räumliche auswirkungen des demographischen wandels auf ... · beschreibung, diagnose u. prognose...
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Universität Trier Fachbereich IV: Volkswirtschaftslehre
insbesondere Stadt- und Regionalökonomie
Seminar: Räumliche Wirkungen des demographischen Wandels Sommersemester 2004
Leitung: Prof. Dr. H. Spehl, Dipl.-Geogr. M. Gensheimer Hausarbeit zum Thema
Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf Kommunen in Ostdeutschland
Abgabe der Arbeit
30. Juli 2004
Helge Zahrnt 6. Fachsemester VWL (TRS) 10. Fachsemester Angewandte Geographie (Raumentwicklung) Matrikelnummer: 604537 Nellstr. 45 54295 Trier 0651-145 5952 helge.zahrnt@uni-trier.de
II
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................III
Tabellenverzeichnis .......................................................................................................III
Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................III
1. Einleitung .....................................................................................................................1
2. Der demographische Wandel .....................................................................................2 2.1 Die Komponenten des demographischen Wandels.................................................2 2.2 Bevölkerungsprognosen und -vorausberechnungen ...............................................3
3. Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf Kommunen in Ostdeutschland ..................................................................................4
3.1 Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels.....................................4 3.2 Kommunen in Ostdeutschland unter Einfluss des demographischen Wandels ......5 3.3 Kommunale (technische) Infrastruktur.....................................................................9 3.4 Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung .................................................................10
4. Handlungsempfehlungen und Anpassungsstrategien ..........................................12 4.1 Lösungsansätze für kommunale (technische) Infrastruktur ...................................12 4.2 Lösungsansätze für Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung .................................14
5. Fazit – eine neue Planungskultur ist notwendig ....................................................15
Anhang I: Der demographische Wandel in Deutschland genauer betrachtet .........17
Anhang II: Alterspyramiden der Jahre 2001 und 2050...............................................20
Anhang III: Exkurs: Wo findet der demographische Wandel statt? Messung über Indikatoren und kartographische Darstellung...............21
Anhang IV: Schrumpfende und wachsende Städte in Deutschland.........................23
Anhang V: Wirkungszusammenhang – demographischer und wirtschaftlicher Wandel in den Kommunen ........................................................................24
Literatur ..........................................................................................................................25
III
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Gliederungsübersicht.....................................................................................2
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Kommunalfinanzen 2002 (Zuweisungen als Einnahmeposten).........................8 Tabelle 2: Entwicklung der Fertilität, Geburten- und Sterbefälle in Deutschland .............17 Tabelle 3: Entwicklung des Altenquotienten seit 1871 und Vorausberechnung bis 2050 18 Tabelle 4: Wanderungsverluste von Ost- an Westdeutschland seit 1950 ........................19
Abkürzungsverzeichnis BBR Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
c.p. ceteris paribus
ROG Raumordnungsgesetz
1
1. Einleitung Die Bevölkerung einer Region ist dynamisch und unterliegt fortwährend strukturellen
Veränderungen. Wenn diese außergewöhnlich stark sind, entwickelt sich eine energi-
sche Diskussion sowohl in der Fachwelt als auch in der Gesellschaft. Gegenstand der
gegenwärtigen Diskussion über die demographische Entwicklung ist die schrumpfende
Bevölkerung, über die viele Zeitungen und Magazine in Themen- und Sonderheften
berichten.1 Diese Berichterstattung ist wichtig, damit die Menschen von der aktuellen
und prognostizierten Entwicklung erfahren und somit die Relevanz für die Gesellschaft
begreifen.2 Dabei bedarf es einer dauerhaften Beschäftigung mit dem Thema und kei-
nem Medienrummel, der sich als ein Strohfeuer erweist.
Neben der quantitativen Abnahme der Bevölkerung durch eine zurückgehende Gebur-
tenrate ist die qualitative Veränderung der Bevölkerung ein wichtiger Aspekt. Die Zu-
nahme des Altenquotienten bedeutet eine Überalterung der Gesellschaft mit weit-
reichenden Konsequenzen. Bevölkerungsabnahme, Überalterung und Wanderungen
werden als demographischer Wandel bezeichnet, der einen Einfluss auf die Raum-
struktur ausübt. Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet, welche räumlichen Auswirkun-
gen der demographische Wandel hat. Dabei werden Kommunen in Ostdeutschland
untersucht, die zurzeit besonders die Folgen des demographischen Wandels spüren.
Bei der aktuellen Betrachtung Ostdeutschlands muss neben dem demographischen
auch der wirtschaftliche Wandel berücksichtigt werden, da sich beide gegenseitig be-
einflussen und der Osten sowohl demographisch als auch wirtschaftlich schrumpft.
Schrumpfung wird als Ausdünnungsprozess verstanden, der eine strukturelle Verände-
rung der Bevölkerung, der Wirtschaftsaktivität und der gebauten Umwelt bedeutet.3
Abbildung 1 stellt den Aufbau der Arbeit dar. Im zweiten Kapitel wird der demographi-
sche Wandel erläutert. Im dritten Kapitel wird zunächst der Zusammenhang von demo-
graphischem Wandel und Raumstruktur verdeutlicht: Die Bevölkerungsentwicklung hat
Einfluss auf die vielfältigen kommunalen Aufgabenfelder, so dass sich ein komplexes
Wirkungsgefüge ergibt. Dieses kann hier nur angedeutet werden und lediglich ausge-
wählte Bereiche können detaillierter behandelt werden. Die technische Infrastruktur
sowie Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung sind Felder, die besonders stark vom
demographischen Wandel beeinflusst werden. Diese Bereiche werden problemorien-
tiert dargestellt und in Kapitel 4 Handlungsansätze für ostdeutsche Kommunen präsen-
tiert. Kapitel 5 zeigt abschließend eine alternative Planungskultur, mit der Schrumpfung
begegnet werden kann.
1 vgl. bspw. GEO H. 5/2004; DIE ZEIT – Reihe Land ohne Leute; Der Spiegel Nr. 2/2004 2 vgl. KOCKS, M. (2003), S. I. 3 Zur Abgrenzung der Begriffe Schrumpfung, Kontraktion, Stagnation und Niedergang vgl. Keim, K.-D. (2001), S. 18f.
2
Kapitel 2 Demographischer Wandel Beschreibung, Diagnose u. Prognose
Kapitel 3.1 Raumstruktur Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels
Kapitel 3.3 Problembereiche - technische Infrastruktur - Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung
Kapitel 4 Handlungsansätze - Leitbilder der Stadtentwicklung- Förderprogramme
Kapitel 3.2 Ostdeutsche Kommunen Wirkungszusammenhänge kommunaler Belange
Kapitel 5 Fazit Neue Planungs- ansätze notwendig
Abbildung 1: Gliederungsübersicht
Quelle: Eigene Darstellung
Die These dieser Arbeit lautet, dass der demographische Wandel einen Funktions- und
Handlungsverlust für die ostdeutschen Kommunen bewirkt. Politische Maßnahmen,
welche die Abwärtsspirale durchbrechen und Handlungsfähigkeit zurück gewinnen
sollen, müssen vom gegenwärtig propagierten Wachstumsparadigma abkehren und
Bestandserhaltung fordern und fördern.
2. Der demographische Wandel Obwohl der demographische Wandel seit langem Forschungsgegenstand der Bevölke-
rungswissenschaft ist, wurde das Thema in der Öffentlichkeit bis vor kurzem vernach-
lässigt. Es war kein Gegenstand für die Politik, da man mit den angeblich negativen
Botschaften keine Wähler gewinnen konnte. Hohe Zuwanderungszahlen und starke
Geburtenjahrgänge zeigten außerdem eine entgegengesetzte Entwicklung.4 Nun wer-
den die Auswirkungen des demographischen Wandels bemerkbar, wie z.B. die ab-
nehmende Tragfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme oder der Infrastruktur zeigen.
Da der Schwerpunkt der Arbeit auf den Kapiteln drei und vier liegt, können hier nur
Grundlagen des demographischen Wandels erläutert sowie auf vertiefende Literatur
verwiesen werden.
2.1 Die Komponenten des demographischen Wandels Die Bevölkerungsentwicklung in Industrieländern während der letzten zwei Jahrhunder-
te wird am Modell des demographischen Übergangs erklärt.5 In der frühtransformativen
Phase ist die Sterberate aufgrund hygienischer und medizinischer Fortschritte gesun-
ken. Im Zuge der Gesellschaftsmodernisierung und Einführung sozialpolitischer Maß-
nahmen ging die Geburtenrate in der mitteltransformativen Phase zurück. In Deutsch-
land hat die Sterberate zunächst stärker abgenommen als die Geburtenrate, so dass
es bis in die 1970er Jahre ein natürliches Bevölkerungswachstum gab. Wenn aktuell
4 vgl. Kocks, M (2003); S. I. 5 vgl. Bähr, J. (1997), S. 248 ff. Zur Kritik an der Theorie siehe ders. S. 258f. Zum Begriff „Bevölkerung“ siehe außerdem Birg, H. (1995), S. 82ff. sowie Statistisches Bundesamt (Hg.) (2003), S. 41ff.
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vom demographischen Wandel gesprochen wird, stellt dies die posttransformative
Phase im genannten Modell dar.
Oben wurden bereits die drei Komponenten des demographischen Wandels vorge-
stellt. Die beiden Variablen im beschriebenen Modell sind die Geburten- und Sterbera-
te, aus denen sich Bevölkerungsabnahme und Alterung der Gesellschaft direkt ableiten
lassen. Wanderungen stellen einen weiteren demographischen Faktor dar, der insbe-
sondere für den Gegenstand dieser Arbeit von Relevanz ist. Die Bevölkerungsentwick-
lung in Ostdeutschland ist stark von Wanderungsverlusten geprägt.
Im Folgenden werden die aktuellen Entwicklungen der drei Komponenten beschrieben.
Für deren Ursachen sowie für weitergehende Informationen und die Literaturverweise
wird auf Anhang I verwiesen, in dem die Entwicklungen mit Zahlenmaterial belegt sind.
Die natürliche Bevölkerungsbewegung in Deutschland ist seit dem Jahr 1972 rück-
läufig. Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels werden immer weniger Kinder gebo-
ren, während die Lebenserwartung durch Wohlstandssteigerung und Fortschritte in der
Medizin weiter ansteigt. Dies hat einen Einfluss auf die Altersstruktur und führt zu
einer alternden Gesellschaft. Für die Zukunft wird eine starke Zunahme des Altenquo-
tienten prognostiziert. Die räumliche Bevölkerungsbewegung bedeutet starke Wan-
derungsverluste für Ostdeutschland. Da vorrangig junge Menschen abwandern, haben
ebenfalls die Fortzüge einen Einfluss auf die Altersstruktur. Die wichtigsten Entwick-
lungen des demographischen Wandels mit Relevanz für diese Arbeit sollen hier ver-
deutlicht werden:
• Da es in Deutschland seit 1972 kein natürliches Bevölkerungswachstum mehr gibt, wächst die Bevölkerung nur noch durch einen Außenwanderungsüberschuss.
• Die Altersstruktur wird vorrangig durch Geburten bestimmt. Da die Geburtenrate im Osten niedriger als im Westen ist, wird der Altenquotient im Osten stärker ansteigen.
• Die Hauptmotive für Ost-West-Wanderungen sind Arbeitsplätze und Einkommens-unterschiede.6
2.2 Bevölkerungsprognosen und -vorausberechnungen Daten über die Bevölkerung sind eine wichtige Basis für politische Entscheidungen.
Für verlässliche Zahlen über die Zukunft werden Bevölkerungsvorausschätzungen
durchgeführt.7 Aussagen über Bevölkerungsgröße und -struktur erfordern Annahmen
über die natürliche und räumliche Bevölkerungsbewegungen. Diese Annahmen unter-
liegen Unsicherheiten. Dennoch haben die Vorausschätzungen i.d.R. eine hohe Ge-
nauigkeit, da die zukünftige Entwicklung bereits heute in der lebenden Bevölkerung
verankert ist.
6 vgl. die Ausführungen in Anhang I. 7 vgl. Bähr (1997), S. 267ff. für verschiedene Typen von Bevölkerungsvorausschätzungen.
4
Das Statistische Bundesamt führt seit ca. 40 Jahren koordinierte Bevölkerungsvoraus-
berechnungen durch. Durch verschiedene Annahmen zur Lebenserwartung und zum
Wanderungssaldo ergeben sich in der 10. Vorausberechnung neun Berechnungsvari-
anten.8 Die Alterspyramide im Anhang II zeigt die vorausberechnete Bevölkerungs-
struktur für das Jahr 2050. Deutlich zu erkennen ist die Abnahme der jungen Jahrgän-
ge. Ein zentrales Ergebnis der Vorausberechnung ist die Notwendigkeit eines jährli-
chen Einwanderungsüberschusses von 200.000 (z.B. nach Variante 5), um die Bevöl-
kerungsabnahme zu mildern. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)
führt eine kleinräumige Bevölkerungsprognose auf Kreisebene mit dem Prognosehori-
zont 2020 durch.9 Ergebnisse dieser Prognose sind steigende regionale Unterschiede
in der Bevölkerungsentwicklung und weitere Wanderungsverluste für Ostdeutschland.
Die Bedeutung von Vorausberechnungen und Prognosen ist sehr hoch. Für die zu be-
handelnden kommunalen Bereiche dieser Arbeit sind Prognosen über die Bevölke-
rungsentwicklung sehr wichtig, da diese Entwicklung die Nachfrage und Tragfähigkeit
von bestimmten Leistungen beeinflusst.
Folgende Erkenntnisse dieses Kapitels dienen als Hintergrund für die weitere Arbeit:
Der demographische Wandel ...
• ... entsteht durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, die nur lang-fristig verändert werden können.
• ... kann vorausberechnet werden, wobei die Treffsicherheit mit zunehmendem Prognosezeitraum abnimmt. Prognosen stellen keine unveränderbaren Tatsachen, sondern Entwicklungstendenzen dar, auf die rechtzeitig reagiert werden muss.
• ... wirkt auf unterschiedliche Weise auf die Raumstruktur ein.
3. Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels auf Kommunen in Ostdeutschland
3.1 Räumliche Auswirkungen des demographischen Wandels Der demographische Wandel führt nicht zu einer linearen Maßstabsverkleinerung,
sondern zu Gewinner- und Verliererregionen auf allen räumlichen Ebenen.10 Dabei
wirken die drei Komponenten des demographischen Wandels unterschiedlich auf die
Raumstruktur. Der Rückgang der Bevölkerung bewirkt eine allgemeine Verringerung
der Nachfrage nach öffentlichen und privaten Leistungen. Er führt zu Überkapazitäten
am Wohnungsmarkt und Tragfähigkeitsproblemen bei Infrastruktur. Regional unter-
schiedlicher Bevölkerungsrückgang bedeutet ein räumliches Nebeneinander von
Wachstums- und Schrumpfungsregionen. Eine alternde Gesellschaft besitzt verän- 8 vgl. Statistisches Bundesamt (2004b), S. 10ff. 9 vgl. Bucher, H.; Gatzweiler, H.-P. (2004). 10 vgl. Birg, H. (2004), S. 49.
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derte Gewohnheiten der Raumnutzung und hat eine höhere Nachfrage nach alterspezi-
fischer Infrastruktur. Die räumliche Bevölkerungsentwicklung verändert die Raum-
struktur durch zwei Effekte: Der Primäreffekt bedeutet eine direkte Zu- bzw. Abnahme
der Bevölkerung durch Wanderungen. Der Sekundäreffekt verändert die Geburtenzah-
len in einer späteren Periode.11 Da Außenmigranten häufig in Städte ziehen, in denen
ihre ethnische Gruppe bereits vertreten ist, geschehen Wanderungen räumlich-selektiv.
Die Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland verläuft anders als im Westen: Der
Bevölkerungsrückgang und die Alterung fallen im Osten stärker aus und Ostdeutsch-
land besitzt einen negativen Wanderungssaldo gegenüber dem Westen.
Bisher wurde allgemein von Regionen gesprochen, so dass eine Präzisierung der Wir-
kungen des demographischen Wandels nach Gebietskörperschaften notwendig ist.
Diese sind vor allem in den Bereichen ihrer Gesetzgebungskompetenz betroffen. Beim
Bund führen besonders die Systeme der sozialen Sicherung zu großen Problemen. Die
umlagefinanzierten Systeme stoßen bei einer alternden Gesellschaft an die Grenzen
der Finanzierbarkeit.12 Weiterhin ist der Bund bei Fragen der Familien- und der Zuwan-
derungspolitik betroffen. Der demographische Wandel hat auf einige Hoheitsbereiche
der Länder starken Einfluss. Dies sind z.B. die Bereitstellung sozialer Infrastruktur wie
Kultur- und Bildungseinrichtungen, Erhaltung gleichwertiger Lebensbedingungen durch
die Landesplanung sowie weitere räumlich relevante Fachpolitiken. Aufgrund der
Selbstverwaltung und dem breiten Aufgabenspektrum der Kommunen13 gibt es ein
komplexes Wirkungsgefüge kommunaler Belange, auf die der demographische Wandel
einen starken Einfluss ausübt. Dies ist Gegenstand des folgenden Kapitels.
3.2 Kommunen in Ostdeutschland unter Einfluss des demographischen Wandels Die kommunale Selbstverwaltung berechtigt die Kommunen, „alle Angelegenheiten der
örtlichen Gemeinschaft [...] in eigener Verantwortung zu regeln.“14 Dies ist mit einer
Verpflichtung zur so genannten Daseinsvorsorge verbunden, also einer ökonomisch-
sozialen Grundversorgung sowie Bereitstellung öffentlicher Leistungen und Infrastruk-
tur.15 Das genaue Aufgabenspektrum hängt von der Kommunalverfassung des jeweili-
gen Landes ab. Da die Kommune die bürgernaheste Politikebene ist, sind ihre Aufga-
benbereiche eng mit der Bevölkerungsentwicklung verbunden. Bei den Selbstverwal-
tungsaufgaben verfügt die Kommune über eigene Finanzautonomie. Mögliche Zusatz-
kosten durch den demographischen Wandel müssen daher selbst getragen werden. Im
Vergleich zu anderen Gebietskörperschaften sind die Auswirkungen des demographi-
schen Wandels in den Kommunen besonders bedeutend. 11 vgl. Birg, H. (2004), S. 47. 12 vgl. Hein, E.; Mülhaupt, B.; Truger, A. (2004) 13 Die Kommunen haben freiwillige Aufgaben, Pflichtaufgaben ohne Weisung, Pflichtaufgaben mit Wei-sung und staatliche Aufgaben. Vgl. Wehling, H.G.; Kost, A. (2003), S. 17. 14 Art. 28, II Grundgesetz. 15 vgl. v.d. Heide, H.-J. (1995), S. 1043 f.
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Die ostdeutschen Kommunen haben sich durch die Teilung und Systemdifferenz an-
ders als die Kommunen im Westen entwickelt. Im Gegensatz zur westdeutschen kapi-
talistischen Stadtentwicklung, herrschte in der DDR die sozialistische Ideologie. Die
historische Stadtgestalt wurde vernachlässigt und es wurde mehr Gewicht auf indus-
trielle Wohnungsbauweise gelegt. Ein ausreichendes Wohnungsangebot half soziale
Ungleichheiten zu vermeiden. Die wirtschaftliche Basis der Städte war i.A. schwach
ausgebildet. Viele Städte wiesen eine wirtschaftliche Monostruktur auf (bspw. Hoyers-
werda, Schwedt), deren Industrie nach der Wende nicht mehr konkurrenzfähig war.
Der wirtschaftliche Strukturbruch im Osten entstand durch De-Industrialisierung, De-
Ökonomisierung, De-Militarisierung und De-Administrierung.16 Nach der Wende kam
es zu einer nachholenden Suburbanisierung, die wegen ungeklärter Eigentumsverhält-
nisse und unattraktiver Innenstadtlagen verstärkt wurde.
Welche kommunalen Bereiche sind vom demographischen Wandel betroffen? Eine
umfassende Darstellung mit Anspruch auf Vollständigkeit kann im Rahmen dieser Ar-
beit nicht geleistet werden. Vielmehr sollen die wichtigsten räumlich-relevanten Berei-
che sowie die Wirkungszusammenhänge zwischen ihnen dargestellt werden. Demo-
graphischer und wirtschaftlicher Wandel werden hier gemeinsam betrachtet, da beide
wesentlich zur gegenwärtigen Situation in Ostdeutschland beitragen. Als wirtschaftli-
cher Wandel wird der ökonomische Strukturbruch im Osten verstanden, welcher zu
steigender Arbeitslosigkeit, sinkender Kaufkraft und Steuereinnahmen sowie zu einer
steigenden Abhängigkeit von Transferzahlungen geführt hat. Die zu betrachtenden
kommunalen Bereiche sind: Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung, Infrastruktur,
kommunale Finanzen, Soziales und Kultur sowie Umwelt und Ökologie. Im Anhang V
sind die Wirkungszusammenhänge zwischen diesen Bereichen abgebildet. Im Folgen-
den werden zudem Besonderheiten für die ostdeutschen Kommunen angeführt. Gene-
rell lässt sich festhalten, dass die Schrumpfungsprozesse im Osten flächendeckend
geschehen, während sie im Westen regional begrenzt sind.17
Durch den demographischen Wandel kommt es zu einer veränderten und abnehmen-
den Nachfrage nach Wohnraum, was zu Leerstand und möglichem Abriss führt. In
Ostdeutschland stehen zurzeit zwischen 1,0 und 1,5 Mio. Wohnungen leer.18 In einigen
Stadtquartieren besteht ein Leerstand von bis zu 70%. Hier kann nicht mehr von funk-
tionierenden Stadtstrukturen gesprochen werden.19 Der entstehende Imageverlust für
die Stadt kann einen weiteren Fortzug in Gang setzen. Durch freiwerdende Wohnun-
gen kommt es zu einer beschleunigten Segregation, die als „Segregation durch Verlas-
16 vgl. Hannemann, C. (2003), S. 17ff. 17 Siehe Anhang IV die Karte schrumpfende und wachsende Städte in Deutschland. 18 vgl. unterschiedliche Angaben in Pfeiffer, U; Simons, H.; Porsch, L. (2000), S. 17 und Kil, W.; Doehler, M.; Bräuer, M. (2003), S. 25. 19 vgl. Kriebel, L. (2003), S. 36.
7
senwerden“ bezeichnet werden kann.20 Die Infrastruktur wird durch den demographi-
schen Wandel unterausgelastet und die Kosten steigen. Da nach der Wende in Ost-
deutschland notwendige Investitionen für Infrastruktur getätigt wurden, besteht jetzt
eine Überdimensionierung. Der Bestand an technischer und sozialer Infrastruktur muss
der sinkenden Nachfrage angepasst werden. Bei Wegfall von Leistungen bedeutet dies
einen weiteren Imageverlust. Der kommunalen Haushalt erhält somit verminderte
Einnahmen und hat höhere Ausgaben durch Rückbau und Anpassung von Infrastruk-
tur. Ein ernsthaftes Problem für die kommunalen Einnahmen sind verminderte
Steuereinnahmen und bevölkerungsabhängige Zuweisungen. Das Potenzial an
qualifizierten Arbeitskräften reduziert sich durch Abwanderungen und führt zu einem
Verlust an Humankapital für die Region. Zwischen den Jahren 1991 und 2001 erfuhr
Ostdeutschland einen Abwanderungssaldo von ca. 500.000 zumeist gut ausgebildeten
jungen Menschen.21 Auf den ersten Blick können Abriss und geringerer Verbrauch von
Umweltgütern neue Freiräume schaffen und die Umwelt entlasten. Ein höherer
relativer Verbrauch von Umweltgütern widerspricht aber einer solchen Tendenz. Viele
der beschriebenen Entwicklungen werden durch die Suburbanisierung noch verschärft.
So kommt es zu weniger Steuereinnahmen für die Kernstädte, die weiterhin
Infrastruktur vorhalten müssen. Flächenverbrauch sowie Verkehrsleistungen nehmen
zu und in den Neubaugebieten entsteht Bedarf für den Neubau von Infrastruktur.
Segregation wird durch Suburbanisierung noch verstärkt und es kommt zu einem
Nebeneinander von Wachstum und Schrumpfung.22
Es wurde deutlich, wie die kommunalen Aufgabenbereiche miteinander zusammen-
hängen. Noch deutlicher erscheinen die Wechselbeziehungen bei der so genannten
Abwärtsspirale bzw. dem Teufelskreis der Schrumpfung in ostdeutschen Städten. Aus-
gehend von einer schlechten Arbeitsmarktlage kommt es zu Fernwanderungen und
durch Suburbanisierung zu Nahwanderungen. Beide führen zu (dauerhaftem) Leer-
stand sowie zu verminderten Steuereinnahmen und Zuschüssen. Kommunale Infra-
struktur kann nicht mehr rentabel vorgehalten werden. Zusätzlich gibt es Neubedarf für
altengerechte Infrastruktur. Die Gebühren müssen angehoben bzw. das Leistungs-
spektrum verkleinert werden. Arbeitsplätze in öffentlichen Aufgabenfeldern fallen weg
und die Menschen wandern weiter ab, was zu sinkender Kaufkraft führt.23 In allen
Schritten wird die wirtschaftliche Basis der Stadt geschwächt, was zu Abwanderungen
führt. Die Kommunen, die sich in dieser Abwärtsspirale befinden, erleben einen Funkti-
ons- und Handlungsverlust, der in erster Linie mit der schlechten Finanzlage zusam-
menhängt. Die Situation der Kommunalfinanzen ist in Ostdeutschland generell schlech-
20 Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (2002), S. 15. 21 vgl. Geißler, R.; Meyer, T. (2002), S. 75. 22 vgl. Zeck, H. (2003), S. 734ff. 23 vgl. Birg, H. (2004), S. 47.
8
ter als im Westen. Die Finanzierung der ostdeutschen Kommunalhaushalte erfolgt zu
über der Hälfte aus Bundes- und Landeszuweisungen, im Westen sind es weniger als
ein Drittel (siehe Tabelle 1). Das bedeutet für ostdeutsche Kommunen eine stärkere
Abhängigkeit von Bund und Land und weniger selbsterwirtschaftete Einnahmen durch
Steuern und Gebühren. Durch Neuregelung des Finanzausgleichs und die neue För-
derperiode der EU-Strukturfonds ab 2007 werden die Zuweisungen in Zukunft voraus-
sichtlich abnehmen, was die ostdeutschen Kommunalhaushalte vor weitere Probleme
stellen wird.24
Tabelle 1: Kommunalfinanzen 2002 (Zuweisungen als Einnahmeposten)
alte Länder neue Länder
in Mrd. €in % der
Einnahmen in Mrd. € in % der
Einnahmen Gesamteinnahmen 118,70 100,00 24,50 100,00 laufende Zuweisungen von Land/Bund 28,10 23,67 10,65 43,47 Investitionszuweisungen von Land/Bund 4,70 3,96 3,10 12,65 Gesamtzuweisungen 32,80 27,63 13,75 56,12 Quelle: Eigene Berechnung nach Karrenberg, H.; Münstermann, E. (2002), S. 7f.
Der demographische Wandel verschärft die Finanzlage noch. Bevölkerungsabhängige
Einnahmeposten aus Lohn-, Einkommens- und Umsatzsteuern, Gebühren und Zuwei-
sungen werden zurückgehen und bei den Ausgabenposten erhöhen sich Aufwendun-
gen für Infrastruktur und soziale Leistungen.25 Ostdeutschland ist bereits stärker als der
Westen vom demographischen Wandel betroffen und besitzt zudem eine schlechtere
Ausgangslage bei den kommunalen Finanzen. Ohne eine stabilere finanzielle Basis
führt die aktuelle Situation zu dem beschriebenen Funktions- und Handlungsverlust für
ostdeutsche Kommunen. Funktions- und Handlungsverlust bedeuten, dass die ver-
schuldeten Kommunen keinen Spielraum im Haushalt haben und öffentliche Leistun-
gen kürzen bzw. einstellen müssen. Damit kommen sie ihrer Aufgabe der Daseinsvor-
sorge nicht mehr in vollem Umfang nach.
Nun wäre das Argument, dass die Kommunen mit mehr Geld ihre Probleme lösen
könnten, allerdings zu kurzsichtig. Zum einen muss beachtet werden, dass sich Bund
und Länder ebenfalls in einer desolaten Finanzsituation befinden und kaum in der Lage
sind, mehr Geld an die Kommunen zu geben. Zum anderen sind die demographischen
und gesamtwirtschaftlichen Probleme nicht durch kommunale Aktivitäten zu lösen. Be-
deutet dies, dass die finanzschwachen Kommunen nicht über Ansatzpunkte verfügen,
wie sie dem demographischen Wandel begegnen können? Nicht unbedingt. Die Kom-
munen müssen die Probleme erkennen und versuchen, diese in Eigenleistung oder mit
fremder Hilfe abzuwenden bzw. zu mindern. Dabei muss Schrumpfung akzeptiert und
eine Strategie der Bestandserhaltung verfolgt werden. 24 vgl. Winkel, R. (2003), S. 87f. 25 vgl. ebenda., S. 82ff.
9
Von verschiedenen Seiten wird das Argument vertreten, dass der demographische
Wandel neue Chancen für die Kommunen bedeuten könne. Aus städtebaulicher Per-
spektive wird ein Schrumpfen von außen nach innen bevorzugt, da es klare Siedlungs-
grenzen und eine kompakte Stadtstruktur schafft. Es entstehen Chancen durch Auf-
wertung von Wohnquartieren und gezieltem Abriss, wobei die Notwendigkeit einer
langfristigen Finanzausstattung vorausgesetzt wird.26 Von anderer Seite wird dies als
unrealistischer Traum kritisiert, „die Idee der kompakten Stadt als Ideal europäischer
Stadtentwicklung“27 umzusetzen. Im Osten geschieht genau das Gegenteil: Dem Leer-
stand in den Kernstädten steht ein Neubau auf der grünen Wiese gegenüber. Die Städ-
te entdichten sich und dehnen sich aus.28 Von einer wirklichen Chance kann demnach
nicht die Rede sein. In den übrigen kommunalen Bereichen wird sich die Situation
durch den demographischen Wandel ebenfalls verschlechtern: Die massiven Auswir-
kungen auf die kommunalen Finanzen wurden bereits beschrieben; der relative Mehr-
verbrauch von Umweltgütern widerspricht einer möglichen Entlastung der Umwelt. Von
Chancen zu sprechen verkennt die aktuelle Situation und die prognostizierte Entwick-
lung. Die Probleme bei Infrastruktur sowie auf dem Wohnungsmarkt werden im den
folgenden Kapiteln behandelt.
3.3 Kommunale (technische) Infrastruktur Unter Infrastruktur werden nach der gebräuchlichen Definition von Jochimsen die Ge-
samtheit der materiellen, institutionellen und personellen Einrichtungen verstanden,
welche die Basisfunktionen einer Wirtschaft sind. Wichtige Merkmale von Infrastruktur
sind Vorleistungscharakter, Standortgebundenheit, hohe Kapitalintensität, technologi-
sche Unteilbarkeiten und eine lange Lebensdauer.29
Wegen der Eigenschaft als öffentliches Gut und dem damit verbundenen Marktversa-
gen ist eine öffentliche Bereitstellung von Infrastruktur durch Steuer- und Gebührenfi-
nanzierung notwendig.30 Unter kommunaler Infrastruktur werden hier Einrichtungen
verstanden, welche von der Kommune in eigener Verantwortung bereitgestellt werden.
Technische Infrastruktur ist ein Teil der materiellen Infrastruktur und umfasst u.a. Anla-
gen der Ver- und Entsorgung, der Telekommunikation und des Verkehrswesens.31 Inf-
rastruktur beeinflusst und verändert die Raumstruktur: Verkehrswege bedeuten Er-
reichbarkeit und Netzinfrastruktur ermöglicht eine Versorgung in der Fläche. Bevölke-
rungswachstum bewirkt einen Neubaubedarf, während der demographische Wandel zu
Überkapazitäten und veränderten Nachfragestrukturen führt.
26 vgl. Daab, K. (2003), S. 128. sowie Petry, K. (2003), S. 50f. 27 Oswalt, P. (2003), S. 12. 28 vgl. ebenda, S. 12. 29 vgl. für detailliertere Ausführungen Jochimsen, R. (1995), S. 490f. 30 vgl. Jochimsen, R. (1995), S. 493f. 31 vgl. ebenda, S. 492f.
10
Die technischen Charakteristika32 von Infrastruktur bedingen die besondere Kosten-
struktur: hoher Anteil an sprungfixen Kosten (z.B. Baukosten) und geringer Anteil an
variablen Kosten (z.B. Kosten durch Verschleiß). Bei Bevölkerungsrückgang bleibt der
fixe Kostenanteil konstant, es entstehen aber zusätzliche Kosten durch abnehmende
Funktionsfähigkeit und Rentabilität. Dieser Verlust ist besonders schwer vorherzusa-
gen. Geringere variable Kosten können diese Zusatzkosten nicht kompensieren. Ab-
nehmende Bevölkerung führt demnach zu einer Erhöhung der Pro-Kopf-Kosten.
Es lassen sich drei Konsequenzen des demographischen Wandels für die Bereitstel-
lung von kommunaler Infrastruktur feststellen: Die Einnahmen gehen zurück, abneh-
mende Nachfrage führt zu ineffizienter Bereitstellung von Infrastruktur und die Nach-
fragestruktur verändert sich.33 Die Situation der kommunalen Finanzen wurde bereits
oben beschrieben. Bei geringeren Einnahmen kann c.p. weniger oder nur qualitativ-
schlechtere Infrastruktur bereitgestellt werden. Eine schrumpfende Bevölkerung bzw.
eine geringere Nutzerdichte bedeuten Unterschreitung der Tragfähigkeitsgrenzen von
Infrastruktur, was zu sinkender Rentabilität und möglichen Funktionsstörungen führt.34
Ein Beispiel für Funktionsstörungen: Bei zu geringem Wasserstand in Abwasserkanä-
len lagert sich Material ab und führt zu Verstopfungen. Anlagen müssen zurückgebaut
bzw. Anlagen mit geringeren Kapazitätsgrenzen errichtet werden. Solche Anlagen sind
zunächst teurer und weniger effizient, da die Größenvorteile in der Bereitstellung nicht
mehr ausgenutzt werden. Langfristig werden aber Kostenersparnisse erreicht.35 Falls
Infrastruktur mit langer Restnutzungsdauer zurückgebaut wird, muss diese abge-
schrieben werden und der Verlust an Restbuchwerten als Kosten in die Gebührenkal-
kulation eingehen.36 Eine alternde Gesellschaft hat veränderte Präferenzen und Be-
dürfnisse, was Mehrausgaben für altengerechte Infrastruktur bedeutet.37 Darunter fal-
len z.B. Mehrausgaben für den öffentlichen Verkehr und für altengerechte Bauweise
von öffentlichen Gebäuden und Wohngebäuden. Als Ergebnis lässt sich festhalten,
dass der demographische Wandel zu erheblichen Kostensteigerungen für Infrastruktur
führen wird.
3.4 Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung Die Wohnungswirtschaft und die Stadtentwicklung sind zwei sehr bedeutende kommu-
nale Aufgabenfelder. Als öffentliche Wohnungsunternehmen und Träger der Bauleit-
planung nehmen Kommunen Einfluss auf die Stadtstruktur. Wohnungswirtschaft und
Stadtentwicklung werden hier gemeinsam betrachtet, da Erstere eng an die Vorgaben
32 Das sind fehlende Ausschlussmöglichkeit und keine Rivalität im Konsum, Unteilbarkeiten sowie lange Lebensdauer. Vgl. Just, T. (2004), S. 5. 33 vgl. Just, T. (2004), S. 6ff. 34 vgl. Müller, B. (2002), S. 33. 35 vgl. Just, T. (2004), S. 7f. 36 vgl. Herz, R.; Werner, M.; Marschke, L. (2002), S. 6. 37 vgl. Zeck, H. (2003), S. 734.
11
der Planung gebunden ist und Anpassungsstrategien im Wohnungsbestand im Ein-
klang mit städtebaulichen Leitbildern erfolgen müssen.
Der Einfluss der Bevölkerungsentwicklung auf diese Bereiche ist offensichtlich. Der
demographische Wandel führt zu Wohnungsleerständen mit erheblichen Folgeproble-
men. Konkret bedeutet dies für den Wohnungsmarkt: Leerstand, geringerer Bedarf an
Neubau, Umbau und Abriss. Die Stadtplanung muss auf diese Situation reagieren.
Gegenwärtig wird dieser Entwicklung entgegengehalten, dass die Zunahme von Ein-
Personen-Haushalten und die immer später stattfindende Haushaltsbildung noch aus-
reichend Nachfrage nach Wohnraum erzeugen. Der Höchststand der Haushalte wird
im Jahr 2020 erreicht. Bis dahin ist mit vermehrter Nachfrage nach Wohnraum zu
rechnen.38 Da der Wohnungsmarkt in verschiedenen deutschen Regionen extrem vari-
iert, sind solche allgemeinen Aussagen nicht hilfreich. Eine regional differenzierte
Sichtweise in Abhängigkeit zur örtlichen Arbeitsmarktsituation ist notwendig. Zahlen für
Ostdeutschland zeigen, dass nur ein Viertel aller Städte eine leichte Zunahme an
Haushalten zwischen den Jahren 1995 und 2000 verzeichnen konnte. Die übrigen
Dreiviertel erlebten dagegen Stagnation oder Rückgang der Haushalte.39
Da in den 1970er und 1980er Jahren in der DDR viel Neubau betrieben wurde, hat es
bei der Wiedervereinigung bereits 400.000 leerstehende Wohnungen gegeben. Weil
das Angebot allerdings qualitativ nicht der Nachfrage entsprach, wurden in den folgen-
den Jahren viele Neubauten errichtet. Durch Fehleinschätzung der zukünftigen Ent-
wicklung kam es zu einem Überangebot von mehr als 1.000.000 Wohnungen. Dabei
scheint es paradox, dass es selbst in Städten mit massivem Leerstand zu beachtlichen
Neubauaktivitäten gekommen ist.40 Heute ist der ostdeutsche Wohnungsmarkt ein so
genannter Mietermarkt mit starkem Angebotsüberschuss und strategischem Vorteil für
die Mieter. Bei geringer Miete und vergleichsweise freier Wohnungswahl ist die Mobili-
tät der Mieter sehr hoch. Nur die Märkte für Einfamilienhäuser und altengerechtes
Wohnen sind wegen des knappen Angebots Vermietermärkte. Für die Vermieter be-
deutet die gegenwärtige Lage sinkende Mieteinnahmen und Liquidität. Die kommunale
Wirtschaft leidet unter Arbeitslosigkeit in der Baubranche, sinkenden Steuereinnahmen
und mangelnder Auslastung der Infrastruktur.41 Die Alterung der Gesellschaft wird zu
veränderten Nachfragestrukturen führen: Es wird großen Bedarf an altengerechtem
Wohnen geben. Hier führt Schrumpfung zu einem potentiellem Wachstumsmarkt.
Ein großes Problem in Leerstandsgebieten sind negative externe Effekte auf Nachbar-
gebäude durch Wertverlust und unterlassene Investitionstätigkeiten. Der Zustand der
Gebäude hat einen Einfluss auf das Investitionsverhalten der umliegenden Eigentümer. 38 vgl. Just, T. (2003), S. 6f. 39 vgl. Banse, J.; Effenberger, K.-H. (2002), S. 10f. 40 vgl. ebenda, S. 11ff. 41 vgl. Glatter, J. (2003), S. 151ff. Für vertiefende Informationen zum ostdeutschen Wohnungsmarkt siehe Pfeiffer, U.; Simons, H.; Porsch, L. (2000), S. 10ff.
12
Dies kann eine Abwärtsspirale in Gang setzen, die von schlechter Wohnqualität über
weitere Auszüge zu weniger Mieteinnahmen und somit zu keiner weiteren Instandhal-
tung führt.42 Letztendlich verfallen diese Stadtviertel und benötigen Hilfe von außen.
Diese Probleme für den Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung können von den Kom-
munen kaum bewältigt werden.
Das Kapitel 3 hat gezeigt, welche Auswirkungen der demographische Wandel auf die
ostdeutschen Kommunen hat. Dabei wurde deutlich, dass die schlechte Finanzlage
ihre Handlungsfähigkeit einschränkt und künftig nicht mehr mit andauerndem Wachs-
tum gerechnet werden kann. Da Kommunen keinen Konkurs anmelden können, sind
sie aufgefordert, die Abwärtsspirale des demographischen Wandels zu durchbrechen
und ihre Strukturen entsprechend anzupassen. Im folgenden Kapitel werden Hand-
lungsansätze präsentiert, mit denen die beschriebenen Probleme gemildert werden
können. Es kann kein erfolgversprechendes Bild von der Zukunft gezeigt werden, da
die Schrumpfung teilweise schneller geschieht als Anpassungsmaßnahmen wirken.
4. Handlungsempfehlungen und Anpassungsstrategien Es lassen sich zwei politische Handlungsfelder erkennen, mit denen auf die beschrie-
benen Situationen und Probleme reagiert werden kann. Bevölkerungs- und Familienpo-
litik setzen an der Ursache für die Bevölkerungsentwicklung an und versuchen, auf die
Fertilität Einfluss zu nehmen. Auf diesen Bereich wird hier nicht näher eingegangen.
Das betrachtete Handlungsfeld setzt an den Einflüssen auf die Raumstruktur an und
versucht, durch Förderprogramme und Planungskonzepte die räumlichen Auswirkun-
gen des demographischen Wandels zu mildern.
Wie bereits erwähnt, sind die Kommunen nicht in allen Bereichen in der Lage, die
Probleme vollkommen eigenständig zu lösen. Deswegen gibt es Förderprogramme, die
anteilig vom Bund, vom Land und teilweise von den Kommunen finanziert werden. Sol-
che Programme sind darauf ausgelegt, die Probleme kurz- bis mittelfristig zu lösen.
Eine langfristige Lösung liegt in den Händen der Kommunen, die mit umsichtiger Pla-
nung ihre Städte für die Zukunft vorbereiten. Im Folgenden werden Lösungsansätze für
Infrastruktur sowie Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung präsentiert.
4.1 Lösungsansätze für kommunale (technische) Infrastruktur Das Problem der Infrastruktur unter dem Einfluss des demographischen Wandels ist
die Belastung durch Funktionsstörungen und sinkende Rentabilität. Waren Stadtent-
wicklung und folglich der Ausbau von Infrastruktur lange Zeit auf Wachstum ausgerich-
tet, geht es heute darum, Schrumpfung zu gestalten. Technische Anpassungen der
42 vgl. Franz, P. (2003), S. 174.
13
Infrastruktur sind i.d.R. sehr teuer. Deswegen müssen anstehende Investitionen mit
regionalen Bevölkerungs- und Bedarfsprognosen abgeglichen werden, um keine Fehl-
investitionen zu tätigen.
In dem Modellvorhaben der Raumordnung Anpassungsstrategien für ländliche / peri-
phere Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang in den neuen Länder werden Kon-
zepte erarbeitet, um auf die Bevölkerungsentwicklung zu reagieren. Hier geht es nicht
nur um Anpassung, sondern auch um die Schaffung von neuen Qualitäten. Damit soll
u.a. der Abwanderung entgegen gewirkt werden.43 Es werden zwei Betrachtungsebe-
nen unterschieden: Veränderung einzelner Infrastrukturangebote und siedlungsstruktu-
relle Entwicklungsoptionen. Die Handlungsoptionen für einzelne Infrastrukturangebo-te umfassen Erhöhung der Erreichbarkeit, Verkleinerung, Dezentralisierung, Zentrali-
sierung, temporäre Ansätze und Neustrukturierung/Substituierung. Einige dieser Opti-
onen werden anhand von Beispielen näher erläutert. Durch eine Erhöhung der Er-
reichbarkeit soll eine Verbesserung der Verkehrsanbindung erreicht werden. Als Bei-
spiel dienen nachfrageorientierte Taktzeiten des ÖPNV. Ein dezentraler Einsatz vieler
kleiner Biokläranlagen anstatt einer großen Anlage bedeutet effiziente, bedarfsgerech-
te und anpassungsfähige Versorgung. Zentralisierung in Verbindung mit einer Erreich-
barkeitsstrategie ist eine Handlungsoption für unterausgelastete Einheiten, was eher im
Bereich der sozialen Infrastruktur wie z.B. bei Schulzusammenlegungen relevant ist.44
Sämtliche Handlungsoptionen müssen fallabhängig geprüft werden und können als
Instrumentenmix eingesetzt werden. Die Betrachtungsebene der siedlungsstrukturel-len Entwicklungsoptionen ist an das raumordnerische Leitbild der dezentralen Kon-
zentration (§2, II, 2 ROG) angelehnt. Dieses Leitbild ist als Lösungsansatz für die be-
schriebenen Infrastrukturprobleme geeignet. Die infrastrukturellen Grundfunktionen
werden in den Kommunen einer Region dezentral aber gebündelt angeboten. Somit
wird einerseits gute Erreichbarkeit und andererseits Entlastung der kommunalen
Haushalte bewirkt.45
Wenn es aufgrund des dauerhaften Leerstandes letztendlich keine Alternative zum
Rückbau bzw. Abriss von Wohnungen und somit von technischer Infrastruktur gibt, ist
eine verträgliche Art und Weise wichtig. Wird ein Rückbau von außen nach innen nach
dem sogenannten Zwiebelschalenprinzip betrieben, ist die neuere und effiziente Infra-
struktur betroffen. Eine gleichmäßige Ausdünnung über die gesamte Stadt ist unter
wirtschaftlichen und Versorgungsaspekten verlustbringend, weil das gesamte Netz
vorgehalten werden muss. Der Rückbau gesamter Quartiere ist dagegen vorteilhaft,
weil Infrastruktur im Ganzen rückgebaut werden kann.46 Falls allerdings Gebäude ver-
43 vgl. Thrun, T.; Winkler-Kühlken, B.; Hübler, K.-H. (2003), S. 1f. 44 vgl. ebenda, S. 20f. 45 vgl. ebenda, S. 10f. 46 vgl. Herz, R.; Werner, M.; Marschke, L. (2002), S. 11.
14
einzelt noch bewohnt werden, ist es kaum möglich, das gesamte Stadtviertel abzurei-
ßen. Es wird deutlich, dass das Instrument Rückbau von Infrastruktur einen Zielkonflikt
verursacht: Kostenersparnis und Effizienz auf der einen Seite und möglichst geringer
Eingriff in die Präferenzen der Bürger auf der anderen Seite.
4.2 Lösungsansätze für Wohnungsmarkt und Stadtentwicklung Ökonomisch betrachtet gibt es auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt einen Ange-
botsüberhang, weil der demographische Wandel einen Rückgang der Nachfrage be-
wirkt hat. Zwei Aktionen können den Markt wieder in Richtung Gleichgewicht bringen:
Nachfrageerhöhung durch vermehrte Eigentumsbildung im Bestand oder Angebotsre-
duzierung durch Abriss. Diese Maßnahmen werden u.a. von der Kommission zum
wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundesländern empfohlen.
Wenn Eigentumsbildung im innerstädtischen Bestand zunimmt, können Leerstän-
de vermieden werden. Die mögliche Zunahme der Nachfrage nach innerstädtischen
Wohnungen wird aber nicht ausreichen, den Angebotsüberschuss abzubauen. Abriss
verkleinert den Wohnungsüberschuss und kann durch neue Freiräume die städtebauli-
che Qualität erhöhen. Die Kosten für das empfohlene Abrissprogramm der Kommission
werden geringer geschätzt als die Kosten eines dauerhaften Leerstandes.47 Diese und
weitere Empfehlungen wie Rück- und Umbau sind die Grundlage für das im Jahr 2001
gestartete Bund-Länder-Programm Stadtumbau Ost.48 Mit einem Fördervolumen über
2,7 Mrd. € sollen nicht mehr benötigte Wohnungen rückgebaut sowie eine städtebauli-
che Aufwertung der betroffenen Stadtquartiere durchgeführt werden. Verschiedene
Maßnahmen wie Zuschüsse, zinsgünstige Kredite und Investitionszulagen unterstützen
private Wohnungsgesellschaften und Kommunen beim Prozess des Stadtumbaus. Aus
volkswirtschaftlicher Sicht stellt das Programm eine Subventionierung der Wohnungs-
wirtschaft dar und muss politisch oder ökonomisch gerechtfertigt werden. Die Argu-
mente für die Förderung sind zum einen die Belastung vieler ostdeutscher Wohnungs-
unternehmen durch Altschulden und die negativen externen Effekte, die aus Leerstand
resultieren. Wegen vielfältiger Kritik an Abriss49 verfolgt der Stadtumbau Ost eine
Doppelstrategie aus Abriss und Aufwertung. Besonders problematisch am Abriss ist
das strategische Verhalten der Akteure, insbesondere der Wohnungsunternehmen.
Diese versuchen davon zu profitieren, dass durch Abriss von Seiten der Konkurrenz
der Markt „bereinigt“ wird und sie ihre eigenen Wohnungen so besser vermieten
können. Dieses Free-Rider-Problem kann durch Kompensationszahlungen vermieden
werden. Sputek und Grunow präsentieren ein Modell der effizienten Aufteilung von
Abrissmengen zwischen zwei Wohnungsunternehmen. Durch Verhandlungen lässt 47 vgl. Pfeiffer, U.; Simons, H.; Porsch, L. (2000), S. 4ff. und 54ff. 48 Für eine detaillierte Darstellung des Programms vgl. Daab, K. (2003); Franz, P. (2003) und Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (2002). 49 Der Abriss kann dem wachsenden Leerstand kaum standhalten. Stadträumliche Zusammenhänge ge-hen verloren. Die Emotionen der Menschen, die in den Häusern wohnen, müssen berücksichtigt werden.
15
gen zwischen zwei Wohnungsunternehmen. Durch Verhandlungen lässt sich eine effi-
ziente Verteilung der Abrissmengen erreichen. Wenn das Unternehmen mit den niedri-
geren Abrisskosten mehr abreißt und vom anderen Unternehmen entschädigt wird,
ergibt sich eine effiziente Lösung.50 Die praktische Realisierung dieser theoretischen
Verhandlungslösung wird von Iwanow und Franz bestätigt.51 Mit dem Aufwertungsteil
des Programms Stadtumbau Ost wurde erkannt, dass eine reine Abrissstrategie keine
Lösung für die Stadt bedeutet. Aufwertungsmaßnahmen sollen in den Stadtquartie-
ren neue Qualitäten schaffen wie Grünzonen, Anpassung der Infrastruktur oder In-
standsetzung der Gebäude. Die Kommunen müssen die Aufwertungsmaßnahmen an-
teilig mitfinanzieren. Durch Integrierte Stadtentwicklungskonzepte als Voraussetzung
zur Förderung wird Stadtumbau als umfassendes Konzept erkannt, das offen sein soll
für neue Leitbilder der Stadtentwicklung. Die häufigsten Kritikpunkte am Programm
sind der stärkere Fokus auf Abriss gegenüber der Aufwertung und die geringe Umset-
zungsgeschwindigkeit des gesamten Programms.52
5. Fazit – eine neue Planungskultur ist notwendig Wandel ohne Wachstum ist bislang kaum vorstellbar,
in der Theorie auch wenig ausformuliert und politisch-praktisch kaum mehrheitsfähig.53
Die beschriebenen Maßnahmen ermöglichen den ostdeutschen Kommunen, Hand-
lungsfähigkeit im Rahmen ihrer Aufgabenbereiche zurückzugewinnen. Der demogra-
phische Wandel wird dadurch nicht aufzuhalten sein, die räumlichen Auswirkungen
können aber teilweise abgemildert werden. In der Vergangenheit war die Stadtentwick-
lung mit der Verteilung von Wachstum beschäftigt und auf den Abbau von Defiziten an
Infrastruktur und Wohnraum gerichtet. Im Zuge des demographischen Wandels geht es
um die Gestaltung der Schrumpfung und damit um eine neue Planungskultur: Nachhal-
tige Bestandsentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen. Nach Wiechmann zielt ein
solcher Ansatz auf die Stabilisierung und den Erhalt der Regenerationsfähigkeit. Die
vorrangige Aufgabe ist der Abbau von Defiziten im Bestand im Gegensatz zu Neu-
bau.54 Die veränderten Situationen für die Stadtplanung erfordern eine Anpassung der
Instrumente. Die Instrumente, mit denen Schrumpfung begegnet werden kann, sind
strategische Planung und integrierte Konzepte, Folgenabschätzung, interkommunale
Kooperation und intersektorale Koordination.55
50 Effizienz im Sinne von Kostenminimierung ist erreicht, wenn die Grenzkosten des Abrisses für beide Unternehmen gleich sind. Vgl. Sputek, A.; Grunow, A. (2004), S. 116. 51 vgl. Iwanow, I.; Franz, P. (2003), S. 102. 52 vgl. Franz, P. (2003), S. 183. 53 Karl Ganser zitiert in Hannemann, C. (2002), S. 17. 54 vgl. Wiechmann, T. (2003), S. 123. 55 vgl. Müller, B.; Wiechmann, T. (2003), S. 116.
16
Die ostdeutschen Kommunen sind in gewisser Weise den westdeutschen voraus, weil
die demographische Entwicklung mit ihren räumlichen Konsequenzen auch den Wes-
ten mit einiger Verzögerung erreichen wird. Das ExWoSt-Forschungsfeld Stadtumbau
West bestätigt, dass bereits heute in einigen westdeutschen Regionen56 wirtschaftliche
und demographische Schrumpfung stattfindet. Der Westen wird von den Erfahrungen
im Osten lernen können, dabei darf Ostdeutschland allerdings nicht als Versuchslabor
für den Westen verstanden werden.
Was ist das Ergebnis dieser Arbeit? Die Funktions- und Handlungsverluste für ost-
deutsche Kommunen, die sich aus dem demographischen Wandel ergeben, kann mit
den erläuterten Maßnahmen gemildert werden. Da die Bevölkerung langfristig zurück-
gehen und altern wird, muss sich die Stadtentwicklung darauf einstellen und den Pro-
zess der Schrumpfung gestalten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Bevölke-
rungsprognosen keine unveränderbaren Tatsachen, sondern Entwicklungstendenzen
aufzeigen, auf die rechtzeitig reagiert werden muss. Es braucht noch viel Zeit, Erfah-
rung und Forschung, um die räumlichen Auswirkungen und Lösungsansätze in ihrer
Gesamtheit zu erfassen. Drei Szenarien sollen zum Schluss mögliche Entwicklungen
aufzeigen.
Szenario 1: Es kommt zu einer verstärkten „Polarisierung zwischen stabilen Wachs-
tumsinseln und schrumpfenden Kommunen und Quartieren, die mit starken Angebots-
überhängen und Leerstandsproblemen auf den Wohnungsmärkten konfrontiert sein
werden.“57
Szenario 2: Förderprogramme und Stadtentplanung bewältigen die Probleme und er-
reichen in vielen Städten einen erfolgreichen Stadtumbauprozess. Die wirtschaftliche
Lage stabilisiert sich, neue Arbeitsplätze bringen die Menschen wieder in die ostdeut-
schen Städte.
Szenario 3: Nach dem Leitbild dezentrale Konzentration wird in Ostdeutschland ein
Stadtumbau durchgeführt, der auf Bestandserhaltung und nachfrageorientierte Woh-
nungsbereitstellung gerichtet ist. Nicht alle Stadtquartiere können erhalten werden, es
kommt aber nicht zu einem Massensterben der Städte.
56 Unter den 16 Pilotstädten des Forschungsfeldes Stadtumbau West befinden sich Städte u.a. im Saar-land, im Ruhrgebiet und an der Nordseeküste. 57 Siedentop, S.; Kausch, S. (2003), S. 27.
17
Anhang I: Der demographische Wandel in Deutschland genauer be-trachtet Die Ausführungen über den demographischen Wandel sollen hier vertieft werden. Die
drei Komponenten des demographischen Wandels werden dargestellt und ihre Ursa-
chen erklärt.
Bevölkerungsabnahme (natürliche Bevölkerungsbewegung)
Die Faktoren der natürlichen Bevölkerungsbewegung sind Anzahl der Geburten und
Sterbefälle. In Deutschland sinken sowohl die Geburtenrate wie auch die Sterberate
Die Lebenserwartung steigt. Seit dem Jahr 1972 liegt die Geburtenrate unterhalb der
Sterberate und die natürliche Bevölkerungsbewegung ist rückläufig (siehe Tabelle 2).58
Tabelle 2: Entwicklung der Fertilität, Geburten- und Sterbefälle in Deutschland
Jahr 1965 1975 1980 1991 1999 2003 Totale Fruchtbarkeitsrate1)
BRD-West 2,5 1,45 1,44 1,42 1,4 - BRD-Ost (bzw. DDR) 2,48 1,54 1,94 0,98 1,15 -
Geburten- und Sterbefälle (nat. Bevölkerungsbewegung) Lebendgeborene 1.325.386 782.310 865.789 830.019770.744 706.728Gestorbene 907.882 989.649 952.371 911.245846.330 853.926Überschuss der Geborenen2) 417.504 -207.339 -86.582 -81.226 -75.586 -147.1981) Lebendgeborene je 100 Frauen im geburtsfähigen Alter. 2) Negatives Vorzeichen bedeutet Sterbeüberschuss. Quellen: Geißler, R.; Meyer, T. (2002), S. 53; Statistisches Bundesamt (2004).
Im Jahr 1965 gipfelte die Fertilität während des Babybooms bei durchschnittlich 250
Geburten pro 100 Frauen im geburtsfähigen Alter. Seit dem so genannten Pillenknick
in den 1970er Jahren ist die Geburtenrate gesunken und erreichte im Jahr 2000 einen
Wert von 1,459. Die natürliche Bevölkerungsentwicklung der DDR verlief anders als in
Westdeutschland. Die Fruchtbarkeitsrate lag seit Mitte der 1960er Jahre über der im
Westen, hat aber nach der Wiedervereinigung einen starken Einbruch erfahren.60
Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig und ergeben sich aus folgenden gesell-
schaftlichen Trends: Funktions- und Strukturwandel der Familie, Emanzipation der
Frau, anspruchsvoller Lebensstil, „Rücksichtslosigkeit“ gegenüber der Familie sowie
gestiegene Ansprüche an die Elternrolle.61 In der DDR konnten familien- und frauenpo-
litische Maßnahmen den Geburtenrückgang für gewisse Zeit mildern.
Die Lebenserwartung in Westdeutschland ist durch Fortschritte in der Medizin und Hy-
giene sowie durch allgemeine Wohlstandssteigerung von ca. 66 Jahren bei Männern
58 vgl. Statistisches Bundesamt (2004). Der Überschuss der Gestorbenen betrug im Jahr 1972 64.032. 59 vgl. Gans, P.; Schmitz-Veltin, A. (2004), S. 85. 60 vgl. Geißler, R.; Meyer, T. (2002), S. 51 ff. 61 vgl. für weitere und vertiefende Ausführungen Geißler, R.; Meyer, T. (2002), S. 57ff.
18
(72 bei Frauen) im Jahr 1960 auf 75,1 (81,1) im Jahr 2000 gestiegen.62 Die Werte für
die DDR lagen im Durchschnitt um 2,5 Jahre niedriger. Als Gründe dafür werden Defi-
zite im Lebensstandard, schlechtere Arbeits- und Umweltbedingungen, höhere Selbst-
mordraten und schlechtere medizinische Versorgung angegeben.63
Überalterung (Zunahme des Altenquotienten)
Die Entwicklung der Geburtenhäufigkeit und der Sterbefälle verändert nicht nur die
Größe der Bevölkerung, sondern hat auch einen direkten Einfluss auf die Altersstruk-
tur. Der Indikator für die Altersstruktur ist der Altenquotient64, welcher die Bevölkerung
im Rentenalter auf die im Erwerbsalter bezieht. Tabelle 3 zeigt die Zunahme des Al-
tenquotienten.
Tabelle 3: Entwicklung des Altenquotienten seit 1871 und Vorausberechnung bis 2050
Jahr 1871 1900 1925 1950 1960 1970 1980 1990 2000 20102) 20202) 20302) 20502)
Altenquotient1) 15,7 16,4 16,9 26,5 32,1 39,8 35,9 35,2 42,7 46 54,8 70,9 77,81) Altenquotient: 60-Jährige und ältere je 100 Personen im Alter von 20 bis 59 Jahren. 2) Jahre 2010 bis 2050 nach Variante 5 der 10. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung Quelle: Eigene Erstellung nach Statistisches Bundesamt (2004a); Statistisches Bundesamt (2004b), S. 32.
Anhand einer Alterspyramide lassen sich geschlechtsspezifische Aussagen über die
vergangene sowie über die zukünftige Bevölkerungsentwicklung treffen.65 Aufgrund der
Wechselwirkungen zwischen natürlicher Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur
führen die unter Punkt 2.1.1 genannten Ursachen unabwendbar zu einer alternden
Gesellschaft.
Wanderungen (räumliche Bevölkerungsbewegung)
Der Wanderungssaldo als Differenz von Zu- und Abwanderungen gibt an, ob eine Re-
gion Bevölkerung gewinnt oder verliert. Wanderungen spielen für die Bevölkerungs-
entwicklung in Deutschland eine wichtige Rolle. Übersiedler, Arbeitsmigranten, Asyl-
bewerber und Aussiedler haben Größe und Struktur der Bevölkerung stark verändert
und beeinflusst.
Seit Bestehen der DDR und über die Wiedervereinigung hinaus hat Ostdeutschland bis
heute Wanderungsverluste gegenüber dem Westen. Tabelle 4 zeigt die Entwicklung
dieser Verluste, die durch den Mauerbau im Jahr 1961 erheblich reduziert wurden und
nach der Wende 1989/1990 wieder stark angestiegen sind.66
62 vgl. Institut der Deutschen Wirtschaft (2004), S. 9. 63 vgl. Geißler, R.; Meyer, T. (2002), S.61. 64 60-Jährige und ältere je 100 Personen im Alter von 20 bis 59 Jahren. Teilweise wird im Zähler auch die Gruppe der 65-Jährigen und Älteren gewählt. 65 Siehe Anhang II und für weitere Ausführungen vgl. Bähr (1997), S. 102ff. 66 vgl. Geißler, R.; Meyer, T. (2002),S. 67 f. für eine gute Ausarbeitung zur Geschichte der Migration zwi-schen Ost- und Westdeutschland.
19
Tabelle 4: Wanderungsverluste von Ost- an Westdeutschland seit 1950
Jahr 1950 1960 1970 1980 1989 1990 1991 1995 2000 Wanderungs-
verluste 262.822 222.322 18.582 14.214 383.261 359.126 169.476 25.273 61.277
Quelle: Eigene Erstellung nach Statistisches Bundesamt (2002), S. 51.
Wanderungen haben einen starken Einfluss auf die Altersstruktur. Die Altersgruppen,
die verstärkt wandern sind die 18- bis 25-Jährigen (Wanderungen zu Ausbildungszwe-
cken) und die 25- bis 40-Jährigen (Wanderungen geschehen aufstiegs- und familien-
orientiert). Dieser Fortzug der jüngeren Bevölkerung führt zur so genannten passiven
Alterung.67 Es gibt viele Ursachen und Determinanten für Wanderungen, die in ökono-
mische, personengebundene, naturgegebene und institutionelle Faktoren eingeteilt
werden können. Für die Darstellung der Wanderungstheorien wird auf die Literatur
verwiesen.68 In dieser Arbeit spielen Wanderungen aus ökonomischen Gründen wie
Arbeitsplatzangebot und Einkommensunterschiede eine bedeutende Rolle.
67 Flöthmann, E.-J. (2003), S. 44. 68 vgl. Bähr (1997), S. 290ff.; Geißler, R.; Meyer, T. (2002),S. 66ff.;
20
Anhang II: Alterspyramiden der Jahre 2001 und 2050
Quelle: Statistisches Bundesamt (2004b), S. 30.
Anmerkungen: Die Alterspyramide des Jahres 2001 steht bereits auf einem dünnen Fundament. Im
Jahr 2050 (Querbalken) hat sich die Bevölkerungsstruktur zu einer so genannten Ur-
nenstruktur bzw. zur Form eines Pilzes entwickelt.
21
Anhang III: Exkurs: Wo findet der demographische Wandel statt? Messung über Indikatoren und kartographische Darstellung. In diesem Exkurs soll die Frage beantwortet werden, wie der demographische Wandel
gemessen und kartographisch dargestellt werden kann. Als Beispiel dient die Karte des
BBR von schrumpfenden und wachsenden Städten in Deutschland, die im Anhang IV
abgebildet ist. Die Autoren haben sechs Strukturindikatoren für Schrumpfung und
Wachstum entwickelt, die in der Karte zu einer Größe aggregiert werden:69
• Bevölkerungsentwicklung in % 1997-2001
• Gesamtwanderungssaldo je 1.000 Einwohner 1999-2001
• Arbeitsplatzentwicklung in % 1997-2001
• Arbeitslosenquote Durchschnitt 2000/2001
• Realsteuerkraft in Euro je Einwohner Durchschnitt 1999/2000
• Kaufkraft in Euro je Einwohner 2000
Es wird festgestellt, dass Wachstum und Schrumpfung mehrdimensionale Prozesse
sind. Zwischen den Indikatoren bestehen unterschiedlich starke Korrelationen und die
Indikatoren gehen gleichgewichtet in die Analyse ein. Dazu fällt die Begründung der
Autoren recht knapp aus, „Schrumpfung als mehrdimensionaler zirkulärer Prozess der
Stadtentwicklung legt es nahe, alle Indikatoren [...] gleichgewichtet zu berücksichti-
gen.“70 Für jeden Indikator werden die Städte in der entsprechenden Rangfolge aufge-
reiht. Wenn der Wert eines Indikators im unteren Quintil liegt, wird dies als Schrump-
fung bezeichnet. Bei sechs betrachteten Indikatoren kann eine Stadt demnach bis zu
sechsmal im unteren Quintil liegen. Entsprechendes gilt für Wachstum: Eine Stadt
kann höchstens sechs Indikatorenwerte im oberen Quintil haben. Daraus ergibt sich
eine 12-wertige Skala, die in der Karte farbig kodiert ist, wobei blaue Farbtöne
Schrumpfung und rote Farbtöne Wachstum darstellen. Die Aussage der Karte ist, dass
es in Deutschland eine ungleiche regionale Verteilung von Wachstum und Schrump-
fung gibt: Während die Metropolräume die Wachstumsregionen sind, ist der gesamte
Osten bis auf wenige Ausnahmen in suburbanen Räumen ein Schrumpfungsgebiet. Im
Westen gibt es im Ruhrgebiet, im Saarland sowie an den Randlagen Schrumpfung.
Einige Aspekte der Karte und deren Indikatoren führen zu einer kritischen Bewertung.
Wachstum und Schrumpfung sind langfristige Prozesse. Deswegen verwundert es,
dass die Indikatoren über relativ kurze Zeiträume zwischen einem und fünf Jahren be-
trachtet werden. Angemerkt sei, dass der Indikator Kaufkraft nur für ein Jahr betrachtet
wurde und somit keine Entwicklung anzeigen kann. Es fehlen Angaben, wie mit einer
Stadt verfahren wird, die für einen Indikator im unteren Quintil und für einen anderen
69 vgl. Gatzweiler, H.-P.; Meyer, K; Milbert, A. (2003), S. 564. 70 ebenda, S. 564.
22
Indikator im oberen Quintil liegt. Da die Indikatoren gleichgewichtet betrachtet werden,
legt dies die Vermutung nahe, dass die Indikatoren gegenseitig aufgerechnet werden.
Bspw. würden fünf Indikatoren im unteren Quintil und ein Indikator im oberen Quintil
dann für die Stadt vier Indikatoren im unteren Quintil ergeben. Dies ist allerdings nur
eine Vermutung. Wegen der Betrachtung von Quintilen macht die Karte keine absolu-
ten Aussagen, sondern vergleicht die Städte in ihrer Rangfolge. Schrumpfende Städte
sind demnach die Schlusslichter, bzw. die unteren 20 Prozent. Dies bedeutet aber
nicht, dass es notwendigerweise einen absoluten Rückgang der Indikatorenwerte ge-
ben muss. Selbst wenn alle Städte über „gute“ Indikatorenwerte verfügten, lägen ge-
zwungenermaßen einige im unteren Quintil und würden bei der verwendeten Technik
als schrumpfende Städte ausgewiesen.
Bei der Erstellung von Karten müssen die Verteilung der Daten sowie der Raumeinhei-
ten beachtet werden. Bei der Arbeit des BBR werden Stadt- und Gemeindetypen als
Raumeinheit gewählt. Die Wahl von anderen Einheiten wie z.B. Kreisen könnte zu ei-
nem anderen Ergebnis führen. Durch die Festlegung der Brüche (hier Quintile) ergibt
sich ein bestimmtes Bild. Eine alternative Betrachtung z.B. von Quartilen oder Decilen
würde eine Karte mit anderer Aussage erzeugen. Didaktisch sei noch anzumerken,
dass die Skala in der Legende durch Verwendung des Begriffs Quintil für Laien nur
schwer verständlich ist.
23
Anhang IV: Schrumpfende und wachsende Städte in Deutschland
Quelle: Gatzweiler, H.-P.; Meyer, K; Milbert, A. (2003), S. 566.
Anmerkungen: Für Erläuterungen zur Legende siehe Anhang III. Deutlich zu erkennen ist ein
flächendeckender Schrumpfungsprozess im Osten. Bis auf einige suburbane Räume
z.B. um Berlin, Dresden, Magdeburg und Rostock weisen fast alle Städte Schrump-
fungstendenzen auf. Im Westen sind die stark wachsenden Metropolräume sichtbar.
Schrumpfung tritt im Westen nur regional begrenzt auf, z.B. im Ruhrgebiet, Saarland,
Harz oder in weiteren Randlagen.
24
Anhang V: Wirkungszusammenhang – demographischer und wirtschaftlicher Wandel in den Kommunen
Anmerkungen:
Demographischer und wirtschaftlicher Wandel stehen im Zentrum dieser Grafik. Die Ursache-Wirkungszusammenhänge sind durch Pfeile dargestellt.
25
Literatur
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