reisebericht seidenstrasse - 1. teil
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1 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
AUF DER SE IDENS TRASSE NACH HONGKONG
Eindrücke einer 5 1/2 monatigen Reise mit Bus, Bahn,
Sammeltaxi und Schiff. Von der Türkei in den Iran und
weiter über Pakistan nach China.
1 . T E I L : E UROPA - PAK I S TAN
2 Der Weg ist das Ziel ...
Jetzt habe ich sogar etwas Angst. Angst, ob mein Ent-
schluss, für ein halbes Jahr „auszusteigen“, mit dem
Rucksack entlang der Seidenstraße nach China zu rei-
sen, denn überhaupt richtig ist.
Ordentliche Söhne arbeiten nach der Reifeprüfung
drei Monate in einer Bank oder einer anderen honori-
gen Firma, bereiten sich dann auf die Verteidigung des
geliebten Vaterlandes vor, beginnen ein Hochschulstu-
dium, suchen sich einen mehr oder weniger gut be-
zahlten Job, gründen eine Familie, machen Karriere,
erwachen nach einer Herzattacke beim lieben Gott
und träumen fünfzig Jahre von einem besseren Leben.
Doch ich undankbarer Wohlstandsekel will schon mit
neunzehn aus diesen seit Großvaters Zeiten vorge-
zeichneten Lebensbahnen ausbrechen, sie verändern
und verzögern und stehe jetzt um 19.30 Uhr mit Mut-
ter und Vater am Salzburger Hauptbahnhof. Um die
Abschiedsszene kurz zu machen, ruckt pünktlich die
Elektro-Lok den Istanbul-Expreß an, und ich rolle
langsam Richtung Süden, dem unbekannten Aben-
SALZBURG
18.7. - 25.7. Salzburg – Istanbul Mit dem Balkan-Express durch den Rest von Europa
3 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
THES SALONIK I
teuer entgegen.
Eigentlich ein sehr schönes Land, das da draußen von
der Abendsonne beschienen wird. Keine Ahnung, wa-
rum mir das immer auffällt, wenn ich in einem Wag-
gon Richtung Balkan rolle. Keine Ahnung auch, ob ich
all diese Gefahren und Probleme meistern kann, die
bei jeder Reise auftreten. Auf Fragen des „Was wäre
wenn“-Spiels wusste ich nicht immer befriedigende
Antworten und konnte nur mit der Gewissheit frühe-
rer Reisen sagen, dass, egal was auch passieren möge,
die Welt sich weiterdrehen wird.
Doch schon nach ein paar Stunden, an der österrei-
chisch-jugoslawischen Grenze, werde ich in den Reise-
alltag gestürzt, der mir in der Regel keine Zeit für
düstere Zukunftsvisionen lässt. Gegen Mitternacht rei-
he ich mich in die Schlange vor dem einzigen geöffne-
ten Schalter ein und hoffe, eine Fahrkarte bis zur ju-
goslawisch-griechischen Grenze zu bekommen. Na-
türlich könnte ich mich jetzt auch bequem in meinem
Abteil lang strecken, doch der Geiz treibt mich dazu,
nur Fahrkarten von Grenze zu Grenze zu kaufen. So
kostet mich die Reise nur die Hälfte eines regulären
Jugendtickets Salzburg - Istanbul.
In Belgrad wechsle ich mein komfortables österreichi-
sches Abteil gegen einen hoffnungslos überfüllten ju-
goslawischen Waggon. Es ist heiß und wir haben Ver-
spätung. Schon wieder stehen wir „mitten in der Pam-
pas“, wie sich ein Italiener schräg gegenüber aus-
drückt. Trotzdem ist die Reise kurzweilig: Ich sitze ne-
ben einer Toilette, deren Tür nicht zu versperren ist.
So habe ich die delikate Aufgabe, die nächsten vier-
4 Der Weg ist das Ziel ...
KAVALA
zehn Stunden Klo-Mann zu spielen. - Verdammte Sch....!
In Thessaloniki kann ich dann vier Stunden auf dem Bahnhofsboden
rasten, umgeben von Heerscharen anderer Tramper. Jetzt um 1.00 Uhr ist
alles ruhig. Nur ein Grieche versucht leise zwei Mädchen zu beschwatzen.
Es ist sehr, sehr dumm, und ich schlafe bald ein.
Um 5.30 Uhr stehe ich auf und erstehe drei Fahrkarten nach Alexandro-
poulis, einer kleinen Hafenstadt nahe der türkischen Grenze. Ich reise
jetzt zusammen mit einem deutschen Pärchen, das auch in die Türkei will.
Die Bahnlinie führt zuerst Richtung Norden, fast bis zur bulgarischen
Grenze, bevor sie sich durch die Ausläufer des Rhodopen-Gebirges kur-
venreich nach Osten schlängelt.
Griechenland ist hier überraschend grün. Immer wieder erklimmt der
Diesel-Triebwagen steile Höhen, fährt durch einen kurzen Tunnel und
steigt wieder hinab in ein dichtbewachsenes Flusstal. In der Mittagshitze
habe ich einen Tagtraum: Hier ein Schlauchboot ins Wasser setzen und
sich zur Ägäis runtertreiben lassen.
5 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
Die Gegend ist dünn besiedelt: Drei oder vier größere Dörfer, die staubig unter
der Mittagssonne rasten, ein paar Autos mit deutschen Kennzeichen, Gastar-
beiter. Dieses Hinterland zwischen Bulgarien und der Türkei hat keine Zukunft.
Nur mehr ein Platz für Alte, Fremdarbeiter, sterbende Dörfer und einen rußen-
den Anachronismus, der viel zu langsam Richtung Osten zuckelt.
Bei der Busstation in Alexandropoulis gibt es dann lange Gesichter: Der nächs-
te Bus zur Grenze fährt erst in fünf Stunden. Die Deutschen haben eine Idee:
Sie müssten eigentlich einen Brief für einen griechischen Freund abgeben. Man
könnte sich ja treffen, einen Kaffee trinken, plaudern und gemeinsam zur
Grenze fahren. So war es dann auch. Nur dass der griechische Freund bis vor
zehn Jahren noch in Istanbul gelebt hat. Vorher auf Gökceada, einer kleinen
türkischen Insel 50 km vor dem griechischen Festland. Bis fünf und sechzig,
dann wurden die griechischsprechenden Bewohner enteignet, deportiert, über
die Gemüsefelder eine Start- und Landebahn gewalzt, darauf amerikanische F-
16 - griechisch-türkische Freundschaft. Als er uns in seinem BMW zur Grenze
bringt, zeigt er uns einen Hügel, von dem man bei guter Witterung zu „seiner“
DARDANEL LEN
I S TANBUL
6 Der Weg ist das Ziel ...
DOLMUS
HAGH IA SOPH IA
Insel sehen kann.
Meine Freunde sind überrascht, dass sie nicht per pedes von der griechischen
zur türkischen Grenzstation gehen dürfen. Mir sind diese Schikanen schon von
früher bekannt. So fahren wir bei zwei griechischen Fernlastern mit - Geschäf-
te kennen ja bekanntlich keine politischen Grenzen.
Die letzten 200 km von Kesan nach Istanbul lege ich mit einem Bus zurück.
Beim ersten Stop kaufe ich mir ein Fanta. Ich bin zufrieden: Es kostet 500 Lira
oder 35 Cent. Vor zwei Jahren hat es 300 Lira gekostet, was auch 35 Cent wa-
ren. Auch die Pfirsiche sind nicht teurer geworden. Nur die Türken wissen
nicht, woher sie die 200 Lira Differenz nehmen sollen.
Spätabends komme ich am Topkapi-Busbahnhof an. Hier draußen, außerhalb
der alten Stadtmauern, herrscht auch um diese Zeit noch hektisches Treiben:
Buschauffeure, Reisende, Bettler und Händler, die irgendwelchen Kleinkram
verkaufen. Dazu mischt sich noch der Duft von Gebratenem, Dieselabgasen
7 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
GROSSER BASAR
HOSTE L S
und Staub. Doch ich muss diesen Jahrmarkt aus Träumen vom besseren Leben
in der Stadt, vom Urlaub am Meer oder vom Besuch der Eltern, Verwandten in
irgendeinem anatolischen Dorf, Busstunden entfernt, verlassen und mich mei-
ner ganz profanen Suche nach einem Schlafplatz widmen.
Die Preise sind in den letzten zwei Jahren kräftig gestiegen: Für ein Bett verlan-
gen sie im Yücelt-Youth-Hostel mittlerweile € 6,75, doppelt so viel wie früher.
Schließlich lande ich auf dem Dach des Büyukayasofia Otelis, wo ich für € 1,70
meinen Schlafsack neben einem Haufen Müll ausrolle. Doch egal, nichts wie
schlafen. Drei Tage war ich jetzt fast ununterbrochen durch den Rest von Eu-
ropa unterwegs.
Am nächsten Tag treibt mich dann die Sonne aus dem Schlafsack. Als ich un-
willig die Augen aufschlage, bleibt mir vor Überraschung fast das Herz stehen:
Direkt gegenüber liest einer ganz unbekümmert in „meinem“ China-
Reiseführer. Ausgeraubt? Ein schneller Blick auf meinen Rucksack belehrt mich
eines Besseren.
8 Der Weg ist das Ziel ...
BLAUE MOSCHEE
BOSPORUS
Da mir mein jetziger Schlafplatz neben Plastikflaschen und Obstabfällen ohne-
hin nicht zusagt, warte ich, bis neben ihm ein Platz frei wird. „Ist da noch
frei?“ - „Ja, ja. Der fährt, glaube ich, heute ab.“ - „Wo soll denn die Reise hin-
gehen?“ - „Nach Australien.“ - „Über China?“ - „Ja, wir fliegen zuerst nach Pa-
kistan und dann weiter nach China.“ - „Tatsächlich? Ich fahre durch den Iran.“
- „Wie bitte?“ - „Ich fahre durch den Iran nach Pakistan und weiter nach
China.“ - „Das gibt es doch nicht!“ - Sofort beginnen wir unsere Reiserouten
zu besprechen, Informationen auszutauschen und Pläne zu schmieden. Dann
stoßt noch ein Deutscher zu uns, der ebenfalls durch den Iran nach Pakistan
will und eine Gruppe anderer Deutscher, die Richtung Indien unterwegs sind. -
Dieser Tag fällt für Sightseeing vorerst einmal flach.
Eigentlich wollte ich dieses Mal nur drei Tage in Istanbul bleiben und zügig
nach Osten Weiterreisen. Geworden sind es dann doch fünf, obwohl ich mir
gar nicht so viele Sehenswürdigkeiten angeschaut habe.
Dafür war ich auch im Sultan-Pub, wo zwar das Bier etwas teurer ist, dafür
9 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
TOPKAP I PALAS T
aber ein abendfüllendes Programm geboten wird: Hier begegnen sich Orient
und Okzident oder „Wie bekommt der türkische Macho die Europäerin her-
um?“. Es ist großartig, das zähe Ringen eines Istanbuler Papagallos live mitzuer-
leben. Oder das Underground-Lokal, ein vielleicht 15 Quadratmeter großer
Stehausschank unter Gehsteigniveau, wo die heißesten westlichen Songs ge-
spielt werden. Hierher bringen Türken auch ihre europäischen Geschäftsfreun-
de mit, um ihnen vorzuführen, wie fortschrittlich Istanbul sei. Den Geschäfts-
leuten in ihren unbequemen Anzügen ist das meist sichtlich unangenehm und
sie fühlen sich ziemlich deplaziert.
10 Der Weg ist das Ziel ...
26. 7. - 6. 8. Istanbul – Dogubayazit Von der Mondlandschaft Kappadokiens, den Götterfiguren am Nemrut Dag und dem Van-See zum Berg
Ararat, wo Noah mit seiner Arche gestrandet sein soll
Zwanzig Stunden dauert die Bahnfahrt von Istanbul
ins fast 1.000 km östlich gelegene Kayseri. Für € 3,30
bekomme ich einen ersten Vorgeschmack, was Bahn-
fahren in der zweiten Klasse in Asien bedeutet: Zu
zehnt sind wir in einem Achterabteil eingequetscht,
das bei uns höchstens mit sechs Personen belegt wür-
de. Dazu noch kaputte Fenster und eine Affenhitze.
Einer meiner Mitreisenden, ein Automechaniker aus
Mus, beginnt gleich, mich mit Fragen zu löchern. Sein
Englisch hat er selbst gelernt, als Autodidakt, und so
übersetzt er die drängenden Fragen seiner Freunde:
Woher kommst Du? Verheiratet? Wie viel verdienst
Du? Was kostet das? - Ich versuche die Fragen ehrlich
zu beantworten, doch obwohl ich ständig untertreibe,
komme ich mir wie der reiche Onkel aus Amerika vor,
der ich, auch wenn ich mir es im Moment nicht einge-
stehen will, letztendlich wohl bin.
Dann noch die Standardfrage: „Glaubst Du an Gott?“
11 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
KAPPADOK I EN
Darauf meine Standardantwort: „Ich bin Katholik.“ Seine Freunde stellt diese
Entgegnung zufrieden, nur mein Dolmetscher hakt zweifelnd nach: „Ja, na-
türlich Katholik. Aber glaubst Du denn wirklich daran?“ Ich bleibe dabei,
weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Andersgläubige in islamischen
Ländern mehr oder weniger toleriert werden, Gottlose aber echten Hass auf
sich ziehen. Um so überraschter bin ich über seine Antwort: „Ich bin Atheist.
Religion und so, das sind Märchen, die man kleinen Kindern erzählt. Oder
hast Du schon einmal Gott wirklich gesehen?“
Die Mondlandschaft von Kappadokien ist wunderschön und deshalb von
Touristen überlaufen. Als ich in Ürgüp auf dem Campingplatz ankomme, ste-
he ich auf einer riesigen Baustelle. „Vor zwei Jahren hat hier das Swimming-
pool gestanden“ meine ich zum Besitzer, der wissend lächelt und mir erzählt,
dass jetzt ein Hotel gebaut, das große Geld gemacht werde. Ich habe da mei-
ne Zweifel, aber ein junger Angestellter vom Tourist-Office bestätigt mir,
dass vor zwei Jahren nur die Hälfte der Hotels gestanden habe.
12 Der Weg ist das Ziel ...
ZE LVE
Nach zwei Tagen ziehe ich weiter zum nächsten Fixpunkt auf dem Osttürkei-
Tourist-Trail, dem Nemrut Dag bei Kahta. „What do you want Mister, sunset
or sunrise tour? Very cheap!“ Nein danke, das hatte ich schon einmal: Mitten
in der Nacht rein in den Dolmus, Sonnenaufgang am Berg, Photo, todmüde zu
den anderen Sehenswürdigkeiten, wieder Photo, und zurück.
Dieses Mal will ich mir mehr Zeit nehmen. Zuerst fahre ich mit einem Dolmus
Richtung Gerger, was vor Abfahrt zu einem gewaltigen Stunk führt: Ein
Sunset-/Sunrise-Tour-Unternehmer bekommt Wind davon, dass ich Richtung
Nemrut Dag mitfahre und beschwert sich lautstark bei meinem Fahrer. Der
fürchtet nun seinerseits, dass ihm das Geschäft mit mir durch die Lappen ge-
hen könnte und gibt ihm mit gleicher Münze heraus. Als dann auch noch die
anderen Passagiere für mich Partei ergreifen, gibt der geschäftstüchtige Unter-
nehmer nach.
Jetzt am Nachmittag ist es am Gipfel noch angenehm ruhig. Erst kurz vor
Sonnenuntergang rumpeln gezählte zwanzig Dolmuse die holprige Piste herauf
NEMRUT DAG
13 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
und entladen ihre Last. An ein Naturerlebnis in Stille und Beschaulichkeit ist
dabei nicht zu denken.
Nach einer kühlen Nacht am Berg mache ich mich zum Abstieg nach Eski
Kahta bereit. Ich folge einer in meinem Reiseführer lässig geschwungenen Li-
nie und verlaufe mich prompt. So muss ich ca. 500 Höhenmeter einen Geröll-
hang hinunter. Die Steine sind zu grob, um richtig hinuntergleiten zu können,
aber auch zu klein, um richtig Halt zu finden. Dazu drückt noch mein schwerer
Rucksack nach unten. Total fix und foxi lege ich mich nach einer Stunde be-
schwerlichen Abstiegs unter den Schatten eines Baums, neben mir sprudelt be-
ruhigend eine Quelle.
Als ich mich wieder auf die Socken machen will - noch warten acht Kilometer
Weg in der Mittagshitze auf mich - kommt ein Hirte mit seiner Schafherde vor-
bei. Er drängt mich, unbedingt zu ihm nach Hause Mittagessen zu kommen.
Mir ist diese unverhoffte Einladung sehr recht, weil ich in den letzten 24 Stun-
den nur eine Packung Kekse gegessen habe.
14 Der Weg ist das Ziel ...
Er führt mich in die „gute“ Stube und bedeutet mir, auf den Teppichen Platz
zu nehmen. Bis seine Frau mit dem Essen fertig ist, unterhalten wir uns, was
bei meinen minimalen Türkisch-Kenntnissen sehr zeitaufwendig ist. Stolz zeigt
er mir Fotos von einer Reise nach Istanbul. Nachdem ich alles ausgiebig be-
wundert hatte, bringt seine Frau das Essen: Gemüseeintopf, Fladenbrot,
Schafskäse und als Nachtisch Pflaumen und Honigwasser. - Mein Hunger ist
noch größer als das schlechte Gewissen, einem einfachen Schafhirten ein Fest-
tagsmahl wegzufressen.
Nachdem ich mich nochmals herzlich bedankt habe, mache ich mich auf den
Zweistundenmarsch nach Eski Kahta. Doch ich komme nicht weit: Schon
nach einer halben Stunde muss ich den Straßenrand aufsuchen, und die Köst-
lichkeiten rinnen geradezu hinten aus mir heraus. Das Weitergehen ist sehr
mühsam, und ich bin heilfroh, dass mich Deutsche, die sich verfahren haben,
in ihrem Auto nach Kahta mitnehmen.
Da jetzt am Nachmittag kein Bus mehr nach Diyarbakir fährt, beschließe ich
15 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
nach ein paar Gläsern Cay zu trampen. Nach kurzer Zeit hält ein total überlade-
ner LKW an. Mit 50 km/h Höchstgeschwindigkeit bergab und mit viel Rücken-
wind zuckelt der Ford Cargo Richtung Diyarbakir.
„Nein, tut mir leid, für heute haben wir keine freien Plätze mehr nach Tatvan.“
- Das ist jetzt schon die fünfte Agentur, bei der ich vergeblich frage. Eine
ungewöhnliche Situation, denn das Busnetz ist in der Türkei bestens ausgebaut
und normalerweise ist es kein Problem, freie Plätze zu finden. Bei der sechsten
Anfrage klappt es dann. Am Busbahnhof stellt sich aber heraus, dass da wohl
mehr das Wunschdenken des Kartenverkäufers als das tatsächliche Angebot im
Vordergrund gestanden hat. Wie dem auch sei, nach einer Stunde habe ich ei-
nen Platz, zwar in einem Bus einer ganz anderen Gesellschaft und mit einem
anderen Fahrtziel, aber immerhin, ich konnte mitkommen.
Für die Fahrt hat mich mein Sitznachbar, ein Schuldirektor aus Diyarbakir,
adoptiert. Bei jedem Stop gibt er mir einen Cay aus, nicht einmal das Abendes-
sen gelingt mir selbst zu bezahlen. „Kurdische Gastfreundschaft“ meint er nur
D IYARBAK I R
16 Der Weg ist das Ziel ...
NEMRUT DAG
bescheiden.
Mit vorgerückter Stunde wird die Stimmung im Bus lockerer. Wieder einmal
wird die in türkischen Bussen unvermeidliche Musikkassette gewechselt.
„Willst Du kurdische Musik hören?“ fragt mich der Schaffner. „In Ordnung,
ja“, wenigstens etwas anderes als das ewige türkische oder arabische Gedudel,
das mir mit der Zeit ziemlich auf den Geist fällt. Die neue Kassette ist eine
Amateuraufnahme: angenehm einfach, mit viel Gesang. Auch meine Mitfahrer
sind begeistert. Erst später wird mir bewusst, was für ein Risiko hier die Busbe-
satzung eingegangen ist: Das Spielen kurdischer Musik ist in der Türkei verbo-
ten, selbst die Existenz von Kurden oder Bergtürken, wie sie im offiziellen
Sprachgebrauch heißen, wird geleugnet.
Gegen Mitternacht stoppt der Bus an einer Kreuzung 13 km vor meinem
Fahrtziel. Die Busfahrer halten einen Dolmus auf und hieven meinen Ruck-
sack auf den Dachträger. Ich selbst fahre auf der Leiter hinten oben hängend
mit.
17 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
Die Bethlehem-Tour gestaltet sich in Tatvan überraschend schwierig. Erst im
dritten Hotel kann ich in einem Vierbettzimmer unterkommen. Die Bettbezüge
starren vor Dreck - hoffentlich bekomme ich keine Flöhe. Aber egal, es kostet
nur € 10,15 und morgen bin ich sowieso wieder weg. Als ich mich todmüde
aufs Ohr legen will, fängt ein Typ an, mit mir zu quatschen. Er spricht kaum
Englisch, ich kaum Türkisch und das alles um ein Uhr nachts. Meine Leistungs-
grenze ist erreicht - bald verstehe ich weder Türkisch noch Englisch. Gott sei
Dank gibt er auf, und ich falle sofort in tiefen Schlaf.
„Paschem“, großartig geht es mir hier auf dem Nemrut Dag, einem 2.830 m
hohen Vulkan, ein paar Kilometer nördlich von Tatvan. Ich sitze gerade beim
Frühstück im „Gastgarten“ eines kleinen Restaurants, im Hintergrund leise
Klaviermusik vom Band, vor mir der Kratersee. Nach einer kalten, stürmi-
schen Nacht schmeckt der heiße Tee hervorragend, dazu Weißbrot, Schafskäse
und Honigwaben.
Auch Bernd, ein Deutscher, der nach Pakistan wollte, aber nicht genug Zeit
18 Der Weg ist das Ziel ...
VAN SEE
I NSE L AKDAMAR
hatte, um auf das Iran-Visum zu warten, ist rundherum zufrieden. Er hatte sich
gleich auf den 1.900 km langen Weg gemacht, als ich ihm vor einer Woche in
Istanbul von diesem Plätzchen erzählt habe. In ein, zwei Stunden werden wie-
der die ersten Tagesausflügler von Tatvan hochkommen und im größten Kra-
tersee der Türkei baden, aber am Nachmittag wird es wieder ruhig werden und
sich eine handvoll Rucksacktouristen und Camper zum Abendessen und Gute-
Nacht-Schwätzchen treffen. Lange kann man hier oben sowieso nicht her-
außen sitzen, denn wenn die Sonne weg ist, kommt Wind auf und es wird
schnell kalt. Der Restaurantbesitzer, ein Kurde, holt drei uralte Schießprügel
hervor. „Zum Schutz gegen Bären“, wie er uns versichert. Wir verdächtigen
ihn aber mehr der Wilderei.
Nach drei Tagen verlasse ich dieses kleine Paradies. Dabei kommt es beinahe
zum Eklat: Der Dolmusfahrer will mich nicht mehr hinunternehmen, obwohl
ich für Hin- und Rückfahrt bereits gezahlt habe. Er sei voll, erzählt er mir, was
aber nicht stimmt. Ich könnte ja bei seinem Kollegen mitfahren - gegen volle
Bezahlung natürlich. „Und unten halbe halbe. Das kannst Du mit mir nicht
19 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
VAN - DOGUBAYAZ I T
BERG ARARAT
machen!“ Ein heftiger Streit entzündet sich. Erst als der Restaurantbesitzer
auch für mich Partei ergreift, lenkt der Dolmusfahrer ein und ich kann mitfah-
ren. Er ist bitterböse, aber ich sitze im Dolmus.
Normalerweise sind € 1,35 kein Betrag, über den ich lange diskutiere, aber so
plump lasse ich mich dann auch nicht betrügen. Wenn ich bei normalen Ge-
schäften übervorteilt werde, nehme ich das ruhig hin, solange es sich im Rah-
men hält und nicht zu offensichtlich geschieht. Aber alles hat seine Grenzen!
Dogubayazit ist meine letzte Station in der Türkei. Hier, im Dreiländereck Tür-
kei - Iran - Armenien, im Schatten des Agri Dagi, des Berges Ararat, auf dem
die Arche Noah gestrandet sein soll, bleibe ich noch zwei Tage, trinke noch ein
Bierchen und telefoniere nach Hause. Ich zögere etwas. Wenn ich von hier ab-
reise, gibt es kein Zurück mehr. Fünf Tage gilt mein Transitvisum für den Iran:
Ein Tag bis Teheran, zwei Tage zur iranisch-pakistanischen Grenze, macht ei-
nen Tag Luft. Der nächste mögliche Stop ist Quetta in Pakistan, 3.300 km
östlich.
20 Der Weg ist das Ziel ...
DOGUBAYAZ I T
Mein Zimmer teile ich mit einem Exil-Iraner aus den Niederlanden. Schon seit
zwei Wochen wartet er auf einen Besuch seiner Eltern aus dem Iran. Seine
Aufenthaltsgenehmigung für die Türkei erlischt in den nächsten Tagen und
noch immer keine Nachricht von seinen Eltern. Das Warten macht ihn ganz
krank, aber noch hat er Hoffnung. Mit seinem Kurzwellenempfänger hört er
Radio Teheran und BBC London.
Auch ich will versuchen, mir ein Bild über die Stimmung im Land zu machen,
liegt doch der Abschuss eines Passagierflugzeuges der Iran-Air durch ein ame-
rikanisches Kriegsschiff erst vier Wochen zurück. Durch seine Vermittlung ler-
ne ich zwei junge Iraner kennen, die mich in ihrem Auto bis Teheran mitneh-
men wollen.
I SAK PASHA PALAS T
21 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
Pünktlich um zehn Uhr holen sie mich ab. Wenn ich
jetzt geglaubt habe, dass es losgehen könnte, habe ich
mich geirrt. Erst werden 100 kg Zucker, der im Iran
Mangelware ist, eingekauft und auf dem Dachgepäcks-
träger verschnürt. Aber noch sind die Zollfreigrenzen
nicht ausgereizt. Eine Werkstatt wird angefahren, vier
Reifen erstanden und ebenfalls am Dach festgezurrt.
Als das Auto bei der nächsten Kurve fast umkippt,
verstauen wir die zwei Zuckersäcke auf den Kot-
flügeln.
Solcherart bepackt schleppt uns der Iran-Eigenbau
Richtung Grenze. Doch wir kommen nicht weit:
Schon nach zehn Kilometer halten wir an einem
Truck-Stop, um Mittag zu essen und, gemäß den To-
talprohibitionsbestimmungen der Islamischen Repu-
blik, eine halbe Flasche Whiskey zu vernichten. Vor
der Weiterfahrt bekommt jeder noch zwei Kau-
gummis.
Nach einer zügigen Abfertigung auf türkischer Seite
7. - 22. 8. Dogubayazit – Rawalpindi Mit einem Transitvisum durch die Islamische Republik Iran und ohne Rucksack weiter zum indischen
Subkontinent
22 Der Weg ist das Ziel ...
stehe ich „not east not west“ sondern im Transitraum
der Islamischen Republik Iran. Im dunklen Zimmer
hängt ein Bildnis des Revolutionsführers Khomeini,
der, wie mir scheint, aufmerksam die Einreisevor-
schriften studiert.
Nach einer Stunde werde ich aufgerufen und muss zur
Bank Melli gehen, um US$ 150,– zum offiziellen Kurs
zwangszutauschen. Da ich bei dieser Transaktion 90
% meines Geldes verliere (der Schwarzmarktkurs ist
zehnmal so hoch wie der offizielle Kurs), zücke ich
American-Express-Travellers-Cheques, die man auch
anstandslos wechselt. „Business is business“, auch in
der „Islamic Republic of Iran“.
Nachdem ich für die Devisenerklärung mein Geld pe-
nibel auf Heller und Pfennig vorgezählt hatte, werden
meine Freunde und ich zur Zollkontrolle entlassen.
Ein freundlicher Beamter stellt meinen Rucksack auf
den Kopf - keine Beanstandungen. Meinen Freunden
wird das halbe Auto auseinandergenommen, wobei
sich an drei Dosen Kosmetika eine Diskussion ent-
zündet. Sie müssen in einem Zoll-Lager deponiert
werden und können bei der nächsten Ausreise wieder
ausgeführt werden.
Nach sechs Stunden sind wir durch und gehen Abend-
essen. Im Restaurant läuft ein Fernseher, Abendnach-
richten. Als sie zu Ende sind, erzählen mir meine
Freunde von einer Veränderung: Vor drei Monaten,
als sie den Iran verlassen haben, riefen die Freiwilligen,
die an die Front fuhren, „Wir kämpfen für den Sieg“,
heute kämpfen sie für den Frieden.
23 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
UNTERWEGS NACH T EHERAN
GÄRTEN S IND DER GANZE S TOLZ
Bei der Weiterfahrt müssen wir in Grenznähe mehrere
Straßenkontrollen passieren. Auch mein Pass wird im-
mer gründlich studiert, wobei manche erst beim Foto
merken, dass sie ihn verkehrt in der Hand halten. Bei
einer Kontrolle werden meine Freunde scharf darauf
hingewiesen, das internationale Kennzeichen abzu-
montieren und wieder das iranische anzubringen.
„Revolutionsgardisten“ meinen sie abwertend. Die
Kontrollen der Armee sind ihnen lieber.
Die Fahrt durch den Iran kommt mir irgendwie un-
wirklich vor. Wir hören die neuesten westlichen Hits,
oder was gerade in Bulgarien darunter läuft, plaudern
über den „western way of life“ und rollen auf gut aus-
gebauten Straßen Richtung Teheran.
Meine Freunde erscheinen mir ziemlich „westernized“
in ihrer Lebensweise und Lebensauffassung. Auf der
anderen Seite sind sie auch stolz Iraner zu sein. Stolz,
dass sie es geschafft haben, einen mehr oder weniger
funktionierenden Staat aufrechtzuerhalten, obwohl der
Rest der Welt sie offiziell geschnitten hat. Sie erzählen
mir, dass sie privat viele Dinge tun können, die offi-
ziell verpönt sind. Das ganze Leben zieht sich mehr in
die eigenen vier Wände zurück, eine Art iranischer
Biedermeier. Ihre Zukunftshoffnungen richten sich
auf die Ära nach Khomeini, von der sie sich wieder ei-
ne Öffnung zum Ausland erhoffen.
Gegen Abend erreichen wir Teheran. Meine Freunde
wollen ein billiges Hotel für mich suchen, aber bald
stellt sich heraus, dass alle günstigen Unterkunftsmög-
lichkeiten belegt sind. Viele Landbewohner kommen
für ein paar Tage nach Teheran, um sich mit knappen
24 Der Weg ist das Ziel ...
Gütern einzudecken und verstärken somit den Mangel
an preiswerten Betten. Da meine Freunde noch weiter
wollen, rufen sie mir nach eineinhalb Stunden erfolg-
loser Suche ein Taxi, das mich für einen Fixpreis zu
weiteren Hotels bringen soll.
Ich deponiere meinen Rucksack auf der Ladefläche
und setze die „Bethlehem-Tour“ fort. Als ich aus dem
ersten Hotel wieder erfolglos herauskomme, ist mein
Taxi verschwunden. - „Das gibt es doch nicht!“ Ver-
zweifelt laufe ich die Straße auf und ab, doch keine
Spur von dem Fahrzeug oder meinem Rucksack.
Ich könnte mich über meine Faulheit und Dummheit
grün und blau ärgern: Hätte ich nur meinen Rucksack
mitgenommen, hätte ich nur die Nummer notiert, hät-
te ich nur ... Doch Selbstvorwürfe bringen mich auch
nicht weiter - jetzt heißt es kühlen Kopf bewahren: Ich
muss zur Polizei und den Diebstahl anzeigen. Aber
Stopp! - Ich habe ja gar keine Ahnung, wo ich bin und
würde die Straße, in der ich bestohlen wurde, nie mehr
wieder finden.
Ich spreche einen Ladenbesitzer an, dem ich meine Si-
tuation klarmachen kann und bitte ihn, mir den Hotel
und Straßennamen auf Farsi aufzuschreiben. Dann
hält er mir noch ein Auto an, das mich zur nächsten
Polizeistation bringt.
Nachdem ich den Beamten mit kleinen Comic-Strips
klargemacht hatte, dass ich kein Hotel suche, sondern
vor einem Hotel bestohlen wurde, eröffnen sie mir,
dass sie nicht zuständig seien. Mit einem Taxi schicken
sie mich zu einem anderen Polizeiposten.
VERLUS TANZE IGE
25 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
I S FAHAN
PERSEPOL I S
Dort beginnt das ganze Theater wieder von vorne:
Zeichnungen, Gesten, ... - Ich ziehe zur Belustigung
des gesamten Postens eine one-man-show ab. Doch
die Beamten verlieren rasch das Interesse, als sich her-
ausstellt, dass mir kein Geld gestohlen wurde. Dann
werde ich wieder zur ersten Polizeistation zurück-
geschickt.
Da es mittlerweile schon weit nach Mitternacht ist, bit-
te ich die Polizisten, den Rest der Nacht auf ihrem
Posten verbringen zu dürfen. Doch das lehnen sie
strikt ab. Ich gebe vor, sie nicht zu verstehen und set-
ze mich auf eine Bank.
Darauf holen sie einen Typen, der ein aufreizend höf-
liches Englisch spricht, und werfen mich hinaus. Mein
Begleiter gibt mir zu verstehen, dass seine Hauptauf-
gabe sei, dafür zu sorgen, dass ich bis zum Morgen
nicht zum Polizeiquartier zurückkehre.
Nach einigem Widerstreben, immerhin sind es fast ei-
ne Stunde Fußmarsch, bringt er mich zum im Süden
der Stadt gelegenen Bahnhof. Dort habe ich bis zum
Morgengrauen Zeit, meine Lage zu überdenken. Mein
Rucksack mit Klamotten, Schlaf sack, Zelt, Teleobjek-
tiv und Filme ist weg. Auf der Habenseite kann ich
meinen Pass, das gesamte Geld, meinen Fotoapparat
und noch ein paar Kleinigkeiten verbuchen, die sich
zufällig im Daypack befanden. Eigentlich spricht
nichts dagegen, meine Reise Richtung Osten fortzuset-
zen. Fehlende Ausrüstungsgegenstände kann ich ja in
Pakistan kaufen oder mir nachschicken lassen.
Am nächsten Morgen kreuze ich wieder bei der Poli-
26 Der Weg ist das Ziel ...
zeistation auf, doch die Beamten bleiben unfreundlich
und abweisend. Als Entschädigung laufe ich Aman, ei-
nem Gewichtsheber, Motorradfreak und Khomeini-
Fan, über den Weg. Er packt mich auf seine Suzuki
und bringt mich zu sich nach Hause. Nach einem or-
dentlichen Frühstück, ich habe unvorsichtigerweise
zugegeben, dass ich schon seit zwanzig Stunden nichts
mehr im Magen hatte, bringt er mich zur österreichi-
schen Botschaft. Vor dem Gebäude warten schon eine
Menge Leute, doch als ich meinen Pass vorzeige, wer-
de ich sofort hineingelassen.
Man ist sehr freundlich, doch der stellvertretende Bot-
schafter erklärt mir, dass es praktisch unmöglich sei, so
etwas wie eine Diebstahls- oder Verlustanzeige zu be-
kommen. Das einzige, was sie für mich tun könnten,
sei, mir bei der Weiterreise zu helfen.
Da Busplätze wegen Truppenverschiebungen für die
nächsten zwei Tage ohnehin ausgebucht sind, kommt
für mich nur mehr das Flugzeug in Frage. Doch auch
hier ist kein Platz mehr frei, was überhaupt kein Prob-
lem sei: Sie kennen da jemanden bei Austrian Airlines,
der wiederum jemanden bei einem Reisebüro kennt,
der seinerseits jemanden bei Iran-Air kennt ... - In
zwei Stunden soll ich das Ticket bei der „Round the
world travel agency“ abholen. In der Zwischenzeit
kann ich bei einem eisgekühlten Cola noch ein Telex
für meine Eltern aufsetzen, das sie kostenlos übermit-
teln wollen.
Während ich kreuz und quer durch die Stadt fahre, ler-
ne ich auch eine andere Seite von Teheran kennen:
Freundliche Passanten, die sich stets bemühen, mir
weiterzuhelfen und mir sogar Fahrkarten für die Stadt-
ROSENGARTEN
27 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
busse schenken. Oft komme ich auch an Mauern vor-
bei, die mit furchtgebietenden Hetzparolen gegen die
USA beschmiert sind, davor spazieren schwarzverhüll-
te Frauen, unter deren Umhang zwei blaue Jeansröh-
ren hervorgucken.
Die Nacht verbringe ich, von unzähligen Sicherheits-
kräften bewacht, auf dem Inlandsflughafen von Tehe-
ran. Um 6.30 Uhr hebt mit einer halben Stunde Ver-
spätung der Airbus der Iran Air Richtung Zahedan ab.
Der Pilot dürfte auf reichlich Armee-Erfahrung zu-
rückblicken, denn er reißt den Vogel wie eine F-16
beim Alarmstart hoch.
Etwas verblüfft bin ich schon, als mir die Stewardess
in Plastik abgepacktes Western-Breakfast reicht. Ich
bin wohl der Einzige, der sich darüber richtig freut
und die einzelnen Bestandteile auch stilgerecht ver-
zehrt.
Nach eineinhalb Stunden geht der Pilot in Sturzflug
über - der Landeanflug auf Zahedan. „Nach Mirjaveh?
500 Tomen.“ - „Du bist ja verrückt! Die anderen ver-
langen alle 500 Rial. Aber ich habe sowieso nur mehr
300.“ Ob ich nun Rl 500,– oder 500 Tomen (= Rl
5.000,–) bezahlen soll, ist egal. Es reicht ohnehin
nicht. „Okay, steig ein.“ Das lasse ich mir nicht zwei-
mal sagen. Schon sitze ich auf der Ladefläche des
Pickups.
Rund 100 km sind es bis zur Grenze. Schon jetzt am
Vormittag bläst der Fahrtwind wie ein Heißluftherd.
Als mir dann noch ein Pick-up entgegenkommt, auf
dessen Ladefläche ein Kamel verschnürt liegt, habe ich
I RAN AI R NR . 478 NACH ZAHEDAN
M I T DEM ZUG DURCH BALUCH I S TAN
28 Der Weg ist das Ziel ...
keine Zweifel mehr: Ich bin in der Wüste Baluchistan.
Zur Grenze hin häufen sich wieder die Straßenkon-
trollen. An einer werden meine Deutschkenntnisse
überprüft: „Ik libbe dik“ - „Ich liebe dich“ - richtig,
ich bin echt. Als ich in Mirjaveh meinem Fahrer den
Rest meiner Barschaft geben will, nimmt er nur Rl
200,–. Ist das jetzt der tatsächliche Preis?
Aber noch sind es 5 km bis zur Grenze. Als ich einen
Pakistani nach dem Weg frage, meint er nur, ich solle
bei ihm warten. Nach kurzer Zeit kommt ein Fahr-
zeug, das uns aufnimmt und mich kostenlos zur
Grenzstation bringt. „Vielen Dank“ - Manchmal habe
ich das Gefühl, ich komme zu Hilfeleistungen wie die
Jungfrau zum Kind - völlig unvermutet. Nachdem
meine Bar-Dollars nachgezählt wurden, werde ich
durch ein Gartentor nach Pakistan entlassen.
„Change money?“ - Mit diesem Schlachtruf fällt eine
Horde Geldwechsler über mich her. Wenn ich US$
20,-- tausche, gibt er mir 15 Rupie für den Dollar. Der
nächste will US$ 50,– tauschen und mir 17 Rupie pro
Dollar geben. Ich habe keine Ahnung, was der tatsäch-
liche Kurs ist. Außerdem bin ich offiziell ja gar noch
nicht eingereist. Also eines nach dem anderen: zuerst
den Stempel in den Pass, dann Geldwechseln.
Um 16.30 Uhr fährt mein Bus Richtung Quetta ab.
Gott sei dank habe ich einen Fensterplatz. Anders
wüsste ich nicht, wie ich meine 1,85 m hier verstauen
sollte. Fünf Sitze pro Reihe, der Fußraum ist mit Tep-
pichen, Stoffen und Waren aller Art ausgefüllt. Wenn
ich mein Knie aus dem Fenster hängen lasse, finde ich
WI LLKOMMEN IN PAK I S TAN
D I E RE I SE GEHT WE I T ER
29 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
MI T VOLLGAS DURCH D I E WÜS TE
FAHRTPAUSE
Platz - aber auch nicht die wahre Lösung für eine 25-
stündige Busfahrt.
Mein Driver ist wohl der ungekrönte „King of the
dessert track“. Mit Vollgas fliegen wir über die Wasch-
brettpiste. Alles wird überholt. Runter von der Haupt-
piste, wieder rauf, hinunter und natürlich volles Rohr.
Das geht zwei Stunden gut, dann haben wir einen
Platten.
Zuerst bin ich über diese Zwangspause froh, doch
dann merke ich, dass sich eine festgefressene Mutter
nicht lösen lässt. - Genügend Zeit den majestätischen
Sonnenuntergang in der Wüste zu bewundern.
Irgendwie hat die Crew es dann doch geschafft, die
Schrauben zu lockern. Doch der Reservereifen ist bis
zur Leinwand abgefahren, dafür ist der Schlauch gut.
Also den Mantel vom Rad lösen, guten Schlauch raus,
zweites Rad auseinandernehmen, guten Schlauch rein,
zusammensetzen und wieder aufblasen. Nach zweiein-
halb Stunden kann es weitergehen.
In der Nacht halten wir mehrmals in dubiosen Mini-
orten. Alles ist mit Staub bedeckt, der Schein von Ke-
rosinlaternen beleuchtet die Restaurants nur unzurei-
chend. Hier wage ich nicht, etwas zu essen. Ich halte
mich mehr an Tee oder in Flaschen abgefüllte Limo-
nade. Auch ein Türke und ein Chinese, die beide in
Pakistan studieren, können soviel Dreck kaum fassen.
Vor Quetta geraten wir in mehrere Straßenkontrollen.
Die einheimischen Passagiere müssen ihr gesamtes
Gepäck ausräumen, jeder Winkel wird von den ärm-
30 Der Weg ist das Ziel ...
lich gekleideten Soldaten gierig durchstöbert und oft
werden Dinge, die ihnen nützlich erscheinen, einfach
kurzerhand konfisziert. Die Pakistanis machen einen
ziemlich eingeschüchterten Eindruck und wehren sich
aus Angst kaum gegen diese Diebstähle. „Das sind die
reinsten Räuber“ flüstert mir der Türke zu. „Uns Aus-
länder lassen sie aber meistens in Ruhe.“
Am Abend durchstöbere ich den Bazar von Quetta
um meine Ausrüstungsgegenstände zu ergänzen: Eine
britische Seife, australische Zahnpasta, eine Schweizer
Zahnbürste, ein französisches Wasserglas, Toilettenpa-
pier, Waschmittel und Shampoo sind aus China. Pro-
dukte aus allen Ecken der Welt sind hier im Bazar von
Quetta, der Hauptstadt von Baluchistan, aufgestapelt.
„Tut mir leid. Der Schalter ist heute geschlossen.“
Schade, so muss ich auf 50 % Touristen- und Studen-
tenrabatt, den die Pakistan Railways Ausländern ge-
währen, verzichten. Trotzdem kostet die 1.400 km lan-
ge Bahnfahrt in der zweiten Klasse nur € 6,60. Ande-
rerseits dauert es bis Rawalpindi eineinhalb Tage, so-
dass ein First-Class-Sleeper für denselben Preis sehr
angenehm gewesen wäre.
Der Zug steht schon im Bahnhof als ich einsteige. Die
zweite Klasse ist gesteckt voll. Irgendwo dränge ich
mich noch hinein. Die Sitzbänke sind voll belegt, so-
dass ich nur mehr am Gang neben der Tür Platz finde.
Ein Pakistani lässt mich auf seine Stoffballen sitzen. -
Ein komfortabler Sitz im Vergleich zu den Holzbän-
ken der zweiten Klasse.
Es ist furchtbar heiß. Bei jedem Stop kaufen wir von
QUE T TA I S T E RRE ICH T
UNTERWEGS
31 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
RAWALP IND I
B I L L IGHOTE L
fliegenden Händlern Soft-Drinks. Doch ich könnte Li-
ter um Liter in mich hineinschütten, ohne dass mein
Durstgefühl dauerhaft gelöscht wird.
Langsam nähern wir uns dem Indus-Tal. Nach starken
Regenfällen sind große Gebiete überschwemmt. Teil-
weise haben die Menschen ihre Bettgestelle direkt auf
dem etwas höher gelegenen Bahndamm aufgebaut.
Am Abend des zweiten Tages hat mein mir selbst auf-
erlegtes Martyrium ein Ende: Rawalpindi ist erreicht.
Todmüde mache ich mich auf die Hotelsuche. Jetzt
um 22.00 Uhr sind die Bürgersteige schon hochge-
klappt - niemand mehr auf der Straße.
Nach einigen erfolglosen Versuchen frage ich eine
Gruppe junger Pakistanis. Einer von ihnen hat einige
Zeit in Großbritannien gelebt und spricht ganz gut
Englisch. „Ein freies Zimmer suchst Du? No prob-
lem, mit diesem Pass“ und hält mir einen pakistani-
schen Reisepass unter die Nase. „Hast Du Whiskey?“ -
„Nein, ich komme vom Iran“ - „Okay, wir fragen in
diesem Hotel einmal nach.“
Das Zimmer ist ziemlich bescheiden, doch darüber er-
eifert man sich nicht mehr so stark, wenn man in der
letzten Woche täglich vielleicht drei Stunden geschla-
fen hat.
„Fünfzig Rupie.“ - „Das glaubst Du doch wohl selbst
nicht. Ein Zimmer wie dieses kostet vielleicht dreißig
Rupie aber nie fünfzig.“ - „Was hast Du für einen Be-
ruf?“ - „Ich bin Student.“ - „Okay, was studierst Du?“
- „Wirtschaft.“ - „Großartig. Du wirst Finanzminister
32 Der Weg ist das Ziel ...
RAJAH BAZAAR
werden.“ - „Nie und nimmer, wenn die Österreicher
erfahren, dass ich für dieses Zimmer fünfzig Rupie
bezahlt habe.“ - „Okay, 35. Morgen um acht bist Du
wieder weg. Gib mir jetzt das Geld und Deinen Pass.“
- „Nein, entweder das Geld oder den Pass.“ - „Gut,
bezahle jetzt die 35 Rupie.“ - „Okay“, ich schlafe
sofort ein, als ich mich auf dem dreckigen Bett lang
strecke.
Am nächsten Tag wechsle ich das Hotel. Dort bezahle
ich für das Zimmer mit Bett und Nachttisch 27 Rupie,
umgerechnet € 1,50. Dusche und WC befinden sich
am Gang.
Dann fahre ich zum Telephon-Office, um nach Hause
zu rufen. Da aber keine R-Gespräche möglich sind,
muss ich erst einmal zur Bank, um Geld zu wechseln.
Das ist aber am heutigen Nationalfeiertag nicht mög-
lich. An nächsten Tag haben die Banken zwar offen,
dafür meldet sich zu Hause niemand.
Am dritten Tag klappt es endlich. Ich komme in die
Handelskammer durch. Während ich endlos weiterver-
bunden werde, sehe ich meine Rupie schwinden. Für
jede Sekunde eine Rupie, nur um letztendlich zu erfah-
ren, dass mein Vater nicht da sei.
Am vierten Tag klappt es endlich, ich komme durch.
Am Tag Nummer fünf ist wieder Pause angesagt: Zia-
ul-Haq, der pakistanische Staatspräsident, ist mit dem
Flugzeug abgestürzt oder abgestürzt worden ist. Der
sechste und siebte Tag gehen für die Staatstrauer
drauf. Ämter und Geschäfte haben geschlossen, die
Straßenhändler verdienen sich eine goldene Nase.
TEEKOCHER
33 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
I S LAMABAD
LEKTÜRE FÜR E INEN GANZEN TAG
Ich habe den ganzen Tag Zeit, die elf Seiten der eng-
lischsprachigen Pakistan Times zu studieren. Der Te-
nor des Leitartikels über den Tod des Staatsober-
haupts: Eine Welt bricht zusammen. Etwas klarer sehe
ich, als ich erfahre, dass der Chefredakteur erst durch
Zia-ul-Haq wieder zu seinem Posten gekommen ist.
Ein Pakistani, der mich zum Tee einlädt, sieht die Sa-
che etwas anders: Er ist froh, dass Zia-ul-Haq tot ist.
„Sieh Dir Pakistan nur an: alles dreckig, ein richtiger
Saustall.“ Er ist Royalist, einen König an die Spitze des
Staates, wie in Saudiarabien, wo er arbeitet.
Am achten Tag gehe ich zur chinesischen Botschaft,
um mir meinen Pass wieder abzuholen. War es in
Österreich nahezu unmöglich, als Einzelreisender ein
Visum für die Hauptreisemonate zu bekommen, so
ging das in Islamabad ruck zuck und ohne Probleme.
Probleme gibt es aber bei American Express. Ein Pa-
ket mit Medikamenten und Filmen, das vor eineinhalb
Wochen bei American Express in Salzburg aufgegeben
wurde, ist noch immer nicht da. Zu allem Überfluss
hat mein Vater auch noch Geld an mich überwiesen,
dass natürlich auch noch nicht da ist.
Am neunten Tag habe ich endlich ein Erfolgserlebnis:
Ein zweites Paket, das vor vier Tagen bei der Post als
Express-Mail-Paket aufgegeben wurde, ist eingetrof-
fen. Am zehnten Tag habe ich von Rawalpindi und
der Warterei endgültig die Nase voll: Ich fahre Rich-
tung Nordwesten los, nach Chitral, einem Ort nahe
der afghanischen Grenze.
34 Der Weg ist das Ziel ...
23. 8. - 30. 8. Nordwestpakistan Zu den Kafir Kalash, den legendären Nachkommen der Soldaten von Alexander dem Großen
D IR
Aah, endlich weht mir wieder Reiseluft um die Nase.
Mit Minibussen geht es flott in die Berge. Ich lebe
richtig auf, als ich die Monsunschwüle des Tieflands
hinter mir lasse und wieder kühle Bergluft atme. Da
kann nicht einmal die Tatsache meine Freude trüben,
dass der Toyota Hiace mit zwanzig Personen mehr als
überbesetzt ist.
Meine Mitfahrer sind bärtige Gesellen, manch einer
hat sogar seine Donnerbüchse dabei. Neben mir rech-
net gerade ein Waffenschmied einem weißhaarigen Al-
ten vor, wie günstig eine neue Bleispritze bei ihm zu
haben sei. Dieses Thema wird im ganzen Fahrzeug lei-
denschaftlich diskutiert, jeder ist natürlich Spezialist.
In Dir frage ich den Fahrer noch einem Hotel. „Big or
small money?“ - „Small money.“ -“Okay, dann gehe in
diese Richtung.“ Im Hyat, wo das Bett nicht einmal €
0,55 kostet, wartet schon ein französisches Pärchen
und ein Schwede auf mich. Sie haben gute Nachrich-
ten: Nachdem der Lowari-Paß zwei Tage gesperrt war,
soll er morgen wieder offen sein.
35 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
Nach dem Abendessen spinnen wir noch etwas Tra-
veller-Garn, jeder hat etwas zu erzählen, dann geht es
in die Heia. Die Betten stehen auf der Terrasse, unten
im Tal rauscht der Bach und die Sterne blinken hoff-
nungsvoll für die morgige Passüberquerung.
Am nächsten Tag sind wir schon früh auf den Beinen.
Um 8.00 Uhr fährt der billige Public-Bus Richtung
Chitral ab. Steil geht es durch das enge Tal aufwärts.
Die Hänge sind dicht bewachsen und leuchten in safti-
gem Grün. Öfters durchquert der Bus auf Betonfurten
reißende Wildbäche, an manchen bunkert der Fahrer
frisches Kühlwasser für den überhitzten Motor.
Immer höher klettern wir. Bald treten die Bäume zu-
rück, es wird felsiger. Auf 3.120 m ist die Passhöhe er-
reicht, jetzt geht es die andere Seite hinunter - und wie!
Fast in freiem Fall windet sich die gut einspurige Stra-
ße in 48 (!) Kehren dem Abgrund entgegen. Immer
wieder nähern wir uns bis auf ein paar Zentimeter der
unbefestigten Böschung. Manche Kurven sind so eng,
dass der Fahrer reversieren muss. Wenn hier etwas
bricht, stürzen wir 500 m in die Tiefe. Hoffentlich ha-
ben die Konstrukteure in Turin auch berücksichtigt,
was Pakistanis mit einem alten Fiat-Bus alles anstellen.
Doch Allah hat Erbarmen mit uns unschuldigen Rei-
senden. Nach acht Stunden Fahrt für 110 km errei-
chen wir am Nachmittag Chitral.
Am nächsten Tag regnet es in Strömen. Ein Segen für
die Einheimischen, denn es soll seit drei Monaten kei-
ne Niederschläge mehr gegeben haben. Wir Touristen
sind darüber weniger glücklich: Da es weit herunter-
schneit, ist es lausig kalt. Zudem sind unsere dunklen
36 Der Weg ist das Ziel ...
BUMBURET
Zimmer nur mit Kerzen spärlich beleuchtet.
Dazu kommt noch, dass ich in Rawalpindi ganz verschwitzt habe, dass es auch
einmal kühler werden kann, und ich daher keinen langärmeligen Pullover ge-
kauft habe. So friere ich im kalten Zimmer und hole mir auch prompt eine
Erkältung.
Die starken Regenfälle haben auch zu Murenabgängen geführt. So ist jetzt der
Dorfbach verlegt und es kommt kein Wasser mehr herunter. Das wäre weiters
nicht so schlimm, wenn ein Seitenarm nicht für die Wasserspülung in unserer
Toilette gesorgt hätte.
Am dritten Tag nutzen wir eine Regenpause, um nach Bumburet aufzubre-
chen. Als es mittags wieder zu regnen anfängt, ziehen wir uns unters Vordach
zurück und spielen mit Japanern „Jatze“, was ganz ordinäres Würfelpokern ist.
Am nächsten Tag - wir können es fast nicht glauben - scheint wieder die Son-
37 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
ne. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit selbsteingekochter Marillenmarme-
lade wandern wir entlang des Dorfbachs das Tal hinauf.
Immer wieder treffen wir auf einheimische Frauen mit kunstvollen Gewändern
und Frisuren. Sie sind Angehörige der Kafir Kalash, legendäre Nachkommen
von Söldnern Alexander des Großen. So soll zum Beispiel das Chowas-Fest,
das sie vom 18. - 21. Dezember feiern, große Ähnlichkeiten mit vorchristlichen
skandinavischen Wintersonnenwend-Feiern aufweisen.
Als wir die Frauen fotografieren wollen, wenden sie sich ab und fordern Geld.
Da wir aber dieser „One picture, one dollar“-Unsitte nicht Vorschub leisten
wollen, verzichten wir auf die Aufnahmen.
Weiter aufwärts wird der Weg immer schmäler, ein weiß angezuckerter Bergrie-
se am Talschluß liegt zum Greifen nahe. Über einen Pass kann man Afgha-
nistan erreichen, das von hier nur mehr 15 km entfernt ist.
38 Der Weg ist das Ziel ...
LOWAR I PASS
Kein Wunder, dass in dieser Region viele afghanische
Flüchtlinge leben. Dieses plötzliche Bevölkerungs-
wachstum hat natürlich auch zu Problemen geführt:
So haben sich zum Beispiel die Preise für den in kalten
Wintermonaten (überlebens)wichtigen Brennstoff
Holz über Nacht verdoppelt. Trotzdem funktioniert
das Zusammenleben von Pakistanis und Afghanis im
großen und ganzen recht gut, was unbestritten ein
Verdienst des verstorbenen Staatspräsidenten Zia-ul-
Haq ist.
Zwei Tage später stecken wir wieder am Lowari-Paß.
Rien ne va plus - ein Lastwagen ist an einer feuchten
Stelle hängengeblieben. Mit vereinten Kräften wird er
wieder flottgemacht. Jetzt schlägt die große Stunde der
Beifahrer: Im Laufschritt hetzen diese Jugendlichen,
teilweise fast noch Kinder, vor dem Lastwagen her,
um die größten Felsbrocken aus dem Weg zu schaffen
bzw. die tiefsten Löcher auszugleichen.
Ein mitfahrender Pakistani schimpft über die schlech-
ten Straßen und dass sein Land zu arm sei, bessere
Verkehrswege zu bauen. Wir relativieren das und mei-
nen, dass wir froh seien, dass es in diesem unwegsa-
men Gebiet überhaupt Straßen gäbe. Bernhard, ein
Australier, legt noch ein Schäufchen nach: Pakistan ist
nicht arm. Eure Regierung braucht nur den Amis ein
paar F-16-Bomber zurückgeben und schon habt hier
genügend Geld, die Straßen auszubauen. „Ich fürchte
aber, dass unsere Regierung das nicht so sieht“, ist die
vorsichtige Antwort des Pakistanis.
Im Bus zurück nach Rawalpindi habe ich eine Erschei-
nung: Ein weißes Gespenst schiebt sich bei der Tür
39 Auf der Seidenstraße nach Hongkong
herein, davor ein Mann, der alle maskulinen Wesen im Umkreis von zwei Sitz-
reihen wegscheucht.
Es ist eine afghanische Familie, die hier zusteigt. Die Frau trägt über dem gan-
zen Körper einen weißen Umhang, nur bei den Augen ist ein „Sehgitter“ freige-
lassen. - So verhüllt waren die Frauen ja nicht einmal im als konservativ-
islamisch verrufenen Iran!
In Rawalpindi läuft dann fast alles wie am Schnürchen: Noch am Ankunftstag
gehe ich zu Fuji, wo ich vor einer Woche einen Diafilm zum Entwickeln abge-
geben habe. Er wurde dafür nach Karachi geschickt; das Ergebnis steht einem
europäischen Labor in nichts nach. Bei American Express ist mittlerweile auch
das erste Päckchen eingetroffen, nur das Geld ist erwartungsgemäß noch nicht
da. Nach einem kurzen Telefonat nach Hause ist alles abgeklärt: ich kann Rich-
tung China weiterfahren.
► 2 . T E I L : PAK I S TAN - HONGKONG
40 Der Weg ist das Ziel ...
RE I SEROUTE
Route: Salzburg - Istanbul - Kappadokien - Nemrut Dag - Van See - Dogubayazit - Teheran - Quetta - Rawalpindi - Chitral - Gilgit - Kashgar - Turfan - Dun-huang - Jiayuguan - Lanzhou - Tianshui - Xian - Peking - Qingdao - Shanghai - Suzhou - Hangzhou - Kanton - Hongkong - Macao - Yangshuo - Hainan
Der Weg ist das Ziel ...
Mit dem Rucksack durch Europa, Asien und Afrika.
Wie lange?
Je länger desto besser ;-) Eine grobe Über-schlagsrechnung zur Reise entlang der Sei-denstraße nach Hongkong könnte wie folgt aussehen: zwei Wochen für den Bal-kan, ein Monat in der Türkei, zwei Wochen im Iran, ein Monat in Pakistan und drei Mo-nate in China. Macht in Summe ein halbes Jahr. Sehr viel kürzer macht die Überlandreise wenig Sinn. Wer bereits länger in der Türkei unterwegs war, kann im ersten Teil viel-leicht ein Monat einsparen. Darüber hin-aus würde ich aber keine Abstriche mehr machen. Wer nicht so lange Zeit hat, kann die Reise auch in kleinere Portionen zerle-gen. Dabei geht natürlich der Reiz einer Über-landreise verloren: Der graduelle Wechsel der Kulturen von Mitteleuropa zum Balkan, Türkei, Iran, ein großer Sprung nach Pa-kistan in die Farbenpracht und das Chaos
des indischen Subkontinents und zurück in das etwas graue und vergleichsweise ge-ordnete China. Wann?
Theoretisch ist es natürlich das ganze Jahr über möglich. Die beste Reisezeit ist aber der Sommer und Herbst. Die einzige wirkli-che Einschränkung ist der Khunjerab-Paß, der offiziell für Touristen zwischen Dezem-ber und April geschlossen bleibt. Der Ver-kehr fließt aber mit einigen Unterbrechun-gen auch in den Wintermonaten weiter. Es kann jedoch einige Zeit dauern, bis genü-gend Personen zusammen sind, dass wie-der ein Bus fährt. Wenn man davon ausgeht, dass der Osten und Süden Chinas zur optimalen Saison bereist werden soll, d.h., von September bis Dezember, würde das bedeuten, dass der Khunjerab-Paß zwischen Anfang Au-gust und Ende September überquert wird. Wenn man die oben genannten Reisezei-ten zu Grunde legt, würde das eine Abrei-se von zu Hause zwischen Anfang Mai und Ende Juni bedeuten.
Wie teuer?
Die täglichen Ausgaben sind natürlich in hohem Grad variabel. Die unten angege-benen Werte sind daher nur als grobe Richtschnur zu verstehen und nach oben hin offen. Wer in einfachen Restaurants isst, sich mit billigen Hotels zufrieden gibt und in öffentlichen Verkehrsmitteln in der bil-ligsten Klasse fährt, sollte ungefähr folgen-de Werte budgetieren: • Balkan: € 20,- / Tag • Türkei: € 15,- / Tag • Iran: € 10,- / Tag • Pakistan: € 10,- / Tag • China: € 15,- (Westen) bis € 30,- (Osten) Das ergibt in Summe ca. € 3.250,- für 6 Mo-nate plus € 350,- für den Rückflug von Hongkong nach Europa. Als ich diese Zah-len zusammengezählt habe, bin ich dann doch etwas erschrocken. So habe ich 1988 für meine Reise inklusive Rückflug ge-rade einmal € 1.850,- ausgegeben, was knapp die Hälfte ist. Mehr Informationen zur Reiseroute gibt es im zweiten Teil, von Pakistan nach China.
WWW.GEOCI T I E S .COM/GERALD_F IMBERGER
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