität, Rationalität und aktive Weltgestaltung, die von der Aufklärung geprägt wurden.
(vgl. ebd.: 35 - 54) Die PM wendet sich gegen die Eindeutigkeit dieser Prinzipien der
Welterklärung.
9
Der Literaturkritiker Roland Barthes analysiert diese „Erzählungen“ und bezeichnet sie als
„Mythos“. Laut Barthes stellen diese Mythen gleichzeitig eine Aussage - eine Botschaft dar, in
die die Wirklichkeit durch die Sprache übertragen wird, - und ein sekundäres semiotisches
System, das aus dem Bedeutenden, dem Bedeuteten und dem Zeichen besteht. Das Letztere gilt
als ideale „Gesamtheit“ des Bedeutenden und des Bedeuteten und repräsentiert den Sinn (vgl.
Barthes 1964: 85 - 93). Der Mythos bezeichnet „die unbewusste, kollektive Bedeutung, die eine
Gesellschaft von einem semiotischen Prozess ableitet“ und ist daher im Verhältnis zur
Gesellschaft sehr inkohärent (vgl. ebd.).
Ein anderes Konzept von Barthes, das für die PM prägend ist, ist der so genannte „Tod des
Autors“. In seiner gleichnamigen Arbeit La mort de l’auteur (Der Tod des Autors) ist Barthes
der Meinung, dass der Autor und seine Absicht keine Bedeutung für die Interpretation des
Textes haben, der seinerseits durchaus neue Bedeutungen entwickeln kann (Barthes 2000: 185 -
193). Der Forscher stärkt also die Rolle des Rezipienten, indem er sein Konzept auch die
“Geburt des Lesers” nennt1.
Indem Jacques Derrida den Begriff „Dekonstruktion“ mitfließen lässt, hat er ebenfalls den
Begriff der PM erweitert. Dieser Ansatz wendet sich gegen das ganze dialektische System des
philosophischen Denkens. „Logozentrismus“ ist ein Begriff, unter dem Derrida die
hierarchischen Oppositionen und festen ideologischen Grundsteine versteht. Die
Dekonstruktion kann in fast allen Bereichen, die unter dem Begriff „Text“ gefasst werden
können, angewandt werden, weil dieser Ansatz jeden potenziellen Bedeutungsträger als Text
betrachtet. Die Dekonstruktion als Prinzip beruht auf der so genannten Doppelstrategie, die
darin besteht, dass die Hierarchie umgekehrt wird und das ganze System kritisch analysiert
wird, indem die logischen Beziehungen wie z.B. die der Kausalität anders verstanden werden
(vgl. Culler 1999: 8 - 10).
Deleuze und Derrida haben auch anstatt der vorherrschenden Bezeichnung „binäre
Opposition“, die die Dynamik und die inneren Widersprüche des Gegenstands nicht
widerspiegelte, das Konzept „différence/différance“ eingeführt. Damit bestätigt sich die
Doppelstrategie der Dekonstruktion u. a. in der Sprache. Deleuze lehnte die dialektische Logik 1 siehe den Begriff der Tod des Autors im elektronischen Fachlexikon Literaturwissenschaft-online.
10
ab und meinte, dass bei der Analyse nicht die Opposition, sondern eine „différence“ gesucht
werden muss, die nicht negativ, sondern positiv betrachtet wird: « Deleuze avait pensé une
‘différence irréductible à l'opposition dialectique‘ » (Sergeant 2009: 194).
Derrida hat im Französischen den Neologismus différance geprägt, der bereits durch seine
Form die Symbolik des Begriffes veranschaulicht. Das französische Verb „différer“ hat zwei
Bedeutungen: ‘aufschieben’ und ‘verschieden, unterschiedlich sein’. Das Substantiv zu
„différer“ lautet „différence“ (Unterscheidung, Aufschiebung), das Partizip Präsens ist
„différant“ (Unterscheidendes, Aufschiebendes). Die Verwendung der Endung „-ance“ in
Derridas Wortschöpfung anstatt des „-ence“ ist eine Mischung der beiden Formen. Phonetisch
ist der Unterschied nicht hörbar, aber lexikalisch spielt das Kunstwort eine sehr wichtige Rolle,
indem es erstens die Unmöglichkeit einer eindeutigen Differenzierung von Bedeutungen zeigt
und zweitens auf die Interdependenz zwischen verschieden Bedeutungen hinweist (vgl. Wenk
1995: 21 - 26).
Eine wichtige Rolle spielt für die postmoderne Theorie der Begriff „Spur“, der sich aus dem
Begriff „Signifikant“ entwickelt hat und den Faktor Zeit berücksichtigt. Die zeitliche und auch
räumliche Differenzierung kennzeichnen die Spur: „Da die Spur kein Anwesen ist, sondern das
Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst, verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet,
gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur“ (Derrida 1990: 107).
Die Spur dient dazu, verschiedene Schriften miteinander zu verbinden und damit ihre Existenz
zu gewährleisten, wobei Intertextualität entsteht: Das, was ich Text nenne, ist alles, ist praktisch alles. Es ist alles, das heißt, es gibt einen Text, sobald es eine Spur gibt, eine differentielle Verweisung von einer Spur auf die andere. Und diese Verweise bleiben nie stehen. Es gibt keine Grenzen der differentiellen Verweisung einer Spur auf die andere. Eine Spur ist weder eine Anwesenheit noch eine Abwesenheit (ebd., 20).
11
1.3 Fazit: Die Analysierbarkeit der Postmoderne
Die exponierten Erscheinungsformen, Methoden und Herangehensweisen der PM sollen
deutlich machen, dass diese Strömung keinesfalls als strukturiert und elaboriert gesehen werden
kann. Die Unmöglichkeit, eine genaue Definition zu geben, die breite Einsatzmöglichkeit des
Begriffes und die Abwesenheit einer präzis formulierten Bezeichnungs- und Begriffsstruktur
sind entscheidende Merkmale der PM, genauso wie die Unübersichtlichkeit der Benennungen
und der gleichzeitig existierenden inhaltsänlichen Theorien („Poststrukturalismus“, „Nouvelle
Philosophie“, „Neue Moderne“ usw.) Das Abweichen von den Regeln, alten Idealen und der
Logik; die deutlich sichtbare Zeichenhaftigkeit, die sich durch die Thematisierung der so
genannten „Erzählungen“ in Form des Mythos zeigt; die Dekonstruktion von Codes markieren
den besonderen, schwer fassbaren Charakter der PM.
Trotzdem muss für die Analyse der Übersetzung eines postmodernen Theaterstücks eine
Arbeitsdefinition gegeben werden. Auf der Basis der oben genannten Differenzmerkmale wird
das Phänomen als eine breit angelegte und zeitdiagnostische Denkströmung definiert, die
allgemein anerkannte theoretische Modelle anficht und in dessen Rahmen „ein grundsätzlicher
Pluralismus von Sprachen, Modellen, Verfahrensweisen“ sowie die Dekonstruktion von Codes
praktiziert werden (vgl. Welsch 2002: 7, 15f.).
.
12
2. Das postmoderne Theater
2.1 Was ist das postmoderne/postdramatische Theater?
Die PM hat alle Bereiche der Kunst, einschließlich des Theaters, direkt oder indirekt
beeinflusst. Die philosophisch geprägte Strömung ist durch einerseits eine extreme
Visualisierung, andererseits die Auflösung von Worten und Sinn in Zeit und Bild
gekennzeichnet. Es gibt wenige Theaterstücke, die rein postmodern erscheinen. In den meisten
Fällen gibt es in Werken, die als „postmodern“ bezeichnet werden, einige als postmodern
geltende Elemente, die gleichzeitig auf Performativität und Textualität beruhen: „Much of
postmodern contemporary drama indeed celebrates performance and performativity and, by
doing so, transcends boundaries, pre-conceived notions, and conventions“ (Henke 2007: 15).
Das Phänomen der PM im Theater nennt man postmodernes oder auch postdramatisches
Theater (PT).
Wie schon im ersten Kapitel erwähnt wurde, wird die Terminologie innerhalb der PM sehr
inkonsequent verwendet, was auch ein wichtiges Merkmal der PM ist. Deswegen werden z. B.
Begriffe wie „postmodern“ und „postdramatisch“ parallel benutzt. In dieser Arbeit werden die
Begriffe „postmodernes Theater“ und „postdramatisches Theater“ gleichwertig behandelt, da
sie zum Begriff „postmoderne Dramatik“ in Relation „gemeinsam“ - „einzeln“ gehören.
Der Begriff „postdramatisches Theater“ wurde vom deutschen Theaterwissenschaftler Hans-
Thies Lehmann geprägt, der die wichtigsten Tendenzen und stilistischen Mittel der deutschen
Bühne seit den 1960er Jahren beschrieb. Zum PT gehören laut Lehmann solche Theaterstücke,
die weniger an den dramatischen Text halten, sondern entwickeln ihre eigene postmoderne
Ästhetik und sich mehr am materiellen Geschehen und an der Reaktion der Zuschauer
orientieren. Es geht hier um die so genannte „Emanzipation des Theaters“ von der Literatur
(vgl. Lehmann 1999: 73). Deshalb fängt die Form an, eine wichtige Rolle zu spielen, sogar
vielleicht eine wichtigere als der Inhalt. Die postdramatischen Inszenierungen bzw. die neuen
Inszenierungen historischer Theaterstücke haben nicht Unterhaltung, emotionale Erfahrung
oder sozialpolitische Kritik als Zweck: Der Rezipient selbst füllt das Stück mit Inhalt, wobei er
13
z. B. auch die aktuellen Fragen der Gesellschaft darin sucht und sein eigenes Verständnis von
Welt bildet (vgl. Lehmann 2002: 13 - 19). Dies entspricht Barthes‘ Theorie vom Tod des
Autors und der Geburt des Rezipienten aktuell (siehe 1.2).
Im engeren Sinne ist das PT kein Drama mehr. Statt solcher Benennungen wie „Drama“ oder
„Tragödie“ werden die dramatischen Werke von postmodernen Autoren einfach „Stücke“
genannt. Ein Stück enthält heute Kunstelemente wie z. B. Tanz oder Performance und
verzichtet auf die Inszenierungstechnik des traditionellen Sprechtheaters. Die
Theaterwissenschaftlerin Helga Finters hat auf der Basis von Stummfilmen das PT analysiert
(vgl. Wenk 1995: 96f). Sie ist zur Meinung gekommen, dass das PT über kein sich linear
entwickelndes Sujet, keine typisierten und leicht erkennbaren Charaktere verfügt, was
voraussetzt, dass die „Einheit des Bühnegeschehens“ dekonstruiert werden muss, indem ihre
Komponenten, nämlich handelnde Personen, Handlung, Raum und Zeit, separate
Montageeinheiten bilden:
In all diesen Theaterproduktionen ist der Ton nicht primär gesprochener Dialog, der von den Spielpersonen auf der Bühne kommt und kausal mit der Handlung verknüpft wäre. Er ist Text, Musik und Geräusch, die getrennt gemischt, schon auf Tonbändern zum Teil fixiert sind (Finter1985: 60).
Der Mensch tritt in den Hintergrund und überlässt seine Rolle den materiellen Zeichen, die in
Form von Gesten, Handlung, Sprache, Lauten, Musik usw, als Metaphern auf die Phantasie des
Zuschauers wirken (vgl. Wenk 1995: 96f).
Was die Struktur und die Grundidee angeht, ist das postmoderne Stück ganz anders organisiert:
Die paradigmatischen Beziehungen von Äquivalenz, Similarität und Differenz dominieren die syntagmatischen Beziehungen der Sequenzialität und Kontiguität, wie sie im konventionellen Theater das Plot bestimmen. Das macht Platz für mehrere Deutungen von dem, was auf der Bühne geschieht“ (Pfister 1988: 457).
Es gibt nämlich keine Struktur mehr und dafür viele Möglichkeiten der Interpretation.
Trotzdem spürt man die Einheit des Bühnengeschehens, was durch die so genannte
14
Intertextualität ermöglicht wird: „Das PT bedient sich in der Weise intertextueller Verfahren ...,
[indem es] dramatische Stile und Formen (oder überhaupt literarische Muster und Modelle)
mischt“ (Wenk 1995: 101). Das erzeugt den Eindruck der Einheit des ganzen Universums.
Das PT definiert sich aber am meisten durch seine Ästhetik deutlich (vgl. Henke 2007: 15). Je
komplexer das Leben ist, desto komplizierter wird die Kunst, die die Realität zum Ausdruck
bringt. Deswegen kann das PT mit seiner Fragmentierung, Strukturlosigkeit und
Zeichenhaftigkeit als eine Art der Zeitdiagnose betrachtet werden.
2.2 Yasmina Reza, Le dieu du carnage
Das zu analysierendes Stück kann nicht als rein postmodernes Stück betrachtet werden, obwohl
es viele Elemente der PM enthält. Es hat auch viel vom konventionellem Theater beibehaltet.
Insbesondere betrifft das die Struktur. Das Stück enthält ein relativ nachvollziehbares Plot und
einen dramatischen Konflikt. Die Aspekte des klassischen Aufbaus (die Exposition, die
Steigerung, der Höhepunkt, die Retardation und die Lösung) sind im Theaterstück zu finden.
Ein anderes Merkmal des klassischen Theaters ist der so genannte „Anthropozentrismus“, der
auch das zu analysierende Stück kennzeichnet (Wenk 1995: 96). Nichtsdestoweniger spielen
die Zeichen, insbesondere Sprache und materielle Gegenstände, eine wichtige Rolle. In
Deutschland wurde das Theaterstück zum Mainstream-Theater, oder zum „gehobenem
Boulevard“ gezählt (vgl. Guizetti 2008: 106).
Es gibt aber auch Vieles im Stück, das sich als postmodern kennzeichnen lässt. Es enthält z. B.
keine positive und keine negative Beurteilung seitens der Autorin. Sie lässt keine Spur von
ihrer Anwesenheit im Stück bleiben, was uns zum postmodernen Konzept des Todes des Autors
zurückschickt (siehe 1.2).
15
Im Stück gibt es vier Charaktere, die tatsächlich handeln. Faktisch sind im Stück noch mehrere
handelnde Personen, die zwar abwesend sind, aber indirekt an der Handlung teilnehmen (vgl.
Guizetti 2008: 108-109). Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Interpretation des Stückes,
wozu auch das offene Ende beiträgt (vgl. ebd.: 111, 116).
Obwohl im Stück die Struktur präsent ist, gibt es keine direkte und einheitliche
Kommunikationssituation. Dabei tragen die Störungen in Form von Telefonanrufen und
Emotionsäußerungen dazu bei, dass sich eine Atmosphäre des Chaos herauskristallisiert, die
durch das Zeitkonzept verstärkt wird, das sich in der Simultanität der Handlungen und der
Dekonstruktion des Bühnenraums (siehe 2.1) zeigt.
Der interlineare und multidimensionale Charakter des Stückes wird durch die zahlreichen
Hinweise in Form von direkten und indirekten symbolischen Zitaten auf andere Kunstformen
verstärkt (z. B. Musik oder bildende Kunst, die das Kunstbuch von Kokoschka symbolisiert).
Daraus entsteht die Intertextualität, die eines der Merkmale der PM ist (vgl. Guizetti 2008:
116).
Die anderen Merkmale, die insbesondere sprachlich und übersetzerisch relevant sind, werden
im nächsten Kapitel besprochen, das einer Analyse der Übersetzungsphänomene der PM
gewidmet ist.
16
3. Postmoderne und Übersetzung
3.1 Die Übersetzung und der Übersetzer in der Postmoderne
Wie es schon erwähnt wurde, ist die philosophische Basis der PM nicht komplett ausgearbeitet,
folglich umfasst die postmoderne Übersetzungstheorie auch nur die Beschreibung einzelner
übersetzerischer Probleme (vgl. Bolaños Cuellar 2008: 327). Die herrschende These in der
postmodernen Übersetzungstheorie ist die der Unübersetzbarkeit (vgl. Stolze: 32-35). Laut den
Postmodernisten ist die traditionelle Herangehensweise ans Übersetzen am meisten vom
„Logos“ inspiriert, d.h. von der Logik und Erfahrung beeinflusst (ebd.).
Die Vertreter der Postmoderne führen aber das von Derrida geprägte Konzept der
Dekonstruktion ein, die die logozentrische Vorstellung negiert. Bereits vor Derrida hat
Nietzsche darauf hingewiesen, dass die im Text stehenden einzelnen Wörter im Hinblick auf
Bedeutung „ambivalent“ sind, indem er das Geschriebene (l‘écriture, le texte), das von Anfang
an nicht eindeutig ist, mit der Rede (la parole) vergleicht, wo der Sinn gleich präsent ist. Der
Text kann also laut Nietzsche nach jedem Lesen neu verstanden und verschiedenartig
interpretiert werden, was durch das Existieren der Zeichensysteme bedingt ist (ebd.). Im
Gegensatz zu Saussure, der ein Zeichen als eine lineare Beziehung zwischen dem Bezeichneten
(Signifikat) und dem Bezeichnenden (Signifikant) sah, schlägt Derrida in seinem Werk De la
grammatologie (1967: 11 - 41) vor, der Schrift Aufmerksamkeit zu schenken und die relative
Selbständigkeit des Schriftzeichens anzuerkennen, das später immer neu verstanden werden
und somit selbst die Bedeutung des Textes bereichern kann. Laut Derrida existieren keine
reinen Signifikaten und Signifikanten, zwischen deren Beziehungen nicht absolut und
eindimensional sind, was noch viel Platz für die Erweiterung der Bedeutung und eine Kluft
zwischen dem Produktionsmoment und dem Verstehen entstehen lässt. Das letztere Phänomen,
das die Dekonstruktion ermöglicht, erklärt Derrida durch das Phänomen der différance, das die
Bedeutung zum dynamischen Begriff macht (vgl. Pym 1998: 39).
17
Der Begriff der Dekonstruktion kann aber nicht als eine kritische Methode eingesetzt werden.
Im Gegenteil wird sie von Derrida selbst eher als eine analytische Einstellung gesehen. Derrida
schlägt also vor, die Gegenstände und Tatsachen von ihrem historischen Hintergrund und im
Zusammenhang mit anderen Gegenständen und Tatsachen zu betrachten (vgl. Bolaños Cuellar
2008: 327):
Cela dit, et malgré la nécessité de la critique, la déconstruction n’est pas une critique. Elle n’est ni jugement évaluatif ni procès de disqualification. Pas plus d’ailleurs qu’elle n’est, pour reprendre votre mot, une méthode. L’idée de méthode suppose un ensemble de procédures réglées, préalables à l’expérience de lecture, d’interprétation ou d’enseignement, ainsi qu’une certaine maîtrise. […] la déconstruction n’est pas une méthode. […] la déconstruction fait droit à des interprétations de lecture, d’écriture, de transformation du texte général, qui sont autant d’événements. […] La déconstruction n’est pas un système […]. C’est une aventure singulière dont le geste dépend à chaque fois de la situation, du contexte, politique notamment, du sujet, de son enracinement dans un lieu et une histoire, et qui lui permettent, en quelque sorte, de signer le geste déconstructif (Derrida, 2004).
Um diesen Zusammenhang zu bezeichnen, führt Derrida den erweiterten Begriff des Textes ein
und kommt zur Schlussfolgerung, dass dieser „Zusammenhang“ absolut ist und nichts außer
dem Text existiert, wobei er den Text mit dem oben genannten Zusammenhang, dem
„Netzwerk der Spuren“, gleichsetzt:
Pour répondre, j’ai dû élargir le concept de texte et essayer de justifier cette extension. "Il n’y a pas de hors texte" ne veut pas dire que tout est papier, saturé d’écriture, mais que toute expérience est structurée comme un réseau de traces renvoyant à autre chose qu’elles-mêmes (Derrida, 2004).
Laut Holmes repräsentiert Dekonstruktion ein ganz anderes Paradigma des Textverstehens als
in der traditionellen Auffassung, die danach strebt, tief im Inhalt die grundlegende Einheit zu
finden (vgl. Holmes 1988: 106). Arrojo stimmt zu, indem sie dem traditionellen
Verständnisschema “the constant questioning of the myth that meaning is intrinsically stable
and fully present in texts, and that it can be recoverable and can thus be transported intact
across linguistic and cultural boundaries“ (Arrojo, zit. nach Bolaños Cuellar 2008: 332) zugibt.
Tatsächlich wird allmählich klar, dass der Text nicht auf Harmonie beruht, sondern aus einer
Menge von Widersprüchen und Paradoxen besteht.
Beim Übersetzen gehen die Postmodernisten davon aus, dass der Text nur in dem Falle
übersetzt werden kann, wenn er „übersetzbar“ ist. Im Vorwort zu seinen Übersetzungen von
18
Baudelaire hat Benjamin die Übersetzbarkeit als eines der wichtigsten Merkmale jedes Werkes
charakterisiert. Laut Benjamin muss ein Text über eine spezifische Bedeutung verfügen, um
übersetzt zu werden. Nachdem eine Übersetzung entstanden ist, gilt sie als ein „Überleben“
(Benjamin 1977: 1-6) des Textes, das noch ihr Potenzial vom „ewigen Leben“ in anderen
Generationen einsetzen muss: Die Übersetzung wird als eine Art von „Fortleben“ (ebd.) des
Originals betrachtet. Hiermit möchte Benjamin wahrscheinlich die Unabhängigkeit der
Übersetzung vom Original begründen. Eine gute, i.e. verständliche und adäquate, Übersetzung
ist auch für Venuti nicht unbedingt eine kohärente Übertragung der Ideen des Autors, sondern
eher eine Übertragung des bedingt übersetzbaren und wertvollen Textes (vgl. Bolaños Cuellar
2008: 333-335).
Die wörtliche und entfremdende Übersetzung wird also befürwortet, weil laut Benjamin die
Aufgabe des Übersetzers darin besteht, den Eindruck, den das Original auf den Leser macht, in
die Übersetzung zu übertragen:
Die wahre Übersetzung ist durchscheinend, sie verdeckt nicht das Original, steht ihm nicht im Licht, sondern läßt die reine Sprache, wie verstärkt durch ihr eigenes Medium, nur um so voller aufs Original fallen. Das vermag vor allem Wörtlichkeit in der Übertragung der Syntax und gerade sie erweist das Wort, nicht den Satz als das Urelement des Übersetzers. Denn der Satz ist die Mauer vor der Sprache des Originals, Wörtlichkeit die Arkade (Benjamin 1977: 1-6) [alte Rechtschreibung im Original].
Sowohl Benjamin als auch Derrida sind der Meinung, dass Sprachen grundsätzlich „inadäquat“
sind: „for Derrida, tells‚ ‘of the inadequation of one tongue to another’ and ‘of the need for
figuration, for myth, for tropes, for twists and turns, for translation inadequate to compensate
for that which multiplicity denies us’” (Niranjana 1992: 143). Obwohl diese grundsätzliche
Inadäquatheit es uns nicht ermöglicht, auf den Grund der Sache zu gehen, ist die Übersetzung
laut Benjamin schon ein Schritt dazu. Derrida führt aber die für jede Sprache spezifische
idiomatische und grammatische Vielfalt an, wodurch die absolut sinngetreue Transformation
unmöglich ist (vgl. Bolaños Cuellar 2008: 329).
Das Übersetzen von Texten ist schon lange her eine gebräuchliche Praktik, trotzdem ist die
Rolle des Übersetzers nicht ganz klar, obwohl sie im Prinzip geschätzt wird. Laut Venuti und
19
Berman hat die Übersetzung eine „occultée, refoulée, réprouvée et ancillaire“ Bedingung
(Berman 1984: 14) und kann deshalb nicht als eine autonome Tätigkeit betrachtet werden.
Venuti spricht über die Flüssigkeit, die die Arbeit des Übersetzers unauffällig macht und
deshalb als Erfolgskriterium betrachtet wird. Um diese Flüssigkeit zu erreichen, muss die
Übersetzung weder marginalisiert noch ethnozentrisch sein (vgl. Venuti 1995: 20).
Als Ausgangspunkt für die Definition der Aufgaben, die der Übersetzer laut der postmodernen
Tradition hat, sollte die Rolle des Letzteren im Übersetzungsprozess definiert werden. Der
Übersetzer ist ein Medium, d.h. er greift in die gewöhnliche Kette „Autor-Text, Text-Leser,
Autor-Leser“ ein und wirkt als unabhängiger Teilnehmer. Er schafft im Interesse des Lesers
ausgehend von seinem Wissen vom Autor und von der Textvorlage die Übersetzung, die aus
einem signifiant („Signifikant“) und einem signifié („Signifikat“) besteht. Da die PM und die
Moderne die literarische Tradition in ebenso charakteristischer Weise wie die beiden Parteien
der „Querelle des Anciens et des Modernes“ im 17. Jahrhundert rezipieren, muss der
Übersetzer zuallererst die in einem Text gleichzeitig auftretenden Diskurse und Sprachen, die
für die Postmoderne charakteristisch sind, verfolgen (vgl. Strosetzki: 151-170).
Zweitens vereinigen der Synkretismus des Durcheinanders und die Gleichzeitigkeit den
Erfahrungshorizont mit dem gegenwärtigen Zustand, um die des Weiteren adaptieren und
später übermitteln zu können. Der Übersetzer muss sich auch zwischen freier und wörtlicher
Übersetzung entscheiden. Die Tradition ist täglich präsent. Die Anciens betrachteten ihren
Erfahrungshorizont als positiv. Die Modernes trennten ihren Erfahrungshorizont von der
Gegenwart. Die Postmodernen gehen von der Tradition in der Gegenwart aus. Die PM ist
gleichzeitig die Prämisse und das „Vorurteil“. (vgl. Strosetzki: 151-170).
Und wie wird schließlich die Übersetzung von den Vertretern der PM im Rahmen dieser
Strömung betrachtet? Arrojo deutet die Übersetzung als eine erweiterte Transformation des
Textes, seine Evaluation: „... translation is seen as a constant transformation of one language
through another one, of one text through another one“ (Arrojo 1999: 101). Venuti entwickelt
diese Idee, indem er hinzufügt, dass die Übersetzung und das Original voneinander abhängig
und jeweils uneinheitlich sind (vgl. Venuti 1992: 7).
20
3.2 Analyse einer postmodernen Übersetzung
3.2.1 Methode
Als Methode der Übersetzungsanalyse wurde die hermeneutische Pragmatik ausgewählt. Um
zu verstehen, wie Übersetzen von der Postmoderne betrachtet wird, muss man zuallererst den
Begriff der hermeneutischen Übersetzungspragmatik erläutern. Die Theorie des Verstehens
wurde in der Philosophie unter dem Begriff der Hermeneutik entfaltet. Man muss verstehen,
was der Text ist und wie er sich mit dem Dasein verbindet, d.h. wie sich die Gegenwart und die
Tradition durch den Text offenbaren, den wir produzieren. (vgl. Strosetzki 1994 : 152, 169).
Die Pragmatik, die wie die Syntaktik und die Semantik ein Teilbereich der Semiotik ist, kommt
erst dann vor, wenn wir eine bestimmte, auf Zeit und Raum bezogene Sprachhandlung
betrachten, an der sich eine Person beteiligt. Da wird man mit einer Mischung von Mentalitäten
und Vorurteilen konfrontiert, die die Rezeption des Daseins veranschaulichen. Das erfolgt
sowohl auf diachronische (der Paradigmenwechsel und seine Konsequenzen bei der „Querelle
des Anciens et des Modernes“ als Prototyp, der in der Abgrenzung der PM des 20. Jahrhunderts
gegenüber der Moderne seine Fortsetzung findet) als auch auf synchronische Weise (der
heutige Kontext der Postmoderne) (vgl. Strosetzki: 151-170).
Da der postmoderne Ansatz keine traditionell in der Logik anwendbaren Begriffe wie
„Strategie“ oder „Taktik“ gestattet, die auf binären Oppositionen basierende Urteile
voraussetzen, wird in diesem Abschnitt nur von „Tendenzen“ gesprochen. Das wichtigste Ziel
dieses Abschnitts ist daher, die Haupttendenzen der Übersetzung zu bestimmen, die es möglich
machen, die Struktur des Textes bei der Übersetzung offen zur Interpretation beizubehalten.
21
3.2.2 Analyse
In diesem Abschnitt werden die sprachlichen, insbesondere die übersetzerisch relevanten
Merkmale der Übertragung eines postmodernen Stückes analysiert. Als relevant für die
Analyse wurde der Bereich der Lexik ausgewählt, weil es weder im Original noch im Text eine
Transformation der grammatischen Struktur gefunden wurde und die phonetisch-akustische
Seite der Sprache in der Schrift nicht abgebildet wird, außer einem Beispiel mit
Lautassoziationen, die Kosenamen hervorrufen (siehe unten).
Wie schon oben erwähnt wurde, ist das Stück Le dieu du carnage (Der Gott des Gemetzels)
von Yasmina Reza kein rein postmodernes Werk, aber es enthält mehrere Komponenten, die
als Erscheinungsformen der postmodernen Weltanschauung bezeichnet werden können: die
Abwesenheit des Autors, der so genannte Tod des Autors, die Fragmentierung des
Bühnengeschehens, die Atmosphäre des Chaos, Zeichenhaftigkeit usw. Die Mehrheit von ihnen
hat keinen direkten Einfluss auf den Übersetzungsprozess. Trotzdem beeinflussen sie ihn
indirekt, indem sie die Sicht der beiden Übersetzer (Frank Heibert, Hinrich Schmidt-Henkel)
prägen und ihre bewussten oder unbewussten Entscheidungen beeinflussen.
Es gibt nichtsdestoweniger mehrere sprachliche Merkmale, die auf die Postmodernität des
Werkes hinweisen. Es lohnt sich, mit dem Titel anzufangen, der sich selbst als aussagekräftiges
Beispiel deuten lässt. Die Wortgruppe Le dieu du carnage wurde wörtlich als „Gott des
Gemetzels“ ins Deutsche übersetzt. Die wörtliche Übersetzung gilt zwar heute meistens als
postmoderne Erscheinungsform, ist aber kein relevantes Phänomen, da der Querverweis auf die
griechische Mythologie beibehalten wird. In der Anmerkung liest man: „Le carnage: Gemetzel,
Blutbad. (Der altägyptische Gott Mahes, mit Löwenkopf oder als Löwe dargestellt, gilt als der
„Herr des Gemetzels“, der Gefallen an Blutvergießen findet)“ (Reza 2008: 3). Obwohl die
relativ lineare und deshalb eindeutige Beziehung zwischen dem Signifikat (dem Konzept der
Gewalt, das das ganze Werk dominiert), das aus der ägyptischen Mythologie stammt, und dem
Signifikant (dem Titel) durch die schriftliche Spur in Form des Titels beibehalten wird, besteht
hier die postmoderne Intertextualität, die durch die genannte übersetzerische Entscheidung
22
erhalten wurde. Auf diese Weise wird auch der Eindruck beibehalteßn, dass die Grenze
zwischen der synchronischen und der diachronischen Rezeption des Daseins verwischt wird.
Das Konzept der Gewalt gegen Menschen und Dinge, das sich durch das ganze Werk wie ein
roter Faden zieht, zeigt sich in verschiedenen Formen, und zwar in Form von Ekel,
übertriebener Höflichkeit und offensichtlicher Aggression. Die wichtigste Aufgabe, die also vor
den Übersetzern steht, ist, die postmoderne Mehrdeutigkeit des nichtlinearen Zeichensystems in
eine andere Sprache zu übertragen. Das bedeutet, dass das Werk zwar ans neue System
adaptiert wurde, aber seine Intertextualität und der mehrdeutige Charakter behalten wurden.
Als Beispiel können die Übersetzungen der Adjektive, die Ekel bezeichnen, betrachtet werden:
„épouvantable“ - grässlich, „déguelasse“ - ekelhaft. Hier wählen die Übersetzer die konnotativ
neutralsten Varianten der Übersetzung, die für das deutsche Publikum natürlich erscheinen,
aber andere Assoziationen hervorrufen können als die Wörter im Original bei französischen
Muttersprachlern.
Die allgemeine Stilrichtung wurde von der Autorin nicht genau definiert. Die Bandbreite bzw.
die Mischung der Stilniveaus im Text dient dazu, die als unvereinbar erscheinenden
menschlichen Widersprüche zu schildern. Ausdrücke wie „je me suis focalisée sur qch“ („ich
war völlig auf etw. fixiert“) oder „le raout“ („Kaffekränzchen“) werden benutzt, wobei die
Bedeutung des Wortes „raout“ bei der Übersetzung geändert wurde. Das Wort
„Kaffekränzchen“ bedeutet im Deutschen „gemütliches Zusammentreffen einer Gruppe von
Frauen, die sich bei Kaffee und Kuchen unterhalten, Handarbeiten machen o. Ä“ (Duden
2000), während im Französischen das Wort „le raout“ die Bedeutung von “grande reception
mondaine“ (larousse.fr) hat. Die beiden Begriffe sind schon alt und bezeichnen keine
gleichwertigen Phänomene. Trotzdem wurde diese Übersetzung ausgewählt, um die
gebräuchlichen Kulturassoziationen zu erzeugen.
Ein anderes Beispiel der gehobenen Stilebene ist die Benutzung von Euphemismen. Die
handelnden Personen können zwischen Wörtern wählen, die zwar ähnliche, aber hinsichtlich
der Wirkung unterschiedliche Bedeutung haben, wie z. B. „armé de“ - „bewaffnet mit“ und
23
„muni de“ - „ausgestattet mit“. Die Übersetzer finden wörtliche und inhaltlich
übereinstimmende Varianten, die die gleichen Assoziationen hervorrufen.
Obwohl es im Text um die hochmittlere soziale Schicht geht, ist umgangssprachliche und
salopp abwertende Lexik zu finden, was die Nichtübereinstimmung zwischen den
Idealvorstellungen und der menschlichen Natur, die durch diese différance (siehe oben
Dekonstruktion und différance) „dekonstruiert“ wird, betont: merde - „verdammt noch mal“,
merdeux - „Arschloch“. Wie in den vorher aufgezählten Beispielen, versuchen die Übersetzer
die konnotative Stärke ins Deutsche zu übertragen.
Als sehr wichtiges Beispiel gilt das Konzept der für dieses Werk symbolischen Aktion „sich
übergeben“, das eine der wichtigsten Rollen im Stück spielt und die Erscheinungsform der
Gewalt, die endlich zur Oberfläche kommt, repräsentieren kann. Die folgenden Ausdrücke, die
nach ihrer Ausdruckskraft geordnet sind, werden als synonymisch oder verwandt behandelt und
erweitern das Symbol durch ihre Bedeutung, was auf die Vielschichtigkeit des gegebenen
Symbols hindeutet:
(1) qn ne se sent pas bien - „jm ist nicht gut“; (2) qn a mal au cœur - „jm ist übel“; (3) ca tourne - „jm ist schwindlig“; (4) qn va vomir - „jd muss sich übergeben“; (5) avoir un nouveau haut-le-cœur - „würgen“; (6) gerber - „kübeln“; (7) dégobiller - „kotzen“; (8) dégueuler - „kotzen“.
Während die ersten vier Ausdrücke und ihre Übersetzungen zur Standardsprache gehören,
variieren die anderen zwischen salopp und vulgär. Die Beispiel (1), (2), (3) können als
Euphemismen betrachtet werden, da sie nicht direkt auf den bezeichneten Prozess hinweisen.
Ins Deutsche wurden sie genauso euphemistisch übertragen („jm ist nicht gut“, „jm ist übel“,
„jm ist schwindlig“). Die nächsten zwei - (4) und (5) - drücken den Prozess direkt aus, aber
sind von der Stilschicht standartsprachlich. Der erste Ausdruck qn va vomir wurde ins Deutsche
auch neutral übertragen („jd muss sich übergeben“), während der andere in der deutschen
24
Übersetzung als salopp gilt. Dies ist eines der wenigen Beispiele in der Übersetzung dieses
Stückes, wo die Übersetzer die Adäquatheit der Übersetzung vernachlässigt. Als möglicher
Grund dafür kann der Wunsch der Übersetzer, den inneren Zustand der handelnden Person
durch ihre Rede darzustellen und somit den Text nach seinem Verständnis zu interpretieren.
Einige Wörter sind an sich nicht wichtig: Sie spielen erst dann eine Rolle, wenn sie zu
Symbolen werden und optische, akustische und andere Wahrnehmungen hervorrufen. Ein
ähnliches Phänomen wird im Falle der von den handelnden Personen benutzten Kosenamen.
Sie gehören zu dem Individualstil der Charaktere und haben keine genauen Äquivalente im
Deutschen. Unten werden die Beispiele der benutzten Anredeformen aufgelistet:
(1) Toutou - Wauwau; (2) Dajeling - Darjeling; (3) Véro - Véro.
Im ersten Beispiel wurde die als Kosename benutzte Kombination von Lauten „toutou“, die aus
einem Lied stammt, ins Deutsche als „Wauwau“ übertragen. Wahrscheinlich wurde diese
Entscheidungen darum getroffen, weil die Kombination „toutou“ in einem Deutschen Text
„französisch“ und deswegen zu einem bestimmten Grad „exotisch“ für das deutsche Ohr
klingen würde. Im zweiten Fall wurde der Kosename „Darjeling“ übernommen, weil sie
genauso unbestimmt wie exotisch klingt und an sich nicht ausdrucksvoll ist. Im dritten Beispiel
geht es um die Namenabkürzung, die beibehalten wurde, weil sie als Symbol der Auflösung der
Distanz zwischen Menschen dient. Als eine der handelnden Personen versucht die andere mit
dieser Anredeform anzusprechen, reagiert die Angesprochene mit Ablehnung. Der Kosename
ist wichtig für die Übersetzung, weil die Kommunikationssituation untersucht werden muss.
Als ein anderes Symbol, das für das Stück wichtig ist, kann das Buch von Kokoschka gesehen
werden. Der Eigenname wurde in der Übersetzung beibehalten und sowohl im Original als
auch in der Übersetzung wird das Wort metonymisch benutzt: Der Name des Künstlers
erscheint in diesem Fall anstatt des Buches mit seinen Zeichnungen. Das bedeutet, dass
Symbole in der deutschen und französischen Gesellschaft relativ ähnlich gesehen werden.
25
Insgesamt wird es evident, dass, obwohl die Übersetzer an einigen Stellen zur Adaptierung und
Einbürgerung greifen, besteht die Haupttendenz zur wörtlichen und verfremdenden
Übersetzung. Die Übersetzung wird nicht wesentlich von dem Verstand der Übersetzer
beeinflusst, die sich bemühen, die Zeichenstruktur des Originaltextes in die Übersetzung zu
übertragen. Obwohl der französische und der deutsche Mythos voneinander nicht stark getrennt
sind, gibt es große Unterschiede. Trotzdem, wenn man die Übersetzung des Buches liest, denkt
man schon an die deutsche Mittelschicht. Das zeigt, dass die Aufgabe des Übersetzers erfüllt
wurde: Im Rahmen der Übersetzung bekommt der Text ein neues Leben. Durch die wörtliche
Übersetzung, die in diesem Fall vorherrscht, wurde sowohl die Syntaktik als auch die Semantik
beibehalten.
Schließlich werden am Beispiel dieser Arbeit die Widersprüche zwischen den postmodernen
Strömungen und dem tatsächlichen Übersetzen von postmodernen Stücken offensichtlich. Die
Postmodernität der Übersetzungsmethoden liegt erst dann vor, wenn nach der Übersetzung ein
ganz anderer Text entsteht, dessen Inhalt sich vom Original unterscheidet. Was den
tatsächlichen Übersetzungsprozess angeht, müssen die postmodernen Werke mikroskopisch
präzis und wörtlich übersetzt werden, damit die Verletzung der Zeichenstruktur vermieden
wird. Im Großen und Ganzen sind diese zwei Ansätze die Widerspiegelung des Antagonismus
der zwei Übersetzungsansätze, die seit dem Anfang des Übersetzens bestehen.
26
Schlussbemerkung
Der Begriff “Postmoderne”, der die heutige Situation in der Wissenschaft, Wirtschaft, Politik
und Kunst bezeichnet und gleichzeitig beeinflusst, kann nicht eindeutig definiert werden. Es
gibt mehrere Schulen und Strömungen der PM, die in ihrer Weltanschauung nicht homogen
sind. Es gibt mehrere Gründe dafür. Einer der wichtigsten ist, dass die PM parallel mit der Zeit
mit vielen anderen Faktoren verbunden ist, obwohl sie auf die Zeit semantisch am stärksten
Bezug nimmt, indem sie die aktuelle Modernität als Vergangenheit betrachtet. Am effektivsten
wäre es deswegen, die PM durch ihre Erscheinungsformen zu bestimmen, die ihre Ontologie,
Phänomenologie und Nomologie offenbaren.
Die Theorie der PM wurde in den Werken von Lyotard, Foucault, Barthes, Derrida und
Deleuze geprägt. Als bedeutende deutsche Vertreter gelten Welsch und Zima. Zu den
wichtigsten Äußerungsmerkmalen gehören Pluralismus, die Omnipräsenz des Unfassbaren, die
Ablehnung der Apriorität des vorherrschenden modernen Mythos (Metaerzählungen wie z.B.
die autonom existierende Einheit, Gott, Ideologie, der Primat der Aufklärung usw.), der Tod
des Autors, Dekonstruktion, “différance”, Zeichenhaftigkeit, Symbol und Spur, Intertextualität
und andere.
Die PM wird sich sowohl im Theater als auch in der Übersetzungswissenschaft, die jeweils
Bestandteile von Kunst bzw. Wissenschaft sind, spürbar. Das PT verfügt über bestimmte
Eigenschaften, die es vom konventionellen Theater unterscheiden und die sich mit den oben
genannten Äußerungsmerkmalen der Postmoderne überschneiden: die Abwesenheit der Sujet-
Linie, Stil- und Formlosigkeit, die durch die erweiterte Zeichenstruktur durch die vorher
produzierten Texte erfüllen lässt, unbegrenzte Interpretationsvarianten, Fragmentierung des
Bühnengeschehens in separate Montageeinheiten, die mehr Kunstformen enthalten als das
konventionelle Drama, und die relative Selbständigkeit des Bühnengeschehens und des
Rezipienten. Die genannten Besonderheiten muss der Übersetzer bzw. Dolmetscher, der als
27
Medium zwischen dem Autor, dem Text im weiteren Sinne und dem Rezipienten fungiert, in
Betracht ziehen, um die Postmodernität des Stückes beizubehalten.
Es existieren wenige rein postdramatische Stücke. Gewöhnlich befasst man sich mit Stücken,
die bestimmte Elemente der Postmoderne enthalten, die aber auch mit dem konventionellen
Theater verbunden sind. Das in dieser Arbeit analysierte Stück Le dieu du carnage (Der Gott
des Gemetzels) ist ein Beispiel davon. Seine Postmodernität wurde besonders in der Sprache,
und zwar in der Lexik, deutlich.
Die Analyse des Originals und der Übersetzung des Stückes hat gezeigt, dass sich die
theoretischen Ansätze der PM von der Praxis des Übersetzens der postmodernen Stücke stark,
wenn nicht grundlegend, unterscheiden. Die postmodernen Tendenzen in der
Übersetzungswissenschaft gehen darin, dass der durch den Übersetzer interpretierte Text ein
neues Leben in einer anderen Sprache bekommt, was den Übersetzer ermächtigt, den Sinn des
Textes tatsächlich nach seinem Verstand zu vermitteln. Das kann zu einem einseitigen
Verstand des Textes führen und somit zur Zerstörung seiner Postmodernität.
In der Praxis des Übersetzens im PT sind aber die wörtliche und die verfremdende
Übersetzungsstrategie zu verzeichnen. Die Analyse hat gezeigt, dass der Übersetzer dazu
tendiert, die äußere und innere Struktur des Textes beizubehalten. Der Akzent wird im
Vergleich zu einem postmodernen Werk nicht auf die Absicht des Autors, die meistens fehlt,
sondern auf das Unfassbare gelegt, das durch das intertextuelle Zeichensystem zu verfolgen ist.
Sowohl lexikalische als auch semantische Verbindungen werden durch die Suche nach den
linearen Äquivalenten beibehalten. Einbürgernde bzw. adaptierende Strategien werden in
diesem Fall als nicht relevant betrachtet, auch wenn sie die Struktur des Textes nicht wesentlich
verändern.
Nach der Zusammenfassung der postmodernen wissenschaftlichen Diskussion und der Analyse
der Übersetzung mit den Elementen der PM wurde es uns klar, dass die postmoderne Theorie
28
nicht nur inkohärent, sondern auch innerlich widersprüchlich ist. Die genannten sich in der
Theorie und Praktik unterscheidende zwar einander ausschließen können, sollen aber als
komplementär betrachtet werden. Hier findet das postmoderne Phänomen der “différance”
Gebrauch: Einerseits muss die Struktur des Textes, wo das Unfassbare zu finden ist, durch
wörtliche und verfremdende Übersetzungsstrategien so präzis wie möglich in die Übersetzung
übertragen werden; andererseits muss das Unfassbare, das für die Zielkultur irrelevant ist, vom
Zielpublikum mit seinem kulturellen Paradigma verstanden werden. Diese zwei separaten
Aufgaben können als postmoderne Übersetzungsstrategien betrachtet werden und sind das
Resultat einer jahrhundertlangen Diskussion über die Strategie der Übersetzung.
29
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s%20Autors [Stand 28. Februar 2012].
34
Erklärung
Hiermit erkläre ich,
1. dass ich die vorliegende Seminararbeit mit dem Titel „Kollokationen in zweisprachigen
Wörterbüchern“ für die Veranstaltung Sprach und Übersetzungswissenschaft I (BA-
Übersetzungswissenschaft, Modul 4) selbst und ohne fremde Hilfe angefertigt habe.
2. dass andere als die angegebene Literatur nicht benutzt worden ist.
3. dass ich alle Übernahmen aus der angegebenen Literatur durch Anführungsstriche
und Stellennachweise kenntlich gemacht habe.
Heidelberg, den ...
––––––––––––––––––––––––––––
Unterschrift
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