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Prof. Dr. Cornelia Helfferich
Fachtagung „Traumatisierte wohnungslose Frauen. Informationen, Handlungsmöglichkeiten, Hilfestellungen“ Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg 30. März 2009, Stuttgart
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
(1) Ausgangspunkt: Viele, aber nicht alle wohnungslosen Frauen sind traumatisiert.
(2) Im Alltag der Wohnungslosenhilfe sind wir mit speziellen Folgen von Traumatisierung im sozialen Bereich konfrontiert. Diese Folgen stehen einer Arbeit an dem Trauma entgegen.
(3) Die Arbeit mit allen wohnungslosen Frauen - traumatisiert oder nicht - kann von der Arbeit mit Traumatisierten lernen.
(4) Leitlinien, die sinnvoll sind
Gliederung
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
(1) Ausgangspunkt: Viele, aber nicht alle wohnungslosen Frauen sind traumatisiert
„… ein vitales Diskrepanzerleben zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses bewirkt.“ (Fischer7Riedesse 1998, 79)
- Es werden keine inhaltlichen Kriterien aufgeführt und das Diskrepanzerleben kann sehr unterschiedlich ausgelöst werden
Definition
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
Symptome sollen/ müssen in einem sinnhaften Zusammenhang mit der Traumatisierung gebracht und in den Prozessverlauf der Bewältigung eingeordnet werden. Sie sind (Folgen von) Anpassungs-, Verarbeitungs- und Überlebensstrategien. Ihr Wert für das Weiterleben kann so groß sein, dass Opfer die Symptome „behalten“ wollen.
Trauma und Traumabewältigung
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
Wir können insgesamt davon ausgehen, dass wir einen hohen Anteil an traumatisierten Frauen unter den Wohnungslosen haben, ohne dass wir Genaueres darüber wissen können.
Verbreitung
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
(2) Im Alltag der Wohnungslosenhilfe sind wir direkt mit speziellen Folgen von Traumatisierung im sozialen Bereich konfrontiert. Diesen Folgen stehen einer Arbeit an dem Trauma entgegen.
„Traumatische Ereignisse erschüttern zwischenmenschliche Beziehungen (...) zersetzen die Bindungen an Familie, Freunde, Partner und Nachbarn, sie zerstören das Selbstbild, das im Verhältnis zu anderen entsteht und aufrechterhalten wird. Sie untergraben das Wertesystem, das der menschlichen Erfahrung Sinn verleiht. Sie unterminieren das Vertrauen des Opfers in eine natürliche oder göttliche Ordnung.“ (Herman 1993, 77)
Traumatisierung und soziale Beziehungen
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
„Traumatische Ereignisse zerstören (…) die Verbindung zwischen Individuum und Gemeinschaft und lösen eine Vertrauenskrise aus. Zu den typischen Reaktionen nach Katastrophen und Krieg gehört (…) ein allgegenwärtiges Misstrauen gegenüber der Gemeinschaft und ein Gefühl, in einer ‚unechten‘ Welt zu leben.“ (Hermann 2006: 82)
„Sturz aus der Normalität“
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
- Beziehungen werden potenziell bedrohlich, Bindungen zerstört,
- Gefühl von Fremdheit und Nichtzugehörigkeit; Unerträglichkeit der Normalität im Leben anderer Menschen
- Sehnsucht nach verlässlichen Beziehungen und gleichzeitig Misstrauen und Abwehr
- Nicht Mit-Teilbarkeit der Erfahrung- Rückzug, Isolation. Reduzierung von
Kontakten
Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
(3) Die Arbeit mit allen wohnungslosen Frauen, traumatisiert oder nicht, kann und sollte generell Prinzipien aus der Arbeit mit Traumatisierten übernehmen
1. Die Arbeit bzw. Teile der Arbeit mit wohnungslosen Frauen als „Arbeit mit Traumatisierten“ zu verstehen, bringt einen wichtigen Perspektivenwechsel und hilft die Grenzen der Arbeit besser zu erfassen.
Was kann die Wohnungslosenhilfe von der Trauma-Arbeit lernen?
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
Pespektivenwechsel
WEG VON
Symptome als „problematische“, abweichende Zustände
HIN ZU
Symptome als „normale Reaktion auf extremes, nicht normales Erleben
Fokussierung auf das zurückliegende Trauma
Fokussierung auf den Prozess des Weiterlebens danach und Kreativität der Strategien
„krank“ „gut“ und „nützlich“
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
Das hilft, das Verhalten der Frauen besser in Phasen einzuordnen und als eine verstehbare, sinnhafte Folge einer traumatischen Situation zu akzeptieren „Braucht“ sie/er das Verhalten? Was passiert, wenn ich Bewältigungsmöglichkeiten „wegnehme“? Welche Bewältigung wäre langfristig produktiver? Welche Voraussetzungen brauchen Veränderungen?
Was kann die Wohnungslosenhilfe von der Trauma-Arbeit lernen?
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
Arbeit mit Wohnungslosen als Arbeit mit Traumatisierten zu sehen, hilft, die Arbeit als Steuerung von Prozessen zu gestalten (mit langem Atem)
Das Wissen um „latente“, verletzbare oder günstige Phasen gibt, dass es um eine langsame Verschiebung von Bewältigung geht, dass es immer Krisen und Einbrüche geben wird.
Was kann die Wohnungslosenhilfe von der Trauma-Arbeit lernen?
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
2. Die Ziele der Arbeit mit (traumatisierten?) wohnungslosen Frauen sind genauer zu fassen als Herstellung einer Lebens- und Handlungsfähigkeit im Sinne des Verfügens über Bewältigungsstrategien, die produktiv eine Weiterentwicklung ermöglichen und sie nicht verengen oder sogar abschneiden, Wiederherstellen einer Verbindung zur „Normalität“ und Integration in soziale Beziehungen.
Was kann die Wohnungslosenhilfe von der Trauma-Arbeit lernen?
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
3. Arbeit mit Wohnungslosen als Arbeit mit Traumatisierten zu sehen, hilft, die Normalität der Gesellschaft zur Disposition zu stellen und nicht die Verrücktheit der Traumatisierten
Kann die „Verrücktheit“ von traumatisierten akzeptiert werden? Kann sich Gesellschaft, können sich Bezugspersonen mit dem Erleben der Traumatisierten auseinandersetzen, ohne es ihrerseits abzutun, zu bagatellisieren etc.
Was kann die Wohnungslosenhilfe von der Trauma-Arbeit lernen?
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
4. Arbeit mit Wohnungslosen als Arbeit mit Traumatisierten zu sehen, hilft, die eigenen Bewältigung als Zeugin reflektieren können – im Wissen, dass ein Trauma „ansteckend“ ist
Berater/Innen sind Zeuginnen und Gefühle des Opfers wie Hilflosigkeit, Angst, schwieriger Umgang mit Aggressionen werden auf sie übertragen. Sie müssen diese Gefühle als Bewältigungsversuche reflektieren.
Was kann die Wohnungslosenhilfe von der Trauma-Arbeit lernen?
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
(4) Leitlinien aus der Arbeit mit der Traumatisierten
(1) Sicherheit – grundsätzliches Primat!
(2) Dynamik: Krisen möglicherweise Zeichen von positiver Veränderung
(3) Akzeptanz: Letztlich gilt nur, womit eine/r Traumatisierte/r leben kann
(4) Validierung: Verzicht auf Klärung ist nicht identisch mit „nicht wissen wollen“: Traumatisierte brauchen Validierung, also eine Beraterin, die Erzählungen aushalten kann.
Leitlinien
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
(5) Flexibilität – Spektrum methodischer Kompetenzen, charakteristische Übergänge von Begleitung, niedrigschwelliger Arbeit, Beratung, Unterstützung in praktischen Fragen, therapeutische Beratungsanteile – Rollenwechsel nicht immer leicht!
(6) Sich selbst Unterstützung suchen
(7) Kooperationen im lokalen Netzwerk
Leitlinien
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
Lebens- und Handlungsfähigkeit als Verfügen über Bewältigungsstrategien, die eine Weiterentwicklung ermöglichen bzw. sie nicht abschneiden oder verengen,
• Wiederherstellen einer Verbindung zur „Normalität“ und Integration in soziale Beziehungen (Herman: Traumatisierungen, die in Beziehungen entstanden sind, sind nur in Beziehungen „heilbar“)
Ziel der Wohnungslosenhilfe unter der Perspektive Traumatisierung
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
- Unsicherheit, ob Trauma – müssen wir das wissen?- Kontakt frei gewählt: jederzeit abzubrechen- Kein Arbeitsbündnis, keine gemeinsame Zieldefinition
bezogen auf Veränderung (die ist nicht nur positiv, sie kostet auch!) – können wir sie halten? Können wir sie motivieren?
- Abhängigkeit vom Gewalttäter auf Dauer – können wir genug Sicherheit (im Alltag, Sicherung Grundbedürfnisse; Verlässlichkeit praktischer Unterstützung) für eine Lösung geben? Können wir Zeit gewinnen für Vertrauensaufbau?
- Können wir aushalten, wenn wir nichts erreichen?
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Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Alltag in der Wohnungslosenhilfe: Traumatisierung verstehen
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