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Romanische Pflanzennamen
und
kognitive Semantik
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie
in der
Fakultät für Philologie
der
RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM
vorgelegt
von
Sylvia Zhu
Vorbemerkung
Die vorliegende Arbeit wurde am 06.Februar 2009 als Dissertation von der Fa-
kultät für Philologie an der Ruhr-Universität Bochum angenommen.
Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Lebsanft
(damals Bochum, jetzt Bonn). Im Rahmen der Betreuung meiner Staatsarbeit
begeisterte er mich für das Vorhaben, in dem Themengebiet zu promovieren.
Nicht zuletzt dank seiner Bemühungen ist mir von Oktober 2000 bis September
2002 ein Stipendium der Graduiertenförderung NRW gewährt worden. Während
der gesamten Promotionsphase hat mich Herr Prof. Dr. Lebsanft stets sowohl
fachlich als auch mental unterstützt. Seine Anregungen und kritischen Rück-
meldungen haben mich in der Arbeit an der Dissertation entscheidend weiter-
gebracht. Herzlichst danken möchte ich meinem Doktorvater für die schier
grenzenlose Geduld, die er mir und meinem Projekt gegenüber aufgebracht hat.
Er hat in jeder Hinsicht Verständnis für meine Situation gezeigt und mich zum
erfolgreichen Abschluss der Promotion geführt. Schließlich danke ich ihm für
die Mühe bei der Begutachtung meiner Dissertation.
Mein Dank geht darüber hinaus auch an den Zweitgutachter meiner Dissertati-
on, Herrn Prof. Dr. Bernhard. Seine Korrekturen und Anregungen waren für
mich ebenfalls eine wertvolle Hilfe.
Außerdem bedanke ich mich bei der Vergabekommission der Ruhr-Universität
Bochum für die Gewährung eines Graduiertenstipendiums.
Mülheim an der Ruhr, im April 2012 Sylvia Zhu
1
Inhalt
1 Einleitung: Romanische Pflanzennamen und kognitive Semantik ........................ 4
2 Theoretische Grundlagen .................................................................................... 9
2.1 Vorbemerkungen ................................................................................................. 9
2.2 Allgemeines ....................................................................................................... 10
2.3 Der Ansatz Ullmanns ......................................................................................... 14
2.4 Der Ansatz Baldingers ....................................................................................... 17
2.5 Der Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu ......................................... 23
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik .......... 28
2.7 Die menschliche Wahrnehmung und Informationsver-arbeitung ........................ 57
2.8 Metapher und Metonymie .................................................................................. 61
2.9 Folgerungen für das Analysevorhaben .............................................................. 65
3 Quellenbeschreibung ......................................................................................... 69
3.1 Vorbemerkungen ............................................................................................... 69
3.2 Sprachgeographie ............................................................................................. 70
3.3 Vorstellung der Atlanten ..................................................................................... 73
3.3.1 AIS ..................................................................................................................................... 73
3.3.2 ALP .................................................................................................................................... 76
3.3.3 ALG ................................................................................................................................... 78
3.3.4 ALEANR ............................................................................................................................ 80
3.4 Penzig: Flora popolare italiana........................................................................... 81
3.5 Linguistik der Pflanzennamen ............................................................................ 83
4 Inventarisierung des Sprachmaterials und Charakterisierung der Pflanzen...... 104
4.1 Vorbemerkungen ............................................................................................. 104
4.2 Geschichte der Pflanzenmedizin ...................................................................... 106
4.3 Arctium lappa L. (Korbblütengewächse, Compositae / Asteraceae) ................. 112
4.3.1 Beschreibung der Pflanze ............................................................................................... 112
4.3.2 Inventar der Bezeichnungen ........................................................................................... 113
4.4 Hypericum perforatum L. (Johanniskrautgewächse, Hypericaceae) ................. 115
4.4.1 Beschreibung der Pflanze ............................................................................................... 115
4.4.2 Inventar der Bezeichnungen ........................................................................................... 117
Inhalt 2
4.5 Lavandula (Lippenblütengewächse, Lamiaceae/Labiatae) ............................... 118
4.5.1 Beschreibung der Pflanze ............................................................................................... 118
4.5.2 Inventar der Bezeichnungen ........................................................................................... 119
4.6 Plantago (Wegerichgewächse, Plantaginaceae) .............................................. 122
4.6.1 Beschreibung der Pflanze ............................................................................................... 122
4.6.2 Inventar der Bezeichnungen ........................................................................................... 124
4.7 Taraxacum officinale Web. (Korbblütengewächse, Compositae/Asteraceae) ... 129
4.7.1 Beschreibung der Pflanze ............................................................................................... 129
4.7.2 Inventar der Bezeichnungen ........................................................................................... 130
4.8 Verbascum thapsus L. (Braunwurzgewächse, Scrophulariaceae) .................... 132
4.8.1 Beschreibung der Pflanze ............................................................................................... 132
4.8.2 Inventar der Bezeichnungen ........................................................................................... 133
5 Taxonomie der gewählten Pflanzen ................................................................. 135
5.1 Vorbemerkungen ............................................................................................. 135
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie.......................................................................... 135
5.2.1 Pflanzen als zu kategorisierende Objekte ....................................................................... 135
5.2.2 Historischer Überblick über Kategorisierungsmethoden ................................................. 136
5.2.3 Theoretische Grundlagen der Taxonomie ...................................................................... 140
5.2.4 Prinzipien der wissenschaftlichen Nomenklatur.............................................................. 142
5.2.5 Taxonomische Einordnung der gewählten Pflanzen ...................................................... 144
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie ................................................................. 154
5.3.1 Theoretische Grundlagen ................................................................................................ 154
5.3.2 Taxonomische Einordnung der gewählten Pflanzen ...................................................... 156
6 Analyse des Sprachmaterials........................................................................... 162
6.1 Vorbemerkungen ............................................................................................. 162
6.2 Kognitiver Rahmen .......................................................................................... 163
6.2.1 Wissenskontexte ............................................................................................................. 163
6.2.2 Prototyp ........................................................................................................................... 176
6.2.3 Spezifischere Angaben zu einzelnen Frames ................................................................. 179
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames ....................................... 182
6.4 Rolle des enzyklopädischen Wissens .............................................................. 192
6.5 Relation Frames – Taxonomie ......................................................................... 196
6.6 Analyse der Prototypen.................................................................................... 203
6.6.1 Semasiologische Prototypen........................................................................................... 203
Inhalt 3
6.6.2 Onomasiologische Prototypen ........................................................................................ 233
6.6.3 Zusammenschau der semasiologischen und onomasiologischen Perspektive .............. 240
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen ............................................ 243
6.7.1 Rolle der Wahrnehmung für die Bezeichnungsfindung .................................................. 243
6.7.2 Rolle des enzyklopädischen Wissens ............................................................................. 254
6.8 Analyse der wissenschaftlichen Bezeichnungen .............................................. 256
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Pragmatik ........................ 259
6.9.1 Vorbemerkungen ............................................................................................................. 259
6.9.2 Prototypische Bezeichnungen ........................................................................................ 259
6.9.3 Nicht-prototypische Bezeichnungen ............................................................................... 262
7 Schlussbemerkungen ...................................................................................... 267
Bibliographie ............................................................................................................. 270
Bildnachweis ............................................................................................................. 278
4
1 Einleitung: Romanische Pflanzennamen und kognitive Semantik
Das zentrale Anliegen der vorliegenden Darstellung besteht darin, die Relevanz
sowie das Potenzial der kognitiven Semantik für die Analyse von Kategorisie-
rungen und ihren sprachlichen Realisierungen anhand eines eng begrenzten
Sprachausschnitts zu überprüfen. Zu diesem Zweck werden in der vorliegenden
Darstellung Bezeichnungen von Heilpflanzen analysiert, die anhand von Karten
ausgewählter Sprachatlanten der Romania zusammengestellt wurden.
Eine erste Sichtung des Materials lässt zwei grundlegende Beobachtungen inte-
ressant für eine eingehendere Beschäftigung mit den Sprachkarten erscheinen:
Zum einen werden ganz verschiedene Pflanzen unter ein und demselben Aus-
druck zusammengefasst; zum anderen ist dann wieder eine erstaunliche Varia-
tion bei der Bezeichnung ein und derselben Pflanze zu erkennen. Diese Befun-
de geben zu der Frage Anlass, ob bei der Wahl der Bezeichnungen regelmäßig
wiederkehrende, womöglich gar einzelsprachlich übergreifende Verfahren eine
Rolle spielen.
Durch die Herausarbeitung sprachlicher Verfahren sollen systematische Er-
kenntnisse darüber gewonnen werden, wie die Sprecher der jeweiligen Sprach-
gemeinschaft den Lebensbereich der Heilpflanzen gliedern, indem sie zum ei-
nen zusammenfassen, zum anderen differenzieren. Dieser Aspekt der Gliede-
rung bzw. der Kategorisierung ist ein zentraler Gesichtspunkt innerhalb der
kognitiven Semantik, deren Ansätze zusammen mit sprachgeographischen und
sprachhistorischen Methoden grundlegend für die vorliegende Darstellung sind.
Die kognitive Semantik geht davon aus, dass menschliches Wahrnehmen im-
mer mit dem Prozess des Kategorisierens verknüpft ist (Kleiber 1993, 4). Ge-
nau dieser Prozess der Kategorisierung soll in der vorliegenden Darstellung er-
hellt werden: Wie und warum werden bestimmte Pflanzen zusammen mit ande-
ren unter ein und demselben Ausdruck zusammengefasst? Welche Merkmale
sind ausschlaggebend für die Zuordnung von verschiedenen Pflanzen zu ein
und derselben mentalen Kategorie?
1 Einleitung: Romanische Pflanzennamen und kognitive Semantik 5
Die kognitive Semantik erscheint noch aus einem anderen Grund relevant für
die vorliegende Untersuchung: Sie rückt das außersprachliche Wissen der
Sprecher als Beitrag zur Bedeutungsklärung in den Vordergrund und versucht,
Zusammenhänge zwischen den sprachlichen Bezeichnungen und der jeweili-
gen außersprachlichen Realität systematisch zu erhellen. Innerhalb der Roma-
nistik stellt sich die Rezeption der kognitiven Semantik als eine Auseinander-
setzung mit der strukturellen Semantik unter Rückgriff auf ältere Ansätze
Baldingers und Ullmanns dar. Sowohl Baldinger als auch vor ihm schon Ull-
mann lassen nicht erkennen, in welcher Weise die außersprachliche Realität –
unabdingbar gerade für eine Charakterisierung von Bezeichnungen aus dem
Themengebiet der Pflanzen – in die Analyse der Bezeichnungen einbezogen
werden soll, obwohl sie die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens bereits
ausdrücklich betonen. Dazu in Opposition steht die Ausgangslage der struktu-
rellen Semantik, die im Rahmen einer sprachwissenschaftlichen Analyse strikt
zwischen Sprachlichem und Außersprachlichem trennt. Aus diesem Kontrast in
der Herangehensweise der Ansätze kann nun nicht abgeleitet werden, dass der
eine oder andere Ansatz für die kognitive Semantik keine Rolle mehr spielt.
Vielmehr wird zu zeigen sein, dass gerade in der Verknüpfung der Ansätze eine
wesentliche Bereicherung des Analyseinstrumentariums liegt, was auch Aus-
wirkungen auf die hier vorgelegte Darstellung hat.
Die Analyse der Bezeichnungen verfolgt nicht nur das Ziel, einzelsprachliche
Verfahren der sprachlichen Realisierung bestimmter mentaler Konzepte he-
rauszustellen, sie möchte darüber hinaus ergründen, ob es innerhalb der Ro-
mania Grundmuster der Bezeichnungsfindung gibt, die unabhängig von der
Einzelsprache Gültigkeit besitzen.
Die Darstellung beginnt mit einem Forschungsüberblick zu der Frage, wie sich
in der Romanistik die kognitive Semantik aus den traditionellen Strömungen
entwickelt hat (Kap. 2). Hierzu werden die Arbeiten von Ullmann (Abschnitt 2.3)
und Baldinger (Abschnitt 2.4) als Ausgangspunkt genommen, da sie bereits
wesentliche Anhaltspunkte für die Wichtigkeit der außersprachlichen Realität für
die semantische Analyse liefern und hilfreiche Angaben zur Sprecher- sowie
1 Einleitung: Romanische Pflanzennamen und kognitive Semantik 6
Hörer-Rolle im Rahmen der menschlichen Kommunikation machen und so ei-
nen wesentlichen Aspekt der Pragmatik, die auch in der vorliegenden Darstel-
lung von Bedeutung sein wird, vorwegnehmen. Zwischen der Beschreibung der
beiden genannten Ansätze und der kognitiven Linguistik (Abschnitt 2.6) widmet
sich Abschnitt 2.5 dem Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu. Zwi-
schen den Abschnitten 2.3/2.4 und 2.6 spannt sich bogenartig die Beschreibung
des Übergangs vom semiotischen „Dreieck“- zum „Fünfeck“-Modell sowie die
Darstellung der dafür notwendigen methodischen Grundlagen. Ergänzt wird der
Forschungsüberblick durch eine exkursartige Behandlung wesentlicher Teilas-
pekte, die sich bei der Beschäftigung mit der kognitiven Linguistik als besonders
relevant für das hier vorgelegte Analyseprojekt erwiesen haben: Abschnitt 2.7
widmet sich einigen grundlegenden Prinzipien der menschlichen Wahrnehmung
und Informationsverarbeitung. In Abschnitt 2.8 werden die Bezeichnungsverfah-
ren Metapher und Metonymie eingehender beschrieben. Abschnitt 2.9 schließ-
lich versteht sich als eine Art Bilanz des Forschungsüberblicks und zeigt Folge-
rungen für das Analysevorhaben auf.
Das dritte Kapitel der Darstellung hat die Quellenbeschreibung zum Inhalt. Hier
geht es um die Erläuterung bestimmter Prinzipien der Sprachgeographie sowie
um die Vorstellung der gewählten Sprachatlanten und der für die Analyse her-
angezogenen Karten. Ergänzend dazu wird die „Flora popolare italiana“ von
Penzig vorgestellt, dessen Materialzusammenstellungen jeweils auch nach
(sprach-)geographischen Gesichtspunkten erfolgen und somit eine wertvolle
Bereicherung der Sprachkarten aus dem italienischen Raum darstellen.
Schließlich wird in einem groben Überblick zur Linguistik der Pflanzennamen
die Quellenlage zu diesem thematischen Komplex skizziert.
Kapitel 4 beinhaltet die Inventarisierung des Sprachmaterials und eine Charak-
terisierung der ausgewählten Pflanzen. Vorangestellt ist dem Ganzen ein Abriss
der Geschichte der Pflanzenmedizin. Dies geschieht in Hinblick auf die Rele-
vanz des außersprachlichen Wissens für das analytische Vorgehen der kogniti-
ven Semantik und stellt zugleich den kontextuellen Rahmen vor, in den das
Sprachmaterial eingebettet ist. In den anschließenden Abschnitten (4.3-4.8)
1 Einleitung: Romanische Pflanzennamen und kognitive Semantik 7
wird zunächst jeweils eine Beschreibung der Pflanze gegeben, die biologische
Merkmale sowie die hier besonders interessierenden medizinischen (und die
manchmal nicht scharf davon zu trennenden abergläubischen/religiösen, d.h.
folkloristischen) Eigenschaften beinhaltet; im Anschluss daran erfolgt die Inven-
taraufstellung.
Im fünften Kapitel der Darstellung geht es um die taxonomische Einordnung der
gewählten Pflanzen. Die Notwendigkeit zu diesem Kapitel ergab sich aus der
Beschäftigung mit den Ansätzen der Prototypensemantik (in Abschnitt 2.6), die
durch das zentrale Element der Hierarchisierung und der damit verbundenen
Kategorisierung geprägt sind.
Gerade beim thematischen Komplex der (Heil-)Pflanzen besteht eine wissen-
schaftliche Tradition der Kategorisierung, deren heute noch gültige Ausprägung
von Linné geschaffen wurde. Kapitel 5 beschäftigt sich daher zunächst mit der
wissenschaftlichen Taxonomie der gewählten Pflanzen (Abschnitt 5.2). Doch
auch die nicht-wissenschaftliche Taxonomie, die sich in der Ausbildung soge-
nannter „folk categories“ äußert, wird behandelt (Abschnitt 5.3), da sie im Zu-
sammenhang mit der Prototypensemantik eine wesentliche Rolle spielt.
Kapitel 6 der Darstellung beinhaltet die Analyse des Sprachmaterials. Dabei
wird zunächst der kognitive Rahmen abgesteckt, in den das zu analysierende
Material eingebettet ist (Abschnitt 6.2). Die Abschnitte 6.3, 6.4 und 6.5 widmen
sich jeweils speziellen Aspekten: In Abschnitt 6.3 wird die Rolle der Wahrneh-
mung für die Bildung von Frames grob skizziert; Abschnitt 6.4 beleuchtet die
Rolle des enzyklopädischen Wissens. In Abschnitt 6.5 wird die Relation Frames
– Taxonomie beschrieben.
Abschnitt 6.6 hat die Analyse der Prototypen zum Inhalt. Begonnen wird hier mit
der Darstellung der semasiologischen Prototypen: Ausgehend von den jeweili-
gen mentalen Repräsentationen wird untersucht, welche Referenten (hier also
Pflanzen) bis zu welchem Grad ihnen zugeordnet sind (Abschnitt 6.6.1). An-
schließend erfolgt die Analyse der onomasiologischen Prototypen. Hier geht es
darum aufzuzeigen, über welche mentalen Repräsentationen die einzelnen Re-
ferenten jeweils versprachlicht werden (Abschnitt 6.6.2). In Abschnitt 6.6.3
1 Einleitung: Romanische Pflanzennamen und kognitive Semantik 8
schließlich erfolgt eine Zusammenschau der semasiologischen und onomasio-
logischen Perspektive.
Nicht alle gesammelten Pflanzenbezeichnungen lassen sich prototypisch ein-
ordnen. Da sie jedoch ebenfalls wichtige Hinweise für die Wahrnehmungspro-
zesse und die damit verbundene Bezeichnungsfindung liefern, sollen auch sie
analytisch erfasst werden (Abschnitte 6.7/6.8). In Abschnitt 6.9 geht es um die
Bezeichnungsverfahren Metapher und Metonymie und deren Rolle für die
Pragmatik im vorliegenden Sprachmaterial.
Anhand der Analyseergebnisse sollen abschließend die Leistungen und Gren-
zen der kognitiven Linguistik für die Bearbeitung eines konkreten, fest umrisse-
nen Sprachausschnitts aufgezeigt werden (Kap. 7).
9
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Vorbemerkungen
Im folgenden Teil der Darstellung soll es darum gehen, eine fundierte theoreti-
sche Grundlage für das Analysevorhaben zu schaffen. Da das vorliegende
Sprachmaterial möglichst facettenreich zu untersuchen ist, werden zahlreiche
miteinander in Beziehung stehende Aspekte behandelt.
Zunächst muss festgehalten werden, dass der gewählte Analyseschwerpunkt
dem Gebiet der Semantik zuzuordnen ist. Andere Themenbereiche wie Phono-
logie und Morphologie bleiben unberücksichtigt. Daraus ergibt sich zuerst die
Notwendigkeit, relevante Semantik-Theorien vorzustellen. Da diese Darstellung
speziell die neueren Errungenschaften auf dem Gebiet der Semantik-Forschung
hinsichtlich ihrer Aussagen und Annahmen hinterfragen möchte, wird naturge-
mäß ein starkes Gewicht auf die Präsentation des Ansatzes der kognitiven Lin-
guistik und auf die besonders interessierende Prototypensemantik gelegt. Je-
doch erfolgt die Ausarbeitung der theoretischen Grundlagen in dem Bewusst-
sein, dass es zum einen bereits im Vorfeld Annäherungen an diese Thematik
gegeben hat und zum anderen weitere Ansätze etabliert sind, die die Themen
der kognitiven Linguistik wesentlich ergänzen und bereichern. Das Ziel der Dar-
stellung besteht demnach nicht nur in einer kritischen Würdigung der derzeit
gängigen Analysemodelle, sondern bezieht Vorläufer und deren gewinnbrin-
genden Aspekte mit ein, um zu einer möglichst objektiven und zugleich voll-
ständigen Bewertung zu gelangen.
Die Darstellung der Semantik-Theorien erfolgt nach forschungsgeschichtlichen
Gesichtspunkten. Grundlegende Prinzipien der Semantik werden in Abschnitt
2.2 behandelt. Daran schließt sich die Erörterung der Ansätze von Ullmann
(Abschnitt 2.3) und Baldinger (Abschnitt 2.4) an. Es wird verdeutlicht, inwieweit
der eine Ansatz auf dem anderen aufbaut und welche Prinzipien jeweils ge-
winnbringend in das Analysevorhaben eingebracht werden können.
Bei der Darstellung der einzelnen Semantik-Modelle wird nicht nur eine be-
stimmte Richtung eingeschlagen und kontinuierlich bis zur Behandlung der
10
kognitiven Linguistik weiterverfolgt. Vielmehr wird auch der in Opposition hierzu
stehende Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu gewürdigt (Abschnitt
2.5). Dies schließt zum einen in der Darstellung die Forschungslücke, die zwi-
schen den Ansätzen Baldingers und der kognitiven Linguistik klaffen würde.
Zum anderen trägt dieser Ansatz der Forderung nach einer möglichst objektiven
Bewertung der neuesten Semantik-Modelle Rechnung, indem dargelegt wird,
inwiefern auch konträre Analyseansätze gewinnbringende und bereichernde
Aspekte beinhalten. Abschnitt 2.6 schließlich ist der Darstellung des Ansatzes
der kognitiven Linguistik gewidmet. Aus der Arbeit speziell an diesem Abschnitt
ergab sich die Notwendigkeit, einzelne Aspekte herauszugreifen und sie in ei-
ner Art Exkurs fundierter darzustellen, damit sie für die Analyse greifbarer wer-
den. Es handelt sich hierbei zum einen um die Prinzipien der menschlichen
Wahrnehmung und Informationsverarbeitung (Abschnitt 2.7) und zum anderen
um die Bezeichnungsverfahren der Metapher und Metonymie, die für das vorlie-
gende Sprachmaterial von besonderer Relevanz sind (Abschnitt 2.8).
Aus den im Forschungsüberblick im Einzelnen dargestellten Aspekten wird in
Abschnitt 2.9 Bilanz gezogen. Hier erfolgt eine Zusammenschau der „Analyse-
bausteine“, indem aufgezeigt wird, welche Folgerungen sich aus der Darstel-
lung des Forschungsüberblicks für das Analysevorhaben ergeben.
2.2 Allgemeines
Die linguistische Analyse in der vorliegenden Darstellung befasst sich mit Be-
zeichnungen und versucht, ihre Bedeutungen, Eigenschaften und Motivierung
zu erhellen. Der Bereich innerhalb der Sprachwissenschaft, der sich mit diesen
Aspekten beschäftigt, ist die Semantik.
Wenn nach der Bedeutung von Wörtern gefragt wird, geht es um die Analyse
sprachlicher Zeichen. Ein Wort, ein sprachliches Zeichen, besteht zunächst aus
einem Wortkörper und einem Begriff. Der Wortkörper ist der Name oder auch
die Bezeichnung, die z.B. im Falle von Tisch durch die Lautfolge [tiš] realisiert
2.2 Allgemeines 11
wird. Der Begriff hingegen steht für eine Abstraktion, eine mehr oder weniger
schematische Vorstellung, die man sich in diesem Fall vom Möbelstück „Tisch“
macht (Baldinger 1957, 13). So verstanden, ist das Wort in der Lage, auf Ge-
genständliches (Objekte, aber auch Lebewesen) und Sachverhalte der außer-
sprachlichen Realität zu verweisen (Mortureux 1997, 21). Daraus folgt, dass
sprachliche Zeichen unmittelbar mit der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen
verknüpft sind. Der Mensch ist mit Sinnesorganen ausgestattet, die es ihm er-
möglichen, Reize aus seiner Umwelt zu empfangen. Durch spezielle Verarbei-
tungsprozesse werden diese Reize im menschlichen Gehirn in Vorstellungen, in
mentale Repräsentationen transformiert. Was der Mensch also letztlich erfasst,
ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern immer eine Art Abbild derselben (Kreye
1994, 27-29). Damit dieses Abbild entstehen kann, ist es für den Menschen un-
erlässlich, die unüberschaubare Fülle sinnlicher Eindrücke durch Abstraktion
und Generalisierung für sich übersichtlich zu gestalten. Diese Übersichtlichkeit
wird erreicht durch Prozesse des Erkennens, Vergleichens und Unterscheidens,
die wiederum erst mittels sprachlicher Zeichen ermöglicht werden (Kreye 1994,
31,36). Auch um Interaktionspartnern im kommunikativen Handeln eigene men-
tale Repräsentationen mitzuteilen, verwendet der Mensch sprachliche Zeichen.
So sendet der Sprecher während der Kommunikation Zeichenmaterialien, die
seinen Vorstellungen Ausdruck verleihen. Diese Materialien werden vom Be-
wusstsein des Interaktionspartners aufgenommen und mit bereits durch
Spracherwerbsprozesse vorhandenen Vorstellungen verknüpft (Kreye 1994,
33). Um die angetroffene Wirklichkeit und die mentale Repräsentation davon
möglichst angemessen vermitteln zu können, ist der Mensch in der Lage, immer
neue sprachliche Zeichen zu schaffen (Kreye 1994, 31-33).
Bereits Saussure erkannte, dass es aufgrund dieser Gegebenheiten nicht aus-
reicht, ein Wort nur als eine Einheit von Wortkörper und Begriff zu definieren.
Als wesentlicher dritter Bestandteil kommt das außersprachliche Element hinzu,
sei es ein Lebewesen, ein Objekt oder ein Sachverhalt, worauf mit Hilfe des
sprachlichen Zeichens verwiesen wird.
2.2 Allgemeines 12
Saussure ging davon aus, dass sich die drei Elemente nicht gleichmäßig zuei-
nander verhalten: Zwischen Wortkörper und Begriff einerseits und zwischen
Begriff und Sache andererseits besteht jeweils eine wechselseitige Beziehung,
in der das eine Element das andere hervorruft. Zwischen Wortkörper und Sache
allerdings besteht, onomatopoetische Wörter ausgenommen, keine direkte Be-
ziehung. Der Wortkörper vermittelt lediglich die Vorstellung von der Sache, den
Begriff, aber nicht die Sache selbst. (Baldinger 1957, 13-14; Saussure 1972,
98-99).
Um die zuvor genannten Aspekte und ihre Beziehungen zu illustrieren, wird in
der Semantik das sogenannte „semantische Dreieck“ benutzt. Entwickelt wurde
diese Darstellungsform 1923 durch C.K. Ogden und I.A. Richards (Schema
nach Ogden/Richards 101960, 11):
Bei diesem Dreieck stellen die Eckpunkte diejenigen Elemente dar, die bei jed-
weder Äußerung von Kommunikationspartnern zum Tragen kommen. Die Drei-
eckseiten ihrerseits stellen die Beziehungen zwischen diesen Elementen dar.
So stehen die Wörter, die die Kommunikationspartner benutzen (Symbol) für
ein gedankliches Konzept oder Bezugssystem (Thought or Reference). Zwi-
schen letzterem und dem außersprachlichen Element (Referent) besteht eben-
falls eine Beziehung, indem das gedankliche Konzept auf den Referenten ver-
weist (refers to). Im Unterschied dazu liegt zwischen Symbol und Referent kei-
ne direkte Beziehung vor, im Schema verdeutlicht durch die unterbrochene Li-
nie. Beide Komponenten können nur mittels der Verknüpfungselemente der
sym
bolis
es
(a c
ausa
l rela
tion)
stands for
(an imputed relation)
refers to
(other cau
sal relations)
Thought or Reference
Symbol Referent
2.2 Allgemeines 13
Dreieckspitze in Beziehung zueinander gesetzt werden (Ogden/Richards
101960, 10-12).
Vergleicht man Saussures Modell mit dem von Ogden und Richards, stellt man
folgende Unterschiede fest: Saussures Modell veranschaulicht ein feststehen-
des Verhältnis zwischen einem Wortkörper und der mit ihm verbundenen inhalt-
lichen Vorstellung. Das semiotische Dreieck stellt dagegen einen Prozess inso-
fern dar, als dass die Bedeutung eines Wortkörpers nur erfasst werden kann,
wenn letzterer verwendet wird, um auf einen Gegenstand oder Sachverhalt der
außersprachlichen Realität zu verweisen. Die Beziehung zwischen der Lautform
und dem außersprachlichen Element ist erst im Prozess der Zeichenbenutzung
herstellbar (Pelz 41999, 46).
Die Bedeutung von Bezeichnungen zu analysieren, ist das Ziel der Semasiolo-
gie. Sie geht von den Wortformen aus und untersucht deren semantischen Ei-
genschaften.
Darüber hinaus geht sie der Frage nach, welche Beziehungen zwischen den
einzelnen Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke bestehen und wie sich die Be-
deutungen im Laufe der Zeit gewandelt haben (Bußmann 21990, 678). Hinzu
kommt der Aspekt der Bedeutung eines sprachlichen Zeichens in verschiede-
nen Kontexten, wodurch die Frage nach der polysemischen Struktur eines
Wortkörpers auch zum semasiologischen Bereich gehört (Pelz 41999, 201).
Mit den Wortformen selbst setzt sich hingegen die Onomasiologie auseinander.
Sie geht von den außersprachlichen Elementen aus und untersucht die Be-
zeichnungen, die sich auf diese beziehen. Um die sprachlichen Ausdrücke bes-
ser einordnen zu können, finden in der Analyse Aspekte der geographischen
Verteilung der Bezeichnungen ebenso Berücksichtigung wie die Frage nach ih-
rem Wandel (Bußmann 21990, 544).
Nicht nur zur Erfassung der geographischen Verteilung der Bezeichnungen,
sondern auch als Quelle überhaupt für diese Bezeichnungen sind Sprachatlan-
ten ein geeignetes Hilfsmittel für die onomasiologische Forschung, da in ihnen
das Material in Form von onomasiologischen Karten dargestellt ist. Insofern ist
14
sense
name thing
meaning
die Sprachgeographie (vgl. Abschnitt 2.2) eine wesentliche Hilfsdisziplin für die
Onomasiologie (Pelz 41999, 201).
Semasiologie und Onomasiologie stellen zwar zwei perspektivisch entgegenge-
setzte Analysemethoden innerhalb der Semantik dar, die sich jedoch komple-
mentär zueinander verhalten, was besonders von Baldinger (vgl. Abschnitt 2.4)
herausgearbeitet wurde (Gak 1997, 207).
2.3 Der Ansatz Ullmanns
Das semiotische Dreieck von Ogden und Richards bildet für Ullmann den Aus-
gangspunkt für die Entwicklung einer eigenen Bedeutungstheorie. Ullmann kriti-
siert, dass Ogden und Richards das außersprachliche Element (Referent, s.
Schema, S.12) in ihr Modell einbeziehen. Nach Ullmann kann dieser Bereich
aufgrund seiner Außersprachlichkeit nicht durch linguistische Analysen näher
erhellt werden (Blank 1997, 34-36).
Er verändert das Modell von Ogden und Richards durch eine vereinfachte Ter-
minologie: Name (engl. name = Symbol bei Ogden/Richards), Sinn (engl. sense
= Thought or Reference) und Sache (engl. thing = Referent). Mit Name be-
zeichnet Ullmann die Lautfolge eines Wortes und dessen weitere phonologi-
schen Merkmale, wie z.B. die Betonung. Sinn steht in seinem Modell für die In-
formationen, die der Name dem Hörer übermittelt. Die Sache schließlich be-
zeichnet das außersprachliche Element, über das gesprochen wird. Zwischen
Name und Sinn besteht eine wechselseitige Beziehung, die Ullmann die Bedeu-
tung (engl. meaning) eines Wortes nennt – eine Definition, die bereits in Saus-
sures Theorie vom linguistischen Zeichen angelegt ist (vgl. Abschnitt 2.2, S.11-
12; Ullmann 1970, 56-57).
Folgendes Schema (nach Heger 1964, 491) veranschaulicht Ullmanns Drei-
ecksmodell:
2.3 Der Ansatz Ullmanns 15
In seinem Modell stößt man wie schon bei Ogden und Richards auf die unter-
brochene Linie zwischen name und thing, d.h. auch Ullmann geht davon aus,
dass zwischen den beiden Komponenten keine direkte Beziehung gegeben ist.
Eine weitere Neuerung in Ullmanns Modell gegenüber dem Dreieck von Og-
den/Richards hängt mit der Definition der Bedeutung zusammen. Für Ullmann
liegt das Wesen der Bedeutung in einer wechselseitigen Beziehung zwischen
Name und Sinn. Durch dieses Verhältnis wird ermöglicht, das eine Element
durch das jeweils andere hervorzurufen. Dadurch wird das Phänomen der Be-
deutung zu einem dynamischen Prozess und verbleibt nicht mehr in einer stati-
schen, fest gefügten Dimension (Ullmann 1967, 65). Daraus folgt unmittelbar
die Betonung der wechselseitigen Betrachtung der linken Dreieckseite: Ullmann
vermisst diesen Ansatz bei Ogden und Richards, die sich seiner Meinung nach
zu sehr auf die Rolle des Hörers konzentrieren, der das Wort hört und über den
Bezug die Mitteilung des Sprechers entschlüsseln kann.
Ullmann betont zusätzlich die Rolle des Sprechers, der, von einer bestimmten
Sache ausgehend, über den Bezug eine geeignete Lautfolge auswählt, um die-
se Sache anderen mitzuteilen (Ullmann 1970, 56). Für Ullmann ist es wichtig,
beide Rollen hervorzuheben: Eine zielgerichtete Kommunikation kann nur dann
erfolgreich stattfinden, wenn Name und zugehörige Sache sowohl beim Spre-
cher als auch beim Hörer gleichermaßen in der mentalen Repräsentation vor-
handen sind, damit der Name den Sinn hervorrufen kann und der Sinn sei-
nerseits den Namen (Ullmann 1967, 64).
Dabei ist jedoch zu beachten, dass einzelne Wörter zum Teil durchaus ver-
schiedene Bedeutungen haben können. Diese Mehrzahl an Bedeutungen er-
möglicht es, mit ein und demselben Wort verschiedene Kontexte sprachlich rea-
lisieren zu können. Daher ist der Kontext sehr wesentlich sowohl für die korrek-
te Auswahl einer mitzuteilenden Lautfolge als auch für das korrekte Verständnis
einer produzierten Lautfolge. Den verschiedenen Kontexten nachzugehen, ist
auch die Aufgabe der linguistischen Analyse von Bedeutungen. Dazu ist es
notwendig, die Eigenschaften des Wortes sowie die typischen Kontexte, in de-
nen es verwendet wird, zu betrachten.
2.3 Der Ansatz Ullmanns 16
Besteht das Bedürfnis auf Seiten der Sprecher, mittels der Wörter einen zu ver-
sprachlichenden Kontext angemessener darzustellen, bestimmte Sachverhalte
genauer oder auch anschaulicher zu beschreiben, benutzen sie häufig Wort-
schöpfungen oder rhetorische Figuren wie z.B. Metaphern oder Metonymien,
um damit Lücken im Wortschatz aufzufüllen. Angesichts der verschiedenen Be-
deutungen eines Wortes geht Ullmann davon aus, dass der Sinn lediglich eine
Art Raster ist, in dem gemeinsame Elemente der einzelnen Bedeutungen auf-
gefangen werden, individuelle Unterschiede jedoch unberücksichtigt bleiben.
Gäbe es diese Möglichkeit der Filterung nicht, wäre eine angemessene Verar-
beitung der wahrgenommenen außersprachlichen Realität nicht zu leisten. Nur
durch Auswahl, Abstraktion und Generalisierung der zu verarbeitenden Kompo-
nenten der Realität kann die menschliche Wahrnehmung vor einer Reizüberflu-
tung geschützt werden (Ullmann 31965, 97-99, 121, 136).
Zwei zentrale Aspekte in Ullmanns Ansatz betreffen Synonymie und Polysemie.
Synonymie liegt vor, wenn mehrere Wörter dieselbe Bedeutung haben. Von Po-
lysemie spricht man, wenn ein Wortkörper verschiedene Bedeutungen hat.
Letzteres ist eigentlich nur in der synchronen Sprachbetrachtung von Bedeu-
tung, hat aber auch aus diachroner Sicht weitreichende Konsequenzen. So
können Wörter im Laufe ihrer sprachgeschichtlichen Entwicklung neue Bedeu-
tungen annehmen, ohne die ursprünglichen aufzugeben. Durch das Ausschöp-
fen des Potenzials der Wörter, neue Bedeutungen anzunehmen, ist es nicht er-
forderlich, sich für jeden erdenklichen Sachverhalt eine eigene Bezeichnung zu
merken, was eine enorme Entlastung für unser Gedächtnis bedeutet (Ullmann
31965, 199).
Es ist einfach, in Semantik-Theorien die synchrone Perspektive von der dia-
chronen zu trennen, d.h. das synchrone Bedeutungsgeflecht von dem Bedeu-
tungswandel zu isolieren. Aber Ullmann weist darauf hin, dass häufig beide
Perspektiven miteinander verknüpft sind und die eine bedeutungserhellend für
die jeweils andere ist (Ullmann 1967, 35). Dieser Ansatz wird auch in der vorlie-
genden Darstellung berücksichtigt, indem die synchrone Sprachbetrachtung
17
durch die diachrone Perspektive ergänzt wird, um so Bedeutungen einzelner
Wörter besser einordnen zu können.
2.4 Der Ansatz Baldingers
Während das semantische Dreieck noch bei Ogden und Richards als ein
sprachwissenschaftliches Modell zur Beschreibung sprachlicher Zusammen-
hänge dient, wird es bei Baldinger laut Heger zu einem methodologischen Ar-
beitsmodell zur Illustration des Zusammenhangs zwischen Semasiologie und
Onomasiologie (Definitionen vgl. S.13-14; Heger 1964, 488, 493).
Baldinger nimmt Ullmanns Dreiecksmodell als Ausgangspunkt, um sich mit
Fragestellungen der Semasiologie und Onomasiologie sowie deren Interdepen-
denz zu beschäftigen. Bei der Darstellung der Semasiologie geht er davon aus,
dass ein und dieselbe Lautfolge auf verschiedene außersprachliche Elemente
referiert und damit verschiedene Inhalte haben kann. Baldinger bezeichnet die-
se Inhalte mit contenus bzw. objets mentaux (d.h. „mentale Repräsentationen“)
und verdeutlicht so, dass erst über die Vermittlung durch die mentale Repräsen-
tation – durch das Erfassen des Inhalts der Lautfolge – eine Verbindung zwi-
schen Lautfolge und außersprachlichem Element möglich ist.
Baldinger veranschaulicht die Beziehung von ein und derselben Lautfolge zu
mehreren objets mentaux durch folgendes Beispiel: Er geht dabei vom spani-
schen Äquivalent für „Krone“ (corona) aus und stellt fächerartig verschiedene
(im Schema in frz. Sprache wiedergegebene) Bedeutungsinhalte des Wortes
dar (Baldinger 1984, 12-13):
[kor'ona]
etc.
,espèce de
fortification',auréole'
,couronne'
1re acception,tonsure',monnaie'
2.4 Der Ansatz Baldingers 18
Zwischen der Lautfolge [kor’ona] und den einzelnen Inhalten besteht eine Be-
ziehung, die Baldinger Bedeutung (frz. signification) nennt. Die Inhalte fasst er
zu einem Bedeutungsfeld (frz. champ de significations) zusammen, das er auch
als semasiologisches Feld (frz. champ sémasiologique) bezeichnet.
Baldinger unterscheidet zwischen „normalen“ Bedeutungen (frz. significations
normales) und „sekundären“ Bedeutungen (frz. significations secondaires). Im
gezeigten Beispiel stellt ‚couronne‘ die normale Bedeutung der Lautfolge
[kor’ona] dar und befindet sich gemeinsam mit dieser in ein und demselben
Dreieck. Sie stellt zudem die geläufigste Bedeutung dar (im Schema ausge-
drückt durch 1re acception). Die sekundären Bedeutungen ‚espèce de
fortification‘, ‚auréole‘, ‚monnaie‘ und ‚tonsure‘ befinden sich entsprechend in
den anderen Dreiecken (Baldinger 1984, 13, 15, 92).
Die einzelnen Bedeutungen sind durch einen Bedeutungskern, der aus den
gemeinsamen Elementen der außersprachlichen Realitäten besteht, miteinan-
der verknüpft, woraus sich eine bestimmte Struktur des Bedeutungsfeldes
ergibt.
Zusätzlich zur Unterscheidung zwischen normalen und sekundären Bedeutun-
gen wird zwischen „geläufigen“ Bedeutungen (frz. significations courantes) und
solchen, die „weniger häufig“ anzutreffen sind (frz. significations sporadiques),
differenziert. Der jeweilige Kontext entscheidet darüber, welche Bedeutung mit
der Lautfolge in Verbindung gebracht wird (Baldinger 1964, 253, 255).
Auch für Baldinger ist Sprache ein Mittel, um die Realität zu repräsentieren. Um
diese Umsetzung zu verstehen, ist es unerlässlich, sie in Zusammenhang mit
der außersprachlichen Realität zu sehen. Anders als Ullmann vertritt Baldinger
daher den Standpunkt, das außersprachliche Element in die linguistische Ana-
lyse mit einzubeziehen. Die mentale Repräsentation steht in Beziehung zur
außersprachlichen Realität, d.h. die Sprache ist über die Vermittlung durch die
mentale Repräsentation mit der Realität verbunden, was eine Berücksichtigung
derselben bei linguistischen Analysen rechtfertigt und notwendig erscheinen
lässt (Baldinger 1984, 21).
2.4 Der Ansatz Baldingers 19
Die Beziehungen zwischen der mentalen Repräsentation und ihren möglichen
Bezeichnungen veranschaulicht Baldinger durch folgendes Beispiel: Ausgehend
von der mentalen Repräsentation TÊTE (dt. KOPF) stellt er, ähnlich wie beim se-
masiologischen Feld, die Bezeichnungen (im Schema in frz. Sprache wieder-
gegeben) fächerartig dar (Baldinger 1984, 90-91):
Die Beziehung zwischen der mentalen Repräsentation TÊTE und den einzelnen
Lautfolgen nennt Baldinger „Bezeichnung“ (frz. désignation). Zusammengefasst
werden diese zu einem „Bezeichnungsfeld“ (frz. champ de désignations), auch
„onomasiologisches Feld“ (frz. champ onomasiologique) genannt (Baldinger
1984, 90-91, 261).
Ähnlich wie bei der Unterscheidung zwischen normalen und sekundären Be-
deutungen, teilt Baldinger die Bezeichnungen ebenfalls in „normale“ (frz.
désignations normales) und „sekundäre“ (frz. désignations secondaires) ein. Im
gezeigten Beispiel ist tête die normale Bezeichnung für die mentale Repräsen-
tation TÊTE (dt. KOPF) und befindet sich mit ihr in ein und demselben Dreieck.
Caboche, citrouille, cafetière, tire-lire und carafon dagegen gehören zu den se-
kundären Bezeichnungen und befinden sich entsprechend in weiteren ver-
schiedenen Dreiecken. Diese sekundären Bezeichnungen sind häufig dadurch
gekennzeichnet, dass sie, im Unterschied zu den normalen Bezeichnungen, ge-
fühlsmäßige Wertungen beinhalten. So „transportiert“ z.B. der Ausdruck
caboche affektive Elemente, was sich im Wörterbuch durch den Eintrag familier
(„familiär“, „umgangssprachlich“) äußert (Robert 1990, 230), der anzeigt, dass
das Wort diaphasisch markiert ist und damit auf einer Stilebene unterhalb der
Standardsprache anzusiedeln ist.
TÊTE
cabo
che
citrouill
e
tête
tire-lire
cara
fon
cafe
tière
2.4 Der Ansatz Baldingers 20
Darüber hinaus sind sekundäre Bezeichnungen häufig dadurch gekennzeich-
net, dass ihre normalen Bedeutungen ihrerseits zu weiteren mentalen Reprä-
sentationen führen. Beispielsweise hat die sekundäre Bezeichnung citrouille die
normale Bedeutung ‚Kürbis‘ und führt damit zur mentalen Repräsentation KÜR-
BIS ALS GEWÄCHS (Baldinger 1984, 91-92).
Semasiologie und Onomasiologie stehen für Baldinger nicht isoliert nebenei-
nander sondern ergänzen sich gegenseitig (Baldinger 1984, 91). Um diese In-
terdependenz zu veranschaulichen, greift Baldinger zu folgendem Beispiel: Zu-
nächst stellt er, vom altprovenzalischen Wort für ‚arbeiten‘ (trebalhar) ausge-
hend, einen Ausschnitt aus dem Bedeutungsfeld zusammen, wobei die nicht
geschlossenen Dreiecke rechts im Schema darauf hinweisen, dass das Feld
erweitert werden kann (Baldinger 1984, 245):
Anschließend zeigt er verschiedene altprovenzalische Bezeichnungen für die
mentale Repräsentation ARBEITEN (Baldinger 1984, 246):
Die Interdependenz zwischen Semasiologie und Onomasiologie lässt sich fol-
gendermaßen beschreiben: Im semasiologischen Feld hat die Lautfolge
[trebalhar] die normale Bedeutung ‚se fatiguer, peiner, se tourmenter‘ und u.a.
die sekundäre Bedeutung ‚travailler‘. Die sekundäre Position der Bedeutung
‚travailler‘ im semasiologischen Feld beeinflusst die Position der Lautfolge
,travailler',se fatiguer, peiner,
se tourmenter'
,souffrir les douleurs
de l'enfantement'
trebalharetc.
,travailler' ,se fatiguer, peiner, se tourmenter'
obrar (mot normal) trebalhar (mot affectif)
2.4 Der Ansatz Baldingers 21
[trebalhar], über die die Bedeutung „transportiert“ wird, im onomasiologischen
Feld. Hier steht trebalhar als Bezeichnung für den Inhalt ‚travailler‘ ebenfalls in
sekundärer Position: Der Ausdruck obrar ist die normale Bezeichnung, während
trebalhar eine sekundäre Bezeichnung darstellt.
Daraus folgt, dass ein Wort eine Art Gelenkstelle zwischen dem semasiologi-
schen und onomasiologischen Feld darstellen kann. Baldinger veranschaulicht
dies durch folgendes Schema (Baldinger 1984, 246):
Während das Wort im onomasiologischen Feld eine Bezeichnung für eine men-
tale Repräsentation darstellt, übernimmt es im semasiologischen Feld die Rolle
einer Lautfolge, die ihrerseits mehrere mentale Repräsentationen darstellen
kann.
Auf diese Weise wird deutlich, dass sich Semasiologie und Onomasiologie er-
gänzen, dass sie in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen. Bal-
dinger begründet die Interdependenz mit der Struktur der Wörter. Er bezieht
sich dabei zum einen auf Saussure, der die beiden Elemente „Wortkörper“ und
„Begriff“ unterschied (s. Abschnitt 2.2, S.12), zum anderen auf Ullmann, der das
wechselseitige Verhältnis von „Name“ und „Sinn“ betont (s. Abschnitt 2.3, S.14;
Baldinger 1984, 244-246; Baldinger 1964, 268). Baldinger verdeutlicht diesen
Zusammenhang durch folgendes Schema, wobei forme für die Lautfolge steht
und chose für die außersprachliche Realität (Baldinger 1964, 269):
,travailler' ,peiner, se tourmenter'
obrar trebalhar
sign
ifica
tion
désign
atio
n
concept
choseforme
2.4 Der Ansatz Baldingers 22
Die Bedeutung (frz. signification) führt von der Lautfolge zu mentalen Reprä-
sentationen (im obigen Beispiel: [trebalhar] TRAVAILLER, SE FATIGUER, PEINER,
SE TOURMENTER, SOUFFRIR LES DOULEURS DE L’ENFANTEMENT) und lässt so ein
semasiologisches Feld entstehen. Die Bezeichnung (frz. désignation) geht den
umgekehrten Weg von der Repräsentation zu den Lautfolgen (TRAVAILLER
[trebalhar], [obrar]); es entsteht ein onomasiologisches Feld.
Die wechselseitige Beziehung zwischen Semasiologie und Onomasiologie ver-
weist für Baldinger auf die bereits von Ullmann angesprochene Hörer-Sprecher-
Problematik bei der Kommunikation (s. Abschnitt 2.3, S.15). Die Rollen des Hö-
rers und Sprechers entsprechen exakt der Gegenüberstellung von Semasiolo-
gie und Onomasiologie: Der Hörer muss herausfinden, welche der möglichen
mentalen Repräsentationen der Sprecher durch die von ihm gewählte Lautfolge
mitteilen möchte, d.h. der Standpunkt des Hörers wird durch die Semasiologie
beschrieben. Im obigen Beispiel muss sich der Hörer also fragen, ob der Spre-
cher mit trebalhar TRAVAILLER oder SE FATIGUER, PEINER, SE TOURMENTER oder
SOUFFRIR LES DOULEURS DE L’ENFANTEMENT meint. Umgekehrt muß der Sprecher
aus mehreren ihm zur Verfügung stehenden Bezeichnungen diejenige auswäh-
len, die für seine Absicht, seine mentale Repräsentation auszudrücken, am ge-
eignetsten ist. Die Rolle des Sprechers wird daher durch die Onomasiologie be-
schrieben. Im gegebenen Beispiel muss der Sprecher daher festlegen, ob er
trebalhar oder obrar verwendet, um die Repräsentation TRAVAILLER auszudrü-
cken.
Für Baldinger bedingt diese Interdependenz darüber hinaus, dass die Entwick-
lung der Sprache entsprechend von zwei Perspektiven ausgehend beobachtet
werden muss, von der semasiologischen und von der onomasiologischen. Um
die Entwicklung der beiden Strukturen angemessen nachzuvollziehen, muss
nach Baldinger die außersprachliche Realität in die Analyse mit einbezogen
werden (Baldinger 1984, 246-247; ders. 1990, S.7-10).
23
2.5 Der Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu
Der sprachwissenschaftliche Ansatz des Strukturalismus prägte wesentlich die
erste Hälfte des 20. Jhs. (Schwarz 1992, 6). Der Fokus der Analyse wird dabei
auf die Faktoren „Opposition“ und „unterscheidende Merkmale“ gelegt. Mit ihrer
Hilfe soll das Beziehungsgeflecht zwischen einzelnen lexikalischen Einheiten
derart aufgeschlüsselt werden, dass die verwandten Einheiten jeweils auf der
Grundlage von in der Regel unterscheidenden Merkmalen voneinander unter-
schieden werden (Ikegami 1997, 174). Aus der Sicht des Strukturalismus er-
scheinen die einzelnen Sprachen inhaltlich jeweils unterschiedlich strukturiert.
Hinzu kommt die Annahme, dass die außersprachliche Wirklichkeit in Abhän-
gigkeit von Sprache gegliedert ist. Dem Strukturalismus geht es jedoch lediglich
um die Erfassung der sprachimmanenten Prinzipien, so dass für das analyti-
sche Vorgehen dieser sprachwissenschaftlichen Richtung streng zwischen
Sprachlichem und Außersprachlichem getrennt wird (Coseriu 1973, 1). Das
Sprachsystem wird also rein durch sprachliche Faktoren bestimmt, und es er-
scheint nach Auffassung des Strukturalismus für das Sprachsystem unerheblich
zu sein, wie der Mensch mit der ihn umgebenden Umwelt interagiert, wie er sie
wahrnimmt und wie er auf der Grundlage von Wahrnehmungen zur Konzeptbil-
dung kommt (Taylor 21995, 16). Damit steht dieser Ansatz forschungsge-
schichtlich quasi isoliert zwischen den Forderungen von Baldinger, die außer-
sprachliche Welt in die linguistische Analyse mit einzubeziehen und den noch
zu erläuternden Prinzipien der kognitiven Linguistik, die die Hereinnahme der
außersprachlichen Faktoren in die linguistische Analyse ebenfalls in hohem
Maße fordert. Diese isolierte Position soll nun nicht dazu führen, im Rahmen
der vorliegenden Darstellung ganz auf den Ansatz der strukturellen Semantik zu
verzichten. Es soll vielmehr herausgearbeitet werden, inwieweit die Untersu-
chungsrichtung auch Impulse für die Analyse des vorliegenden Sprachmaterials
liefert und somit gewinnbringend mit anderen bereits vorgestellten und noch zu
erläuternden Ansätzen verknüpft werden kann.
2.5 Der Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu 24
Eines der leitenden Prinzipien im strukturellen Ansatz von Coseriu ist das der –
bereits erwähnten – Opposition. Sprachliche Erscheinungen werden als jeweils
von anderen ebenfalls sprachlichen Erscheinungen abgegrenzt betrachtet. Mo-
dell für die Zerlegung der Sprache in kleinere Einheiten bildet die Phonologie,
die ihrerseits eine Einteilung von Zeichen in kleinere Einheiten, die Phoneme,
vornimmt, welche wiederum zerlegt werden, so dass man kleinste Einheiten er-
hält, durch die die einzelnen Phoneme voneinander unterschieden werden kön-
nen. Diese Vorgehensweise wird von Coseriu auf den semantischen Bereich
übertragen, indem auch dort versucht wird, durch Zergliederung des Wortschat-
zes in kleinste Einheiten die genaue Struktur der sprachlichen Einheiten her-
auszuarbeiten (Coseriu 1973, 11-12). Wesentlich – speziell für das vorliegende
Sprachmaterial, das größtenteils auf den Verfahren der Metapher und Metony-
mie beruht – ist die Aussage Coserius, dass vor der Analyse des Grundwort-
schatzes die metaphorischen Verwendungen von den nicht-metaphorischen ge-
trennt werden müssen. Nach Coseriu können die metaphorischen Verwen-
dungen von der strukturellen Semantik nicht erfasst werden (Coseriu 1973, 18).
Ein weiterer Aspekt spielt für die nachfolgende Analyse des vorliegenden
Sprachmaterials eine wesentliche Rolle: die Beziehung zwischen Realität und
Wortschatz. Diesbezüglich geht Coseriu davon aus, dass über die Sprache eine
Gliederung der außersprachlichen Wirklichkeit erfolgt. Diese Tatsache zeigt
sich für Coseriu besonders deutlich daran, dass einzelne Sprachen über ihren
Wortschatz bestimmte Unterscheidungen vornehmen, andere Sprachen jedoch
nicht oder wenigstens nicht in dem gleichen Maße. Als Beispiel führt er folgen-
des Schema an (nach Coseriu 1973, 13):
bois
leña legna Holz
Holz
madera legno
bosque bosco Wald
forêt selva foresta
frz. sp. it. dt.
Diese Übersicht verdeutlicht, dass Sprachen keine festgelegten Begriffsraster
darstellen, die auf die Wirklichkeit projiziert werden, sondern dass vielmehr über
die einzelnen Sprachen eine jeweils individuelle Beschreibung der Realität er-
2.5 Der Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu 25
folgt. Daraus ergibt sich unmittelbar die Feststellung, dass die außersprachliche
Wirklichkeit nicht objektiv gegliedert erscheint, sondern je nach Sprache eine
unterschiedliche Struktur aufweist (Coseriu 1973, 13, 22). Coseriu fordert also
im Rahmen von linguistischen Analysen eine strikte Trennung zwischen der
Realität und der Sprache. Er ist sich aber der Tatsache bewusst, dass aufgrund
der sehr engen Zusammenhänge zwischen den beiden Komponenten der For-
derung nach Trennung nicht immer nachgekommen werden kann. Dennoch be-
tont er, dass im Zuge der Analyse von Bedeutungen in jedem Fall zwischen den
Aspekten, die die Sachen direkt betreffen, z.B. die Kenntnis über die Sachen
oder Elemente der Stellungnahme bezüglich der Sachen, und den Faktoren,
die sich lediglich auf das Sprachliche beziehen, differenziert werden muss
(Coseriu 1973, 26). Coseriu legt in seinem Ansatz zwar den Schwerpunkt auf
die Synchronie, da seiner Auffassung nach nur in einem Sprachzustand eine
strukturelle Analyse des Wortschatzes möglich ist, geht aber zugleich davon
aus, dass im synchronen Sprachzustand immer auch diachrone Elemente ent-
halten sind, die prägend für den aktuellen Zustand einer Sprache sind (Coseriu
1973, 34).
Coseriu betrachtet – wie bekannt – eine historische Sprache als ein „Diasys-
tem“, d.h. ein System von Systemen. Damit ist gemeint, dass innerhalb einer
Sprache verschiedene Ebenen unterschieden werden müssen. Zunächst trifft
man bei einer Sprache auf Unterschiede z.B. im Wortschatz, die auf geographi-
schen Faktoren beruhen. Solche so genannten „diatopischen“ Erscheinungen
rühren beispielsweise von der unterschiedlichen räumlichen Verwendungsweise
einzelner Wörter her. Darüber hinaus lassen sich in einer Sprache Unterschiede
aufdecken, die den sozial-kulturellen Bereich betreffen. Hier geht es um die
schichtspezifische Verwendung der Wörter, man spricht dabei auch von „dia-
stratischen“ Unterschieden. Schließlich ist eine Sprache geprägt durch das
Vorhandensein jeweils unterschiedlicher Sprachstile. Die sich daraus ergeben-
den Unterschiede ordnet man dem „diaphasischen“ Bereich zu. Diese drei „Un-
tersysteme“ des Diasystems Sprache beeinflussen sich gegenseitig und müs-
2.5 Der Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu 26
sen bei einer Analyse des Wortschatzes in Betracht gezogen werden (Coseriu
1973, 38-39).
Schließlich ist besonders im Rahmen des für die Analyse der folgenden Darstel-
lung ausgewählten Sprachmaterials ein weiterer Aspekt innerhalb des Ansatzes
von Coseriu hervorzuheben: die Rolle der Terminologien und Nomenklaturen
der Wissenschaften. Ein Teil des gewählten Sprachmaterials entstammt direkt
wissenschaftlichen Terminologien aus dem Bereich der Botanik. Interessant in
diesem Zusammenhang ist nun, dass Coseriu diese semantischen Einheiten
aus der linguistischen Analyse ausklammert. Dieses Vorgehen begründet er
damit, dass die einzelnen Elemente solcher wissenschaftlichen Terminologien
nicht in derselben Art voneinander abgegrenzt sind, wie es bei den Elementen
des Grundwortschatzes der Fall ist. Bei den Terminologien ergeben sich die Dif-
ferenzierungen lediglich auf der Grundlage der Unterscheidungen, die von den
einzelnen Wissenschaften vorgenommen werden (Coseriu 1973, 16-17). Die
Gliederung basiert damit nicht rein auf sprachlichen Merkmalen, sondern viel-
mehr auf wissenschaftlicher Beobachtung, die dann versprachlicht wird. Aus
den Prinzipien der wissenschaftlichen Terminologien heraus, die auf Eindeutig-
keit angelegt sind und wissenschaftlich-technischen Anforderungen genügen
müssen, ergibt sich die Tatsache, dass Terminologien in der Regel eindeutig
sind und sich einer strukturellen Analyse entziehen. Dies bedeutet, dass Termi-
nologien nicht von ihrer sprachlichen Seite her verstanden werden können,
sondern lediglich auf der Grundlage der durch sie bezeichneten Sachen, so
dass ein besonderer Schwerpunkt auf die Sachkenntnis gelegt werden muss
(Coseriu 1973, 26-30).
Der Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu ist nicht ohne Kritik geblie-
ben. So wird von verschiedener Seite besonders bemängelt, dass die bereits
angesprochenen wissenschaftlichen Terminologien aus der linguistischen Ana-
lyse ausgeschlossen werden. Wunderli (1995) beispielsweise widerspricht
Coserius Auffassung, dass Terminologien sprachlich unstrukturiert seien. Er
geht vielmehr davon aus, dass der Unterschied zwischen den „normalen“ Wör-
tern des Grundwortschatzes und den Einheiten der jeweiligen Fachterminolo-
2.5 Der Ansatz der strukturellen Semantik nach Coseriu 27
gien bezüglich des Grades ihrer Strukturiertheit lediglich relativ zu bewerten ist
(Wunderli 1995, 795-796). Ikegami (1997) merkt einen weiteren Kritikpunkt am
Ansatz der strukturellen Semantik an: Er betrachtet den Ansatz als nicht adä-
quat genug, wenn es um das Phänomen der Kommunikation geht. Sobald Wör-
ter verwendet werden, um beispielsweise in Form von Texten Inhalte zu vermit-
teln, kommt für das Verständnis eben dieser Wörter noch vieles mehr zum Tra-
gen als durch die rein strukturelle Bedeutungserfassung der einzelnen Wörter
impliziert wird (Ikegami 1997, 175).
Versucht man nun, den soeben grob skizzierten Ansatz bezüglich seiner Rele-
vanz für die noch zu erfolgende Analyse des vorliegenden Sprachmaterials zu
bewerten, so ergibt sich folgendes Bild: Problematisch ist es, den Ansatz für die
Analyse gewinnbringend einzusetzen, wenn es darum geht, das Sprachmaterial
hinsichtlich der Bezeichnungsverfahren zu untersuchen. Da das gesamte Mate-
rial nahezu ausschließlich auf der Grundlage von Metaphern und Metonymien
gebildet worden ist, besonders ersteres Verfahren aber nicht vom Ansatz
Coserius erfasst werden kann, ergeben sich Anwendungsschwierigkeiten. We-
sentliche Impulse kann der Ansatz jedoch für die Betrachtung des Verhältnisses
von Sprache und Realität liefern; hier bietet der Ansatz eine grobe Orientierung,
die später im Rahmen der kognitiven Linguistik weiter verfeinert wird. Allerdings
ist die geforderte strikte Trennung von Sachen und Sprache bei der nachfol-
genden Analyse nicht zu verwirklichen; dort soll es gerade darum gehen, unter
Einbeziehung der Sachinformationen genaue Anhaltspunkte für die Gliederung
der außersprachlichen Realität durch die Sprecher zu bekommen. Die Auffas-
sung von der Sprache als einem Diasystem hingegen dürfte für die weitere
Analyse durchaus gewinnbringend sein. Das Sprachmaterial ist zum großen
Teil Sprachatlanten entnommen, woraus sich die Notwendigkeit der Berücksich-
tigung diatopischer Aspekte zwingend ergibt. Auch der Aspekt der Diastratik
spielt eine wesentliche Rolle insofern, als dass das Sprachmaterial sowohl wis-
senschaftliche als auch allgemeinsprachliche Bezeichnungen für Pflanzen ent-
hält. In diesem Punkt jedoch muss die Analyse über den Ansatz Coserius hi-
28
nausgehen: Seine Forderung, die wissenschaftlichen Terminologien von der
Analyse auszuschließen, kann im Folgenden nicht berücksichtigt werden.
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kogni-tiven Linguistik
Baldinger erkennt zwar die Relevanz des außersprachlichen Elements insofern,
als dass Sprache eine Gestaltung der Realität darstellt und die mentale Reprä-
sentation in Beziehung zur außersprachlichen Realität steht. Sein Ansatz liefert
jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie das außersprachliche Element und
die darüber verfügbaren relevanten Informationen derart in die linguistische
Analyse integriert werden sollen, dass beispielsweise ein Aufdecken von Be-
zeichnungsmotivationen ermöglicht wird. Diesem Manko begegnen neuere An-
sätze innerhalb der semantischen Forschung, die sich um die methodische Be-
rücksichtigung der außersprachlichen Realität und des Wissens der Sprecher
über diese Realität bemühen. Dieses außersprachliche Wissen betrifft zum ei-
nen die Vorstellung, die die Sprecher vom jeweiligen Gegenstand oder Sach-
verhalt haben. Es betrifft darüber hinaus die Kenntnis von den Eigenschaften,
die die Komponenten der außersprachlichen Realität charakterisieren. Dieses
Wissen kann nicht ausschließlich auf eine Einzelsprache bezogen sein, son-
dern betrifft die Gegenstände oder Sachverhalte in ihrer Allgemeinheit, in ihrem
Vorhandensein in der außersprachlichen Realität.
Zu diesem Wissen „über die Sache“ tritt das semantische Wissen der Sprecher
einer einzelnen Sprache. Mit Hilfe dieses Wissens können einzelne Bedeutun-
gen eines Wortes von anderen dieses oder eines anderen Wortes abgegrenzt
werden.
Schließlich „transportiert“ ein Wort Informationen, die ganz zum einzelsprach-
lichen Bereich gehören. Diese Informationen betreffen z.B. die Stellung des
Wortes im Lexikon einer Sprachgemeinschaft sowie die Regeln für seinen Ge-
brauch im Diskurs (Blank 1997, 49, 54).
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 29
Die ganze Bandbreite dieser einzelsprachlichen Merkmale ist dem Sprecher
während des Diskurses im Normalfall nicht vollständig bewusst. Das bedeutet,
dass Sprechen und Verstehen nicht immer auf der Grundlage von sorgfältiger
Planung, die die Einzelmerkmale berücksichtigt, realisiert werden. Da jedoch in
den meisten Fällen eine den Konventionen entsprechende Verwendung von
Wörtern gegeben ist, ist davon auszugehen, dass die angesprochenen Einzel-
merkmale von den Sprechern unbewusst im Diskurs berücksichtigt werden.
Das Wissen über die Verwendung von Wörtern – Blank nennt es das „einzel-
sprachlich-sememische Wissen“ – hängt direkt mit ihrer diasystematischen Mar-
kierung zusammen: Laut Coseriu ist eine historische Sprache immer ein Dia-
system, ein Netz von Sprachsystemen. Im Diskurs wird man die unterschiedli-
chen Ebenen fast immer vermischt antreffen. Wenn es jedoch um eine linguisti-
sche Analyse des Diskurses geht, sollte man die Ebenen möglichst auseinan-
der halten. Die diasystematische Markierung kann als Wissen der Sprecher
über die Verwendungsbedingungen eines Wortes interpretiert werden; Blank
nennt es das „lexikalisch-einzelsprachliche Wissen“ (Blank 1997, 61-65).
Mit einem Wort assoziieren Sprecher in der Regel nicht nur Merkmale, die sich
direkt auf das Wort und seine Verwendung beziehen. Darüber hinaus ist es den
Sprechern möglich, mit einem Wort Assoziationen wachzurufen, die die Welt-
erfahrung der Sprecher betreffen sowie ihr kulturell vermitteltes Wissen über die
außersprachliche Realität. Diese Assoziationen beziehen sich ausschließlich
auf die Sache selbst, nicht auf die einzelsprachliche Umsetzung. Blank unter-
scheidet zwischen zwei Arten von außersprachlichen Assoziationen: Konnota-
tionen und Weltwissen. Mit dem Begriff „Weltwissen“ bezeichnet er diejenigen
Kenntnisse über einen Gegenstand oder Sachverhalt, die unabhängig von der
Einzelsprache sind, jedoch kulturell geprägt sein können. Diese Kenntnisse be-
treffen die Eigenschaften und sonstigen Merkmale, die häufig auch historischen
Einflüssen unterliegen.
Als Folge des Weltwissens können die so genannten „Konnotationen“ verstan-
den werden: Aus den zunächst je individuellen Erfahrungen, die die Sprecher in
der sie umgebenden Realität sammeln, entwickeln sie zu den jeweiligen Sach-
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 30
verhalten oder Gegenständen Einschätzungen, Gefühle und Bewertungen. Die-
se Assoziationen sind ausschließlich intuitiv und gefühlsmäßig, beziehen sich
im Fall der Konnotationen jedoch nicht lediglich auf ein einzelnes Individuum,
sondern sie beschreiben Bewertungen, die eine Sprechergemeinschaft allge-
mein gegenüber Sachverhalten und Gegenständen vornimmt. Da sich die As-
soziationen unmittelbar aus der Erfahrung mit der Wirklichkeit ergeben, ist es
oft schwierig, Konnotationen und Weltwissen voneinander zu unterscheiden.
Um das außersprachliche Wissen in die Beschreibung der Bedeutung eines
Wortes adäquat mit einzubeziehen, müssen Erfahrungen und Konnotationen
des Individuums ausgeschlossen werden, sofern sie nicht zum allgemeinen
Verständnis von einem Wort innerhalb einer bestimmten Sprechergemeinschaft
zählen. Bei der linguistischen Analyse von Bedeutungen muss darüber hinaus
beachtet werden, dass sowohl Konnotationen als auch Weltwissen nicht unbe-
dingt für jedes einzelne Individuum einer jeweiligen Sprechergemeinschaft volle
Gültigkeit besitzen, da sie dafür zu viele verschiedene Ebenen betreffen (Blank
1997, 73-76).
Während das Weltwissen oder auch enzyklopädische Wissen in den bisher be-
sprochenen semantischen Ansätzen nicht berücksichtigt wurde, wird bei den
neueren Theorien diese Lücke geschlossen: So betont die Prototypentheorie
optisch auffällige Merkmale von Gegenständen oder Sachverhalten sowie sons-
tige für den Menschen relevante Eigenschaften, die ihre Bedeutung in seinem
Umgang mit den Gegenständen oder Sachverhalten erlangen. Diese außer-
sprachliche Ebene wird aus kognitiver und anthropologischer Sicht dem Men-
schen über sprachliche Zeichen vermittelt, welche eine Abstraktion der Realität
darstellen. Dem Menschen ist es unmöglich, seine Umwelt ohne Abstraktion
und Kategorisierung zu verarbeiten. Jedes Mal, wenn er einen Sachverhalt oder
Gegenstand wahrnimmt, kategorisiert er, um seine Wahrnehmungen zu organi-
sieren. Die Kategorisierung ist eine mentale Operation und verfolgt das Ziel,
verschiedene „Sachen“ in einer Gruppe zusammenzufassen. Alle einzelnen
Komponenten der außersprachlichen Realität können nicht mit individuellen
Bezeichnungen belegt werden, da dann eine Verarbeitung der Realität und der
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 31
Austausch über ihre Elemente nicht mehr gewährleistet ist. Daher muss der
Mensch Kategorien finden, in denen er die einzelnen Komponenten zu größe-
ren Einheiten zusammenfasst. Fraglich ist nun aber, wie die unbegrenzte Viel-
falt der Realität durch nur begrenzt zur Verfügung stehende sprachliche Mittel
kategorisiert werden kann (Niklas-Salminen 1997, 39, 144; Kleiber 1993, 4).
Die Prototypensemantik beschäftigt sich detailliert mit dem Phänomen der Kate-
gorisierung. Sie geht davon aus, dass sich bei der Gesamtheit der Reize, die
der Mensch über seine Sinnesorgane aus der Umwelt aufnimmt, einzelne Reize
von der Masse umgebender Reize abheben, da sie besonders markant oder
wesentlich sind. Dies bedeutet, dass bestimmte prägnante, prototypische Cha-
rakteristika von Gegenständen herausgefiltert werden, die als Ankerpunkte für
die Wahrnehmung dienen. Dadurch können die Wahrnehmungen in Form von
Kategorien organisiert werden, die intern hierarchisch strukturiert sind. An der
Spitze der Hierarchie steht der Prototyp als bester Vertreter einer Kategorie und
vereint damit in sich die meisten Merkmale, die die übrigen Mitglieder der Kate-
gorie charakterisieren. Diese anderen Mitglieder werden aufgrund ihrer wahr-
genommenen Ähnlichkeit mit dem Prototypen derselben Kategorie zugeordnet.
Inwieweit Ähnlichkeiten zwischen den Komponenten der Wirklichkeit gesehen
werden, ist vornehmlich vom Individuum abhängig. Die sich daraus ergebende
Variation innerhalb der Wahrnehmung und die damit verbundene Variation in
der sprachlichen Realisierung spielt für die Prototypensemantik keine Rolle, da
sie davon ausgeht, dass die Sprecher einer jeweiligen Sprachgemeinschaft ei-
ne relativ stabile und übereinstimmende Einschätzung der Realität vornehmen
(Niklas-Salminen 1997, 146-147; Kleiber 1993, 31).
Ein prototypischer Vertreter ist dadurch charakterisiert, dass er viel schneller in
Kategorien eingeordnet wird als Vertreter, die nicht prototypisch sind. Der Pro-
totyp an sich dient als bester Vertreter als kognitiver Bezugspunkt, als Anker-
punkt für weitere zu verarbeitende Wahrnehmungen. Wenn nach den einzelnen
Mitgliedern einer Kategorie gefragt wird, wird in der Regel zunächst der Proto-
typ genannt.
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 32
Da die einzelnen Mitglieder einer Kategorie nicht in einem äquivalenten Ver-
hältnis zueinander stehen, ergibt sich eine hierarchische Struktur. So entschei-
det der Grad der Repräsentativität eines Elements über dessen Rang innerhalb
der Kategorie. Dasjenige Element, das den höchsten Repräsentativitätsgrad
aufweist, gilt als der Prototyp. Die anderen Bestandteile einer Kategorie werden
danach eingestuft, wie ähnlich sie dem Prototyp sind. Je mehr ein Element dem
Prototyp ähnelt, desto gesicherter ist seine Zugehörigkeit zur Kategorie, es wird
in die Nähe zum Prototypen eingeordnet. Elemente, die einen nicht so hohen
Ähnlichkeitsgrad aufweisen, befinden sich eher am Rand der Kategorie.
Schließlich gibt es Elemente, die eine mittlere Ähnlichkeit zum Prototypen zei-
gen und entsprechend mittig zwischen dem Prototypen und den Randele-
menten angesiedelt sind (Niklas-Salminen 1997, 147).
Die Prototypensemantik bietet durch ihren Ansatz, die referentiellen Eigen-
schaften der Wörter in den Vordergrund zu rücken, die Möglichkeit, bei der Un-
tersuchung von Bedeutungen zusätzliche Aspekte der Motivierung von Be-
zeichnungen aufzudecken. Mit der Beachtung des enzyklopädischen Wissens,
das seinen Ausdruck in der Kategorisierung von Sachverhalten oder Gegen-
ständen findet, können Aspekte der Bedeutungen von Wörtern entschlüsselt
werden, die von der strukturellen Semantik nicht erfasst werden (Kleiber 1993,
8). Dies hängt damit zusammen, dass der strukturelle Ansatz zum einen streng
zwischen dem Sprachlichen und Außersprachlichen trennt und zum anderen
die außersprachlichen Elemente von der linguistischen Analyse ausschließt
(vgl. Abschnitt 2.5).
Als ein Vertreter der Prototypensemantik spielt Koch besonders dahingehend
eine wichtige Rolle, dass er den Begriff der Prototypikalität genauer definiert
hat. Zum einen spielt die Prototypikalität eine wichtige Rolle bei der Zuordnung
von einzelnen zu bezeichnenden Gegenständen oder Sachverhalten zu der je-
weiligen übergeordneten mentalen Repräsentation. So weisen einzelne Sach-
verhalte einen höheren Grad an Prototypikalität auf als andere, enthalten also
mehr typische Merkmale, die sie näher an die mentale Repräsentation rücken
lassen als andere.
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 33
Eine weitere Auslegung des Begriffs der Prototypikalität bezieht sich auf den
von Koch genannten „prototypischen Effekt“ (effet prototypique), der sich da-
raus ergibt, dass die einzelnen Bedeutungen eines polysemischen Lexems un-
terschiedlich häufig von der Sprechergemeinschaft angenommen werden (Koch
1996a, 225).
Die kognitive Semantik geht davon aus, dass eine mentale Repräsentation je-
weils bestimmte charakteristische Merkmale besitzt, die sie von anderen Re-
präsentationen unterscheidet. Es sind diese charakteristischen Merkmale, die
von der kognitiven Semantik, und in diesem Zusammenhang auch von der Pro-
totypen-Theorie, zur Klärung von Wortbedeutungen herangezogen werden. Die
kognitive Semantik ist damit eine Semantik der mentalen Repräsentation. Sie
fragt nach den Wesensmerkmalen der Repräsentation, nach dem Weltwissen
und dem enzyklopädischen Wissen, das durch die Repräsentation zum Aus-
druck kommt, in ihr quasi gesammelt ist, durch das sie überhaupt erst gegeben
ist. Aufgrund dieser Merkmale der Repräsentation versucht die kognitive Lingu-
istik herauszufinden, wie es zur Bildung von linguistischen Zeichen kommt, wie
diese eingesetzt werden, um auf das zu Bezeichnende zu verweisen. Koch
stellt allerdings auch fest, dass eine Semantik, die ausschließlich die mentale
Repräsentation (désigné) als Ausgangspunkt nimmt, ebenso unvollständig ist
wie eine Semantik, die sich nur auf den Wortbegriff (signifié) stützt.
Folgende Bereiche können durch eine Semantik des signifié untersucht werden:
Es kann analysiert werden, wie die jeweilige Sprache die Einteilung in Seme, in
kleinste bedeutungsunterscheidende Einheiten, vornimmt. Während z.B. das
Französische nur einen Ausdruck für FISCH kennt (poisson), unterscheidet das
Spanische zwischen dem LEBEWESEN FISCH (pez) und dem NAHRUNGSMITTEL
FISCH (pescado). Des Weiteren kann nach den lexikalischen Variationsmög-
lichkeiten innerhalb einer Sprache gefragt werden. Häufig gibt es in einer Spra-
che für ein und dieselbe mentale Repräsentation diatopisch, diastratisch und
diaphasisch verschiedenartig markierte Ausdrucksformen. Es kann darüber
hinaus untersucht werden, wie sich durch die jeweilige Sprachgeschichte be-
gründete Entwicklungen ergeben, die die Motiviertheit bestimmter Wörter be-
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 34
züglich ihrer Ableitung, Komposition oder ihrem Gebrauch innerhalb fest ge-
fügter Redewendungen hervorrufen. Ein weiterer Aspekt der Analyse betrifft
den Polysemie-Bereich. Hier geht es darum, herauszuarbeiten, wie die ver-
schiedenen Bedeutungen ein und desselben sprachlichen Ausdrucks motiviert
sind. Auch für diese Motivierungen sind historische Entwicklungen einer jeweili-
gen Sprache verantwortlich. So sind beispielsweise die einzelnen poly-
semischen Bedeutungen des französischen pied nicht immer übereinstimmend
mit denjenigen des deutschen Fuß. So stehen zwar sowohl pied als auch Fuß
für die mentale Repräsentation KÖRPERTEIL oder MAßEINHEIT. Während aber
z.B. im Französischen von einem pied de table gesprochen wird, wird im Deut-
schen der Ausdruck Tischbein benutzt.
Alle zuvor genannten Punkte können von einer kognitiv orientierten Semantik
auf der Basis der mentalen Repräsentation nicht analysiert werden, denn ihr
geht es nicht um die speziellen, historisch begründeten Charakteristika der je-
weiligen Einzelsprache. Bei ihr stehen die Eigenschaften der mentalen Reprä-
sentationen im Zentrum des Interesses. Diese Eigenschaften werden im Unter-
schied zu den historisch festgelegten Merkmalen einer Sprache als explizit
wahrnehmbar, mit den Sinnesorganen erfahrbar, und sogar von Fall zu Fall als
universell angenommen.
Die strukturell ausgerichtete Semantik des signifié erfüllt wichtige Aufgaben im
Bereich der Beschreibung und Analyse historisch geprägter Charakteristika ei-
ner Sprache. Ihr ist es aber nicht möglich, die kognitiven Grundlagen, die zur
Bezeichnungsfindung führen, aufzuzeigen. Um diese zu erreichen, muss man
laut Koch über den Bereich der Einzelsprachen hinausgehen und sich mit den
Eigenschaften der mentalen Repräsentation (désigné) befassen (Koch 1996a,
225-227). Man kann beobachten, dass verschiedene Sprachen zu unterschied-
lichen Lösungen im Bereich der Bezeichnungen kommen, um eine mentale Re-
präsentation auszudrücken. Hier hilft das außersprachliche Wissen, diese Un-
terschiede zu erklären aufgrund der mit Hilfe des Wissens feststellbaren ge-
meinsamen kognitiven Basis der mentalen Repräsentationen.
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 35
Was den Aspekt der Polysemie betrifft, so ist es für eine Semantik der Bezeich-
nung nur relevant, die Motivation sprachlicher Zeichen vor dem Hintergrund ih-
rer sprachhistorischen Entwicklung zu beschreiben. Für Koch steht jedoch fest,
dass Polysemie immer auch aus einem semantischen Wandel heraus entsteht.
Dieser wiederum wird, zumindest in manchen Fällen, als unmittelbar abhängig
von den Vorstellungen gesehen, die die Sprecher von dem jeweiligen Gegen-
stand oder Sachverhalt haben. Daraus folgt, dass man immer auch die Ebene
des désigné, der mentalen Repräsentation, in Betracht ziehen muss, um die
kognitiven Grundlagen der polysemischen Erscheinungen angemessen be-
schreiben zu können. Koch illustriert diese Forderung an folgendem Beispiel:
Das französische Wort pied steht sowohl für die MAßEINHEIT FUß als auch für
den dem Kopfende eines Bettes gegenüberliegenden Teil (FUßENDE). Beide
Bedeutungen hängen metonymisch miteinander zusammen. Die mentale Re-
präsentation MAßEINHEIT wird durch das Zeichen Fuß ausgedrückt, welches
wiederum die Repräsentation FUßENDE darstellt. Die Repräsentationen MAßEIN-
HEIT und FUßENDE hängen jeweils auf ihre Weise mit ähnlichen Eigenschaften
der mentalen Repräsentation FUß zusammen. Die durchschnittliche Länge des
menschlichen Fußes fungiert als Längenmaß; die dem Kopf entgegengesetzte
Position des Fußes wird benutzt, um auf das beim Bettgestell dem Kopfteil ge-
genüberliegende Fußende zu verweisen. An diesem Beispiel wird also deutlich,
dass durch Heranziehen der Eigenschaften der mentalen Repräsentationen die
polysemischen Erscheinungen besser einzuordnen sind. Ein weiteres Beispiel
dient Koch zur Illustration dieses Zusammenhangs: Die Bedeutung ‚Fuß eines
Berges‘ (frz. pied d’une montagne) basiert auf der Ähnlichkeit zwischen der Ei-
genschaft UNTERE POSITION DES FUßES AM MENSCHLICHEN KÖRPER und dem unte-
ren Abschnitt eines Berges. Die Bedeutung ‚Tischbein‘ (frz. pied de table) be-
ruht auf der ähnlichen stützenden Funktion, die dem menschlichen Fuß zu-
kommt. Auch hier sind es wiederum die Eigenschaften der mentalen Repräsen-
tation, die die Polysemie erklären können.
Koch sieht eine Trennung zwischen einer Semantik der Bezeichnung und einer
Semantik, die den Gegenstand bzw. Sachverhalt zum Inhalt hat. Koch verdeut-
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 36
licht seine Aussage wiederum anhand eines Beispiels: Auf der Ebene der men-
talen Repräsentation sind die beiden Bezeichnungen pied d’un lit und Fußende
gleich. Jedoch ist unmittelbar ersichtlich, dass die sprachliche Realisierung der
Repräsentation verschieden ist. Das Französische nutzt eine polysemische Be-
deutung der Bezeichnung pied (dt. Fuß), während das Deutsche eine Komposi-
tion aus Fuß + Ende bildet. Die kognitive Semantik stützt sich ausschließlich auf
das enzyklopädische Wissen. Die semantische Information, die durch die Be-
zeichnung vermittelt wird, wird gleichbedeutend mit der dahinter stehenden en-
zyklopädischen Information gesehen. Die kognitive Semantik negiert die Exis-
tenz des signifié: Für sie braucht es keinen „Mittler“ zwischen signifiant und
désigné. Die kognitive Linguistik geht davon aus, dass zwischen dem linguisti-
schen signifiant und einer kognitiven Kategorie eine Verbindung besteht, d.h.
der signifiant fungiert als ein Ausdrucksmittel für eine semantische Kategorie,
die durch unser enzyklopädisches Wissen mit Hilfe der Kognition festgelegt
wird.
Innerhalb einer kognitiven Kategorie gibt es den Prototypen als ihren typischen
Vertreter. So gibt es beispielsweise einen semasiologischen Prototypen. Hier
stellt sich jedoch die Frage, ob polysemische Bezeichnungen nur einer kogni-
tiven Kategorie und damit nur einem Prototypen angehören. Es gibt eine Art
erweiterte Version der Prototypensemantik, die diese Frage bejaht. Um eine
zentrale Kategorie lagern sich innerhalb einer kognitiven Kategorie die einzel-
nen polysemischen Lexeme, sozusagen als Unter-Kategorien. Die einzelnen
polysemischen Anwendungen einer Bezeichnung unterscheiden sich voneinan-
der und sind auch verschieden von der zentralen Kategorie. Jedoch gibt es al-
len Anwendungen gemeinsame Merkmale, die auch bei der zentralen Kategorie
zu finden sind. Die Unter-Kategorien gruppieren sich unterschiedlich weit ent-
fernt um die zentrale Kategorie, je nachdem, in wie vielen Elementen sie mit der
zentralen Kategorie übereinstimmen. Bei großer Übereinstimmung rücken die
Unter-Kategorien näher an das Zentrum als bei geringerer Übereinstimmung.
Damit hängt unmittelbar zusammen, dass die einzelnen Bedeutungen eines
polysemischen Lexems innerhalb einer Sprechergemeinschaft unterschiedlich
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 37
häufig angenommen werden. Koch illustriert seine Aussagen durch folgendes
Schema zum Konzept PIED (dt. Fuß) (Koch 1996a, 227-232):
Zwischen pied => ‚partie du corps‘ (dt. Körperteil) und pied (du lit) (dt. Fußende)
einerseits und zwischen pied => ‚partie du corps‘ und pied => ‚unité de mesure‘
(dt. Maßeinheit) andererseits bestehen inhaltliche Überschneidungen, verdeut-
licht im Schema durch die Überlappungen. Die Überlappungen zeigen, dass es
jeweils Eigenschaften gibt, die in beiden Anwendungen (unité de mesure/pied
(du lit)) vorkommen und die wiederum ähnlich sein müssen mit Eigenschaften
der zentralen Unter-Kategorie (pied => ‚partie du corps‘). Alle weiteren Anwen-
dungen sind kettengliederartig angeordnet, immer in Relation zur zentralen Un-
ter-Kategorie. Je weniger Eigenschaften die Anwendungen mit der zentralen
Unter-Kategorie teilen, desto weiter entfernt von dieser sind die Anwendungen
angeordnet. Hierbei kann man Abstufungen beobachten, die sich aus dem Grad
der Ähnlichkeit der weiteren Anwendungen mit der Unter-Kategorie ergeben.
Diese Abstufungen sind im Schema durch die Kreislinien angedeutet. Die äuße-
re gestrichelte Linie zeigt an, dass es noch weitere Anwendungen des Konzep-
PIED =
PARTIE
DU
CORPS
PIED
(DU LIT)
PIED
(D'UNE
MONTAGNE
etc.)
PIED
(DE TABLE
etc.)
PIED
PIED =
UNITÉ DE
MESURE
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 38
tes PIED gibt, die noch weiter entfernt von der dargestellten Unter-Kategorie
liegen und im Schema nicht aufgeführt sind. Die einzelnen im Schema darge-
stellten Anwendungen des Konzeptes PIED verweisen auf verschiedene Kate-
gorien von Referenten (Bettfuß, Bergfuß, Tischbein). Es geht hier um die sema-
siologische Perspektive: Eine Bezeichnung steht für mehrere Referenten, von
denen wiederum jeder seinen eigenen Prototypen besitzt.
Man kann sich nun fragen, warum einzelne Referenten in den Anwendungsbe-
reich des Konzeptes PIED fallen, andere dagegen nicht. Diese Fragestellung
betrifft aber nicht den Bereich der Kategorisierung, sondern den der Motivie-
rung. Einerseits kann man hierbei die Motivation für das Phänomen der Poly-
semie innerhalb einer bestimmten Sprechergemeinschaft analysieren. Anderer-
seits muss diese Motivation aber auch auf ihre kognitiven Grundlagen hin un-
tersucht werden, d.h. es muss auf der Ebene der möglichen désignés, der men-
talen Repräsentationen, geforscht werden. Die im Schema dargestellten Poly-
semien können zwar ohne weiteres durch den Aspekt der Ähnlichkeit erklärt
werden, jedoch erkennt man z.B. bei den Metaphern „Bergfuß“ (pied d’une
montagne) oder „Tischbein“ (pied de table) einen Wechsel des konzeptuellen
Rahmens. Während es sich bei der zentralen Unter-Kategorie um einen Teil
des menschlichen Körpers handelt, sind „Bergfuß“ oder „Tischbein“ nicht Be-
standteile dieses Rahmens. Es hat also eine Übertragung stattgefunden, von
einem konzeptuellen Bereich (MENSCHLICHER KÖRPER) auf andere Bereiche
(BERG, MÖBEL). Laut Koch ist es nicht angemessen, diese Übertragungen ledig-
lich durch Abstufungen, wie im Schema gezeigt, darzustellen. Auch bezüglich
der Metonymie kritisiert Koch, dass das Modell nicht angemessen ist. Metony-
mie ist eine Kontiguitätsbeziehung, welche nicht angemessen durch ein Modell
gezeigt werden kann, das Kategorien nach Prinzipien der Ähnlichkeit bildet. Die
Kontiguitätsbeziehungen entstehen innerhalb eines konzeptuellen Rahmens
und haben nichts mit dem Aspekt der Ähnlichkeit oder mit Abstufungen zu tun.
Hieran zeigt sich deutlich, dass die Prototypensemantik zwar für die Darstellung
des Aspekts der Kategorisierung geeigneter ist als die traditionelle Semantik,
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 39
dass sie aber andererseits für den Aspekt der Polysemie und ihrer Motivation
nicht ergiebig ist.
Koch geht anschließend dazu über, die onomasiologische Perspektive darzu-
stellen. Ein gegebenes Konzept wird mit anderen Konzepten in Verbindung ge-
bracht, um danach die sprachlichen Realisierungen zu untersuchen. Koch ver-
deutlicht dies am Beispiel des Konzeptes PIED (dt. Fuß) (Koch 1996a, 232-
235):
Die Assoziation pied => ‚partie du corps‘ (dt. Körperteil) steht im Zentrum, von
ihr gehen verschiedene Abzweigungen aus: zum einen die Ähnlichkeitsbezie-
hung (similarité: partie servant de support = Teil, der als Unterstützung dient,
partie inférieure = unterer Teil), zum anderen die Kontiguitätsbeziehung
(contiguité: unité de mesure = Maßeinheit, partie opposée au chevet = der
dem Kopfende gegenüberliegende Teil). Die Ähnlichkeitsbeziehung wird über
eine Metapher realisiert, bei der eine Übertragung von einem konzeptuellen
Rahmen auf einen anderen stattfindet. Die Kontiguitätsrelation wird durch eine
Metonymie geschaffen, bei der der Rahmen des Konzeptes PIED nicht verlas-
sen wird.
PARTIE
SERVANT
DE
SUPPORT
PARTIE
INFÉRIEURE
PIED =
PARTIE
DU
CORPS
UNITÉ DE
MESURE
PARTIE
OPPOSÉE
AU CHEVET
contiguité
contiguité
similarité
similarité
effet figure-fond dans un frame (métonymie)
projection d'un frame à l'autre (métaphore)
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 40
Ausgehend vom désigné benötigt man nach Koch den Ansatz der Prototypikali-
tät, um die Kontiguitätsbeziehungen zwischen Konzepten herzustellen, die zwar
in verschiedenen Kategorien präsent sind, die aber dennoch ein und demselben
konzeptuellen Rahmen angehören. Koch hält fest, dass ein solcher gemeinsa-
mer konzeptueller Rahmen für verschiedene Kategorien unabhängig davon
existiert, welche sprachlichen Lösungen einzelne Sprachen bereitstellen.
Der Begriff der Prototypikalität kommt für Koch noch in einem weiteren Punkt
zum Tragen. Es geht um Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen „Zielkonzepten“
(frz. concepts cibles), die verschiedenen Kategorien angehören und deren kon-
zeptuelle Quelle (frz. concept source) einem anderen konzeptuellen Rahmen
angehört als die „Zielkonzepte“. Hier spielt der Begriff der Metapher eine wichti-
ge Rolle. Bei der Metapher geht man von einem bestimmten Konzept als einer
Art Quelle aus und überträgt dieses auf ein ähnliches Konzept.
Für Koch ist der Begriff der Prototypikalität insofern von Nutzen, als dass da-
durch die kognitive Motivation für metonymische und metaphorische Verän-
derungen und die daraus resultierenden Polysemien hergeleitet werden kön-
nen. Darüber hinaus kann man nur innerhalb einer jeweiligen Einzelsprache
prototypische Konzepte ausmachen, die untereinander durch außersprachliche
Phänomene zu erklärende Kontiguitäts- und Ähnlichkeitsbeziehungen verbun-
den sind und sich als verschiedene Verwendungsmöglichkeiten eines polyse-
mischen Lexems organisieren. Die kognitive Motivation für eine solche Polyse-
mie kann nur auf der Ebene des désigné gefunden werden, weshalb man nach
Koch von einem désigné-Prototypen auf onomasiologischer Grundlage ausge-
hen muss. Koch kommt zu dem Schluss, dass eine Semantik auf der Grundlage
von désigné-Prototypen gut mit der Semantik auf der Grundlage des signifié
linguistique harmoniert. Die beiden Ansätze sind zwar voneinander verschie-
den, aber komplementär.
Es ist Blank, ein Schüler Kochs, der in seinen Prinzipien des lexikalischen Be-
deutungswandels (1997) sowohl die onomasiologische als auch die semasiolo-
gische Perspektive in den Blick nimmt. Im Fokus der kognitiven Linguistik wer-
den darüber hinaus die Forschungsergebnisse des Strukturalismus aufbereitet.
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 41
Für Blank ist es wichtig, den Aspekt der Pragmatik in der Analyse des Bedeu-
tungswandels mit zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass nicht nur sprachhisto-
rische Einzelphänomene eine wichtige Rolle spielen, sondern auch kognitiv und
pragmatische Verfahren, die aus der menschlichen Denkweise und Kommuni-
kation hergeleitet werden (Lebsanft/Gleßgen 2004, 1-2).
Eine ausschließliche Fixierung auf die außersprachliche Ebene hält Blank dem-
nach für problematisch: Die linguistische Beobachtung zeigt, dass verschiedene
Sprechergemeinschaften ähnliche außersprachliche Realitäten sprachlich un-
terschiedlich gliedern, d.h. die Wirklichkeit wird nicht von allen Sprachgemein-
schaften in identischer Weise wahrgenommen und sprachlich realisiert (Blank
1997, 81-83; Mortureux 1997, 71). Für Blank ist es gerade in Bezug auf die
Romania unwahrscheinlich, zwischen den einzelnen Sprachräumen sachliche
oder kulturelle Unterschiede für eine unterschiedliche Wahrnehmung der Wirk-
lichkeit verantwortlich zu machen. Er folgert daraus, dass Sprache nicht nur als
aus visuellen Kategorisierungen der außersprachlichen Realität bestehend an-
gesehen werden kann. Vielmehr spielen auch einzelsprachliche Gliederungen
eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Eine weitere Theorie, die parallel zur Prototypensemantik entstand, kann laut
Blank als eine „Semantik des Weltwissens“ (Blank 1997, 85) bezeichnet wer-
den: die Frame-Theorie, begründet von Minsky und Fillmore. Unter einem
„Frame“ ist ein Komplex von miteinander zusammenhängenden Wissensbe-
ständen zu verstehen, der sowohl aus allgemeingültigen als auch aus kultur-
spezifischen Elementen besteht. Mit seiner Hilfe ist der Mensch in der Lage, mit
Situationen des täglichen Lebens umzugehen. Ein „Frame“ beinhaltet zugleich
ein umfassendes Bedeutungskonzept, das enzyklopädisches und einzelsprach-
liches Wissen als zusammengehörig betrachtet.
Die Konzeptionen „Frame“ und „Prototyp“ ergänzen sich, sie sind komplementär
zueinander. Während der Prototyp eine Abstraktion ist, die auf der Erfahrung
der Wirklichkeit beruht, wird durch den Frame diese Abstraktion aktualisiert, auf
konkrete Wissenskontexte bezogen. Für Blank ist daher durch eine Verknüp-
fung der Frame-Theorie mit der Prototypensemantik die Möglichkeit gegeben,
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 42
die auf der abstrakten Ebene verharrenden Ansätze der Prototypensemantik für
die linguistische Analyse brauchbar zu machen.
Blank betont die Wichtigkeit eines mehrschichtigen Bedeutungsbegriffs, wie er
von der Frame-Theorie in Ergänzung zur Prototypensemantik dargestellt wird:
Mit einem einfachen, ein- oder zweidimensionalen Bedeutungsbegriff können
die vielfältigen Ebenen der sprachlichen Repräsentation der Wirklichkeit nicht
angemessen berücksichtigt werden. Ein mehrschichtiger Bedeutungsbegriff be-
inhaltet hingegen die verschiedenen Ebenen des einzelsprachlich-sememi-
schen, lexikalischen, assoziativen und enzyklopädischen Wissens.
Das bedeutet, dass die Kombination von Frame-Theorie und Prototypenseman-
tik geeignet ist, die Nachteile, die sich für die Bedeutungsanalyse aus einer zu
einseitigen Fixierung auf rein strukturelle und kognitive Ansätze ergeben, aufzu-
fangen.
Sprache und Bedeutung sind Bestandteile des Sprachbesitzes der Sprecher. In
dieser Eigenschaft sind sie in der Kognition der Sprecher in Form von miteinan-
der vernetzten Wissenskomponenten abgespeichert. Diese Vernetzung wird im
menschlichen Gehirn durch Nervenzellen geschaffen, die im Zuge des immer-
währenden Lernprozesses des Menschen ständig neue Verbindungen herstel-
len. In dieses Netz werden sowohl allgemeingültige, enzyklopädische Wissens-
komponenten eingearbeitet als auch diejenigen Elemente, die der individuellen
Erfahrung entspringen.
Das so strukturierte Wissen kann verschiedenen übergeordneten Bereichen
zugeordnet werden, die Blank folgendermaßen unterscheidet: außersprachli-
ches Wissen, einzelsprachlich-lexikalisches Wissen und einzelsprachlich-
sememisches Wissen. Dieses dreigeteilte Wissenskonzept kann mehrere Ebe-
nen der Bedeutung in sich vereinen, z.B. Weltwissen, Konnotationen oder auch
die diasystematische Markierung.
Die Zergliederung des Begriffs „Bedeutung“ ist für Blank eine konstruierte Me-
taebene, denn normalerweise ist unter neurologischen Gesichtspunkten eine
Differenzierung der Wissensbestände nicht unproblematisch. Die Aufsplittung
bietet jedoch Vorteile bei der linguistischen Analyse, die dadurch verschiedene
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 43
relevante Komponenten der Wortbedeutung detaillierter beschreiben kann. In
folgendem Schema verdeutlicht Blank die Trennung von Wissen und Bedeu-
tung und die jeweilige Zergliederung der Teilbereiche (Blank 1997, 93-95):
Das einzelsprachlich-sememische Wissen bzw. das Semem, die kleinste be-
deutungstragende Einheit, stellen den Kern des semantischen Wissens bzw.
der Wortbedeutung dar. Sie sind zugleich die abstraktesten Komponenten von
Wissen und Bedeutung. Dieser Kern wird umschlossen von Wissensbereichen,
die sich direkt auf das Wort an sich beziehen: das einzelsprachlich-lexikalische
Wissen bzw. externe und interne Wortvorstellung sowie syntagmatische Rela-
tionen, d.h. die Beziehungen zwischen einzelnen Wörtern in Wortgruppen. Die
dritte Ebene schließlich beinhaltet auf der einen Seite diejenigen Komponenten
der Bedeutung, die die Vorstellungen über den bezeichneten Gegenstand oder
Sachverhalt in Form von Konnotationen oder in Form des Weltwissens reprä-
sentieren (Blank 1997, 94).
Die grundsätzliche Frage bezüglich der Bedeutung von Wörtern ist die nach der
Beziehung zwischen der Wirklichkeit und der Sprache bzw. Zeichenaus-
drücken. Zwischen beiden Komponenten gibt es keine unmittelbare Verbin-
dung, sondern es sind vermittelnde Instanzen zwischengeschaltet. Die Frage ist
also, wie viele und vor allem welche Instanzen zwischen der konkreten Lautfol-
ge und dem bezeichneten Gegenstand oder Sachverhalt liegen. Blank zufolge
EBENEN DES WISSENS EBENEN DER BEDEUTUNG
III. außersprachliches W issen
II. einzelsprachlich-
lexikalisches W issen
I. einzelsprachlich-
sememisches W issen
3a. Konnotationen
interne Wort-
2b. vorstellung
2a. externe Wort-
vorstellung
syntagmatische
2c. Relationen
1. Semem
3b. Weltwissen
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 44
sind die bisherigen Modelle der Semantik-Forschung nicht in der Lage, den er-
weiterten Bedeutungsbegriff zu integrieren. Das zweigliedrige Modell von Saus-
sure ist für diesen Zweck ungeeignet: Der signifié ist ein Teil eines einzel-
sprachlichen Zeichens und steht in Opposition zu anderen signifiés. Er enthält
nur solche Merkmale, die Blank unter dem Begriff „Semem“ bzw. „einzelsprach-
lich-sememisches Wissen“ zusammenfasst. Denjenigen Merkmalen, die auf das
gesamte Wort bezogen sind, wie die diasystematische Markierung oder auch
die Kollokationen, entspricht das ganze signe in Saussures Zeichenmodell, das
eine Verbindung von signifié und signifiant darstellt. Damit beinhaltet das Zei-
chen alle relevanten einzelsprachlichen Merkmale und bezieht sich als Ganzes
auf die außersprachliche Realität. Daraus folgt, dass sich das sprachliche Zei-
chen nur in seiner Gesamtheit auf den Referenten beziehen kann, weshalb die-
jenigen Ebenen der Bedeutung, die die außersprachlichen Aspekte betreffen,
nicht integriert werden können.
Auch das Dreieckmodell von Ogden und Richards kann den vielschichtigen Be-
deutungskomplex nicht angemessen unterbringen. Einzig möglich wäre die Lö-
sung, Konnotationen und Weltwissen auf der Ebene des Referenten einzu-
ordnen, da der Referent eindeutig außersprachlich definiert ist. Da jedoch das
Modell auf einen konkreten Sprechakt hin ausgerichtet ist und über die Laut-
folge, die Ogden und Richards zufolge einmalig und unwiederholbar ist, auf den
Gegenstand oder Sachverhalt verweist, erweist es sich als ungeeignet für einen
mehrschichtigen Bedeutungsbegriff.
Coserius Modell einer strukturellen diachronen Semantik ist ebenfalls unange-
messen als eine Theorie des lexikalischen Bedeutungswandels, da sein Ansatz
von der Sprache ausgeht, nicht vom Sprechen (Lebsanft/Gleßgen 2004, 3).
Coseriu legt den Schwerpunkt in seiner Theorie auf die funktionelle Sprache,
indem primärsprachliche und synchronische Aspekte in den Fokus der Analyse
rücken (Lebsanft/Gleßgen 2004, 9). Für ihn erfolgt die Erfassung einer Zei-
chenbedeutung intuitiv und die einzelnen Bedeutungen sind exakt voneinander
abgegrenzt. Das Erfassen der Bedeutung eines Zeichens führt schließlich zur
konkreten Bezeichnung. Bezüglich des Aspekts der Bedeutung gibt es inhaltli-
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 45
che Überschneidungen zwischen Coserius Ansatz und demjenigen der kogniti-
ven Linguisten: Bei Coserius Dreieck (Form – Bedeutung bzw. Konzept – Refe-
renz) liegt die Bedeutung – bezogen auf die kognitive Semantik – in deren Feld
der sprachlichen Bedeutung. Bei beiden Ansätzen ist die Bedeutung jeweils ab-
hängig von der Einzelsprache (Lebsanft/Gleßgen 2004, 6). Problematisch für
die Analyse eines mehrschichtigen Bedeutungsbegriffs bleibt Coserius Theorie
nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sie sich auf die innersprachliche Un-
tersuchung beschränkt und keine Aussagen zur Motivation von Phänomenen
des Bedeutungswandels macht. Demzufolge bleibt die für die kognitive Linguis-
tik so wesentliche konzeptuelle Ebene unberücksichtigt (Lebsanft/Gleßgen
2004, 10).
Die kritische Auseinandersetzung mit Coserius Bezeichnungsbegriff führt zur
Entwicklung eines fünfseitigen semiotischen Modells durch Raible. Dieses Mo-
dell greift die im Rahmen von Aphasie-Studien nachgewiesene Verschiedenheit
von Wortbedeutung und Konzept auf und ist in der Lage, den verschiedenen
Bedeutungsebenen gerecht zu werden. Folgendes Schema veranschaulicht
das Modell (Lebsanft/Gleßgen 2004, 13; Blank 1997, 96-99):
Die Bedeutung ist zu verstehen als die einzelsprachliche Gestaltung einer kom-
plexen Vorstellung (designatum), die auf der außersprachlichen Realität basiert.
signum
(Zeichen)
signatum (signifié)
signans
(signifiant)
designatum
(Vorstellung)
nomen
(Lautung)
denotatum
(Referent)
Bezeichnung
Ebene des
Möglichen
Ebene des
Wirklichen
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 46
Darüber hinaus ist die Vorstellung bzw. das Konzept sowohl individuell als auch
sozial geprägt und abhängig von der Kenntnis der jeweiligen Sachen. Dieser
Aspekt wird allerdings durch das Modell nicht erfasst. Geklärt wird ebenfalls
nicht, in welcher Form die mentalen Repräsentationen von Bedeutung und
Konzept vorliegen. Durch die Aphasie-Forschung gilt mittlerweile die getrennte
Speicherung der Repräsentation von Bedeutungen und Konzepten im Gehirn
als erwiesen. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Speicherung von
Konzepten nicht primär sprachgebunden erfolgt (Lebsanft/Gleßgen 2004, 14).
„Gegen den Uhrzeigersinn“ lässt sich das Modell wie folgt lesen: Um bestimm-
te Wahrnehmungen mitzuteilen, geht der Sprecher von einem konkreten Refe-
renten aus, der mit einer außersprachlichen Dingvorstellung (designatum) ver-
knüpft und in ein sprachliches Zeichen (signum) „transformiert“ wird, das aus
der einzelsprachlich relevanten Bedeutungseinheit (signatum) und der abstrak-
ten Lautvorstellung (signans) besteht. Schließlich erfolgt am Ende des Prozes-
ses die konkrete Lautung. „Mit dem Uhrzeigersinn“ ergibt sich folgende Lesart:
Die Entschlüsselung der Mitteilung durch den Hörer erfolgt ausgehend von der
wahrgenommenen Lautfolge, die hinsichtlich der abstrakten Lautvorstellung und
der einzelsprachlich relevanten Bedeutungseinheit differenziert und als sprach-
liches Zeichen erkannt wird. Dieses wiederum wird hinsichtlich der außer-
sprachlichen Dingvorstellung interpretiert und mit einem konkreten Referenten
in Verbindung gebracht. Die beiden Endpunkte, konkrete Lautung und Referent,
sind sinnlich erfahrbar und gehören zur Wirklichkeit, während die anderen drei
Komponenten im mentalen Bereich auf der Ebene des Möglichen zu finden
sind. Die durchbrochene Linie zwischen Lautung und Referent zeigt die Be-
zeichnungsrelation zwischen beiden an, denn durch die Lautung wird der Refe-
rent bezeichnet. Diese Beziehung ist aber nicht direkt, sie wird erst von den
Kommunikationsteilnehmern geschaffen, die die abstrakten Ebenen mit den
konkreten verbinden.
Das von Raible entwickelte Modell wird auch von Blank aufgegriffen und in eine
graphisch übersichtlichere Form gebracht (Lebsanft/Gleßgen 2004, 14).
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 47
Die einzelnen von Blank herausgearbeiteten Bedeutungsebenen hängen fol-
gendermaßen mit Raibles Modell zusammen: Das Semem wird der einzel-
sprachlich relevanten Bedeutungseinheit (signatum) zugeordnet. Konnotationen
und Weltwissen gehören zur außersprachlichen Dingvorstellung (designatum).
Dem sprachlichen Zeichen als Gesamtheit werden schließlich die Ebenen des
einzelsprachlich-lexikalischen Wissens zugerechnet.
Durch die Hereinnahme der außersprachlichen Vorstellung in das Modell wird
zum einen das enzyklopädische Wissen berücksichtigt, zum anderen wird er-
möglicht, die Wahrnehmung des Referenten in die einzelsprachliche Analyse
einzubeziehen. Der Referent ruft zunächst eine allgemeine, nichtsprachliche
Vorstellung hervor, die mit einem sprachlichen Zeichen verknüpft wird. In der
einzelsprachlich relevanten Bedeutungseinheit fließen sozusagen einzelsprach-
liche Wissenskomponenten mit solchen des außersprachlichen Wissensbe-
reichs zusammen. Aus diesen Wissensbereichen werden die für ein bestimmtes
Sprachsystem relevanten Elemente „herausgefiltert“ und zur Bedeutungseinheit
komprimiert.
Raibles Fünfeck-Modell in der Interpretation von Blank ist dazu geeignet, die
jeweiligen Nachteile sowohl der strukturellen als auch der kognitiven Semantik
aufzufangen. Die Nichtbeachtung des enzyklopädischen Wissens bzw. die feh-
lende Berücksichtigung einzelsprachlicher Merkmale können durch das Modell
kompensiert werden, wobei die Vorteile beider Ansätze für die linguistische
Analyse von Bedeutungen und ihrem Wandel erhalten bleiben (Blank 1997, 99-
101).
Eines der wesentlichsten Verfahren, das zu Bedeutungswandel führt, ist die
Metapher. Man kann sie als eine Art „verkürzten Vergleich“ beschreiben, der
ohne ein Vergleichswort auskommt. Mit der Metapher wählt der Sprecher in ei-
ner bestimmten Sprechsituation das Wort aus, das seine Mitteilungsabsicht am
besten wiedergibt, auch wenn bereits ein nicht-metaphorisches Wort als mögli-
cher Ausdruck des Sachverhalts existiert. Damit entspricht es den kommunika-
tiven Bedürfnissen des Sprechers, in bestimmten Situationen je nach Kontext
ein Wort metaphorisch zu gebrauchen, um so einen Sachverhalt neu oder an-
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 48
ders zu versprachlichen, was die Metapher für den Bedeutungswandel relevant
erscheinen lässt. Der Sinngehalt einer Metapher hängt direkt mit dem Zusam-
menspiel von Kontext und ursprünglicher Bedeutung des metaphorisch ver-
wendeten Wortes zusammen. Dieses Zusammenspiel, basierend auf Ähnlich-
keitsbeziehungen, führt am Ende des Interaktionsprozesses nach entsprechen-
der Lexikalisierung zu einer neuen Bedeutung des metaphorisch verwendeten
Wortes. Für den metaphorischen Bedeutungswandel spielen folgende Punkte
eine wichtige Rolle: zum einen die Bereiche der menschlichen Erfahrung, die
typischerweise über Metaphern ausgedrückt werden, zum anderen die Bereiche
der Sprache, aus denen bevorzugt Metaphern geschaffen werden. Sowohl das
Produzieren als auch das Verstehen der Metaphern basiert auf dem enzyklopä-
dischen Wissen. Damit ein metaphorischer Bedeutungswandel stattfindet, muss
eine Ähnlichkeitsbeziehung auf der Ebene der Designate hergestellt werden.
Diese wird durch den innovierenden Sprecher geschaffen, der eine häufig nur
periphere Gemeinsamkeit der beteiligten Konzepte in den Vordergrund rückt.
Diese Gemeinsamkeit kann in durch Wahrnehmung erfassbaren Merkmalen der
Konzepte liegen, oder in funktional auffallenden Merkmalen oder aber in der
rein subjektiven Einschätzung durch den Sprecher. Über die Metapher werden
zwei Bereiche des Weltwissens verbunden, die zuvor als getrennt voneinander
empfunden wurden: zum einen das Designat des Zeichens, welches metapho-
risch verwendet wird, zum anderen das Designat, für das ein sprachliches Zei-
chen gesucht wird. Einzig der Kontext, in dem eine Metapher geschaffen wird,
verleiht ihr Sinn und Ausdruckskraft. Metaphern können nicht nur dazu benutzt
werden, gegebene Sachverhalte treffender oder anschaulicher zu beschreiben.
Sie werden häufig auch geschaffen, um Gegebenheiten zu versprachlichen, für
die bisher noch gar kein sprachliches Zeichen vorhanden war, zu denen es
stattdessen nur eine Vorstellung von ihrem Wesen gab. Für Blank ist es unmög-
lich, den Sinngehalt von Metaphern auf einer rein sprachlichen Ebene zu erklä-
ren: Wenn Metaphern neu geschaffen werden, gibt es kein sprachliches Zei-
chen, zu dem durch das metaphorisch verwendete Zeichen eine Ähnlichkeits-
beziehung gebildet werden kann. Darüber hinaus gehören die Aspekte, die
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 49
überhaupt erst eine Ähnlichkeitsbeziehung entstehen lassen, zum Weltwissen,
welches von einer Semantik, die schwerpunktmäßig das linguistische Zeichen
untersucht, gar nicht erfasst wird.
Die Merkmale, die an einem Gegenstand oder Sachverhalt wahrgenommen
werden, müssen nicht aus sich heraus prägnant sein. Es ist ausreichend, dass
die von einem Sprecher wahrgenommene Ähnlichkeit von anderen Sprechern
nachvollzogen wird, was dazu führen kann, dass die Merkmale überhaupt erst
als hervorstechend eingestuft werden. Wesentlich für die erfolgreiche Annahme
von neu gebildeten Metaphern in einer Sprachgemeinschaft ist, dass der jewei-
lige Sprecher den Rahmen eines gängigen Bildbereiches, aus dem heraus in
der Sprachgemeinschaft typischerweise Metaphern geschaffen werden, nicht
verlässt. Nicht nur kann so der kommunikative Erfolg garantiert werden, zu-
gleich wächst die Chance auf Lexikalisierung der neu gebildeten Metapher. Hie-
raus ergibt sich unmittelbar die Frage, warum zu bestimmten Zeiten bestimmte
Bildbereiche besonders häufig gewählt werden. Daraus folgt eine gewisse Ab-
hängigkeit der Metaphernbildung von der jeweiligen sprachlichen, kulturellen
und sozialen Situation in den Sprachgemeinschaften. Man kann jedoch auch
beobachten, dass verschiedene Sprachgemeinschaften ähnliche oder gar iden-
tische sprachliche Muster verwenden, um bestimmte Gegebenheiten zu
versprachlichen. Häufig werden beispielsweise Tiermetaphern verwendet, um
Pflanzen metaphorisch bezeichnen zu können. Hierbei stehen die Wortbildun-
gen und die Übertragung von bestimmten Körperteilen der Tiere auf die neu zu
schaffende Bezeichnung im Vordergrund. Vielfach wird das Grundprinzip vieler
Metaphern umgesetzt: die Übertragung vom Bekannten auf das Fremde, vom
Anschaulichen auf das Abstrakte. Als Folge dieser Übertragung kann auch das
Fremde und Abstrakte in unser Denken aufgenommen werden. Die Metapher
trägt darüber hinaus zur Verknüpfung unserer Wissensbestände bei, und mit ih-
rer Hilfe sind die Sprecher in der Lage, ihren Wortschatz möglichst ökonomisch
zu gestalten, da diejenigen Bereiche ihrer Erfahrung, die durch Metaphern
versprachlicht worden sind, keine eigenen sprachlichen Zeichen mehr benöti-
gen (Blank 1997, 157-165, 176-181).
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 50
Einen weitaus weniger intensiv erforschten Typ des Bedeutungswandels stellt
die Metonymie dar. Dies hängt damit zusammen, dass sie im Vergleich zur Me-
tapher eher unauffällig ist und es Schwierigkeiten bereitet, sie semantisch zu
begreifen. Mit den Metaphern haben Metonymien jedoch eines gemeinsam: In
ihrer lexikalisierten Form haben sie eine eigene Bedeutung, auch wenn bereits
ein sprachliches Zeichen existiert, welches den jeweiligen Referenten bezeich-
nen kann. Die Metonymie basiert auf einer faktischen Beziehung, ganz im Un-
terschied zur Metapher, bei der Spender- und Empfängerbereiche der benutz-
ten Konzepte durch nichts miteinander verbunden sind und gerade dadurch den
Sinngehalt der Metapher bewirken. Bei der Metonymie kann die notwendige
Beziehung zwischen den Konzepten auf räumlicher, zeitlicher, kausaler und
anderweitiger Übereinstimmung beruhen.
Stehen zwei Designate innerhalb eines Sachfeldes in einer Kontiguitätsbezie-
hung zueinander und werden sie durch ein und dasselbe Wort ausgedrückt,
liegt eine lexikalische Metonymie vor (Blank 1997, 230-237).
Das Zustandekommen von Metonymien ist in hohem Maße durch das Weltwis-
sen der Sprecher sowie durch deren Konnotationen bestimmt. Der bei der
sprachlichen Innovation vorgenommene Perspektivenwechsel, der metonymi-
sche „Kippeffekt“, ist nicht so stark ausgeprägt wie bei der Metapher, da bei der
Metonymie kein Sprung zwischen teilweise sehr weit entfernten Sachfeldern
stattfindet.
Mit Hilfe der Metonymie kann eine Bezeichnungslücke geschlossen werden, in-
dem das eigentlich zu einem anderen Designat gehörende sprachliche Zeichen
verwendet wird, um auf das nicht angemessen bezeichnete Designat zu referie-
ren. Daraus resultiert der expressive Charakter der Metonymie. Die Metonymie
kann aber auch in konkreten Kommunikationssituationen eingesetzt werden,
wenn es darum geht, eine umständliche Referentialisierung zu vermeiden
(Blank 1997, 242-248).
Als Sonderfälle der Metonymie gelten häufig die Untertypen der Synekdoche,
„pars pro toto“ und „totum pro parte“. Die Beziehung eines Teils zum Ganzen
und eines Ganzen zum Teil ist ebenfalls eine Kontiguitätsrelation, allerdings in
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 51
besonderer Form: Hier geht es um Beziehungen zwischen Gegenständen und
ihren Teilen und nicht, wie bei der Metapher, um Beziehungen zwischen Ge-
genständen oder Sachverhalten (Blank 1997, 254).
Die Bezeichnung für einen weiteren Typ des Bedeutungswandels, „Volksety-
mologie“, lässt vermuten, dass hiermit die falsche Herleitung eines Wortes
durch Sprecher gemeint ist, die über unzureichende Kenntnisse verfügen, um
die wahre Herkunft eines Wortes korrekt zu bestimmen. Häufig lässt sich jedoch
gerade das Gegenteil feststellen: Viele Volksetymologien stammen von gebil-
deten Sprechern und nicht vom so genannten „einfachen Volk“. Zwischen der
Volksetymologie und der Etymologie als sprachwissenschaftlicher Disziplin be-
steht ein wesentlicher Unterschied: Während die Etymologie darum bemüht ist,
die Entwicklung der Sprache und die damit verbundenen kognitiven Prozesse
auf Seiten der Sprecher aufzuzeigen, sind volksetymologische Umdeutungen in
der Lage, die Sprache selbst zu verändern, sofern sie von den Sprechern einer
Sprachgemeinschaft übernommen werden. Daher kann man die Volksetymolo-
gie als ein Phänomen des Sprachwandels beschreiben. Bei allen Volksetymo-
logien scheint es darum zu gehen, ein unmotiviertes sprachliches Zeichen zu
analysieren und dahingehend zu interpretieren, aus welchen anderen sprachli-
chen Zeichen es zusammengesetzt sein könnte, mit welchen es identisch sein
könnte oder mit welchen es zusammen in einer Wortfamilie vorhanden sein
könnte. Die phonologisch-morphologische sowie auch semantische Neumotivie-
rung schwächt die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens ab oder eliminiert sie
sogar, und zwar entgegen dem eigentlichen etymologischen Zusammenhang,
der nicht mehr nachvollziehbar ist. Dies ist dadurch zu rechtfertigen, dass die
Sprecher eine semantisch eventuell unstimmige aber dafür zumindest teilweise
motivierte Bezeichnung gegenüber einer vollkommen unmotivierten Bezeich-
nung bevorzugen. Der volksetymologische Sprachwandel kann dazu beitragen,
die Anzahl der unmotivierten Wörter innerhalb des Lexikons einer Sprachge-
meinschaft zu minimieren, was unmittelbar mit dem Prinzip der Sprachökono-
mie zusammenhängt. Wenn Wörter nicht motiviert sind, gehören sie normaler-
weise weder einer Wortfamilie an noch sind sie durch Wortkomposition ent-
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 52
standen bzw. werden nicht mehr als solche angesehen. Durch diese fehlende
Eingliederung sind die betreffenden Wörter in einer Sprache oder in einer be-
stimmten Varietät isoliert. Mit Hilfe der Volksetymologie werden solche Wörter
neuen Wortfamilien zugeordnet. Sie werden teilweise oder ganz als Wortkom-
position oder Derivation interpretiert oder formal dem besser integrierten Wort
angepasst (Blank 1997, 303-307).
Damit eine volksetymologische Umdeutung einen Bedeutungswandel bewirkt,
müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss eine Similarität der Zei-
chenausdrücke bestehen und eine Kontiguitätsbeziehung zwischen dem Desig-
nat des beeinflussenden und dem des umgedeuteten Zeichens.
Im Unterschied zur Metapher oder Metonymie besteht bei der volksetymologi-
schen Umdeutung neben der Assoziation auf der Ebene der Designate auch ei-
ne Beziehung zwischen zwei ganzen Zeichen, die nicht homolog sind, sondern
z.B. verschiedenen Wortarten angehören oder einen unterschiedlichen Grad an
lexikalischer Komplexität aufweisen (Blank 1997, 312).
Das Verfahren der Volksetymologie verdeutlicht die Wichtigkeit der Wortfamilie
und motivierter lexikalischer Zusammenhänge. Es beschreibt zugleich das Be-
mühen der Sprecher, ihren Wortschatz möglichst effizient zu organisieren
(Blank 1997, 317).
Die vorgestellten Typen des Bedeutungswandels hängen zum einen mit den
Assoziationsmöglichkeiten zusammen, die in der menschlichen Kognition ange-
legt sind, zum anderen ergeben sie sich aus der Wahrnehmung der Welt, die
durch universelle kognitive Muster geprägt ist, sowie aus der Kenntnis des Le-
xikons und seiner Strukturen.
Die Bestimmung des Verfahrens, das einem individuellen Bedeutungswandel
zugrunde liegt, bereitet normalerweise keine Probleme. Schwierigkeiten erge-
ben sich dann, wenn mehrere Verfahren zusammenspielen oder wenn ver-
schiedene Bedeutungswandel nacheinander stattgefunden haben, die zu diffe-
renzieren sind (Blank 1997, 344-345).
Einige Fälle von Bedeutungswandel sind nicht das Assoziationsprodukt eines
Sprechers und die Aufnahme des Produkts durch die Sprachgemeinschaft,
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 53
sondern die Nachahmung einer fremden Vorlage, einer Polysemie eines
sprachlichen Zeichens in einer anderen Sprache. Auf diesem Wege kann ein
Wort der eigenen Sprache, das in mindestens einer seiner Bedeutungen einem
fremdsprachlichen Wort entspricht, auch eine andere Bedeutung des fremden
Wortes annehmen. Man spricht in diesem Fall von einer „Lehnbedeutung“
(Blank 1997, 349).
Sieht man sich die Ursachen für Bedeutungswandel genauer an, kann man fol-
gende Motive herausstellen: Umgehung von Missverständnissen, Wunsch nach
neuer oder angemessener Versprachlichung, Berücksichtigung der sprachli-
chen Ökonomie. Diese Motive deuten an, dass bei den Ursachen des Bedeu-
tungswandels die kommunikativen Ziele der Sprecher in Gesprächssituationen
im Vordergrund stehen. Daraus kann gefolgert werden, dass der Bedeu-
tungswandel in ein allgemeines Modell zur Erklärung des Sprachwandels auf-
genommen werden kann. Blank führt zur Illustration Geeraerts an (1983, 217-
240), der in seinem Ansatz die historische Lexikologie und Semantik in die kog-
nitive Linguistik einbezieht. Er schließt aus Untersuchungen zum Wandel im
Lexikon, dass Sprecher entweder aus Gründen der Expressivität oder aus Prin-
zipien der Effizienz heraus Veränderungen im Wortschatz vornehmen. Zudem
unterscheidet Geeraerts auf der einen Seite eine konzeptuelle Effizienz, die
durch metaphorische und metonymische Übertragungen geleistet wird, und ei-
ne formale Effizienz, die im Wesentlichen zur Ellipse und Volksetymologie führt.
Auf der anderen Seite stellt er eine konzeptuelle Expressivität heraus, die in der
Versprachlichung neuer Konzepte mündet, die ihrerseits durch eine objektive
Veränderung der Welt oder durch eine gewandelte subjektive Wahrnehmung
derselben entstanden sein können. Die Versprachlichung kann mittels Wortbil-
dung, Entlehnung oder Bedeutungswandel realisiert werden. Des Weiteren
kann bei den Sprechern der Wunsch nach formaler Expressivität bestehen. Hier
entsteht der Wandel lediglich aufgrund stilistischer Ursachen, die z.B. zur
Schaffung expressiver Synonyme führen. Geeraerts unterscheidet also das Ef-
fizienzprinzip vom Expressivitätsprinzip. Das erstgenannte Prinzip veranlasst
die Sprecher, kommunikative Situationen mit möglichst minimalem kognitiven
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 54
und sprachlichen Aufwand zu bewältigen. Das zweite Prinzip führt bei den
Sprechern dazu, ihren Kommunikationsbeitrag mit Rücksicht auf die Wirkungs-
absicht beim Hörer möglichst angemessen zu gestalten (Blank 1997, 360-362).
Der Wunsch nach effizienter Kommunikation beinhaltet das Ziel, mit möglichst
geringem Aufwand einen maximalen Erfolg zu erzielen. Um diesen Erfolg zu
gewährleisten, ist eine effiziente Versprachlichung sehr hilfreich. Vor diesem
Hintergrund findet ein Sprachwandel immer dann statt, wenn innerhalb einer
Sprachgemeinschaft dieselben sprachlichen Mittel zur Maximierung der kom-
munikativen Effizienz verwendet werden. Um die Ursachen des Sprach-
wandels zu klären, muss der Frage nachgegangen werden, warum es bei den
Redegewohnheiten der Sprecher zu Veränderungen gekommen ist (Blank
1997, 373).
Bei der Erklärung von Verfahren des Bedeutungswandels kann die Prototy-
pentheorie einiges erhellen: Wenn Sprecher innovativ tätig werden, stellen sie
nicht zwischen irgendwelchen peripheren Konzepten einer Kategorie assozia-
tive Beziehungen her, sondern, soweit vorhanden, zwischen den Prototypen.
Bei Metonymien beispielsweise stützen sich die Sprecher auf prototypisch or-
ganisierte Frames. Nur so kann der innovierende Sprecher davon ausgehen,
dass der Empfänger die Innovation nachvollziehen kann. Der Hörer, vor die
Aufgabe gestellt, die semantische Innovation zu entschlüsseln, wird sich umge-
kehrt auf das prototypische Konzept beziehen. Die Prototypikalität kommt hier-
bei nicht auf der Motiv-Ebene zum Tragen, sondern auf der Ebene der psycho-
logischen Assoziationen. Sie ist nicht als Auslöser des Bedeutungswandels zu
verstehen, sie beeinflusst vielmehr, welche Konzepte miteinander verknüpft
werden.
Wenn innerhalb einer Sprachgemeinschaft eine Innovation übernommen wird,
hängt dies damit zusammen, dass Bedeutungswandel auch vom Standpunkt
des Lexikons aus effizient ist. Durch den Bedeutungswandel wird eine Verein-
fachung der Kommunikation angestrebt; darüber hinaus bewirkt er jedoch Fol-
gendes: Dadurch, dass komplexere und randständige Wörter sowie nicht-
typische Bedeutungen abgebaut werden, wird der restliche Wortschatz besser
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 55
ausgelastet. Zudem wird der Zugriff auf den Wortschatz vereinfacht (Blank
1997, 388-390).
Blank wirft die Frage auf, inwieweit im Rahmen der kognitiven Linguistik Vorher-
sagen bezüglich der Wortschöpfungen getroffen werden können. Er stützt sich
dabei auf die Beobachtung, dass häufig, unabhängig von der Sprache, be-
stimmte Konzepte typischerweise durch bestimmte sprachliche Verfahren mit-
einander verknüpft werden. Blank geht zwar davon aus, dass der Bedeu-
tungswandel nicht irgendwelchen Gesetzen folgt, dass man aber doch inner-
halb bestimmter konzeptueller Bereiche und unter bestimmten außersprach-
lichen Gegebenheiten gewisse Tendenzen aufzeigen kann. Er fordert dazu auf,
parallele assoziative und kognitive Grundlagen als Fundament für Bedeutungs-
wandel und Wortschöpfung aufzuspüren.
Die Beschäftigung mit folgenden Fragestellungen hält Blank für besonders loh-
nenswert: Bei der sprachlichen Realisierung welcher Konzepte benutzen Spre-
cher der Tendenz nach eher das Verfahren der Wortbildung, Lehnwörter, Phra-
seologien oder Verfahren des Bedeutungswandels? Lassen sich hinsichtlich der
Wahl der Verfahren Unterschiede zwischen einzelnen Sprachen feststellen?
Wenn ja, wie sehen diese Unterschiede aus?
Die Integration des onomasiologischen oder auch kognitiven Ansatzes in die
Lexikologie eröffnet der diachronen Lexikographie neue Perspektiven. Bei der
Erforschung der Geschichte der Bezeichnungen für ein Konzept – innerhalb ei-
ner Sprache oder vergleichend zwischen mehreren Sprachen – kann man unter
Rückgriff auf Verfahren der Wortbildung, des Bedeutungswandels sowie der
Entlehnung analysieren, welche semantischen und lexikalischen Prozesse die
wortgeschichtliche Entwicklung begleitet haben. Diese Beachtung der kogniti-
ven Zusammenhänge ließe wiederum neue und vertiefte Rückschlüsse auf das
Wesen und Funktionieren des Sprachwandels zu (Blank 1997, 449).
Innerhalb der linguistischen Analyse ist es nicht angebracht, die diachrone und
synchrone Sprachbetrachtung zu weit voneinander zu trennen. Beispielsweise
lässt sich die Polysemie aus dem synchronen Sprachbesitz einer Sprecherge-
meinschaft heraus unter Bezugnahme auf die Realität ihres Sprechens be-
2.6 Synthese der Ansätze des Strukturalismus und der kognitiven Linguistik 56
schreiben. Jedoch ist zu beachten, dass die Polysemie häufig das Produkt von
Prozessen des Bedeutungswandels darstellt, und somit die diachrone Perspek-
tive bei ihrer Erklärung eine wichtige Rolle spielt. Der Sprachhistoriker kann
idealerweise die einzelnen Etappen des Wandels dokumentieren und nach ih-
rer jeweiligen Motivierung fragen. Durch Vergleiche kann er zeigen, wie das Le-
xikon einer Sprechergemeinschaft in diesem Punkt vor und nach dem Wandel
aussah. Daraus folgt, dass der Sprachhistoriker nicht nur diachron, sondern
auch synchron arbeiten muss. Hat ein Wort beispielsweise eine Bedeutung ver-
loren, wurde sie also von den Sprechern nicht mehr verwendet, kann dieser
Prozess aus der diachronen Perspektive heraus nachvollzogen werden. Ergän-
zend dazu kann aus synchroner Perspektive beschrieben werden, wie die Ver-
wendung der einzelnen Bedeutungen des Wortes aussah, wo Schwierigkeiten
innerhalb der Kommunikation auftraten, inwieweit ihr gleichzeitiges Vorhanden-
sein im Wortschatz der Sprecher ineffizient für das konkrete Sprechen war. Da-
raus ergibt sich die Folgerung, dass die methodisch gegensätzlichen Analyse-
verfahren der Synchronie und Diachronie einander ergänzend benutzt werden
sollten, um bestimmte sprachliche Phänomene besser einordnen zu können.
Das bedeutet konkret, dass die diachrone Perspektive in die Beschreibung von
Sprachzuständen einfließen kann, um z.B. die Polysemie näher zu erläutern.
Andererseits kann es sinnvoll sein, die synchrone Perspektive in die diachrone
Analyse zu integrieren, wenn der Wandel sich in größeren sprachlichen oder
auch außersprachlichen Kontexten abspielt.
So lässt sich nach Blanks Auffassung eventuell der Kreis schließen, um zum
wahren Wesen der Sprache zurückzukommen: Das Sprechen kann als ein Pro-
zess verstanden werden, der ständig neue Entwicklungen, neue sprachliche
Zeichen hervorbringt. Zugleich kann der Sprachbesitz einer Sprechergemein-
schaft als ein System interpretiert werden, das sich fortlaufend neu ordnet und
damit gewährleistet, dass die Sprache so angemessen wie möglich auf die sich
ändernde Wahrnehmung der Wirklichkeit und die damit verbundenen neu ent-
stehenden kognitiven Verknüpfungen reagiert (Blank 1997, 451-452).
57
Blank ist es zum einen gelungen, Diachronie und Synchronie einander anzunä-
hern. Zum anderen ist durch seine Forschung deutlich geworden, dass diese
Synthese nur dann gegeben ist, wenn bereits vorhandene Ansätze entspre-
chend aufgearbeitet werden. Das bedeutet, dass nicht mit Traditionen gebro-
chen werden muss, sondern man klar herausstellen kann, dass sich die einzel-
nen Disziplinen gewinnbringend aufeinander beziehen lassen (Lebsanft/
Gleßgen 2004, 2-4).
Nicht zuletzt liegt Blanks Verdienst darin, die Ebene des Sprechens in den For-
schungsmittelpunkt gerückt zu haben. Die menschliche Sprache ist von einer
Kreativität gekennzeichnet, die mit der Fähigkeit zusammenhängt, sich eine un-
begrenzte Zahl an Sachverhalten auszudenken und vorzustellen. Der Prozess
des semantischen Wandels ist ein Vorgang, der sich zwar zunächst auf konzep-
tueller Ebene abspielt, indem ein bereits versprachlichtes Konzept mit einem zu
versprachlichenden Konzept in Verbindung gebracht wird. Dieser Prozess ist für
den Sprachwissenschaftler aber lediglich in Form der sprachlichen Bedeutun-
gen wahrnehmbar, so dass das Sprechen den Ausgangspunkt der Analyse dar-
stellt. Die historische Entwicklung von Sprache allgemein und von Einzelspra-
chen im Besonderen kann durch die Berücksichtigung der durch die Semiose
erfassten generellen kognitiven Voraussetzungen sowie der pragmatischen Ba-
sis von Kommunikation viel genauer nachgezeichnet werden (Lebsanft/
Gleßgen 2004, 17, 25-26).
2.7 Die menschliche Wahrnehmung und Informationsverar-beitung
Im Rahmen der kognitiven Linguistik ist davon auszugehen, dass dem mensch-
lichen Gedächtnis eine zentrale Rolle sowohl bei der Schaffung von Konzepten
als auch im Umgang mit ihnen zukommt. Daraus folgt, dass ein Einblick in die
Arbeitsweise des menschlichen Gedächtnisses hilfreich sein kann, um sprach-
liche Phänomene, die in Zusammenhang mit den Konzepten stehen, besser
einordnen und analysieren zu können. Hinzu kommt, dass die Bildung von Kon-
2.7 Die menschliche Wahrnehmung und Informationsverarbeitung 58
zepten auf der Grundlage von Sinneswahrnehmungen geschieht. Demnach ist
zu hinterfragen, wie der Mensch diese Wahrnehmungen aufnimmt und verarbei-
tet. Erkenntnisse darüber können dazu beitragen, das Entstehen von Konzep-
ten und ihre Strukturierung, die sich in der Organisation von Frames äußert, zu
erklären. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit, die Funktionsweise der
menschlichen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung als Bindeglied zwi-
schen den Prinzipien der kognitiven Linguistik und deren Überprüfung anhand
der Analyse des Sprachmaterials darzustellen.
Dieses Kapitel vermittelt einen groben Überblick über Prinzipien der menschli-
chen Informationsverarbeitung, angefangen von Mechanismen der Wahrneh-
mung bis hin zur Speicherung von Informationen, um eine Grundlage zu schaf-
fen, mit deren Hilfe Befunde aus der Analyse des Sprachmaterials auch aus
kognitiver Perspektive abgesichert werden können.
Ausgangsbasis für die meisten Konzepte im menschlichen Gedächtnis bilden
Sinneseindrücke. So werden beispielsweise über die Sehbahn, dem neuronalen
Verbreitungsweg, der für die visuelle Wahrnehmung zuständig ist, die ankom-
menden Informationen schrittweise verarbeitet und die Einzelheiten vom Gehirn
zu einer vollständigen Wahrnehmung zusammengestellt (Mishkin/Appenzeller
1990, 96). Hierbei darf man jedoch nicht davon ausgehen, dass das Gehirn ei-
nem Spiegel ähnlich die den Menschen umgebende Realität fotografisch abbil-
det. Die Umgebung wird nicht so abgebildet, wie sie sich physikalisch oder ma-
thematisch beschreiben lässt. Das menschliche Sehsystem erfasst nicht
punktweise optische Informationen, sondern verarbeitet Ausschnitte, die über
das Gesichtsfeld aufgenommen werden, indem es diese in verschiedene kate-
goriale Bestandteile gliedert (Schwarz 1992, 41).
Treisman (1990) geht davon aus, dass zunächst nur eine kleine Anzahl von
Merkmalen bei der Verarbeitung visueller Reize herausgegriffen wird. Dazu ge-
hören Farbe und Größe eines Objekts, sowie die Aspekte Kontrast, Schräge,
Krümmung und Linienenden. Nach Treisman ist es sehr wahrscheinlich, dass in
dieser unbewusst ablaufenden ersten Stufe der Reizverarbeitung nur einfache
Eigenschaften eine Rolle spielen, die durch Punkte oder Linien gekennzeichnet
2.7 Die menschliche Wahrnehmung und Informationsverarbeitung 59
sind. Die Position der einzelnen Elemente zueinander wird noch nicht analy-
siert. Für Treisman scheint die Geschlossenheit eines Objekts das komplexeste
Merkmal zu sein, das auf dieser Etappe der Wahrnehmung verarbeitet wird
(Treisman 1990, 141).
Nach Abschluss des Wahrnehmungsprozesses beschäftigt sich das Gehirn
nicht mehr mit einem wirklichkeitsgetreuen Abbild der durch die Sinnesorgane
vermittelten Objekte. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Welt,
die den menschlichen Sinnesorganen derart vermittelt wird, dass sie real und
objektiv erscheint, eine Konstruktion ist, die vom Gehirn geschaffen wurde. Die-
ses verarbeitet die den Menschen umgebenden Reize auf eine artspezifische
Weise und stellt durch diese Verarbeitung ein Konzept von der Umgebung des
Menschen her (Schwarz 1992, 40). Hinzu kommt, dass jedes Individuum die
Wahrnehmungen zu einem einzigartigen Bild zusammensetzt, das sich von den
Bildern anderer Individuen unterscheidet. Dies liegt zum einen daran, dass die
Sinnesorgane jedes einzelnen geringfügig unterschiedlich wahrnehmen; zum
anderen beruht die Verschiedenheit der Abbilder auf den individuellen Gehirn-
strukturen, die ebenfalls bei jedem einzelnen verschieden ausgeprägt sind (Car-
ter 1999, 108).
Betrachtet man die sensorischen Wahrnehmungen unter dem Aspekt der Rele-
vanz für die Entstehung von Konzepten, so dominieren die optischen Ein-
drücke. Auch bei der Weiterverarbeitung dieser Reize spielt die bildhafte Verar-
beitung eine größere Rolle als die verbale. Diese Tatsache ergibt sich aus dem
Phänomen, dass Bilder von Objekten besser gespeichert und reproduziert wer-
den können als die Bezeichnungen dieser Objekte. Generell gilt, dass in dem
Maße, in dem die Bildhaftigkeit von Objekten zunimmt, diese einfacher in das
Gedächtnis integriert werden können (Schwarz 21996, 98).
Nicht nur Erkenntnisse aus dem Bereich der Neurowissenschaften geben wert-
volle Hinweise für die menschliche Wahrnehmung und Informationsverarbei-
tung. Auch die Gestaltpsychologie hat wesentliche Prinzipien herausgearbeitet.
Demnach ist das Wahrnehmungssystem in der Lage, einzelne Phänomene, die
räumlich oder zeitlich beieinander liegen, zu so genannten „Gestalten“ zu grup-
2.7 Die menschliche Wahrnehmung und Informationsverarbeitung 60
pieren. Diese Gestalten zeichnen sich durch besondere Eigenschaften aus. So
gilt das Similaritätsprinzip, nach dem Referenten assoziativ verknüpft werden,
wenn Ähnlichkeiten zwischen ihnen bestehen. Des Weiteren spielt der Kontrast
eine wesentliche Rolle: Einander ähnliche „Gestalten“ heben sich in einem Ge-
samtgefüge von wahrgenommenen Einzelheiten erst im Kontrast zu anderen
Elementen ab. Dieses Wahrnehmungsprinzip lässt sich unmittelbar auf Sprache
projizieren, denn auch dort ist der Kontrast ein bedeutendes Gestaltungsmittel.
Durch seine Allgegenwärtigkeit scheint der Kontrast auch bei der Speicherung
von Konzepten wesentlich zu sein.
Das Prinzip der „guten Gestalt“ besagt, dass vor allem solche Formen wahrge-
nommen werden, die in sich geschlossen sind, eine klare Abgrenzung aufwei-
sen und harmonisch sowie möglichst einfach strukturiert sind. Da viele Gestal-
ten in der alltäglichen Wahrnehmung nicht diesem Grundmuster entsprechen,
tritt in solchen Fällen das Figur-Grund-Prinzip ergänzend hinzu. Dieses besagt,
dass innerhalb eines vielgestaltigen Gesamtgefüges die prägnantesten Ele-
mente, die so genannten „guten Gestalten“ bei der Wahrnehmung im Vorder-
grund stehen, während die übrigen Elemente in den Hintergrund treten (Blank
2001, 38-40).
Schließlich kommt dem Prinzip der Kontiguität eine ebenfalls wichtige Rolle bei
der menschlichen Wahrnehmung zu. Dieses Prinzip beschreibt eine Art Nach-
barschaft zwischen einzelnen Elementen unserer Wahrnehmung: So können
physische oder auch zeitliche und kausale logische Beziehungen eine Rolle
spielen. Wesentlich ist jedoch, dass diese Beziehungen, die zwischen Elemen
ten der Wahrnehmung oder des Weltwissens herausgestellt werden, nicht nur
einmalig und zufällig sind. Sie speisen sich vielmehr aus der Erfahrung des
Menschen in Interaktion mit der ihn umgebenden Wirklichkeit (Blank 2001, 42).
61
2.8 Metapher und Metonymie
Die im Rahmen dieser Darstellung zu untersuchenden Bezeichnungen beruhen
auf den Verfahren der Metapher und Metonymie. Diese traditionell in der Rheto-
rik verorteten Verfahren spielen in der kognitiven Linguistik eine wesentliche
Rolle: Sie werden als konzeptuelle Phänomene angesehen, die einen Einblick
in die Wissensstruktur des Menschen vermitteln. Stand zunächst die Metapher
bei der Analyse von konzeptuellen Strukturen im Vordergrund, zeigt die kogniti-
ve Linguistik der letzten Jahre ein zunehmendes Interesse an den Strukturie-
rungsmöglichkeiten, die von der Metonymie bereitgestellt werden (Feyaerts
1999, 309). Die folgende schwerpunktmäßige Beschäftigung mit den Verfahren
der Metapher und Metonymie hat zum Ziel, die für die Analyse des Sprachma-
terials relevanten Eigenschaften und Prinzipien näher zu beleuchten.
Lakoff/Johnson (22000, 11-15) heben die Bedeutung speziell der Metapher für
den Alltag des Menschen hervor, indem sie davon ausgehen, dass sowohl
Sprache als auch Denken und Handeln von Metaphern geprägt sind. Dieses
Phänomen kommt für Lakoff/Johnson (22000, 11-15) darin zum Ausdruck, dass
der Mensch ein metaphorisch angelegtes Konzeptsystem benutzt, um die Viel-
falt der Wahrnehmungen so zu strukturieren, dass er sie möglichst effektiv ver-
arbeiten kann. Lakoff und Johnson stützen sich bei ihren Annahmen auf Befun-
de, die sie durch die Untersuchung der menschlichen Sprache in Hinblick auf
Metaphern gewonnen haben. Danach sind in der Sprache metaphorische Aus-
drücke auf systematische Weise mit metaphorischen Konzepten verknüpft.
Durch diese Verbindung ist es wiederum möglich, von der Sprache her auf die
Struktur metaphorischer Konzepte zu schließen und von dort den elementaren
Einfluss der Metaphern auf das menschliche Denken und Handeln nachzuwei-
sen (Lakoff/Johnson 22000, 11-15).
Das von Lakoff und Johnson angesprochene Konzeptsystem ist durch die me-
taphorische Basis offen für Neuordnungen, so dass einzelne Elemente anders
klassifiziert werden können. Ein Element x wird über die Metapher so behan-
delt, als entspräche es in gewisser Hinsicht einem Element y (Low 1988, 126).
2.8 Metapher und Metonymie 62
Dabei stellt das Element x das so genannte Zielkonzept dar, das Element y fun-
giert als konzeptuelle Quelle. Es ist häufig zu beobachten, dass die konzeptu-
elle Quelle konkreter gestaltet ist als das Zielkonzept. Genau darin liegt eine der
hauptsächlichen Motivationen für die Verwendung von Metaphern. Es geht da-
rum, einen relativ abstrakten oder schwer beschreibbaren Gegenstand oder ein
ebensolches Phänomen anschaulicher und damit verständlicher zu gestalten.
Häufig sind die sprachlichen Mittel unzureichend, um die Entsprechungen, Be-
ziehungen und Analogien zwischen normalerweise getrennten Konzeptberei-
chen angemessen darzustellen. Es gibt jedoch eine wesentliche Vorausset-
zung, an die der Erfolg von Metaphern geknüpft ist: Zwischen den beiden Ele-
menten x und y müssen gewisse strukturelle Ähnlichkeiten vorliegen, so dass
es nicht möglich ist, jedes Element x mit jedem Element y gleichzusetzen. Um
eine metaphorische Äußerung angemessen zu verstehen, muss zuvor Klarheit
über die jeweiligen Strukturen der beteiligten Konzepte herrschen. Metaphern
sind besonders dann wesentliche sprachliche Verfahren, wenn es darum geht,
Realitäten oder Einsichten in die Zusammenhänge derselben zu beschreiben,
die sich mit anderen sprachlichen Mitteln nur unzureichend darstellen lassen.
Die Realität, die der Mensch wahrnimmt, ist eine unter einem bestimmten
Blickwinkel konstruierte Welt. Diese perspektivische Wahrnehmung kann mit
Hilfe von Metaphern gelenkt werden, indem sie z.B. neue Sichtweisen eines
Gegenstandes oder Phänomens ermöglichen. So tragen Metaphern dazu bei,
ein tiefer gehendes Verständnis für die Zusammenhänge in der den Menschen
umgebenden Umwelt zu erlangen (Vamparys 1995, 4-5; Black 1977, 448, 454-
456).
Lakoff/Johnson (22000, 128) stellen fest, dass das Konzept, welches als kon-
zeptuelle Quelle fungiert, nicht nur klarer definiert werden kann als das Zielkon-
zept, sondern dass es darüber hinaus immer mehr charakteristische Eigen-
schaften besitzt als schließlich auf das Zielkonzept übertragen werden. Häufig
tritt auch der Fall ein, dass ein Konzept durch Metaphern in Teilen strukturiert
wird. Dies hängt damit zusammen, dass es nicht möglich ist, alle Aspekte eines
Konzepts nur durch eine einzige Metapher zu erhellen. Jede einzelne Metapher
2.8 Metapher und Metonymie 63
sorgt dafür, einen bestimmten Teilaspekt genauer hervorzuheben, andere As-
pekte hingegen zu verbergen. Diese verborgenen Aspekte können dann durch
weitere Metaphern aufgedeckt werden (Lakoff/Johnson 22000, 114, 253).
In der bekanntesten Form der Metonymie, der Synekdoche, werden die Ele-
mente „Teil(e)“ und „Ganzes“ zueinander in Beziehung gesetzt, so dass eine
Teil-Ganzes- oder eine Ganzes-Teil-Relation entsteht. Damit das Verfahren der
Synekdoche erfolgreich ist, muss der Teil, der für das Ganze steht (oder umge-
kehrt das Ganze, das für einen bestimmten Teil steht), in einer besonderen und
wesentlichen Beziehung zu der beabsichtigten Bedeutung des zu beschreiben-
den konzeptuellen Elements stehen (Bußmann 21990, 487; Chantrill/Mio 1996,
171; Lakoff/ Johnson 22000, 46).
Nach Radden/Kövecses (1999) ist die Unterscheidung zwischen dem Ganzen
und einzelner Teile von zentraler Bedeutung für metonymische Prozesse. Die
Teil-Ganzes-Beziehung betrifft typischerweise Objekte und ihre Teile. Objekte
werden in der Regel als Gestalt wahrgenommen, die jeweils bestimmte „Be-
grenzungslinien“ aufweist und intern in verschiedene Teile strukturiert werden
kann (Radden/Kövecses 1999, 30). Bei konkreten Objekten können einfacher
Strukturen erkannt werden als bei abstrakten, so dass erstere eine stärkere
Rolle bei der Metonymie spielen. Gleiches gilt für diejenigen Objekte, mit denen
der Mensch interagiert: Sie werden gegenüber Objekten, die für die Interaktion
eine untergeordnete Bedeutung haben, bevorzugt. Diese Präferenzen hängen
eng mit den Fähigkeiten der menschlichen Wahrnehmung zusammen: Die
Wahrnehmung konzentriert sich vor allem auf Objekte in der unmittelbaren Um-
gebung, die zudem eine „gute“ Gestalt haben und so leichter erfasst und verar-
beitet werden können (Radden/Kövecses 1999, 45-46).
Blank (1999) bewertet die Metonymie als ein sehr effizientes Kommunikations-
mittel. Er geht davon aus, dass Metonymien einfach zu produzieren und zu ver-
stehen sind, da die beteiligten Kommunikationspartner lediglich über gleich an-
gelegte Beziehungsmuster zwischen einzelnen Konzepten, über gemeinsames
Weltwissen und über Kenntnisse bezüglich der typischen Struktur der sie um-
gebenden Lebensbereiche verfügen müssen. Mit Hilfe der Metonymie lässt sich
2.8 Metapher und Metonymie 64
nach Blank auch das Bedürfnis nach sprachlicher Ökonomie befriedigen: Das
Verfahren hilft, den kommunikativen Erfolg durch möglichst minimalen sprachli-
chen Einsatz zu maximieren (Blank 1999, 174-176).
Vergleicht man die Verfahren der Metapher und der Metonymie miteinander,
lässt sich ihre unterschiedliche Motivation erkennen. Die wichtigste Möglichkeit
der Metapher besteht darin, für ein besseres Verständnis von Konzepten zu
sorgen, indem einzelne Aspekte besonders veranschaulicht werden können.
Die Metonymie hingegen sorgt für eine Erhellung von Beziehungen zwischen
einzelnen Aspekten innerhalb eines Konzepts. Die Funktion der Metonymie er-
schöpft sich jedoch nicht nur in dem Aspekt der Beziehung, sie sorgt wie die
Metapher für ein besseres Verständnis der betroffenen Konzepte. Beim spezi-
ellen metonymischen Verfahren „Der Teil steht für das Ganze“ können bei-
spielsweise mehrere Teile in Frage kommen, die für das Ganze stehen. Die Me-
tonymie konzentriert nun die Aufmerksamkeit auf einen ganz bestimmten As-
pekt, den sie aus der Menge der möglichen Teile herausgreift. Dadurch ist die
Metonymie in der Lage, gezielter und spezifischer als die Metapher die für das
Verständnis eines Konzepts relevanten Elemente in den Vordergrund zu stel-
len. Beide Verfahren sind jedoch hinsichtlich ihrer Wirkung einander ähnlich:
Sowohl die Metapher als auch die Metonymie betonen wesentliche Elemente
der Konzepte und sorgen so dafür, dass der Mensch sein Konzeptsystem kate-
gorisieren, verstehen und erinnern kann. Eine weitere Gemeinsamkeit der bei-
den Verfahren besteht darin, dass sie kulturabhängig sind. Denn sowohl Meta-
phern als auch Metonymien tragen dazu bei, das menschliche Konzeptsystem,
das auf ebenfalls kulturabhängigen Erfahrungen basiert, zu strukturieren. Inso-
fern sind Metaphern und Metonymien keine „zufälligen“ Produkte sprachlichen
Handelns, sondern immer in Zusammenhang mit der jeweils dahinter stehen-
den Kultur zu verstehen (Lakoff/Johnson 22000, 47-48, 53, 71, 100).
Beim aktiven Sprachgebrauch ist häufig keine klare Trennung zwischen den
beiden Verfahren Metapher/Metonymie zu erkennen. Obwohl für das Entstehen
von Metaphern und Metonymien unterschiedliche kognitive Prozesse verant-
wortlich sind, können sich die beiden Verfahren oft nicht gegenseitig ausschlie-
65
ßen. Dies hängt damit zusammen, dass sich häufig keine scharfen Grenzen
zwischen den einzelnen Konzepten ziehen lassen und dass so die beiden Ver-
fahren ineinander greifen, um die sich überlagernden Konzepte angemessen zu
beschreiben (Goossens 1995, 126, 159, 161).
Dennoch kann festgestellt werden, dass bei Metonymien die Grundlage für ihr
Entstehen in der Regel deutlicher auszumachen ist als bei Metaphern: Me-
tonymien basieren meistens direkt auf physischen oder kausalen Zusammen-
hängen, die innerhalb ein und desselben konzeptuellen Rahmens gefunden
werden können. Demgegenüber muss zur Schaffung einer Metapher der kon-
zeptuelle Rahmen überschritten werden. Bei beiden Verfahren spielt jedoch die
Erfahrung der Kommunikationspartner eine wesentliche Rolle: Das Verständnis
von Metonymien basiert auf gemeinsamen Erfahrungen der Sprecher hinsicht-
lich bestimmter relevanter Beziehungen zwischen einzelnen Aspekten der Kon-
zepte. Metaphern sind ebenfalls nur aus den konkreten Erfahrungen heraus zu
verstehen, die der Mensch in ständiger Interaktion mit seiner Umgebung ge-
winnt (Lakoff/Johnson 22000, 51, 124, 139).
2.9 Folgerungen für das Analysevorhaben
Aus der Darstellung des Forschungsüberblicks und dem vorliegenden Sprach-
material ergeben sich wesentliche Folgerungen für das weitere analytische
Vorgehen.
Das Ziel der Darstellung ist keine ausschließlich onomasiologische Analyse des
Sprachmaterials. Es sollen vielmehr wesentliche Anhaltspunkte dafür gefunden
werden, inwieweit die einzelnen Sprachgemeinschaften den Komplex ausge-
wählter Heilpflanzen sprachlich gliedern. Dies erfordert eine Zusammenschau
der einzelnen Bezeichnungen, die durch eine semasiologische Perspektive zu
leisten ist.
Die Forderung nach gegenseitiger Ergänzung von onomasiologischer und se-
masiologischer Untersuchung durchzieht nahezu den gesamten Forschungs-
2.9 Folgerungen für das Analysevorhaben 66
überblick: Den Anfang macht Baldinger, der zutreffend von einer Interaktion der
beiden Perspektiven spricht (vgl. Abschnitt 2.4, S.20-22). Ausgeweitet wird die
gegenseitige Bedingung von Onomasiologie und Semasiologie in der Prototy-
pentheorie nach Koch, der sowohl die semasiologische als auch die onomasio-
logische Perspektive im Bereich der Prototypen beschreibt. Daraus ergibt sich
die Notwendigkeit, im Analyseteil der Darstellung beide Perspektiven zu behan-
deln und ihre Interaktion zu beschreiben. So soll die Analyse der Prototypen
zunächst aus der semasiologischen Richtung vorgenommen werden. Daran
schließt sich die Bearbeitung der onomasiologischen Perspektive an; beide
Untersuchungsrichtungen werden schließlich in einer Zusammenschau mitei-
nander verknüpft.
Der Forschungsüberblick liefert weitere Ansatzpunkte für die Analyse: Bei Ull-
mann und Coseriu spielt jeweils die Beziehung zwischen Synchronie und Dia-
chronie eine wesentliche Rolle. Ullmann geht davon aus, dass beide Betrach-
tungsweisen von Sprache miteinander verknüpft sind (vgl. Abschnitt 2.3, S.16-
17). Bei Coseriu steht zwar für die Untersuchung von Sprache die synchrone
Perspektive im Vordergrund, jedoch erkennt auch er die Beeinflussung des ak-
tuellen oder eines momentanen Sprachzustandes durch vorherige sprachhisto-
rische Entwicklungen an (vgl. Abschnitt 2.5, S.25). Daraus folgt, dass bei der
Analyse des Sprachmaterials sowohl die synchrone als auch die diachrone
Perspektive berücksichtigt wird.
Ein speziell bei Coseriu behandelter Aspekt betrifft die Diatopik, die er als ein
Element des Diasystems „Sprache“ herausstellt. Die Diatopik ist für das vorlie-
gende Sprachmaterial von unmittelbarer Bedeutung, da es zum einen größten-
teils Sprachkarten entnommen worden ist, die von sich aus bereits den Aspekt
der Diatopik beinhalten. Zum anderen stammt das Sprachmaterial teilweise aus
Übersichten bei Penzig, der die Bezeichnungen jeweils spezifischen Orten und
Regionen zuordnet und somit indirekt auch Material für die Analyse der Diatopik
bereitstellt. Der Relevanz dieses Aspekts für die vorliegende Darstellung wird
dadurch Rechnung getragen, dass sich ein Abschnitt mit der Quellenbeschrei-
bung beschäftigt (Kap. 3). Doch auch in der Analyse werden – wo zu Erkennt-
2.9 Folgerungen für das Analysevorhaben 67
nissen z.B. bezüglich des Sprachwandels beigetragen werden kann – diatopi-
sche Aspekte berücksichtigt.
Die Theorien speziell der Prototypensemantik und der kognitiven Linguistik bil-
den den Schwerpunkt in der Darstellung des Forschungsüberblicks. Entspre-
chend zahlreich sind die Aspekte, die relevant für das Analysevorhaben sind.
Zunächst geht es um die Bedeutung des enzyklopädischen Wissens für die Er-
klärung des Zusammenhangs zwischen den ausgehend von den Referenten
geschaffenen Konzepten und ihrer sprachlichen Umsetzung in Lexien. Hieraus
ergibt sich die Darstellung des enzyklopädischen Wissens zum einen bezüglich
der Pflanzen (Kap. 4), zum anderen bezüglich der mit ihnen in Verbindung ge-
brachten Konzepte (Abschnitte 6.4/6.7.2).
Ein weiterer wesentlicher Aspekt innerhalb der Prototypensemantik betrifft die
Rolle der Kategorisierung für die Einordnung von Referenten über bestimmte
Bezeichnungen in ein spezifisches System. Diesem Aspekt wird in der vorlie-
genden Darstellung zum einen ein gesondertes Kapitel gewidmet, in dem die
Taxonomie der gewählten Pflanzen sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf
nicht-wissenschaftlicher Ebene beschrieben wird (Kap. 5). Zum anderen wer-
den die Hierarchien bei der Analyse in Kapitel 6 eingehend behandelt. Die spe-
zielle Bedeutung von Wissenskontexten für eine Analyse des Sprachmaterials
wird in den Abschnitten 6.2.1 und 6.5 aufgegriffen, in denen die einzelnen
Frames beschrieben werden.
Schließlich legt die Prototypentheorie ein besonderes Augenmerk auf die Moti-
vation der Zuordnungen von Konzepten und den jeweiligen Bezeichnungen.
Beim vorliegenden Sprachmaterial erfolgen diese Zuordnungen unter Rückgriff
auf Metaphern und Metonymien. Diese Versprachlichungsstrategien werden
zum einen im Rahmen der Analyse der Prototypen berücksichtigt, zum anderen
wird in einem gesonderten Kapitel auf die Rolle der Metaphern und Metonymien
unter dem Gesichtspunkt der Pragmatik eingegangen.
Bei genauerer Betrachtung des Sprachmaterials ist festzustellen, dass nicht nur
prototypische Strukturen vorhanden sind, sondern dass darüber hinaus auch
nicht-prototypische sowie wissenschaftliche Bezeichnungen eine Rolle spielen.
2.9 Folgerungen für das Analysevorhaben 68
Diese Bezeichnungen lassen sich zwar über das Instrumentarium der Prototy-
pentheorie nicht näher beleuchten, jedoch stellen sie eine wertvolle Ergänzung
zum übrigen Sprachmaterial dar, weswegen sie – in entsprechenden Kapiteln –
ebenfalls einer Analyse unterzogen werden.
Für die Untersuchung speziell dieser Bezeichnungen aber auch für die prototy-
pisch erfassbaren Lexien liefert der Forschungsüberblick weitere Anhaltspunk-
te: In diesem Bereich der Analyse steht der Aspekt der Wahrnehmung und In-
formationsverarbeitung im Vordergrund. Die gewonnenen Erkenntnisse über die
Dominanz der bildhaften Verarbeitung von optischen Reizen und über die Me-
chanismen der Formenwahrnehmung werden bei der Analyse ebenso berück-
sichtigt wie Prinzipien der Gestaltpsychologie, die vor allem die Gruppierung
von Details, die Verknüpfung von ähnlichen Referenten, die Bedeutung des
Kontrastes und das Figur-Grund-Prinzip sowie die Bedeutung der Kontiguität
betreffen.
So wird sowohl bei den prototypischen Bezeichnungen als auch bei den nicht-
prototypischen und wissenschaftlichen Bezeichnungen die jeweilige Rolle der
Wahrnehmung für die Bildung von Frames sowie für die Bezeichnungsfindung
untersucht (Abschnitte 6.3/6.7.1).
69
3 Quellenbeschreibung
3.1 Vorbemerkungen
Das folgende Kapitel der Darstellung befasst sich mit der Quellenbeschreibung.
Zunächst wird in Abschnitt 3.2 ein Überblick über die Sprachgeographie gege-
ben. Es werden wesentliche Untersuchungsmethoden vorgestellt und mögliche
Analyseziele der Sprachgeographie beschrieben. Die Motivation zu diesem Ka-
pitel liegt darin, dass der überwiegende Teil des zu untersuchenden Sprachma-
terials Atlanten entnommen wurde, so dass sich zwangsläufig sprachgeogra-
phische Fragestellungen ergeben. Darüber hinaus ist bei der Analyse der aus
den Sprachkarten entnommenen Bezeichnungen zu berücksichtigen, dass die
Qualität des Materials durch die Verfahren der Erhebung bedingt ist. Demnach
ist es wichtig, über die verschiedenen Verfahren der Erhebung informiert zu
sein, um die Qualität des Materials einordnen zu können.
Das Material aus Penzigs Werk „Flora popolare italiana“ ist innerhalb der Zu-
sammenstellung zu jeder Pflanze ähnlich wie in den Atlanten ebenfalls nach re-
gionalen Gesichtspunkten (Dialektgebiet, Ortschaft) sortiert.
Im anschließenden Abschnitt 3.3 werden die einzelnen Atlanten vorgestellt. Es
werden Besonderheiten der jeweiligen Untersuchungsverfahren erläutert und
die gewählten Karten beschrieben.
Abschnitt 3.4 ist der „Flora popolare italiana“ von Penzig gewidmet. Hier geht es
um die Charakterisierung des Materials, indem zum einen die Bedeutung und
Ziele des Werkes von Penzig beschrieben werden. Zum anderen wird die Art
und Weise der Materialsammlung dargestellt.
Schließlich befasst sich Abschnitt 3.5 mit der Linguistik der Pflanzennamen und
gibt einen groben Überblick hierzu.
70
3.2 Sprachgeographie
Die Sprachgeographie untersucht dialektologische Daten in Abhängigkeit von
ihrer räumlichen Verbreitung. Analysiert werden hierbei phonetisch-
phonologische, morphologische und lexikalische Aspekte. Sprachgeographi-
sche Untersuchungen werden allgemein mit Hilfe von umfassenden Material-
sammlungen vorgenommen, die aufgrund von schriftlichen oder mündlichen
Erhebungen oder durch Sammlung frei gesprochener Texte zusammengestellt
werden. Die Darstellung der Ergebnisse dieser Erhebungen erfolgt in Form von
Sprachkarten. Mit ihrer Hilfe können die Struktur einzelner sprachlicher Phäno-
mene und ihre Verteilung im Raum interpretiert werden, indem sowohl extern-
linguistische Faktoren historischer, kultureller oder sozialer Art als auch intern-
linguistische Faktoren, also sprachimmanente Aspekte, berücksichtigt werden
(Bußmann 21990, 707).
Im Gegensatz zur historischen Methode, die aus älteren Sprachdenkmälern Er-
kenntnisse über sprachliche Veränderungen zu gewinnen versucht, stützt sich
die Sprachgeographie auf eine synchrone Momentaufnahme der Sprache. Ne-
ben der Frage nach sprachgeschichtlichen Veränderungen z.B. im Bereich des
Lexikons versucht die Sprachgeographie mit Hilfe ihrer Methodik u.a. folgende
Probleme zu lösen: das Wirken der Lautgesetze, Zentren und Quellen bestimm-
ter Strömungen, Zusammenhänge zwischen sprachlicher und kultureller Ent-
wicklung, Zusammenhänge zwischen Wörtern und Sachen (Rohlfs 1971, 1-2).
Die romanische Sprachgeographie beginnt mit dem „Petit Atlas phonétique du
Valais roman“ von Jules Gilliéron (1881), dessen 30 Karten lediglich die dialek-
talen Unterschiede im Bereich der Phonologie aufzeigen sollen. Zwischen 1903
und 1910 erschien dann der „Atlas linguistique de la France“ (ALF), herausge-
geben von Jules Gilliéron und Edmond Edmont. Der Sprachatlas von Gilliéron
und Edmont gab der romanischen Sprachwissenschaft wichtige Impulse, wies
aber zugleich einige Schwächen auf. Zunächst war das Fragebuch zu einheit-
lich gestaltet, so dass besondere regionale Gegebenheiten nur unzureichend
3.2 Sprachgeographie 71
berücksichtigt werden konnten. Darüber hinaus sah die Organisation des Pro-
jekts zu wenig Umfragepunkte für den südlichen Teil Frankreichs vor, was ein
Problem darstellte, da gerade der Süden sich durch eine besondere dialektale
Vielfalt auszeichnet. Ein weiterer Kritikpunkt an der Organisation des Projekts
betrifft die Person des Explorators. So bemängelt beispielsweise Dauzat, dass
Edmont gar nicht alle Regionen persönlich kannte, in denen er Umfragen durch-
führte. Daher konnte Edmont mit vielen regionalen Bräuchen, gezeigten Gegen-
ständen und auch Dialekten nur wenig anfangen. Schließlich sei Edmont nicht
in erforderlichem Maße speziell an die lautliche Struktur der südlichen Dialekte
gewöhnt, was zu Fehlern bei den Aufnahmen führte.
Aus diesen Mängeln heraus entwickelte Dauzat die Idee eines neuen Sprach-
atlas: „Atlas linguistique de la France par régions“. Das ab 1939 begonnene
Projekt verfolgte zum einen die Absicht, das zu grobmaschige Umfragenetz des
ALF durch die Aufnahme weiterer Erhebungspunkte zu verfeinern. Zum ande-
ren sollte nach Dauzats Willen die Methodik den neueren Entwicklungen im Be-
reich der Sprachgeographie angepasst werden, so dass in zunehmendem Maß
Aspekte der Volkskunde und Ethnographie berücksichtigt wurden. Dauzat be-
auftragte verschiedene Initiatoren mit der Erarbeitung regionalspezifischer Fra-
gebücher. Deren individuelle Konzeptionen in Verbindung mit der Tatsache,
dass zu viele regionale Besonderheiten zu berücksichtigen waren, führten dazu,
dass aus dem geplanten „Nouvel Atlas linguistique de la France“ eine Serie von
Einzelprojekten entstand, deren jeweiliges Fragebuch genau an die in den ein-
zelnen zu untersuchenden Sprachregionen vorliegenden Gegebenheiten ange-
passt war. So entstanden zwei Gruppen von Sprachatlanten: zum einen die Na-
tionalatlanten, deren Ziel es ist, allgemeine Tendenzen der jeweiligen Sprache
aufzuzeigen, zum anderen die Regionalatlanten, die zum Ziel haben, spezielle
regionale Verhältnisse zu veranschaulichen (Rohlfs 1971, 3-9).
Im Bereich der Methodik werden im Wesentlichen vier Abfrageverfahren einge-
setzt: die Übersetzungsmethode, die direkte und die indirekte Methode sowie
die gelenkte Unterhaltung. Die Übersetzungsmethode bietet sich dann an, wenn
der Explorator den betreffenden Dialekt nicht spricht. Dieses Verfahren wurde
3.2 Sprachgeographie 72
z.B. bei den Umfragen für den ALF angewendet, indem den Auskunftpersonen
die hochsprachlichen Begriffe genannt wurden und sie aufgefordert wurden,
diese in ihren jeweiligen Dialekt zu übersetzen. Speziell bei den Umfragen für
den ALF hat Edmont zum Teil auch auf die direkte Methode zurückgegriffen,
etwa um Bezeichnungen für Pflanzen zusammenzutragen. Bei diesem Verfah-
ren wird den Gewährsleuten der jeweilige Gegenstand gezeigt, nach dessen
Bezeichnung gefragt ist. Bei der indirekten Abfrage wird der abzufragende Be-
griff umschrieben, oder es wird ein Satz präsentiert, der durch die betreffende
Bezeichnung zu ergänzen ist. Darüber hinaus können einzelne Begriffe durch
Gesten vermittelt werden. Relativ häufig wird heute die Methode der gelenkten
Unterhaltung praktiziert, die darin besteht, den Informanten über ein bestimmtes
Thema erzählen zu lassen. Gegebenenfalls greift der Explorator ein und ver-
sucht, das Gespräch auf die Themen zu lenken, für die er sprachliches Material
sammeln möchte. Die Gespräche werden auf Tonband aufgenommen und an-
schließend ausgewertet. Heutzutage werden die genannten Abfragemethoden
relativ flexibel gehandhabt, d.h. in Abhängigkeit vom zu sammelnden Material
und der konkreten Situation, in der die Abfrage stattfinden soll.
Nach der Sammlung des Materials erfolgt die Eintragung der Daten in vorbe-
reitete Karten, welche dann zu einem Sprachatlas zusammengestellt werden.
Daran kann sich dann die Interpretation des von den Karten bereitgestellten
Materials anschließen (Wolf 1975, 47-48; Coseriu 1975, 8).
Die Sprachkarten als Analyseinstrument geben Aufschlüsse über die Zusam-
menhänge von Sprachgeschichte und geographischen oder politischen Fakto-
ren. So zeigen sie beispielsweise, dass Neuerungen in den untersuchten Dia-
lekten von bestimmten Zentren ausgehen und dass sie sich innerhalb bestimm-
ter Grenzen ausbreiten, die durch natürliche Barrieren wie Flüsse und Gebirge
oder durch politische Grenzen (Staats- und Verwaltungsgrenzen) gegeben sind.
Von den Neuerungszentren entfernt liegende Gebiete bewahren dagegen län-
ger die älteren Sprachformen. So kann man anhand der räumlichen Verteilung
der sprachlichen Phänomene deren relative Chronologie erkennen, was für die
Klärung von Fragen im Bereich der Sprachgeschichte von Bedeutung ist (Cose-
73
riu 1975, 10). Die Sprachgeographie stellt zusammen mit der linguistisch-
ethnographisch ausgerichteten Methode „Wörter und Sachen“ eine wesentliche
Bereicherung für die onomasiologische Betrachtung des Wortschatzes dar.
Während die Onomasiologie zu Beginn nur mit Hilfe von Material aus Wörter-
büchern, Dialektwörterbüchern, -texten, -monographien usw. forschte, ergaben
sich durch die Entwicklung der Sprachkarten neue Möglichkeiten. Ein Sprachat-
las gleicht im Prinzip einer onomasiologischen Materialsammlung, die jedoch
gegenüber z.B. Wörterbüchern den Vorteil hat, besonders klar zu sein und die
Erscheinungen im Gesamtzusammenhang darzustellen (Coseriu 1975, 20-21;
Vidos 1968, 86-87).
3.3 Vorstellung der Atlanten
3.3.1 AIS
Der Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz (Atlante linguistico-
etnografico dell’Italia e della Svizzera meridionale = AIS), herausgegeben von
Karl Jaberg und Jakob Jud, erschien in acht Bänden mit 1705 Karten im Zeit-
raum von 1928 bis 1940. Der Atlas beinhaltet nicht nur Material zu linguisti-
schen Fragestellungen, sondern klärt auch über sachlich und kulturell bedingte
Unterschiede im Bereich der Ethnographie und Folklore auf. Zu diesem Zweck
sind viele Karten mit Skizzen und Randbemerkungen versehen (Rohlfs 1971,
12-13; Blasco Ferrer 1996, 139).
Der für die Materialsammlung dieser Darstellung relevante dritte Band erschien
1930. Folgende Themen werden in ihm behandelt: Mineralien, Bodengestaltung
und Gewässer, Tiere, Jagd und Fischerei, Waldbau und Holzhauergeräte sowie
Pflanzen. Speziell für diesen Band ergaben sich bei der Materialsammlung ver-
schiedene Schwierigkeiten, die in der Vorrede zur Sprache kommen. Die Be-
zeichnungen für wild wachsende Pflanzen waren nicht allgemein bekannt. Nur
Fachleute können die volkstümlichen Bezeichnungen einwandfrei den jeweili-
gen Pflanzen zuordnen. Da die Exploratoren des AIS für die Umfragen nur rela-
3.3 Vorstellung der Atlanten 74
tiv wenig Zeit zur Verfügung hatten, konnten sie die erforderlichen Spezialisten
nur in besonderen Fällen heranziehen. Bei der Auswertung der Abfragen erga-
ben sich vor allem Probleme daraus, dass die volkstümlichen Bezeichnungen
nicht mit den wissenschaftlichen übereinstimmten. So wurde beobachtet, dass
ein und dieselbe Pflanzenart nicht unbedingt auch nur durch ein und dieselbe
Bezeichnung benannt wurde. Es kam beispielsweise vor, dass eine Bezeich-
nung für zwei oder mehrere Arten gewählt wurde, so dass bei der Auswertung
Zuordnungsprobleme entstanden. Unter diesen Umständen war es für die Ex-
ploratoren nicht möglich vorherzusehen, wie die Sprecher die Pflanzen gruppie-
ren. Erschwerend kam hinzu, dass je nach Gegend, Fachkenntnis und Bil-
dungsstand der Informanten andere Gliederungen vorgenommen wurden. Da-
raus folgt, dass der vorbereitete Fragenkatalog nicht vollständig mit den konkre-
ten Gegebenheiten übereinstimmte. Sehr häufig basierten die Schwierigkeiten
der Exploratoren auf Verständigungsproblemen. So konnte den Informanten
zum Teil nur schwer begreiflich gemacht werden, welche Pflanze die Explorato-
ren genau meinten, denn oft wurde weder das italienische Stichwort noch die
Beschreibung der Pflanze verstanden. Auch von den Exploratoren gezeigte Ab-
bildungen führten nicht immer zur Verständigung über die gemeinte Pflanze.
Wenn die Methoden der Übersetzung oder Umschreibung fehlschlugen, unter-
nahmen die Exploratoren oft Spaziergänge mit den Informanten, um sie direkt
zu den Pflanzen zu führen, deren Bezeichnung sie abfragen wollten, oder sie
zeigten die Pflanzen in natura oder getrocknet vor. Doch auch mit diesen Ver-
fahren konnten laut Jaberg und Jud nicht alle Fragen beantwortet werden. Viel-
fach lag das Problem auch bei den Informanten selbst, die die betreffende
Pflanze entweder gar nicht oder nur vom Hörensagen her kannten oder nur ei-
ne diffuse Vorstellung von ihr hatten. Eine weitere Schwierigkeit für die Abfra-
gen bestand darin, dass die Sprecher oft nicht in erforderlichem Maße klare und
verständliche Erklärungen zu den Pflanzen geben konnten, weil sie zum Teil
entweder nicht so gut Standarditalienisch sprachen oder schlicht ungeschickt
bei den Erklärungen waren. Schließlich waren auch die Exploratoren trotz bota-
nischer Kenntnisse keine Experten und konnten nicht jedes von den Informan-
3.3 Vorstellung der Atlanten 75
ten erwähnte Detail korrekt zuordnen (AIS, Bd.III 1930, Vorrede, ohne Paginie-
rung).
Folgende Karten aus dem AIS wurden für die Materialsammlung herangezogen:
a) AIS, Bd.III, K.626 il verbasco
Für die Wahl der Bezeichnungen sind folgende auf der Karte eingetragenen
Gebiete relevant: das piemontesische Dialektgebiet, das lombardische, ligu-
rische und schließlich das emilianisch-romagnolische Gebiet. In den genann-
ten Gebieten fällt auf, dass an sehr vielen Abfragepunkten keine konkreten
Bezeichnungen aufgeführt sind. Für diese Tatsache liefert die Legende zur
Karte folgende Erklärung:
„Es kommt öfter vor, dass die Sujets die Pflanze kennen, aber
nicht zu benennen wissen.“
Zusätzlich liefert die Legende sachkundliche Hinweise zur Verwendung der
Pflanze oder zu Aspekten des Aberglaubens.
b) AIS, Bd.III, K.630 il dente di leone
Bei dieser Karte erkennt man im Unterschied zur vorherigen eine große Be-
zeichnungsvielfalt für die relevanten nördlichen Dialektgebiete. In der Le-
gende wird darauf hingewiesen, dass der Löwenzahn häufig mit anderen
„wild wachsenden Salatpflanzen“ verwechselt wird.
c) AIS, Bd.III, K.633 la piantaggine
Bei dieser Karte sind nur die Bezeichnungen aus dem südlichen Teil Italiens
kartografisch dargestellt. Die aus dem nördlichen Sprachraum gesammelten
Bezeichnungen sind in der Legende zur Karte dargestellt. Die Legende in-
formiert zusätzlich darüber, dass bei der Abfrage der Bezeichnungen einzel-
ne Plantago-Arten nicht voneinander unterschieden wurden. Aus der Liste
der Bezeichnungen für die nördlichen Sprachgebiete wurden diejenigen
ausgewählt, die ihren Abfragepunkten nach in den bereits genannten rele-
vanten Dialektgebieten liegen.
3.3 Vorstellung der Atlanten 76
3.3.2 ALP
Der „Atlas linguistique et ethnographique de la Provence“ (ALP) wurde von
Jean-Claude Bouvier und Claude Martel herausgegeben. Der für die Material-
sammlung relevante erste Band erschien 1975 in Paris. Der ALP gehört in die
Reihe des Projekts „Nouvel Atlas linguistique de la France par régions“ (NALF)
von Albert Dauzat (vgl. Abschnitt 3.2).
Das gesammelte Sprachmaterial des ALP wurde, ähnlich wie im ALF, transkri-
biert und in Karten den jeweiligen Umfragepunkten zugeordnet. Die Punktkarten
weisen zum Teil Lücken auf, da nicht jeder Punkt mit einer Bezeichnung verse-
hen ist. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Herausgeber der Kartensamm-
lung nicht immer einschätzen konnten, ob bei einer nicht vorhandenen Antwort
entweder die Frage seitens der Exploratoren nicht gestellt wurde oder ob der In-
formant die Frage aus Unwissenheit nicht beantwortet hat. Im ALP erfolgte, wie
in der Reihe des NALF allgemein angestrebt, eine begriffliche Gliederung des
Materials. So beinhaltet der erste Band die Themenbereiche „Wetter“ (Karten 1-
68), „Zeitmessung“ (69-118), „Geographie/Geologie“ (119-165), „Heu, Heuernte
und Pflanzen“ (166-256) und „Feldarbeiten“ (257-311) (ALP, Bd.I 1975, Intro-
duction, ohne Paginierung). Die besondere ethnographische Ausrichtung des
ALP dokumentiert sich zum einen in den so genannten Planches, über Bildta-
feln am Ende der Atlanten (z.B. Planche XIV: Cueillette de la lavande; Planche
XV: Distillation de la lavande), zum anderen werden an den Kartenrändern häu-
fig sachkundliche Hinweise gegeben (z.B. Karte 229 le serpolet).
Folgende Karten aus dem ALP wurden für die Materialsammlung herangezo-
gen:
a) ALP, Bd.I, K.234 la lavande
Die Karte weist ein sehr dichtes Netz an Bezeichnungen auf. Lediglich im
nördlichen Teil des abgefragten Sprachraums finden sich keine Nennungen.
Die Legende zur Karte verweist darauf, dass im gesamten Sprachgebiet mit
Ausnahme von drei Abfragepunkten die einzelnen Lavendel-Arten von den
Sprechern nicht unterschieden werden.
3.3 Vorstellung der Atlanten 77
b) ALP, Bd.I, K.235 la bardane
Auch bei dieser Karte ist laut Legende keine Differenzierung der einzelnen
Kletten-Arten vorgenommen worden. Obwohl die Pflanzen im gesamten
Sprachgebiet als Heilpflanzen sehr geschätzt sind, finden sich weitaus we-
niger Bezeichnungen in der Karte als beispielsweise für die Lavendel-Arten.
Lediglich im Zentrum des auf der Karte dargestellten Gebietes findet sich ei-
ne dichtere Konzentration von Benennungen.
c) ALP, Bd.I, K.237 le millepertuis
Bei dieser Karte wird exakt die Art genannt, für die Bezeichnungen abge-
fragt wurden: Hypericum perforatum L. Auch wenn nur relativ wenige Be-
zeichnungen auf der Karte den Abfragepunkten zugeordnet sind, wird in der
Legende darauf hingewiesen, dass die Pflanze in hohem Maße bekannt ist.
Auch über Verwendungszwecke der Pflanze wird in der Legende Auskunft
gegeben, verbunden mit dem Hinweis auf die Verknüpfung von Verwendung
und Namengebung am Beispiel ‚l’huile rouge‘.
d) ALP, Bd.I, K.238 le bouillon-blanc
In dieser Karte sind hauptsächlich Bezeichnungen für die Art Verbascum
thapsus L. dargestellt, die von den Sprechern am besten gekannt wird. Auf-
fällig bezüglich der räumlichen Verteilung der Bezeichnungen ist die Tatsa-
che, dass die meisten Benennungen eher im westlichen Teil des abgefrag-
ten Gebietes zu finden sind, während im Zentrum fast gar keine Bezeich-
nungen gesammelt wurden; erst im äußersten Osten finden sich wieder ver-
einzelte Bezeichnungen.
e) ALP, Bd.I, K.239 le pissenlit
Diese Karte verzeichnet ein sehr dichtes Netz an Bezeichnungen für den
Löwenzahn. In der Legende wird festgehalten, dass die Bezeichnungen in
der Regel allgemeiner Natur sind, die sich entweder auf die Gattung
Taraxacum beziehen oder aber auf andere Gattungen innerhalb der Familie
der Korbblütler, die häufig wie der Löwenzahn auch zu Salat weiterverarbei-
tet werden und mit dem Löwenzahn äußere Merkmale wie Farbe und Form
3.3 Vorstellung der Atlanten 78
der Blüten, Form der Blätter gemein haben. Andererseits wird ebenfalls
festgehalten, dass sich die Mehrzahl der Sprecher in der Regel auf die Art
Taraxacum officinale bezieht, den eigentlichen „Löwenzahn“, obwohl diese
Präzisierung in der Fragestellung nicht vorgegeben war. Dies hängt allem
Anschein nach damit zusammen, dass der Löwenzahn nahezu überall ver-
breitet ist.
f) ALP, Bd.I, K.243 le plantain
Obwohl der Wegerich eine mindestens ebenso verbreitete Pflanze wie der
Löwenzahn ist, finden sich auf der Karte nur wenige Bezeichnungen. Da es
sehr viele Wegerich-Arten gibt, ist es laut Kartenlegende schwierig, genau
festzustellen, welche Art im Einzelnen durch die jeweiligen Bezeichnungen
versprachlicht wird. Lediglich bei vier Gruppen von Bezeichnungen scheint
die Verbindung zu den betreffenden Arten eindeutig zu sein.
3.3.3 ALG
Der erste Band des „Atlas linguistique et ethnographique de la Gascogne“
(ALG) wurde von Jean Séguy 1954 herausgegeben. Der ALG erschien als ers-
ter Atlas der Projektreihe des NALF. Albert Dauzat hatte 1939 kurz vor Kriegs-
beginn den Anstoß zu diesem Projekt gegeben. Im Rahmen der Materialsamm-
lung für den ALG wurden Voruntersuchungen durchgeführt, um Umfragepunkte
und Fragen festlegen zu können. Bei der endgültigen Abfrage der Bezeichnun-
gen wurden jeweils wenigstens zwei Informanten befragt, um so Aufnahme-
fehlern vorzubeugen. Die Abfragemethode beruhte nicht mehr auf der Überset-
zung, da man Lehnprägungen und künstlich erzeugte Formen vermeiden wollte.
Stattdessen wurden zum Teil die zu benennenden Gegenstände und Objekte
gezeigt, zum Teil wurden abzufragende Begriffe auch umschrieben oder an-
derweitig dargestellt. Die Exploratoren des ALG stammen alle aus dem betref-
fenden Sprachgebiet. Sie sind daher mit der Regionalsprache vertraut und sind
in der Lage, sie bei der Unterhaltung mit den Informanten zu sprechen. Bezüg-
lich der Abfrageorte hält Dauzat fest, dass die Punkte des ALF übernommen
3.3 Vorstellung der Atlanten 79
wurden, um so die Entwicklung der Regionalsprache über den Zeitraum von
den Abfragen für den ALF bis zum Projektstart des ALG verfolgen zu können.
Die Punkte wurden lediglich, der Konzeption des NALF entsprechend, durch
weitere Orte ergänzt. Ein Vergleich der dargestellten Phänomene des ALF mit
denen des ALG wird zusätzlich dadurch erleichtert, dass die Numerierung der
identischen Abfrageorte beibehalten wurde. Die zusätzlichen Punkte des ALG
tragen die Zahl derjenigen des ALF, denen sie geographisch am nächsten lie-
gen, versehen mit einem Index zur räumlichen Orientierung. So liegt beispiels-
weise der Punkt 687NO auf den Sprachkarten des ALG im Nordwesten des
Punktes 687 der Karten des ALF. Die Bezeichnungen im spanischen Sprach-
gebiet, auf den Karten des ALG mit „E“ gekennzeichnet, stammen nicht aus di-
rekten Abfragen, sondern wurden Arbeiten entnommen, die diese Formen laut-
schriftlich festgehalten haben (zu den Werken im Einzelnen s. ALG, Bd.I 1954,
Préface, ohne Paginierung).
Folgende Karten aus dem ALG wurden für die Materialsammlung herangezo-
gen:
a) ALG, Bd.I, K.179 la bardane
Auffällig bei dieser Karte ist die starke Konzentration der Bezeichnungen im
südöstlichen Teil des abgefragten Sprachgebietes. Im nördlichen Gebiet und
besonders im Westen sind kaum Bezeichnungen auf der Karte eingetragen.
b) ALG, Bd.I, K.189 le plantain/pissenlit
In dieser Karte sind lediglich die Bezeichnungen für den Wegerich kartogra-
phisch erfasst worden; die Bezeichnungen für den Löwenzahn sind in einer
Liste am rechten Kartenrand zusammengefasst. Bei der kartographischen
Darstellung der Bezeichnungen für den Wegerich ist wie in der vorherigen
Karte eine starke Konzentration der Bezeichnungen im südöstlichen Gebiet
zu erkennen. Vielfach werden für ein und denselben Abfragepunkt mehrere
Bezeichnungen angegeben.
3.3 Vorstellung der Atlanten 80
3.3.4 ALEANR
Der Regionalatlas Nordspaniens „Atlas lingüístico-etnográfico de Aragón, Na-
varra y Rioja“ (ALEANR) erschien 1980 in Zaragoza. Die 12 Bände wurden von
M. Alvar, A. Llorente, T. Buesa und E. Alvar zwischen 1979 und 1980 erstellt.
Zu Beginn des Projekts war geplant, nur Umfragen im Gebiet Aragón durchzu-
führen. Um für das Projekt jedoch eine noch aussagekräftigere Materialbasis zu
erhalten, wurde das Umfragegebiet um die Provinzen Logroño und Navarra er-
weitert, so dass nunmehr ein relativ komplexes Sprachgebiet um den mittleren
Flusslauf des Ebro vorliegt. Jeder einzelne Umfragepunkt ist auf den Karten mit
einem Kürzel für die entsprechende Provinz sowie einer dreistelligen Zahl ver-
sehen. Dabei beziehen sich die Hunderterzahlen 1 und 2 auf die nördlichen
Gebiete, 3 und 4 kennzeichnen das Zentrum, und 5 und 6 verweisen auf den
Süden des untersuchten Sprachgebiets. Die geraden Zahlen verweisen auf
Ortschaften im Osten, die ungeraden auf solche im Westen. Die einzelnen Um-
fragen umfassen die Provinzen Logroño (Punkte Lo100-Lo605), Navarra
(Na100-Na602), Huesca (Hu101-Hu602), Zaragoza (Z100-Z607) und Teruel
(Te100-Te601). In den Hauptstädten der Provinzen haben die Exploratoren je-
weils Informanten aus unterschiedlichen Stadtvierteln befragt, die verschiede-
nen sozialen Schichten angehören und einen unterschiedlichen Bildungsgrad
aufweisen (ALEANR, Bd.I 1980, Nota Preliminar, S.7-9; Blasco Ferrer 1996,
139).
Folgende Karten aus dem ALEANR wurden für die Materialsammlung herange-
zogen:
a) ALEANR, Bd.III, K.284 diente de león
Die Bezeichnungen für den Löwenzahn zeichnen sich durch eine große Viel-
falt aus. Jedoch sind die Bezeichnungen über das gesamte Sprachgebiet
nicht gleichmäßig verteilt. Besonders im Süden finden sich einige Bezeich-
nungslücken.
81
b) ALEANR, Bd.III, K.292 espliego
Im Gegensatz zur vorherigen Karte verzeichnet die Karte für den Lavendel
nahezu keinerlei Bezeichnungsvielfalt. Lediglich zwei Bezeichnungen lassen
sich nicht auf das Etymon SPICA zurückführen: almoraduz (Punkt Z507)
und ontina (Punkt Te501).
3.4 Penzig: Flora popolare italiana
Das von Otto Penzig 1924 in Genua (Neudruck: Bologna 1974) herausgegebe-
ne Werk „Flora popolare italiana“ trägt den Untertitel „Raccolta dei nomi
dialettali delle principali piante indigene e coltivate in Italia“. Penzigs Werk ist
motiviert durch die Beobachtung, dass in anderen Ländern (Penzig erwähnt im
Vorwort Frankreich, England, Deutschland und die Schweiz) zahlreiche botani-
sche Fachwörterbücher vorhanden sind, während es für die italienische Spra-
che trotz ihrer immensen mundartlichen Bezeichnungsvielfalt gerade im botani-
schen Bereich keine entsprechenden Sammlungen gibt. Penzig möchte mit sei-
nem Werk diese Lücke schließen und einen Beitrag dazu leisten, diese Be-
zeichnungen vor dem Vergessen zu bewahren.
Penzig selbst hat in einigen Regionen Italiens Bezeichnungen von den Spre-
chern erfragt. Andere Daten wurden von Freunden und Kollegen zusammenge-
tragen. Letztere waren Penzig auch dahingehend behilflich, dass sie ihm the-
matisch relevante Bücher genannt oder auch geliehen haben, in denen Botani-
ker bereits Material gesammelt und veröffentlicht haben. Penzig ging es nicht
nur um die Darstellung der aktuell gebräuchlichen Bezeichnungen, er hatte da-
rüber hinaus zum Ziel, die antiken Bezeichnungen zu integrieren, die von
Schriftstellern vergangener Jahrhunderte benutzt worden sind. Er nahm jedoch
nur diejenigen volkssprachlichen Bezeichnungen auf, die er eindeutig mit dem
wissenschaftlichen Namen der jeweiligen Pflanzen in Verbindung bringen konn-
te. Für Penzig spielen diese antiken Bezeichnungen eine wesentliche Rolle für
3.4 Penzig: Flora popolare italiana 82
das Verständnis der heutigen Bezeichnungen, sie stellen eine Art „Schlüssel“
für ihre Interpretation dar.
Bezüglich der Auswahl der Pflanzen hält Penzig fest, dass er vorwiegend sol-
che aufgenommen hat, die entweder in hohem Maße von den Befragten auf
Feldern oder in Gärten kultiviert werden oder deren Produkte häufig und zahl-
reich nach Italien eingeführt werden und so eine ebenfalls wichtige Rolle im Le-
ben der Menschen innehaben. Um den Umfang der Materialsammlung nicht
über Gebühr anwachsen zu lassen, hat Penzig vermieden, alle möglichen loka-
len Bezeichnungen für die einzelnen Varietäten der kultivierten Pflanzen anzu-
geben. Hinzu kam für Penzig das Problem der Identifizierung und Zuordnung
der einzelnen volkssprachlichen Bezeichnungen, da die jeweiligen Pflanzen bis
dahin meistens monographisch nicht detailliert genug behandelt worden sind.
Penzig hat sein Werk in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil, aus dem auch das
Material für die vorliegende Darstellung entnommen wurde, führt die einzelnen
Pflanzen mit ihrem jeweiligen wissenschaftlichen Namen sowie den volks-
sprachlichen Bezeichnungen auf. Jeder Abschnitt zu den diversen Pflanzen be-
ginnt mit einer Aufzählung der antiken Bezeichnungen. Daran schließt sich die
Inventarisierung der jeweiligen toskanischen Bezeichnungen an; ihnen räumt
Penzig eine besondere Stellung gegenüber den übrigen Dialekten des Italieni-
schen ein. Im zweiten Teil werden die einzelnen Bezeichnungen in alphabeti-
scher Reihenfolge zusammengestellt. Zu jeder Bezeichnung wird die Örtlichkeit
oder Region benannt, in der diese Form gebräuchlich ist. Ergänzt werden diese
Angaben durch den jeweiligen wissenschaftlichen Namen.
Penzig räumt ein, dass sein Werk bei weitem keine vollständige Sammlung der
volkssprachlichen Bezeichnungen darstellt. Er geht davon aus, dass weitere
genaue und methodisch überlegte Nachforschungen zu zahlreichen neuen Er-
gebnissen führen werden. Penzig versteht seine Materialsammlung vielmehr als
eine Basis oder als ein Ausgangspunkt für zukünftige ähnlich konzipierte Werke
(Penzig 1974, „Prefazione“, V-XV). Folgende Abschnitte aus dem ersten Band
der „Flora popolare italiana“ wurden für die Materialsammlung herangezogen:
S.43/44 Arctium lappa L. (Klette)
83
S.237/238 Hypericum perforatum L. (Johanniskraut)
S.263/264 Lavandula latifolia Vill./spica Cav./stoechas L. (Lavendel)
S.361/362 Plantago lanceolata L./major L./media L. (Wegerich)
S.484/489 Taraxacum officinale Suffr. (Löwenzahn)
S.515/516 Verbascum thapsus L. (Königskerze)
3.5 Linguistik der Pflanzennamen
In diesem Abschnitt wird die Forschungslage zur Linguistik der Pflanzennamen
beschrieben. Es geht zum einen darum, überblicksartig festzuhalten, in welchen
Bereichen bereits Forschungsergebnisse vorliegen, wobei keinerlei Anspruch
auf Vollständigkeit erhoben wird. Zum anderen liegt die Intention dieses Ab-
schnitts darin, einen Zusammenhang zwischen den Ergebnissen und dem ei-
genen Forschungsvorhaben zu beschreiben. Das Forschungsvorhaben bezieht
sich auf romanische Pflanzennamen, jedoch bleibt zunächst festzuhalten, dass
auch außerhalb der Romanistik in diesem Themengebiet geforscht wird. Da-
rüber hinaus ist die analytische Beschäftigung mit Pflanzennamen nicht allein
Sache der Linguisten. Marzell stellt bereits 1913 in seiner Arbeit „Die Tiere in
deutschen Pflanzennamen“ einleitend fest, dass neben Linguisten auch Botani-
ker und Folkloristen involviert sind (Marzell 1913, XIX). Eines der für Marzell
auffälligsten Merkmale der Pflanzennamen ist ihre häufige Zusammensetzung
mit Bezeichnungen von Tierextremitäten. Diese Beobachtung gilt sprachüber-
greifend für Benennungen in den germanischen, romanischen und slawischen
Sprachen. Marzell sieht in diesen Pflanzennamen einen Ausdruck sowohl der
Fähigkeit zur Beobachtung durch das jeweilige Volk als auch der „schöpferi-
schen Phantasie“ (Marzell 1913, XX). Das sprachübergreifende Element macht
Marzells Ansatz interessant für die vorliegende Untersuchung, da hier ebenfalls
nach Bezeichnungsmustern geforscht wird, die sich - zwar auf die Romania be-
schränkt - jedoch ebenfalls in verschiedenen Sprachen finden lassen. Sowohl
die Aspekte der Beobachtung als auch der „schöpferischen Phantasie“ (Marzell
1913, XX) sind ebenfalls für die hier geführte Untersuchung von Bedeutung.
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 84
Marzell ordnet die Bezeichnungen in neun Kategorien, die jedoch nicht immer
strikt voneinander abgegrenzt werden können, da es vielfach Überschneidun-
gen und Mehrfachzuordnungen gibt. Schon die erste grobe Durchsicht des für
diese Untersuchung zugrunde gelegten Sprachmaterials zeigt, dass auch hier
nicht immer die Bezeichnungen scharf voneinander zu trennen sind und es
durchaus Mehrfachzuordnungen gibt, deren Hintergründe freilich analysiert
werden müssen. Zum Teil werden die einzelnen Kategorien von Marzell noch
weiter differenziert, z.B. dann, wenn es darum geht, hinsichtlich äußerer Merk-
male von Tieren und Pflanzen genauer zu unterscheiden. So werden die As-
pekte Form, Farbe und Geruch besonders hervorgehoben. Hinsichtlich der
Form wiederum wird unterschieden zwischen Bezeichnungen, die für die jewei-
lige Pflanze auf der Grundlage des gesamten Tieres gegeben werden sowie
solchen, bei denen Teile der Tiere zur Benennung von Pflanzen herangezogen
werden (Marzell 1913, XXI-XXII). Gerade der letzte Aspekt der Körperteile von
Tieren, die zur Benennung von Pflanzen herangezogen werden, spielt für das
vorliegende zu untersuchende Sprachmaterial eine bedeutende Rolle, da in
überwiegendem Maße genau diese zoomorphen Bezeichnungen mit Bezügen
zu Tierkörperteilen verwendet werden.
Die bereits angesprochene „schöpferische Phantasie“ (Marzell 1913, XX) des
Volkes ist für Marzell bedeutsam in Hinblick auf die Auswahl der zu analysie-
renden Pflanzennamen, da er im Gegenzug reine Büchernamen, die in seinen
Augen „oft der Willkür eines einzelnen Autors ihre Entstehung verdanken“
(Marzell 1913, XXV), nicht in die Analyse integriert.
Aus dem Sprachvergleich der deutschen Bezeichnung mit anderen germani-
schen und romanischen Sprachen sowie dem Russischen als Vertreter der sla-
wischen Sprachen ergibt sich für Marzell die Feststellung, dass deutsche und
fremdsprachige Namen oft übereinstimmen, wobei seiner Einschätzung nach
häufig die wissenschaftliche (lat./griech.) Nomenklatur als Basis der gleichbe-
deutenden Benennung dient (Marzell 1913, XXV). Jedoch gibt es auch jene Fäl-
le zu beobachten, bei denen gleichbedeutende Benennungen verschiedener
Sprachen unabhängig voneinander entstanden sind, so dass man von kultur-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 85
raumübergreifenden Beobachtungsmustern sprechen kann, die losgelöst von
einer oft vermuteten Willkür zur Benennung führen (Marzell 1913, XXVI). Um
solche Beobachtungsmuster wird es auch in der vorliegenden Untersuchung
gehen. Es soll erforscht werden, inwieweit innerhalb der Romania ähnliche kul-
turraumübergreifende Muster zu finden sind und woher sie ihre Motivation
nehmen.
Marzell beschreibt einzelne Bezeichnungen von diversen Pflanzen näher, da-
runter auch solche, die für die vorliegende Untersuchung relevant sind. Bei
Pflanzen der Gattung Plantago werden beispielsweise die Blattrippen beson-
ders wahrgenommen und führen bei der Art Plantago lanceolata zu Bezeich-
nungen wie dt. Hundesrip oder engl. dog's rib (Marzell 1913, 24).
Auch Details der Blüten einzelner Pflanzen spielen für die Benennung eine Rol-
le: So werden die Blüten von Taraxacum officinale mit folgenden Tiermäulern in
Verbindung gebracht: dt. Saurüssel, frz. groin de porc, ital. grugno di porco. Für
die Gleichsetzung der Löwenzahnblüte mit dem Schweinerüssel gibt es folgen-
de Erklärungen: Einerseits weist sowohl die Blütenknospe als auch die verblüh-
te und dann wieder verschlossene Blüte Ähnlichkeiten mit der Rüsselform der
Schweineschnauze auf. Andererseits wird eine Verbindung zwischen der Pflan-
ze und dem Fressverhalten der Schweine gesehen, da diese ihren Rüssel be-
nutzen, um nach Pflanzenwurzeln zu suchen, die ihnen als Futter dienen
(Marzell 1913, 30-32).
Sowohl bei Plantago als auch bei Taraxacum spielt das Aussehen der Blätter
noch in weiteren Aspekten für die Bezeichnung der Pflanzen eine Rolle: Die ge-
zackten Blattränder des Löwenzahns werden mit Tierzähnen verbunden (dt.
Löwenzahn, Hundszahn, Bärenzahn; engl. lion's teeth; frz. dent-de-lion, den-de-
stin [dent de chien]; ital. dente canino). An diesem Beispiel wird deutlich, inwie-
weit die bereits angesprochenen kulturraumübergreifenden Beobachtungsmus-
ter zu ähnlichen Bezeichnungen führen. Hinsichtlich der Verbindung der Pflan-
zenart Taraxacum officinale mit Bezeichnungen nach dem Muster „Löwenzahn“
ist vermutlich auch die gelbe Blütenfarbe der Pflanze von Bedeutung (Marzell
1913, 34-35). Ähnliches gilt in diesem Zusammenhang auch für die Art
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 86
Verbascum thapsus, die ebenfalls gelbe Blüten trägt und als Löwenfackel be-
zeichnet wird (Marzell 1913, 74).
Übereinstimmungen zwischen den Gattungen Plantago und Taraxacum finden
sich in Bezeichnungen, die die Form der Blätter in den Blick nehmen. Letztere
wird mit verschiedenen Tierzungen gleichgesetzt. Für Plantago lanceolata (zum
Teil auch major) finden sich u.a. folgende Bezeichnungen: dt. Hunnetunge,
Schafzunga, Schlangenzunge; engl. lamb's tongue; frz. langue d'agneau,
langue d'oiseau, langue de brebis; ital. Lingua di botta, lêngua d'can. Auch der
Löwenzahn wird zumindest im Deutschen mit den Bezeichnungen Gänsezunge
und Hondszunga versehen (Marzell 1913, 35-40).
Als weiteres Organ wird das Ohr herangezogen, um die Blattform der Pflanzen
der Gattung Plantago zu veranschaulichen. Neben der Form spielt aber auch
häufig die Behaarung der Blätter eine Rolle. Hier werden Parallelen gesehen zu
Tieren, die über behaarte Ohren verfügen, z.B. Maus und Hase. So werden die
Arten Plantago major und media wie folgt bezeichnet: dt. Mäuseohr,
Hasanohra, Schafsohren; frz. oreille de lièvre; ital. orecchio di lepre, orecchio
d'asino (Marzell 1913, 40-43).
Schließlich dient der Schwanz als weiteres anhängendes Tierorgan für die Be-
zeichnungsfindung vor allem solcher Pflanzen, die weiche, längliche sowie häu-
fig einer Ährenform entsprechende Blütenstände aufweisen. Parallelen werden
hier mit Schwänzen besonders von Katzen, Füchsen, Lämmern, Mäusen, Ha-
sen und Eichhörnchen entdeckt. Die Gattung Plantago beinhaltet so Pflanzen,
die die Bezeichnungen dt. Katzeschwanz und engl. rat-tail tragen. Auch die
Gattung Verbascum weist Bezeichnungen nach diesem Muster auf, z.B.
Kattensteert, Schaafsschwanz (Marzell 1913, 54-58).
Innerhalb der Gruppe von Pflanzenbezeichnungen, die sich auf Tierkörperteile
stützen, stellen laut Marzell diejenigen die größte Gruppe dar, die den Fuß und
damit verbundene Strukturen (z.B. Krallen, Knie, Bein, Tatze) als Bezeich-
nungsgrundlage in den Blick nehmen. Die Pflanzen der Arten Plantago major
und media werden so z.B. als lamb's foot (engl.) oder pê d'asu (ital.) bezeichnet
(Marzell 1913, 59, 62).
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 87
Auch die Verwendung der Früchte, Beeren oder Samen einer Pflanze als Vo-
gelfutter kommt in Bezeichnungen für den Plantago zum Ausdruck: dt. Vogel-
kraut, Vogelgarbe; frz. plantain des oiseaux (Marzell 1913, 92-93). Den Aspekt
des Tierfutters greift Marzell später auch noch einmal für die Gattung
Taraxacum auf: Bezeichnungen wie dt. Koblom, Hundeblōme, Sauröhrl, Gän-
seblume; frz. cho d'cachon (chou de cochon) sowie ital. ingrassa porci, insalatti
da porchi weisen unmittelbar darauf hin (Marzell 1913, 143).
Abgesehen von den Tierorganen oder der Verwendung der Pflanzen als Tierfut-
ter werden Bezeichnungen auch auf der Grundlage der Blütezeit kreiert. Hier ist
es vor allem der Kuckuck, der im Zentrum des Interesses steht: Taraxacum
officinale wird so beispielsweise als dt. Gugguche(n) oder frz. coucu bezeichnet
(Marzell 1913, 178, 188).
Die hier von Marzell gezeigte gründliche Hinterfragung der Bezeichnungsmoti-
vationen hat durchaus Modellcharakter für die vorliegende Untersuchung. Bei
der Herausarbeitung möglicher kognitiver Prinzipien für die Bezeichnungsfin-
dung muss auch in der vorliegenden Untersuchung den einzelnen Motiven auf
den Grund gegangen werden, um Zusammenhänge fundiert darstellen zu kön-
nen. Hierzu hat Marzell bereits wegweisende Informationen zusammengestellt.
In ihrem Band „Die Bezeichnungen der ,Kletteʼ im Galloromanischen“ (1915)
nehmen die Autoren Gamillscheg und Spitzer die Karte bardane des ALF als
Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen. Ihnen fällt auf, dass es für die Pflanze
zahlreiche verschiedene Bezeichnungen gibt, die kaum in zusammenhängen-
den Gebieten anzutreffen sind. Die Autoren sehen hierin ein Beispiel für die
kreative Kraft der Sprache. Es stellt sich nun die Frage, wie aus dem ehemali-
gen einheitlichen lat. lappa über Zwischenstadien die heutige Bezeichnungsviel-
falt entstanden ist. Darüber hinaus ist es für Gamillscheg/Spitzer relevant, die
Motive für die differenzierenden Bezeichnungen aufzudecken. Von ihrem ono-
masiologischen Ansatz her ist die Arbeit von Gamillscheg und Spitzer auch für
die hier vorliegende Untersuchung von Bedeutung. Zwar werden andere
Sprachatlanten in den Blick genommen, ein erster Überblick über das Sprach-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 88
material der Karten führt jedoch zu der gleichen Feststellung, dass ein und die-
selbe Pflanze verschiedenartig bezeichnet wird. Zudem ist natürlich die Aufde-
ckung der Motive für die jeweilige Bezeichnungsvielfalt in der vorliegenden Un-
tersuchung von zentraler Bedeutung. Auch die von Gamillscheg und Spitzer fo-
kussierte sprachhistorische Entwicklung von Bezeichnungen wird bei der Ana-
lyse des vorliegenden Sprachmaterials eine wichtige Rolle spielen.
Zunächst stellen Gamillscheg/Spitzer die Klette hinsichtlich ihres Aussehens
und ihrer Verwendung vor. Hierbei stellt man fest, dass die Pflanze mit Blättern
und Wurzeln von den Früchten zu trennen ist. Während erstere in der Volksme-
dizin und als Nahrungsmittel Verwendung finden, verhaken sich die Blütenköpfe
aufgrund ihrer Häkchen oft in Tierfellen. Daraus ergibt sich, dass Pflanze und
Frucht in der Regel verschieden benannt werden.
Ihre Untersuchung basieren die Autoren auf der Karte 112 bardane des ALF.
Entsprechend der Bezeichnungstypen gliedern sie ihre Darstellung in folgende
Abschnitte: frz. bardane; lat. lappa; germ. Kletto (mit Verweis auf frz. glouteron);
sonstige Neuschöpfungen (Gamillscheg/Spitzer 1915, 1-4).
Bezeichnungen des Typs bardane finden sich in ganz Frankreich. Bis auf den
frankoprovenzalischen Raum sind keine zusammenhängenden Gebiete zu er-
kennen. Bardane wird als ein Botanikerwort gesehen, welches sich jedoch auch
auf den Karten zu „Maikäfer“ (hanneton, ALF) und „Wanze“ (punaise, ALF) fin-
det. Gamillscheg/Spitzer gehen davon aus, dass die Bezeichnung bardana von
der Klette auf die Tiere übertragen worden ist, die sich wie die Blütenköpfe der
Pflanze anheften können. Im Vergleich der romanischen Sprachgebiete fällt auf,
dass sowohl im italienischen als auch im spanischen Raum die Bezeichnung
bardana für die Klette nicht heimisch ist (Gamillscheg/Spitzer 1915, 5-7). Be-
zeichnungen des Typs lappa für die Klette sind nur im südfranzösischen Raum
zu finden. Gamillscheg/Spitzer thematisieren in ihrer Untersuchung eine mögli-
che Verwechslung der Klette mit der Königskerze. Diese Vermutung stützt sich
auf die Beobachtung, dass für beide Pflanzen Bezeichnungen vorhanden sind,
die auf das lat. lappa zurückgehen. Äußerlich zeigen die Pflanzen bis auf die
rundlichen behaarten Blätter keine Ähnlichkeiten. Lediglich in der Verwendung
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 89
als Heilpflanze zeigen beide Übereinstimmung, so dass hier eine Möglichkeit
der Verwechslung gegeben ist. Diese Vermischung von mehreren Pflanzen un-
ter einer Bezeichnung bzw. einem Bezeichnungsmuster erscheint auch für das
zu untersuchende Sprachmaterial der vorliegenden Darstellung von erheblicher
Relevanz. Es wird nach einem ersten groben Überblick an verschiedenen Stel-
len nötig sein, Gründe für identische Bezeichnungen von eigentlich unterschied-
lichen Pflanzen zu eruieren. Es wird zu hinterfragen sein, ob ähnliche Gründe,
wie sie Gamillscheg/Spitzer gefunden haben, auch bei den hier zu analysieren-
den Bezeichnungen eine Rolle spielen.
Somit kommt es also nach Gamillscheg/Spitzer zur Bildung von Worttypen, die
sowohl die Klette als auch die Königskerze bezeichnen. Jedoch wird in den ein-
zelnen Dialekten die konkrete Benennung der Pflanzen wieder unterschieden,
da die Blütenformen - offenbar ein sehr hervorstechendes Merkmal - beider
Pflanzen zu verschieden sind. Bei der Bezeichnungstrennung gehen die Dialek-
te aber nicht einheitlich vor, so dass ein und dieselbe Bezeichnung im einen Di-
alekt für die Klette steht, im anderen für die Königskerze. So ist auch die Be-
zeichnung chou d'âne für beide Pflanzen gebräuchlich, ohne dass man jedoch
herausarbeiten kann, welche Pflanze ursprünglich damit bezeichnet worden ist
(Gamillscheg/Spitzer 1915, 24-25).
Laut Gamillscheg/Spitzer müssen folgende lappa-Typen in Südfrankreich unter-
schieden werden: im Westen lappasse mit der Bedeutung ,Kletteʼ (im Zentrum
mit der Bedeutung ,Königskerzeʼ; hier bezeichnet laporda die Klette); im Osten
lapas mit der Bedeutung ,Sauerampferʼ und der sekundären Bedeutung ,Kletteʼ;
schließlich ist noch der Typ lappula (ital. lappo/a) ,Klettenkopfʼ ausgewiesen.
Auch hier wird wieder die Rolle der Verwechslung z.B. mit dem Sauerampfer
aufgrund ähnlicher Verwendung oder mit der Distel als nächst verwandter Art
sichtbar. In West- bis Südfrankreich verorten Gamillscheg/Spitzer ein Kletto-
Gebiet (nfrz. gletton) mit verschiedenen Ableitungen (z.B. frz. graton; nprov.
grapan) (Gamillscheg/Spitzer 1915, 26, 29, 34-35).
Bezüglich der restlichen Neuschöpfungen halten die Autoren fest, dass zwar ei-
nerseits Blütenköpfe und die gesamte Pflanze voneinander unterschieden wer-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 90
den, dass aber andererseits die Blütenköpfe auch stellvertretend für die gesam-
te Pflanze stehen können. Bezeichnungen des Typs peigne verweisen eindeu-
tig auf die Samenköpfe. Ebenfalls auf die Köpfe beziehen sich Vergleiche mit
dem Fuchs- und/oder Wolfschwanz. Hier ergeben sich wieder unmittelbare Be-
züge zur Königskerze, die ebenfalls mit Bezeichnungen wie lupi cauda und
vulpis cauda belegt ist (Gamillscheg/Spitzer 1915, 46-49). In Nordfrankreich
sind Bezeichnungen wie herbe aux teigneux oder teigne verbreitet, die sich auf
die Verwendung der Klette als Heilpflanze im Mittelalter beziehen (Gamill-
scheg/Spitzer 1915, 70).
Gamillscheg/Spitzer stellen als Ergebnis ihrer Analyse fest, dass Pflanzenna-
men aus folgenden Gründen übertragen werden: gleiche Verwendung, gleiches
Aussehen und lautliche Ähnlichkeit der bezeichnenden Wörter. Schließlich hal-
ten die Autoren die Beobachtung fest, dass entweder die Fruchtbezeichnung für
die gesamte Pflanze steht oder die Blätter der Pflanze stellvertretend für die ge-
samte Pflanze stehen (Gamillscheg/Spitzer 1915, 73). Für die vorliegende Un-
tersuchung sind die Ansätze von Gammillscheg und Spitzer dahingehend auf-
schlussreich, dass sie zum einen verschiedene Muster der Bezeichnungsfin-
dung wie z.B. die Teil-Ganzes-Beziehung eruiert haben und zum anderen die
Verteilung der Bezeichnungen im Raum in den Blick genommen und versucht
haben, Rückschlüsse auf die Herkunft und Ausbreitung von Bezeichnungen zu
ziehen.
In seiner Arbeit „Die Ausdrücke für den ,Löwenzahnʼ im Galloromanischen“
(1921) stellt Schurter die allgemein bekannte Pflanze zunächst kurz hinsichtlich
ihrer Verwendung in Frankreich, Italien und Russland vor. Anhand von Sprach-
karten gewinnt er einen Überblick über die romanischen Bezeichnungen für den
Löwenzahn und stellt fest, dass es sich hierbei um Neubildungen handelt.
Demnach fehlt laut Schurter eine lateinische Tradition für die Bezeichnungen
und er eröffnet seine Untersuchung mit der Fragestellung, ob die Römer den
Löwenzahn nicht kannten bzw. ihn nicht verwendeten. Erst im 13./14. Jh. finden
sich in Pflanzenglossaren Bezeichnungen für den Löwenzahn (Schurter 1921,
2-6). Von der Anlage der Untersuchung her ist Schurters Arbeit onomasiolo-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 91
gisch geprägt. Diese Herangehensweise ist für die vorliegende Darstellung in-
sofern von Bedeutung, als sowohl der semasiologische wie auch der onomasio-
logische Blickwinkel bei der Analyse der Bezeichnungen von Bedeutung ist.
Zudem ist der von Schurter untersuchte Löwenzahn eine derjenigen Pflanzen,
die für die vorliegende Untersuchung ausgewählt wurden.
Schurter selbst erwähnt folgende gelehrte Bezeichnungen: dens leonis, rostrum
porcinum und caput monachi. Im Unterschied zu diesen Bezeichnungen, die im
Laufe der Zeit Eingang in die Volkssprache gefunden haben, sind Benennun-
gen auf der Basis des arabischen taraxacum nie diesen Weg gegangen
(Schurter 1921, 7). Der weitaus größte Teil der Bezeichnungen basiert auf dem
Haupttyp pissenlit, zu dem es im ALF eine eigene Karte (1022) gibt. Anhand
dieser Karte und mit Hilfe von Dialektwörterbüchern soll zum einen die geogra-
phische Verbreitung des Pflanzennamens aufgedeckt werden. Zum anderen
wird nach Einflüssen geforscht, die zum Kartenbild geführt haben. Bezeichnun-
gen des Typs dent de lion sind regionalsprachlich heute vor allem im
frankoprovenzalischen Raum vertreten. Dent de lion geht zurück auf das ur-
sprünglich gelehrte Botanikerwort dens leonis, das im 14. Jh. erschien. In den
Vogesen trifft man auf die Bezeichnung dent de chien.
Es kommt vor, dass dieselbe Bezeichnung für verschiedene Pflanzen verwen-
det wird: So bezeichnet pissenlit neben dem Löwenzahn auch eine Hahnenfuß-
art. Auch die Gänsedistel und der Löwenzahn werden mit identischen Bezeich-
nungen versehen: rostrum porcinum, grougn, engraiso-por sowie pissocan
(Schurter 1921, 8, 13-14). Schurter hält fest, dass die Bezeichnungen dens
leonis, rostrum porcinum und Taraxacum (ursprünglich Tharakchaka) für eine
blaublühende Zichorienart oder für gelbblühende Pflanzen verwendet wurden.
Bezeichnungen auf der Grundlage von rostrum porcinum legen nahe, dass die
mit ihnen bezeichneten Korbblütler Ähnlichkeiten zwischen ihren Blütenköpfen
und Schweinerüsseln zeigen. Bei näherer Betrachtung besonders der sich öff-
nenden Knospen erscheint laut Schurter diese Ähnlichkeit naheliegend
(Schurter 1921, 42-43). Auch die Verwendung des Löwenzahns als Schweine-
futter kommt in den Bezeichnungen für die Pflanze zum Ausdruck: engraisso-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 92
porc, auch im Italienischen insalatta de porchi. Diese volkstümlichen Ausdrücke
entstanden laut Schurter unabhängig von rostrum porcinum (Schurter 1921, 54-
55). Die diuretische Wirkung des Löwenzahns kommt in der Bezeichnung des
Typs pissenlit zum Ausdruck. Damit zusammenhängende Bezeichnungen, wie
z.B. pisso-can, wurden zum Teil auf den Löwenzahn übertragen. Ursprünglich
bezeichnete pisso-can im Provenzalischen eine Giftpilzart (Coprinus, pisso-
chien).
Nach dem Wolf benannte Pflanzen galten allgemein als giftig. Zwar trägt der
Löwenzahn auch die Bezeichnung herbe de loup, beinhaltet aber nicht mehr die
ursprüngliche Bedeutung, da die heutige Einschätzung des Volkes bezüglich
des Löwenzahns davon losgelöst ist (Schurter 1921, 89, 93).
Zusammenfassend führt Schurter folgende Bezeichnungsmotive für den Lö-
wenzahn auf: Verwendung der Pflanze als Heilmittel, Futter, Nahrungsmittel;
das äußere Erscheinungsbild; die Verwechslung mit anderen Pflanzen; die Blü-
tezeit; die Rolle der Pflanze als Unkraut; ihre Bedeutung für Kinderspiele;
schließlich die Rolle der Volksetymologie für die Bezeichnungsfindung. Schurter
findet 91 verschiedene volkstümliche Bezeichnungsmuster für den Löwenzahn
und erklärt diese große Zahl mit den vielfältigen Beziehungen zwischen der
Pflanze und dem Menschen sowie mit dem häufigen Vorkommen der Pflanze.
Laut Schurter überwiegen bei den Bezeichnungen diejenigen, die sich auf die
Blattform konzentrieren, da diese charakteristischer für den Löwenzahn ist als
beispielsweise die Blütenform. Da eine lateinische Tradition für die Bezeich-
nungsfindung nicht gegeben war, kreierten die Menschen in ihren Mundarten
neue Bezeichnungen. Gelehrte Wörter (rostrum porcinum, pissenlit, dent de li-
on, taraxacum) gelangten von den Städten in die Mundarten auf dem Land. Hier
wurden sie zum Teil vom Volk verändert (Schurter 1921, 108-111).
Schließlich spricht Schurter in seiner Untersuchung noch die Frage nach Ver-
wechslungen an. Diese beruhen entweder auf Übertragungen auf der Grundla-
ge eines in der Sache liegenden tertium comparationis oder auf der Grundlage
eines solchen im Wortbild (z.B. dent de chien → dent de lion) (Schurter 1921,
118-119). Die onomasiologisch angelegte Arbeit von Schurter liefert wesentli-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 93
che Erkenntnisse für die Einordnung der mannigfachen Bezeichnungen für den
Löwenzahn. Die Berücksichtigung der diatopischen Gegebenheiten sowie der
sprachhistorischen Voraussetzungen für die Entwicklung einzelner Bezeich-
nungen ist von zentraler Bedeutung für die Analyse der Bezeichnungsvarianten.
Abgesehen davon analysiert Schurter die Bezeichnungen vor dem Hintergrund
der botanischen Merkmale des Löwenzahns und nimmt darüber hinaus den
Kontext der Pflanzenverwendung in den Blick, um die Bezeichnungsmotivatio-
nen aufzudecken. Dieser außersprachliche Kontext spielt auch für die Untersu-
chung der Pflanzenbezeichnungen in der vorliegenden Darstellung eine wichti-
ge Rolle, da durch ihn das Vorgehen bei der Kategorisierung von Pflanzen ent-
schlüsselt werden kann.
Ziel der Untersuchung von Séguy und seinem Team, veröffentlicht in „Les noms
populaires des plantes dans les Pyrénées Centrales“ (1953), ist es, das botani-
sche Vokabular der Gascogne zu analysieren. Die Motivation dazu lag darin,
dass zum einen das Vokabular zu diesem Zeitpunkt noch recht unbekannt war.
Zum anderen zeigten die bisher veröffentlichten onomasiologischen Arbeiten zu
botanischem Vokabular einen monographischen Charakter (vgl. die hier vorge-
stellten Untersuchungen von Gamillscheg/Spitzer und Schurter), den Séguy
durch seine Art der Darstellung aufbrechen möchte. Séguy geht es darum, den
für die Pflanzen in einem bestimmten Gebiet (Haut-Comminges) relevanten
Wortschatz zusammenzustellen. Er möchte unbekannte Etymologien aufspüren
und vor-romanische Sprachstufen in den Blick nehmen. Es soll hinterfragt wer-
den, inwieweit diese heute in der Sprache fortbestehen. Allgemein geht es
Séguy darum, die historischen und geographischen Merkmale des Wortschat-
zes herauszuarbeiten. Darüber hinaus beschäftigt sich Séguy mit der Fragestel-
lung, welche Gesetzmäßigkeiten bei der Herausbildung des volkstümlichen bo-
tanischen Vokabulars eine Rolle spielen. Die Zielsetzung von Séguy und sei-
nem Team liegt darin, mit ihrer Untersuchung zu Studien der Lexikologie und
Etymologie beizutragen sowie zur Volkskunde und zum Forschungsgebiet der
Onomasiologie.
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 94
Folgende Beobachtungen bilden den Ausgangspunkt der Untersuchung: Es
existiert ein reichhaltiges Vokabular im Bereich der volkstümlichen Bezeichnun-
gen für Pflanzen. Dieses Vokabular erscheint instabil - begünstigt durch die
Tatsache, dass Pflanzen verwechselt werden. Hinzu kommt, dass häufig eine
Bezeichnung für mehrere Pflanzen steht (Séguy 1953, 2-3).
Um die Untersuchungsergebnisse einordnen zu können, hat sich Séguy zu-
nächst selbst die notwendigen Kenntnisse über die Pflanzen sowohl in sprachli-
cher als auch in botanischer Hinsicht angeeignet. Darüber hinaus informierte er
sich auch über die Bedeutung der Pflanzen für die Menschen. Dazu hatte er
1944 Gelegenheit, als er bei einer Bauernfamilie arbeitete und so mit dem Vo-
kabular und den Lebensbedingungen der Menschen vor Ort vertraut wurde
(Séguy 1953, 6).
Im zweiten Teil seiner Untersuchungen verweist Séguy u.a. auf folgende Pflan-
zen, die auch in der vorliegenden Darstellung berücksichtigt werden: Hypericum
perforatum, Lappa major, Lavandula spica, Plantago lanceolata, Plantago ma-
jor, Plantago media, Taraxacum, Verbascum thapsus.
Im dritten Teil der Abhandlung geht es Séguy darum, die Herkunft und die Bil-
dung der Pflanzenbezeichnungen zu erforschen, wobei sich für ihn vor allem
die Frage nach Gesetzmäßigkeiten in diesem Bereich stellt. Er möchte heraus-
arbeiten, warum die Pflanzen entsprechend bezeichnet werden und wie dabei
vorgegangen wird, welche Kräfte dabei eine Rolle gespielt haben. In der vorlie-
genden Darstellung wird ebenfalls der Versuch unternommen, Gesetzmäßigkei-
ten im Bereich des Kategorisierungsverhaltens verschiedener Sprachgemein-
schaften aufzudecken. Insofern können die Hinweise, die Séguy und sein Team
bezüglich der Bezeichnungsmotive herausarbeiten, für die Einordnung der hier
zusammengestellten Bezeichnungen äußerst wertvoll sein.
Hinsichtlich der angesprochenen Motive für Bezeichnungen hat Séguy heraus-
gefunden, dass zum einen schädliche und nützliche Pflanzen über bestimmte
Bezeichnungen betont werden. Darüber hinaus besteht vielfach ein Interesse
an der Hervorhebung der medizinischen Eigenschaften von Pflanzen. Bei den
Bezeichnungen werden enge Verbindungen zwischen der wissenschaftlichen
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 95
Herangehensweise und den Erfahrungen des Volkes sichtbar. Diese Verbun-
denheit zeigt sich auch darin, dass etliche Bezeichnungen für Pflanzen mit wis-
senschaftlichem Ursprung Eingang in die Alltagssprache des Volkes gefunden
haben. Jedoch ist festzuhalten, dass dieses medizinische Wissen beim Volk
durchaus lückenhaft ist (Séguy 1953, 181, 186, 188). Für die vorliegende Dar-
stellung spielt die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Verfahren der
Bezeichnungsfindung eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die wissen-
schaftliche Kategorisierung der gewählten Pflanzen von der Kategorisierung
durch das Volk abzugrenzen. Séguy hinterfragt, wie bei der Bezeichnungsfin-
dung vorgegangen wird. Hierfür kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht:
Zunächst spielt das Erinnerungsvermögen eine große Rolle; besonders bei ge-
bräuchlichen Pflanzen erscheint dieses Prinzip hilfreich. Es gibt daneben Fälle,
bei denen die Eigenschaften der Pflanzen zwar bekannt sind, jedoch ihre Ver-
wendung nicht unbedingt geläufig ist, so dass es manchmal zu keiner expliziten
Benennung kommt. Bezeichnungen für Pflanzen können von einer erfahrenen
Person erfragt werden. Schließlich kommt es vor, dass unter Zuhilfenahme des
Alltagsvokabulars eine Bezeichnung für die Pflanze kreiert wird. Diese Neu-
schaffungen kommen beispielsweise zustande über Verwechslungen, die zu
Homonymien führen, Suffigierung, Metaphern (Séguy 1953, 193-194).
Séguy unterscheidet zwischen primären und sekundären Bezeichnungen. Die
primären Bezeichnungen gehen oft auf lateinische Wurzeln zurück und es wird
gefragt, wie die lateinischen Ursprungswörter in die Volkssprache eingedrungen
sind. Eine wesentliche Rolle haben dabei Geistliche, Schriftgelehrte, Ärzte und
Apotheker gespielt, die die Werke z.B. von Plinius studiert und so den entspre-
chenden Wortschatz aufgenommen haben (Séguy 1953, 221, 234).
Ein Verfahren für die sekundäre Bezeichnungsfindung wird von Séguy beson-
ders hervorgehoben: die Metapher. Die Bezeichnungsfindung an sich ist über
eine Metapher leicht zu realisieren, wenn eine entsprechende bildliche Vorstel-
lungskraft auf Seiten des Schöpfers gegeben ist. Schwieriger wird es bei der
Verbreitung dieser Bezeichnung, da das Vergleichsmoment nicht immer leicht
zu eruieren ist, manchmal sogar völlig verborgen bleibt. Vielfach hilft man sich
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 96
dann mit Umschreibungen, die oft aus zwei Einheiten bestehen, z.B. bec
d'oiseau, wobei die erste Einheit u.a. auch folgendermaßen belegt sein kann:
patte - aile - plume - queue und die zweite z.B. mit poule - coq - oie - aigle be-
setzt sein kann. Solche Umschreibungen sind Veränderungen unterworfen, die
dann oftmals den logischen Zusammenhang untergraben und somit die Um-
schreibung eigentlich nicht mehr auf das zu benennende Objekt übertragbar er-
scheinen lassen. Auch kommt es zu Vermischungen zwischen mehreren Um-
schreibungen. Séguy sieht einen Widerspruch zwischen der großen Zahl an
Neubildungen von Metaphern für den Sprachgebrauch und dem Gesetz der
Sprachökonomie. Es ist zu beobachten, dass die bildliche Vorstellungskraft des
Volkes abnimmt und dies einhergeht mit einer sprachlichen Verarmung im Be-
reich des botanischen Vokabulars (Séguy 1953, 268-274). Bei den Pflanzenbe-
zeichnungen stellt Séguy fest, dass es eine Vielzahl von Metaphern gibt, bei
denen ein Zusammenhang zwischen der jeweiligen Pflanze und einem Tier
ausgedrückt wird. So gibt es Bezeichnungen mit dem Element coucou, das
auch in der vorliegenden Darstellung eine Rolle spielt. Normalerweise bezeich-
net coucou Pflanzen, die im Frühjahr erscheinen. Da die meisten Pflanzen ab
Frühjahr ihre Vegetationsphase haben, erscheinen Bezeichnungen auf der Ba-
sis coucou ihres metaphorischen Inhalts entleert. Coucou ist im von Séguy un-
tersuchten Sprachgebiet zu einer Hilfsbezeichnung geworden, die nunmehr für
eher kleinwüchsige und unbedeutende Pflanzen steht (Séguy 1953, 277-279).
Séguy stellt des Weiteren fest, dass sich die Klassifizierung von Pflanzen durch
den Wissenschaftler von derjenigen durch das Volk unterscheidet. Die Infor-
manten, die von Séguy und seinem Team befragt wurden, verfügten über ge-
naue Vorstellungen bezüglich der Abgrenzung von Gattungen. Zwar herrscht
eben nicht in allen Punkten Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Taxo-
nomie, aber die Herangehensweise an die Problematik der Kategorisierung ist
dieselbe. Abweichungen ergeben sich zum einen dadurch, dass das Volk in der
Bezeichnung von Pflanzen verallgemeinert. Zum anderen werden vom Volk Un-
terscheidungen zwischen einzelnen Pflanzen vorgenommen, die sich nicht wis-
senschaftlich begründen lassen. So kommt es vor, dass eine Pflanze verschie-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 97
dene Bezeichnungen trägt, je nachdem, welches Spezifikum der Pflanze im
Vordergrund steht (Séguy 1953, 286-288). Schließlich hat Séguy beobachtet,
dass besonders die Blattform für Bezeichnungen herangezogen wird. Auch in
der wissenschaftlichen Nomenklatur finden sich viele Spezifizierungen, die die
Blattform in den Blick nehmen, z.B. hederifolius, aconitifolius, etc. (Séguy 1953,
293). Hier ergeben sich interessante Berührungspunkte mit der vorliegenden
Darstellung: Zum einen ist die Feststellung von Bedeutung, dass die wissen-
schaftliche Taxonomie und die Kategorisierung durch das Volk über ähnliche
Prozesse der Wahrnehmung und deren Verarbeitung gesteuert werden. Zum
anderen erscheint die Differenzierung in verschiedene Bezeichnungstypen sehr
hilfreich, um einen Überblick über das oft sehr vielgestaltige Sprachmaterial zu
gewinnen.
In seiner Arbeit „Die volkstümlichen Pflanzennamen im Val d'Aran (Zentralpyre-
näen)“ (1988) führt Bernhard die Arbeit von Séguy und dessen Team weiter.
Kriegsbedingt konnte Séguy seine Untersuchungen in den Zentralpyrenäen
nicht durchführen und dementsprechend auch das Val d'Aran bei seinen For-
schungen nicht berücksichtigen. So blieb die umfassende Erforschung der
volkstümlichen Pflanzenbezeichnungen im Val d'Aran ein Desiderat. Bernhards
Ziel ist es, diesen speziellen Wortschatz zu vervollständigen: Zum einen sollen
bislang unbekannte Pflanzennamen geklärt werden, wobei auch die Aufde-
ckung ihrer jeweiligen Etymologie von Interesse ist. Die Etymologien, die bereits
erforscht worden sind, sollen ergänzt und bei Bedarf korrigiert werden. Beson-
dere Aufmerksamkeit schenkt Bernhard den vor-romanischen Substratwörtern,
um hierüber weitere Kenntnisse über Substratsprachen im Pyrenäengebiet zu
erhalten. Da das Val d'Aran Kontakte zu Mundarten und Sprachen der Nach-
barregionen hat, sind entsprechend beeinflusste Variationen auch auf dem Ge-
biet der volkstümlichen Pflanzenbezeichnungen zu erwarten. Im Vorfeld der Un-
tersuchungen hat sich Bernhard - wie Séguy - Kenntnisse über die Pflanzenwelt
im Val d'Aran angeeignet. Zudem wurden Informanten für die Befragungen ge-
sucht. In der Mehrheit wurden ältere Personen befragt, die im Tal selbst gebo-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 98
ren worden sind und über eine entsprechende Sachkenntnis im Bereich der
Pflanzen verfügen (Bernhard 1988, 17-20).
An die Beschreibung der Vorgehensweise bei den eigentlichen Befragungen
schließt sich im dritten Abschnitt der Arbeit ein alphabetisch geordnetes Pflan-
zenglossar an. Folgende Bezeichnungen spielen auch in der vorliegenden Dar-
stellung eine Rolle: Für die Große Königskerze (Verbascum thapsus) gehen
viele Benennungen auf das frz. bouillon-blanc zurück, wobei blanc eventuell ei-
ne Umgestaltung erfahren hat von lat. blandōnia 'verbascum' zu blandus (Bern-
hard 1988, 35). Die Arten Breit- und Spitzwegerich tragen Bezeichnungen, die
darauf hinweisen, dass Vögel die Samen der Pflanzen fressen, z.B. grán
d'audét (Bernhard 1988, 45-46). Die Bezeichnungen perikún und yérba de
perikún für das Johanniskraut (Hypericum perforatum) gehen auf das griech.
hypericon zurück (Bernhard 1988, 74). Die Plantago-Arten lanceolata und major
werden mit der Bezeichnung plantātše versehen, die auf lat. plantāgo zurück-
geht und in der gesamten Romania verbreitet ist (Bernhard 1988, 76). Schließ-
lich findet sich für die Art Verbascum thapsus auch die Bezeichnung wardalūbu.
Dieses sieht Bernhard als eine Umgestaltung des kast. gordolobo an, welches
wiede-rum auf lat. cōda lupi zurückgeht (Bernhard 1988, 95).
Im vierten Abschnitt seiner Darstellung beschäftigt sich Bernhard mit den
Sprachvariationen bei den zuvor gesammelten volkstümlichen Pflanzennamen
des Val d'Aran. Diese Variationen sind entweder regional, schichtenspezifisch
oder individuell ausgeprägt. Die Variationslinguistik beschäftigt sich mit der Er-
forschung dieser Heterogenität. Die beobachteten sprachlichen Phänomene
lassen sich bestimmten Sprechergruppen zuordnen und man kann so die diato-
pische und diastratische Verteilung der Merkmale beschreiben. Bernhard hinter-
fragt die Ursachen für die Benennungsvariationen und hat zu diesem Zweck die
untersuchten Pflanzen in Gruppen eingeteilt, die in Anlehnung an die volkstüm-
liche Einteilung, basierend auf den besonderen Vorstellungen von Pflanzen-
gruppen wie folgt aussieht: Bäume, Sträucher und Schlinggewächse, krautige
Pflanzen, kultivierte Pflanzen, Zierpflanzen, Pilze und andere niedere Pflanzen
(Bernhard 1988, 98-99).
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 99
Bei den krautigen Pflanzen, die im Mittelpunkt der vorliegenden Darstellung
stehen, beobachtet Bernhard den höchsten Grad an Variabilität in der Bezeich-
nungsfindung. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass diese Gruppe über
ein Artenreichtum verfügt, das alle anderen aufgeführten Pflanzengruppen
übertrifft. Zum anderen kommt den meisten krautigen Pflanzen keine überregi-
onale Bedeutung zu; vielmehr spielen sie z.B. als Futterpflanzen oder aber
auch als Unkräuter im Leben der Landwirte eine Rolle, so dass sie entspre-
chend benannt werden, sofern die Notwendigkeit dazu gegeben ist (Bernhard
1988, 106). Einige der im Val d'Aran vorhandenen Bezeichnungen sind dort in
Form von Suffixvariationen, metaphorischen und umschreibenden Benennun-
gen entstanden. Solche Bildungen sind begründet im Verhältnis zwischen den
Sprechern und den zu bezeichnenden Objekten. So werden die Assoziationen
versprachlicht, die die Sprecher zu Form und Farbe von Blüten, Blättern und
Wurzeln sowie zur Beschaffenheit von Halmen und Ähren entwickeln. Speziell
bei krautigen Pflanzen findet sich eine Vielzahl an polysemen Benennungen,
die meistens auf der äußerlichen Ähnlichkeit zweier oder mehrerer Pflanzen be-
ruhen. Abgesehen vom Äußeren der Pflanzen spielen auch Geschmack und In-
haltsstoffe eine Rolle (Bernhard 1988, 115-120).
Schließlich geht Bernhard der Frage nach, wie die etymologische Schichtung
der aranesischen Pflanzennamen aussieht und wie intensiv die Sprachkontakte
wirken. Bezüglich der krautigen Pflanzen hält Bernhard fest, dass ihre Bezeich-
nungen auf der vor-romanischen Etymologiestufe verharren. Dies hängt damit
zusammen, dass diese Pflanzen zwar bei den Bauern seit jeher eine bedeuten-
de Funktion als Nahrungsmittel oder Arzneipflanzen haben, sie jedoch keine
wichtige Rolle für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen
Volksgruppen in den Pyrenäen spielten und damit keinen größeren kommunika-
tiven Wert besaßen, der eine Weiterentwicklung der vor-romanischen Etymolo-
gien gerechtfertigt hätte. Bei den klat. Pflanzennamen finden sich nur wenige,
die ihre Fortsetzung in der Bezeichnung krautiger Pflanzen gefunden haben.
Stark ausgeprägt ist hingegen die romanische Schicht. Hier gibt es individuelle
Bezeichnungen, die teilweise in ähnlicher Form auch in benachbarten Mundar-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 100
ten oder darüber hinausgehenden Sprachgebieten verbreitet sind (Bernhard
1988, 122-127).
Zusammenfassend kommt Bernhard zu der Feststellung, dass Pflanzen, die
von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft des Val d'Aran sind und im Alltagsle-
ben der Bewohner eine wichtige Rolle spielen, nur eine geringe Benennungsva-
riation aufweisen. Pflanzen jedoch, die lediglich lokal bekannt und relativ unbe-
deutend sind, zeigen eine große Bezeichnungsvielfalt und werden mit einer be-
trächtlichen Anzahl individueller Benennungen belegt (Bernhard 1988, 138).
In ihrer Arbeit „Tiermetaphorik in türksprachigen Pflanzennamen“ (1996) unter-
sucht Hauenschild diejenigen Bezeichnungen, die entweder durch die Übertra-
gung von Tierbezeichnungen entstanden sind oder eine Tierkomponente bein-
halten. Es sollen die hinter den Bezeichnungen stehenden Motive erforscht
werden. Dazu werden die notwendigen Hintergrundinformationen geliefert, in-
dem die repräsentativen Tiere detailliert hinsichtlich Aussehen, Eigenschaften,
Vorkommen und Nutzung vorgestellt werden. Die Tiernamen werden zum einen
in ihrer Rolle als Wortbildungselement für Pflanzennamen untersucht. Zum an-
deren dienen Tiernamen als Metapher bzw. als bestimmendes Element inner-
halb einer Metapher. Bei den eigentlichen Bezeichnungsübersichten wird - so-
weit möglich - ein Vergleich mit deutschen Pflanzennamen vorgenommen, um
Abweichungen und Übereinstimmungen bei der Tiermetaphorik in verschieden-
artigen Kulturkreisen herausarbeiten zu können. Den Schwerpunkt der Darstel-
lung bildet die systematische Untersuchung von Bezeichnungen, die eine
Pflanze mit einem Tierkörperteil metaphorisch in Verbindung bringen
(Hauenschild 1996, XI). Hauenschild stellt fest, dass Tiere für die Bezeichnun-
gen von Pflanzen von wesentlicher Bedeutung sind. Die zoomorphen Pflanzen-
namen spiegeln sowohl die heimische Fauna als auch die domestizierten Tiere.
Die Benennung von Pflanzen unter Rückgriff auf Tiere erfolgt zuweilen in der
Weise, dass der Tiername auf die Pflanze übertragen wird. Hierbei wird das
Tier entweder mit der gesamten Pflanze oder mit Pflanzenteilen assoziiert. In
der Regel bestehen zoomorphe Pflanzennamen aus zwei Elementen, wobei die
Tierkomponente das bestimmende Element ist. Sehr häufig sind zoomorphe
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 101
Pflanzennamen Metaphern, bei denen ein tertium comparationis als Bindeglied
zwischen Tier und Pflanze fungiert. Das Vergleichselement kann z.B. in habitu-
ellen Ähnlichkeiten bestehen oder in übereinstimmenden Eigenschaften
(Hauenschild 1996, 1-3).
Die Klette (Arctium sp.) wird in den Türksprachen zum einen mit der Bärentatze
gleichgesetzt, um die großen herzförmigen Blätter, die an der Unterseite teil-
weise filzig behaart sind, hervorzuheben. Zum anderen dient hierfür die Über-
tragung der Kamelsohle auf die Pflanze (Hauenschild 1996, 147, 153).
Für das Johanniskraut (Hypericum perforatum) findet sich in den Türksprachen
eine Verbindung zum Eselsohr, mit dem auf die länglich-ovalen Blätter der
Pflanze verwiesen wird. Im Deutschen wird hierfür die Bezeichnung Hundezun-
ge gewählt (Hauenschild 1996, 101).
Die Art Plantago lanceolata wird mit den Tierorganen Lammohr und Pferdeohr
in Beziehung gesetzt, um die lanzettlichen Blätter zu betonen. Interessant ist in
diesem Zusammenhang, dass im Deutschen die Bezeichnung Schaupohr (=
Schafohr) in die gleiche Richtung weist. Es bestehen also durchaus kulturraum-
übergreifende Übereinstimmungen, die den in der vorliegenden Darstellung be-
arbeiteten kognitiven Ansatz bestärken. Zusätzlich wird im Deutschen die Be-
zeichnung Hasenohra verwendet. Der Breitwegerich (Plantago major) wird zum
einen wegen seiner eiförmigen Blätter mit folgenden Tierorganen in Verbindung
gebracht: Pferdeohr, Hundezunge sowie Lammzunge. Überschneidungen gibt
es mit der deutschen Bezeichnung Lämmerzunge. In die gleiche Richtung weist
Schafzunge. Zusätzlich werden im Deutschen folgende Tierorgane mit dem
Breitwegerich in Verbindung gebracht: Mäuseohr, Schafsohr, Schweinsohr,
Kuhzunge (Hauenschild 1996, 102, 119). Neben der Blattform spielt die Blüten-
ähre des Plantago major eine bedeutende Rolle bei der Bezeichnung. In den
Türksprachen wird die Ähre mit dem Katzenschwanz sowie mit dem Stier-
schwanz in Verbindung gebracht. Für das Deutsche sind die Bezeichnungen
Katzeschwanz und Vogelschwänzle angegeben (Hauenschild 1996, 138). Auch
beim Wegerich erkennt man, dass kulturraumübergreifend zum Teil identische
Beobachtungsmuster eine Rolle spielen. Zum einen werden dieselben Pflan-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 102
zenteile in den Blick genommen (Blätter, Blütenähre). Zum anderen erfolgt die
Gleichsetzung mit den gleichen Tierorganen. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim
Löwenzahn (bei Hauenschild an der Art Taraxacum sp. demonstriert): Die lan-
zettlichen Blätter mit ihrem unterschiedlich scharf gesägten Blattrand werden
sowohl in den Türksprachen als auch im Deutschen mit dem Löwenzahn sowie
mit der Hundezunge verbunden. Darüber hinaus finden folgende Tierorgane
Verwendung für die Bezeichnung: Bärenzahn, Hundszahn, Wolfszahn sowie
Gänsezunge (Hauenschild 1996, 117, 120).
Für die Art Verbascum thapsus werden in den Türksprachen Bezeichnungen
auf der Grundlage von Bärenohr, Bärentatze, Kuhohr und Kamelzunge verwen-
det, um so die filzigen Blätter zu betonen, die lanzettlich geformt sind und am
Blattrand eingekerbt sind. Das Deutsche hält folgende Bezeichnungen bereit:
Bärenkraut und Ochsenzunge (Hauenschild 1996, 104, 120, 150). Auch hier ist
zu erkennen, dass es kulturraumübergreifende Parallelen in der
Versprachlichung von Wahrnehmungen gibt.
Ausgangspunkt für Seidenstickers Auseinandersetzung mit Pflanzennamen
stellt seine Dissertation über zwei Karten aus Walther Mitzkas Deutschem
Wortatlas dar. Hierbei entwickelte sich sein Interesse für wortgeographische
Zusammenhänge und er stieß auf eine Vielfalt von Bezeichnungen für den Ho-
lunder (Sambucus nigra L.) (Seidensticker 1999, 11). Im Rahmen seiner For-
schungstätigkeit wurde Seidensticker klar, dass zum Verständnis der Pflanzen-
namen in Geschichte und Gegenwart sowohl die Entwicklung der Pflanzenheil-
kunde zur Pharmazie als auch die Herausbildung der Botanik als eigenständige
Wissenschaft in Betracht zu ziehen ist. Für Seidensticker spielt damit die Inter-
disziplinarität der verschiedenen Forschungsbereiche eine wesentliche Rolle.
Diese Interdisziplinarität ist nach Seidensticker mit Hilfe des Ansatzes „Wörter
und Sachen“ zu erschließen (Seidensticker 1999, 12). Kritisch eingestellt ist
Seidensticker gegenüber einer unreflektierten Übernahme der Prototypen-
Theorie zur Erklärung von ethnobiologischen Nomenklaturen. Für ihn besteht
das Problem darin, dass das betreffende Sprachmaterial nicht synchronisch
geordnet werden kann, sondern erst über die Analyse der diachronen Zusam-
3.5 Linguistik der Pflanzennamen 103
menhänge erklärt werden kann (Seidensticker 1999, 13). Wie in der vorliegen-
den Darstellung noch zu zeigen sein wird, ist dieser Kritikpunkt Seidenstickers
unmittelbar relevant auch für die Analyse des hier gewählten Sprachmaterials.
Seidensticker verbindet mit den Bezeichnungen von Pflanzen die Absicht des
Sprechers, Wahrnehmungen zu fixieren und an andere Kommunikationsteil-
nehmer weiterzugeben. Dies geschieht immer in Abhängigkeit von einem be-
stimmten Kontext, so dass es zu Vergleichen, zum Teil auch zu Klassifizierun-
gen von Pflanzen über die gewählten Bezeichnungen kommt. Diese Prozesse
sieht Seidensticker in Abhängigkeit von der Genauigkeit der Wahrnehmung so-
wie der jeweiligen Motivation des Sprechers, die nicht zuletzt auch mit dem Ge-
brauch der Pflanze durch den Sprecher zusammenhängt (Seidensticker 1999,
43-44).
Sauerhoff legt mit seinem „Etymologischen Wörterbuch der Pflanzennamen“
(22004) ein Werk vor, das die von ihm festgestellten Lücken in der Darstellung
etymologischer Wörterbücher schließen soll. Das Problem vieler etymologischer
Wörterbücher besteht darin, dass häufig aus den vorhandenen Angaben weder
ein Benennungsgrund noch ein Benennungsmotiv abgeleitet werden kann, so
dass es für den Sprachwissenschaftler nahezu unmöglich ist, die Beziehung
zwischen dem Benennenden und dem Benannten zum Zeitpunkt der Benen-
nung zu beschreiben. Diese Beziehung ist aber für die korrekte Erklärung des
Ursprungs von Bezeichnungen von nicht unerheblicher Bedeutung. Für Sauer-
hoff ist eine Verknüpfung der diachronen mit der synchronen Betrachtungswei-
se unabdingbar notwendig, um die Motivation von Benennungen vollständig
aufzudecken. Leider finden sich laut Sauerhoff in etymologischen Wörterbü-
chern speziell zu der Synchronie von Benennungen keine hinreichenden Anga-
ben. Mit der Veröffentlichung des Wörterbuchs verbindet Sauerhoff die Hoff-
nung, nicht nur Linguisten Antworten auf die Frage nach der Motivation von Be-
nennungen von Pflanzen geben zu können (Sauerhoff 22004, VI-VII).
104
4 Inventarisierung des Sprachmaterials und Charakteri-sierung der Pflanzen
4.1 Vorbemerkungen
Im folgenden Kapitel der Darstellung geht es einerseits um die Inventarisierung
des zu untersuchenden Sprachmaterials; andererseits werden die betreffenden
Pflanzen vorgestellt. Zunächst wird in Abschnitt 4.2 ein Überblick über die Ge-
schichte der Pflanzenmedizin gegeben. Dieser hat zum Ziel, den gewählten
thematischen Komplex der Heilpflanzen vorzustellen und die Bedeutung dieser
Pflanzen für den Menschen aufzuzeigen, woraus für die Analyse wesentliche
Aspekte hinsichtlich des Verständnisses der Menschen für diese Pflanzen ab-
geleitet werden können. Die anschließenden Abschnitte 4.3 bis 4.8 gliedern
sich jeweils in zwei Teile: Der erste Abschnitt stellt die jeweilige Pflanze hin-
sichtlich ihrer biologischen und medizinischen Merkmale vor; im zweiten Teil
wird überblicksartig das Sprachmaterial zusammengestellt.
Die überblicksartigen Zusammenstellungen des Sprachmaterials sind wie folgt
gegliedert: Abschnitt A nennt die wissenschaftliche(n) Bezeichnung(en); Ab-
schnitt B stellt diejenigen Bezeichnungen vor, die auf der Grundlage von Meta-
phern gebildet wurden; Abschnitt C schließlich führt Bezeichnungen auf der
Grundlage von Metonymien auf.
Innerhalb der Abschnitte B und C wird jeweils eine Differenzierung in Prinzipien
vorgenommen, nach denen die Pflanzen auf der Grundlage von Metaphern
bzw. Metonymien bezeichnet werden.
Die wissenschaftlichen Bezeichnungen sind dem Pflanzenführer „Der große
BLV Pflanzenführer“ von Schauer und Caspari sowie dem „Lexikon der Biolo-
gie“ entnommen. Gleiches gilt in der überwiegenden Zahl auch für die stan-
dardsprachlichen deutschen Bezeichnungen. Die Bezeichnungen in den übri-
gen Sprachen (Ital./Frz./Span.) entstammen folgenden Wörterbüchern:
a) Italienisch:
- Battaglia, S., Grande Dizionario della Lingua Italiana, Bd.1-21, Turin
1961-2002 (GDLI)
4.1 Vorbemerkungen 105
b) Französisch:
- Rey Debove, J./Rey, A., Le Nouveau Petit Robert, Paris 2007 (PR)
- ders., Le Grand Robert de la langue française, Bd.1-6, nouv. éd. augm.,
Paris 22001 (GR)
- Trésor de la langue française, Bd. 1-16, Paris 1971-1994 (TLF)
c) Spanisch:
- Real Academia Española, Diccionario de la lengua española, Madrid
211992 (DLE)
Hinzu kommen Bezeichnungen, die in den Sprachkarten (vgl. Abschnitte 3.3.1 –
3.3.4) und in der „Flora popolare italiana“ von Penzig (vgl. Abschnitt 3.4) zu fin-
den sind.
Die Bezeichnungen der Abschnitte B und C werden auf ihre jeweiligen Etyma
zurückgeführt. Als Quelle hierfür dienten im Wesentlichen das REW sowie das
FEW. Wo Unsicherheiten bezüglich der korrekten Zuordnung zu den Etyma ge-
geben sind, wird dies mit „?“ gekennzeichnet.
Bezüglich der Auswahl des Sprachmaterials auf der Grundlage der Sprachkar-
ten und der Zusammenstellungen bei Penzig musste für das Italienische fol-
gende Eingrenzung vorgenommen werden, um das Material überschaubar zu
halten: Für die italienische Sprachgemeinschaft wurden die sogenannten „ober-
oder norditalienischen Dialekte“ herangezogen, aus denen die galloitalienischen
Dialekte ausgewählt wurden. Nach Geckeler/Kattenbusch (21992, 22) sind dies
folgende: piemontesische, lombardische, ligurische und emilianisch-
romagnolische Dialekte, die in unmittelbarer geographischer Nachbarschaft
zum Sprachgebiet des ALP liegen. Ganz allgemein werden aus der Fülle an
Bezeichnungen, die sich in den Karten und bei Penzig finden lassen, nur dieje-
nigen ausgewählt, die – in Anlehnung an die Folgerungen für das Analysevor-
haben (vgl. Abschnitt 2.9) – sowohl für eine onomasiologische als auch für eine
semasiologische Analyse geeignet sind.
106
In den Abschnitten B und C werden, soweit möglich, die genauen Abfragepunk-
te der Sprachkarten und die Abfrageorte angeführt, um Anhaltspunkte für er-
gänzende sprachgeographische Analysen zu haben. Die einzelnen
Départements, Provinzen sowie Abfrageorte wurden alphabetisch angeordnet,
die Abfragepunkte folgen einer numerischen Ordnung.
4.2 Geschichte der Pflanzenmedizin
Gegenstand dieser Untersuchung sind die Bezeichnungen von Nutzpflanzen.
Diese ordnet man allgemein den „höheren“ Pflanzen zu, von denen Pilze, Far-
ne, Flechten und Moose ausgeklammert sind. Nutzpflanzen sind Pflanzen, die
vom Menschen für vielseitige Zwecke verarbeitet werden. Sie liefern ihm Nah-
rung und Gewürze; er benutzt die Fasern einiger Pflanzen z.B. für die Textilpro-
duktion. Nutzpflanzen sind für den Menschen darüber hinaus als Lieferant von
Heil- und Futtermittel von Bedeutung. Auch das Holz einiger dieser Nutzpflan-
zen wird z.B. als Baumaterial verwendet (Becker/John 2000, 7).
Die vorliegende Darstellung beschränkt sich auf die Untersuchung ausgewähl-
ter Pflanzen in ihrer Funktion als Heilmittel. Der Begriff „Heilpflanzen“ fasst die-
jenigen Pflanzen zusammen, die der Herstellung von Medikamenten und ande-
ren medizinischen Zwecken dienen (Lexikon der Biologie Bd.1 1983, 247).
Heilpflanzen enthalten medizinisch wirksame Inhaltsstoffe, wodurch sie zur Be-
kämpfung oder Vorbeugung von Krankheiten geeignet sind. Zum Teil werden
Heilpflanzen getrocknet und zerkleinert, um sie medizinisch verwerten zu kön-
nen. Hierbei hängt es von der Konzentration der gewünschten Wirkstoffe ab, ob
die gesamte Pflanze oder nur bestimmte Teile verwendet werden (Lexikon der
Biologie Bd.4 1985, 196-197). Besonders häufig genutzte Pflanzenteile sind
Blätter, Blüten, Früchte, Stängel, Wurzeln und Samen. Pflanzliche Heilmittel
können darüber hinaus entweder aus einer einzelnen Pflanzenart bestehen
oder aus verschiedenen gemischt werden (Polunin/Robbins 1997, 20).
4.2 Geschichte der Pflanzenmedizin 107
In ihrer überwiegenden Zahl sind Heilpflanzen zu den sogenannten „Kräutern“
zu rechnen. Der Ausdruck „Kraut“ bezeichnet im botanischen Sinn eine Samen-
pflanze mit saftigen, unverholzten Stengeln. Unter ihnen gibt es sowohl ein- und
zweijährige als auch mehrjährige. Die erstgenannten durchlaufen ihren Lebens-
zyklus (Wachstum, Blüte, Samenentwicklung, Absterben) in einem bzw. zwei
Jahren. Mehrjährige Kräuter entwickeln über einen Zeitraum von mehreren Jah-
ren Blüten und Samen. Ihre oberirdischen Teile sterben im Winter ab und trei-
ben im darauffolgenden Frühjahr aus dem Wurzelstock wieder aus (Meyers En-
zyklopädie Bd.3 1983, 1028).
Die Nutzung von Heilpflanzen durch den Menschen lässt sich über Jahrtausen-
de der Kulturgeschichte zurückverfolgen. Es ist davon auszugehen, dass schon
die Jäger und Sammler der Steinzeit über ein enormes Wissen bezüglich der
Pflanzen ihrer Umgebung verfügten. Seitdem die Menschen sesshaft wurden,
sind vielfältige Nutzungen von Pflanzen überliefert. Die steinzeitlichen Men-
schen nutzten als Sammler nur die Pflanzen in ihrer unmittelbaren Umgebung.
Auf der Suche nach Heilmitteln lernten die Menschen die Pflanzen bezüglich ih-
res Aufbaus, ihrer Lebensbedingungen und physiologischen Wirkungen kennen
(Becker/John 2000, 7, 10; Marzell 1967, 13).
Bei vielen der frühen Kulturen und auch noch bei heutigen Naturvölkern stößt
man auf die Verwendung von Heilpflanzen als Rauschmittel. Dies hängt damit
zusammen, dass angenommen wurde (und wird), dass viele der Pflanzen ma-
gische Kräfte vermitteln. So erklärt sich ihre Verwendung z.B. bei kultischen
Handlungen (Stille 1994, 16-17).
Im Laufe der Kulturgeschichte entstanden verschiedene Ackerbaukulturen, und
durch Wanderungsbewegungen kam es zu einem Austausch von Pflanzenarten
und -produkten, der auch neue Erkenntnisse über Verwendungsmöglichkeiten
der Pflanzen mit sich brachte (Becker/John 2000, 7). So wurden beispielsweise
über Handelsströme Gewürze und Arzneimittel aus China, Indien und Äthiopien
eingeführt. Dabei handelte es sich meistens um Pflanzen und deren Produkte,
die sich durch einen auffälligen Duft und scharfen Geschmack auszeichneten.
4.2 Geschichte der Pflanzenmedizin 108
In solchen Merkmalen sahen die Menschen damals z.B. die Heilwirkung der
Pflanzen (Becker/John 2000, 10).
Die antiken Griechen verbanden zunächst die Heilkräfte von Pflanzen mit dem
Wirken einzelner Götter. Diese Ansichten fanden sich häufig in Sagen wieder,
die sich um Heilungen und Arzneipflanzen rankten (Stille 1994, 38). Auch in den
Epen des Homer (um 800 v. Chr.) werden Wunderkräuter mythologischer Ge-
stalten beschrieben (Becker/John 2000, 10).
Ca. ab 500 v. Chr. verloren diese von der Mythologie geprägten Ansichten mehr
und mehr an Bedeutung. Sie wurden von den Griechen lediglich als histori-
sches Gut weiter gepflegt. Der zunehmende Einfluss der Philosophie bestimmte
durch rationale Deutungen immer mehr das Denken in der Medizin (Stille 1994,
41).
Die ältesten uns erhaltenen Schriften über Heilpflanzen werden im allgemeinen
Hippokrates zugeordnet, wobei Marzell (1967) anmerkt, dass die hippokratische
Schriftensammlung (Corpus Hippocraticum) von mehreren Ärzten des 5. und 4.
Jhs. v. Chr. verfasst wurde. Der bedeutendste unter ihnen war Hippokrates
(geb. um 460 v. Chr. auf der Insel Kos, gest. 377 v. Chr. zu Larissa in Thessa-
lien) (Marzell 1967, 13). Im Corpus Hippocraticum werden etwa 300 Arzneimit-
tel beschrieben. Bei vielen heute noch gebräuchlichen und im Corpus mono-
graphisch dargestellten Arzneipflanzen fanden sich bereits Angaben zur Heil-
oder Giftwirkung. So werden z.B. das Brennesselkraut, Holunderblüten oder die
Blätter des Bilsenkrauts erwähnt. Stille (1994) geht davon aus, dass mindestens
¼ der heute genutzten Heilpflanzen bereits zur Zeit Hippokrates‘ medizinisch
verwendet wurden. Unter diesen Pflanzen waren etliche vertreten, die nicht der
griechischen Flora entstammten, sondern z.B. aus Ägypten kamen, wo die
Heilkunde bereits zur Zeit der Pharaonen auf hohem Niveau stand (Stille 1994,
41-42).
Während bei Hippokrates die mehr als 200 aufgeführten Heilpflanzen botanisch
nicht näher bestimmt werden, beschreibt Theophrast (372-287 v. Chr.), ein
Schüler des Aristoteles (384-322 v. Chr.), in seiner „Pflanzengeschichte“
(Historia plantarum) in vielen Fällen die Pflanzen schon so, dass man sie bota-
4.2 Geschichte der Pflanzenmedizin 109
nisch näher einordnen kann. Jedoch sind Theophrasts Darstellungen noch nicht
ganz frei von Aberglauben. Außerdem beschreibt er manche Pflanzen, ohne sie
vorher selbst gesehen zu haben (Marzell 1967, 13-14; Ploetz 311991, 137, 157).
Das bedeutendste Werk des griechischen Altertums, das sich mit Arzneipflan-
zen beschäftigt, ist die „Arzneimittellehre“ (De materia medica) des Dioskurides,
der im 1. Jh. n. Chr. lebte. Der griechische Arzt aus Anazarbos (Kilikien) war
zugleich Botaniker und bedeutendster Pharmakologe der Antike. In der fünf Bü-
cher umfassenden Arzneimittellehre beschrieb Dioskurides über 600 Pflanzen
und über 1000 daraus hergestellte Drogen. Dieses erste Lehrbuch der Arznei-
mittelbereitung stellt im Wesentlichen Pflanzen aus der griechischen und klein-
asiatischen Flora vor und galt bis zur Renaissance als Standardlehrbuch. Spä-
tere Handschriften beinhalten Zeichnungen der von Dioskurides beschriebenen
Pflanzen, so dass ihre botanische Bestimmung etwas erleichtert wird (Marzell
1967, 14; Lexikon der Biologie Bd.2 1984, 433). Dioskurides nahm in seinem
Werk bereits eine grobe Einteilung der Pflanzen vor. Er ordnete sie nach typi-
schen Merkmalen (z.B. unterschied er aromatische Kräuter von solchen mit ei-
nem „scharfen“ Charakter), nach ihrem Aussehen oder den verwendeten Pflan-
zenteilen (Ody 2001, 11).
Obwohl die Römer keine botanischen Schriftsteller vom Range eines Theo-
phrast oder Dioskurides vorweisen konnten, hatte die von Cajus Plinius
Secundus (23-79 n. Chr.) in Form einer Enzyklopädie geschriebene „Naturge-
schichte“ (Naturalis historia) einen sehr bedeutenden Einfluss auf spätere Zei-
ten. Das gesamte Werk umfasst 37 Bücher, von denen besonders in den Bü-
chern 21 bis 27 die Heilpflanzen beschrieben werden. Plinius erwähnt sehr viele
Pflanzennamen, die auch in unserer heutigen Nomenklatur zu finden sind.
Marzell (1967) warnt jedoch davor, die von Plinius genannten Pflanzen einfach
auf die derzeitige Nomenklatur zu übertragen (Marzell 1967, 15-16).
Beim Übergang zum Mittelalter war der Kenntnisstand der Menschen bezüglich
der pflanzlichen Arzneimittel bestimmt zum einen durch das von Dioskurides
geschaffene System der Pflanzen und zum anderen durch die Therapieverfah-
ren des Galen von Pergamon (Stille 1994, 6-7, 46-47). Im frühen Mittelalter war
4.2 Geschichte der Pflanzenmedizin 110
der „Herbarius“ des so genannten Pseudo-Apuleius eines der beliebtesten Heil-
pflanzenbücher. Der eigentliche Verfasser dieses Werkes ist unbekannt. Der
„Herbarius“ stellt eine Sammlung von Arzneimitteln auf pflanzlicher Basis dar
und wurde ca. um 500 n. Chr. zusammengestellt. Als Quellen wurden zum Teil
die Arzneimittellehre des Dioskurides und die Naturgeschichte des Plinius ver-
wendet, zum Teil wurden aber auch Elemente der zeitgenössischen Volksmedi-
zin mit aufgenommen. Der „Herbarius“ enthält ca. 130 Abbildungen von Pflan-
zen und beschreibt jeweils ihre Heilanwendungen (Marzell 1967, 16-17).
Die mittelalterlichen Klöster trugen wesentlich dazu bei, dass das antike Wissen
über Heilpflanzen erhalten blieb: Mönche schrieben die antiken Handschriften
ab und belebten zugleich durch die Anlage von Klostergärten das antike Ge-
dankengut. Neben dem Kopieren antiker Handschriften hielten die mittelalterli-
chen Mönche ihre eigenen Erfahrungen mit Pflanzen und deren Heilwirkungen
in Handschriften fest. Eines der ältesten Arzneibücher der Klostermedizin wurde
im Kloster Lorsch Ende des 8. Jhs. verfasst. In ihm sind mehr als 500 zum Teil
sehr detaillierte Rezepte für die Herstellung von Arzneien gesammelt; über 200
Pflanzen und Drogen werden beschrieben (Stille 1994, 53).
Mit der Äbtissin Hildegard von Bingen (1099-1179) erreichte die Klostermedizin
ihren Höhepunkt. In der „Physica“, einer in lateinischer Sprache verfassten
Heilmittellehre und Naturgeschichte, beschreibt sie u.a. zahlreiche Kräuter. Im
Unterschied zu den meisten anderen Klosterschriften ihrer Zeit stellt die
„Physica“ jedoch keine reine Abschrift der antiken Autoren (z.B. Dioskurides
und Plinius) dar, sondern Hildegard von Bingen hielt im Wesentlichen ihre
selbstständigen Beobachtungen fest und sammelte zudem auf Reisen Informa-
tionen und Pflanzenbezeichnungen aus dem Volksmund.
Während des gesamten Mittelalters war die Medizin in hohem Maße religiös
geprägt. So sind viele Werke der Klostermedizin durchsetzt mit Anspielungen
aus dem Bereich des (Aber)Glaubens. Auch bei Hildegard von Bingen spielte
z.B. der Teufel in ihren Vorstellungen von der giftigen Wirkung einzelner Pflan-
zen eine große Rolle (Marzell 1967, 18; Stille 1994, 61, 64).
4.2 Geschichte der Pflanzenmedizin 111
Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Pflanzenmedizin stellte
das Wirken des Paracelsus (geb. als Philippus Aureolus Theophrastus Bom-
bastus von Hohenheim 1493 in der Nähe von Zürich) dar, der sich auf die Me-
dizin nach der Signaturenlehre besann (Ody 2001, 19). Nach dieser Lehre sind
Mineralien, Pflanzen und Tiere für ihre überwiegend heilkundliche Verwendung
gekennzeichnet, und zwar durch ihr Aussehen (Form, Habitus), durch ihre Far-
be, ihren Geruch und Geschmack. Oft finden sich z.B. in lateinischen und spä-
teren deutschen Pflanzenbezeichnungen Hinweise auf die Signaturenlehre. So
z.B. bei Pulmonaria (= Lungenkraut), wo auf die Blatt-„Bläschen“ angespielt
wird; oder bei Anemona hepatica, dem Leberblümchen, wo die Blattform das
ausschlaggebende Element für die Bezeichnung darstellt. Durch diese Namen-
gebung wird zugleich auf die medizinische Verwendbarkeit der jeweiligen Pflan-
zen hingewiesen (Lexikon des Mittelalters Bd. 7 1995, Spalte 1889). Der Sig-
naturenlehre zufolge wurden so z.B. viele gelb blühende Pflanzen mit Gelb-
sucht assoziiert, weswegen u.a. Leinkraut, Schöllkraut und Löwenzahn bei Le-
berbeschwerden eingesetzt wurden. Die Walnuss und die Muskatnuss ähneln
dem gefurchten Äußeren des Gehirns. Daher wurde angenommen, sie würden
zur Stärkung der Hirntätigkeit beitragen. Durch die kleinen Öldrüsen auf den
Blättern des Johanniskrauts erscheint die Pflanze wie durchlöchert. Ihre Blüten-
extrakte verfärben sich rot, was als Zeichen für die Wundbehandlung gedeutet
wurde (Ody 2001, 19).
Seit der Renaissance kam es zu vielen Neuerungen, die auch die Pflanzenme-
dizin betrafen. So machte es zunächst die Erfindung des Buchdrucks möglich,
dass Fachliteratur weiter verbreitet werden konnte als bisher. Im Zuge von Ent-
deckungsreisen lernten die Europäer neue Nutz- und Heilpflanzen kennen. Zu-
dem führten neue Sichtweisen in Wissenschaft und Forschung dazu, dass die
medizinischen Eigenschaften von Pflanzen genauer untersucht wurden und ihre
Nutzungsmöglichkeiten optimiert werden konnten (Becker/John 2000, 7, 11).
112
4.3 Arctium lappa L. (Korbblütengewächse, Compositae / Asteraceae)
4.3.1 Beschreibung der Pflanze
Die Klette gehört zur Gattung der Korbblütler (Compositae) und ist in Europa,
Afrika und dem gemäßigten Asien heimisch. Sie
wächst an Wegen, in Hecken und auf jeglichem
Ödland (Lexikon der Biologie Bd.5 1985, 41;
Bianchini/Corbetta/Pistoia 1983, 227). Die
Pflanze wird etwa 1 bis 1,5m hoch und besitzt
eine bis zu 60cm lange fleischige Wurzel, die
ästig verzweigt ist. Die reichverzweigte Pflanze
trägt breit-eiförmige Blätter, die an der Untersei-
te filzig behaart sind. Ihre bis zu 4cm großen
Blütenköpfe bestehen aus rötlichen bis purpur-
farbenen Röhrenblüten. Diese sind von Hüllblättern umgeben, die an der Spitze
gelbliche Widerhäkchen tragen, welche zur Verbreitung der reifen Blütenkörb-
chen, der „Kletten“ dienen: Durch diese Häkchen können sie sich sowohl im Fell
oder Gefieder von Tieren als auch in der Kleidung des Menschen verhaken
(Pahlow 2000, 186; Lexikon der Biologie Bd.5 1985, 41-42).
In der Pharmazie wird jeder Teil der Pflanze verwendet. Samen, Blüten, Blätter
und Wurzeln haben allgemein blutreinigende, schweißtreibende und entwäs-
sernde Wirkung. Äußerlich ange-
wendet helfen Klettenblätter als Um-
schlag bei Prellungen und schlecht
heilenden Wunden. Innerlich werden
die Wurzeln bei gestörter Leber- und
Gallenfunktion angewendet.
Die Pflanze weist antimikrobielle Ei-
genschaften auf, deretwegen sie zur
Behandlung von diversen Hautkrankheiten wie Ekzemen, Akne und Schuppen-
flechte eingesetzt wird. Ein aus den Wurzeln gewonnenes Öl hilft gegen Haar-
4.3 Arctium lappa L. (Korbblütengewächse, Compositae / Asteraceae) 113
ausfall und schuppige Kopfhaut. Darüber hinaus enthalten die Wurzeln die Zu-
ckerart Inulin, wodurch die Pflanze eine besondere Rolle bei der Behandlung
von Diabetes spielt. So wird in Frankreich z.B. die frische Wurzel zur Senkung
des Blutzuckerspiegels verwendet (Bianchini/Corbetta/Pistoia 1983, 160;
Pahlow 2000, 187; Mabey 1989, 41).
4.3.2 Inventar der Bezeichnungen
A) Wissenschaftliche Bezeichnung:
Arctium lappa L. (Schauer/Caspari 2001, 122)
B) Metaphorische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Tier → Aussehen der Klettfrüchte (?)
Etymon: BARBANA (?)/BARRUM (?) (Guyot/Gibassier 1960, 69;
FEW Bd.1, 263-266)
- bardana (GDLI Bd.2, 69)
- bardane (TLF Bd.4, 182)
- bardana (DLE, 188)
- Bardàna, Bardèna (Genova), Bardana (S. Antonio) (ligurisch)
(Penzig Bd.1 1974, 43)
- Bardana, Biardana (piemontesisch) (Penzig, 43)
- Bardàna (lombardisch) (Penzig, 44)
- Bardàna, Bardànass (emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 44)
- bardano (Alpes-de-Haute-Provence, p.55, 63, 87, 88, 90, 110,
113, 120; Alpes-Maritimes, p.119; Bouches-du-Rhône, p.112;
Drôme, p.15, 19, 43, 47, 51, 67; Hautes-Alpes, p.22, 26, 52; Isère,
p.18; Var, p.132, 138, 142, 164; Vaucluse, p.80, 101, 127), bar-
dana (Alpes-de-Haute-Provence, p.37, 106; Hautes-Alpes, p.30,
35, 40) (okzitanisch) (ALP I 1975, K.235 la bardane)
- bardano (Lot et Garonne, p.636), bardono (Hautes-Pyrénées,
p.698), bardanoe (Gironde, p.650E), bardoenoe (Hautes-
Pyrénées, p.696) (okzitanisch) (ALG I 1954, K.179 la bardane)
4.3 Arctium lappa L. (Korbblütengewächse, Compositae / Asteraceae) 114
2) Prinzip: Tierorgan → Pflanze
Etyma: AURĬCULA + ASĬNUS (REW, 62-63, 57)
- aurelo d’azu (Hautes-Pyrénées, p.689, 695, okzitanisch) (ALG I,
K.179)
C) Metonymische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Eigenschaften der Samen/Früchte → Pflanze
Etyma: KLETTO (REW, 383)
- glouteron, grateron, gratteron (TLF Bd.4, 182)
- glaiteron (GR Bd.4, 928)
Etymon: LAPPA (REW, 398)
- lappa, lappola (GDLI Bd.8, 765-766)
- lapa (DLE, 869)
- Làppoa (ligurisch) (Penzig, 43)
- Lapa (piemontesisch) (Penzig, 43)
- Lapa (Bologna, emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 44)
Etymon: LAPPACEUM (REW, 398)
- lampazo (DLE, 867)
- Lappassa, Lappasücca (ligurisch) (Penzig, 43)
- Lappusa (Porto Maurizio, ligurisch) (Penzig, 43)
- Lavassa, Lapassa (piemontesisch) (Penzig, 43)
Etymon: GRĪPAN (REW, 330)
- grippe (TLF Bd.4, 182)
Etymon: RAPĔRE (?) (REW, 583)
- arapon (TLF Bd.4, 182)
2) Prinzip: Medizinische Eigenschaft → Pflanze
Etyma: (HĔRBA +) TĬNEA (REW, 344, 724)
- herbe aux teigneux (TLF Bd.4, 182)
- teigne (TLF Bd.4, 182)
- tinuzoe (Basses-Pyrénées, p.691O, okzitanisch) (ALG I, K.179)
115
Etymon: PĔCTEN, -ĬNE (REW, 521)
- peignerolle (TLF Bd.4, 182)
3) Prinzip: Verwendung → Pflanze
Etyma: CAULIS + ASĬNUS (FEW Bd.2, 535-537; REW, 57)
- kaulet d’azu (Basses-Pyrénées, p.676SO, 685, 685NO, 685NE,
686, 691, 691N, 692NE, 694; Hautes-Pyrénées, p.695O), kau
d’azu (Basses-Pyrénées, p.690, 690E), kaulaso (Gers, p.657S),
kou d’azé (Gironde, p.634), tsou d’azoe (Gironde, p.634NO),
kaulet d’azoe (Landes, p.665S, 667NO, 675, 675O, 676O,
676NO), kouloet d’azu (Landes, p.682N) (okzitanisch) (ALG I,
K.179)
Etyma: PANIS + *AUCELLUS (REW, 508-509; FEW Bd.1, 170)
- pan d’aucèu (Hautes-Alpes, p.36, okzitanisch) (ALP I, K.235)
4) Prinzip: Frucht/Standort → Pflanze
Etyma: PĬRUM + VALLIS (REW, 541, 762)
- poire de vallée (TLF Bd.4, 182)
4.4 Hypericum perforatum L. (Johanniskrautgewächse, Hype-ricaceae)
4.4.1 Beschreibung der Pflanze
Das Johanniskraut ist eine 30 bis 60cm hohe Staude, die
zur Familie der Hypericaceae zählt und fast über die ge-
samte Erde verbreitet ist. Die Pflanze wächst in Hecken
und lichten Wäldern sowie auf trockenen Wiesen und an
Wegrändern. Sie trägt ei-längliche Blätter und gold-gelbe
Blüten, die beim Zerreiben einen roten Saft absondern.
Ein weiteres Merkmal kennzeichnet das Johanniskraut:
Die Blätter enthalten Sekretbehälter, in denen ätheri-
sches Öl und Harz gesammelt ist; dadurch erscheinen die Blätter, im Gegen-
4.4 Hypericum perforatum L. (Johanniskrautgewächse, Hypericaceae) 116
licht betrachtet, durchlöchert (Lexikon der Biologie Bd.4 1985, 177;
Bianchini/Corbetta/ Pistoia 1983, 230; Callauch 1998, 34; Hensel 1999, 59).
Das Johanniskraut zählte bereits im Altertum zu den geschätztesten Heilpflan-
zen. Dioskurides verwendete es sehr viel in seiner Funktion als Arzt in der rö-
mischen Armee; auch bei den germanischen Stämmen war es sehr bekannt.
Johanniskraut wurde vornehmlich dann eingesetzt, wenn es darum ging, Geis-
teskrankheiten zu heilen, besonders wenn angenommen wurde, dass der Kran-
ke von einem Teufel besessen sei (Bianchini/Corbetta/Pistoia 1983, 170). Nach
der mittelalterlichen Signaturenlehre wurde in der Pflanze die Signatur des Blu-
tes gesehen und diese daher zur Behandlung von blutenden Wunden einge-
setzt (Hensel 1999, 59). In den Kräuterbüchern des 16. Jhs. wird vor allem auf
die Teufel abwehrende Kraft der Pflanze hingewiesen. Diese soll besonders in
dem am Johannistag (24. Juni) gesammelten Kraut vorhanden sein. In vielen
Gegenden Deutschlands wird das Johanniskraut eingesetzt, um Blitzschlag zu
verhindern. Nach Marzell (1967) haben wohl die glänzend gelben Blüten und
die Tatsache, dass die Pflanze in der gewitterreichsten Jahreszeit blüht, zu die-
ser Verwendung beigetragen. So soll in der Eifel ein auf das Hausdach gewor-
fener Kranz aus Johanniskraut das Gewitter abhalten. In Süddeutschland und
in Tirol werden Sträuße aus dieser Pflanze an die Fenster gesteckt (Marzell
1967, 134-135).
Das Echte Johanniskraut, auch Tüpfel-Johanniskraut genannt, dient aufgrund
seines Gehalts an ätherischen Ölen und Hypericin als Heilpflanze. Das
Hypericin, das den roten Farbstoff darstellt, hat eine beruhigende Wirkung und
kann bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Äußerlich an-
gewendet fördert das aus den Blüten gewonnene Öl die Wundheilung und lin-
dert durch z.B. Verstauchungen hervorgerufene Schmerzen. Weitere medizini-
sche Anwendungsbereiche der Pflanze sind Lungenkrankheiten, Magen-,
Darm- und Gallenkrankheiten, Nervosität und diverse andere Nervenleiden
(Pahlow 2000, 176-177).
4.4 Hypericum perforatum L. (Johanniskrautgewächse, Hypericaceae) 117
4.4.2 Inventar der Bezeichnungen
A) Wissenschaftliche Bezeichnung:
Hypericum perforatum L. (Schauer/Caspari 2001, 174)
B) Metaphorische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Stängelform)
Etyma: CAUDA + GARRIUM (REW, 170-171; FEW Bd.4, 71-72)
- kwa de gari (Var, p.138, okzitanisch) (ALP I 1975, K.237 le mille-
pertuis)
C) Metonymische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Blüte/Wuchsform + Blüte-, Sammelzeit → Pflanze
Etyma: HĔRBA + SANCTUS + JOHANNES (REW, 344, 626, 374)
- erba San Giovanni (Gleßgen Bd.2 1996, 764)
- herbe de (la) Saint-Jean (TLF Bd.11, 825)
- Erba di S. Giovanni (ligurisch) (Penzig Bd.1 1974, 238)
- Erba d’San Zuàn (Carpeneto, piemontesisch) (Penzig, 238)
- Erba de S. Gioàn (lombardisch) (Penzig, 238)
- Erba d’San Z’vàn (Bologna, emilianisch-romagnolisch) (Penzig,
238)
- erba de sant Jan (Alpes-Maritimes, p.121), erbo de sant Jan
(Bouches-du-Rhône, p.117), erbo de la sant Jan (Vaucluse,
p.101) (okzitanisch) (ALP I, K.237)
Etyma: FLOS, -ŌRE + JOHANNES (REW, 291, 374)
- Fiore di S. Giovanni (Sarzana, ligurisch) (Penzig, 238)
- flour de sant Jan (Alpes-de-Haute-Provence, p.100, okzitanisch)
(ALP I, K.237)
2) Prinzip: Blattdetail → Pflanze
Etyma: MĪLLE + *PĔRTŪ(N)SIĀRE (REW, 457, 530)
- millepertuis, mille-pertuis (TLF Bd.11, 825)
- milo-pertuis (Alpes-de-Haute-Provence, p.110; Alpes-Maritimes,
p.65, 119; Hautes-Alpes, p.34, 42; Isère, p.18; Vaucluse, p.127),
118
- mila-partus (Alpes-de-Haute-Provence, p.68; Drôme, p.2, 3),
mile-pertus (Drôme, p.7, 10; Hautes-Alpes, p.9), mila-pertis
(Drôme, p.1), mila-pertuis (Hautes-Alpes, p.35), mila-pertus
(Hautes-Alpes, p.40), milo-pertus (Hautes-Alpes, 52), milo-
partus (Hautes-Alpes, p.58), mile-pertuis (Var, p.135) (okzita-
nisch) (ALP I, K.237)
Etyma: HĔRBA + MĪLLE + *TRAUCUM (REW, 344, 457, 737)
- herbe à mille trous (PR, 1599)
3) Prinzip: Verwendung → Pflanze
Etyma: CAPTIĀRE + DIABŎLUS (REW, 157, 239)
- cacciadiavoli (GDLI Bd.8, 495)
Etyma: FŬGĀRE + DAEMŎNE (REW, 303-304; Mauro 1999 Bd.2,
512)
- fuga demonii (GDLI Bd.8, 495)
4.5 Lavandula (Lippenblütengewächse, Lamiaceae/Labiatae)
4.5.1 Beschreibung der Pflanze
Der Lavendel gehört zur Gattung der
Lippenblütler (Labiatae) und ist von
den Kanarischen Inseln über das Mit-
telmeergebiet bis nach Vorderindien
verbreitet. Er wächst in Form von bis
zu 60cm hohen Halbsträuchern und ist
mit lineal- bis lanzettförmigen, ganz-
randigen, mehr oder weniger dicht behaarten Blättern versehen, die aromatisch
duften. Die blauen oder violetten Blüten vereinigen sich zu Scheinähren.
Der Echte Lavendel (Lavandula angustifolia, auch Lavandula officinalis ge-
nannt) wird besonders in Süd-Frankreich angebaut, wo dessen von den Drü-
senhaaren des Blütenkelchs produziertes Lavendelöl zur Herstellung von Sei-
4.5 Lavandula (Lippenblütengewächse, Lamiaceae/Labiatae) 119
fen, Parfums und Cremes verwendet wird. Bevorzugte Standorte der Pflanze
sind steinige Hänge sowie Felsensteppen (Schauer/Caspari 2001, 186).
Weitere genutzte Arten sind der Große Speik (Lavandula latifolia) und der Hyb-
ride (Lavandula hybrida, aus L. angustifolia X L. latifolia) (Lexikon der Biologie
Bd.5 1985, 210-211). Der Große Speik wird bis zu 80cm hoch; seine Blätter
sind weißfilzig behaart, länglich bis schmal-elliptisch und werden etwa 2 bis
5cm lang und bis zu 9mm breit. Wie beim Echten Lavendel bilden die violett ge-
färbten Blüten Scheinähren (Reichholf/Steinbach Bd.9 1992, 156).
Das Spiköl (aus L. latifolia) und das Lavandinöl des Hybriden unterscheiden
sich vom ätherischen Öl des Echten Lavendel durch eine geringere Qualität,
werden aber ebenfalls z.B. für die Herstellung von Kosmetika verwendet (Lexi-
kon der Biologie Bd.5 1985, 211).
Aufgrund seines Gehalts an ätherischem Öl und Gerbstoffen wird der Echte La-
vendel (L. angustifolia) auch als Heilpflanze genutzt. Das ätherische Öl, das aus
den Blüten durch Wasserdampfdestillation gewonnen wird, wirkt beruhigend auf
das Zentralnervensystem. Des Weiteren wird Lavendel-Spiritus zur Einreibung
bei Rheuma verwendet. Die Volksmedizin setzt darüber hinaus Lavendelblüten
ein bei Appetitlosigkeit, Koliken, Kopfschmerzen, Leber- und Milz-
erkrankungen, Gliederschmerzen und Gicht. Häufig sind Lavendelblüten zu-
sammen mit Hopfen und Melisse in Schlafkissenfüllungen zu finden, da sie das
Einschlafen fördern (Pahlow 2000, 206). Abgesehen von ihrer Verwendung zu
Heilzwecken dienen Lavendelblüten zur Bekämpfung von verschiedenen Para-
siten und Kleidermotten (Lexikon der Biologie Bd.5 1985, 211).
4.5.2 Inventar der Bezeichnungen
A) Wissenschaftliche Bezeichnungen:
- Lavandula angustifolia Mill. (L. officinalis Chaix) (Schauer/Caspari
2001, 186)
- Lavandula latifolia (Lexikon der Biologie Bd.5, 211)
- Lavandula spica (PR, 153)
B) Metaphorische Bezeichnungen:
4.5 Lavandula (Lippenblütengewächse, Lamiaceae/Labiatae) 120
1) Prinzip: Heiliger → Pflanze (Blüte-, Sammelzeit)
Etyma: SANCTUS + JOHANNES (REW, 626, 374)
- San Gioàn (Nizza, ligurisch) (Penzig, 263 [L. spica])
- sant Jan (Alpes-Maritimes, p.65, 75, 76, 79, 85, 86, 95, 96, 103,
okzitanisch) (ALP I 1975, K.234 la lavande)
C) Metonymische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Verwendung → Pflanze
Etymon: LAVĀRE (REW, 402)
- lavanda (GDLI Bd.8, 847 [L. spica])
- lavande (TLF Bd.10, 1036)
- lavandin (TLF Bd.10, 1036)
- Lavanda, Lavando (Val S. Martino) (piemontesisch) (Penzig, 263
[L. spica])
- Levanda (Como), Laànda (Brescia), Leanda (Bergamo)
(lombardisch) (Penzig, 263 [L. spica])
- Lavanda, Levanda (Reggio), Vanda (Lunigiana) (emilianisch-
romagnolisch) (Penzig, 263 [L. spica])
- lavando (Alpes-de-Haute-Provence, p.55, 60, 63, 71, 78, 87, 88,
89, 90, 91, 93, 100, 110, 113, 114, 120; Alpes-Maritimes, p.66, 94,
136; Bouches-du-Rhône, p.117, 123, 130, 131, 143, 145, 149,
150, 168; Drôme, p.25, 28, 33, 43, 47, 51, 57, 59, 61; Hautes-
Alpes, p.31, 42, 58; Var, p.122, 134, 137, 138, 144, 146, 147, 148,
157, 158, 160, 165; Vaucluse, p.62, 80, 81, 92, 98, 101, 105, 115,
124, 127), lavanda (Alpes-de-Haute-Provence, p.68, 106; Alpes-
Maritimes, p.121; Hautes-Alpes, p.20, 30, 34, 35, 40; Vaucluse,
p.72), levando (Drôme, p.32, 39, 41), lavandin (Alpes-de-Haute-
Provence, p.64, 88; Hautes-Alpes, p.58; Vaucluse, p.92, okzita-
nisch) (ALP I, K.234)
Etyma: GRANDIS + LAVĀRE (REW, 327, 402)
- grande lavande (TLF Bd.3, 654 [L. spica])
Etyma: LAVĀRE + MASCŬLUS (REW, 402, 441)
4.5 Lavandula (Lippenblütengewächse, Lamiaceae/Labiatae) 121
- lavande mâle (TLF Bd.3, 654 [L. spica])
Etyma: LAVĀRE + SPĪCUM (REW, 402, 673)
- lavande aspic (TLF Bd.10, 1036; GR Bd.5, 974 [L. spica])
Etyma: LAVĀRE + OFFICINĀLE (REW, 402; Mauro 1999 Bd.4, 561)
- lavande officinale (TLF Bd.10, 1036; GR Bd.5, 974 [L. vera])
Etyma: LAVĀRE + VERATIUS (REW, 402, 769)
- lavande vraie (TLF Bd.10, 1036)
Etyma: LAVĀRE + FĒMĬNĪNUS (REW, 402, 281)
- lavande femelle (GR Bd.5, 974 [L. vera])
2) Prinzip: Blütenstand ( + Blütezeit) → Pflanze
Etymon: SPĪCUM (REW, 673)
- espliego (DLE, 634)
- Spigu, Spigùn (Genova) (ligurisch) (Penzig, 263 [L. latifolia])
- Spigu, Spiga (Genova) (ligurisch) (Penzig, 263 [L. spica])
- Spigh (piemontesisch) (Penzig, 263 [L. spica])
- espi (Alpes-de-Haute-Provence, p.90; Bouches-du-Rhône, p.112,
151, 154, 162; Var, p.144, 153), aspi (Alpes-de-Haute-Provence,
p.89; Bouches-du-Rhône, p.150; Var, p.142; Vaucluse, p.72, 81),
espic, aspic (Alpes-de-Haute-Provence, p.37, okzitanisch) (ALP I,
K.234)
- espliego (Huesca, p. Hu100, Hu104, Hu108, Hu303, Hu305,
Hu500; Logroño, p.Lo100, Lo101, Lo300, Lo303, Lo304, Lo305,
Lo501, Lo600, Lo601, Lo602; Navarra, p.Na300, Na301, Na304,
Na306, Na308, Na309, Na400, Na401, Na402, Na403, Na506; Za-
ragoza, p. Z100, Z202, Z300, Z302, Z304, Z305, Z400, Z402,
Z505, Z506, Z605), espligo (Huesca, p. Hu112, Hu206, Hu603,
Teruel, P.Te100, Te102, Te103, Te104, Te200, Te203, Te206,
Te300, Te301, Te302, Te303, Te304, Te305, Te307, Te400,
Te401, Te402, Te404, Te405, Te406, Te500, Te502, Te503,
Te504, Te600; Zaragoza, p. Z602, Z604), esp(l)ig(k)o(l) (Huesca,
122
p. Hu101, Hu103, Hu107, Hu109, Hu203, Hu207, Hu304, Hu400,
Hu401, Hu402, Hu403, Hu404, Hu405, Hu407, Hu408, Hu600; Te-
ruel, p.Te601), espliko (Huesca, p.Hu200), esplena (Logroño,
p.Lo605, aragonesisch) ALEANR III, K.292)
Etyma: SPĪCUM + JOHANNES (REW, 673, 374)
- Spigo de San Giovanni (Savona, ligurisch) (Penzig, 263 [L.
spica])
3) Prinzip: Wuchsform + Blütezeit → Pflanze
Etyma: HĔRBA + JOHANNES (REW, 344, 374)
- Erba de S. Z’van (Modena, emilianisch-romagnolisch) (Penzig,
263 [L. spica])
- erba de sant Jan (Alpes-Maritimes, p.108, okzitanisch) (ALP I,
K.234)
4.6 Plantago (Wegerichgewächse, Plantaginaceae)
4.6.1 Beschreibung der Pflanze
Die Gattung der Wegerich-Gewächse (Plantaginaceae) bildet verschiedene Ar-
ten aus, von denen besonders der Spitzwegerich
(Plantago lanceolata) medizinisch wertvoll ist.
Seine 20 bis 40cm langen Blätter stehen in einer Ro-
sette, sind schmal, lang zugespitzt und von drei bis
sieben gut erkennbaren Blattnerven durchzogen. Der
10 bis 40cm lange blattlose Stängel trägt eine kurze
walzenförmige Blütenähre, die aus kleinen unschein-
baren Blüten zusammengesetzt ist. Bevorzugte Stan-
dorte der Art sind Wiesen, Weiden, Wegränder und
Äcker (Schauer/ Caspari 2001, 216). Der Spitzwege-
rich enthält besonders viele Schleim- und Bitterstoffe. Er wird zur Behandlung
von Husten sowie anderen Lungen- und Bronchialleiden eingesetzt.
4.6 Plantago (Wegerichgewächse, Plantaginaceae) 123
In der Volksmedizin ist der Spitzwegerich Bestandteil von so genannten „Früh-
jahrskuren“ zur Blutreinigung. Daneben spielt er bei der Behandlung schlecht
heilender Wunden eine Rolle: Hier wird frisch gepresster Saft für Umschläge
verwendet. Schließlich werden zerdrückte Spitzwegerich-Blätter gegen Juckreiz
und Schwellungen bei Insektenstichen genutzt (Pahlow 2000, 301-302).
Medizinisch bedeutend sind darüber hinaus der Strauchwegerich (Plantago af-
ra, auch P. psyllium genannt) und der Sandwegerich (Plantago arenaria bzw.
indica). Beide Arten werden 10 bis 50cm hoch und bilden verzweigte Stängel
aus, die schmale Blätter tragen. Die weißen Blüten sitzen auf dünnen Stielen in
zylinder- bis kugelförmigen Ähren. Bei beiden Arten werden die Samen medizi-
nisch genutzt, die dunkelbraun bis rotschwarz gefärbt sind, 2 bis 3mm lang und
elliptisch geformt sind. Der Strauchwegerich wird im westlichen Mittelmeerge-
biet, vor allem in Frankreich kultiviert. Die Heimat des Sandwegerichs, der
ebenfalls kultiviert wird, ist das südliche und östliche Europa sowie Südwestasi-
en. Die Samen beider Wegerich-Arten zeichnen sich durch ein besonderes
Quellvermögen aus, was sie zu einem wirksamen Abführmittel macht (Pahlow
2000, 375-376).
Häufig kommen die Wegerich-Arten vergesellschaftet mit anderen Wegerich-
pflanzen vor; zu erwähnen sind hier zum einen der
Breitblättrige Wegerich (Plantago major), auch Großer
Wegerich genannt, und der Flohsamen-Wegerich
(Plantago cynops). Ersterer fällt durch seine breiten
ovalen Blätter auf und trägt einen viel längeren Blü-
tenstand auf kürzeren Stängeln als der Spitzwegerich
(Pahlow 2000, 302). Die Art wächst vor allem an We-
gen, auf Trittrasen und auf Weiden (Schauer/Caspari
2001, 114). Der Flohsamen-Wegerich wird bis zu
40cm hoch und ist im süd-östlichen Mittelmeergebiet
verbreitet. Er weist eine flaumartige Behaarung der Stängel auf und bevorzugt
trockene Böden auf felsigen Flächen (Fournier Bd.1 21977, 852).
4.6 Plantago (Wegerichgewächse, Plantaginaceae) 124
4.6.2 Inventar der Bezeichnungen
A) Wissenschaftliche Bezeichnungen:
- Plantago lanceolata L. (Schauer/Caspari 2001, 216)
- Plantago major L. (Schauer/Caspari 2001, 114)
- Plantago media L. (Schauer/Caspari 2001, 188)
B) Metaphorische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Blattform)
Etyma: CŎRNU + CĔRVUS (REW, 207-208, 177)
- corne de cerf (TLF Bd.13, 502)
Etyma: LĬNGUA + CANIS (REW, 410, 149)
- lengwa t koen (Galliate, p.139, piemontesisch) (AIS III 1930,
K.633 la piantaggine)
- la lingwa t kan (Bozzolo, p.286, lombardisch) (AIS III, K.633)
- lingwa t kan (Colio, p.420), la lengwa t kan (Prignano, p.454)
(emilianisch-romagnolisch) (AIS III, K.633)
- Lengua de can (Nizza, ligurisch) (Penzig, 361 [P. lanceolata L.])
- Lingua d’can, Lengua de can (Alessandria, piemontesisch)
(Penzig, 361 [P. lanceolata L.])
- Lengua de can (Como), Lengua de cà (Brescia) (lombardisch)
(Penzig, 361 [P. lanceolata L.])
- Lengua ed can (Reggio), Leingua ad can (Piacenza) (emil-
ianisch-romagnolisch) (Penzig, 361 [P. lanceolata L.])
- Lengua ed can (Reggio, emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 362
[P. media L.]
Etyma: LĬNGUA + AUCA (REW, 410; FEW Bd.1, 169)
- lengo d auko (Ariège, p.772; Gers, p.669, 669S, 679E, 679;
Haute-Garonne, p.679E, 679SO, 771, 771NO, 772O, 781, 781NO;
Hautes-Pyrénées, p.688O, 688SO, 689, 689N, okzitanisch) (ALG I
1954, K.189 le plantain)
4.6 Plantago (Wegerichgewächse, Plantaginaceae) 125
- Leingua d’oca (Bologna, emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 361
[P. lanceolata L.])
Etyma: AURĬCULA + ASĬNUS (REW, 62-63, 57)
- Aurigi d’aso (Alessandria, piemontesisch) (Penzig, 361 [P.
lanceolata L.])
- Orecia d’asàn (Lunigiana, emilianisch-romagnolisch) (Penzig,
361 [P. lanceolata L.])
- Aurigi d’aso (Alessandria), Orie d’aso (Mondovi) (piemontesisch)
(Penzig, 361, [P. major L.])
- Orèce d’azen (Brescia, lombardisch) (Penzig, 362, [P. major L.])
- aurelho d’ase (Drôme, p.45, okzitanisch) (ALP I 1975, K.243 le
plantain [P. major L.])
- aurelh d’ase (Hautes-Alpes, p.9, okzitanisch) (ALP I, K.243 [P.
major L.])
- ooureilha d’ase (Hautes-Alpes, p.48, okzitanisch) (ALP I, K.243
[P. major L.])
- ooureiho d’ase (Var, p.80, okzitanisch) (ALP I, K.243 [P. major
L.])
- Orìe d’aso (Mondovi, piemontesisch) (Penzig, 361 [P. major L.],
362 [P. major L.])
Etyma: LĬNGUA + BŌS ( + GRANDIS) (REW, 410, 108, 327)
- Lengua d’bò granda (Romagna, emilianisch-romagnolisch)
(Penzig, 362 [P. major L.])
- lengo de buou (Var, p.170, okzitanisch) (ALP I, K.243 [P. major
L.])
2) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Stängelform)
Etyma: CAUDA + RATTA (REW, 170-171, 587-588)
- kue de ratu (Borgomaro, p.193, ligurisch) (AIS III, K.633)
- la kua de rate (Alpes-Maritimes, p.76, okzitanisch) (ALP I, K.243)
4.6 Plantago (Wegerichgewächse, Plantaginaceae) 126
- kuoi de rat (Ariège, p.782S), kweto de rat (Haute-Garonne,
p.760), kudoe d arat (Landes, p.664, 674, 675O, 680) (okzita-
nisch) (ALG I, K.189)
Etyma: CAUDA + GARRIUM (REW, 170-171; FEW Bd.4, 71-72)
- coua de garri (Var, p.125, 157/160 (?), okzitanisch) (ALP I,
K.243)
3) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Blütenstand)
Etyma: CAUDA + REGINHARD (REW, 170-171, 593)
- la coua de reinard (Var, p.122, okzitanisch) (ALP I, K.243)
C) Metonymische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Wuchsform → Pflanze
Etyma: (GRANDIS +) PLANTĀGO, -ĬNE (REW, 327, 546)
- Piantàggine (GDLI Bd.8, 293)
- plantain (TLF Bd.13, 502)
- grand plantain (GR Bd.7, 465)
- llantén (DLE, 905)
- Plantada, Piantàzene (Isoverde) (ligurisch) (Penzig, 361 [P. ma-
jor L.])
- Piantia, Piantajo (piemontesisch) (Penzig, 361 [P. lanceolata L.])
- Piantàgin, Piantajo, Piantai, Plantagn (Val S. Martino), Pian-
taso (Asti), Piantagna (Canavese) (piemontesisch) (Penzig, 361
[P. major L.])
- Piantajo, Piantai, Piantàgin (piemontesisch) (Penzig, 362 [P.
media L.])
- la pyantan(n)a (Ceppomorelli, p.114; Antronapiana, p.115;
Selveglio, p.124), al pyantan (Antronapiana, p.115), lu pyantay
(Ala di Stura, p.143), lu pyantan (Pontechianale, p.160) (piemon-
tesisch) (AIS III, K.633)
- le plantane (Sonico, p.229), la psantana (Borno, p.238) (lombar-
disch) (AIS III, K.633)
4.6 Plantago (Wegerichgewächse, Plantaginaceae) 127
- Piantàgin, Piantàna, Piantaj (Comologno del Cant. Ticino)
(lombardisch) (Penzig, 362, [P. major L.])
- Piantàna (Brescia, lombardisch) (Penzig, 362 [P. media L.])
- Piantazna (Reggio, emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 361 [P.
lanceolata L.])
- Piantazna (emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 362 [P. major L.])
- Piantanella (emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 362 [P. media
L.])
- plantin (Alpes-Maritimes, p.136; Bouches-du-Rhône, p.117; Isère,
p.18; Var, p.148), plantage (Alpes-de-Haute-Provence, p.114;
Var, p.135), plantai (Alpes-Maritimes, p.79), plantada (Alpes-
Maritimes, p.121), plantan (Hautes-Alpes, p.22), planta (Hautes-
Alpes, p.34) (okzitanisch) (ALP I, K.243)
- plantanoe (Basses-Pyrénées, p.685NO, 685NE, 685SO, 690,
691, 691N, 691NE; Landes, p.656SO, 665, 665SE, 675, 675O,
680S, 681, 681S, 681SE, 683, 683N, 683E, 684), planten
(Basses-Pyrénées, p.685NO, 691O; Gers, p.667, 667SE, 676,
678; Landes, p.672NO), plantadje (Ariège, p.771E, 791O; Haute-
Garonne, p.659SE, 699NE, 760NE, 760SE, 762NE), plantano
(Gers, p.667SE, 668, 668SO, 676N, 678NO, 687N; Hautes-
Pyrénées, p.687N), plantaizu (Gironde, p.548, 549, 549N, 650N),
plantin (Gironde, p.630S; Haute-Garonne, p.659SE, 781E), pyan-
ten (Gironde, p.630), plyaten (Gironde, p.632), plantyè (Haute-
Garonne, p.762SO), plantadis (Hautes-Pyrénées, p.697) (okzita-
nisch) (ALG I, K.189)
2) Prinzip: Blattdetail → Pflanze
Etyma: (HĔRBA +) QUĪNQUE + CŎSTA (REW, 344, 576, 211)
- herbe à cinq côtes (GR Bd.7, 465)
- erbo/erba de/doe sin kosto(e)s (Gironde, p.641, 641O, 645,
645NO, 645NE, 645S, 647, 648, 650, 650E, 653N, 653O, 662,
664N; Haute-Garonne, p.780S, 790NO; Lot et Garonne, p.647,
4.6 Plantago (Wegerichgewächse, Plantaginaceae) 128
647NO, 648, 656), (y)erbo de sèk kostos (Gers, p.669; Haute-
Garonne, p.780NO; Hautes-Pyrénées, p.688), sin kostoe (Gi-
ronde, p.634, 634NO, 643NO, 643NE, 643E), san kutoe (Gi-
ronde, p.635, 635NO), sin kosto (Lot et Garonne, p.636) (okzita-
nisch) (ALG I, K.189)
- Cinque coste (Bordighera, ligurisch) (Penzig, 361 [P. lanceolata
L.])
- Cinque coste (Porto Maurizio), Sincucoste (Sella) (ligurisch)
(Penzig, 361 [P. major L.])
- Cinque coste (Porto Maurizio, ligurisch) (Penzig, 362 [P. media
L.])
Etyma: FŎLIUM + QUĪNQUE + CŎSTA (REW, 293-294, 576, 211)
- foey da sin kost (Prestone, p.205, lombardisch) (AIS III; K.633)
- wéla de sek kòstós (Ariège, p.699SE), felo de sek kustelos
(Ariège, p.791), fweles de sin kustures (Ariège, p.791N), felo de
sin kosto (Lot et Garonne, p.647NE) (okzitanisch) (ALG I, K.189)
Etyma: (HĔRBA +) QUĪNQUE + NĔRVUS (REW, 344, 576, 486)
- Sinquenùi (Pegli, Valle di Polcevera), Erba de sinque nuèi
(Mele) (ligurisch) (Penzig, 361 [P. lanceolata L.])
- Erba de sinque nervi (Vado, Zinola), Cinque nervia (Valle
d’Arroscia) (ligurisch) (Penzig, 361 [P. major L.])
3) Prinzip: Aussehen der Samen → Pflanze
Etyma: HĔRBA + PŪLEX, -ĬCE (REW, 344, 564)
- herbe aux puces (TLF Bd.13, 502)
4) Prinzip: Verwendung → Pflanze
Etyma: PANIS + AUCELLUS (REW, 508-509; FEW Bd.1, 170)
- pa d auzel (Ariège, p.791NE, okzitanisch) (ALG I, K.189)
129
4.7 Taraxacum officinale Web. (Korbblütengewächse, Com-positae/Asteraceae)
4.7.1 Beschreibung der Pflanze
Der Löwenzahn ist ein in den gemäßigten Zonen weltweit verbreiteter Korbblüt-
ler (Compositae). Seine lange Pfahlwurzel geht
aus dem dicken kurzen Wurzelstock hervor, der in
einer Rosette angeordnete Grundblätter trägt. Die-
se sind verschieden tief gesägt oder gespalten,
lanzettlich und zwischen 5 und 25cm lang. Am En-
de der hohlen Stängel, die wie die Blätter und
Wurzel weißen Milchsaft führen, sitzen einzelne
Blütenköpfe, bestehend aus leuchtend-gelben
Zungenblüten (Lexikon der Biologie Bd.5 1985,
219; Bianchini/Corbetta/Pistoia 1983, 188). Bevor-
zugte Standorte der Pflanze sind Fettwiesen und -
weiden, Wege und Äcker (Schauer/Caspari 2001, 220).
Medizinisch genutzt wurde der Löwenzahn bereits von Avicenna im 11. Jh. Der
arabische Arzt sah in ihm ein Mittel zur Förderung der allgemeinen Gesundheit
(Bianchini/Corbetta/Pistoia 1983, 36). Als medizinisch wesentlicher Bestandteil
der Pflanze gilt der Milchsaft. Durch dessen Gehalt an Taraxacin, einem Bitter-
stoff, wirkt er stark harntreibend und fördert die Gallensekretion. Daher wird die
Pflanze häufig bei Frühjahrs- und Herbstkuren zur Entschlackung verwendet.
Darüber hinaus hat der Löwenzahn eine durchblutungsfördernde Wirkung spe-
ziell für das Bindegewebe, so dass Schmerzen bei Rheuma und Gicht gelindert
werden können.
Die Volksmedizin verwendet zusätzlich die sehr vitaminreichen Blätter des Lö-
wenzahns als Salat; auch sie wirken stark entwässernd. Äußerlich wird die
Pflanze angewandt, um Ekzeme und Geschwüre der Haut zu behandeln
(Pahlow 2000, 216-217; Bianchini/Corbetta/Pistoia 1983, 36, 188; Mabey 1989,
S.52).
4.7 Taraxacum officinale Web. (Korbblütengewächse, Compositae/Asteraceae) 130
4.7.2 Inventar der Bezeichnungen
A) Wissenschaftliche Bezeichnung:
- Taraxacum officinale Web. (Schauer/Caspari 2001, 220)
B) Metaphorische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Blattform/Blütenform)
Etyma: DĔNS, -ĔNTE + LEO, -ŌNE (REW, 235, 405)
- dènte di leóne (GDLI Bd.4, 190)
- dent-de-lion (TLF Bd.13, 425)
- diente de león (DLE, 528)
- Dent d’lion (piemontesisch) (Penzig, 484)
- dent de lion (Alpes-de-Haute-Provence, p.89; Drôme, p.1; Var,
p.164, okzitanisch) (ALP I 1975, K.239 le pissenlit)
Etyma: *MŪSUS + PŎRCUS (REW, 477, 553)
- Muso d’porch (Briga), Mouroù d’porch, Mur pursin (Val S.
Martino) (piemontesisch) (Penzig, 484)
- la mur pursia (Rochemolles, p.140, piemontesisch) (AIS III 1930,
K.630 il dente di leone)
- mourre-pourcin (Alpes-de-Haute-Provence, p.37, 53, 63, 68, 90;
Alpes-Maritimes, p.65, 73, 74; Drôme, p.39, 41, 51; Hautes-Alpes,
p.26; Vaucluse, p.105, 115), mourre de pouer (Alpes-de-Haute-
Provence, p.89; Alpes-Maritimes, p.129; Var, p.144; Vaucluse,
p.98) (okzitanisch) (ALP I, K.239)
2) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Stängelform)
Etyma: CAUDA + RATTA (REW, 170-171, 587-588)
- cola de rata (Zaragoza, p.Z302(?), Z402, aragonesisch)
(ALEANR III 1980, K.284 diente de león)
3) Prinzip: Tier → Pflanze (Blütenfarbe)
Etymon: CŬCŪLUS (REW, 219)
- kukulo (Huesca, p.Hu104, aragonesisch) (ALEANR III, K.284)
4.7 Taraxacum officinale Web. (Korbblütengewächse, Compositae/Asteraceae) 131
C) Metonymische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Eigenschaft der Samen → Pflanze
Etymon: SŬFFLĀRE (REW, 695)
- Soffione (GDLI Bd.19, 262)
- Sufficùn, Suffiòn (Romagna) (emilianisch-romagnolisch) (Penzig,
484)
2) Prinzip: Wirkung (Verwendung) → Pflanze
Etyma: *PIŠARE + LĔCTUS (REW, 543, 403)
- pissenlit (TLF Bd.13, 425)
- pichauleit (Basses-Pyrénées, p.685, 685NO, 685SO, 686S,
691O, 692NE), pichurli (Haute-Garonne, p.760, 760NE, 760SE,
762NE), pichaulet (Hautes-Pyrénées, p.696, 696O, 696E),
pichaulit (Basses-Pyrénées, p.690, 690E), pichanleit (Basses-
Pyrénées, p.692, 694E), pichouleit (Basses-Pyrénées, p.685SE),
pichanlet (Basses-Pyrénées, p.692SO), pisauleit (Basses-
Pyrénées, p.693NO), pichanlit (Hautes-Pyrénées, p.695), (okzi-
tanisch) (ALG I 1954, K.189 pissenlit)
- Piscialetto (ligurisch) (Penzig, 484)
- Pessalètt (Reggio, emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 484)
Etyma: *PIŠARE + CANIS (REW, 543, 149)
- Pissacan, Pessacan (lombardisch) (Penzig, 484)
- Pessacàn, Pissacan (emilianisch-romagnolisch) (Penzig, 484)
Etyma: *PIŠARE + CAMA (REW, 543, 143)
- pisa-camas (Huesca, p.Hu103; Navarra, p.Na206, Na305,
Na400, aragonesisch) (ALEANR III, K.284)
Etyma: *INGRASSĬĀRE + PŎRCUS (REW, 364, 553)
- Engraissa-puorch (Nizza, ligurisch) (Penzig, 484)
- engraisso-porc (Alpes-Maritimes, p.121; Var, p.170, okzitanisch)
(ALP I, K.239)
132
4.8 Verbascum thapsus L. (Braunwurzgewächse, Scrophu-lariaceae)
4.8.1 Beschreibung der Pflanze
Die Königskerze gehört zur Gattung der Rachenblütler (Scrophulariaceae), de-
ren Arten überwiegend im östlichen Mittelmeergebiet beheimatet sind. Der
Stängel der Königskerze ist dicht behaart und trägt neben großen ungeteilten
Blättern in grundständiger Blattrosette einen hohen
beblätterten Blütenstand mit gelben Blüten (Lexikon
der Biologie Bd.5 1985, 91). Standorte der Pflanze
sind Dämme, Ufer, Waldlichtungen sowie trockene Bö-
schungen, Wiesen und Wegränder (Callauch 1998, 57;
Schauer/Caspari 2001, 110).
Die Königskerze dient bereits seit dem Altertum als
Heilpflanze; Mönche pflanzten sie in großen Mengen
zu medizinischen Zwecken an (Bianchini/Corbetta/
Pistoia 1983, 60). Die Königskerze zeichnet sich durch
einen hohen Schleimgehalt aus, weshalb sie ein beliebtes Hustenmittel ist: Ihr
Schleim wirkt Reiz lindernd und hilft bei Katarrhen der oberen Luftwege. Be-
sonders die Blätter der Pflanze werden in Form von Absud bei chronischem
Husten und Halsentzündungen verwendet (Ody 2001, 134). Die Volksmedizin
verwendet darüber hinaus Auszüge aus den Blüten zusammen mit Olivenöl als
so genanntes „Königsöl“ bei Erkrankungen der Ohren, wie z.B. chronische Mit-
telohrentzündung, Ohrenschmerzen oder Ekzeme im Gehörgang (Pahlow 2000,
348). Da die Pflanze eine derart auffällige äußere Erscheinung hat, spielt sie im
Aberglauben des Volkes eine bedeutende Rolle: Sie ist vielfach Bestandteil von
Kräutersträußen, die in der katholischen Kirche an Mariä Himmelfahrt geweiht
werden. Der Königskerze wird eine antidämonische Wirkung nachgesagt. In
diesem Zusammenhang steht der Glaube, dass sie hilft, Ratten und Mäuse zu
vertreiben. Auch bei den Sonnenwendfeuern am Johannistag werden häufig
Sträuße von Königskerzen und Nussbaumzweigen verwendet, die, nachdem
4.8 Verbascum thapsus L. (Braunwurzgewächse, Scrophulariaceae) 133
sie durch das Feuer gezogen worden sind, am nächsten Tag an Stalltüren be-
festigt werden, um das Vieh vor bösen Geistern zu schützen (Marzell 1967,
232-233).
4.8.2 Inventar der Bezeichnungen
A) Wissenschaftliche Bezeichnung:
- Verbascum thapsus L. (Schauer/Caspari 2001, 110)
B) Metaphorische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Blütenstand)
Etyma: CAUDA + REGINHARD (REW, 170-171, 593)
- coua de reinard (Drôme, p.61; Var, p.158), couio de renard
(Drôme, p.15, 39), couo de renard (Drôme, p.67), (okzitanisch)
(ALP I 1975, K.238 le bouillon-blanc)
Etyma: CAUDA + LŬPUS, -A (REW, 170-171, 419)
- la kwo de lu (Alpes-de-Haute-Provence, p.114; Var, p.118), la ko
de lup (Drôme, p.33), la kwa de lu (Var, p.135), (okzitanisch)
(ALP I, K.238 le bouillon-blanc)
- gordolobo (DLE, 739)
2) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Wuchsform)
Etyma: CAUDA + ASĬNUS (REW, 170-171, 57)
- la kwo d’aze (Alpes-de-Haute-Provence, p.89, 100, okzitanisch)
(ALP I, K.238)
Etyma: CAUDA + RATTA (REW, 170-171, 587-588)
- la kuyo de ra (Drôme, p.16, okzitanisch) (ALP I, K.238)
3) Prinzip: Tierorgan → Pflanze (Blattform)
Etyma: AURĬCULA + ASĬNUS (REW, 62-63, 57)
- aurelho d’ase (Drôme, p.51, okzitanisch) (ALP I, K.238)
4) Prinzip: Tier → Pflanze (Blütenfarbe)
Etymon: CŬCŪLUS (REW, 219)
- couguiéu (Alpes-Maritimes, p.79, 95, okzitanisch) (ALP I, K.238)
4.8 Verbascum thapsus L. (Braunwurzgewächse, Scrophulariaceae) 134
5) Prinzip: Gegenstand → Pflanze (Blütenstand, -farbe)
Etyma: CĒREUM + NŎSTER + DŎMĬNA (REW, 176, 490, 245-246)
- cierge de Notre Dame (GR Bd.2, 609)
Etymon: CANDELĀBRUM (REW, 147)
- chandelier (GR Bd.6, 523)
6) Prinzip: Mensch → Pflanze (aufrechter Wuchs (?))
Etyma: BŎNUS + HŎMO, -ĬNE (REW, 106, 349)
- bonhomme (GR Bd.6, 523)
C) Metonymische Bezeichnungen:
1) Prinzip: Aussehen der Pflanze (behaarte Stängel) → Pflanze
Etymon: VĔRBASCUM (REW, 768-769)
- verbasco (GDLI Bd.20, 760)
- tassobarbasso (GDLI Bd.20, 760)
- verbasco (DLE, 1473)
Etymon: MŎLLIS (REW, 463)
- molène (TLF Bd.11, 972)
2) Prinzip: Verwendung + Aussehen der Pflanze → Pflanze
Etyma: BŬLLĀRE + BLANK (REW, 126-127, 100)
- bouillon-blanc (TLF Bd.4, 785)
- boulhon-blanc (Alpes-de-Haute-Provence, p.110; Alpes-
Maritimes, p.136; Bouches-du-Rhône, p.117; Drôme, p.11, 25, 41,
59; Var, p.166; Vaucluse, p.101, okzitanisch) (ALP I, K.238)
3) Prinzip: Blüte(zeit) → Pflanze
Etyma: FLOS, -ŌRE + JOHANNES (REW, 291-292, 374)
- fyor de san goan (Introbio, p.234, lombardisch) (AIS III 1930,
K.626 il verbasco)
4) Prinzip: Heiliger → Pflanze
Etyma: HĔRBA + SANCTUS + PĔTRUS (REW, 344, 626, 531-532)
- herbe de Saint-Pierre (GR Bd.6, 523)
Etyma: HĔRBA + SANCTUS + FIACRIUS (REW, 344, 626, 284)
- herbe de Saint-Fiacre (GR Bd.6, 523)
135
5 Taxonomie der gewählten Pflanzen
5.1 Vorbemerkungen
Die Motivation zu diesem Kapitel ergibt sich aus zwei Aspekten: Zum einen legt
die kognitive Linguistik und hier besonders der Ansatz der Prototypentheorie ei-
ne nähere Beschäftigung mit Hierarchie-Strukturen nahe. Zum anderen besteht
für das gewählte Thema aus dem Gebiet der Botanik eine wissenschaftliche
Tradition bezüglich der Taxonomie. In diesem Kapitel wird es daher zunächst
darum gehen, nach einem historischen Überblick über Kategorisie-
rungsmethoden einige theoretische Grundlagen der Taxonomie darzustellen.
Hierbei wird unterschieden zwischen der rein wissenschaftlichen Taxonomie
und der nicht-wissenschaftlichen Taxonomie, die zur Bildung von so genannten
„folk categories“ führt. Nach der jeweiligen theoretischen Einführung in die we-
sentlichen Prinzipien der Taxonomie werden die für diese Darstellung aus-
gewählten Pflanzen taxonomisch eingeordnet. Aus dieser Gegenüberstellung
von wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Taxonomie lassen sich
unmittelbar wertvolle Hinweise für das hier besonders interessierende Kategori-
sierungsverhalten der Sprecher der betreffenden Sprachgemeinschaften ablei-
ten, die im anschließenden Kapitel, das der Analyse des Materials gewidmet ist,
eine wesentliche Rolle spielen werden.
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie
5.2.1 Pflanzen als zu kategorisierende Objekte
Bei der gegebenen unüberschaubaren Vielzahl von Lebewesen, von denen
zum thematischen Schwerpunkt passend die Pflanzen besonders herausge-
stellt werden, ist es notwendig, eindeutige und genau definierte Bezeichnungen
zu geben, um sich über diese Lebewesen so präzise wie möglich verständigen
zu können.
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 136
Die wissenschaftliche, möglichst exakte Nomenklatur hilft zudem, Ordnung und
Übersichtlichkeit in die Vielfalt der Organismen zu bringen (Groß 2001, 8). Die
Mannigfaltigkeit der Lebewesen bezüglich ihres äußeren Erscheinungsbildes
und ihrem inneren Bauplan lässt sich mit Hilfe exakter Vergleiche auf bestimmte
Grundmuster zurückführen. Diese Grundmuster liefern Ordnungsprinzipien,
nach denen die Lebewesen je nach dem Grad der Übereinstimmung mit diesen
Mustern gruppiert werden.
Diese Systematisierung basiert nicht nur auf den vom Menschen erforschten
Prinzipien, sondern ergibt sich wesentlich auch aus der Entwicklungsgeschichte
der Lebewesen: So lässt sich nachweisen, dass Lebewesen mit komplexeren
Grundmustern bezüglich äußerem Erscheinungsbild und innerem Bauplan evo-
lutionsgeschichtlich aus einfacher gebauten Lebewesen entstanden sind. Dem-
zufolge lassen sich Lebewesen, also auch Pflanzen, nach ihrer natürlichen
Verwandtschaft gruppieren, so dass man ein natürliches System oder eine na-
türliche Klassifizierung der Lebewesen vorliegen hat (Bayrhuber/Kull 201989,
504).
5.2.2 Historischer Überblick über Kategorisierungsmethoden
In der Entwicklung des Menschen vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern
nahm die systematischere Beschäftigung mit den Pflanzen ihren Anfang. Der
Mensch lernte, die Pflanzen zu differenzieren und für vielfältige Zwecke nutzbar
zu machen: Pflanzen, die ihm als Nahrung dienten, zur Herstellung von Geräten
und Waffen genutzt wurden, und ihm Baumaterial für seine Behausungen und
Brennmaterial lieferten. Auch erkannte er, dass bestimmte Pflanzen für Heil-
zwecke genutzt werden konnten. Bezüglich des äußeren Erscheinungsbildes
der Pflanzen wusste er zudem Exemplare nach dem Grad ihrer Ähnlichkeit zu
differenzieren (Dausien 1982, 176).
Alles in allem erfolgten die ersten Klassifizierungsversuche der ältesten Men-
schen nach rein praktischen Gesichtspunkten, indem unterschieden wurde, in-
wieweit die Pflanzen ihnen Nutzen brachten oder schadeten (Löther 1972, 76).
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 137
Weiter systematisiert wurde die Klassifizierung der Pflanzen in der griechischen
und römischen Antike, beginnend mit Platon und Aristoteles, die eine grobe Ein-
teilung der Pflanzen nach ihrer Wuchsform vornahmen. So unterschieden sie
Bäume, Sträucher und Kräuter (Groß 2001, 13). Nach dem Tode Aristoteles‘
übernahm sein Schüler Theophrast (380 – 287 v. Chr.) dessen Schule und
Lehrwerk. Theophrasts Schriften befassten sich mit Mineralien und Pflanzen.
Theophrast verfasste seine Abhandlungen auf eigenen Beobachtungen basie-
rend. Er erweiterte den Kenntnisstand bezüglich der Morphologie der Pflanzen,
indem er beispielsweise einkeimblättrige von zweikeimblättrigen Pflanzen unter-
schied und die Notwendigkeit der Bestäubung erkannte (Gledhill 1985, 4). Im
Morphologiebereich unterschied Theophrast die Pflanzen ebenso nach ihrem
Standort (Land- und Wasserpflanzen), nach ihrem äußeren Erscheinungsbild
(blühend und blütenlos) und nach ihrem Lebensrhythmus (immergrün und laub-
abwerfend). Ein weiterer Gesichtspunkt für die Unterscheidung der einzelnen
Pflanzen bestand für Theophrast in deren Verwendungszweck, indem er bei-
spielsweise bei den Kräutern zwischen Gemüse und Getreide differenziert
(Löther 1972, 83-84). Während Theophrast bereits über ca. 500 Pflanzenarten
beschrieb, waren es vier Jh. später bei Dioskurides (ca. 64 n. Chr.) schon 600
Arten, die ähnlich wie bei Theophrast in blühende und nicht blühende unter-
schieden wurden (Gledhill 1985, 4; Dausien 1982, 176). Ein halbes Jahrhundert
später beschrieb Plinius der Ältere bereits um die 1000 Pflanzenarten (Gledhill
1985, 6). Während bei Aristoteles vergleichend systematische Studien im Vor-
dergrund standen, um die belebte Natur zu klassifizieren, wurde in späterer Zeit
wieder der Aspekt des Nutzens der Pflanzen für den Menschen zur Hauptmoti-
vation für die Beschäftigung mit ihrer Systematisierung. Das an den Nutzen der
Pflanzen geknüpfte Interesse bei der Kategorisierung fand sich besonders bei
Medizinern, welche in der Natur eine Art „Apotheke“ sahen und besonders die
Pflanzen als Heilmittel verwendeten (Löther 1972, 84). Die Autoren der griechi-
schen und römischen Antike waren noch nicht mit Problemen der Namen-
gebung konfrontiert, da zum einen als Bezeichnungsmittel die Umgangssprache
fungierte und zum anderen die zu benennenden Lebewesen zum größten Teil
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 138
aus der unmittelbaren geographisch vertrauten Umgebung stammten. Schließ-
lich war die Zahl der bekannten und zu benennenden Lebewesen noch relativ
leicht überschaubar. Zur Namensfindung griffen die sinnliche Wahrnehmung,
die die auffälligsten Merkmale der Lebewesen herausfilterte, sowie schriftliche
und mündliche Überlieferungen eng ineinander (Löther 1972, 165).
Während des Mittelalters hatten die von Aristoteles und seinen Schülern vorge-
nommenen Systematisierungsansätze weiterhin Bestand. Die Werke der anti-
ken Autoren dienten als Quellen für Kompilatoren, wurden aber nicht als Aus-
gangspunkt für weitergehende Forschungen betrachtet (Bayrhuber/Kull 201989,
504; Löther 1972, 84), so dass das Mittelalter kaum Fortschritte bei der Klassifi-
zierung der Pflanzen brachte. Bis ins 16. Jh. verhinderten nach Gledhill (1985)
drei Faktoren, dass eine Systematisierung der Pflanzen auf rationaler Basis er-
folgte. Zum einen waren in jener Zeit besonders die Adligen sowie Apotheker
darauf bedacht, die Kenntnisse über diejenigen Pflanzen, die sie aufgrund ihrer
gedachten und tatsächlichen Inhaltsstoffe und ihrer Wirkungen wegen für be-
sonders wertvoll erachteten, nicht zu verbreiten, so dass ihre Erforschung und
Einordnung in ein System erschwert wurde. Zum anderen bestand noch kein
standardisiertes Verfahren zur Benennung von Pflanzen. Der für Gledhill wohl
bedeutendste Faktor ist jedoch darin zu sehen, dass die Erkenntnis darüber,
dass Lebewesen von früher existenten Formen abstammen und so in Klassen
verwandter Arten eingeordnet werden können in direkter Gegenposition zur
Auffassung von der Schöpfung durch Gott stand. Ein nicht minder bedeutender
„Hemmfaktor“ für wissenschaftlichen Fortschritt auf dem Gebiet der systemati-
schen Klassifizierung der Pflanzen stellt für Gledhill (1985) des Weiteren die
Signaturenlehre des Paracelsus dar. Diese Lehre besagte, dass Gott jeder
Pflanze eine Art Zeichen gegeben habe, mit dessen Hilfe sich der Mensch über
den Nutzen der jeweiligen Pflanze orientieren kann. So wurden beispielsweise
Pflanzen mit nierenförmigen Blättern zu einer Gruppe von Pflanzen zusammen-
gefasst, die alle dasselbe Zeichen für ihre Heilkraft gegen Nierenleiden trugen
(Gledhill 1985, 6). Die mittelalterlichen Autoren suchten nach Deutungen der
antiken Namen für Lebewesen, die sie zum größten Teil gar nicht gekannt ha-
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 139
ben dürften. Das führte dazu, dass Spekulationen bezüglich der Herkunft und
Bedeutung der antiken Namen den Umgang mit ihnen prägten. Das bereits an-
gesprochene Interesse der Ärzte und Apotheker besonders für Pflanzen und
deren medizinischen Eigenschaften war ein weiterer Grund für die Beschäfti-
gung mit den Namen. Dadurch, dass versucht wurde, die in antiken und auch
arabischen Quellen beschriebenen Pflanzen in der heimischen Flora zu identifi-
zieren, kam es zu einer sehr ungeordneten Bezeichnungsfindung.
Begünstigt durch unzureichende Information sowie durch falsche Vorstellungen
über das Aussehen und die Eigenschaften von Pflanzen wurde z.B. häufig ein
und derselbe Name für verschiedene Pflanzen verwendet. (Löther 1972, 84,
165– 167).
Mit Beginn der Neuzeit vollzog sich ein Wandel in der Naturforschung. Im Zuge
der zunehmend kritischen und exakten Beobachtung der Pflanzen durch Bota-
niker wie beispielsweise Brunfels, Bock und Fuchs in Deutschland wuchs die
Zahl der bekannten Pflanzenarten bereits auf über 4000 an. Hinzu kamen die in
der Renaissance vorangetriebenen Entdeckungsreisen, die ihrerseits die Zahl
der bekannten Pflanzen in die Höhe schnellen ließen.
Durch die exaktere Beobachtung verbunden mit einer erneuten Rezeption anti-
ker Werke konnten immer mehr Pflanzenarten unterschieden werden, und die
Notwendigkeit eines auf rationalen Gesichtspunkten basierenden Klassifi-
zierungssystems war dringend gegeben.
Um die sich durch weitere Entdeckungen von Pflanzen ergebende Artenvielfalt
begrifflich fassen zu können, musste zum einen das bereits bestehende Inven-
tar von Begriffen zur Pflanzenbeschreibung erweitert und präzisiert werden, so
dass Erkenntnisse aus den Bereichen der Morphologie und Anatomie der
Pflanzen entsprechend integriert werden konnten. Zum anderen mussten all-
gemeingültige Prinzipien aufgestellt werden, um auf deren Grundlage die ein-
zelnen Pflanzenarten klassifizieren zu können (Gledhill 1985, 6; Löther 1972,
85-86, 167-169). Erst durch Carl von Linné (1707-1778) wurde eine Möglichkeit
geschaffen, die einzelnen Pflanzen zu klassifizieren und systematisch zu be-
nennen. Linné reformierte die Botanik dahingehend, dass er die beschreibende
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 140
Darstellung der Pflanzen von ihrer Benennung trennte. Er führte in seinem
grundlegenden Werk „Species Plantarum“ (1753) die binäre Nomenklatur ein,
mit deren Hilfe es möglich war, die Pflanzen einheitlich und systematisch zu
benennen. Linné versah jede Pflanze mit einem Doppelnamen: Der erste Na-
me, ein Substantiv, bezeichnet die Gattung, der die Pflanze angehört; der zwei-
te Teil, meistens ein Adjektiv, benennt die genaue Art. Um die Gattungen von-
einander abzugrenzen, ging Linné von bestimmten Merkmalen der Pflanzen
aus, um die damit verbundenen charakteristischen Eigenschaften zur Kategori-
sierung der Pflanzen heranzuziehen (Lexikon der Biologie 1985 Bd. 5, 269;
Groß 2001, 11 – 13; Löther 1972, 169; Bayrhuber/Kull 201989, 504).
5.2.3 Theoretische Grundlagen der Taxonomie
Klassifizierungsprozesse sind für den Menschen insofern von zentraler Bedeu-
tung als der Mensch ein Bedürfnis nach Ordnung und Systematik hat. Das
Streben nach Systematisierung erklärt sich durch den Wunsch des Menschen,
mit seiner Umwelt in einigermaßen vorhersehbarer Weise zu interagieren
(Stuessy 1990, 20). Durch die Klassifizierung der Umwelt versucht der Mensch,
die Unsicherheit seines Daseins zu minimieren, indem er die ihn umgebende
Realität nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu beschreiben und zu
deuten versucht. Klassifizierungsprozesse begleiten den Menschen in jedem
seiner Lebensbereiche: Sowohl belebte als auch unbelebte Objekte werden
klassifiziert, seien es Möbelstücke, Krankheiten oder die chemischen Elemente.
Auch in wissenschaftlichen Disziplinen, wie z.B. in der Linguistik, werden Klas-
sifizierungen vorgenommen.
Um erfolgreich klassifizieren zu können, müssen bestimmte Merkmale der zu
klassifizierenden Objekte genau miteinander verglichen werden. Auch um Be-
ziehungen zwischen den einzelnen Objekten herstellen zu können, müssen
Merkmale festgelegt werden. Allgemein verstanden sind die Merkmale ein
Hilfsmittel, um die wahrgenommene Realität zu beschreiben und zu bewerten,
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 141
so dass nachfolgend die relevanten Beziehungen aufgedeckt werden können
(Stuessy 1990, 27, 30).
Indem ein Klassifizierungssystem geschaffen wird, das jedem Objekt einen
Namen zuweist, wird die Kommunikation über diese Objekte erst ermöglicht.
Durch die Klassifizierung wird ein Rahmen geschaffen, dem Informationen über
einzelne Elemente innerhalb des Systems entnommen werden können, welche
für andere Zwecke weiterverwendet werden können. Der Klassifizierungspro-
zess fasst Objekte oder Organismen auf der Grundlage bestimmter Beziehun-
gen in Gruppen zusammen und ordnet diese wiederum in einer bestimmten
Rangfolge. Die Klassifizierung ist eine grundlegende Voraussetzung für die Be-
nennung (Nomenklatur) und die Identifikation von beispielsweise Organismen.
Letzteres spielt dann eine Rolle, wenn noch unbenannte Objekte mit einer Be-
zeichnung versehen werden sollen. Dabei kommt es darauf an, die unbenann-
ten Objekte mit denjenigen Einheiten des Systems, die bereits benannt sind, zu
vergleichen, um sie so einordnen zu können. Hier ist nach Stuessy (1994, 5)
davon auszugehen, dass es keine zwei völlig identischen Objekte gibt und dass
nur auf den Aspekt der Ähnlichkeit Bezug genommen werden kann (Stuessy
1994, 4-5). Demzufolge definiert sich auch die Klassifizierung als ein Vorgang,
der Organismen auf der Grundlage von festgestellten Ähnlichkeiten (oder auch
Unterschieden) in eine Gruppenstruktur einordnet. Um nicht mit einer unüber-
schaubaren Zahl von einzelnen Gruppen konfrontiert zu sein, die dann wieder
den Charakter von Individuen annehmen würden, werden einzelne Gruppen
nach Ähnlichkeitskriterien zu größeren Klassifizierungseinheiten zusammenge-
fasst.
Die Hierarchisierung ist wesentlich, um den größtmöglichen Nutzen aus dem
Klassifizierungssystem zu ziehen. Zum einen wird so eine Möglichkeit ge-
schaffen, verbindlich und effizient über die einzelnen Einheiten des Systems
kommunizieren zu können. Zum anderen sagt die Rangfolge bereits vieles über
den Grad der Ähnlichkeit und Unterschiede der einzelnen Einheiten aus. Im Un-
terschied zu unbelebten Objekten, die vielfältige Klassifizierungsmöglichkeiten
zulassen, kommt für die Organismen lediglich eine bestimmte Vorgehensweise
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 142
in Frage. Diese Festlegung ergibt sich zum einen aus der Notwendigkeit, eine
effiziente und präzise Kommunikation auf weltweiter Ebene zu gewährleisten.
Zum anderen wird die Art als die grundlegendste Kategorisierungseinheit be-
trachtet, so dass sich die weiteren Hierarchieebenen direkt oder indirekt auf sie
beziehen müssen und von daher eine bestimmte Vorgehensweise zwingend er-
scheint. Schließlich wird davon ausgegangen, dass die Unterschiede zwischen
den einzelnen Organismen allesamt auf mehr oder weniger ähnlichen evoluti-
onsbedingten Prozessen beruhen und dass insofern die gewählten Klassifizie-
rungseinheiten die in der Realität entstandenen Gruppen möglichst gleichwertig
abbilden (Stuessy 1994, 9-11). Obwohl sowohl Polysemie als auch Homonymie
von der Terminologielehre traditionellerweise abgelehnt werden, da sie die Ver-
ständigung behindern, gehen moderne Forschungsansätze vielmehr davon aus,
dass auch die Bedeutung wissenschaftlicher Terminologien kontextuell gebun-
den erschlossen wird, so dass trotz eventueller Polysemien oder Homonymien
Mehrdeutigkeiten, die das Verständnis behindern könnten, nahezu ausge-
schlossen werden können (Fraas 1998, 432-433). So ist zu erklären, dass An-
sätze, die von einem dynamischen Bedeutungsbegriff ausgehen, auch für die
Analyse von Fachsprachen herangezogen werden können. Dies trifft z.B. laut
Fraas auch auf die Prototypentheorie zu, die die Bedeutungen von sprachlichen
Zeichen jeweils in Relation zu einem typischen Vertreter einer bestimmten Ka-
tegorie bestimmt (Fraas 1998, 434).
5.2.4 Prinzipien der wissenschaftlichen Nomenklatur
Grundlage für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Pflanzen ist ihre Klassifi-
zierung, die nach sachlichen und logischen Gesichtspunkten zu erfolgen hat.
Mit Hilfe der Systematik können Pflanzen beschrieben, verglichen und vonei-
nander abgegrenzt werden.
Zentraler Angelpunkt der Klassifizierung ist die Art. Darunter hat man sich eine
Gruppe von Individuen vorzustellen, die sich untereinander fortpflanzen, die
sich aber von anderen Gruppen durch ihre Fortpflanzung isolieren. Die nächst
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 143
höhere Stufe im hierarchisch gegliederten Klassifizierungssystem stellt die Gat-
tung dar. In ihr werden jeweils Arten zusammengefasst, die bestimmte Merkma-
le miteinander teilen und daher Ähnlichkeiten zeigen (Groß 2001, 15).
Um eine bestimmte Pflanze korrekt in das Hierarchiegefüge der Taxonomie zu
integrieren, ist eine exakte Benennung unerlässlich, da diese unmittelbar über
die Gattungs- und Artzugehörigkeit der Pflanze Auskunft gibt. Auch für eine ge-
nerelle Verständigung über die jeweiligen Pflanzen ist eine eindeutige Bezeich-
nung notwendig. Um diese Verständigung zu gewährleisten, wird der Name in
lateinischer Sprache gewählt, da so sichergestellt ist, dass er auf der ganzen
Welt verstanden wird.
Zusammengefasst sind die Regeln für die Benennung von Pflanzen im Inter-
national Code of Botanical Nomenclature (McNeill 2006).
Der zweiteilige wissenschaftliche Name einer Pflanze besteht aus dem Gat-
tungsnamen und der Artbezeichnung, auch Epitheton (=Beiwort) genannt. Wäh-
rend der Gattungsname immer groß geschrieben wird, werden für die Artbe-
zeichnung kleine Anfangsbuchstaben gewählt. Häufig findet man hinter dem
zweiteiligen Namen einen weiteren, meistens abgekürzten, Namen. Der Name
steht für den Autor, der die Pflanze erstmals beschrieben hat. So wird bei-
spielsweise Linné immer mit „L.“ abgekürzt (Groß 2001, 20-21). Die überwie-
gende Zahl der Bezeichnungen ist der griechischen und lateinischen Sprache
entnommen. Der Einfluss des Lateinischen überträgt sich auch auf Wörter, die
ursprünglich einer anderen Sprache entstammen, z.B. der griechischen oder
hebräischen. Diese Wörter werden größtenteils latinisiert, was sich z.B. an den
Endungen bemerkbar macht. Durch die lateinische Sprache ist es wenigstens
zum Teil möglich, folgenden notwendigen Anforderungen an die Na-
mensgebung gerecht zu werden, die von Schubert/Wagner (111993, 16) ge-
nannt werden: Verständlichkeit, Einmaligkeit, Einheitlichkeit und Beständigkeit
(Schubert/Wagner 111993, 13, 15-16).
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 144
5.2.5 Taxonomische Einordnung der gewählten Pflanzen
Die folgende taxonomische Übersicht berücksichtigt nicht alle taxonomischen
Gruppen. So werden speziellere Einheiten wie Unterordnung, Unterfamilie und
Tribus nicht dargestellt, da im Rahmen einer sprachwissenschaftlichen Dar-
stellung lediglich grobe Tendenzen bezüglich der Frage der Auswahl von
Merkmalen, nach denen eine wissenschaftliche Taxonomie konkreter Pflanzen
aufgebaut ist, aufgezeigt werden können.
Auch werden bei der Darstellung der charakterisierenden Merkmale der einzel-
nen taxonomischen Gruppen nur solche berücksichtigt, die allgemein verständ-
lich und anschaulich sind, weswegen die Merkmalsbeschreibungen durch den
Verzicht z.B. auf die Darstellung chemischer oder evolutionsgeschichtlicher
Merkmale notwendigerweise lückenhaft sind.
Im Vordergrund steht bei der Darstellung und anschließenden Erläuterung der
Taxonomie die Verdeutlichung von Kategorisierungsprozessen, die von allge-
meinsten Merkmalen ausgehen und schrittweise immer speziellere Charakte-
ristika der Pflanzen als Klassifikationsbasis wählen.
Die Erstellung des taxonomischen Überblicks auf der folgenden Seite erfolgte
unter Rückgriff auf Darstellungen mehrerer Übersichtswerke zur Botanik, die
sich in ihrem Informationsgehalt gegenseitig ergänzen (Urania Pflanzenreich,
Blütenpflanzen 2, Berlin 1994; Encke, F./Buchheim, G./Seybold, S., Zander.
Handwörterbuch der Pflanzennamen, Stuttgart 131984; Sterne, C./Enderes, A.
v. (neu bearb. v. Hopp, W.), Unsere Pflanzenwelt, Berlin 1951).
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 145
Abte
ilung
Unte
rabte
ilung
Kla
sse
Unte
rkla
sse
Ord
nung
Fam
ilie
Gatt
ung
Arc
tium
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.
Sperm
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phyta
(Blü
ten-
u.
Sam
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Angio
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(Bedeckts
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ae
Aste
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s
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unw
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Lam
iale
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ige)
Aste
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s
(Aste
rna
rtig
e)
Hypericaceae
(Johannis
kra
utg
ew
ächse)
Scro
phula
riaceae
(Bra
unw
urz
gew
ächse)
Lam
iaceae
(Lip
penblü
tlerg
ew
ächse)
Aste
raceae
(Korb
blü
tlerg
ew
ächse)
Hypericum
(Johannis
kra
ut)
Verb
ascum
(König
skerz
e)
Pla
nta
go
(Wegerich)
Lavandula
(Lavendel)
Arc
tium
(Kle
tte)
Tara
xacum
(Löw
enzahn)
Pla
nta
gin
aceae
(Wegerichgew
ächse)
Lavandula
spic
a
L.
angustifo
lia M
ill.
L.
latifo
lia
Pla
nta
go m
ajo
r L.
P.
media
L.
P.
lanceola
ta L
.
Verb
ascum
thapsus L
.A
rtH
ypericum
perf
ora
tum
L.
T.
off
icin
ale
Web.
Ebene
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 146
Die Abteilung der Blüten- und Samenpflanzen (Spermatophyta) fasst diejenigen
höchstentwickelten Pflanzen zusammen, die durch das Vorhandensein von Blü-
ten und die Samenbildung gekennzeichnet sind. Ihnen werden alle anderen
Pflanzen, die keine Blüten tragen oder Sporen statt Samen bilden als Sporen-
pflanzen gegenübergestellt. Die Blüten- und Samenpflanzen zeichnen sich
durch einen besonderen äußeren Aufbau aus. So kann man eine klare Teilung
erkennen in Wurzel, Sprossachse mit daran befindlichen Blättern sowie Blü-
te(n). Letztere besitzen zur Fortpflanzung relevante Organe (Staub- und
Fruchtblätter) (Bayrhuber/Kull 201989, 507). Die für die Analyse der vorliegen-
den Darstellung gewählten Pflanzen werden alle der Abteilung der Blüten- und
Samenpflanzen zugeordnet, da alle Blüten tragen, Samen ausbilden und den
oben beschriebenen gegliederten Bau zeigen.
Auch in der sich anschließenden Unter-Abteilung werden alle gewählten Pflan-
zen zusammengefasst: Sie gehören allesamt zu den Bedecktsamern (Angio-
spermae). Hauptkennzeichen dieser Pflanzengruppe, die innerhalb der Blüten-
und Samenpflanzen wiederum als die höchst entwickelte Gruppe gilt, sind die
Blüten, in denen die Fortpflanzungsorgane (Staub- und Fruchtblätter) zusam-
mengeschlossen sind (Weberling/Schwantes 61992, 58). Die Unter-Abteilung
der Bedecktsamer umfasst ca. 250.000-300.000 Arten, die in über 300 Familien
und 10.000 Gattungen zusammengefasst sind. Mit ca. 2/3 aller heute existieren-
den Pflanzenarten nehmen die Angiospermae eine führende Rolle im Pflanzen-
reich ein. Hinzu kommt, dass sie in den meisten Lebensräumen der Erde domi-
nieren. Die Besonderheit der Bedecktsamer ist in den Blüten zu finden, in de-
nen jeweils die Samenanlage im Fruchtknoten fest eingeschlossen ist, woher
auch der Name „Bedeckt“samer zu erklären ist. Dies hat für die Pflanze den
Vorteil, dass sie zwar von Tieren bestäubt werden kann, dass aber gleichzeitig
ihre Samenanlage relativ fraßgeschützt ist und sich der Same bis zur komplet-
ten Reife entwickeln kann. Die Blüte erfüllt über die Hüllblätter zwei wesentliche
Aufgaben: Zum einen schützen die Blätter bei geschlossener Blüte den Frucht-
knoten; zum anderen locken sie in entfaltetem Zustand mögliche Bestäuber an.
Häufig findet sich bei den Bedecktsamern eine besondere Organisationsform
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 147
der Blüten: Einzelblüten werden zu Blütenständen zusammengefasst, so z.B.
bei den Korbblütlern (vgl. Taraxacum, Arctium). Die Bedecktsamer spielen im
Leben des Menschen eine nicht zu unterschätzende Rolle: Die meisten Kultur-
pflanzen gehören in diese Unter-Abteilung. Das hat zur Folge, dass der Mensch
z.B. bei der Ernährung direkt (in Form von Obst, Gemüse, Getreide etc.) und
indirekt (in Form von pflanzlicher Nahrung für die von ihm gehaltenen Tiere) von
den Bedecktsamern abhängig ist. Des Weiteren sind die Pflanzen dieser Grup-
pe für den Menschen als Lieferant von Rohstoffen von großer Bedeutung, aus
welchen sich z.B. Arzneien, Papier und Textilien herstellen lassen (Lexikon der
Biologie Bd.1 1983, 388-389).
Die für diese Untersuchung ausgewählten Pflanzen werden auch noch in der
nächsten Organisationsstufe der Taxonomie, der Klasse, zusammengefasst.
Auf dieser Ebene werden die Pflanzen nach der Stellung der Samenanlagen
differenziert. Es erfolgt eine Unterteilung in die so genannten einkeimblättrigen
(Monokotylen, Monokotyledonae) und zweikeimblättrigen Pflanzen (Dikotylen,
Dikotyledonae) (Bayrhuber/ Kull 201989, 507; Lexikon der Biologie Bd.1 1983,
388). Die betreffenden Pflanzen der vorliegenden Darstellung werden der Klas-
se der Dikotyledonae zugeordnet. Diese Klasse zerfällt ihrerseits in sechs Un-
terklassen, von denen die Asteridae und die Dilleniidae für die weitere konkrete
taxonomische Einordnung relevant sind. Die Klasse der Dikotylen umfasst etwa
170.000 Arten und stellt somit mehr als 3/4 aller Bedecktsamer. Hauptmerkmal
der Dikotyledonae sind zwei Keimblätter, die seitlich am Embryo angelegt sind,
wodurch der deutsche Name „Zweikeimblättrige“ erklärt ist (von dieser Anord-
nung gibt es jedoch Ausnahmen). Ein weiteres Charakteristikum ist die Anlage
einer langlebigen Hauptwurzel mit Seitenwurzeln. Die Blätter sind ihrer Form
nach sehr vielgestaltig; häufig sind zusammengesetzte Blätter (gefiedert oder
gefingert) anzutreffen. Ebenso sind aber auch einfache Laubblätter vorhanden.
Ein weiteres, optisch von außen direkt wahrnehmbares Merkmal bezieht sich
auf die Blüten, die meistens vier- oder fünfzählig sind. Ein im inneren Bau der
Zweikeimblättrigen zu erkennendes Merkmal ist die Anordnung der Leitbündel,
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 148
die meist auf dem Stängelquerschnitt kreisförmig angeordnet sind (Lexikon der
Biologie Bd.8 1987, 514-515; Bayrhuber/Kull 201989, 508).
Auf der nachfolgenden Hierarchiestufe, der Unterklasse, spalten sich die ge-
wählten Pflanzen in zwei Gruppen: Die Art Hypericum perforatum L. wird der
Unterklasse der Dilleniidae zugeordnet, während die anderen Arten gänzlich
der Unterklasse der Asteridae angehören. Hauptkennzeichen der Dilleniidae
sind ihre große Zahl von Samenanlagen sowie der meistens einfache Bau der
Blätter, die in der Regel nicht unterteilt und zusammengesetzt sind (Lexikon der
Biologie Bd.2 1984, 427). Die Unterklasse der Asteridae stellt die am höchsten
entwickelte Unterklasse der Zweikeimblättrigen dar. Gleichzeitig umfasst sie die
meisten Arten der Dikotyledonae, und die Mitglieder dieser Unterklasse zeigen
ein sehr einheitliches morphologisches Erscheinungsbild (Rohweder/Endress
1983, 249). Bei den Asteridae dominieren krautige Pflanzen. Weiterhin fällt auf,
dass die Blüten in hohem Maße an die Bestäuber angepasst sind. So ist z.B.
die Blütengröße an der Körpergröße der Bestäuber ausgerichtet. Auch werden
häufig Duftstoffe produziert, um potentielle Bestäuber anzulocken (Botanik onli-
ne: Asteridae, 1-2).
Die nächstniedrige Rangstufe der hier dargestellten Taxonomie ist die Ordnung.
Bei der Unterklasse der Dilleniidae wird die Art Hypericum perforatum L. der
Ordnung der Teestrauchartigen (Theales) zugerechnet, welche als zentrale
Gruppe der Ordnung gilt (Botanik online: Dilleniidae, 2). Von den Teestrauchar-
tigen sind nur wenige Pflanzen allgemein bekannt. Sie zeichnen sich durch ra-
diärsymmetrische Blüten aus, die in der Regel groß und auffallend sind. Da-
rüber hinaus sind die Staubblätter meistens gruppenweise zusammengefasst
und zentrifugal angeordnet (Botanik online: Dilleniidae-Dilleniales, Theales, 1).
Die Unterklasse der Asteridae lässt sich mit den vorliegenden Pflanzen in fol-
gende Ordnungen einteilen: Braunwurzartige (Scrophulariales), Lippenblütenar-
tige (Lamiales) und Asternartige (Asterales). Die Braunwurzartigen weisen
größtenteils fünfzählige Blüten auf, wobei bei vielen Arten auch nur vierzählige
Blüten vorkommen (Botanik online: Asteridae-Scrophulariales, 1).
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 149
Die Lippenblütenartigen sind in der Regel Kräuter und Stauden, selten Bäume.
Weiteres Kennzeichen ist die meist gegenständige Anordnung der Blätter (Bo-
tanik online: Asteridae-Lamiales, 1). Auch die „Lippenblüten“ stellen ein we-
sentliches Merkmal der Pflanzen dieser Ordnung dar (Urania 1994, 289).
Die Ordnung der Asternartigen wird durch ihre einzige Familie, den Korbblütler-
gewächsen (Compositae, Asteraceae) charakterisiert (Urania 1994, 318), womit
die nächste Stufe der taxonomischen Hierarchie erreicht ist: die der Familie. Auf
der Ebene der Familie werden folgende Gruppen unterschieden: die Hyperica-
ceae (Johanniskrautgewächse), die Scrophulariaceae (Braunwurzgewächse),
die Plantaginaceae (Wegerichgewächse), sowie die Lamiaceae oder Labiatae
(Lippenblütlergewächse) und die Asteraceae oder Compositae (Korbblütlerge-
wächse).
Die Familie der Johanniskrautgewächse ist weltweit verbreitet, jedoch schwer-
punktmäßig in den tropischen und subtropischen Bereichen Amerikas und Asi-
ens. Die Pflanzen dieser Familie sind in der Regel Bäume oder (Halb-)Sträu-
cher. Die Johanniskrautgewächse zeichnen sich durch meist sehr zahlreich
vorhandene Staubblätter aus, deren Form und Anordnung zum Teil sehr vari-
iert. Darüber hinaus tragen die Pflanzen dieser Familie gegenständige unge-
teilte Blätter und in der Regel vier- bis fünfzählige Blüten. Ein weiteres charakte-
ristisches Merkmal der Johanniskrautgewächse sind Sekretbehälter bzw. -
gänge, die sich in den Blüten, Blättern und in der Rinde befinden und ätherische
Öle, Harze, Balsam oder Fett enthalten (Lexikon der Biologie Bd.4 1985, 177).
Die Familie der Braunwurzgewächse umfasst ca. 220 Gattungen mit etwa 3.000
Arten. Sie sind fast über die ganze Erde verbreitet, besonders häufig in den
nördlich-gemäßigten Zonen. Sie wachsen als ein- oder zweijährige Kräuter,
Stauden oder vereinzelt auch als Sträucher. Ihre Blätter sind meist ungeteilt,
manchmal jedoch auch fiederlappig oder tief eingeschnitten. Die Blüten sind
ähnlich wie bei den Pflanzen der Hypericaceae meist fünfzählig und stehen
entweder in Ähren, Trauben oder Rispen (Lexikon der Biologie Bd.2 1984, 133-
134).
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 150
Eine weitere Familie der Ordnung Scrophulariales ist die der Wegerichge-
wächse (Plantaginaceae). Diese sind ebenfalls fast weltweit verbreitet und um-
fassen drei Gattungen mit etwa 250 Arten, die fast ausnahmslos der auch hier
zu behandelnden Gattung Plantago angehören. Die Wegerichgewächse wach-
sen in Form von Kräutern, Stauden oder (Halb-)Sträuchern. Ihre Blätter zeigen
variierende Wuchsformen von ungeteilt bis fiederspaltig. Sie sind meistens in
einer grundständigen Rosette angeordnet. Die Blüten sind unscheinbar, über-
wiegend weißlich oder bräunlich gefärbt und in der Regel in einer kugeligen bis
lang gestreckten Ähre angeordnet (Lexikon der Biologie Bd.8 1987, 409). Wäh-
rend die Wegerichgewächse früher als eine eigene Ordnung betrachtet wurden,
reiht man sie mittlerweile als eine weitere Familie in die Ordnung der Scrophula-
riales ein, die auf Windbestäubung spezialisiert ist. Diese Anpassung zeigt sich
deutlich an den Blüten, die mit langen Staubfäden versehen sind, an denen sich
die leicht beweglich angehefteten Staubbeutel mit dem Pollen befinden. Unter
diesen Voraussetzungen reichen schon geringe Windbewegungen, um den Pol-
len zu verteilen. Auch ist die große Pollenmenge, die produziert wird, ein cha-
rakteristisches Merkmal der Windbestäubung (Urania 1994, 287).
Die weltweit vertretene Familie der Labiatae oder Lamiaceae (Lippenblütlerge-
wächse) hat ihren Verbreitungsschwerpunkt im Mittelmeerraum und in Vorder-
asien. Die Pflanzen wachsen in der Regel in Form von Kräutern oder Halb-
sträuchern und besitzen häufig vierkantige Stängel sowie kreuzgegenständige,
ganzrandige bis fiederlappige Blätter. Die Blüten stehen in Scheinquirlen und
sind als Lippenblüten charakterisiert: Sie sind meist fünfzählig und zeigen eine
nach oben hin erweiterte röhrenförmige Blütenkrone mit einem ein- oder zwei-
lippigen Saum. Dieser besteht aus einer zweizipfligen Oberlippe, die oft ein
helmförmiges Erscheinungsbild zeigt, sowie einer dreizipfligen Unterlippe.
Durch diese Blütenform ergeben sich z.T. sehr spezialisierte Bestäubungsme-
chanismen, wodurch die Pflanzen an die Form und Merkmale der Blütenbesu-
cher besonders angepasst sind. Ein weiteres wesentliches Merkmal der Lip-
penblütlergewächse stellen die Drüsenhaare und -schuppen dar, die ätherische
Öle absondern. Diese Öle sind der Grund dafür, warum viele Arten der Labiatae
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 151
als Heil-, Gewürz- und Duftpflanzen Verwendung finden (Lexikon der Biologie
Bd.5, 1985, 276-277).
Die Familie der Korbblütlergewächse (Asteraceae oder Compositae) ist eine der
umfangreichsten der Blütenpflanzen. Sie umfasst ca. 25.000 Arten, die etwa
1.100 Gattungen zugeordnet sind. Die Familie der Compositae ist die einzige
der Ordnung Asterales. Die Korbblütler sind auf der gesamten Erde verbreitet
und bevölkern nahezu jedes für höhere Pflanzen geeignete Vegetationsgebiet
(Lexikon der Biologie Bd.5 1985, 107; Urania 1994, 318). Sie zeichnen sich
durch mannigfaltige Wuchsformen aus (Kräuter, Stauden, (Halb-)Sträucher und
Bäume), was mit ihrer weiten Verbreitung und der sich daraus notwendig erge-
benden Anpassung an verschiedenste Umweltbedingungen zusammenhängt.
Ein wesentliches Merkmal der Compositae ist die Form ihrer Blütenstände. Die
kleinen Blüten stehen dicht zusammengedrängt in Köpfchen auf einem ver-
breiterten, verdickten, oft korbförmigen Blütenboden. Diese Köpfchen werden
von Hüllblättern schützend umgeben. Wegen der auffallenden Form und Farbe
der Köpfchen werden viele Arten der Compositae als Zierpflanzen angebaut
(Urania 1994, 318). Die Inhaltsstoffe vieler Korbblütler machen sie zu Heil- und
Gewürzpflanzen. Darüber hinaus finden zahlreiche Arten Verwendung als Nah-
rungspflanzen sowie als Rohstofflieferanten (Lexikon der Biologie Bd.5 1985,
109).
Die nächste Gliederungsebene unterhalb der Familie ist die der Gattung. Inner-
halb der Familie der Hypericaceae bildet die Gattung Hypericum mit ca. 400 Ar-
ten die umfangreichste Gruppe. Hier finden sich, im Gegensatz zu den anderen
Gattungen der Hypericaceae, auch krautige Pflanzen. Besonderes Merkmal der
Gattung Hypericum bezüglich des Blütenbaus ist die klare Zweiteilung in Kelch
und Krone. Darüber hinaus enthalten die Blüten zahlreiche Staubblätter, die zu
mehreren Komplexen zusammengefasst sind. Während die meisten Gattungen
der Hypericaceae in den Tropen und Subtropen beheimatet sind, ist die Gat-
tung Hypericum als einzige auch in den gemäßigten Klimazonen anzutreffen
(Urania 1994, 31-32). Die hier gewählte Art aus der Gattung Hypericum,
Hypericum perforatum L., ist bereits in Abschnitt 4.4.1 beschrieben worden.
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 152
Aus der Familie der Scrophulariaceae ist die in Mitteleuropa vorkommende Gat-
tung Verbascum relevant. Kennzeichnend für die Arten dieser Gruppe sind die
meist leuchtend gelben Blüten. Die Entwicklung der Pflanze erfolgt in mehreren
Abschnitten: Im ersten Jahr erfolgt die Bildung einer Rosette von häufig filzig
behaarten Laubblättern. Im darauf folgenden Jahr streckt sich die Spross-
achse, wodurch die Rosette aufgelöst wird und sich in einen Blütenstand mit
Teilblütenständen umwandelt (Urania 1994, 250).
Die Familie der Plantaginaceae zerfällt in drei Gattungen mit etwa 270 Arten.
Die meisten (ca. 265) werden der Gattung Plantago zugeordnet, die vor allem in
gemäßigten Klimazonen verbreitet ist (Urania 1994, 288). Die relevanten Arten,
Plantago major L., P. media L. und P. lanceolata L. sind bereits in Abschnitt
4.6.1 beschrieben worden.
Die Gattung Lavandula der Familie der Labiatae zeichnet sich durch Pflanzen-
arten aus, deren Blüten eine blaue oder violette Blütenkrone aufweisen, die ei-
ne lange Röhre hat und einen zweilippigen Saum. Die Gattung umfasst 28 Ar-
ten, die in Form von Stauden, Halbsträuchern und kleinen Sträuchern wachsen
und von den Kapverdischen und Kanarischen Inseln über den Mittelmeerraum
bis nach Vorderindien Verbreitung finden (Urania 1994, 300). Die Arten
Lavandula angustifolia Mill., L. latifolia, L. spica wurden in Abschnitt 4.5.1 dar-
gestellt.
Aus der Familie der Compositae spielen in der vorliegenden Darstellung die
Gattungen Arctium und Taraxacum eine Rolle. Die relevanten Arten, Arctium
lappa L. und Taraxacum officinale Web. wurden bereits vorgestellt (Abschnitte
4.3.1/4.7.1).
Vergegenwärtigt man sich noch einmal den soeben dargestellten Klassifikati-
onsprozess auf einer etwas allgemeineren Ebene, so kann man die schrittweise
Ausdifferenzierung der Merkmale als wesentlichstes Charakteristikum der wis-
senschaftlichen Taxonomie erkennen.
5.2 Wissenschaftliche Taxonomie 153
Ebene relevante Merkmale
Abteilung Vorhandensein von Blüten / Samenbildung
Unterabteilung bedeckter Same nicht bedeckter Same
Klasse Anzahl der Keimblätter
Unterklasse Blütenaufbau
Ordnung
Anzahl und Anordnung der Blütenblätter
spezielles Aussehen der Blüten
Familie Form und Anordnung der Staubblätter
Wuchsform der Blütenblätter
Form der Blütenstände
Gattung s. Merkmale der Ebene „Familie“, auf der Ebene der „Gat-
tung“ in spezifischerer Ausdifferenzierung
Art s. Merkmale der Ebene „Familie“, auf der Ebene der „Art“
noch spezifischer ausdifferenziert als auf der Ebene der
„Gattung“
Begonnen wird mit allgemeinsten Merkmalen: Samenbildung und Vorhanden-
sein von Blüten. Auf der nächsten Stufe erfolgt die Unterscheidung hinsichtlich
der Lage des Samens, ob er bedeckt ist oder nicht. Von der Lage des Samens
ausgehend wird der Same selbst näher untersucht: Die Anzahl der Keimblätter
wird als Differenzierungsmerkmal herangezogen. Weitere generelle Merkmale:
Hauptwurzel, Blätter, Blüten. Zur Differenzierung der Pflanzen in Unterklassen
wird vorwiegend der Blütenaufbau (große Zahl von Samenanlagen, einheitli-
ches morphologisches Erscheinungsbild) untersucht.
154
Um die Pflanze weiter zu unterscheiden, werden schrittweise folgende Punkte
beachtet:
- Anzahl der Blütenblätter, Anordnung der Blätter, spezielles Aussehen der
Blüten („Korbblüten“, „Lippenblüten“); Ebene der Ordnung
- Form und Anordnung der Staubblätter, besondere Merkmale („Sekretbehäl-
ter“, „Drüsenhaare und -schuppen“), Wuchsform der Blätter, Anordnung der
Blüten, Aussehen der Stängel, Blütenform, Form der Blütenstände; Ebene
der Familie
Die oben genannten Merkmale, die für die Differenzierung der Pflanzen auf der
Ebene der Familie maßgebend sind, sind in noch spezifischerer Form ebenfalls
relevant für die Ausdifferenzierung in Gattungen und Arten.
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie
5.3.1 Theoretische Grundlagen
Im Unterschied zu den fachsprachlichen Bezeichnungen der wissenschaftlichen
Taxonomie sind die gemeinsprachlichen Bezeichnungen der Einzelsprache na-
türlich nicht international gültig, und die Einteilung der Lebewesen, die durch die
einzelsprachlichen Bezeichnungen vorgenommen wird, basiert nicht auf wis-
senschaftlicher Forschung. Während diverse Fachbereiche dadurch gekenn-
zeichnet sind, dass das Wissen in Form von hyponymischen Taxonomien struk-
turiert wird, ist diese Vorgehensweise für die Gemeinsprache nicht relevant
(Mihatsch 2004, 47). Vielmehr erfolgt hier die Benennung aufgrund von Alltags-
erfahrungen der Menschen. Hinzu kommt, dass die Bezeichnungen für Konkre-
ta der Basisebene innerhalb einer Hierarchie auf gestalthaften und leicht zu
memorisierenden Bedeutungsrepräsentationen basieren. Das hohe Maß an Ob-
jektivität, mit dem die wissenschaftliche Taxonomie alle Gruppen von Lebewe-
sen innerhalb der Klassifizierung behandelt, wird von der einzelsprachlichen
Systematisierung weder erreicht noch angestrebt. Auch erscheint die Ausdiffe-
renzierung eines Fachbegriffs hinsichtlich einzelner Merkmale für die gemein-
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie 155
sprachliche Hierarchisierung von Konkreta verfehlt (Mihatsch 2004, 44, 47-48).
In der Gemeinsprache werden die Lebewesen in Abhängigkeit von den Alltags-
erfahrungen der Menschen mit diesen differenziert. Dies führt dazu, dass z.B.
nicht immer die Art als zentrale Gliederungsebene gewählt wird, indem häufig
mehrere verschiedene Arten unter ein und derselben Bezeichnung gruppiert
werden können, wenn es den Bedürfnissen der Menschen im praktischen Um-
gang mit diesen Pflanzen entspricht. Die unterschiedliche Differenzierung der
Umgangssprache kann auch zu umgekehrten Verhältnissen führen, wenn Ar-
ten, die von der wissenschaftlichen Taxonomie aufgrund beispielsweise ver-
wandtschaftlicher Beziehungen zu Gruppen zusammengefasst werden, in der
Umgangssprache differenziert werden, da es z.B. für die Menschen wichtig und
erforderlich ist, die Arten nach ihrer Verwendung zu unterscheiden. In diesem
Fall zeichnet sich die Umgangssprache durch ein sehr reichhaltiges Inventar an
Bezeichnungen aus, das in geringerem Maße als die wissenschaftliche Taxo-
nomie Namen mit allgemeiner Bedeutung (z.B. Baum, Kraut, Strauch) verwen-
det. Demnach kristallisiert sich als grundlegender Unterschied zwischen der
Fachsprache und der Einzelsprache die Tatsache heraus, dass über die Fach-
sprache eine explizite Fixierung der Bezeichnungen von z.B. Pflanzen erfolgt,
während die Einzelsprache zu einer jeweils impliziten Fixierung gelangt. Da-
durch, dass die Umgangssprache im Vergleich zur wissenschaftlichen Taxono-
mie an keine festen Regeln zur Namengebung gebunden ist, kann sie zwar ei-
nerseits sehr flexibel auf die Bedürfnisse der Menschen im Umgang mit und in
der Kommunikation über die Pflanzen eingehen, schafft aber andererseits kein
Klassifizierungssystem, das einer konsequenten Ordnung folgt. Dennoch kann
man häufig beobachten, dass die von der Umgangssprache organisierten Ein-
heiten in nicht seltenen Fällen mit denen der wissenschaftlichen Taxonomie
konform gehen (Löther 1972, 158-161).
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie 156
5.3.2 Taxonomische Einordnung der gewählten Pflanzen
Die nachfolgende Erläuterung der nicht-wissenschaftlichen Taxonomie der ge-
wählten Pflanzen kann nur unter Berücksichtigung der diatopisch markierten
Bezeichnungen erfolgen; bei den nicht-diatopisch markierten Bezeichnungen ist
das Phänomen der Kategorisierung nicht erkennbar.
Auch wenn der Theorie nach wesentliche Unterschiede zwischen der wissen-
schaftlichen und der nicht-wissenschaftlichen Taxonomie gegeben sind, so gel-
ten doch in beiden Fällen gewisse Prinzipien: So spielt bei der Klassifizierung
der Objekte das Vorhandensein bestimmter relevanter Merkmale eine wesentli-
che Rolle, zudem müssen diese Merkmale vorab festgelegt werden. Darüber
hinaus ist der Klassifizierungsprozess an sich ein sowohl für die wissenschaftli-
che als auch für die nicht-wissenschaftliche Taxonomie wesentlicher Vorgang.
Im Rahmen der jeweiligen Klassifizierungsprozesse werden Objekte bzw. Or-
ganismen auf der Grundlage bestimmter Beziehungen in Gruppen zusammen-
gefasst. Diese Gruppen umfassen jeweils mehrere Elemente, so dass bei dem
vorliegenden Sprachmaterial bezüglich der nicht-wissenschaftlichen Taxonomie
lediglich auf die diatopisch markierten Bezeichnungen zurückgegriffen werden
kann, da nur sie mit einer ausreichenden Häufigkeit vorkommen, so dass eine
Gruppenbildung überhaupt erst möglich wird.
Bezüglich der Relevanz der Merkmale für die Kategorisierung greift die nicht-
wissenschaftliche Taxonomie auf solche Merkmale zurück, die in den Bereich
der optischen Wahrnehmung fallen (Blattform, Wuchsform, etc.). Bei der nicht-
wissenschaftlichen Klassifikation im vorliegenden Fall kommt ein wesentliches
Element der wissenschaftlichen Kategorisierung nicht zum Tragen: der Aspekt
der Hierarchisierung. Das vorliegende Sprachmaterial und die darauf aufbau-
ende Kategorisierung lassen keine Hierarchien erkennen. Dies hat damit zu tun,
dass bei der nicht-wissenschaftlichen Kategorisierung häufig nicht von der ein-
zelnen Art als zentraler Gliederungseinheit ausgegangen wird. Vielmehr werden
mehrere Arten zusammengefasst, so dass eine wesentliche Grundlage für die
Hierarchisierung wegfällt. Bedeutsam für die nicht-wissenschaftliche Kategori-
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie 157
sierung sind die Alltagserfahrungen der Menschen mit den jeweils relevanten
Objekten bzw. Organismen. Bei der vorliegenden Taxonomie ist das Phänomen
des Zusammenfassens mehrerer Arten unter ein und denselben Bezeichnungs-
typ besonders ausgeprägt. Während bei der wissenschaftlichen Taxonomie die
gewählten Pflanzen auf der Ebene der Art strikt voneinander getrennt sind,
ergibt sich bei der nicht-wissenschaftlichen Taxonomie folgendes Bild:
Schema 1: Säugetiere (Reihenfolge der Tiere nach der Häufigkeit der Zuord-
nung zu Pflanzen)
I. Tiere II. Organ / Körperteil III. Pflanzenarten / -gattungen
Esel
Schwanz Verbascum thapsus L.
Ohr
Arctium lappa L.
Plantago lanceolata L.
P. media L.
P. major L.
Verbascum thapsus L.
Ratte Schwanz
Hypericum perforatum L.
Plantago
Taraxacum officinale Web.
Verbascum thapsus L.
Fuchs SchwanzPlantago
Verbascum thapsus L.
Hirsch Geweih Plantago
Hund Zunge
Plantago
Plantago lanceolata L.
P. media L.
Löwe Zahn Taraxacum officinale Web.
Rind Zunge Plantago major L.
Schwein Schnauze Taraxacum officinale Web.
Wolf Schwanz Verbascum thapsus L.
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie 158
Schema 2: Vögel
Schema 3: Insekten
Schema 4: Heilige
Die Schemata lassen folgendes Kategorisierungsverhalten erkennen: Zunächst
werden ausgehend von markanten Organen bzw. Körperteilen (Schwanz, Zun-
ge, Ohr, Geweih, Zahn, Schnauze) bestimmte Säugetiere aus der gesamten
Tierwelt ausgewählt, die in besonderer Weise die auf die zu kategorisierenden
Pflanzen projizierenden äußeren Merkmale zeigen. In diesem Zusammenhang
spielt der in der Kognitiven Linguistik relevante Begriff der Gestalt eine wesent-
liche Rolle. Im Rahmen der Gestaltpsychologie, die davon ausgeht, dass wir
räumlich oder zeitlich nahe beieinander liegende Einzelphänomene zu Gestal-
I. Tiere II. Organ / Körperteil III. Pflanzenarten / -gattungen
Zunge PlantagoGans
Kuckuck GefiederTaraxacum officinale Web.
Verbascum thapsus L.
I. Tiere II. Merkmal III. Pflanzenarten / -gattungen
Wanze Größe/Form Arctium lappa L.
Größe/Form PlantagoFloh
I. Heilige II. Merkmal III. Pflanzenarten / -gattungen
Hl. PetrusWetterregent/
SchutzpatronVerbascum thapsus L.
Hl. Fiaker Schutzpatron Verbascum thapsus L.
Geburtstag (24.Juni)/
Schutzpatron
Hypericum perforatum L.
Lavandula
Verbascum thapsus L.
Hl. Johannes
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie 159
ten gruppieren (Blank 2001, 38), wurden Gesetzmäßigkeiten erkannt, die direkt
unsere Wahrnehmung betreffen (vgl. Abschnitt 2.7). Besonders hervorzuheben
ist bei dem soeben beschriebenen Kategorisierungsverhalten das Prinzip der
Similarität (Blank 2001, 41), indem in der den Menschen umgebenden Umwelt
gleichartige Formen miteinander in Verbindung gebracht werden, zusammen
gruppiert werden (im vorliegenden Material z.B. der Zahn eines Tieres und die
Blattform einer Pflanze). Hinzu kommt, dass die Tiere im Leben der kategorisie-
renden Sprecher relevant sind – inwiefern und in welchem Maße wird bei der
Beschreibung der einzelnen Frames in Abschnitt 6.2.1 diskutiert. Man erkennt
also, dass die Pflanzen einzelnen Körperteilen bzw. Extremitäten „zugeordnet“
werden. Diese Formulierung ist jedoch nur im Rahmen der Beschreibung der
Taxonomie gültig, da eigentlich die Tierorgane den jeweiligen Pflanzen „zuge-
ordnet“ werden, um sie zu bezeichnen. Die Zuordnung folgt einer gewissen
Systematik, da das jeweilige für die Einordnung gewählte Merkmal immer mit
einem bestimmten Organ oder Körperteil verknüpft wird:
Wuchsform – Schwanz (Ratte, Esel)
Form des Blütenstandes – Schwanz (Fuchs, Wolf)
Blattform – Zunge (Hund, Gans, Rind)
Blattform – Ohr (Esel)
Blattform – Geweih (Hirsch)
Blattform – Zahn (Löwe)
Blütenform – Schnauze (Schwein)
In die einzelnen Kategorien werden diejenigen Pflanzen eingeordnet, deren re-
levanten äußeren Charakteristika annähernd mit den vorgegebenen Kategori-
sierungsparametern übereinstimmen. Beispielsweise werden in die Kategorie
SCHWANZ (Ratte) diverse Plantago-Arten sowie die Pflanzen Verbascum
thapsus L., Hypericum perforatum L. und Taraxacum officinale Web. eingeord-
net. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die genannten Pflanzen eine Paralleli-
tät bezüglich der Wuchsform aufweisen, wobei jedoch zu beachten ist, dass der
Aspekt der Parallelität lediglich relativ zu bewerten ist. Dies gilt ganz wesentlich
für die folgende Kategorie: OHR (Esel) umfasst die Pflanzen Plantago major L.,
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie 160
P. lanceolata L., P. media L., Verbascum thapsus L. sowie Arctium lappa L.
Diese eingeordneten Pflanzen weisen nur bedingt eine Parallelität bezüglich der
Blattform auf. Diese Relativität der Zuordnung ist ein wesentliches Merkmal der
nicht-wissenschaftlichen Taxonomie und wird auch im Rahmen der sprachwis-
senschaftlichen Analyse eine wichtige Rolle spielen. Die auf Alltagserfahrungen
der Sprecher zurückzuführende Klassifizierung basiert auf den Wahrnehmun-
gen der Sprecher. Diese Wahrnehmungen werden, wie die nicht-wissen-
schaftliche Taxonomie zeigt, vergröbert und verallgemeinert, da eine wissen-
schaftlich exakte Differenzierung der einzelnen Arten für die Sprecher nicht in
dem Maße relevant ist. Die Verallgemeinerung in der Wahrnehmung kommt bei
der gemeinsprachlichen Hierarchisierung auch darin zum Ausdruck, dass die
gewählten Oberbegriffe sehr instabil sind, da im Unterschied zur wissenschaftli-
chen Taxonomie ein Oberbegriff nicht nur spezifische, genau festgelegte Unter-
kategorien zusammenfasst. Während die Substantive auf der Basisebene in der
gemeinsprachlichen Hierarchisierung ganzheitlich sowie bildhaft repräsentiert
sind (z.B. Rattenschwanz) und keine weitere Differenzierung nach unten hin
vorgenommen wird, werden die Substantive der Ebene der Gattung in der wis-
senschaftlichen Taxonomie (entspricht der Basisebene) nach unten hin zur
Ebene der Art durch Hinzufügen von Merkmalen weiter ausdifferenziert (z.B.
Plantago Plantago lanceolata L.) (Mihatsch 2004, 43-44).
Nicht nur Säugetiere werden zur Kategorisierung der gewählten Pflanzen her-
angezogen, auch Vögel und Insekten spielen eine Rolle. Dabei werden, ähnlich
wie bei den Säugetieren, solche Tiere ausgewählt, die eine bestimmte Bedeu-
tung für den Menschen haben (vgl. Abschnitt 6.2.1): Gans und Kuckuck sowie
Floh und Wanze. Während bei den Vögeln noch Körperteile bei der Einordnung
der Pflanzen eine Rolle spielen (Zunge bzw. Gefieder), kommen die Insekten
jeweils nur als Gesamtheit zum Tragen und werden hinsichtlich ihrer Form und
Größe berücksichtigt. Auch bei den Vögeln, hier vor allem beim Kuckuck, ist
das nicht-wissenschaftliche Kategorisierungsverhalten der Sprecher zu be-
obachten, da mehrere Arten zusammengefasst werden. Bei den übrigen Tieren
ist festzustellen, dass Merkmale herangezogen werden, die nicht ausreichen,
5.3 Nicht-wissenschaftliche Taxonomie 161
einzelne Arten zu unterscheiden. So werden beispielsweise unter dem Organ
der Gänsezunge keine einzelnen Plantago-Arten differenziert. Ähnliches gilt für
den Floh.
Schließlich werden bestimmte Heilige herangezogen, um einen Teil der Pflan-
zen zu kategorisieren: Hl. Johannes, Hl. Petrus und Hl. Fiaker. Hierbei finden
sich wiederum Belege für das nicht-wissenschaftliche Kategorisierungsverhal-
ten der Sprecher. Zum einen wird die Art Verbascum thapsus L. allen drei Heili-
gen zugeordnet. Die Heiligen fungieren quasi als Oberbegriffe, die auf der Ebe-
ne der wissenschaftlichen Taxonomie automatisch unterschiedliche Gruppen-
mitglieder beschreiben würden. Dies ist hier aber nicht der Fall, da zu den Heili-
gen eine identische Art zugeordnet wird. Zum anderen sind unter dem Oberbe-
griff HL. JOHANNES drei verschiedene Pflanzenarten eingeordnet, die von der
wissenschaftlichen Taxonomie streng getrennt werden (vgl. Schema
S.145/Schema 4, S.158). Dies zeigt wiederum die von den Sprechern in den
Vordergrund gestellte Erfahrung mit den Pflanzen. Ihnen geht es nicht um eine
wissenschaftlich fundierte Systematik, sondern um eine ihren Bedürfnissen im
Umgang mit den Pflanzen entsprechende Gruppierung.
162
6 Analyse des Sprachmaterials
6.1 Vorbemerkungen
Im Zentrum dieses Kapitels der Darstellung steht die eingehende Analyse des
in Kapitel 4 dargelegten Sprachmaterials. Zunächst wird in Abschnitt 6.2 der
kognitive Rahmen beschrieben, in den das Material eingebettet ist: Es geht um
die grobe Skizzierung der Frames und Wissenskontexte sowie Prototypen.
In Abschnitt 6.3 wird erörtert, wie die menschliche Wahrnehmung dazu beiträgt,
bestimmte Frames und damit auch Prototypen zu konstruieren.
Abschnitt 6.4 beschäftigt sich mit dem enzyklopädischen Wissen und analysiert,
welchen Einfluss dieses Hintergrundwissen auf die Bildung von Frames und
Prototypen hat.
In Abschnitt 6.5 wird der genauere Zusammenhang zwischen den Frames und
der nicht-wissenschaftlichen Kategorisierung durch die Sprecher erläutert.
Der Abschnitt 6.6 ist der genaueren Analyse der Prototypen gewidmet. Hierbei
wird zunächst von der semasiologischen Perspektive ausgegangen (Abschnitt
6.6.1), daran schließt sich die Beschreibung der onomasiologischen Prototypen
an (Abschnitt 6.6.2). Schließlich erfolgt in Abschnitt 6.6.3 eine Zusammenschau
der semasiologischen und onomasiologischen Perspektive, um eventuelle ge-
genseitige Beeinflussungen aufzudecken und zu analysieren.
Das gesammelte Sprachmaterial lässt sich nicht vollständig bestimmten Proto-
typen zuordnen. Es liegen darüber hinaus Bezeichnungen vor, die nicht unbe-
dingt aussagekräftig für das Kategorisierungsverhalten der Sprecher sind, die
aber dennoch sehr viel Auskunft geben über Wahrnehmungsprozesse und da-
rauf aufbauenden Bezeichnungsverfahren der Sprecher. Diese Bezeichnungen
werden eingehend in Abschnitt 6.7 erörtert.
Auch die wissenschaftlichen Bezeichnungen der gewählten Pflanzen sollen
analysiert werden (Abschnitt 6.8). Hier geht es darum, aufzuzeigen, wie die zu-
nehmende Differenzierung in der wissenschaftlichen Taxonomie (besonders
beim Übergang von der Ebene der Gattung zu der der Art) in der Wahl der Be-
zeichnungen zum Ausdruck kommt.
163
Abschnitt 6.9 schließlich befasst sich mit den beiden Bezeichnungsverfahren
Metapher und Metonymie, die im vorliegenden Sprachmaterial ausschließlich
Verwendung finden. Es wird genauer der Frage nachgegangen, welche Rolle
die Bezeichnungsverfahren gerade auch in Hinblick auf den Aspekt der Prag-
matik spielen.
6.2 Kognitiver Rahmen
6.2.1 Wissenskontexte
Zunächst gilt es, den kognitiven Rahmen, in den das auszuwertende Sprach-
material eingebettet ist, zu beschreiben.
Das Sprachmaterial wurde nach folgenden Gesichtspunkten ausgewählt: Bei
der Durchsicht der Sprachkarten war zum einen besonders bei Pflanzen eine im
Vergleich zu anderen Abfrageobjekten große Bezeichnungsvielfalt zu erkennen,
die wiederum breite Untersuchungsmöglichkeiten zulässt. Zudem erwiesen sich
Pflanzen und ihre Bezeichnungen als interessantes Analysefeld, da durch die
wichtige Rolle, die Pflanzen im Leben des Menschen spielen, verschiedene An-
knüpfungsmöglichkeiten für eine Interpretation der Bezeichnungsvielfalt gege-
ben scheinen. Um aus der Fülle der abgefragten Pflanzen eine engere Auswahl
zu treffen, wurden prinzipiell nur Heilpflanzen herangezogen. Zudem wurden
hier lediglich diejenigen Pflanzen endgültig gewählt, für die Bezeichnungen aus
allen drei Sprachräumen vorliegen, um die Vergleichbarkeit des Materials si-
cherzustellen.
Nach Berücksichtigung dieser Kriterien wurden folgende Pflanzen ausgewählt:
Arctium lappa L., Hypericum perforatum L., diverse Lavandula- und Plantago-
Arten, sowie die Arten Taraxacum officinale Web. und Verbascum thapsus L.
Für die Beschreibung der Wissenskontexte, in die die Pflanzen eingebettet sind,
ist zunächst ihr äußeres Erscheinungsbild relevant. Dieses ermöglicht es im
vorliegenden Fall, die genannten Pflanzen in einem Frame „KRAUTIGE
PFLANZEN“ zusammenzufassen. Alle gewählten Referenten zeichnen sich da-
6.2 Kognitiver Rahmen 164
durch aus, dass sie Samenpflanzen sind und saftige, unverholzte Stängel auf-
weisen. Darüber hinaus kommen alle genannten Pflanzen wild wachsend in der
Natur vor. Dies gewährleistet die Verfügbarkeit der Pflanzen für den Menschen,
die sich in den Frame „WILD WACHSENDE PFLANZEN“ einordnen lassen.
Schließlich spielt die Verwendung der Pflanzen durch ihre medizinisch wirksa-
men Stoffe für den Menschen eine bedeutende Rolle, indem er mit ihrer Hilfe
Krankheiten vorbeugen oder heilen kann. Somit kommt für den Menschen im
Umgang mit den Pflanzen der Frame „HEILPFLANZEN“ zum Tragen.
Sieht man sich die Bezeichnungen der Pflanzen genauer an, fallen immer wie-
derkehrende Wissenskontexte auf, die sich gruppieren lassen. Ein Großteil der
Bezeichnungen basiert auf Metaphern, die eine Verbindung der Pflanzen mit
folgenden Frames ausdrücken: „TIERWELT“, „ORGANE, KÖRPERTEILE“,
„MENSCH“.
Neben Metaphern stellen Metonymien die Grundlage für Bezeichnungen der
Pflanzen dar. Für die Bildung der Metonymien wird auf folgende Frames zu-
rückgegriffen:
- „DETAILS IM AUSSEHEN DER PFLANZEN“
- „GRÖßENVERHÄLTNISSE“
- „RELIGION“
- „VERWENDUNG (ZUSÄTZLICH ZUR MEDIZINISCHEN)“
- „GEGENSTÄNDE“
- „NAHRUNGSMITTEL“
Im Folgenden werden die einzelnen Frames hinsichtlich ihrer näheren Ausge-
staltung sowie ihrer Bedeutung für die Bezeichnungsfindung vorgestellt.
„TIERWELT“
Dieser Frame lässt sich weiter untergliedern, denn die in Frage kommenden
Tiere können zu einzelnen Gruppen zusammengefasst werden. Folgende „Un-
ter-Frames“ lassen sich herausstellen: „WILD LEBENDE TIERE“, „HAUS- UND
NUTZTIERE“ (Aspekt der Nähe zum Menschen), „SÄUGETIERE“, „VÖGEL“,
„INSEKTEN“ (an der Zoologie orientierte Gruppierung). Folgende Tiere lassen
6.2 Kognitiver Rahmen 165
sich entsprechend zuordnen, wobei sich je nach gewähltem Ansatz zahlreiche
Tiere vielfältig einordnen lassen und daher hier auch mehrfach genannt werden:
- „WILD LEBENDE TIERE“: Esel, Floh, Fuchs, Hirsch, Kuckuck, Löwe, Ratte,
Vogel, Wanze, Wolf
- „HAUS- UND NUTZTIERE“: Esel, Gans, Hund, Rind, Schwein
- „SÄUGETIERE“: Esel, Fuchs, Hirsch, Hund, Löwe, Ratte, Rind, Schwein,
Wolf
- „VÖGEL“: Gans, Kuckuck, Vogel
- „INSEKTEN“: Floh, Wanze
„ORGANE“
In diesem Frame sind Tierorgane bzw. -körperteile zusammengefasst, die die
Grundlage für sehr viele Pflanzenbezeichnungen bilden: Schwanz, Ohr, Ge-
weih/Horn, Zunge, Zahn, Schnauze.
„MENSCH“
In diesem Frame befindet sich nur ein Element: der „Bonhomme“, mit dem auf
die Art Verbascum thapsus L. verwiesen wird.
„DETAILS IM AUSSEHEN DER PFLANZEN“
Hier sind besondere Eigenschaften der Pflanzen und ihrer Teile eingeordnet.
Zum Teil werden Charakteristika von Samen und Früchten hervorgehoben;
meistens handelt es sich jedoch um generelle äußere Merkmale der Pflanzen,
wie Blütenstand, Wuchsform, Blütezeit, Blattdetails.
„GRÖßENVERHÄLTNISSE“
In diesem Frame sind ebenfalls von außen wahrnehmbare Eigenschaften der
Pflanzen zusammengefasst, die hier jedoch besonders den Aspekt der Größe
betreffen. Neben der allgemeinen Größe der Pflanze spielt die jeweilige Blatt-
größe eine wesentliche Rolle.
„RELIGION“
Hier sind Komponenten für Bezeichnungen eingeordnet, die im weitesten Sinne
etwas mit dem thematischen Komplex „Religion“ zu tun haben. Zum einen sind
6.2 Kognitiver Rahmen 166
dies Heilige (Hl. Johannes, Hl. Petrus, Hl. Fiaker), zum anderen Maria und
schließlich der Teufel und Dämone.
„VERWENDUNG (ZUSÄTZLICH ZUR MEDIZINISCHEN)“
In diesem Frame geht es um die Verwendungszwecke einzelner Heilpflanzen,
die über die medizinischen Anwendungen hinausgehen: Manche Pflanzen die-
nen darüber hinaus als Vogel- oder Schweinefutter, für Reinigungszwecke oder
im Bereich des Aberglaubens zur Teufel- und Dämonenvertreibung.
„GEGENSTÄNDE“
Dieser Frame umfasst Gegenstände, die als Grundlage zur Bezeichnungsfin-
dung der Art Verbascum thapsus L. dienen: Wachs, Kerze und Kerzenständer.
„NAHRUNGSMITTEL“
Hier ist das Nahrungsmittel „Brot“ enthalten, das auf einzelne Pflanzen hinweist.
Die in den einzelnen Frames mit enthaltenen Bedeutungskonzepte umfassen
sowohl enzyklopädisches als auch einzelsprachliches Wissen. Letzteres be-
zieht sich auf die Verwendungsmöglichkeiten der einzelnen Bezeichnungen,
welche sich aus der sprachgeschichtlichen Entwicklung ergeben und verschie-
denen Einflussfaktoren diatopischer, diastratischer und diaphasischer Art unter-
liegen. Das enzyklopädische Wissen, das den sachlichen Hintergrund der
Frames betrifft, ist in sich ebenfalls sehr vielschichtig. Im Rahmen dieser Dar-
stellung können jedoch nur diejenigen Aspekte näher beschrieben werden, die
unmittelbar für die einzelnen Bezeichnungen relevant sind.
Der Komplex „TIERWELT“ gestaltet sich relativ kompliziert. Hier geht es nicht
nur um das Aussehen der einzelnen Tiere. Vielmehr spielen noch andere Kom-
ponenten mit hinein, die allesamt für das enzyklopädische Wissen wesentlich
sind. An vorderster Stelle ist die Rolle der Tiere im Leben der Sprecher zu nen-
nen: Welche Bedeutung haben die Tiere für den Menschen? In welcher Bezie-
hung stehen sie zu ihm? Welchen Einfluss haben Vorstellungen aus dem Be-
reich des Aberglaubens? Im Folgenden werden die relevanten Tiere unter Be-
rücksichtigung der genannten Fragestellungen vorgestellt, um eine adäquate
6.2 Kognitiver Rahmen 167
Grundlage für die in diesem Kapitel dargelegte Analyse des Sprachmaterials zu
erhalten. Hierbei wird aus Gründen der Übersichtlichkeit die Gliederung der Un-
ter-Frames „Säugetiere“, „Vögel“ und „Insekten“ gewählt.
1) „Säugetiere“
Esel
Ein besonders charakteristisches Merkmal im Aussehen des Esels, das in
der Literatur hervorgehoben wird, sind die großen langen Ohrmuscheln, die
nach Flade (1990) die besondere Attraktivität des Esels ausmachen (Flade
1990, 76-77). Der Hausesel wird vor allem in Südeuropa als Last- und Reit-
tier gehalten (Corbet/Ovenden 1982, 202). Der mit dem Esel verbundene
Volksglaube ist zwiespältig. Zum einen wird er besonders in Fabeln und Er-
zählungen als ein eher lächerliches Wesen dargestellt. Ihm werden Eigen-
schaften wie dumm, faul und störrisch zugeschrieben. Andererseits wird der
Esel als Sinnbild für Demut und Sanftheit interpretiert (Biedermann 2000,
125).
Fuchs
Das markante Erscheinungsbild des Fuchses wird geprägt durch einen ver-
längerten Gesichtsschädel, große stehende Ohrmuscheln und vor allem
durch einen langen, buschig behaarten Schwanz, der mit einer Länge von
über 40cm nahezu zwei Drittel der Kopf-Rumpf-Länge ausmacht. Besonders
im Winter wird die Erscheinung des Fuchses durch eine lange und dichte
Behaarung verstärkt (Labhardt 1990, 13, 22). Im Volksglauben steht der
Fuchs in aller Regel für bösartige Schlauheit und Hinterlist. Durch seine rötli-
che Fellfarbe, die an Feuer erinnert, wird der Fuchs häufig mit dem Teufel in
Verbindung gebracht (vgl. im Dt. den Ausdruck „fuchsteufelswild“). Schon in
der römischen Antike galt er als Feuerdämon. Die mittelalterlichen „Bestia-
rien“ stellen den Fuchs als ein trug- und listenreiches Tier dar (Biedermann
2000, 154).
Hirsch
Der Hirsch zeichnet sich vor allem durch sein Geweih aus, das beim Rot-
hirsch stark verzweigt ist (Dausien 1982, 160).
6.2 Kognitiver Rahmen 168
Hund
Der Hund gilt als ältestes Haustier, das vor ca. 12000 Jahren gezähmt wur-
de, wobei man von einer Haustierwerdung des Wolfes ausgeht. Dem Men-
schen diente der Hund als Jagdhilfe und Wächter. Die durch den Menschen
betriebene Züchtung führte zu einer enormen Variabilität des Hundes, die in
einer Vielzahl von Rassen zum Ausdruck kommt (Dausien 1982, 135). Im
Volksglauben hält man den Hund aufgrund seines Spürsinns, seiner feinen
Witterung und Empfindlichkeit für befähigt, zukünftige Ereignisse im Voraus
zu zeigen. Daher wurde er mit großer abergläubischer Scheu betrachtet
(Bächtold-Stäubli Bd.4 1931/1932, Spalte 470).
Löwe
Dem Löwen kommt eine besondere Bedeutung in Dichtung, Kunst und Sym-
bolik zu. Unter dem Einfluss des Orients gilt der Löwe als König der Tiere.
Diese Verkörperung der königlichen Macht ist auch dort zu beobachten, wo
das Tier lebend nicht vorhanden ist. Häufig wurden Löwen an Fürstenhöfen
gehalten, wodurch der Löwenglaube immer wieder erneuert wurde. Oft wird
der Löwe in Märchen und Sagen beschrieben (Bächtold-Stäubli Bd.5
1932/1933, Spalten 1432, 1434). Dem Löwen als König der Tiere wurde
Kriegstugend und Macht zugeschrieben, weshalb er bereits im Mittelalter oft
in Wappen aufgenommen wurde. Auch in der christlichen Symbolik spielt der
Löwe eine wichtige Rolle, die jedoch zwiespältig ist: Zum einen gilt er als
Symbol für die Stärke des Stammes Juda, zum anderen wird in ihm das Bild
des verschlingenden Widersachers gesehen („Daniel in der Löwengrube“)
(Biedermann 2000, 273-275).
Ratte
Charakteristisches Merkmal der Hausratte ist ihr Schwanz, der länger ist als
Kopf und Rumpf zusammen. Sie wurde in frühgeschichtlicher Zeit aus dem
asiatischen Raum nach Europa eingeschleppt und ist vor allem im Mittel-
meergebiet fernab menschlicher Siedlungen verbreitet (Corbet/Ovenden
1982, 56, 172-173). Die Hausratte wird seit jeher vom Menschen verfolgt, da
er sie als Nahrungskonkurrent und als Krankheitsüberträger sieht (Lexikon
6.2 Kognitiver Rahmen 169
der Biologie Bd.4 1985, 184). Im Volks- und Aberglauben ist die Ratte über-
wiegend mit negativen Attributen besetzt. Da sie Vorräte vernichtet und Seu-
chen überträgt (wie z.B. im Mittelalter die Pest), kam die Ratte in den Ruf,
dem Teufel nahe zu stehen (Biedermann 2000, 355).
Rind
Äußerlich durch einen plumpen Körperbau und breiten Kopf gekennzeichnet,
wird das Rind als reiner Pflanzenfresser heute in vielen Rassen gezüchtet
und ist eines der ältesten Haustiere des Menschen, das vom Auerochsen
abstammt. Zunächst diente das Rind vielfach als Opfertier, bevor es später
zu einem Fleischlieferanten und Arbeitstier wurde. Auch die Milchnutzung
kam erst später hinzu (Lexikon der Biologie Bd.7 1986, 165).
Schwein
Das Schwein weist einen gedrungenen Körperbau auf mit einem massigen
Kopf und kurzem Hals sowie ebenfalls kurzen Beinen. Ein weiteres wesentli-
ches äußeres Merkmal ist der kurze Rüssel, der mit einer so genannten Rüs-
selscheibe versehen ist und zur Nahrungssuche dient. Die Rüsselscheibe
selbst ist von einem Knorpel gestützt und etwa kreisrund. Sie ist sehr beweg-
lich und dient zum Durchwühlen des Bodens (Lexikon der Biologie Bd.7
1986, 355-356). Da das Schwein im menschlichen Haushalt eine sehr be-
deutende Rolle spielt, wird verständlich, dass es auch im Volks- und Aberg-
lauben wesentlich ist. Zwar wird es vielfach als ein Symbol für Unreinlichkeit
angesehen, gilt aber zugleich als Glückssymbol und als Sinnbild der Frucht-
barkeit. Im Bereich des Aberglaubens gilt das Schwein einerseits als ein Teu-
fels- und Hexentier; andererseits wird in ihm ein Orakeltier gesehen, das zu-
dem die Zukunft vorhersehen könne (Biedermann 2000, 394-395; Bächtold-
Stäubli Bd.7 1935/1936, Spalten 1470, 1476, 1482).
Wolf
Der Mensch sieht in dem Wolf, der zu den bekanntesten hundeartigen Raub-
tieren zählt, in der Regel einen Feind des Wildes und der Haustiere und hat
ihn stark verfolgt (Dausien 1982, 134). Damit hängt unmittelbar die überwie-
gend negative Darstellung des Wolfes z.B. in Fabeln und Märchen zusam-
6.2 Kognitiver Rahmen 170
men. Zentrale Charaktereigenschaften, die dem Wolf zugeordnet werden,
sind Hinterlist und Heimtücke (Biedermann 2000, 488, 490). Daneben wird er
als alt und grau beschrieben und gilt darüber hinaus als mürrisch, wüst und
eigensinnig. Seine angenommene Dummheit wird ebenso dargestellt wie
seine Schlauheit (Bächtold-Stäubli Bd.9 1938/1941, Spalte 730).
2) „Vögel“
allgemein
Vögel übten im Allgemeinen eine besondere Faszination auf den Menschen
aus, zum einen aufgrund des Federkleids und des Gesangs, zum anderen
aufgrund der bei den meisten Vögeln zu beobachtenden Flugfähigkeit
(Dausien 1982, 94). Symbolkundlich sind Vögel in der Regel positiv besetzt
(Biedermann 2000, 463).
Gans
Die Gans, hier vor allem die Hausgans, gehört zu einer Unter-Familie der En-
tenvögel. Auffällig ist ihr Schnabel, der am Grund verdickt ist und an der
Spitze einen so genannten Hornnagel trägt (Lexikon der Biologie Bd.3 1984,
420). Als Stammform der Hausgans wurde die Graugans schon in Ägypten
gezähmt. Dort wie später auch in Griechenland diente sie als Opfertier und
als Lieferant für Fleisch und Daunen. Im mittelalterlichen „Bestiarium“ dient
die Gans als Bild für wachsame Menschen. Auch in Sagen, Märchen und
Redensarten spielt die Gans eine nicht unerhebliche Rolle (Biedermann
2000, 159).
Kuckuck
Der Kuckuck erreicht eine Größe zwischen 14 und 70cm; sein Gefieder ist
meist unauffällig grau, braun und schwarz gefärbt. Besonderes Kennzeichen
ist die Stimme, deren tiefen Rufe mit einem U-Laut erklingen (Lexikon der Bi-
ologie Bd.5 1985, 146). Auch als Namensgeber für Pflanzen spielt der Ku-
ckuck eine wesentliche Rolle. Häufig werden so Pflanzen bezeichnet, die
sehr früh im Jahr blühen und daher, wie der Kuckuck, Frühlingsboten sind
(Bächtold-Stäubli Bd.5 1932/1933, Spalte 742).
6.2 Kognitiver Rahmen 171
3) „Insekten“
Floh
Besonders der so genannte Menschenfloh ist eine weltweit verbreitete Art
der Flöhe. Er wird ca. 3mm groß, ist seitlich stark abgeflacht und zeigt eine
ovale Seitenansicht (Lexikon der Biologie Bd.5 1985, 405).
Wanze
Der Körper der Wanzen ist meist abgeflacht und erreicht eine Länge zwi-
schen 1mm und 10cm. Der Umriss der Insekten ist meistens oval. Für den
Menschen sind Wanzen von relativ geringer Bedeutung. Nur einige Blut sau-
gende Arten, wie z.B. die Bettwanze, sind Parasiten des Menschen (Lexikon
der Biologie Bd.8 1987, 383-384).
Im Komplex d) „ORGANE“ geht es um die Frage, wodurch sich einzelne Orga-
ne auszeichnen, was das Besondere an ihnen ist. Im Folgenden werden we-
sentliche Charakteristika der einzelnen Organe beschrieben, deren Kenntnis
das enzyklopädische Wissen ausmacht und zugleich eine wichtige Analyse-
grundlage darstellt.
Schwanz
Der Schwanz bezeichnet im Allgemeinen denjeni-
gen schlanken Fortsatz des Rumpfes, der vom hin-
ter dem Becken gelegenen Teil der Wirbelsäule ge-
stützt wird (Lexikon der Biologie Bd.7 1986, 346).
Besonderes Merkmal des Eselschwanzes ist die
quastenartige Verdickung am Schwanzende (vgl.
Abb.). Beim Fuchs ist die Länge des Schwanzes er-
wähnenswert, da sie zwei Drittel der Körperlänge be-
trägt (Labhardt 1990, 22). Hinzu kommt die buschige
Behaarung, die den Schwanz sehr stattlich wirken
lässt (vgl. Abb.). Der Rattenschwanz hingegen ist
vollkommen unbehaart und länger als Kopf und
Rumpf zusammen (Corbet/Ovenden 1982, 56, 172).
6.2 Kognitiver Rahmen 172
Der Wolfschwanz ist ähnlich wie der vom Fuchs bu-
schig behaart und ebenfalls relativ lang (vgl. Abb.).
Ohr
Das Ohr im Allgemeinen ist das paarige Gehörorgan von Wirbeltieren und
dem Menschen. Lediglich bei den Säugetieren lassen sich Außen-, Mittel-
und Innenohr unterscheiden. Das Außenohr umfasst die Ohrmuscheln, die
bei den meisten Tieren beweglich sind und den Gehörgang (Lexikon der Bio-
logie Bd.6 1986, 218). Bei dem ausgewählten Sprachmaterial spielt das
Eselsohr eine besondere Rolle, dessen charakteristisches Merkmal die Län-
ge der Ohrmuscheln darstellt (vgl. Abb. S.171; Flade 1990, 77).
Geweih/Horn
Mit „Geweih“ werden die paarigen Stirnwaffen der Hirsche bezeichnet. Die
Geweihe wachsen bei den meisten Hirscharten
jedes Jahr aus zwei Knochenzapfen des Stirn-
beins neu aus (vgl. Abb.). Für den Menschen
sind Hirsch-Geweihe schon seit prähistorischer
Zeit von Bedeutung: Zum einen als „Jagd-
trophäe“, zum anderen als begehrtes Roh-
material für die Herstellung von Gebrauchs-
gegenständen. Der Vorteil der Geweihknochen
besteht darin, dass sie zwar hart sind, sich aber dennoch gut bearbeiten las-
sen (Lexikon der Biologie Bd.4 1985, 58). Auch im Volksglauben spielte das
Geweih insofern eine bedeutende Rolle, als dass es als wirksames Schutz-
mittel gegen böse und dämonische Kräfte angesehen wurde (Müller-Kaspar
Bd.2 1996, 393).
Zunge
Die Zunge ist ein bewegliches und muskulöses Tast- und Schmeckorgan in
der Mundhöhle von Wirbeltieren. Bei den Säugetieren ist die Zunge sehr
muskulös und beweglich und von einer Schleimhaut bedeckt. Die Zunge der
Vögel ist im vorderen Teil verhornt (Lexikon der Biologie Bd.8 1987, 511).
6.2 Kognitiver Rahmen 173
Zahn
Beim vorliegenden Sprachmaterial wird der Löwenzahn als Bezeichnungs-
mittel herangezogen. Dieser ist einem typischen Raubtiergebiss zuzuordnen,
das durch dolchförmige Eckzähne gekennzeichnet ist, die zum Fangen und
Fassen der Beute dienen. Daneben besteht das Raubtiergebiss aus so ge-
nannten Reißzähnen, mit denen die Beute aufgebrochen werden kann (Lexi-
kon der Biologie Bd.7 1986, 90).
Schnauze
Im Allgemeinen ist unter der Schnauze diejenige Partie des Wirbeltierkopfes
zu verstehen, die unterhalb der Augen vorspringt. Die Schnauze beinhaltet
im Wesentlichen den Kauapparat und ist damit das zentrale Organ für den
Nahrungserwerb. Hierfür ist sie mit verschiedensten Sinnesorganen wie der
Zunge und der Nase ausgestattet (Lexikon der Biologie Bd.7 1986, 319). Bei
der hier besonders interessierenden Schweineschnauze ist die Form des
Rüssels, der in einer Rüsselscheibe mündet, markant (Lexikon der Biologie
Bd.7 1986, 211).
Im Komplex „MENSCH“ findet sich der „Bonhomme“. Darunter ist zunächst ein
guter bzw. gutmütiger Mensch zu verstehen. Darüber hinaus transportiert das
französische Wort folgende Eigenschaften: Ein so bezeichneter Mensch zeich-
net sich durch Einfachheit aus, er wird kaum wahrgenommen und ist leichtgläu-
big (Petit Robert 1990, 198).
Das enzyklopädische Wissen, das für die Frames „DETAILS“ und „GRÖßEN-
VERHÄLTNISSE“ notwendig ist, ergibt sich unmittelbar aus der Anschauung
der Pflanzen und ist allgemein bereits in Kapitel 4 dargestellt worden.
Im Komplex „RELIGION“ geht es zunächst um die Rolle von ausgewählten Hei-
ligen im Leben der Sprecher (Hl. Johannes, Hl. Petrus, Hl. Fiaker). Darüber
hinaus findet die Marienverehrung ebenso Berücksichtigung wie auf der Gegen-
seite die Furcht vor dem Teufel und den Dämonen.
6.2 Kognitiver Rahmen 174
Hl. Johannes
Mit dem Hl. Johannes ist Johannes der Täufer gemeint, welcher mit dem
Mittsommer in Verbindung gebracht worden ist. Die Kirche hat den 24. Juni,
zugleich der Tag der Sommersonnenwende, zum Geburtstag Johannes des
Täufers erklärt. Die Person spielt in Glauben und Brauch des Johannistages
keine besondere Rolle, obwohl das Fest vor allem in Frankreich innerhalb
der kirchlichen und weltlichen Feste eine zentrale Stellung einnimmt. Der Hl.
Johannes gilt als Schutzpatron der Schneider, der Lämmer und Hirten und ist
zugleich Schutzheiliger vieler Ortschaften (Cramer 1932, 8; Bächtold-Stäubli
Bd.4 1931/1932, Spalten 704-705).
Hl. Petrus
Als Todestag des Hl. Petrus wird der 29. Juni 67 angegeben. Er gilt als Apos-
telfürst und neben Michael als einer der höchsten der Heiligen. Petrus wird
als Wetterregent angesehen; ihm wird nachgesagt, dass er Regen verur-
sacht. Zugleich ist er Patron der Fischer und der Schmiede. Viele Pflanzen,
die seinen Namen tragen, werden als heilkräftig eingestuft (Bächtold-Stäubli
Bd.6 1934/1935, Spalten 1536-1539).
Hl. Fiaker
Hierbei handelt es sich um einen schottischen Eremiten, der nach Gallien
gekommen ist (ca. 610 – ca. 670). Er gilt als Schutzheiliger der Gärtner (Petit
Larousse 1993, 1326).
Hl. Maria
Maria als die Mutter Jesu Christi wurde von der Kirche als Gottesmutter und
Jungfrau verehrt und bereits früh bildlich dargestellt. Sie gilt als die größte
Heilige und wurde Patronin zahlreicher Kirchen. Im Volk entwickelte sich ein
Marienkult, der u.a. durch Legenden und Sagen, Gebete, Bilder und Visionen
erweitert und ausgeschmückt wurde. Hinzu kommen Feste, Prozessionen
und Wallfahrten, die den Kult ergänzen. Das Volk glaubte besonders an die
stets vorhandene Hilfsbereitschaft Marias und verehrte sie als Helferin in
jedweder Notlage, auf Reisen und auch bei Krankheit. Der Marienglaube
schlägt sich u.a. in den Marienfesten nieder (Unbefleckte Empfängnis, Licht-
6.2 Kognitiver Rahmen 175
mess, Verkündigung, Himmelfahrt, Mariä Geburt), die für das Volk seit jeher
eine besonders wichtige Rolle spielen. Auch im vorliegenden thematischen
Zusammenhang der Heilpflanzen haben diese Tage eine zentrale Bedeu-
tung, da sie als geeignet zum Sammeln von Heilkräutern angesehen werden.
Daher verwundert es nicht, dass manche als heilkräftig eingestufte Pflanze
nach Maria benannt wurde (Bächtold-Stäubli Bd.5 1932/1933, Spalten 1638-
1661).
Teufel
Mit „Teufel“ wird im Neuen Testament und nach der christlichen Lehre der
Fürst der durch Sünde gefallenen und zur Hölle verdammten Engel (Teufel)
bezeichnet. Er gilt als Widersacher Christi und der Kirche (Das Neue Lexikon
Bd.8 1987, 3319).
Dämon
„Dämon“ bezeichnet einen Geist, ein Mittlerwesen zwischen Gott und
Mensch. In der griechischen Antike wurde Dämonen eine unheimliche Ge-
walt nachgesagt, die guten oder bösen Einfluss haben konnte. Im frühen
Christentum verkörpern Dämonen böse Mächte, die von Christus überwun-
den werden (Das Neue Lexikon Bd.2 1987, 712).
Der Komplex „VERWENDUNG“ beinhaltet zusätzlich zur medizinischen An-
wendung der jeweiligen Pflanzen weitere Verwendungsmöglichkeiten als Futter-
und Reinigungsmittel sowie zur Teufel- und Dämonenvertreibung.
Futtermittel
Hierunter fallen zum einen diejenigen Pflanzen, deren Bestandteile (Samen
bestimmter Plantago-Arten) als Vogelfutter dienen. Zum anderen gehört der
Löwenzahn dazu, der aufgrund seiner Inhaltsstoffe als Schweinefutter Ver-
wendung findet.
Reinigung
Hierzu gehören diverse Lavendel-Arten, deren Blüten aufgrund des Gehalts
an ätherischen Ölen angenehm duften und früher häufig dem Badewasser
zugefügt wurden. Da sie auch getrocknet sehr lange ihren Duft behalten,
6.2 Kognitiver Rahmen 176
wurden sie in Form von kleinen Sträußen zwischen gewaschene Wäsche
gelegt, um diese frisch zu halten.
Teufel- und Dämonenvertreibung
In diesen Bereich sind Pflanzen einzuordnen, die aufgrund ihrer äußeren
Erscheinung oder aufgrund besonderer Inhaltsstoffe dem Volksglauben
nach geeignet sind, Teufel und Dämonen abzuwehren.
Im Komplex „GEGENSTÄNDE“ stehen die Kerze und damit direkt zusammen-
hängende Objekte im Mittelpunkt. Die Kerze spielt im Volksglauben eine wichti-
ge Rolle sowohl bei Weissagungen als auch im Zusammenhang mit Heil- und
Schadenzauber (Bächtold-Stäubli Bd.4 1931/1932, Spalte 1244). Damit direkt in
Zusammenhang steht das Wachs als Material, aus dem Kerzen hergestellt
werden. Der Kerzenständer schließlich trägt die Kerze.
Dem Komplex „NAHRUNGSMITTEL“ ist das Brot zugeordnet. Brot wird bei al-
len Völkern, die den Anbau von Körnerfrüchten betreiben und den Vorgang des
Backens kennen, als das wichtigste Nahrungsmittel angesehen. Die bedeuten-
de Rolle, die dem Brot zukommt, findet auch Ausdruck in vielen Redensarten
(Biedermann 2000, 75).
6.2.2 Prototyp
Neben einer ersten groben Darstellung der Frames und Wissenskontexte soll
auch der kognitive Rahmen, der durch die Prototypen geschaffen wird, einlei-
tend skizziert werden.
Anhand des vorliegenden Sprachmaterials lässt sich sehr gut das Phänomen
der Kategorisierung darstellen. Die gewählten Pflanzen lassen sich folgenden
Kategorien zuordnen:
RATTENSCHWANZ
Plantago ALP (3x)/AIS (1x)
Verbascum thapsus L. ALP (1x)
Hypericum perforatum L. ALP (1x)
Taraxacum officinale Web. ALEANR (1x)
6.2 Kognitiver Rahmen 177
FUCHSSCHWANZ
Verbascum thapsus L. ALP (5x)
Plantago ALP (1x)
ESELSOHR
Plantago major L. ALP (4x)/Penzig (3x)
Plantago lanceolata L. Penzig (2x)
Arctium lappa L. ALG (2x)
Plantago media L. Penzig (1x)
Verbascum thapsus L. ALP (1x)
HUNDEZUNGE
Plantago lanceolata L. Penzig (7x)
Plantago AIS (4x)
Plantago media L. Penzig (1x)
GÄNSEZUNGE
Plantago ALG (16x)
Plantago lanceolata L. Penzig (1x)
KUCKUCK
Verbascum thapsus L. ALP (2x)
Taraxacum officinale Web. ALEANR (1x)
HL. JOHANNES
Lavandula ALP (10x)/Penzig (3x)
Hypericum perforatum L. ALP (1x)/Penzig (1x)
Verbascum thapsus L. AIS (1x)
Die obige Zuordnung zu den Kategorien ergibt sich aus den Bezeichnungen,
mit denen die einzelnen Pflanzen versehen sind. An erster Stelle steht jeweils
die Pflanze, die am häufigsten mit der entsprechenden Bezeichnung in Verbin-
dung gebracht wird. Die anderen Pflanzen werden nach abnehmender Häufig-
keit der Benennung eingeordnet. Zu beachten ist bezüglich des Aspekts der
Häufigkeit, dass diese als relativ zu betrachten ist und lediglich in der vorliegen-
den Darstellung aus Gründen der Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit des
6.2 Kognitiver Rahmen 178
Sprachmaterials als quasi absolut gesetzt wird. Eine wirklich quantitative Ver-
gleichbarkeit ist bei dem vorliegenden Datenmaterial nur eingeschränkt gege-
ben, da zum einen in den herangezogenen Sprachatlanten die Zahl der Erhe-
bungspunkte nicht unbedingt vergleichbar ist. Zum anderen liegen wiederum
Unterschiede in der Datenlage zwischen Sprachatlanten und konsultierten Wör-
terbüchern vor.
Bei der Zusammenstellung der Kategorisierungen fällt auf, dass bei weitem
nicht alle in Kapitel 4 aufgeführten Bezeichnungen kategoriebildend sind. Zum
einen fungieren nur solche Bezeichnungen als „Kategorietitel“, die diatopisch
markiert sind. Das bedeutet z.B., dass die wissenschaftlichen Bezeichnungen
hier ausgeschlossen sind (dies ja auch aus dem Grund, dass die wissenschaft-
liche Namensgebung auf der Basis der Einmaligkeit der Bezeichnungsvergabe
realisiert wird). Auch die metonymischen Bezeichnungen, die sich in aller Regel
auf ein Merkmal einer bestimmten Pflanze konzentrieren, das sich so bei ande-
ren Pflanzen nicht unbedingt wieder findet, fallen bei der Kategorisierung he-
raus.
Voraussetzung für die vorgestellten Kategorien sind mentale Operationen, die
bestimmte Ähnlichkeiten oder sonstige gemeinsame Merkmale der Pflanzen
hervorheben und zur Grundlage der Gruppenbildung machen. Innerhalb der
einzelnen Kategorien gibt es in der Regel jeweils einen prototypischen Vertre-
ter, der die meisten für die Gruppe relevanten Merkmale in sich vereint und zu-
gleich am häufigsten mit der jeweiligen Bezeichnung und dem dahinter stehen-
den Konzept in Verbindung gebracht wird. In der obigen Aufstellung stehen die
prototypischen Vertreter der einzelnen Kategorien jeweils an erster Stelle.
In den Prototypen kommt unmittelbar die Erfahrung der Sprecher mit der sie
umgebenden Wirklichkeit zum Ausdruck: Die Pflanzen sind einander ähnlich
und weisen zudem überdurchschnittlich häufig Ähnlichkeit mit bestimmten Tier-
organen bzw. -körperteilen auf. Die Erfahrung der Sprecher, die in der Gruppie-
rung sichtbar wird, ist abstrahiert. Dies zeigt sich vor allem darin, dass Pflanzen
gemeinsam in Kategorien eingeordnet werden, die keine vollkommene Ähnlich-
keit untereinander aufweisen.
6.2 Kognitiver Rahmen 179
Besonders deutlich wird dies z.B. in der Kategorie RATTENSCHWANZ, in der so-
wohl diverse Plantago-Arten als auch die Art Verbascum thapsus L. eingeord-
net sind. Sieht man die beiden Pflanzen unmittelbar nebeneinander, so muss
man erkennen, dass es eigentlich zwei grundverschiedene Pflanzen sind:
Die Pflanzen unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer Größe und ihres
Wuchses. Auch die Blatt- und Blütenstandform weist jeweils große Unterschie-
de auf. Dass die Pflanzen dennoch einer gemeinsamen Kategorie zugeordnet
werden, wird dadurch ermöglicht, dass eine Abstraktion bezüglich der Wuchs-
form stattfindet. Die einzelnen Unterschiede werden bei der Einordnung in die
Kategorie vernachlässigt; es geht vielmehr um diejenigen Aspekte der Wuchs-
form, die beide Pflanzen miteinander teilen: insgesamt lang gestreckte Form
und schlanker Stängel. Beide Attribute lassen sich optisch durchaus mit einem
Rattenschwanz in Verbindung bringen, der ebenfalls lang gestreckt und dünn
ist.
6.2.3 Spezifischere Angaben zu einzelnen Frames
Die eingangs beschriebene Einordnung in Frames lässt sich weiter verfeinern.
So stellt ein Frame eine konkrete Gruppenbildung dar, die dadurch gekenn-
zeichnet ist, dass die einzelnen Elemente entweder gemeinsam auftreten, direkt
aufeinander folgen oder logisch aufeinander bezogen sind. Im vorliegenden
Plantago major L. Verbascum thapsus L.
6.2 Kognitiver Rahmen 180
Sprachmaterial zeigt sich eine Organisation der Frames nach dem gemeinsa-
men Auftreten der Elemente. So werden die Pflanzen typischerweise im Ver-
bund gesehen: Beispielsweise fassen die Sprecher in der Romania die Pflan-
zen Verbascum thapsus L., Hypericum perforatum L., Taraxacum officinale
Web. und diverse Plantago- sowie Lavandula-Arten in folgende Frames zu-
sammen: „HEILPFLANZEN“, „WILD WACHSENDE PFLANZEN, DIE GLEICHE
BZW. ÄHNLICHE ÖKOLOGISCHE LEBENSRÄUME BEVÖLKERN“ sowie
„KRAUTIGE PFLANZEN MIT RATTENSCHWANZÄHNLICHER WUCHS-
FORM“. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Frames unterschiedlich rele-
vant für die Namengebung sind. So tritt der Frame „WILD WACHSENDE
PFLANZEN, DIE GLEICHE BZW. ÄHNLICHE ÖKOLOGISCHE LEBENSRÄU-
ME BEVÖLKERN“ gegenüber den anderen beiden eher in den Hintergrund.
Besonders häufig ist jeweils das Zusammenbringen von Pflanzen und bestimm-
ten Tierorganen bzw. Körperteilen. So ergeben sich abgesehen vom Frame
„KRAUTIGE PFLANZEN MIT RATTENSCHWANZÄHNLICHER WUCHSFORM“
folgende Wissenskontexte:
„KRAUTIGE PFLANZEN MIT FUCHSSCHWANZÄHNLICHER WUCHSFORM“
„K. P. MIT ESELSOHRÄHNLICHER BLATTFORM“
„K. P. MIT HUNDEZUNGENÄHNLICHER BLATTFORM“
„K. P. MIT GÄNSEZUNGENÄHNLICHER BLATTFORM“
Abgesehen von den Tierorganen ergeben sich noch weitere Kontexte:
„K. P. MIT BLÜTEZEIT IM FRÜHLING/GELBER BLÜTENFARBE“
„K. P. MIT BLÜTEZEIT ZUR ZEIT DES HL. JOHANNES“
Die Pflanzen, die in die einzelnen Frames eingeordnet werden, sind identisch
mit denjenigen, die in den bereits vorgestellten Prototypen zusammengefasst
sind (vgl. S.176-177). Dies hängt damit zusammen, dass sich Frames und Pro-
totypen gegenseitig ergänzen. Während der Prototyp ein relativ abstraktes
mentales Konstrukt darstellt, ist der Frame die jeweilige Realisierung dessel-
ben. Da Frame und Prototyp so eng miteinander zusammenhängen, wird ver-
ständlich, warum Frames prototypisch organisiert sind. Besonders deutlich wird
6.2 Kognitiver Rahmen 181
dies bei den beiden Frames „KRAUTIGE PFLANZEN MIT RATTEN-
SCHWANZÄHNLICHER WUCHSFORM“ und „K. P. MIT FUCHSSCHWANZ-
ÄHNLICHER WUCHSFORM“. Im ersten Frame sind die Plantago-Arten proto-
typisch gegenüber den anderen Pflanzen (Verbascum, Hypericum, Taraxacum),
da sie viel häufiger mit der Bezeichnung „Rattenschwanz“ in Verbindung ge-
bracht werden als die letztgenannten Pflanzen („Rattenschwanz“: Plantago
4x/Verbascum 1x). Im zweiten Frame ist die Situation genau umgekehrt: Hier ist
die Art Verbascum thapsus L. gegenüber den Plantago-Arten prototypisch. Je
nach Wissenskontext können einzelne Elemente ihre Position wechseln. Der
randständige Vertreter im Frame „K. P. MIT RATTENSCHWANZÄHNLICHER
WUCHSFORM“ wird zum zentralen Element im Frame „K. P. MIT FUCHS-
SCHWANZÄHNLICHER WUCHSFORM“. Dies zeigt die Relativität der Zuord-
nung von einzelnen Elementen im jeweiligen Wissenskontext, auf die im Rah-
men der Besprechung der Prototypen näher einzugehen ist. Diese Relativität
könnte durchaus auch kulturbedingt sein, da davon auszugehen ist, dass
Frames mehr oder weniger stark kulturspezifisch geprägt sind. Im vorliegenden
Fall steht jedoch die Frage nach Kulturspezifität nicht im Vordergrund, da im
gewählten Untersuchungsgebiet der Romania keine starke kulturelle Differen-
zierung beim Themenkomplex der Pflanzen in den einzelnen Sprechergemein-
schaften zu erwarten ist.
Anhand des vorliegenden Sprachmaterials wird unmittelbar deutlich, dass
Frames nach Kontiguitäten organisiert sind. Kontiguität bezeichnet das Phäno-
men, dass Elemente hinsichtlich ihrer Charakteristika eng beieinander liegen.
Aufgrund dieser Charakteristika werden Elemente in ein und denselben Frame
eingeordnet. Im zu untersuchenden Material werden folgende Merkmale der
Pflanzen herausgestellt, zwischen denen Ähnlichkeiten bestehen: Wuchsform,
Blütenstandform und Blattform sowie Blütezeit und Blütenfarbe. Alle diejenigen
Pflanzen, die jeweils einem Frame zugeordnet werden, ähneln sich in mindes-
tens einem dieser Merkmale.
182
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames
Die Annahme von Frames sagt zugleich etwas aus über die Art unserer Wahr-
nehmungsleistung, die sich in der Bildung von Konzepten niederschlägt.
Allgemein lässt sich festhalten, dass die Pflanzen in der Regel „gebündelt“
wahrgenommen werden, indem eine Konzentration auf wiederkehrende, präg-
nante Formen bezüglich z.B. Blatt oder Wuchs gegeben ist. Diese Vorgehens-
weise hängt mit universellen Prinzipien der menschlichen Wahrnehmung und
Informationsverarbeitung zusammen, die sich auch im vorliegenden Sprachma-
terial wieder finden.
Dass also der Fokus auf bestimmte Merkmale der Pflanzen gelegt wird, hat zu-
nächst damit zu tun, dass in der ersten Phase des Wahrnehmungsprozesses
das jeweilige Objekt in Teilaspekte zerlegt wird. Es findet demnach lediglich die
Weiterleitung von einer kleinen Anzahl von Merkmalen nach der Aufnahme über
die Sinnesorgane hin zur Weiterverarbeitung im Gehirn statt.
Im vorliegenden Sprachmaterial lassen die Bezeichnungen erkennen, dass die
Pflanzen nicht in der Gesamtheit ihrer Merkmale zur Konzeptbildung herange-
zogen werden. Es werden einzelne Merkmale aus der Menge herausgegriffen:
z.B. Wuchsform, Blattform, Blütenstandform. Hierbei fällt zum einen auf, dass
sich die Merkmale allein auf das äußere Erscheinungsbild der Pflanzen bezie-
hen. Zum anderen charakterisieren sie überwiegend die Form einzelner Pflan-
zenteile.
Dies geht konform mit denjenigen Annahmen aus dem Bereich der menschli-
chen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, die davon ausgehen, dass
Aspekte wie Linienenden, Krümmung und Schräge, die für die Formenbildung
relevant sind, zuerst wahrgenommen werden.
Bei den gewählten Pflanzen werden folgende Charakteristika einer weiteren
Verarbeitung dem menschlichen Gehirn zugeleitet:
Arctium lappa L. Blattform
Ein Detail, welches durch die Wahrnehmungsmechanismen erfasst wird, ist
die Blattform. Hier liegt das Augenmerk auf dem relativ breiten Blattgrund,
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 183
von dem ausgehend sich die Umgren-
zung des Blattes in einer Spitze ver-
jüngt. Besonders gut kann man an die-
sem Beispiel die Rolle der Krümmung
und Linienenden für die erste Wahr-
nehmungsphase erkennen. Unmittel-
bar aus dem Linienverlauf und dem
Krümmungsverhalten ergibt sich die Assoziation zum Tierorgan ESELSOHR,
welches durch die Bezeichnung aurelo d’azu versprachlicht wird. Auch hier
trifft man auf den am Kopf befindlichen breiten Grund, der sich allmählich in
einer Spitze verjüngt (vgl. Abb., S.171). Zudem sind der Linienverlauf und
das Krümmungsverhalten annähernd identisch mit den beschriebenen Ei-
genschaften der Blattform von Arctium lappa L.
Hypericum perforatum L. Stängelform
Bei der Wahrnehmung dieser Pflanze wird das Augen-
merk auf die Stängelform gelegt. Hierbei steht im Ge-
gensatz zu Arctium lappa L. jedoch nicht das gesamte
äußere Erscheinungsbild im Vordergrund, sondern es
wird ein Element, das die Wuchsform entscheidend be-
stimmt, herauskristallisiert: das Aussehen des Stängels.
Dieser ist lang gestreckt, hat einen runden Querschnitt
und ist relativ schlank. Trennt man optisch die Seiten-
triebe vom Stängel, erkennt man die beschriebene Form, die über die Be-
zeichnung für das Konzept RATTENSCHWANZ kwa de gari versprachlicht wird.
Plantago Blattformen [1] – [3]
Bei zahlreichen Plantago-Arten steht die Blattform besonders im Zentrum
der Wahrnehmung. Hier zeigt sich deutlich die Relevanz der Faktoren Li-
nienenden und Krümmung für die Wahrnehmung: Die Blattform der Arten P.
lanceolata L. und P. media L. werden z.B. mit einer Hundezunge gleichge-
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 184
setzt (Lingua d’can [1]). Hier
ist es die lang gestreckte
Form und die Mündung in
einer Spitze, wodurch diese
Parallele nahe gelegt wird.
Ähnliches gilt für die Gleich-
setzung der Blattform mit
der Gänsezunge (lengo d
auko [2]).
Doch nicht nur die Zunge spielt als beschreibendes Organ für die Blattform
eine bedeutende Rolle: Auch das Ohr, in diesem Fall das des Esels, wird
herangezogen, um die Blätter der Plantago-Arten zu charakterisieren (Aurigi
d’aso [3]). Die Ohrmuscheln des Esels sind auffällig lang gestreckt und
münden in einer Spitze (vgl. Abb., S.171).
Sie sind damit „geeignet“, die Blattform der Plantago-Pflanzen zu beschrei-
ben, die dieselbe Form aufweisen.
Betrachtet man sämtliche Bezeichnungstypen für Plantago-Arten, die die
Blattform hervorheben, in einer Zusammenschau, so zeigt sich, dass die
wahrgenommenen Merkmale nicht dermaßen verallgemeinert werden, dass
scheinbar unabhängig vom Tier und dessen Zungengröße eine Verbindung
zwischen beiden Wissenskontexten hergestellt werden kann. So wird z.B. P.
lanceolata L. mit Bezeichnungen für die Konzepte HUNDEZUNGE und GÄNSE-
ZUNGE versehen. Auch P. media L. trägt eine Bezeichnung für das Konzept
HUNDEZUNGE, jedoch keine für das Konzept GÄNSEZUNGE. Es werden also
gewisse Größenunterschiede sowohl bei den Blättern als auch bei den ent-
sprechenden Tierorganen wahrgenommen und bei der Bezeichnung der
Pflanzen berücksichtigt. Das bedeutet, dass das Konzept GÄNSEZUNGE zwar
mit der schmalen Blattform von P. lanceolata L. konform geht, für die Arten
P. media L. und P. major L. jedoch nicht „passt“. Dazu im Widerspruch steht
die Tatsache, dass für alle drei Arten Bezeichnungen für das Konzept
ESELSOHR gewählt werden (Aurigi d’aso, Orecia d’asàn [P. lanceolata L.];
P. lanceolata L. P. media L.
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 185
Orìe d’aso [P. media L.]; Aurigi d’aso, Orèce d’azen, aurelho d’ase, ...[P.
major L.]). Der Widerspruch lässt sich jedoch aufheben, wenn man sich die
Verteilung der Bezeichnungen für die einzelnen Plantago-Arten genauer an-
schaut. Hierbei fällt auf, dass die Bezeichnungen für das ESELSOHR am häu-
figsten für die Art P. major L. gewählt werden (7 Erwähnungen im vorliegen-
den Sprachmaterial). Auf die Art P. lanceolata L. entfallen zwei Erwähnun-
gen; die Art P. media L. wird nur einmal mit der entsprechenden Bezeich-
nung versehen. Dies zeigt deutlich, dass bei der Wahrnehmung und der da-
rauf aufbauenden Bezeichnungsfindung durchaus auf das Verhältnis der je-
weiligen Blattgröße zum Tierorgan ESELSOHR geachtet wird und nur diejeni-
ge Pflanzenart letztendlich vergleichsweise häufig mit der entsprechenden
Bezeichnung versehen wird, deren Merkmale am besten vom Konzept re-
präsentiert werden.
Plantago Stängelform
Hier konzentriert sich die Wahrnehmung, genau wie
bei Hypericum perforatum L., auf den Stängel als Ele-
ment der Wuchsform. In diesem Fall ist das Wahrneh-
men der entscheidenden Merkmale jedoch bedeutend
einfacher als bei der vorher beschriebenen Pflanze, da
bei den Plantago-Arten die Blätter grundständig in Bo-
dennähe angeordnet sind und damit das Aussehen
des Stängels direkt zugänglich ist. Dadurch, dass der
Stängel so leicht wahrzunehmen ist, sind bei den
Plantago-Arten die Aspekte Linienenden und Krümmung besonders an-
schaulich. Daraus erklärt sich auch die Benennung der Pflanzen mit Be-
zeichnungen für den RATTENSCHWANZ (kue de ratu, la kua de rate, coua de
gari), da dieser eine sehr ähnliche Linienführung und ein entsprechendes
Krümmungsverhalten zeigt (vgl. Abb., S.171). Die lang gestreckte Form des
Stängels tritt als ein weiteres Merkmal in der Wahrnehmung hinzu und findet
sich auch in der Bezeichnung für das Konzept RATTENSCHWANZ wieder.
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 186
Plantago Blütenstandform
Ausgehend vom Stängel spielt ein weiteres Merkmal in der Wahrnehmung
der Plantago-Arten eine große Rolle: der Blütenstand. Anhand dieses
Merkmals lässt sich wiederum die Bedeutung von Krümmung und
Linienenden für die Wahrnehmung erkennen. Der Blütenstand ist geprägt
durch eine walzenartige Form, die sich zu beiden Enden hin in einer Spitze
verjüngt. Durch das elliptische Profil kommt die Rolle der Krümmung
besonders gut zur Geltung. Durch die vielen Einzelblüten, aus denen der
Blütenstand zusammengesetzt ist, ist die Abgrenzung der äußeren Kontur
zur Umgebung eher unscharf und wirkt dadurch insgesamt buschig. Diese
Merkmale werden über die Bezeichnung, mit der die Plantago-Arten
versehen werden, veranschaulicht: Gewählt wurde die Bezeichnung für das
Konzept FUCHSSCHWANZ (la coua de reinard), da dieser ebenfalls im
Wesentlichen durch eine walzenartige Form, eine Spitze und durch ein
buschiges Erscheinungsbild gekennzeichnet ist (vgl. Abb., S.171).
Taraxacum officinale Web. Stängelform
Der Stängel dieser Pflanze ist frei von Blättern und wirkt
damit „nackt“. Dazu ist er lang gestreckt und von rundem
Querschnitt. Auch der Rattenschwanz weist diese
Attribute auf: Er ist nur schwach behaart, lang und
ebenfalls von rundem Querschnitt. Entsprechend ist die
Bezeichnung cola de rata.
Verbascum thapsus L. Blütenstand
Ein weiteres Detail, das bei der Wahrnehmung der
Pflanze eine besondere Rolle spielt, ist die Blütenstand-
form. Auch bei Verbascum thapsus L. ist der Blütenstand
ähnlich wie bei den Plantago-Arten von walzenartiger
Form. Markant sind ebenfalls die Verjüngung zur Spitze
hin sowie die durch die Einzelblüten bedingte „buschige“
Textur des Blütenstandes. Versprachlicht werden diese
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 187
wahrgenommenen Charakteristika auch in diesem Fall über Bezeichnungen
für das Konzept FUCHSSCHWANZ (coua de reinard, couio de renard, couo de
renard). Hinzu kommt ein weiteres Konzept, das ähnliche Merkmale
aufweist wie der beschriebene Fuchsschwanz: Es handelt sich um den
WOLFSSCHWANZ, der ebenfalls zur Bezeichnung der Pflanze herangezogen
wird (la ko de lup, gordolobo).
Verbascum thapsus L. Wuchsform
Für die Art Verbascum thapsus L. stehen bezüglich der Wahrnehmung der
Wuchsform die unter Arctium lappa L. Blattform (S.183) und Hypericum
perforatum L. Stängelform (S.183) beschriebenen Merkmale im Vorder-
grund, die in diesem Fall zu folgenden Bezeichnungen führen: Konzept RAT-
TENSCHWANZ la kuyo de ra; Konzept ESELSCHWANZ la kwo d’aze.
Verbascum thapsus L. Blattform
Bei Verbascum thapsus L. trifft man bezüglich des Wahrnehmungsmusters
hinsichtlich der Blattform die gleichen Verhältnisse wie bei Arctium lappa L.
(vgl. S.183) und den einzelnen Plantago-Arten (vgl. [1]-[3], S.184-186). So
wird verständlich, dass auch zur Bezeichnung von Verbascum thapsus L.
auf das Konzept ESELSOHR zurückgegriffen wird: aurelho d’ase.
Bei der Gestaltung der Frames spielt ein weiteres Grundprinzip der menschli-
chen Wahrnehmung eine bedeutende Rolle: Innerhalb der Wahrnehmung wird
stets versucht, Ähnlichkeiten zu sehen. Auch bei der Wahrnehmung der Pflan-
zen wird auf einzelne Aspekte abgehoben, die einen hohen Ähnlichkeitsgrad
aufweisen: Wuchs- und Blattform sowie Form des Blütenstandes.
Bei der Wuchsform wird eine Ähnlichkeit gesehen zwischen den Arten Verbas-
cum thapsus L., Hypericum perforatum L., Taraxacum officinale Web. sowie
verschiedenen Plantago-Arten. Allen Pflanzen gemeinsam ist die lang gestreck-
te Wuchsform. Hinzu kommt der in der Regel sehr dünne Stängel, der beson-
ders bei Taraxacum und Plantago keine Verästelungen ausbildet und damit gut
wahrzunehmen ist. Alle zuvor genannten Pflanzen werden als einer Gruppe zu-
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 188
gehörig wahrgenommen und unter der Bezeichnung „Rattenschwanz“ abge-
speichert. Zusätzlich wird die besondere Ähnlichkeit der Wuchsform von
Verbascum thapsus L. mit dem Eselschwanz hervorgehoben, und die Pflanze
wird unter der entsprechenden Bezeichnung gespeichert. Es erscheint auf den
ersten Blick widersprüchlich, dass die Art Verbascum thapsus L. Ähnlichkeiten
sowohl mit einem Ratten- als auch mit einem Eselschwanz aufweist, da sich die
beiden Tierorgane in Form, Größe und generellem Aussehen viel zu sehr von-
einander unterscheiden. Jedoch kann die Zuordnung gerechtfertigt werden,
wenn man berücksichtigt, dass wiederum verschiedene Aspekte der Wuchs-
form eine Rolle bei der Wahrnehmung der Pflanzen gespielt haben: Das Wahr-
nehmungsmuster RATTENSCHWANZ bezieht sich auf die schlanke lang gestreck-
te Stängelform, während das Muster ESELSCHWANZ zusätzlich den ausgepräg-
ten Blätterwuchs am Stängel der Pflanze mitberücksichtigt. Durch die Blätter
bekommt die Pflanze einen größeren Querschnitt, was im Bild ESELSCHWANZ
unmittelbar zum Ausdruck kommt, da das zugrunde liegende Körperorgan im
Vergleich zum Rattenschwanz einen ebenfalls größeren Querschnitt hat.
Bei den Plantago-Arten und der Art Verbascum thapsus L. wird eine Ähnlichkeit
bezüglich der Form des Blütenstandes gesehen. Beide Pflanzengruppen wer-
den unter Bezeichnungen für das Konzept FUCHSSCHWANZ gespeichert. Die
Ähnlichkeit bei der Wahrnehmung bezieht sich zum einen auf die lang gestreck-
te Form der Blütenstände. Zum anderen tritt der im Vergleich zum Stängel brei-
tere Umfang in den Vordergrund. Durch die zahlreichen Einzelblüten, aus de-
nen der Blütenstand jeweils zusammengesetzt ist, ergibt sich eine eher un-
scharfe Umgrenzung; ferner laufen die Blütenstände in einer Spitze aus. Die
vorgestellten Merkmale sind zwar bei den einzelnen Pflanzen unterschiedlich
ausgeprägt, jedoch besteht eine prinzipielle Ähnlichkeit, die zur Zusammenfas-
sung der Pflanzen führt.
Ein weiteres Merkmal wird bei der Wahrnehmung der Pflanzen besonders her-
vorgehoben: die Blattform. Diese bildet für sich jeweils eine „gute Gestalt“, in-
dem sie sowohl in sich geschlossen ist, als auch eine in den meisten Fällen klar
begrenzte Form hat (Blank 2001, 40): Die Blattform der Arten Verbascum
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 189
thapsus L., Arctium lappa L., Plantago lanceolata L., P. media L. und P. major
L. werden alle mit dem Tierorgan ESELSOHR in Verbindung gebracht. Letzteres
ist gekennzeichnet durch eine im Verhältnis zur Spitze breitere Basis und eine
annähernd elliptische Form. Diese Merkmale sind auch für die Blattform der
oben genannten Pflanzen charakteristisch, jedoch in unterschiedlich ausge-
prägter Weise. So unterscheiden sich beispielsweise die Blätter von Arctium
lappa L., Verbascum thapsus L. und die von Plantago lanceolata L. bedeutend
in ihrer Breite voneinander. Doch dieser auffällige Unterschied wird vernachläs-
sigt, wenn es darum geht, Pflanzen wahrzunehmen und im Gedächtnisspeicher
abzulegen. Für diese Prozesse wird abstrahiert, es wird nach Prinzipien ge-
sucht, die bei den betreffenden Pflanzen relevant sind. Im vorliegenden Fall
geht es um den elliptischen Formverlauf, der in einer Spitze mündet. Ähnlich
sieht es aus bei der Wahrnehmung der Pflanzen Plantago lanceolata L. und P.
media L., die beide mit Bezeichnungen für das Konzept HUNDEZUNGE versehen
werden. Hier kommt es im Wesentlichen auf die lang gestreckte Form der Blät-
ter an sowie darauf, dass sie in einer Spitze auslaufen. Die Tatsache, dass zwi-
schen der Blattbreite und -länge der beiden genannten Arten ebenfalls Unter-
schiede bestehen, spielt auch hier für die Wahrnehmung der Pflanzen und de-
ren Integration in Gedächtnisinhalte keine Rolle.
Ein weiteres für die menschliche Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
wesentliches Prinzip ist das des Kontrastes. Dieses lässt sich unmittelbar am
vorliegenden Sprachmaterial feststellen: So wird das Konzept RATTENSCHWANZ
neunmal so häufig mit Plantago-Arten wie mit der Art Verbascum thapsus L. in
Verbindung gebracht (kue de ratu [1x], la kua de rate [1x], coua de gari [2x],
kudoe d arat [4x], kuoi de rat [1x] [Plantago]; la kuyo de ra [1x] [Verbascum]).
Andererseits wird das Konzept FUCHSSCHWANZ nur einmal mit den Plantago-
Arten in Verbindung gebracht (la coua de reinard), jedoch fünfmal mit der Art
Verbascum thapsus L. (coua de reinard [2x], couio de renard [2x], couo de
renard [1x]). Hier kommt der Kontrast dick – dünn über unterschiedlich geformte
Tierorgane zum Ausdruck. Die Plantago-Arten zeichnen sich durch einen sehr
dünnen Stängel aus, der gut mit dem ebenfalls dünnen Rattenschwanz in Ver-
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 190
bindung gebracht werden kann. Die Pflanze Verbascum thapsus L. dagegen
erscheint durch ihren mit Blättern versehenen Stängel breiter im Wuchs als die
Plantago-Arten, weshalb sich das Konzept RATTENSCHWANZ nicht so gut auf die
Pflanze übertragen lässt. Hier kommt eher der dickere Fuchsschwanz in Frage,
der mit dem dickeren Wuchs der Verbascum-Art besser übereinstimmt. Man er-
kennt deutlich, wie der Kontrast zur Abgrenzung ähnlicher Figuren bei der
Wahrnehmung herangezogen wird. Der Gegensatz dick – dünn kommt auch in
der Wahl der Tierorgane für die Metaphern zur Bezeichnung der Pflanzen zum
Ausdruck. Mit Bedacht, so scheint es, wurden Organe gewählt, die sich gravie-
rend gerade in ihrer Dicke und auch sonstigen äußeren Erscheinung voneinan-
der unterscheiden. Der Fuchsschwanz weist einen viel größeren Umfang auf
als der Rattenschwanz. Darüber hinaus ist der Fuchsschwanz dicht behaart und
weist dadurch eine relativ unscharfe Umgrenzung auf. Demgegenüber ist der
Rattenschwanz nur wenig behaart (Corbet/Ovenden 1982, 56) und wirkt da-
durch schärfer von der Umgebung abgegrenzt. Diese gegensätzlichen Merkma-
le sind entsprechend kennzeichnend für die oben genannten Pflanzen.
Hier soll noch kurz auf den angesprochenen Aspekt der (un)scharfen Umgren-
zung eingegangen werden. Bei den Plantago-Arten sind die Blätter in einer Ro-
sette dicht über dem Boden angeordnet. Der Stängel ist frei von Blättern und
ragt aus der Rosette empor. Die Art Verbascum thapsus L. hingegen ist an ih-
rem gesamten Stängel mit Blättern besetzt. Daraus folgt, dass sich bei den
Plantago-Arten der Stängel optisch viel schärfer von der Umgebung abhebt als
bei Verbascum thapsus L. Dies rechtfertigt die Differenzierung über die Be-
zeichnungswahl, indem der ersten Gruppe eher die Bezeichnungen für das
Konzept RATTENSCHWANZ zugewiesen werden und die Verbascum-Art eher mit
den Bezeichnungen für das Konzept FUCHSSCHWANZ versehen wird. Der be-
schriebene Gegensatz der Pflanzen ist hilfreich für die Speicherung ihrer Kon-
zepte.
Auch bei der Blattform der zu untersuchenden Pflanzen ist das Prinzip des Kon-
trastes wirksam. Die Bezeichnungen für die Konzepte GÄNSEZUNGE und HUNDE-
ZUNGE finden nur Verwendung bei Plantago lanceolata L. (Lengua de can,
6.3 Rolle der Wahrnehmung für die Bildung von Frames 191
Lingua d’can, Lengua ed can, Leingua ad can; Leingua d’oca) und Plantago
media L. (Lengua ed can), aber nicht bei P. major L. Auch zwischen P.
lanceolata L. und P. media L. wird hinsichtlich der Bezeichnungen unterschie-
den, indem die Bezeichnung für das Konzept GÄNSEZUNGE nur für Plantago
lanceolata L. gewählt wird, nicht aber für P. media L. Hier geht es um den Kon-
trast breit – schmal. Die eher schmalen Blattformen von P. lanceolata L. und P.
media L. entsprechen eher der ebenfalls schmaleren Hunde- bzw. Gänsezun-
ge. Gleiches gilt für die begriffliche Unterscheidung von P. lanceolata L. und P.
media L., wo die etwas breitere Blattform der letztgenannten Art nicht mit dem
Konzept GÄNSEZUNGE zusammengebracht werden kann. Auch hier wird be-
wusst zwischen den einzelnen Blattformen differenziert, indem verschieden
breite Tierorgane zur Bezeichnung der Pflanzen herangezogen werden.
Wurde bisher von der Wahrnehmung von Formen als zentralem Gestaltungs-
prinzip für Frames gesprochen, so muss auch die Rolle der Wahrnehmung von
bestimmten Eigenschaften der Pflanzen und ihrer Teile ausgeführt werden.
Ein Aspekt, der wahrgenommen wird, betrifft die Blütezeit einzelner Pflanzen.
So wird bei den Arten Hypericum perforatum L. und Verbascum thapsus L. so-
wie bei diversen Lavandula-Arten die Blüte um den Tag des Hl. Johannes als
Bezeichnungsgrundlage genommen (erba San Giovanni, flour de sant Jan, sant
Jan, fyor de san goan).
Auch die Blütenfarbe ist ein leicht wahrzunehmendes Merkmal einzelner Pflan-
zen. Im vorliegenden Sprachmaterial wird die gelbe Blütenfarbe der Arten
Taraxacum officinale Web. und Verbascum thapsus L. hervorgehoben. Als Be-
zeichnungsgrundlage wird das Konzept KUCKUCK genommen, da früher ange-
nommen wurde, der Kuckuck habe gelbes Gefieder (kukulo, couguiéu).
192
6.4 Rolle des enzyklopädischen Wissens
Wie im vorigen Abschnitt gezeigt werden konnte, wird die Struktur von Frames
ganz entscheidend von Wahrnehmungsprozessen geprägt, die es aufgrund von
festgestellten Ähnlichkeiten ermöglichen, Pflanzen zu bestimmten Frames zu-
sammenzuführen. Hierbei sind zum einen diejenigen Ähnlichkeiten von Bedeu-
tung, die sich direkt auf die Pflanzen an sich beziehen. Zum anderen spielen
überdurchschnittlich häufig diejenigen Ähnlichkeiten hinein, die sich zwischen
Pflanze und Tier bieten. Um diese Parallelen erkennen zu können, ist einerseits
genaue Beobachtung erforderlich, um die Merkmale der Pflanzen gut miteinan-
der vergleichen zu können. Andererseits ist enzyklopädisches Wissen notwen-
dig, um genügend Anhaltspunkte für das Aussehen der Tiere und ihrer relevan-
ten Organe zu haben. Erst auf der Grundlage dieser Anhaltspunkte können Pa-
rallelen zwischen Pflanze und Tier herausgestellt werden. Beruhen die Ähnlich-
keiten der Pflanzen nicht allein auf äußerlichen Merkmalen, so ist auch für die-
sen Bereich enzyklopädisches Wissen Voraussetzung, so dass z.B. Fakten be-
züglich Verwendung, Standort oder Blütezeit der betreffenden Pflanzen heran-
gezogen werden können, um sie in Frames einordnen zu können.
Die beschriebenen Wahrnehmungsprozesse in Verbindung mit dem relevanten
enzyklopädischen Wissen sorgen so dafür, dass ein und dieselbe Pflanze ver-
schiedenen Frames zugeordnet wird. Folgende Einordnungen der Pflanzen in
Frames ergibt sich aus dem vorliegenden Sprachmaterial:
Pflanzen Frames
Arctium lappa L. - „KRAUTIGE PFLANZEN MIT ESELSOHRÄHNLICHER
BLATTFORM“
Hypericum perfo-
ratum L.
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT RATTENSCHWANZ-
ÄHNLICHEM WUCHS“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT BLÜTEZEIT UM DEN
TAG DES HL. JOHANNES“
Lavandula - „KRAUTIGE PFLANZEN MIT BLÜTEZEIT UM DEN
6.4 Rolle des enzyklopädischen Wissens 193
TAG DES HL. JOHANNES“
Plantago - „KRAUTIGE PFLANZEN MIT RATTENSCHWANZ-
ÄHNLICHEM WUCHS“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT FUCHSSCHWANZ-
ÄHNLICHEM BLÜTENSTAND“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT GÄNSEZUNGEN-
ÄHNLICHER BLATTFORM“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT HIRSCHHORN-
ÄHNLICHER BLATTFORM“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT HUNDEZUNGEN-
ÄHNLICHER BLATTFORM“
P. lanceolata L. - „KRAUTIGE PFLANZEN MIT ESELSOHRÄHNLICHER
BLATTFORM“
- „ KRAUTIGE PFLANZEN MIT HUNDEZUNGEN-
ÄHNLICHER BLATTFORM“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT GÄNSEZUNGEN-
ÄHNLICHER BLATTFORM“
P. media L. - „KRAUTIGE PFLANZEN MIT ESELSOHRÄHNLICHER
BLATTFORM“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT HUNDEZUNGEN-
ÄHNLICHER BLATTFORM“
Taraxacum
officinale Web.
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT RATTENSCHWANZ-
ÄHNLICHEM WUCHS“
Verbascum thap-
sus L.
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT RATTENSCHWANZ-
ÄHNLICHEM WUCHS“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT FUCHSSCHWANZ-
ÄHNLICHEM BLÜTENSTAND“
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT ESELSOHRÄHNLICHER
BLATTFORM“
6.4 Rolle des enzyklopädischen Wissens 194
- „KRAUTIGE PFLANZEN MIT BLÜTEZEIT UM DEN
TAG DES HL. JOHANNES“
Diese jeweiligen Mehrfach-Zuordnungen bedeuten zunächst, dass die Pflanzen
unter verschiedenen Gesichtspunkten wahrgenommen werden. Um die Pflan-
zen so vielfältig in diverse Wissenskontexte integrieren zu können, ist ein aus-
geprägtes enzyklopädisches Wissen erforderlich, das zum einen die mannigfa-
chen Verbindungen zur Tierwelt herausstellen kann und das zum anderen dazu
beiträgt, Querverbindungen zur Religion herzustellen. Nahezu jede der aufge-
führten Pflanzen wird sowohl bezüglich der Wuchsform als auch bezüglich der
Blattform in Frames eingeordnet. Darüber hinaus spielt auch die Form des Blü-
tenstandes eine Rolle (wie bei Plantago und Verbascum thapsus L.) sowie die
Blütezeit (wie bei Hypericum perforatum L., Lavandula und Verbascum thapsus
L.). Besonders die Blattform wird mit verschiedenartigen Tierorganen in Verbin-
dung gebracht: Eselsohr, Gänse- sowie Hundezunge und Hirschhorn. Das dafür
notwendige enzyklopädische Wissen bezieht sich auf die jeweiligen äußeren
Merkmale der Organe (lang gestreckt, breitere Basis, in Spitze auslaufend, rela-
tiv schmal). Neben dem Aussehen ist auch die Position der Organe von Bedeu-
tung, z.B. im Fall der Übertragung vom Eselsohr auf die Blattform, wo ein we-
sentlicher Aspekt darin liegt, dass das Tierorgan ebenso von einer Achse ab-
steht wie die Blätter beiderseits des Stängels sitzen. Hinzu kommt im Rahmen
des enzyklopädischen Wissens die Fähigkeit, innerhalb der einzelnen Wissens-
bereiche abstrahieren zu können, so dass Einzelheiten zugunsten prinzipieller
Tendenzen aufgegeben werden können. Daher ist es z.B. möglich, in den
Frame „KRAUTIGE PFLANZEN MIT ESELSOHRÄHNLICHER BLATTFORM“
Pflanzen mit so unterschiedlicher Blattform wie Arctium lappa L. und Plantago
lanceolata L. einzuordnen. Vergleicht man die beiden Blattformen miteinander,
so unterscheiden sie sich sowohl hinsichtlich ihrer Länge als auch hinsichtlich
ihrer Breite. Auch der Linienverlauf der Blätter ist bei den Pflanzen nicht iden-
tisch: Bei Arctium lappa L. ist ein breiterer Blattgrund gegeben, bei Plantago
lanceolata L. hingegen verbreitern sich die Blätter jeweils allmählich vom Blatt-
stiel ausgehend. Dies bedeutet, dass zur Einordnung von Arctium lappa L. und
6.4 Rolle des enzyklopädischen Wissens 195
Plantago lanceolata L. in ein und denselben Frame die feststellbaren Unter-
schiede zugunsten allgemeiner Tendenzen (lang gestreckte, annähernd ellipti-
sche Form, Vorhandensein einer Blattspitze) keine weitere Rolle spielen. Der
Einfluss des enzyklopädischen Wissens ist auch daran zu erkennen, dass die
Pflanzen scheinbar nach einer bestimmten Systematik mit Tierorganen in Ver-
bindung gebracht werden. So fällt auf, dass die Wuchs- und Blütenstands-
formen jeweils mit dem Organ „Schwanz“ verknüpft werden; für die Blattformen
werden hingegen die Körperteile „Ohr“ und „Zunge“ sowie „Geweih“ gewählt.
Das bedeutet, dass eine gezielte Verknüpfung der Pflanzenteile mit den Tieror-
ganen stattfindet, die auf optischen Parallelen hinsichtlich der Form beruht. In
diesem Zusammenhang fällt auf, dass besonders markante Organe gewählt
werden, die sich durch ihre Salienz auszeichnen, da sie sich vom gesamten
Körper durch ihre besondere Position abheben (die Ohren seitlich am Kopf, der
Schwanz als Verlängerung der Wirbelsäule, die Zunge zentral im Maul bzw.
Schnabel der entsprechenden Tiere und das Hirschgeweih oben auf dem Kopf)
und somit leicht wahrnehmbar sind. Daraus ergibt sich, dass für die Zuordnung
der Pflanzen in Frames nicht nur die Relation Form Pflanzenteil – Form Tieror-
gan relevant ist. Auch die Position des betreffenden Pflanzenteils im Gesamter-
scheinungsbild der Pflanze und die Position des jeweiligen Tierorgans hängen
wesentlich miteinander zusammen. So befinden sich bei Arctium lappa L. und
Verbascum thapsus L. die Blätter seitlich am Stängel in einander gegenüberlie-
gender Position. Das gleiche Bild ergibt sich bei den Eselsohren, die ebenfalls
in seitlicher Position am Kopf erscheinen, wodurch die Verbindung der Pflanzen
mit diesem Konzept nachvollziehbar ist. Ähnlich sieht es bei denjenigen Be-
zeichnungen der Pflanzen aus, die die Wuchsform mit dem Tierorgan
„Schwanz“ verknüpfen. Bei Verbascum thapsus L., Taraxacum officinale Web.
sowie diversen Plantago-Arten bildet der Stängel die direkte Fortsetzung des
unterirdischen Wurzelbereiches, ähnlich wie der Schwanz die Fortsetzung der
Wirbelsäule bei den Tieren darstellt.
Bei der Einordnung der Pflanzen in bestimmte Frames spielt neben dem Wis-
sen über die markanten Eigenschaften bestimmter Tierorgane auch das Wissen
196
über spezielle Aspekte im religiösen Kontext eine Rolle. Dies betrifft im Wesent-
lichen den Frame „KRAUTIGE PFLANZEN MIT BLÜTEZEIT UM DEN TAG
DES HL. JOHANNES“, in dem die Arten Hypericum perforatum L., Verbascum
thapsus L. sowie diverse Lavandula-Arten eingeordnet sind. In diesem Bereich
bezieht sich das notwendige enzyklopädische Wissen zunächst auf die Blüte-
zeit der jeweiligen Pflanzen und die daraus gewonnene Erkenntnis, dass sie
nahezu zur selben Zeit blühen. Darüber hinaus beinhaltet das enzyklopädische
Wissen notwendige Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen bestimm-
ten Tagen im Jahr und den entsprechenden Heiligen. Hinzu kommt, dass je-
weils die Bedeutung der Heiligen im Leben der Sprecher mit in das enzyklopä-
dische Wissen einfließt. Im Fall des Hl. Johannes ist beispielsweise bekannt,
dass er als Schutzpatron der Lämmer und Hirten gilt. Interessant in diesem Zu-
sammenhang ist, dass die Pflanzen, die nach ihm benannt werden, auf Wiesen
und an Wegrändern wachsen (Ausnahme: Lavandula-Arten), also an Stellen,
an denen durchaus Hirten mit ihren Herden entlangziehen und so die Pflanzen
und ihre Blüte bemerken.
6.5 Relation Frames – Taxonomie
Die Struktur der Frames sagt nicht nur etwas aus über die Wahrnehmungspro-
zesse der Sprecher, sondern steht auch unmittelbar im Zusammenhang mit ih-
ren Kategorisierungsverfahren. Im Folgenden geht es um die Unterschiede zwi-
schen der wissenschaftlichen Taxonomie und den so genannten „folk
categories“. Während die wissenschaftliche Taxonomie auf spezifischen biolo-
gischen Merkmalen der Pflanzen beruht und z.B. die Anzahl der Blütenblätter
oder die Form und Anordnung der Staubblätter für die Kategorisierung der
Pflanzen he-ran zieht, erfolgt die Bildung der „folk categories“ durch Berücksich-
tigung äußerlich gut wahrnehmbarer Merkmale (Blattform, Wuchs, Form des
Blütenstandes, Blütenfarbe, Blütezeit). Diese unterschiedliche Herangehens-
weise an das Pro-blem der Kategorisierung hängt von den unterschiedlichen
6.5 Relation Frames – Taxonomie 197
Voraussetzungen ab: Während die Wissenschaftler für eine eindeutige, präzise
Kommunikation über die Pflanzen auf eine möglichst exakte Systematisierung
und damit verbundene Bezeichnung derselben angewiesen sind und deshalb
sehr viele Details der Pflanzen für die Hierarchisierung heranziehen, sind diese
speziellen Merkmale für den alltäglichen Umgang mit den Pflanzen unbrauch-
bar, da sie zu komplex sind. Es stellt sich vielmehr die Frage, welche Merkmale
der Pflanzen für die Sprecher im Alltag wesentlich sind.
Bezüglich der für die Frames relevanten Punkte ist festzustellen, dass mehrheit-
lich Landwirte (cultivateurs) befragt worden sind. Diese begegnen bei Feldarbei-
ten sicherlich der einen oder anderen hier vorgestellten Pflanze, jedoch stehen
für sie besondere biologische oder morphologische Merkmale der Pflanzen
nicht so im Vordergrund wie für den Wissenschaftler.
Im Alltag der Sprecher spielt für den Umgang mit den Pflanzen die unmittelbare
Anschauung eine dominierende Rolle. Hinzu kommen die Aspekte Verwendung
und Standort der Pflanzen. Der Aspekt der Verwendung spielt insofern eine
Rolle, als dass die Pflanzen nach ihrem Nutzen als Heilpflanzen zusammenge-
fasst werden. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass manche Pflanzen sogar
bezüglich ihrer spezifischen Wirkweise zusammen in Frames eingeordnet wer-
den. Die Pflanzen Arctium lappa L. und Plantago lanceolata L. haben beide ei-
ne blutreinigende Wirkung und helfen bei der Wundheilung. Sie erscheinen ge-
meinsam in der Kategorie „KRAUTIGE PFLANZEN MIT ESELSOHRÄHNLI-
CHER BLATTFORM“. Das gleiche gilt für die bereits erwähnte Plantago-Art und
die Art Verbascum thapsus L.: Beide Pflanzen finden Verwendung als Husten-
mittel und werden ebenfalls in der Kategorie „KRAUTIGE PFLANZEN MIT
ESELSOHRÄHNLICHER BLATTFORM“ zusammengefasst. Taraxacum
officinale Web. und Hypericum perforatum L. fördern durch ihre Inhaltsstoffe
beide die Gallensekretion und wirken heilend bei diversen Gallenkrankheiten;
sie werden zusammengefasst im Frame „KRAUTIGE PFLANZEN MIT RAT-
TENSCHWANZÄHNLICHEM WUCHS“.
Der Aspekt des Standortes ist dahingehend von Bedeutung, dass die betreffen-
den Pflanzen, die in gemeinsame Frames eingeordnet werden, auch einen
6.5 Relation Frames – Taxonomie 198
identischen Standort bevorzugen. So versammeln sich beispielsweise im Frame
„KRAUTIGE PFLANZEN MIT FUCHSSCHWANZÄHNLICHER WUCHSFORM“
diverse Plantago-Arten und die Art Verbascum thapsus L. Charakteristische
Standorte für beide Arten sind Wiesen und Wegränder. Das bedeutet, dass die
Wahrscheinlichkeit, die beiden Pflanzenarten gemeinsam zu sehen, an diesen
Orten relativ hoch ist. Daraus ergibt sich die Möglichkeit für den Betrachter, die
Pflanzen direkt zu vergleichen und auf gemeinsame Details zu achten, die die
Grundlage für eine Eingliederung in einen identischen Frame darstellen. Die
gleiche Ausgangslage findet sich so auch beim Frame „KRAUTIGE PFLANZEN
MIT ESELSOHRÄHNLICHER BLATTFORM“. Zum einen treten die hier enthal-
tenen Arten Plantago major L., P. lanceolata L. und P. media L. meistens ver-
gesellschaftet auf und können daher gemeinsam wahrgenommen werden. Zu-
sammen mit den weiteren enthaltenen Arten Arctium lappa L. und Verbascum
thapsus L. teilen sie sich zusätzlich den Standort der Wegränder, so dass auch
ein Vergleich mit diesen Pflanzen stattfinden kann und eine entsprechende
Frame-Bildung ermöglicht wird.
Im Zusammenhang mit der Kategorisierung stellt sich die Frage nach der
sprachspezifischen Gliederung der Pflanzen. Da das Sprachmaterial aus drei
verschiedenen Sprachräumen gesammelt wurde, ist es interessant festzustel-
len, inwieweit Überschneidungen bei den Sprachgemeinschaften festzustellen
sind. Der Befund aus dem spanischsprachigen Gebiet des ALEANR liefert nur
zwei Angaben für Taraxacum officinale Web. (cola de rata, kukulo), die für die
folgende Darstellung der Kategorisierung der Pflanzen innerhalb eines Sprach-
raumes eine untergeordnete Rolle spielen. Bezüglich der französischen und ita-
lienischen Sprachräume lassen sich Unterschiede hinsichtlich der Kategorisie-
rungsverfahren feststellen. Im provenzalischen und gaskognischen Sprachge-
biet ergeben sich folgende Kategorisierungen:
„KRAUTIGE PFLANZEN MIT RATTENSCHWANZÄHNLICHER WUCHS-
FORM“
(Hypericum perforatum L./Plantago/Verbascum thapsus L.)
6.5 Relation Frames – Taxonomie 199
„K. P. MIT FUCHSSCHWANZÄHNLICHER WUCHSFORM“
(Plantago/Verbascum thapsus L.)
„K. P. MIT ESELSOHRÄHNLICHER BLATTFORM“
(Arctium lappa L./Plantago major L./Verbascum thapsus L.)
„K. P. MIT BLÜTEZEIT ZUR ZEIT DES HL. JOHANNES“
(Hypericum perforatum L./Lavandula)
Im italienischen Sprachraum ergeben sich dagegen folgende Gruppierungen:
„KRAUTIGE PFLANZEN MIT ESELSOHRÄHNLICHER BLATTFORM“
(Plantago lanceolata L./P. media L.)
„K. P. MIT HUNDEZUNGENÄHNLICHER BLATTFORM“
(P. lanceolata L./P. media L.)
„K. P. MIT BLÜTEZEIT ZUR ZEIT DES HL. JOHANNES“
(Hypericum perforatum L./Lavandula/Verbascum thapsus L.)
Es fällt unmittelbar auf, dass die Sprachgemeinschaften überwiegend in ver-
schiedener Weise die Pflanzen kategorisieren. Zudem ist nur im Frame
„KRAUTIGE PFLANZEN MIT BLÜTEZEIT ZUR ZEIT DES HL. JOHANNES“ ei-
ne Überschneidung (die Arten Hypericum perforatum L. und Lavandula betref-
fend) zu erkennen. Dies ist insofern erstaunlich, als dass davon ausgegangen
wird, dass die Romania ein übergreifend zusammenhängender Kulturraum ist,
in dem es besonders auf dem Gebiet der Pflanzen keine wesentlichen kulturel-
len Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachräumen zu geben scheint
(Blank 1997, 84). Besonders auffallend ist die Tatsache, dass das Konzept
ESELSOHR im provenzalischen und gaskognischen Sprachgebiet zur Bezeich-
nung ganz anderer Pflanzen verwendet wird als im italienischen Sprachgebiet.
Des Weiteren ist zu erkennen, dass im provenzalischen und gaskognischen
Gebiet eine größere Zahl von Pflanzenarten mit Tierbezeichnungen versehen
wird als dies im italienischen Gebiet der Fall ist. Auch die für die Bezeichnungen
in Frage kommenden Tierorgane bzw. -körperteile sind zahlreicher. Wenn für
6.5 Relation Frames – Taxonomie 200
diese Differenzen keine kulturellen Gründe verantwortlich gemacht werden
können, müssen andere Motivationen aufgedeckt werden.
Ein möglicher Grund ist darin zu sehen, dass die Vegetation im provenzalischen
und gaskognischen Sprachraum vielfältiger ist als im italienischen, speziell im
norditalienischen Gebiet. Es fällt auf, dass im italienischen Sprachraum über-
wiegend Plantago-Arten kategorisiert werden, die nahezu überall vorkommen
und nicht in dem Maße an bestimmte Vegetationsräume gebunden sind wie
beispielsweise die Lavendel-Arten, die das wärmere Mittelmeerraum-Klima be-
vorzugen. Eine Rolle spielen könnte darüber hinaus die unterschiedliche Häu-
figkeit der medizinischen Verwendung einzelner Pflanzen. Es wäre denkbar,
dass bestimmte Pflanzen im provenzalischen und gaskognischen Sprachraum
eher medizinisch genutzt werden als im gewählten italienischen Gebiet. So wird
die Klette beispielsweise in Frankreich u.a. zur Senkung des Blutzuckerspiegels
genutzt; vielleicht ist die weite medizinische Anwendung der Pflanze in Italien
nicht bekannt oder nicht von Bedeutung und daher eine besondere begriffliche
Hervorhebung der Pflanze nicht erforderlich.
Ein anderes Bild ergibt sich für den Frame „KRAUTIGE PFLANZEN MIT BLÜ-
TEZEIT ZUR ZEIT DES HL. JOHANNES“: Dieser findet sich sowohl im proven-
zalischen und gaskognischen Sprachraum als auch im italienischen Gebiet. Da-
raus lässt sich ableiten, dass der religiöse Kontext, in den der Frame eingebet-
tet ist, sprachraumübergreifend wirkt. Demgegenüber sind Frames, die sich
ausschließlich auf Aspekten der Wahrnehmung gründen, nicht sprachraum-
übergreifend. So ist beispielsweise der Frame „KRAUTIGE PFLANZEN MIT
FUCHSSCHWANZÄHNLICHER WUCHSFORM“ im italienischen Gebiet für das
gesammelte Material nicht belegt. Auch der Eselschwanz wird im untersuchten
italienischen Sprachgebiet im vorliegenden Material nicht zur Bezeichnung von
Pflanzen benutzt.
Ein Vergleich der Bezeichnungen an den einzelnen Abfragepunkten zeigt nur in
zwei Fällen, dass Pflanzen von den Sprechern nicht unterschieden werden,
obwohl sie gemäß der wissenschaftlichen Taxonomie zwei verschiedene Arten
bilden. Dieses Phänomen kann man an folgenden Orten beobachten: Penzig
6.5 Relation Frames – Taxonomie 201
führt die Bezeichnung Lengua ed can für den Ort Reggio auf, wo sie sowohl die
Art Plantago lanceolata L. als auch die Art P.media L. bezeichnet (Penzig Bd.1,
361, 362). Darüber hinaus wird die Bezeichnung Orìe d’aso an einem Ort, in
Mondovi, ebenfalls für zwei Plantago-Arten identisch verwendet (P. major L.
und P. media L.) (Penzig Bd.1, 361, 362). Dies bedeutet, dass an den genann-
ten Orten die betreffenden Arten nicht unterschieden werden. Hier erhält man
einen konkreten Beleg für die Bildung der so genannten „folk categories“, die
sich von den wissenschaftlichen Kategorien unterscheiden, indem sie Arten zu-
sammenfassen, die von der wissenschaftlichen Taxonomie getrennt werden.
Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Taxonomie zeigen die „folk categories“
eine starke Variabilität. In der wissenschaftlichen Taxonomie hat jede einzelne
Pflanze ihren festen Platz innerhalb des Hierarchiesystems. Bei den „folk
categories“ wird ein und dieselbe Pflanze häufig mehreren Kategorien zugeord-
net. Besonders auffällig wird dies im vorliegenden Sprachmaterial am Beispiel
der Arten Plantago und Verbascum thapsus L. Die Plantago-Arten werden im
provenzalischen und gaskognischen Sprachgebiet den Wissenskontexten RAT-
TENSCHWANZ, FUCHSSCHWANZ und ESELSOHR zugeordnet. Damit werden ver-
schiedene Pflanzenteile gesondert wahrgenommen: Stängel, Blütenstand und
die Blattform. Es erfolgt eine relativ differenzierte Wahrnehmung. Demgegen-
über findet im italienischen Sprachraum eine Zuordnung zu lediglich zwei Kon-
texten statt: ESELSOHR und HUNDEZUNGE, die sich beide auf die Blattform der
Pflanzen beziehen. Hier liegt demnach eine sehr enge, auf ein Merkmal be-
grenzte Wahrnehmung vor. Diese Frame-Konstellation zeigt sehr deutlich die
Relativität der nicht-wissenschaftlichen Taxonomie, die sich ganz konkret an
den individuellen Bedürfnissen einzelner Sprachgemeinschaften orientieren
kann. Die Art Verbascum thapsus L. ist allein im provenzalischen Sprachgebiet
bereits drei verschiedenen Wissenskontexten zugeordnet: RATTENSCHWANZ,
FUCHSSCHWANZ und ESELSOHR. Diese Konzepte beziehen sich auf drei wesent-
liche äußerliche Merkmale der Pflanze (Wuchs, Blütenstandform, Blattform), die
für den Umgang der Sprecher mit der Pflanze von besonderer Bedeutung zu
sein scheinen. Bezüglich des Blütenstandes ist festzustellen, dass er optisch
6.5 Relation Frames – Taxonomie 202
sehr markant ist, da er hoch und mit gelben Blüten versehen ist. Von daher
könnte der Blütenstand quasi als ein Erkennungszeichen der Pflanze gesehen
werden und zur einfacheren Kommunikation mit einer eingängigen anschauli-
chen Bezeichnung versehen worden sein. Die Blüten spielen darüber hinaus
bei der Verwendung der Pflanze als Heilmittel eine wesentliche Rolle, da spezi-
ell deren Inhaltsstoffe für medizinische Zwecke in der Volksmedizin genutzt
werden (vgl. Abschnitt 4.8.1, S.132). Dies wiederum rechtfertigt die besondere
Beachtung, die dem Blütenstand der Pflanze geschenkt wird und die damit zu-
sammenhängende Neuschaffung einer treffenden Bezeichnung für die Pflanze.
Auch die Blätter von Verbascum thapsus L. enthalten medizinisch wertvolle Be-
standteile, die Verwendung in der Volksmedizin finden (vgl. Abschnitt 4.8.1,
S.132). Da-raus wird ersichtlich, dass auch den Blättern besondere Aufmerk-
samkeit bei den Sprechern zukommt, was die gesonderte Hervorhebung über
eine Bezeichnung, die sich allein auf die Blätter bezieht, verständlich macht.
Der Stängel als Träger der Blätter findet bei den Sprechern entsprechende Be-
achtung und wird ebenfalls mit einer gesonderten Bezeichnung versehen. Da-
raus folgt, dass nicht nur allein die äußerlich wahrnehmbaren Merkmale der
Pflanzen eine Rolle bei der Kategorisierung durch die Sprecher in den einzel-
nen Sprachräumen spielen, sondern dass ebensogut die Verwendung der ein-
zelnen Bestandteile der Pflanzen wesentlich für ihre Einordnung in Kategorien
ist. Darin zeigt sich ein bedeutender Unterschied zur wissenschaftlichen Taxo-
nomie, die rein auf biologischen (anatomischen, morphologischen,...) Merkma-
len beruhend die Kategorien zusammenstellt. Unmittelbar erkennbar wird daran
die unterschiedliche Motivierung der Klassifizierungsverfahren. Für die wissen-
schaftliche Taxonomie stehen die Aspekte Klarheit und Eindeutigkeit unmittel-
bar im Vordergrund, weshalb eine Pflanze nur mit einem einzigen Namen ver-
sehen und ihr ein festgelegter Platz im Gesamtsystem zugeteilt wird.
Bei den „folk categories“ dagegen sind die Variabilität und die Anpassung an
die Anforderungen alltäglicher Kommunikation ausschlaggebend. Die bereits
mehrfach angedeutete Variabilität der Zuordnung der Pflanzen in den „folk
categories“ verweist direkt auf die Prototypentheorie, die von der Relativität der
203
Kategorien ausgeht. Im vorliegenden Sprachmaterial wurde bereits häufiger
beobachtet, dass eine Pflanze in der Kategorie x zentral ist, während ihr in der
Kategorie y ein peripherer Platz zugeordnet wird, wobei das umgekehrte Ver-
hältnis entsprechend auch gilt. Im nächsten Abschnitt der Darstellung wird es
daher um die Beschreibung und Analyse der einzelnen Prototypen gehen. Zu-
nächst werden die semasiologischen Prototypen vorgestellt, anschließend die
onomasiologischen. Schließlich wird eine Zusammenschau der beiden Prototy-
pengruppen erfolgen.
6.6 Analyse der Prototypen
6.6.1 Semasiologische Prototypen
Ein zentrales Anliegen der Prototypentheorie ist die Suche nach kognitiven
Grundlagen für die Bezeichnungsfindung. Mit Hilfe dieser Grundlagen könnte
auch die beschriebene Relativität hinsichtlich der Zuordnung zu Kategorien er-
klärt werden.
Zunächst soll kurz darauf eingegangen werden, was sich hinter dem Begriff der
kognitiven Grundlagen im vorliegenden Fall verbirgt. Die gewählten Pflanzen
müssen bezeichnet werden, um über sie kommunizieren zu können. Von die-
sen Pflanzen haben die Sprecher der betreffenden Sprachgemeinschaften ein
bestimmtes Bild, eine bestimmte Vorstellung. Diese setzt sich aus verschiede-
nen Aspekten zusammen: äußere Erscheinung der Pflanze, Standort, Verwen-
dung für medizinische Zwecke, Bedeutung der Pflanze im (Aber)glauben. Zur
konkreten Bezeichnungsfindung werden bestimmte Merkmale, die allesamt zum
Bild der Pflanze beitragen, ausgewählt. Im vorliegenden Sprachmaterial wird
das äußere Erscheinungsbild der Pflanzen hervorgehoben, wie bei der groben
Skizzierung der Frames bereits deutlich geworden ist. Inwieweit diese äußeren
Merkmale bei der Vergabe von Bezeichnungen eine Rolle spielen, wird im Fol-
genden anhand der Beschreibung der einzelnen Prototypen gezeigt.
6.6 Analyse der Prototypen 204
Zur Versprachlichung der gewählten Pflanzen reicht jedoch das Bild, das die
Sprecher von den Pflanzen haben, nicht aus. Zumindest gilt dies für die dialekt-
bzw. regionalsprachlichen Bezeichnungen, die für die Analyse der Prototypen
herangezogen werden. Die weitere kognitive Grundlage basiert zum einen auf
der Tierwelt, zum anderen auf dem thematischen Komplex der Religion, aus
dem der Hl. Johannes hervorgehoben wird. Bei einzelnen relevanten Tieren
sowie beim Hl. Johannes verfügen die Sprecher ebenfalls über bestimmte Bil-
der. Bezüglich der Tierwelt sind im vorliegenden Sprachmaterial allein äußere
Erscheinungsmerkmale für die Bezeichnungsfindung relevant. Bei der Person
des Hl. Johannes wird der von der Kirche festgesetzte Geburtstag des Heiligen
in Verbindung mit der entsprechenden Jahreszeit in Zusammenhang mit der
Blüte der Pflanzen gesetzt.
Zwischen der zu bezeichnenden Pflanzenwelt und den dazu herangezogenen
Elementen der Tierwelt besteht so im Bereich der Kognition eine parallele Be-
trachtungsweise, indem der Schwerpunkt auf rein äußerlich wahrnehmbare
Charakteristika gelegt wird. Bezüglich der Verbindung zwischen einzelnen
Pflanzen und dem Hl. Johannes werden auf der kognitiven Ebene gemeinsame
Merkmale hervorgehoben, die bei den Pflanzen das äußere Erscheinungsbild
betreffen und beim Hl. Johannes seiner Person zugeschrieben werden. Über-
wiegend werden wesentlichen äußeren Merkmalen der Pflanzen entsprechende
äußere Merkmale der Tiere zugeordnet. Wie bereits im Abschnitt über die Rolle
des enzyklopädischen Wissens (vgl. Abschnitt 6.4) gezeigt werden konnte, folgt
die Zuordnung einem bestimmten System. Die Tatsache, dass allein das Bild,
das die Sprecher von den Pflanzen haben, nicht ausreichend für die dialekt-
bzw. regionalsprachlichen Bezeichnungen ist, weist in das Gebiet der Pragma-
tik, deren Relevanz für die Bezeichnungsfindung ebenfalls zu klären ist. In die-
sem Abschnitt wird es darum gehen, die unterschiedliche Motivierung stan-
dardsprachlicher Bezeichnungen auf der einen Seite und regional- bzw. dialekt-
sprachlicher Bezeichnungen auf der anderen Seite zu klären.
Durch die folgende Beschreibung der Prototypen sollen die Beziehungen zwi-
schen den zu bezeichnenden Pflanzen und den zugrunde liegenden kognitiven
6.6 Analyse der Prototypen 205
Elementen herausgearbeitet werden. Dabei wird unmittelbar zu erkennen sein,
welche Eigenschaften der Pflanzen auf welche Weise und vor allem in welcher
Häufigkeit mit den zugeordneten kognitiven Elementen verknüpft werden.
Im Anschluss an die Beschreibung der Prototypen erfolgt eine verfeinerte Auf-
schlüsselung in semasiologische und onomasiologische Prototypen, welche
zum Ziel hat, die Bezeichnungsfindung und ihre Motive aus zwei einander er-
gänzenden Blickwinkeln zu analysieren.
Die bereits angesprochene Relativität der Zuordnung einzelner Elemente in Ka-
tegorien steht in direktem Zusammenhang mit dem Ansatz der Prototypentheo-
rie bei Koch. Für Koch geht es bei den Prototypen zunächst um eine Zuordnung
von einzelnen zu bezeichnenden Gegenständen, im vorliegenden Fall also
Pflanzen, zur jeweiligen übergeordneten mentalen Repräsentation. Folgende
mentale Repräsentationen sind wesentlich für das Sprachmaterial: RATTEN-
SCHWANZ, FUCHSSCHWANZ, ESELSOHR, HUNDEZUNGE und GÄNSEZUNGE, KUCKUCK
und HL. JOHANNES.
Die nachfolgend dargestellten Fünfeck-Schemata veranschaulichen jeweils die
Zusammenhänge zwischen der jeweiligen mentalen Repräsentation, den mit ihr
verbundenen Referenten (= die zu bezeichnenden Pflanzen) sowie die sprach-
lichen Zeichen, mit deren Hilfe die Pflanzen benannt werden.
Ein zentrales Element in Kochs Prototypenansatz ist die Berücksichtigung des
jeweils unterschiedlichen Grades an Prototypikalität. Im vorliegenden Fall be-
deutet dies, dass verschiedene Pflanzen zwar unter einer Bezeichnung, die auf
einer mentalen Repräsentation basiert, zusammengefasst werden; jedoch wer-
den die einzelnen Pflanzen innerhalb der jeweiligen Zusammenfassung unter-
schiedlich häufig mit den Bezeichnungen für die mentale Repräsentation verse-
hen.
Im Folgenden verdeutlichen die jeweiligen Kreisschemata die einzelnen Abstu-
fungen innerhalb der betreffenden Kategorien. Anhand der Kreisstruktur kann
man deutlich die relative Nähe bzw. Distanz der einzelnen Elemente (= Pflan-
zen) zum zentralen Mittelpunkt (= Tierorgan/Tier/Heiliger) erkennen: Je näher
ein Element zum Mittelpunkt hin angeordnet ist, desto mehr Eigenschaften der
6.6 Analyse der Prototypen 206
mentalen Repräsentation, die zunächst hinter dem Tierorgan bzw. Tier und Hei-
ligen steht, vereint die betreffende Pflanze in sich und desto häufiger wird sie
entsprechend mit einer Bezeichnung, die auf der mentalen Repräsentation ba-
siert, versehen. Im Folgenden werden die einzelnen Prototypen a) – g) be-
schrieben.
Prototyp a) RATTENSCHWANZ
Das Kreisschema a) zum Konzept
RATTENSCHWANZ weist eine übersicht-
liche Struktur auf. Um das zentrale
Element „Tierorgan“ ist zunächst auf
erster Ebene die Pflanzengattung
Plantago angeordnet. Darauf folgen
in zweiter Ebene die Pflanzen
Verbascum thapsus L., Hypericum
perforatum L. und Taraxacum
officinale Web. Daraus wird zunächst
ersichtlich, dass die Gattung Plantago
wesentlich mehr Eigenschaften mit
signe:
- kue de ratu, ...(Plantago)
- la kuyu de ra (Verbascum thapsus L.)
- kwa de gari (Hy pericum perf oratum L.)
- cola de rata (Taraxacum of f icinale Web.)signifié
signifiant désigné (concept)
RATTENSCHWANZ
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Plantago
- Verbascum thapsus L.
- Hypericum perforatum L.
- Taraxacum officinale Web.
LE VIRTUEL
L'ACTUEL
DOMAINE
EXTRALINGUISTIQUE
DOMAINE
LINGUISTIQUE
Tierorgan
Verbascum
thapsus L.
(1x)
Hypericum
perforatum
L. (1x)
Taraxacum
officinale
Web. (1x)
Plantago
(4x)
Kreisschema a)
6.6 Analyse der Prototypen 207
dem Konzept RATTENSCHWANZ teilt als die übrigen Pflanzen, die erst nachrangig
eingeordnet sind. Folgende Merkmale sind wesentlich für die Verknüpfung zwi-
schen dem Konzept RATTENSCHWANZ und den Pflanzen der Gattung Plantago:
Der sehr schlanke, im Querschnitt runde, nahezu unbehaarte Schwanz der Rat-
te ist vor allem durch seine bedeutende Länge und Flexibilität gekennzeichnet.
Die Pflanzen der Gattung Plantago weisen diese Merkmale unabhängig von der
jeweiligen Art an ihrem Stängel auf. Wie die Abbildungen zeigen, ist der Stängel
bei jeder Art ebenfalls sehr schlank und zeigt einen runden Querschnitt. Der
Stängel trägt darüber hinaus weder Blätter noch Härchen und ist in diesem Sin-
ne ähnlich wie der Rattenschwanz „nackt“. Auch die Länge des Stängels im
Verhältnis zur restlichen Pflanze ist beachtlich. Die mit den genannten Eigen-
schaften in Beziehung stehende Flexibilität des Stängels ist ebenfalls gegeben.
Während die Plantago-Arten die Merkmale des Rattenschwanzes vollständig in
sich vereinen, scheinen, wenigstens der Anordnung im Kreisschema nach zu
urteilen, die nachrangig eingeordneten Pflanzen diese nur ansatzweise aufzu-
weisen. Dies ist jedoch bei der Art Taraxacum officinale Web.
nicht nachzuvollziehen, denn auch hier sind die soeben be-
schriebenen Merkmale deutlich zu erkennen (vgl. Abb.). Auch
der Löwenzahn hat einen ausgeprägt schlanken Stängel mit
ebenfalls rundem Querschnitt. Der Stängel weist kaum Behaa-
rung auf und trägt keine Blätter. Letztere sind wie bei den
Plantago-Arten in einer Rosette über dem Erdboden angeordnet. Dennoch wird
der Löwenzahn nur über eine Bezeichnung mit dem Konzept RATTENSCHWANZ
P. major L. P. lanceolata L. P. media L.
6.6 Analyse der Prototypen 208
verbunden. Zwar sollten laut Blank keine derart gravierenden kulturellen Unter-
schiede innerhalb der Romania auftreten, die zu unterschiedlichem Bezeich-
nungsverhalten der Sprecher in den einzelnen Sprachgebieten führen (Blank
1997, 84), dennoch fällt auf, dass die Verknüpfung RATTENSCHWANZ –
Taraxacum officinale Web. nur im spanischen Sprachraum vorkommt, in den
übrigen Gebieten dagegen nicht. Sieht man sich die Bezeichnungen für den
Löwenzahn in den übrigen Sprachgebieten an, stellt man fest, dass sie zum ei-
nen auf äußerlich wahrnehmbare Merkmale Bezug nehmen (Konzepte LÖWEN-
ZAHN/SCHWEINESCHNAUZE). Aber gerade das letztgenannte Konzept SCHWEINE-
SCHNAUZE verweist auf den Aspekt der Verwendung der Pflanze, der zusätzlich
in Bezeichnungen der Form engraisso-porc zum Ausdruck kommt. Dieser As-
pekt wird im spanischen Sprachgebiet nicht berücksichtigt, denn auch die Be-
zeichnung kukulo, die aus diesem Gebiet stammt und nur hier so verwendet
wird, bezieht sich auf das äußere Erscheinungsbild (gelbe Blütenfarbe). Auf die
genannten Bezeichnungen wird genauer in Abschnitt 6.7 eingegangen, in dem
die nicht durch Prototypen erfassbaren Bezeichnungen behandelt werden. Hier
dienen sie zur Illustration der isolierten Vorgehensweise bei der Kategorisierung
von Pflanzen im spanischsprachigen Gebiet. Ein möglicher Grund für die aus-
schließliche Berücksichtigung der äußerlichen Merkmale könnte darin liegen,
dass die im italienischen und französischen Sprachgebiet zum Ausdruck kom-
mende Verwendung für das spanische Sprachgebiet bedeutungslos ist. Bezüg-
lich des Aussehens der Pflanze wird der Wahrnehmungsschwerpunkt auf die
Blüte und den Stängel gelegt, nicht aber auf die Blätter (zumindest nicht bei den
dialektalen Bezeichnungen). Diese Beobachtung könnte eventuell damit zu-
sammenhängen, dass die Blüte und der Stängel besser wahrgenommen wer-
den als die Blätter. Die besondere Betonung des Stängels könnte auch dadurch
erklärt werden, dass der Stängel in starkem Maße Milchsaft führt, der die in
sprachraumübergreifenden Bezeichnungen wie pissenlit (frz.), piscialetto (ital.),
pisa-camas (span.) ausgedrückte Wirkung zeigt. Dieser Milchsaft tritt beispiels-
weise beim Durchtrennen des Stängels viel stärker hervor als dies bei den Blät-
6.6 Analyse der Prototypen 209
tern der Fall ist. Daher wird dieses Merkmal vor allem mit dem Stängel in Ver-
bindung gebracht und dieser sprachlich besonders hervorgehoben.
Tritt die Verbindung RATTENSCHWANZ – Taraxacum nur im spanischen Sprach-
gebiet auf, dominiert demgegenüber die Verknüpfung RATTENSCHWANZ –
Plantago-Arten im provenzalischen und italienischen Sprachraum. Dieses rein
zahlenmäßige „Übergewicht“ in zwei benachbarten Gebieten erklärt vielleicht,
warum die Plantago-Arten vor der Art Taraxacum officinale Web. dem Konzept
RATTENSCHWANZ zugeordnet werden.
Anders liegen die Verhältnisse bei den Arten Hypericum perforatum L. und
Verbascum thapsus L. Besonders Hypericum perforatum L. weist einen zwar
schlanken aber dafür
mehrfach verzweig-
ten Stängel auf (vgl.
Abb.). Zudem ist er
mit Blättern verse-
hen und damit kei-
nesfalls „nackt“. Auch
die Flexibilität des
Stängelbereiches hält sich im Vergleich zu den Plantago-Arten in Grenzen.
Ähnlich sieht es bei Verbascum thapsus L. aus: Ihr Stängel ist zwar
unverzweigt, jedoch auch beblättert und wirkt nicht unbedingt sehr biegsam. Die
einzigen Merkmale, die für eine Verknüpfung der beiden Arten mit dem Konzept
RATTENSCHWANZ relevant zu sein scheinen, sind der lang gestreckte Wuchs des
Stängels, bei dem zum Teil für die Einordnung in die Kategorie RATTENSCHWANZ
die seitlichen Verzweigungen unbeachtet bleiben (im Fall von Hypericum
perforatum L.), sowie sein runder Querschnitt. Diese im Vergleich zu den
Plantago-Arten zahlenmäßig sehr geringen Merkmale rechtfertigen die nach-
rangige Einordnung der beiden Arten hinter die um das zentrale Element „Tier-
organ“ angeordneten Plantago-Arten.
Im Folgenden wird die Organisation des Prototypen noch feiner untersucht, um
detailliertere Aufschlüsse über das Kategorisierungsverhalten der Sprecher zu
Hypericum perforatum L. Verbascum thapsus L.
6.6 Analyse der Prototypen 210
bekommen. Beim Prototypen a) RATTENSCHWANZ bilden die Plantago-Arten die
zentrale Kategorie nach dem Tierorgan. Dies ist durch die Stängelform der
Pflanzen gut nachzuvollziehen. Auf der zweiten Ebene sind dagegen so unter-
schiedliche Pflanzen wie Verbascum thapsus L., Hypericum perforatum L. und
Taraxacum officinale Web. eingeordnet. Bei Taraxacum officinale Web. ist die
Ähnlichkeit bezüglich des Stängels mit den Plantago-Arten gut zu erkennen, bei
den beiden anderen Arten jedoch nicht. Es erscheint daher fragwürdig, warum
alle drei Pflanzenarten auf ein und derselben Ebene angeordnet werden und
warum nicht etwa noch eine dritte Ebene für die sich relativ ähnlichen Pflanzen
Verbascum thapsus L. und Hypericum perforatum L. eingeführt wird.
Prototyp b) FUCHSSCHWANZ
Das Kreisschema b) zum Konzept
FUCHSSCHWANZ umfasst wie das
Schema a) zwei Ebenen, die sich um
das ebenfalls zentrale Element
„Tierorgan“ gruppieren. Dem zentra-
len Element direkt zugeordnet ist die
Pflanze Verbascum thapsus L., auf
einer weiteren Ebene ist die Pflan-
signe:
- coua de reinard, ...(Verbascum thapsus L.)
- la coua de reinard (Plantago)signifié
signifiant désigné (concept)
FUCHSSCHWANZ
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Verbascum thapsus L.
- Plantago
LE VIRTUEL
L'ACTUEL
DOMAINE
EXTRALINGUISTIQUE
DOMAINE
LINGUISTIQUE
Tierorgan
Plantago
(1x)
Verbascum
thapsus L.
(5x)
Kreisschema b)
6.6 Analyse der Prototypen 211
zengattung Plantago angeordnet. Zwischen beiden Ebenen gibt es eine Abstu-
fung, die zeigt, dass die Art Verbascum thapsus L. fünfmal so häufig mit dem
Konzept FUCHSSCHWANZ in Verbindung gebracht wird wie die Plantago-Arten.
Daraus lässt sich wiederum schlussfolgern, dass die Pflanzen vom Typ
Verbascum thapsus L. in zahlreicheren Merkmalen mit dem zugrunde gelegten
Konzept übereinstimmen als dies bei den Plantago-Arten der Fall ist. Das Tier-
organ „Fuchsschwanz“ zeichnet sich durch seine walzenartige Form aus, ver-
fügt über eine im Verhältnis zum übrigen Körper beträchtliche Länge und ist bu-
schig behaart. Überträgt man nun diese Merkmale auf die genannten Pflanzen,
so stellt man fest, dass die Art Verbascum thapsus L. die Merkmale wesentlich
besser repräsentiert als die Plantago-Arten. Verbascum thapsus L. ist geprägt
durch einen im Verhältnis zur übrigen Pflanze sehr langen Blütenstand von wal-
zenartiger Form. Der Blütenstand ist aus vielen Einzelblüten zusammengesetzt
und erhält dadurch ein eher unregelmäßiges Profil. Daraus folgt, dass in allen
zuvor genannten Merkmalen zwischen der Art Verbascum thapsus L. und dem
Fuchsschwanz Parallelen gesehen werden können.
Dies scheint nur bedingt auf die Plantago-Arten zuzutreffen, wenn man die zah-
lenmäßige Verteilung der Bezeichnungen auf der Grundlage des Konzeptes
FUCHSSCHWANZ beachtet. Sieht man sich jedoch die einzelnen Arten der
Plantago-Gattung näher an
(vgl. Abb.), stellt man fest,
dass auch sie in gewisser
Weise die Merkmale des
Fuchsschwanzes tragen.
Die Blütenstände der
Plantago-Arten sind eben-
falls walzenartig geformt und erhalten durch die zahlreichen Einzelblüten ein
buschiges Aussehen, was sie mit dem Fuchsschwanz vergleichbar macht. Der
einzige Unterschied ist in der nur teilweise ausgeprägten Länge der jeweiligen
Blütenstände zu sehen: Lediglich bei der Art Plantago major L. weist der Blü-
tenstand eine im Verhältnis zur übrigen Pflanzengröße dominante Länge auf;
P. major L. P. lanceolata L. P. media L.
6.6 Analyse der Prototypen 212
bei den übrigen Arten ist die Länge jedoch weniger stark ausgeprägt. Dies
könnte ein Grund dafür sein, dass die Pflanzen der Art Verbascum thapsus L.
gegenüber den Plantago-Arten bevorzugt mit Bezeichnungen auf der Grundla-
ge des Konzeptes FUCHSSCHWANZ versehen werden.
Im vorliegenden Fall entstammt das Sprachmaterial ausschließlich dem pro-
venzalischen Sprachgebiet. Umso auffälliger ist die Tatsache, dass die Spre-
cher scheinbar bewusst eine begriffliche Differenzierung der Pflanzen unter Be-
rücksichtigung der Merkmalsübereinstimmung mit dem zugrunde liegenden
Konzept vornehmen.
Prototyp c) ESELSOHR
signe:
- Aurigi d'aso, ...(Plantago major L.)
- Aurigi d'asa (Plantago lanceolata L.)
- aurelo d'azu, ... (Arctium lappa L.)
- Orìe d'aso (Plantago media L.)
- aurelho d'ase (Verbascum thapsus L.)signifié
signifiant désigné (concept)
ESELSOHR
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Plantago major L.
- Plantago lanceolata L.
- Arctium lappa L.
- Plantago media L.
- Verbascum thapsus L.
LE VIRTUEL
L'ACTUEL
DOMAINE
EXTRALINGUISTIQUE
DOMAINE
LINGUISTIQUE
6.6 Analyse der Prototypen 213
Das Kreisschema c) zum
Konzept ESELSOHR weist im
Vergleich zu den zuvor be-
schriebenen Schemata eine
sehr komplexe Struktur auf.
Um das zentrale Element
„Tierorgan“ lagern sich auf
drei Ebenen diverse Pflan-
zenarten: Auf der Ebene, die
dem zentralen Element als
nächste zugeordnet ist, be-
findet sich die Art Plantago
major L., auf der zweiten
Ebene die Arten P.
lanceolata L. und Arctium
lappa L.; auf der dritten Ebene schließlich werden die Arten P. media L. und
Verbascum thapsus L. eingeordnet. Aus dieser Anord-
nung erkennt man auch hier eine eindeutige Abstufung
in der Verwendung von Bezeichnungen auf der Grund-
lage des Konzeptes ESELSOHR für die einzelnen Pflan-
zenarten. Auch für dieses Kreisschema gilt die Abhän-
gigkeit der Position der jeweiligen Pflanze von der Anzahl der Merkmale, in de-
nen sie mit dem zugrunde liegenden Konzept übereinstimmt. Letzteres weist
folgende relevanten Charakteristika auf (vgl. Abb.): Zunächst ist die Position
des Tierorgans wesentlich. Die Ohren befinden sich in auf-
rechter Position rechts und links am Kopf des Tieres. Darü-
ber hinaus spielen äußere Merkmale eine wesentliche Rolle.
Das Eselsohr ist an der Basis in Kopfnähe breiter als an der
Spitze, der Übergang von der Basis zur Spitze erfolgt flie-
ßend in einer annähernd elliptischen Form. Überträgt man
nun die genannten Merkmale auf die jeweiligen Pflanzen,
Tierorgan
Arctium
lappa L. (2x)
Plantago
major L. (7x)
Plantago
media L.
(1x)
Plantago
lanceolata
L. (2x)
Verbascum
thapsus L.
(1x)
Kreisschema c)
6.6 Analyse der Prototypen 214
stellt man fest, dass letztere nicht immer in dem gleichen Maße mit den vorge-
stellten Charakteristika übereinstimmen. Die dem zentralen Element direkt zu-
geordnete Art Plantago major L. (vgl. Abb. S.213) zeigt eine Blattform, auf die
die genannten Merkmale teilweise zutreffen. Teilweise deshalb, da nur die äu-
ßere Form gewisse Parallelen mit dem Eselsohr aufweist. Die Position der Blät-
ter hingegen stimmt nicht mit der Position der Eselsohren überein: Die Blätter
sind in einer Rosette direkt über dem Erdboden angeordnet und nicht, wie es
dem Tierorgan besser entsprechen würde, seitlich an den Stängeln. Trotz die-
ser nur teilweisen Entsprechung wird die Art Plantago major L. im Vergleich zu
den anderen Arten überdurchschnittlich häufig (7x) mit Bezeichnungen auf der
Grundlage des Konzeptes ESELSOHR in Verbindung gebracht. Dies mag damit
zusammenhängen, dass bei der Bezeichnungsfindung mehr Gewicht auf die
rein äußerlichen Merkmale gelegt wird, dass aber die Position der betreffenden
Pflanzenbestandteile weniger wichtig ist.
Die auf der zweiten Ebene angeordneten Arten P. lanceolata L. und Arctium
lappa L. werden schon wesentlich seltener mit dem Konzept ESELSOHR in Ver-
bindung gebracht, nämlich jeweils nur zweimal. Daraus ist zu schließen, dass
die beiden Arten in weniger Merkmalen mit dem Konzept übereinstimmen als
die zuerst beschriebene. Sieht man sich die betreffenden Blattformen näher an,
so ergibt sich folgendes Bild: Bei der Art P. lanceolata L. entspricht die Position
der Blätter derjenigen der Art P. major L., jedoch sind die Blätter viel schmaler
als bei der letztgenannten Art. Das Eselsohr hat aber eine im Verhältnis zur
Spitze bedeutend breitere Basis, die die Blätter von P. lanceolata L. nicht zei-
gen. Aus diesem Grund wird die Differenzierung der Arten über die Häufigkeit
der vergebenen Bezeichnungen verständlich.
Bei der Art Arctium lappa L. befinden sich die
Blätter zwar direkt am Stängel, jedoch nicht
immer einander direkt gegenüber, so dass die
Blattposition auch nicht völlig mit der Position
der Eselsohren übereinstimmt. Darüber hinaus
sind die Blätter bei Arctium lappa L. eher waa-
6.6 Analyse der Prototypen 215
gerecht angeordnet, während die Blätter der beschriebenen Plantago-Arten auf-
recht wachsen, so dass auch aus diesem Grund eine nachrangige Einordnung
der Pflanze in die Kategorie ESELSOHR erfolgt.
Die äußere Form lässt sich zwar besser mit der des Ohres verknüpfen, da das
Blatt eine ebenfalls breitere Basis aufweist. Wesentlich hierbei ist jedoch, dass
das Blatt zum Teil in sich verformt ist, da es an manchen Stellen z.B. hochge-
klappt ist (vgl. Abb. S.214). Daraus folgt, dass die konstante Linienführung, wie
sie beim Eselsohr gegeben ist, bei den Blättern der Art Arctium lappa L. nicht
immer vorliegt und damit die Verknüpfung mit dem Konzept ESELSOHR er-
schwert wird.
Auf der äußersten Ebene schließlich sind mit jeweils einer Erwähnung die bei-
den Arten Plantago media L. und Verbascum thapsus L. eingeordnet. Sieht
man sich die Blattform von P. media L. (vgl. Abb.) genauer an, erkennt man,
dass sie bis auf die Position ziemlich genau mit den
Merkmalen des Eselsohres übereinstimmt und sogar
noch eher der äußeren Form entspricht als die Blatt-
form der Art P. major L., die am häufigsten mit dem
Konzept ESELSOHR in Verbindung gebracht wurde.
Ein möglicher Grund für die entferntere Einordnung
der Art P. media L. kann darin liegen, dass entweder
die Art im Verhältnis zur Art P. major L. seltener in der Natur zu finden ist oder
die Sprecher eventuell Schwierigkeiten bei der genauen Identifizierung der ein-
zelnen Arten haben, besonders aber bei der Art P. media L., da sie hinsichtlich
ihrer Blattform genau zwischen den „Extremen“ P. major L. (eher breit) und P.
lanceolata L. (eher schmal) liegt.
Die Blattform der Art Verbascum thapsus L. ähnelt stark derjenigen der Art
Arctium lappa L.: Auch bei Verbascum thapsus L. weisen die Blätter eine im
Verhältnis zur Spitze breitere Basis auf. Zusätzlich ist die Linienführung bei der
äußeren Umgrenzung der Blattform ähnlich unregelmäßig wie bei Arctium lappa
L. Die Blätter an sich sind bei Verbascum thapsus L. ebenfalls seitlich am Stän-
gel angeordnet und sind, im Gegensatz zur Art Arctium lappa L., sogar gegen-
6.6 Analyse der Prototypen 216
ständig, d.h. sie stehen einander direkt gegenüber und folgen darin dem Muster
der Eselsohren. Jedoch scheint auch hier das Augenmerk auf der eher
inkonsis-tenten äußeren Form der Blätter zu liegen, so dass insgesamt nicht so
deutliche Parallelen zum grundlegenden Konzept gesehen werden und damit
eine nachrangige Einordnung erfolgt.
Beim Prototypen c) ESELSOHR stellt die Art Plantago major L. die zentrale Kate-
gorie nach dem Tierorgan dar. Dies ist insofern gerechtfertigt, als dass diese
Pflanzenart eine ausgewiesen breite Blattform hat, die halbrund ist und in einer
Spitze ausläuft. Auf der zweiten Ebene sind die Arten Arctium lappa L. und P.
lanceolata L. eingeordnet. Bei Arctium lappa L. ist die Ähnlichkeit mit P. major
L. hinsichtlich der Blattform gut zu erkennen, bei P. lanceolata L. jedoch nicht.
Daher erscheint es fragwürdig, warum diese Art ebenfalls auf der zweiten Ebe-
ne eingeordnet ist, da sie eine eher schmale und lanzettliche Blattform zeigt.
Auf der dritten Ebene sind schließlich die Arten P. media L. und Verbascum
thapsus L. eingeordnet. Hier ist zu erkennen, dass P. media L. von der Blatt-
form her viel näher an P. major L. liegt als es bei P. lanceolata L. der Fall ist.
Jedoch ist die Pflanzenart auf einer entfernteren Ebene eingeordnet. Ein mögli-
cher Grund könnte im höheren Bekanntheitsgrad der Art P. lanceolata L. ge-
genüber der Art P. media L. liegen. Zudem wird die Art P. lanceolata L. medizi-
nisch verwendet, bei P. media L. steht dieser Verwendungszweck jedoch nicht
im Vordergrund. Dies wären mögliche Indizien für eine nähere Einordnung von
P. lanceolata L. zur zentralen Kategorie. Vergleicht man die Blattformen der Ar-
ten Arctium lappa L. und Verbascum thapsus L. miteinander, so stellt man eine
große Übereinstimmung fest, die eine Einordnung auf unterschiedliche Ebenen
nicht unbedingt rechtfertigt. Eventuell ist auch bei Arctium lappa L. ein im Ver-
gleich zu Verbascum thapsus L. höherer Bekanntheitsgrad für die Zuordnung
verantwortlich. Darüber hinaus könnte ein Grund auch darin liegen, dass die
Pflanze eventuell häufiger anzutreffen ist als Verbascum thapsus L.
6.6 Analyse der Prototypen 217
Prototypen d)/e) HUNDEZUNGE/GÄNSEZUNGE
signe:
- Lengua de can, ...(Plantago lanceolata L.)
- lengwa t koen, ... (Plantago)
- Lengua ed can (Plantago media L.)signifié
signifiant désigné (concept)
HUNDEZUNGE
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Plantago lanceolata L.
- Plantago
- Plantago media L.
LE VIRTUEL
L'ACTUEL
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DOMAINE
LINGUISTIQUE
signe:
- lengo d auko, ...(Plantago)
- Leingua d'oca (Plantago lanceolata L.)signifié
signifiant désigné (concept)
GÄNSEZUNGE
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Plantago
- Plantago lanceolata L.
LE VIRTUEL
L'ACTUEL
DOMAINE
EXTRALINGUISTIQUE
DOMAINE
LINGUISTIQUE
6.6 Analyse der Prototypen 218
Tierorgan
Plantago
lanceolata
L. (7x)
Plantago
(4x)
Plantago
media L.
(1x)
Tierorgan
Plantago
lanceolata
L. (1x)
Plantago
(16x)
Die Kreisschemata d) und e) zu den Konzepten HUNDEZUNGE bzw. GÄNSEZUNGE
sind jeweils übersichtlich und einfach strukturiert. Die eingeordneten Pflanzen
entstammen allesamt der
Plantago-Gattung. Im Sche-
ma d) wird auf der ersten
Ebene die Art P. lanceolata
L. eingeordnet. Darauf folgt
die gesamte Plantago-
Gattung in der zweiten Ebe-
ne. Den Abschluss bildet auf
der dritten Ebene die Art P.
media L. Im Schema e) wird
zunächst auf der ersten Ebe-
ne die Gattung Plantago ein-
geordnet und auf der zweiten
Ebene die Art P. lanceolata
L. Für die Zuordnung der Pflanzen zu den Konzepten HUNDEZUNGE und GÄNSE-
ZUNGE ist die jeweilige Blattform verantwortlich.
Die Blätter sind relativ schmal, lang
gestreckt und münden in einer Spitze.
Zwischen den einzelnen Arten besteht
lediglich ein Unterschied hinsichtlich
der Blattbreite: So sind die Blätter der
Art P. lanceolata L. schmaler als die
der Art P. media L.; bei der Einordnung
der Gattung Plantago wird die Diffe-
renzierung in einzelne Blattbreiten auf-
gehoben. Im Schema d) wird die Art P.
lanceolata L. vor der Art P. media L.
eingeordnet. Dies mag damit zusam-
menhängen, dass die Blätter der erstgenannten Art insgesamt länger sind als
e)
Kreisschema d)
Tierorgan
Plantago
lanceolata
L. (7x)
Plantago
(4x)
Plantago
media L.
(1x)
Tierorgan
Plantago
lanceolata
L. (1x)
Plantago
(16x)
Kreisschema e)
6.6 Analyse der Prototypen 219
die Blätter der Art P. media L. und damit eher der Länge der zugrunde gelegten
Hundezunge entsprechen. Im Schema e) zum Konzept GÄNSEZUNGE findet sich,
abgesehen von der gesamten Plantago-Gattung, lediglich die Art P. lanceolata
L., nicht aber die Art P. media L. Daran lässt sich erkennen, dass die Sprecher
bei der Wahl des Konzeptes für die Bezeichnungen sehr genau nach äußeren
Merkmalen der betreffenden Pflanzen und den ihnen zugeordneten Tierorganen
differenzieren.
Prototyp f) KUCKUCK
Im Kreisschema f) zum Konzept
KUCKUCK gruppieren sich zwei
Pflanzenarten um das zentrale Tier:
Verbascum thapsus L. (1. Ebene)
und Taraxacum officinale Web. (2.
Ebene). Das beiden Pflanzen ge-
meinsame Merkmal ist die gelbe
Blütenfarbe. Diese wird mit dem
Kuckuck in Verbindung gebracht,
weil früher angenommen wurde,
dass der Kuckuck ein gelbes Gefie-
signe:
- couguiéu (Verbascum thapsus L.)
- kukulo (Taraxacum of f icinale Web.)signifié
signifiant désigné (concept)
KUCKUCK
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Verbascum thapsus L.
- Taraxacum officinale Web.
LE VIRTUEL
L'ACTUEL
DOMAINE
EXTRALINGUISTIQUE
DOMAINE
LINGUISTIQUE
Tier
Taraxa-
cum
officinale
Web. (1x)
Verbas-
cum
thapsus L.
(2x)
Kreisschema f)
6.6 Analyse der Prototypen 220
der habe. Auffällig bei der Bezeichnungsvergabe ist, dass kein sprach-
raumübergreifender Zusammenhang besteht: Die Art Verbascum thapsus L.
wird nur im provenzalischen Sprachgebiet so benannt, die Art Taraxacum
officinale Web. nur im spanischen Gebiet. Dennoch wird Verbascum thapsus L.
häufiger mit dem Konzept KUCKUCK in Verbindung gebracht als Taraxacum
officinale Web. Dies könnte eventuell mit der Wahrnehmung insofern zusam-
menhängen, als dass der hoch aufragende Blütenstand der Königskerze sehr
viel auffälliger ist als der eher niedrige Blütenstand des Löwenzahns. Ein durch
den Sprachraum begründetes Problem könnte auch eventuell darin liegen, dass
die Königskerze im spanischen Gebiet nicht so verbreitet ist wie beispielsweise
im provenzalischen Raum. Denn es fällt ebenfalls auf, dass im untersuchten
Sprachmaterial keine dialektalen Belege für die Königskerze im spanischen
Gebiet gefunden wurden. Selbst für den italienischen Sprachraum wurde ledig-
lich eine Bezeichnung gefunden, die sich den ausgewählten Mustern zuordnen
lässt (fyor de sa goan).
Prototyp g) HL. JOHANNES
signe:
- San Gioàn, ... (Lav andula)
- erba San Giovanni, ... (Hy pericum
perf oratum L.)
- fyor de san goan (Verbascum thapsus L.)signifié
signifiant désigné (concept)
HEILIGER JOHANNES
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Lavandula
- Hypericum perforatum L.
- Verbascum thapsus L.
LE VIRTUEL
L'ACTUEL
DOMAINE
EXTRALINGUISTIQUE
DOMAINE
LINGUISTIQUE
6.6 Analyse der Prototypen 221
Bei diesem Kreisschema zum Konzept HL. JOHANNES gruppieren sich die
Lavandula-Arten (1. Ebene), die Art Hypericum perforatum L. (2. Ebene) sowie
die Art Verbascum thapsus
L. (3. Ebene) um das zent-
rale Konzept. Auffällig ist die
überdurchschnittlich häufige
Verbindung der Lavandula-
Arten mit dem Hl. Johannes
(13x), die sowohl im pro-
venzalischen als auch im
italienischen Sprachraum
vorliegt. Auch die Art
Hypericum perforatum L.
wird in beiden Sprachräu-
men mit dem Heiligen ver-
knüpft, die Art Verbascum
thapsus L. lediglich im itali-
enischen Gebiet. Das allen Pflanzen gemeinsame Merkmal bezieht sich auf die
Blüte- sowie Sammelzeit, die um den Tag des Hl. Johannes liegen. Die katego-
risierten Pflanzen spielen bei den Bräuchen, die mit dem Hl. Johannes zusam-
menhängen, eine bedeutende Rolle. So werden sie allesamt beispielsweise zu
Sträußen geflochten, die für rituelle Zwecke verwendet werden. Wesentlich für
die Einordnung der Pflanzen ist, dass sie im genannten Zeitraum in voller Blüte
stehen und damit auch ihre bedeutenden Inhaltsstoffe in der maximalen Menge
vorhanden sind, was wiederum ihre Relevanz für die Feste unterstreicht. Auch
ihre heilende Wirkung ist durch die Menge der Inhaltsstoffe zu dieser Zeit am
größten. Die Abstufung der einzelnen Arten innerhalb der Kategorie HL. JOHAN-
NES ist vielleicht damit zu erklären, dass die Pflanzen in unterschiedlich starkem
Maße Verwendung finden. Die Lavandula-Arten, die diese Kategorie dominie-
ren, verfügen über Inhaltsstoffe, die nicht nur zu Heilzwecken dienen. Die äthe-
rischen Öle werden darüber hinaus in der Seifen- und Parfumindustrie genutzt
Heiliger
Lavandula
(13x)
Hypericum
perforatum
L. (2x)
Verbas-
cum
thapsus L.
(1x)
Kreisschema g)
6.6 Analyse der Prototypen 222
oder dienen auch der Insektenbekämpfung. Demgegenüber beschränkt sich bei
den beiden anderen Arten die Verwendung auf medizinische Zwecke. Durch die
besondere Bedeutung, die so den Lavandula-Arten zukommt, wird verständlich,
dass zu ihrer Versprachlichung häufiger auf das Konzept des HL. JOHANNES zu-
rückgegriffen wird als bei den anderen genannten Arten.
Die zuvor beschriebenen Prototypen sind semasiologisch, d.h. Bezeichnungen
auf der Grundlage ein und desselben Konzepts werden auf verschiedene Refe-
renten übertragen. Bei den Prototypen trifft man auf das Phänomen der Poly-
semie, indem eine Bezeichnung für verschiedene Anwendungen in Frage
kommt. Wesentlich hierbei ist, dass die verschiedenen Bedeutungen eines
Ausdrucks etwas gemeinsam haben. Im Folgenden sollen diese Gemeinsam-
keiten der Bedeutungen herausgearbeitet werden.
Bei den in Form von Kreisschemata dargestellten Prototypen a) bis e) steht je-
weils das konkrete Tierorgan als erste Anwendung im Mittelpunkt. Darüber hi-
naus ergeben sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in Bezug auf die Pflan-
zen. So dienen Bezeichnungen auf der Grundlage des Konzepts RATTEN-
SCHWANZ in erster Linie zur Versprachlichung der Referenten aus der Plantago-
Gattung. Von untergeordneter Bedeutung ist das Konzept für die Bezeichnung
der Arten Verbascum thapsus L., Hypericum perforatum L. und Taraxacum
officinale Web. Doch lassen sich bei der Verschiedenheit der Anwendungen
des Konzepts RATTENSCHWANZ Parallelen bei den einzelnen Bedeutungen er-
kennen: Zum einen handelt es sich bei den verschiedenen Referenten um
Pflanzen, die sich jeweils gemeinsamen Frames zuordnen lassen (die bereits
angesprochenen Frames "HEILPFLANZEN", "KRAUTIGE PFLANZEN", "WILD
WACHSENDE PFLANZEN"). Neben diesen eher formalen Gemeinsamkeiten
gibt es jedoch auch äußere Merkmale, die bei allen betreffenden Pflanzen vor-
handen sind. Beim vorliegenden Prototyp a) RATTENSCHWANZ besitzen alle Re-
ferenten eine lang gestreckte, schlanke Wuchsform; darüber hinaus sind sich
die Stängel der Plantago-Arten und der Art Taraxacum officinale Web. beson-
ders ähnlich.
6.6 Analyse der Prototypen 223
Auch bei den anderen Prototypen trifft man immer wieder auf solche überein-
stimmenden Merkmale. Beim Prototypen b) FUCHSSCHWANZ weisen die betref-
fenden Arten einen länglichen, buschigen und walzenförmigen Blütenstand auf.
Die Prototypen c) – e) (ESELSOHR, HUNDEZUNGE, GÄNSEZUNGE) lenken das Au-
genmerk schließlich auf die Blattform der einzelnen Arten.
Etwas isoliert von den Prototypen a) – e) sind die beiden Kreisschemata f) und
g) zu betrachten. Bei ihnen steht nicht ein einzelnes Tierorgan im Mittelpunkt,
sondern wie bei f) ein Tier in seiner Gesamtheit oder wie bei g) die mit dem Ge-
burtstag eines Heiligen in Zusammenhang stehende Jahreszeit. Die letzten bei-
den Prototypen sind auch insofern verschieden von den übrigen, da sie nicht
die Form einzelner Pflanzenteile als Kategorisierungsmerkmale heranziehen,
sondern die Aspekte Blütenfarbe und Blüte- bzw. Sammelzeit.
Die einzelnen polysemischen Anwendungen lassen sich in Form von Bedeu-
tungsnetzen veranschaulichen:
a) RATTENSCHWANZ
Plantago Verbascum thapsus L. Tierorgan
Taraxacum officinale Web. Hypericum perforatum L.
b) FUCHSSCHWANZ
Verbascum thapsus L. Tierorgan Plantago
c) ESELSOHR
P. lanceolata L. P. major L. Tierorgan Arctium lappa L. P. media L. Verbascum thapsus L.
d) HUNDEZUNGE
Plantago P. lanceolata L. Tierorgan
P. media L.
e) GÄNSEZUNGE
Plantago Tierorgan P. lanceolata L.
6.6 Analyse der Prototypen 224
f) KUCKUCK
Verbascum thapsus L. Tier Taraxacum officinale Web.
g) HL. JOHANNES
Verbascum thapsus L. Heiliger Lavandula Hypericum perforatum L.
Bei den einzelnen Netzen stellt sich die Frage nach der Art der Verknüpfung der
jeweiligen Bestandteile. Im vorliegenden Sprachmaterial werden die Relationen
zwischen den zentralen Elementen der entsprechenden Prototypen und den
nachrangig eingeordneten Referenten über Metaphern und eine Metonymie
realisiert. Konkret erfolgt hier die Übertragung von einem Tierorgan oder einem
ganzen Tier auf mehrere Pflanzen (Metapher). Bei der Metonymie im Fall g)
wird ein Merkmal der Pflanze (Blüte- bzw. Sammelzeit) mit dem zeitgleichen
Geburtstag eines Heiligen in Verbindung gebracht. Die Rolle der Metaphern
sowie der Metonymie für die Prototypen und die Kategorisierung der Referenten
wird in einem späteren Abschnitt detaillierter behandelt. Hier stellen sich zu-
nächst Fragen nach dem Bedeutungswandel. So muss zum einen hinterfragt
werden, seit wann die Bezeichnungen mit der Bedeutung des jeweiligen Tieror-
gans sowie mit der Bedeutung ‚Kuckuck‘ und ‚Hl. Johannes‘ existieren. Zum
anderen ist es wesentlich zu erfahren, ab wann die einzelnen Bezeichnungen
metaphorisch bzw. metonymisch auf die Referenten, auf die Pflanzen übertra-
gen wurden. Man könnte z. B. feststellen, dass im italienischen und französi-
schen Sprachgebiet die Übertragung etwa zur selben Zeit stattgefunden hat.
Daraus könnte man schlussfolgern, dass keine wesentlichen kulturellen Unter-
schiede zwischen beiden Sprachräumen vorliegen, da beide Räume annähernd
ähnlich übertragen. Dies könnte dann darauf schließen lassen, dass die Grund-
lage für die Kategorisierung der Referenten sprachunabhängig gegeben ist.
Findet die Übertragung zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt, stellt sich die
Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung der beiden Sprachräume. Die
eventuell vorhandene Beeinflussung lässt dann auf eine sprachraumübergrei-
fende Kategorisierung schließen. Dies würde die Prototypentheorie bestärken,
6.6 Analyse der Prototypen 225
die das enzyklopädische außersprachliche Wissen als Kategorisierungsgrund-
lage in den Vordergrund stellt.
Zunächst erscheint es sinnvoll, die Prototypen zur genaueren Analyse zu grup-
pieren. Folgende Vorgehensweise bietet sich an:
I. Prototypen a), b) → -SCHWANZ
II. Prototyp c) → -OHR
III. Prototypen d), e) → -ZUNGE
IV. Prototyp f) → KUCKUCK
V. Prototyp g) → HL. JOHANNES
In Gruppe I ergeben sich folgende relevanten Verknüpfungen:
Prototyp a) RATTENSCHWANZ
- Plantago → ital. Raum (kue de ratu)
→ prov. Raum (la kua de rate/coua de garri)
- Verbascum thapsus L. → prov. Raum (la kuyo de ra)
- Hypericum perforatum L. → prov. Raum (kwa de gari)
- Taraxacum officinale Web.→ span. Raum (cola de rata)
Prototyp b) FUCHSSCHWANZ
- Plantago → prov. Raum (la coua de reinard)
- Verbascum thapsus L. → prov. Raum (coua de reinard)
Allen Verknüpfungen gemeinsam ist das Element „-schwanz“, das in den ein-
zelnen romanischen Sprachen bzw. Dialekten auf das lateinische CAUDA zu-
rückgeht. Davon ausgehend tritt es in die verschiedenen Sprachen ein:
Französisch: cue/coe (1080), keue (ca. 1155), queue (ca.1220) (Rey Bd.2 1992,
1689)
Italienisch: coda (vor 1292) (Mauro Bd.2 1999, 134)
Laut Rey (Bd.2 1992, 1689) ist das lateinische CAUDA mit folgender Bedeutung
in das Französische eingedrungen: ‚Verlängerung der Wirbelsäule eines Säu-
getieres in Form eines Anhängsels des Körpers‘. Entsprechendes gilt für das
Italienische (Mauro Bd.2 1999, 134). Wichtig in diesem Zusammenhang sind
die Aspekte „Länge“ und „Säugetiere“. Die Verbindungen mit den Tieren im vor-
6.6 Analyse der Prototypen 226
liegenden Sprachmaterial werden durchweg unter Rückgriff auf Säugetiere
(Ratte, Fuchs) geschaffen. Auch der Aspekt der Länge ist wesentlich, da er bei
den genannten Prototypen im Vordergrund steht. Es geht um längliche Formen
(Stängel, Blütenstand), die zudem eine Verlängerung darstellen: Der Stängel ist
als eine Verlängerung der Wurzel zu verstehen, der Blütenstand wiederum bil-
det die Verlängerung des Stängels. Im Folgenden werden die Verknüpfungen
mit den einzelnen Tieren aufgeschlüsselt:
Ratte
Das REW gibt für südfranzösisch couorat und französisch queue de rat die Be-
deutung ‚verschiedene Grasarten‘ an (REW 31935, 170-171, Abschnitt 1774).
Im provenzalischen Raum werden im vorliegenden Sprachmaterial folgende
Pflanzen mit dieser Bezeichnung versehen: Plantago-Arten, Verbascum
thapsus L. und Hypericum perforatum L. Diese Pflanzen erinnern nicht unbe-
dingt an Gras. Jedoch muss man sich hierzu den bevorzugten Standort der
Pflanzen vor Augen führen: Alle drei Pflanzenarten wachsen vornehmlich auf
Wiesen (vgl. hierzu im einzelnen Kap. 4), so dass ein optischer Zusammenhang
zwischen Gras und den Pflanzen über ihre räumliche Nähe hergestellt werden
kann.
Das Wort rat ist ins Französische viel eher eingedrungen (ca. 1175) als ratto ins
Italienische (vor 1313) (Rey Bd.2 1992, 1720; Mauro Bd.5 1999, 419). Damit ist
die Möglichkeit gegeben, dass die Verknüpfung zwischen queue und rat eher
erfolgte als die von coda und ratto, so dass auch im provenzalischen Sprach-
raum diese Bezeichnung eher zur Verfügung gestanden haben kann als in den
norditalienischen Dialektgebieten. Dadurch könnte zum einen erklärt werden,
dass im provenzalischen Raum dieser Bezeichnungstyp für mehr Pflanzen ge-
nutzt wird als im italienischen Gebiet (prov.: Plantago, Verbascum thapsus L.
und Hypericum perforatum L.; ital. nur: Plantago). Zum anderen wäre auch eine
Übernahme der provenzalischen Bezeichnung für die Plantago-Arten durch die
norditalienischen Dialekte denkbar.
6.6 Analyse der Prototypen 227
Fuchs
Die Verknüpfung des Tierorgans „Schwanz“ mit dem Fuchs zur Bezeichnung
von Pflanzen ist im vorliegenden Material nur für das provenzalische Sprachge-
biet belegt. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Befund des FEW, das
für mfrz. und nfrz. queue de renard die Bedeutung ‚touffe de racines qui
obstruent un conduit‘ angibt (FEW Bd.2, 1. Halbbd. 1949, 531). Im provenzali-
schen Raum werden diverse Plantago-Arten und die Pflanze Verbascum
thapsus L. mit dieser Bezeichnung versehen. Besonders im Falle des Wegerich
lässt sich die oben angegebene Bedeutung durchaus nachvollziehen, sofern
man den Ausdruck „racines“ nicht mit Wurzeln im biologischen Sinn gleichsetzt.
Da die Plantago-Arten meistens vergesellschaftet in Polstern wachsen, zum
Teil ja auch auf Wegen, lässt sich schon erahnen, dass sie
durchaus zu einem Hindernis werden können. Für die Art
Verbascum thapsus L. gilt ähnliches, da ihre bevorzugten Stan-
dorte Wiesen und Wegränder sind.
Rey (Bd.2 1992, 1689) verweist darauf, dass die Bezeichnung
queue-de-renard zunächst für den Schachtelhalm (prêle) ver-
wendet wurde (um 1538), später aber auch andere Pflanzen
damit bezeichnet wurden. Nebenstehende Abbildung zeigt den
Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense L.):
Betrachtet man zunächst die äußeren Merkmale der Pflanze, so erkennt man
einen aufrechten lang gestreckten Wuchs. Der Stängel trägt Seitenäste, die je-
weils in Quirlen angeordnet sind. Dadurch bekommt der
Wuchs eine buschige, leicht unregelmäßige Textur. Zum
oberen Stängelende hin sind die Seitenäste kürzer, da
jünger und lassen ihn in einer Spitze münden. Ein ähnli-
ches Bild zeigt der Fuchsschwanz, zumindest was die
äußere Form und die buschige Textur angeht: Durch diese optische Parallelität
wird die Übertragung der Bezeichnung auf den Schachtelhalm nachvollziehbar.
Sieht man die Arten Equisetum arvense L. und Verbascum thapsus L. nebenei-
nander, fallen sofort Gemeinsamkeiten auf (vgl. Abb. S.228): Zunächst zeigen
6.6 Analyse der Prototypen 228
beide Arten einen lang gestreckten auf-
rechten Wuchs. Darüber hinaus sind bei
beiden Pflanzen seitliche Verzweigungen
im Stängelbereich zu erkennen. Diese
Verzweigungen haben jedoch einen je-
weils unterschiedlichen Ursprung: Beim
Schachtelhalm entstehen sie als Seiten-
äste am Hauptstängel, bei der Königsker-
ze entstehen aus einer einzigen Blattro-
sette am Boden mehrere lange Stängel,
die mit Blüten besetzt sind. Bei der Übertragung der Bezeichnung vom Schach-
telhalm auf die Königskerze wird dieser morphologische Unterschied jedoch
nicht berücksichtigt. Wichtig hierfür ist vielmehr der Gesamteindruck, den die
Sprecher von den Pflanzen haben und der bei beiden Arten große Parallelen
aufweist. Hinzu kommt die Tatsache, dass beide Arten Heilpflanzen sind, die
zudem durch ähnliche Anwendungsgebiete gekennzeichnet sind: Der Schach-
telhalm wird in Form von Tee bei Lungenleiden eingesetzt und ist u.a. hilfreich
bei Husten sowie Entzündungen im Rachenraum und wird zum Gurgeln sowie
Mundspülen verwendet (Pahlow 2000, 275). Auch die Königskerze wird als
Hustenmittel genutzt und findet bei allgemeiner Erkältung Verwendung (Pahlow
2000, 348). So ist die Übertragung der Bezeichnung auf die Art Verbascum
thapsus L. auch unter dem Gesichtspunkt der Verwendungsmöglichkeiten auf-
grund der Übereinstimmungen nachvollziehbar.
Die Gruppe II setzt sich aus folgenden Verknüpfungen zusammen:
Prototyp c) ESELSOHR
- Plantago major L. → prov. Raum (aurelho d‘ase)
→ ital. Raum (Orèce d‘azen)
- Plantago media L. → ital. Raum (Orìe d’aso)
- Plantago lanceolata L. → ital. Raum (Aurigi d’aso)
- Arctium lappa L. → prov. Raum (aurelo d’azu)
Equisetum arvense L. Verbascum thapsus L.
6.6 Analyse der Prototypen 229
- Verbascum thapsus L. → prov. Raum (aurelho d’ase)
Die Verknüpfungen haben als gemeinsame Basis das Tierorgan „Ohr“, das in
den romanischen Sprachen auf das lateinische AURĬCULA zurückgeht (FEW
Bd.1 1928, 179). Das FEW hält fest, dass dieses Wort schon im Lateinischen
zur Bezeichnung von Pflanzen diente (FEW Bd.1 1928, 181). Diese Funktion
wird in den untersuchten Sprachgebieten im provenzalischen und norditalieni-
schen Raum fortgeführt. Während das FEW als Beispiel u.a. die provenzalische
Bezeichnung āureyo d’ase für das französische molène (Königskerze) angibt,
was auch durch das vorliegende Sprachmaterial belegt wird, stellt Rey (Bd.2
1992, 1379) fest, dass im Französischen ab dem 16. Jh. das Wort oreille in eine
Zahl von Verknüpfungen eingedrungen ist, die durch einen Tiernamen bestimmt
sind (z.B. oreille de souris, oreille de lebre). Diese Verknüpfungen dienen wie
auch schon im Lateinischen als Pflanzenbezeichungen und zur Bezeichnung
niederer Tiere. Dieses Bezeichnungsmuster bezieht sich dabei nach Rey auf
den Aspekt der Form. Im Italienischen taucht orecchio im 13. Jh. als Ableitung
zu orecchia auf (Mauro Bd.4 1999, 647). Für das Italienische gibt Mauro den
Ausdruck orecchìo d’asino als volkstümliche botanische Bezeichnung für
Plantago-Arten an. Dafür liefert das gesammelte Sprachmaterial Belege, da die
Verknüpfungen aus dem italienischen Raum lediglich einzelne Plantago-Arten
betreffen, aber keine andere der oben erwähnten Pflanzen.
Für den provenzalischen Raum gibt es ebenfalls eine Verbindung zwischen der
Bezeichnung und der Art P. major L. Dies könnte vermuten lassen, dass eine
Übertragung stattgefunden hat von der italienischen Bezeichnungstradition für
Plantago-Arten. Davon ausgehend wurde die Bezeichnung im provenzalischen
Raum auf weitere Pflanzen übertragen, die eine eselsohrähnliche Blattform
aufweisen (Arctium lappa L., Verbascum thapsus L.).
In Gruppe III sind folgende Verknüpfungen zusammengefasst:
Prototyp d) HUNDEZUNGE
- Plantago → ital. Raum (lengwa t koen)
6.6 Analyse der Prototypen 230
- P. lanceolata L. → ital. Raum (Lengua de can)
- P. media L. → ital. Raum (Lengua ed can)
Prototyp e) GÄNSEZUNGE
- Plantago → prov. Raum (lengo d auko)
- P. lanceolata L. → ital. Raum (Leingua d’oca)
Beiden Prototypen gemeinsam ist die Verknüpfung mit dem Organ „Zunge“,
dessen Bezeichnungen in den romanischen Sprachen auf das lateinische
LĬNGUA zurückgehen (REW 31935, 410, Abschnitt 5067). Das REW hält da-
rüber hinaus fest, dass die Kombinationen langue de chien (frz.) und lingua di
cane (ital.) eine Übersetzung des griechischen kynoglossa darstellen, mit dem
die Pflanzenart Anchusa officinalis L. bezeichnet wurde (dt.
volkstümliche Bezeichnung „Ochsenzunge“ – übrigens selbst
ein Modell, das auch im vorliegenden Sprachmaterial eine Rol-
le spielt: Lengua d’bò granda [emilianisch-romagnolisch] und
lengo de buou [okzitanisch] als Bezeichnungen für die Art
Plantago major L.). Nebenstehende Abbildung zeigt die Art
Anchusa officinalis L.:
Dabei fällt auf, dass die Blätter der Pflanze länglich-schmal sind
und in einer Spitze münden. Sieht man sich im Vergleich dazu
die Blattformen der entsprechenden Plantago-Arten an, ist die Übereinstim-
mung unmittelbar zu erkennen:
Auffällig beim vorliegenden Sprachmaterial
ist die Tatsache, dass lediglich im unter-
suchten italienischen Dialektgebiet dieser
Bezeichnungstyp Verwendung findet. Nur
hier hat eine Übertragung von der Art
Anchusa officinalis L. auf diverse
Plantago-Arten stattgefunden. Diese Über-
tragung ist durch die oben gezeigte opti-P. lanceolata L. P. major L.
6.6 Analyse der Prototypen 231
sche Parallelität gut nachzuvollziehen. Hinzu kommt die Tatsache, dass auch
die Ochsenzunge zumindest früher als Heilmittel diente. Sie wurde gegen die
Pest eingesetzt und sollte helfen, die Melancholie zu bekämpfen (Hensel 1999,
96). Rey (Bd.1 1992, 1102) gibt an, dass bereits im Lateinischen LĬNGUA ne-
ben den Hauptbedeutungen des in der Mundhöhle gelegenen Organs und des
Ausdruckssystems einer Sprechergemeinschaft auch schon die metaphorische
Bedeutung ‚Objekt mit der Form einer Zunge‘ hatte. Für das Französische spielt
diese metaphorische Bedeutung ab dem 12. Jh. eine größere Rolle, als die fest
gefügten Verknüpfungen mit einem Tiernamen zur Bezeichnung von Pflanzen
dienten.
Mauro (Bd.3 1999, 990) gibt ausdrücklich die Verknüpfung lingua di cane an mit
der Information, dass es sich dabei um eine volkstümliche botanische Bezeich-
nung für verschiedene Plantago-Arten handelt. Genau dafür liefert das gesam-
melte Sprachmaterial eindeutige Beweise.
Die Verbindung des Organs „Zunge“ mit der Gans ist nicht nur auf das italieni-
sche Gebiet beschränkt. Auch im provenzalischen Sprachraum wurde eine Ver-
knüpfung gefunden. Beide Male stehen die Bezeichnungen wiederum für
Plantago-Arten, wobei im Italienischen die Art Plantago lanceolata L. herausge-
griffen wird und keine Übertragung auf weitere Arten statt-
findet. Das FEW (Bd.5 1948, 362) gibt für lengo d’aouco
im Département Haute-Garonne die Bedeutung pissenlit
(Löwenzahn) an. Hier wird wohl auf die Blattform der
Pflanze Bezug genommen, indem die einzelnen „Zacken“
an den Blättern mit Gänsezungen gleichgesetzt werden.
Die nebenstehende Abbildung veranschaulicht die Blatt-
form:
Für die Bezeichnung des Wegerich im okzitanischen Raum gilt das identische
Übertragungsprinzip. Daraus wird ersichtlich, dass ein und dasselbe Bezeich-
nungsmuster innerhalb der französischen Regionalsprachen flexibel gehand-
habt wird und dass dieses Muster durchaus auch offen für eine Übertragung ins
Italienische ist.
6.6 Analyse der Prototypen 232
Die Gruppe IV hat den Prototypen f) KUCKUCK zum Inhalt und zeigt die folgen-
den Verknüpfungen:
- Verbascum thapsus L. → prov. Raum (couguiéu)
- Taraxacum officinale Web. → span. Raum (kukulo)
Sowohl Rey (Bd.1 1992, 509) als auch Corominas und Pascual (Bd.2 41996,
265) gehen davon aus, dass die französische bzw. spanische Bezeichnung für
den Kuckuck eine lautmalerische Wiedergabe seines Rufes ist, die bereits im
Lateinischen in Form von CŬCŪLUS existierte. Rey verweist darauf, dass die
Bezeichnung auch auf Pflanzen übertragen wurde: 1557 lautete die Bezeich-
nung für die Primel coquu, 1845 findet sich die Bezeichnung für die Narzisse.
Als Motiv wird angegeben, dass diese Pflanzen dann zu blühen anfangen,
wenn der Kuckuck zu rufen beginnt – ein Hinweis auf eine metonymische Über-
tragung der Bezeichnung. Eine identische Erklärung liefert das FEW (Bd.2 2.
Halbbd. 1949, 1453). Vergleicht man die Blütezeiten der relevanten Pflanzen,
ist folgendes festzustellen: Die Primel als „Modell-Pflanze“ blüht von April bis
Juni (Schauer/Caspari 2001, 382 [Primula veris L.]). Die Blütezeit des Löwen-
zahns ist damit annähernd identisch: Die Art Taraxacum officinale Web. blüht
von April bis Juli (Schauer/Caspari 2001, 220). Die Königskerze hat jedoch eine
davon vollkommen abweichende Blütezeit: Sie blüht von Juli bis September
(Schauer/Caspari 2001, 110 [Verbascum thapsus L.]). Das ist insofern interes-
sant, als dass die für das Französische im FEW und bei Rey angegebene Be-
zeichnungsmotivation gerade nicht für das Okzitanische gilt, sondern eher noch
für das Aragonesische. Das bedeutet, dass im provenzalischen Sprachraum zu-
mindest bei der hier relevanten Königskerze eine andere Motivation hinter der
Bezeichnung gestanden haben muss, auch wenn das Ergebnis identisch ist.
Eventuell kommt hier der alte Volksglaube ins Spiel, wonach der Kuckuck gel-
bes Gefieder habe, so dass eine Bezugnahme auf die Blütenfarbe gegeben ist.
Die Gruppe V zeigt folgende Verknüpfungen:
Prototyp g) HL. JOHANNES
- Hypericum perforatum L. → ital. Raum (Fiore di S. Giovanni)
6.6 Analyse der Prototypen 233
→ prov. Raum (flour de sant Jan)
- Lavandula → ital. Raum (Spigo de san Giovanni, Erba de S.
Z’van)
→ prov. Raum (sant Jan, erba de sant Jan)
- Verbascum thapsus L. → ital. Raum (fyor de san goan)
Hier herrscht bei den untersuchten Sprachräumen eine weitgehende Parallelität
bezüglich der bezeichneten Pflanzen. Nur die Art Verbascum thapsus L. ist im
provenzalischen Gebiet nicht unter diesem metonymischen Bezeichnungstyp zu
finden. Für das Französische gibt Rey (Bd. 1 1992, 1068) an, dass ab dem 14.
Jh. der Name des Hl. Johannes zur Bezeichnung verschiedener Tier- und
Pflanzenarten dient. Das dahinter stehende Motiv konzentriert sich dabei auf
den zeitlichen Abschnitt im Jahr, in dem das Wirken des Hl. Johannes von den
Sprechern als maximal angesehen wird. So hält das FEW (Bd.5 1950, 49) fest,
dass der Volksglaube davon ausgeht, die relevanten Pflanzen haben maximale
Heilkräfte, wenn sie in der Nacht des Hl. Johannes gepflückt werden. Für das
Italienische wurden derartige Informationen nicht gefunden, jedoch ist davon
auszugehen, dass sich Elemente des Volksglaubens im untersuchten italieni-
schen Dialektgebiet niedergeschlagen haben und zu identischen Bezeichnun-
gen geführt haben.
6.6.2 Onomasiologische Prototypen
Während die semasiologischen Prototypen gezeigt haben, in welcher Form ein
Konzept auf die jeweiligen Referenten übertragen wird, zeigen die onomasiolo-
gischen Prototypen die umgekehrte Perspektive. Es wird dargestellt, wie ein je-
weiliger Referent über Konzepte versprachlicht wird. Hier lässt sich wie auch
bei den semasiologischen Prototypen die Häufigkeit der Zuordnungen veran-
schaulichen, indem gezeigt wird, wie oft ein Referent über bestimmte Konzepte
versprachlicht wird. Zugleich wird übersichtlich dargestellt, welche Pflanzenteile
über die Verbindung mit Konzepten für eine Versprachlichung der Pflanzen
herangezogen werden.
6.6 Analyse der Prototypen 234
a) Referent Arctium lappa L.
Das obige Schema zeigt, dass der Referent Arctium lappa L. über das Konzept
ESELSOHR versprachlicht wird. Hier ist die Blattform für die Bezeichnung der
Pflanze relevant. Die Übertragung vom Tierorgan auf den einzelnen Pflanzenteil
erfolgt über eine Metapher; deutlich zu erkennen ist der Wechsel des konzep-
tuellen Rahmens. Auch bei den nachfolgenden onomasiologischen Prototypen
geschieht die Übertragung jeweils über Metaphern bzw. teilweise über Meto-
nymien, deren Bedeutung für die Kategorisierung der Pflanzen durch die Spre-
cher in einem gesonderten Abschnitt behandelt wird.
b) Referent Hypericum perforatum L.
Wie das Schema zeigt, wird der Referent Hypericum perforatum L. über das
Konzept HL. JOHANNES (12x) ( Metonymie) und über das Konzept RATTEN-
SCHWANZ (1x) ( Metapher) versprachlicht. Beim erstgenannten Konzept erfolgt
eine Bezugnahme auf die Blütezeit der Pflanze. Das zweite Konzept bezieht
sich auf das Aussehen des Stängels, obwohl dieser durch die daran befindli-
chen Blätter nicht so gut wahrnehmbar ist. Das Merkmal der Blütezeit ist jedoch
sehr gut zu erkennen und dominiert bei der Bezeichnungsvergabe. Dies hat
seinen Grund darin, dass die Pflanze aufgrund der ihr zur Zeit des Hl. Johannes
Arctium
lappa L.ESELSOHR
Hypericum
perforatum L.
HL. JOHANNES
RATTENSCHWANZ
6.6 Analyse der Prototypen 235
zugeschriebenen maximalen (Heil)Kräfte eine besondere Rolle bei den Fest-
bräuchen zu Ehren des Heiligen spielt.
c) Referent Lavandula
Im prototypischen Bereich zeigt das Schema die Versprachlichung von
Lavandula-Arten mit Hilfe des Konzeptes HL. JOHANNES ( Metonymie). Hier
geht es wie bei Schema b) um die Blütezeit der Lavandula-Arten. Auch sie wei-
sen in der Zeit um den Hl. Johannes einen maximalen Wirkstoffgehalt auf und
spielen wie die Art Hypericum perforatum L. ebenfalls eine Rolle bei den Fest-
bräuchen, wodurch die Zuordnung verständlich wird.
d) Referent Plantago
Die Plantago-Arten werden vielseitig mit Konzepten in Verbindung gebracht.
Die Blattform der Pflanzen wird über die Konzepte GÄNSEZUNGE (16x) und HUN-
DEZUNGE (4x) beschrieben, die Stängelform über das Konzept RATTENSCHWANZ
(4x) und die Form des Blütenstandes schließlich über das Konzept FUCHS-
SCHWANZ (1x).
Bei diesem Prototypen werden die einzelnen Plantago-Arten nicht unterschie-
den, sondern im Gegenteil bezüglich ihrer äußeren Merkmale zusammenge-
Lavandula HL. JOHANNES
Plantago
HUNDEZUNGE
GÄNSEZUNGE
RATT ENSCHWANZ
FUCHSSCHWANZ
6.6 Analyse der Prototypen 236
fasst. Bei der Stängelform ist dies auch angemessen, da sich die relevanten Ar-
ten in diesem Merkmal nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Aber be-
züglich der Form des Blütenstandes treten schon Unterschiede auf. So ist der
Blütenstand von P. major L. beispielsweise viel länger und schmaler als der von
P. lanceolata L. Das buschige Aussehen des walzenförmigen Fuchsschwanzes
kommt jedoch am besten bei der Art P. media L. zum Vorschein. Die einzige
Differenzierung, die in diesem Prototypen vorgenommen wird, betrifft die Blatt-
form, indem hier zwei verschieden breite Tierorgane zur Bezeichnung herange-
zogen werden. Das deutet darauf hin, dass das Hauptaugenmerk der Sprecher
bei der Wahrnehmung der Plantago-Arten auf der Blattform liegt, während die
anderen Pflanzenteile nicht so relevant zu sein scheinen.
e) Referent Plantago lanceolata L.
Die Art P. lanceolata L. wird über drei Konzepte versprachlicht, die sich alle-
samt auf die Blattform der Pflanze beziehen: HUNDEZUNGE (7x), ESELSOHR (2x),
GÄNSEZUNGE (1x). Wie bei den allgemeinen Plantago-Arten (s. Schema d),
S.235) kommen auch hier Verbindungen mit den Konzepten HUNDEZUNGE und
GÄNSEZUNGE vor. Auffällig ist hierbei, dass unterschiedlich breite Tierorgane
herangezogen werden, um die Blattform und darüber die Pflanze zu bezeich-
nen. Auffällig ist weiterhin, dass bei der Bezeichnung der allgemeinen Plantago-
Arten (Schema d)) alle möglichen Pflanzenteile berücksichtigt werden, während
bei der Bezeichnung einer einzelnen Art, hier P. lanceolata L., nur ein Merkmal,
die Blattform, berücksichtigt wird. Bezüglich Schema d) wurde angenommen,
dass eine Differenzierung der Plantago-Arten nach der Blattform vorgenommen
Plantago
lanceolata L.
HUNDEZUNGE
GÄNSEZUNGE
ESELSOHR
6.6 Analyse der Prototypen 237
wird, da zwei verschiedene Tierorgane, die vor allem durch eine unterschiedli-
che Breite gekennzeichnet sind, zur Bezeichnungsbildung herangezogen wer-
den. Der vorliegende Prototyp e) jedoch widerspricht dieser Annahme insofern,
als dass ein und dieselbe Pflanze mit zwei Tierorganen belegt wird. Daraus ist
zu schließen, dass bei den allgemeinen Plantago-Arten nicht unbedingt nach
der Blattform differenziert werden muss. Die Tatsache, dass bei der Bezeich-
nung der Art P. lanceolata L. nur die Blattform eine Rolle spielt, bestätigt das
bereits bei Prototyp d) beschriebene Vorgehen der Sprecher bei der Bezeich-
nungsfindung. Dort spielten ebenfalls die Blattformen der einzelnen Arten die
entscheidende Rolle bei der Bezeichnungsfindung. Speziell bei der Art P.
lanceolata L. ist die Blattform sehr prägnant und auffällig, da sie im Vergleich zu
den anderen Arten besonders schmal und lanzettlich ist. Dies ist insofern ein
weiterer Beleg für das Kategorisierungsverhalten der Sprecher, das dadurch
geprägt ist, lediglich einzelne besonders auffällige Merkmale der Pflanzen
heranzuziehen.
f) Referent Plantago major L.
Die Art P. major L. wird über Bezeichnungen, die auf dem Konzept ESELSOHR
basieren, versprachlicht (7x). Vergleicht man diesen Prototypen mit dem zuvor
beschriebenen, fällt auf, dass für die Versprachlichung sowohl der Art P.
lanceolata L. als auch der Art P. major L. auf das Konzept ESELSOHR zurückge-
griffen wird, obwohl die Art P. lanceolata L. eine bedeutend schmalere Blattform
aufweist als die Art P. major L. Allerdings werden die betreffenden Arten in die-
sem Fall über die Häufigkeit der vergebenen Bezeichnungen differenziert, in-
dem die Art P. major L., die mehr Merkmale mit dem entsprechenden Konzept
gemeinsam hat, häufiger mit ihm in Verbindung gebracht wird als die Art P.
lanceolata L. Dies deutet darauf hin, dass im Unterschied zum Prototyp d), wo
keine Differenzierung in einzelne Plantago-Arten vorgenommen wurde, die
Plantago major L.
ESELSOHR
6.6 Analyse der Prototypen 238
Sprecher bei der Wahrnehmung der einzelnen Arten sehr wohl zumindest be-
züglich der Blattform unterscheiden und dies bei der Wahl der Bezeichnungen
berücksichtigen.
g) Referent Plantago media L.
Der Referent P. media L. wird jeweils einmal mit Hilfe der Konzepte ESELSOHR
und HUNDEZUNGE versprachlicht. Dieses Bezeichnungsverhalten der Sprecher
deutet darauf hin, dass die Art P. media L. eine mittlere Stellung zwischen den
Arten P. lanceolata L. und P. major L. einnimmt. Die Blattform von P. media L.
ist breiter als die von P. lanceolata L., weshalb der mittlere Wegerich nicht so
oft mit Bezeichnungen auf der Grundlage des Konzeptes HUNDEZUNGE verse-
hen wird. Andererseits ist die Blattform nicht so breit wie die bei P. major L.,
weshalb bei P. media L. auch nicht so oft auf Bezeichnungen mit dem konzep-
tuellen Hintergrund ESELSOHR zurückgegriffen wird. Dies ist wiederum ein Indiz
für das Kategorisierungsverhalten der Sprecher, die sich auf wenige prägnante
Merkmale stützen, um die Referenten in ihrer Umgebung zu systematisieren.
h) Referent Taraxacum officinale Web.
Die Art Taraxacum officinale Web. wird einmal über das Konzept RATTEN-
SCHWANZ und einmal über das Konzept KUCKUCK versprachlicht. Diese Be-
zeichnungen finden sich nur im spanischsprachigen Gebiet und sind auch dort
scheinbar eine Ausnahme. Sie zeigen jedoch, dass in den unterschiedlichen
Sprachräumen der Romania durchaus auf identische Konzepte zurückgegriffen
wird, um Pflanzen zu bezeichnen, da das Konzept RATTENSCHWANZ ja auch im
Plantago
media L.
ESELSOHR
HUNDEZUNGE
Taraxacum
officinale Web.KUCKUCK
RATTENSCHWANZ
6.6 Analyse der Prototypen 239
französischen Sprachgebiet zur Bezeichnung von Pflanzen dient, wie bereits
anhand des semasiologischen Prototypen a) (s. S.206-210) gezeigt werden
konnte. Das bedeutet, dass man in der Romania durchaus sprachraumübergrei-
fende Wahrnehmungs- und damit Kategorisierungsmuster antrifft.
i) Referent Verbascum thapsus L.
Der Referent Verbascum thapsus L. wird mit vielfältigen Konzepten zur
Versprachlichung in Verbindung gebracht: FUCHSSCHWANZ (5x), RATTEN-
SCHWANZ (1x), ESELSOHR (1x), KUCKUCK (2x) sowie HL. JOHANNES (1x). Auffällig
bei diesem Prototypen ist die Vielseitigkeit der Konzepte, die sonst nur noch
beim Prototypen d) zum Referenten Plantago gegeben ist. Bei letzterem erklärt
sich die Vielfalt jedoch insbesondere dadurch, dass verschiedene Arten zu ei-
ner Kategorie zusammengefasst werden. Im vorliegenden Fall betrifft die Viel-
seitigkeit jedoch lediglich eine bestimmte Art. Daraus könnte geschlussfolgert
werden, dass dem Referenten Verbascum thapsus L. bei den Sprechern eine
besondere Rolle zukommt, die zu einer derart differenzierten Wahrnehmung
führt. Die genannte Art ist in der Tat von wesentlicher Bedeutung für die Spre-
cher, wenn man berücksichtigt, dass sie zum einen für vielfältige medizinische
Zwecke genutzt wird und zum anderen ein wichtiges Element im Aberglauben
der Sprecher darstellt (vgl. hierzu Abschnitt 4.8.1, S.131-133).
Verbascum
thapsus L.
KUCKUCK
HL. JOHANNES
RATTENSCHWANZ
ESELSCHWANZ
FUCHSSCHWANZ
ESELSOHR
6.6 Analyse der Prototypen 240
6.6.3 Zusammenschau der semasiologischen und onomasiolo-gischen Perspektive
Koch kommt in seinem Ansatz der Prototypensemantik zum dem Schluss, dass
die semasiologische Perspektive zwar verschieden von der onomasiologischen
ist, dass aber beide Betrachtungsrichtungen komplementär zueinander sind,
sich also demnach ergänzen.
Dieser Aspekt der komplementären Beziehung soll im Folgenden an einem Bei-
spiel aus dem vorliegenden Sprachmaterial veranschaulicht werden. Herange-
zogen wird dazu der Referent der Plantago-Gattung. Die vorzustellenden Prin-
zipien lassen sich mühelos auf die übrigen Referenten übertragen.
Zunächst werden die Fünfeck-Modelle noch einmal aufgegriffen, hier in einer
etwas einfacheren und überschaubareren Struktur:
I)
signe:
- lengo d auko, ...
signifié
signifiant désigné (concept)
GÄNSEZUNGE
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Plantago
2 b
1 c
3a
21 3 Onomasiologie
a b c Semasiologie
6.6 Analyse der Prototypen 241
II)
III)
signe:
- lengwa t koen, ...
signifié
signifiant désigné (concept)
HUNDEZUNGE
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Plantago
2 b
1 c
3a
21 3 Onomasiologie
a b c Semasiologie
signe:
- kue de ratu, ...
signifié
signifiant désigné (concept)
RATTENSCHWANZ
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Plantago
- Verbascum
- Hypericum
- Taraxacum
2 b
1 c
3a
21 3 Onomasiologie
a b c Semasiologie
6.6 Analyse der Prototypen 242
IV)
Die Schemata I) – IV) unterscheiden sich im Bereich des Konzepts voneinan-
der. Jedes Schema zeigt jeweils ein Konzept, mit dem die Plantago-Gattung in
Verbindung gebracht wird:
Schema I) → GÄNSEZUNGE
Schema II) → HUNDEZUNGE
Schema III) → RATTENSCHWANZ
Schema IV) → FUCHSSCHWANZ
Zusätzlich veranschaulichen die Schemata die unterschiedlichen Perspektiven
von Onomasiologie und Semasiologie.
Die onomasiologische Perspektive geht jeweils vom Referenten (1, [hier:
Plantago]) aus, verbindet diesen mit einem Konzept (2, variabel) und kommt zu
einem Ausdruck (3, ebenfalls variabel). Bei der onomasiologischen Betrach-
tungsweise kann der Referent variabel mit Konzepten in Verbindung gebracht
werden, je nach gewünschter Aussage:
signe:
- la coua de reinard
signifié
signifiant désigné (concept)
FUCHSSCHWANZ
nomen nominandum (référent, denotatum)
- Plantago
- Verbascum
2 b
1 c
3a
21 3 Onomasiologie
a b c Semasiologie
243
gewähltes Konzept → gewünschte Aussage
GÄNSEZUNGE → schmale Blattform
HUNDEZUNGE → mittelbreite Blattform
RATTENSCHWANZ → Stängelform
FUCHSSCHWANZ → Blütenstand
Die semasiologische Betrachtungsweise nimmt den sprachlichen Ausdruck (a,
variabel) als Ausgangspunkt, der über das Konzept (b, ebenfalls variabel) unter
Umständen auf verschiedene Referenten (c) verweist: So beispielsweise der
Ausdruck kue de ratu, der über das Konzept RATTENSCHWANZ mehrere Referen-
ten bezeichnet (Plantago, Verbascum, Hypericum, Taraxacum).
Anhand der oben abgebildeten Schemata lässt sich die gegenseitige Ergän-
zung zeigen:
Onomasiologie: Referent (1) → Konzept (2) → Ausdruck (3)
Semasiologie: Ausdruck (a) → Konzept (b) → Referent (c)
Die wechselseitige Beziehung wird durch die Pfeile ( ) verdeutlicht. „Treff-
punkt“ der beiden Perspektiven ist das Konzept (2, b), das bei der Onomasiolo-
gie eine mentale Vorstellung vom Referenten beinhaltet, die die Grundlage für
die Versprachlichung darstellt und das bei der Semasiologie in gedanklicher
Ausformung eines sprachlichen Ausdrucks mögliche passende Referenten ab-
gleicht.
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen
6.7.1 Rolle der Wahrnehmung für die Bezeichnungsfindung
Nicht nur im Rahmen der Frame-Bildung ist es interessant zu erfahren, welche
Rolle Wahrnehmungsprozesse dabei übernehmen (vgl. Abschnitt 6.3). Auch für
die in diesem Abschnitt der Darstellung im Mittelpunkt stehenden Bezeichnun-
gen, die sich nicht bestimmten Prototypen zuordnen lassen, ist die Wahrneh-
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 244
mung von besonderer Bedeutung. Im Folgenden wird beschrieben, welche
Merkmale der Referenten zur Bezeichnungsfindung herangezogen werden:
1) Arctium lappa L.
Hier wird die Wahrnehmung reduziert auf ein besonderes Detail der Pflanze:
Die Klettfrüchte mit ihrer auffallenden Form und ihren markanten Eigenschaften
werden als Stellvertreter der Pflanze gesehen. Sie werden begrifflich mit Wan-
zen gleichgesetzt (bardana, ...), was eventuell mit der äußeren Form der Tiere
erklärt werden kann. Die gedrungene kompakte Form der Wanze lässt sich
ebenfalls bei den Früchten erkennen.
Die Benennungen auf der Grundlage des Etymons BARBANA (?) stellen eine
metaphorische Übertragung dar. Interessant hierbei ist, dass die Beziehung
zwischen den Klettfrüchten und Wanzen sprachraumübergreifend gesehen
wird. Folgende standardsprachliche Namen gelten in den einzelnen Gebieten:
bardana (ital.), bardane (frz.) und bardana (span.). Doch nicht nur die jeweilige
Standardsprache weist solche Benennungen auf, auch in den untersuchten
norditalienischen Dialektgebieten sowie im okzitanischen Sprachraum sind der-
artige Bezeichnungen vorhanden.
Jedoch werden die Früchte nicht nur mit der Wanze gleichgesetzt. Durch ihre
Eigenschaft, sich nahezu überall leicht anheften zu können, werden sie mit
Konzepten wie GREIFEN, KLEBEN, HAND in Verbindung gebracht. Begrifflich reali-
siert wird dies über Bezeichnungen wie glouteron, lappa, lampazo, grippe,
arapon. Hierbei fällt auf, dass die einzelnen Konzepte in Abhängigkeit vom je-
weiligen Sprachraum als Bezeichnungsgrundlage dienen.
Bezeichnungen auf der Basis des Konzeptes KLEBEN finden sich im französi-
schen Sprachraum (glouteron, glaiteron), nicht jedoch im italienischen oder
spanischen. Dort wird im Gegenzug das Konzept HAND benutzt, um die Pflanze
zu bezeichnen (lappa, Lappassa [ital.], lapa, lampazo [span.]). Das Konzept
GREIFEN wiederum lässt sich im vorliegenden Sprachmaterial nur für den fran-
zösischen Raum belegen (grippe, arapon). An diesem Bezeichnungsverhalten
lässt sich erkennen, dass die einzelnen Sprachgebiete zwar in gleicher Ten-
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 245
denz Merkmale der Pflanze wahrnehmen und für die Benennung heranziehen,
dass die einzelnen Merkmale aber jeweils unterschiedlich akzentuiert werden.
Die Konzepte KLEBEN, HAND und GREIFEN hängen inhaltlich miteinander zu-
sammen, setzen aber verschiedene Schwerpunkte: So ist der mit dem Konzept
KLEBEN verbundene Bedeutungsinhalt viel direkter und intensiver als die durch
das Konzept GREIFEN transportierte Vorstellung. Das Konzept HAND schließlich
steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Konzept GREIFEN, ist aber
demgegenüber wiederum weniger direkt, da keine Handlung ausgedrückt wird,
sondern lediglich ein ausführendes Organ. Interessant ist hierbei, dass die di-
rekteren, aktiveren Konzepte im französischen Raum zu finden sind, das weni-
ger direkte dagegen im italienischen und spanischen Sprachgebiet.
Auch die Form der Früchte spielt bei der Wahrnehmung eine bedeutende Rolle:
Sie sind nahezu kugelförmig und werden mit Birnen gleichgesetzt.
Über die Bezeichnung poire de vallée wird zum einen also das Aussehen der
Früchte betont, zum anderen auch etwas über den wahrgenommenen Standort
der gesamten Pflanze ausgesagt.
Bezeichnungen, die die medizinische Eigenschaft der Pflanze ausdrücken (her-
be aux teigneux, teigne, tinuzoe, peignerolle), sind nur für das Französische
und Okzitanische belegt. Diese Beobachtung ergänzt Feststellungen in Ab-
schnitt 6.5 (S.200), wonach die Klette im italienischen und spanischen Sprach-
raum nicht über besondere Bezeichnungsverfahren hervorgehoben wird. In Ab-
schnitt 6.5 wurde davon ausgegangen, dass möglicherweise die Klette in die-
sen Sprachräumen in ihrer medizinischen Anwendung nicht sehr verbreitet ist.
Diese Feststellung könnte auf den oben vorgestellten Bezeichnungskomplex
ebenfalls zutreffen.
Auch die Bezeichnung, die die Verwendung der Pflanze bzw. ihrer Samen als
Vogelfutter ausdrückt (pan d’aucèu), findet sich lediglich im okzitanischen
Sprachgebiet. Dies gilt ebenfalls für die Bezeichnungen der Klette als Futter-
pflanze (kaulet d'azu, ...). Daraus und aus den vorherigen Beobachtungen lässt
sich einerseits ableiten, dass die Verwendung der Klette im italienischen und
spanischen Raum nicht von Bedeutung ist. Andererseits zeigen die letztge-
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 246
nannten Bezeichnungen, dass einzelne Verwendungsmöglichkeiten regional
begrenzt sein können, da im standardsprachlichen Bereich des Französischen
keine derartige Namensgebung vorliegt.
2) Hypericum perforatum L.
Die nicht-prototypischen Bezeichnungen für diese Pflanzenart beruhen aus-
schließlich auf dem Verfahren der Metonymie. Elemente der Pflanze, die so be-
tont werden, sind Blattdetails und die Verwendung. Auf die Blattdetails wird mit
Bezeichnungen der Form millepertuis, mila-partus, herbe à mille trous hinge-
wiesen. Es geht darum, dass die Blätter durch die in ihnen angelegten Öldrüsen
im Gegenlicht wie durchlöchert erscheinen. Dieses Detail wird aber weder im
italienischen noch im spanischen Gebiet versprachlicht. Aus dieser Beobach-
tung kann jedoch bei der vorliegenden Pflanze nicht automatisch eine eventuell
geringere Bedeutung im italienischen oder spanischen Raum abgeleitet wer-
den. Denn für die Verwendung der Pflanze werden gerade im standardsprachli-
chen Italienisch Bezeichnungen gegeben: cacciadiavoli, fuga demonii. Diese
Namengebung spielt darauf an, dass der Pflanze Eigenschaften zugeschrieben
werden, die sie befähigen soll, Teufel und Dämonen zu vertreiben. Dieser Be-
zug zum Aberglauben wird im Französischen beispielsweise nicht hergestellt.
Dort erfolgt lediglich die bereits diskutierte Verknüpfung mit dem Hl. Johannes,
wodurch die Blüte- sowie Sammelzeit der Pflanze hervorgehoben werden. Im
vorliegenden Fall geht es jedoch um wesentlich mehr: Bestimmte, für den reli-
giösen Menschen wesentliche Eigenschaften der Pflanze werden begrifflich
veranschaulicht. Dies könnte eventuell mit einer tieferen religiösen Verwurze-
lung einzelner befragter Sprecher im italienischen Gebiet zusammenhängen.
3) Lavandula
Die metonymischen Bezeichnungen für diverse Lavandula-Arten beziehen sich
zum einen auf die Verwendung der Pflanzen, zum anderen auf das Aussehen
des Blütenstandes. Die Verwendung des Lavendels zum Baden oder zum
Frischhalten der Wäsche kommt nur im Italienischen und Französischen zum
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 247
Ausdruck (lavanda, lavande, ...); im Spanischen wird dieser Aspekt nicht
versprachlicht. Die Bezeichnung lavande aspic für die Art L. spica legt nahe,
dass dem Blütenstand besondere Bedeutung zukommt. Dies ist insofern ver-
ständlich, als dass vor allem die Blüten in hohem Maße das verwendete ätheri-
sche Öl enthalten. Bei der Art L. vera hingegen wird über die Bezeichnung
lavande officinale auf die medizinische Wirkung der Pflanze hingewiesen. Die-
ser Art scheint eine besondere Wertschätzung zuzukommen, vielleicht wegen
der Heilkraft: Sowohl das lateinische vera als auch das französische vraie ge-
ben an, dass es sich bei dieser Art um den wahren, den „richtigen“ Lavendel
handelt.
Besonders das Französische unterscheidet begrifflich einzelne Lavandula-
Arten. Die Art L. spica wird mit folgenden Bezeichnungen versehen: grande
lavande, lavande mâle, lavande aspic. Die Art L. vera erhält diese Namen:
lavande officinale, lavande femelle und lavande vraie. Besonders deutlich wird
der Unterschied zwischen beiden Arten bei der Gegenüberstellung der Be-
zeichnungen lavande mâle und lavande femelle. Offensichtlich geht es hier um
einen Größenunterschied der Pflanzen, denn die Art L. spica wird ja auch mit
grande lavande bezeichnet, was direkt den Bezug zur Größe herstellt.
Bei dieser Pflanze liegt der Schwerpunkt der Wahrnehmung auf dem lang ge-
streckten, spitz zulaufenden Blütenstand. Dieser wird als markant wahrgenom-
men und stellvertretend für die gesamte Pflanze zur Bezeichnung derselben
herangezogen (espliego, aspi, ...). Der bei den einzelnen Lavendel-Arten gut
wahrnehmbare Blütenstand wird sprachraumübergreifend als Merkmal zur Be-
zeichnungsvergabe herangezogen: Sowohl im okzitanischen Gebiet (aspic,
espic, ...) als auch in den italienischen (Spigu, Spiga, ...) und spanischen
(espliego, esplena, ...) Räumen sind derartige Bezeichnungen belegt.
4) Plantago
Bei zahlreichen Plantago-Arten steht die Blattform besonders im Zentrum der
Wahrnehmung: Hier zeigt sich deutlich die Relevanz der Faktoren Linienenden
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 248
und Krümmung für die Wahrnehmung. Die Blätter einzelner Arten werden z.B.
mit Hirschhörnern verglichen (corne de cerf [1], metaphorische Übertragung):
Hier zeigt sich die übereinstim-
mende Krümmung von Blatt und
Horn, und auch die Linienfüh-
rung ist parallel. Vernachlässigt
wird hierbei, dass das Hirsch-
horn einen runden Querschnitt
hat, während die Blätter einen
flachen Querschnitt aufweisen.
Hier geht es lediglich um die
wahrgenommene äußere Form. Auch die Gleichsetzung mit der Rinderzunge
(lengo de buou [2], metaphorische Übertragung) beruht auf Parallelen bezüglich
der lang gestreckten Form und der Mündung in einer Spitze.
Während der erste Bezeichnungstyp nur im standardsprachlichen Französisch
verwendet wird, ist der zweite Bezeichnungstyp im okzitanischen Gebiet sowie
im emilianisch-romagnolischen Raum in Gebrauch. Bei der Bezeichnung corne
de cerf wird nicht hinsichtlich der Plantago-Art unterschieden. Demgegenüber
finden die Bezeichnungen auf der Grundlage des Konzeptes RINDERZUNGE nur
Verwendung für die Art Plantago major L. Hier erfolgt eine einleuchtende Zu-
ordnung von einem Tierorgan zu einer entsprechenden Blattform.
Bemerkenswert ist nun, dass in verschiedenen Sprachgebieten bei den Spre-
chern ähnliche Wahrnehmungsprozesse ablaufen, die zu nahezu identischen
Bezeichnungen der Pflanzen führen. Hier erhält man einen eindeutigen Beleg
für die Theorien der kognitiven Linguistik, wonach das enzyklopädische Wissen
einen unabdingbar notwendigen Bestandteil für die Kommunikation über be-
stimmte Objekte darstellt.
In den untersuchten romanischen Sprachen und Dialekten werden über
entsprechende metaphorische Zuordnungen die Blattformen der einzelnen
Arten unterschieden.
P. lanceolata L.
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 249
Auch die Wuchsform der Plantago-Arten ist ein für die
Wahrnehmung der Pflanzen relevantes Merkmal: Die
Blätter breiten sich sohlenartig in Form einer Rosette
über dem Erdboden aus. Dies wird sprachraumüber-
greifend über metonymische Bezeichnungen auf der
Basis des Etymons PLANTĀGO, -ĬNE wie planta,
plantin, ... ausgedrückt, in Anspielung auf das lateini-
sche Wort für Sohle planta. Für diese Pflanze gilt ein
einzelsprachlich unabhängiges Bezeichnungsmuster,
das auf der Grundlage universell gültiger Wahrneh-
mungsprozesse geschaffen wurde.
Neben der äußerlich gut wahrnehmbaren Form der Blätter spielen für die
Wahrnehmung auch bestimmte Blattdetails eine besondere Rolle: Hauptsäch-
lich geht es hierbei um die auffälligen „Blattadern“.
Diese Verästelungen charakterisieren jeweils die Plantago-
Blätter, sie werden als hervorstechendes Merkmal wahr-
genommen und bezeichnen stellvertretend die gesamte
Pflanze (herbe à cinq côtes, foey da sin kost, Erba de
sinque nervi).
Das Verbreitungsgebiet dieser Bezeichnungen sind die
norditalienischen Dialektgebiete und der okzitanische
Sprachraum. Lediglich eine Bezeichnung (herbe à cinq
côtes) entstammt der französischen Standardsprache.
Selbst für kleine Details kann auf die Bedeutung der Theo-
rien des kognitiven Ansatzes verwiesen werden: Die „Blattnerven“ werden von
Sprechern verschiedener Gebiete als besonders markant wahrgenommen und
für eine Bezeichnung der einzelnen Arten genutzt. Hierbei kann besonders für
die norditalienischen Dialekte festgehalten werden, dass die Bezeichnungen
artübergreifend verwendet werden: So steht beispielsweise die Bezeichnung
Cinque coste sowohl für die Art P. lanceolata L. als auch für die Arten P. major
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 250
L. und P. media L. Die einzelnen Unterschiede hinsichtlich beispielsweise der
Anzahl der „Blattadern“ werden vernachlässigt:
Offenbar spielt hier die Differenzierung der einzelnen Arten keine so bedeuten-
de Rolle. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass beispielsweise nicht nur
die Blätter des Spitzwegerich (P. lanceolata L.) zur Wundbehandlung eingesetzt
werden können (vgl. Abschnitt 4.6.1, S.123), sondern dass die Sprecher auch
die Blätter anderer Arten für denselben Zweck verwenden und daher eine be-
griffliche Unterscheidung in einzelne Arten nicht relevant ist.
Bei den Plantago-Arten berücksichtigt die Wahrnehmung sogar noch versteck-
tere Aspekte: Hier geht es um das Aussehen der Samen, die als Vogelfutter für
den Menschen von Bedeutung sind. Die Samen werden dem Aussehen nach
mit Flöhen gleichgesetzt (herbe aux puces). Dafür sprechen Parallelen hinsicht-
lich der Form und Größe (vgl. Abb., Das Neue Lexikon, Bd.3 1987, 1207). Die-
se Bezeichnung liegt im vorliegenden Sprachmaterial lediglich für das stan-
dardsprachliche Französisch vor.
Die Verwendung der Samen als Vogelfutter oder für medizinische Zwecke ist
eventuell in anderen Sprachräumen nicht so bedeutend, so dass dort die Sa-
men auch nicht begrifflich hervorgehoben werden.
P. major L. P. lanceolata L. P. media L.
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 251
Direkt auf die Verwendung der Samen als Vogelfutter spielt folgende Bezeich-
nung an: pa d auzel. Sie ist nur im okzitanischen Sprachgebiet belegt – auch
dies ein eventuelles Indiz für eine räumliche Begrenzung dieses speziellen
Verwendungszweckes.
5) Taraxacum officinale Web.
Hier liegt der Schwerpunkt der Wahrnehmung zunächst auf
der markanten Blattform. Die Blätter erscheinen „gesägt“ mit
offensichtlichen Parallelen zum Löwengebiss (vgl. Abb. Lexi-
kon der Biologie, Bd.7 1986, 90).
Zur Bezeichnung dieser Pflanze wird über eine Metapher auf
das Konzept LÖWENZAHN zurückgegriffen. Das Konzept – in
Anspielung auf die gesägten Blätter – gilt für die jeweiligen
Standardsprachen sprachraumübergreifend: Löwenzahn (dt.), dènte di leóne
(ital.), dent-de-lion (frz.), diente de león (span.). Auch in der piemontesischen
Dialektregion sowie im okzitanischen Gebiet ist dieser Bezeichnungstyp zu fin-
den. Diese Art der Benennung liefert wiederum eine Bestätigung der Theorien
des kognitiven Ansatzes.
Auch die Form der Blütenköpfe spielt bei der Wahr-
nehmung eine Rolle. Die Blütenköpfe sind geprägt
durch eine verdickte Basis und eine scheibenartige da-
rüber sitzende Verbreiterung. Auch der Schweinerüs-
sel weist eine solche Formgebung auf (vgl. Abb.,
Fehér/Szunyoghy 1996, 393). Diese Parallelität kommt in Bezeichnungen wie
mourre-pourcin zum Ausdruck. Die Bezeichnungen auf der Basis des Konzep-
tes SCHWEINESCHNAUZE sind durch metaphorische Übertragung entstanden. Sie
finden sich nur im piemontesischen Dialekt und im okzitanischen Sprachraum.
Hier fällt die lokale Begrenzung dieses Bezeichnungstyps auf. Eventuell kann
dies damit begründet werden, dass in den anderen Regionen diese Zuordnung
Blütenform – SCHWEINERÜSSEL durch die vorherrschende Wahrnehmung nicht
realisiert wird.
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 252
Noch begrenzter sind die folgenden Bezeichnungen nach dem Verfahren der
Metonymie: Soffione und Sufficùn sowie Suffiòn gelten nur für den italienischen
Sprachraum, die beiden letztgenannten sogar nur für das emilianisch-romagno-
lische Dialektgebiet. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass die Eigen-
schaft der Samen, leicht vom Wind verbreitet zu werden, in den übrigen
Sprachregionen als nicht relevant genug erachtet wird, so dass auf der Grund-
lage dieser Eigenschaft keine Bezeichnungen für die Pflanze geschaffen wer-
den.
Die harntreibende Wirkung der Pflanze hingegen wird wieder sprachraumüber-
greifend zur Bezeichnung für Taraxacum officinale Web. genutzt. Sowohl im
Standardfranzösisch (pissenlit) als auch in den untersuchten italienischen und
spanischen Dialektregionen sowie im okzitanischen Sprachraum liegen Be-
zeichnungen vor, die diese Eigenschaft der Pflanze hervorheben.
Die Verwendung der Pflanze als Schweinefutter ist begrifflich jedoch kaum ver-
treten: Engraissa-puorch (ligurisch) und engraisso-porc (okzitanisch). Lediglich
zwei Nennungen weisen darauf hin, die jedoch räumlich eng beieinander liegen:
Engraissa-puorch ist für Nizza notiert, engraisso-porc für die Départements Al-
pes-Maritimes und Var. Hier liegt demnach ein isolierter Raum vor, in dem der
Verwendungszweck der Pflanze zu ihrer Bezeichnung geführt hat.
6) Verbascum thapsus L.
Häufig konzentriert sich die Wahrnehmung auf den Blütenstand. Zum einen
wird die Form besonders hervorgehoben: Der Blütenstand ist gerade, lang ge-
streckt und von rundem Querschnitt, entsprechend der
Kerze, mit der die Pflanze über die metaphorischen Be-
zeichnungen cierge de Notre Dame und chandelier in Ver-
bindung gebracht wird. Darüber hinaus fallen dem Betrach-
ter die leuchtend gelben Blüten auf, die in dem Blütenstand
zusammengefasst sind. Zwischen der Leuchtkraft der Blü-
ten und der einer Kerze wird ebenfalls eine Parallele wahr-
genommen. Beim französischen cierge de Notre Dame fin-
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 253
det eine Art Überhöhung der Pflanze statt: Die Pflanze wird mit der Hl. Maria in
Verbindung gebracht (Notre Dame), einer der bedeutendsten Heiligenfiguren. In
der Bezeichnung kommt die enorme Bedeutung zum Ausdruck, die die Pflanze
für die jeweiligen Sprecher hat: Die Art Verbascum thapsus L. verfügt über zahl-
reiche medizinisch wichtige Eigenschaften und spielt auch im religiösen Bereich
eine sehr große Rolle.
Zur Bezeichnung der Pflanze wird jedoch nicht nur der thematische Komplex
der Kerze herangezogen, es findet auch ein Vergleich
mit Tierorganen statt: Der buschige Wuchs des Blüten-
standes wird mit dem Wolfsschwanz (la kwo de lu,
gordolobo) sowie mit dem Eselschwanz (la kwo d'aze)
gleichgesetzt. Beide Komponenten weisen zudem einen
runden Querschnitt und einen lang gestreckten Wuchs
auf.
Bei einzelnen Bezeichnungen steht die Wahrnehmung
des Erscheinungsbildes der gesamten Pflanze im Vor-
dergrund. Ihr aufrechter Wuchs (vgl. Abb. S.252) wird
mit dem charakterlich aufrechten bonhomme in Verbindung gebracht. Diese
metaphorische Bezeichnung ist, ähnlich wie die zuvor genannten, lediglich im
Standardfranzösisch nachgewiesen.
Neben dem Gesamteindruck von der Pflanze spielen auch Details eine Rolle.
Hier sind es die behaarten Stängel, die die Aufmerksamkeit der Betrachter er-
regen. Diese werden als ein besonderes Merkmal gewertet, das auch begrifflich
in Form von Metonymien hervorgehoben wird. Die Bezeichnungen verbasco
(ital.), tassobarbasso (ital.), verbasco (span.) sowie molène (frz.) beziehen sich
alle auf das Aussehen des Stängels der Pflanze, betonen jedoch, je nach
Sprachgemeinschaft, einen anderen Aspekt: Während das Italienische und
Spanische die behaarte Erscheinung des Stängels hervorheben, wird er im
Französischen lediglich als weich beschrieben. Im italienischen und spanischen
Gebiet erfolgt also eine etwas genauere Wahrnehmung, die zu einer gegenüber
dem Französischen differenzierteren Bezeichnung führt.
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 254
Die Verwendung der Pflanze, die in Bezeichnungen der Form bouillon-blanc
(frz.) und boulhon-blanc (okzit.) zum Ausdruck kommt, scheint für die unter-
suchten italienischen und spanischen Sprachräume nicht von Belang zu sein.
Auch die Gleichsetzung der Pflanze mit Heiligen (herbe de Saint-Pierre / herbe
de Saint-Fiacre) ist nur für das Französische belegt. Dieser Aspekt bestätigt die
oben beschriebene Beobachtung, dass die Überhöhung der Pflanze im Franzö-
sischen geistlich geprägt ist.
6.7.2 Rolle des enzyklopädischen Wissens
Nicht nur Erfahrungen, die sich aus der Wahrnehmung der Pflanzen ergeben,
sind relevant für ihre Benennung. Auch das über die Pflanzen vorhandene en-
zyklopädische Wissen hat einen entscheidenden Einfluss auf die Bezeich-
nungsfindung. Im Folgenden wird dargestellt, was das enzyklopädische Wissen
beinhaltet, auf dessen Grundlage Bezeichnungen gebildet werden, die sich
nicht prototypisch gliedern lassen.
1a) Arctium lappa L. → medizinische Eigenschaft
Das enzyklopädische Wissen beinhaltet hier Kenntnis über medizinische Ver-
wendungsmöglichkeiten der Pflanze. Bezeichnungen vom Typ herbe aux
teigneux, teigne oder auch peignerolle beziehen sich darauf, dass besonders
die Klettenwurzel Stoffe beinhaltet, die Krankheiten der Kopfhaut lindert.
1b) Arctium lappa L. → Verwendung
Das enzyklopädische Wissen über die Pflanze bezieht noch einen weiteren
Verwendungszweck mit ein: die Verwendung der Samen als Vogelfutter, aus-
gedrückt durch die Bezeichnung pan d’aucèu. Die Pflanze insgesamt dient
ebenfalls als Futterpflanze, versprachlicht in Bezeichnungen wie kaulet d'azu.
2) Hypericum perforatum L. → Verwendung
Hier beinhaltet das enzyklopädische Wissen Kenntnisse und Erfahrungen aus
dem Bereich des (Aber)Glaubens. Es geht darum, dass der Pflanze nachgesagt
6.7 Analyse der nicht-prototypischen Bezeichnungen 255
wird, sie könne Teufel und Dämonen vertreiben, was in den Bezeichnungen
cacciadiavoli und fuga demonii zum Ausdruck kommt.
3) Lavandula → Verwendung
Bezüglich des Lavendels konzentriert sich das enzyklopädische Wissen auf die
Verwendung der verschiedenen Arten. Früher wurden Lavendelblüten dem Ba-
dewasser zugesetzt, da diese aufgrund ihres Gehalts an ätherischen Ölen duf-
ten. Aus dem gleichen Grund werden häufig getrocknete Lavendelzweige zwi-
schen frisch gewaschene Wäsche gelegt. Durch den lang anhaltenden Duft be-
hält die Wäsche ihre Frische. Diese Verwendungszwecke stehen hinter Be-
zeichnungen wie lavandin, grande lavande, ... Eine spezielle Bezeichnung rückt
einen weiteren Aspekt der Verwendung in den Vordergrund: Der Lavendel wird
gelegentlich auch als Heilpflanze genutzt (lavande officinale).
4) Plantago → Verwendung
In diesem Fall bezieht sich das enzyklopädische Wissen ebenfalls auf die Ver-
wendung der Pflanze: Ihre Samen dienen als Vogelfutter. Dieser Zweck wird
ausgedrückt durch die Bezeichnung pa d auzel.
5a) Taraxacum officinale Web. → Eigenschaft der Samen
Hier geht es um das Wissen über die besondere Eigenschaft der Samen, sehr
leicht vom Wind fortgetragen zu werden. Dieses Verhalten kommt in den Be-
zeichnungen Soffione, Sufficùn und Suffiòn zum Ausdruck.
5b) Taraxacum officinale Web. → Wirkung
Das enzyklopädische Wissen bezüglich des Löwenzahns beinhaltet ebenfalls
Kenntnisse über die Wirkung der Pflanze. Durch ihren Milchsaft hat sie u.a.
harntreibende Eigenschaften, was in den Bezeichnungen pissenlit, Piscialetto,
pisa-camas, pissacan... beschrieben wird.
256
5c) Taraxacum officinale Web. → Verwendung
Auch bei dieser Pflanze betrifft ein Aspekt des enzyklopädischen Wissens die
Verwendung. Der Löwenzahn zeichnet sich durch einen hohen Nährstoffgehalt
aus und eignet sich damit z.B. als Schweinefutter. Diese Verwendungsmöglich-
keit kommt in den Bezeichnungen Engraissa-puorch und engraisso-porc zum
Ausdruck.
6a) Verbascum thapsus L. → Verwendung
Wie bei sehr vielen der bereits vorgestellten Pflanzen ist das enzyklopädische
Wissen stark geprägt von den Erfahrungen der Menschen mit den Pflanzen. So
auch bei Verbascum thapsus L. Hier steht die medizinische Verwendung im
Vordergrund; sie wird zur Herstellung von Tee genutzt, der Husten lindernd
wirkt. Angespielt wird auf diese Verwendung durch die Bezeichnungen bouillon-
blanc und boulhon-blanc.
6b) Verbascum thapsus L. → Heilige
Ein weiterer Bereich des enzyklopädischen Wissens, der für die Pflanze eine
wesentliche Rolle spielt, betrifft den Komplex der Heiligen. Die Art Verbascum
thapsus L. wird mit dem Hl. Petrus und dem Hl. Fiaker in Verbindung gebracht
(herbe de Saint-Pierre; herbe de Saint-Fiacre). Der Todestag des Hl. Petrus fällt
in etwa zusammen mit der Blühperiode der Pflanze. Zudem wird der Hl. Petrus
häufig mit heilkräftigen Pflanzen in Verbindung gebracht, zu denen auch die Art
Verbascum thapsus L. gehört. Der Hl. Fiaker gilt als Schutzpatron der Gärtner.
Hier ist insofern ein Zusammenhang gegeben, als dass die Pflanze auch in
Gärten anzutreffen ist und früher auch in den Klostergärten angepflanzt wurde.
6.8 Analyse der wissenschaftlichen Bezeichnungen
Die in Kapitel 5.2.5 beschriebene schrittweise Differenzierung der Pflanzen im
Rahmen der Taxonomie kommt auch in der Wahl der Bezeichnungen für die
Pflanzen zum Ausdruck. Die zunehmende Spezifizierung lässt sich besonders
gut beim Übergang von der Ebene der Gattung zu der der Art erkennen.
6.8 Analyse der wissenschaftlichen Bezeichnungen 257
Die im Wesentlichen von Carl von Linné geschaffenen Bezeichnungen für die
einzelnen Pflanzen betonen ihre für die Klassifizierung als wesentlich eingestuf-
ten Merkmale. So wurden auf der Ebene der Gattung Unterschiede bei den
Pflanzen hinsichtlich Wuchsort, innere Merkmale, äußeres Erscheinungsbild
sowie der Verwendung festgestellt. Bezüglich des Wuchsortes werden die Gat-
tungen Hypericum und Plantago unterschieden. Innere Merkmale stehen bei
der Gattung Taraxacum zur Differenzierung im Vordergrund (hier der Milchsaft);
das äußere Erscheinungsbild war bei der Gattung Verbascum ein wesentliches
Merkmal (behaarte Stängel). Auch bei der Gattung Arctium stand ein äußeres
Merkmal im Vordergrund: das Aussehen der Blütenköpfe. Bei der Gattung
Lavandula ist das zur Unterscheidung von anderen Gattungen herangezogene
Merkmal die Verwendung (als Badezusatz, für frisch gewaschene Wäsche, ...).
Die vorgestellten Gattungsnamen werden auf der Ebene der Arten durch An-
hängen eines Beiwortes weiter spezifiziert.
Ein Merkmal, das häufig zur Differenzierung einzelner Arten herangezogen
wird, ist die Blattform: angustifolia, latifolia, lanceolata, major und media charak-
terisieren jeweils spezifische Blattformen und -größen. Darüber hinaus ist die
Form des Blütenstandes ein Unterscheidungsmerkmal, das hier die Art
Lavandula spica L. (Bezugnahme auf den ährenförmigen Blütenstand) von an-
deren Lavendel-Arten unterscheidet. Auch die Blütenfarbe wird als ein wesentli-
ches Merkmal zur Differenzierung einzelner Arten herangezogen: Die Art
Verbascum thapsus L. wird so aufgrund ihrer gelben Blütenfarbe von anderen
Arten differenziert. Nicht nur gut wahrnehmbare Merkmale werden zur Klassifi-
zierung der Pflanzen genutzt: Im Rahmen der Gattung Hypericum wurde bei-
spielsweise beobachtet, dass einzelne Pflanzen mit Öldrüsen versehene Blätter
tragen. Dieses Merkmal wurde zur Unterscheidung von anderen Hypericum-
Arten herangezogen: H. perforatum L. Auch markante Eigenschaften einzelner
Pflanzenteile werden als Unterscheidungsmerkmale hervorgehoben: Bei der
Gattung Arctium wird die Art A. lappa L. durch die Eigenschaft der Früchte, sich
leicht im Fell von Tieren oder in der Kleidung des Menschen zu verhaken, von
anderen Arctium-Arten unterschieden. Nicht zuletzt führte die Erkenntnis über
6.8 Analyse der wissenschaftlichen Bezeichnungen 258
besondere medizinisch wirksame Eigenschaften bestimmter Pflanzen zu deren
Differenzierung. Bei den gewählten Pflanzen trifft dies auf die Art Taraxacum
officinale Web. zu, deren Heilwirkung sie von anderen Taraxacum-Arten unter-
scheidet.
An dieser Art der Bezeichnungsvergabe ist zum einen der Prozess der zuneh-
menden Differenzierung von der Ebene der Gattung zu derjenigen der Art zu
erkennen. Während für die Ebene der Gattung lediglich Wuchsort, bestimmte
innere und äußere Merkmale sowie die Verwendung entscheidend sind, spielen
auf der Ebene der Art differenziertere Merkmale eine Rolle: So kommen bei der
Kategorie „äußere Merkmale“ noch weitere Besonderheiten der Pflanzen hinzu,
wie die Blattform, die Form des Blütenstandes, die Blütenfarbe und einzelne
Blattdetails. Auch wird die Eigenschaft bestimmter Pflanzenteile zur Differenzie-
rung in einzelne Arten verwendet, welche bei der Kategorisierung in Gattungen
noch nicht relevant war. Nicht zuletzt ist die medizinische Verwendungsmög-
lichkeit einzelner Pflanzen erst bei der Arten-Differenzierung von Bedeutung,
nicht jedoch bei der Unterscheidung der Gattungen.
Hiermit wird über die Beiwörter, die die Pflanzen auf der Ebene der Art benen-
nen, eine Differenzierung ermöglicht, die dazu beiträgt, einer bestimmten Pflan-
zenart ihren Platz innerhalb der Taxonomie zuzuordnen. Anhand der vorliegen-
den wissenschaftlichen Bezeichnungsvergabe werden auch die Prinzipien der
Taxonomie und der damit verbundenen Nomenklatur erkennbar: Durch die
Beiwörter werden aufgrund bestimmter Merkmale einzelne Arten unterschieden.
Dadurch wird gewährleistet, dass zum einen jede bekannte Pflanze eindeutig
identifiziert und zugeordnet werden kann. Zum anderen ergibt sich aus diesem
Bezeichnungsverfahren die Gewähr, ebenfalls eindeutig und präzise über be-
stimmte Pflanzen kommunizieren zu können und somit wesentliche Prinzipien
der wissenschaftlichen Nomenklatur (vgl. Abschnitt 5.2.4) zu erfüllen.
259
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Prag-matik
6.9.1 Vorbemerkungen
Im Folgenden geht es um die genauere Beschreibung der Bezeichnungsverfah-
ren „Metapher“ und „Metonymie“, auf die bei dem vorliegenden Sprachmaterial
zurückgegriffen wird. Dabei wird zwischen prototypischen (Abschnitt 6.9.2) und
nicht-prototypischen Bezeichnungen (Abschnitt 6.9.3) unterschieden. Es wird
hinterfragt, inwieweit die in Abschnitt 2.8 dargestellten Aspekte der Metaphern-
und Metonymientheorie Gültigkeit für das vorliegende Sprachmaterial besitzen.
Darüber hinaus geht es um die Relevanz der Bezeichnungsverfahren aus dem
Blickwinkel der Pragmatik.
6.9.2 Prototypische Bezeichnungen
In der überwiegenden Zahl werden bei den prototypischen Bezeichnungen me-
taphorische Konzepte (Tier[organe]) herangezogen, um einander ähnliche
Pflanzen zu gruppieren. Daraus ergibt sich zunächst eine gegenüber der wis-
senschaftlichen Taxonomie veränderte Gliederungsstruktur. Innerhalb der wis-
senschaftlichen Taxonomie werden die einzelnen Arten voneinander getrennt.
Die Sprecher in den hier untersuchten Gebieten tun dies nicht. So werden von
ihnen z.B. unter das metaphorische Konzept RATTENSCHWANZ folgende Arten
eingeordnet: Plantago-Arten, Verbascum thapsus L., Hypericum perforatum L.
und Taraxacum officinale Web. Diese Pflanzen werden von den Sprechern als
zusammengehörig wahrgenommen. Möglich wird dies durch die Fixierung der
Wahrnehmung auf ein allen Pflanzen gemeinsames Merkmal, der lang ge-
streckte Stängel mit rundem Querschnitt.
Bei den prototypischen Bezeichnungen ist zu beobachten, dass die einzelnen
Pflanzen nicht nur unter ein Konzept eingeordnet werden, sondern häufig unter
mehrere. So sind die Plantago-Arten und die Art Verbascum thapsus L. nicht
nur zu RATTENSCHWANZ geordnet, sondern auch zu FUCHSSCHWANZ und ESELS-
OHR. Darüber hinaus ist die Art Verbascum thapsus L. bei KUCKUCK zu finden,
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Pragmatik 260
die Plantago-Arten bei HUNDEZUNGE und GÄNSEZUNGE. Aus diesen Zuordnun-
gen ergibt sich wenigstens für einzelne der gewählten Arten eine hohe Flexibili-
tät. Die Pflanzen können so zugeordnet werden, wie es die von der Wahrneh-
mung als relevant erfassten Merkmale erfordern. Bei der Art Verbascum
thapsus L. beispielsweise erfolgt die Zuordnung entweder in Bezug auf den
Stängel (RATTENSCHWANZ), den Blütenstand (FUCHSSCHWANZ), die Blattform
(ESELSOHR) oder in Bezug auf die Blütenfarbe (KUCKUCK), je nachdem, welches
Merkmal im Vordergrund steht.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Metapherntheorie betrifft das Verhältnis
zwischen Zielkonzept und der konzeptuellen Quelle. Im vorliegenden prototy-
pisch organisierbaren Sprachmaterial fungieren zum einen die Tierorgane als
konzeptuelle Quelle, zum anderen der Kuckuck. Bei den Tierorganen werden
nur bestimmte Formen herangezogen: Schwanz, Ohr und Zunge. Die Zielkon-
zepte sind hier die jeweiligen Pflanzen. Die Metapherntheorie geht davon aus,
dass zwischen einem Zielkonzept und der konzeptuellen Quelle strukturelle
Ähnlichkeiten vorliegen. Bei den Beziehungen zwischen den Tierorganen und
den entsprechenden Pflanzen finden sich insofern strukturelle Ähnlichkeiten, als
dass markante Pflanzenteile (Stängel, Blütenstand, Blatt) ihrer Form nach mit
passenden Strukturen der Tierorgane verglichen werden. Während bei diesen
Beziehungen greifbare strukturelle Ähnlichkeiten vorliegen, sind die Ähnlichkei-
ten bei der Beziehung Kuckuck – Zielkonzepte nicht direkt strukturell geprägt.
Hier bezieht sich die Ähnlichkeit auf die Blütenfarbe der Zielkonzepte in Verbin-
dung mit der früheren Annahme, der Kuckuck habe gelbes Gefieder. Diese An-
nahme ist aber nicht objektiv haltbar, da der Kuckuck ein grau-braunes Gefieder
hat.
Dennoch zeigt die Metaphernverwendung deutlich, dass der Schwerpunkt
schon auf Beziehungen liegt, die durch strukturelle Ähnlichkeit geprägt sind, da
die unter Rückgriff auf Tierorgane gebildeten Metaphern bei weitem überwie-
gen.
Ein weiterer Aspekt der Metapherntheorie betrifft die Annahme, dass die kon-
zeptuelle Quelle mehr Eigenschaften aufweist, als auf das Zielkonzept übertra-
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Pragmatik 261
gen werden. Dies kann im vorliegenden Sprachmaterial bei den Prototypen
nicht durchgängig belegt werden, besonders bei der konzeptuellen Quelle der
einzelnen Tierorgane. Das Organ „Rattenschwanz“ beispielsweise verfügt über
folgende Eigenschaften, die übertragungsrelevant sind: Länge, Flexibilität,
Nacktheit, runder Querschnitt. Einerseits gibt es Zielkonzepte, die alle Eigen-
schaften in sich vereinen (hier: Plantago-Arten, Taraxacum officinale Web.).
Andererseits stößt man auf Zielkonzepte, die nur Teile der Eigenschaften tra-
gen (hier: Hypericum perforatum L., Verbascum thapsus L. [Länge, runder
Querschnitt]).
Damit hängt unmittelbar die Feststellung der Metapherntheorie zusammen,
dass Konzepte in Teilen strukturiert werden. Bei den Tierorgan-Metaphern wird
die jeweilige Pflanze nie als Gesamtheit eingeordnet. Besonders deutlich wird
dies bei dem Zielkonzept Verbascum thapsus L. Dieses wird mit verschiedens-
ten Tierorganen in Verbindung gebracht, die jeweils nur ein bis zwei Aspekte
der Pflanze herausstellen:
1) Rattenschwanz → lang gestreckter Wuchs, runder Stängelquerschnitt
2) Fuchsschwanz → langer Blütenstand mit eher unregelmäßigem Profil
3) Eselsohr → Blattform, gegenständige Blattanordnung am Stängel
Hier gilt die Feststellung, dass je Prototyp lediglich ein bis zwei Merkmale für
die Einordnung des Zielkonzeptes herangezogen werden. Durch diese Teilak-
zentuierung können besonders relevante Pflanzenmerkmale hervorgehoben
werden, die dann jeweils stellvertretend für die gesamte Pflanze stehen. Im vor-
liegenden prototypisch organisierten Sprachmaterial handelt es sich vor allem
um solche Elemente, die eine spezielle Bedeutung für den Menschen haben.
Beispielsweise werden bei den Plantago-Arten häufiger als bei anderen gewähl-
ten Zielkonzepten die Blattformen betont (konzeptuelle Quellen: Eselsohr, Hun-
de- und Gänsezunge). Dies kann damit erklärt werden, dass bei den Plantago-
Arten besonders die Blätter medizinisch genutzt werden, z.B. zur Wundbehand-
lung.
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Pragmatik 262
Damit geht die Beobachtung Hand in Hand, dass Metaphern dazu beitragen,
die menschliche Wahrnehmung möglichst effektiv zu gestalten. Durch die
Hervorhebung einzelner Merkmale erfolgt eine Fokussierung der Wahrneh-
mung. Nicht die gesamte Pflanze wird mit ihrem Aussehen und ihren Eigen-
schaften der Informationsverarbeitung weitergeleitet, sondern die je nach Kon-
text relevanten Charakteristika wie Blattform, Stängelquerschnitt, Blütenfarbe,
etc., die als Identifikationspunkte für spätere Einordnungen ähnlicher Pflanzen
dienen.
Das Wahrnehmungsverhalten hat direkte Auswirkungen auf die Pragmatik, auf
die Umsetzung in zwischenmenschliche Kommunikation. Durch die Fokussie-
rung der Wahrnehmung auf bestimmte Merkmale wird das komplexe Gebilde
„Heilpflanze der Art x“ reduziert auf konkret greifbare und für den Menschen
nutzbare Charakteristika. Dadurch wird das Objekt Pflanze an sich anschauli-
cher und verständlicher, was für die Pragmatik insofern wesentlich ist, als dass
so die Kommunikation über bestimmte Pflanzen erleichtert wird. Die Kommuni-
kation wird darüber hinaus auch dadurch effizienter, dass über die prototypi-
sche Struktur Pflanzen zusammengefasst werden (vgl. beispielsweise der sehr
komplexe Prototyp ESELSOHR, Pflanzen: Plantago major L., P. lanceolata L., P.
media L., Arctium lappa L., Verbascum thapsus L., auf drei Ebenen um das
zentrale Tierorgan angeordnet). Dadurch ist es möglich, Zusammenhänge, die
zwischen einzelnen Pflanzenarten bestehen, aufzudecken und für die Kommu-
nikation zu nutzen, indem durch das Ansprechen einer mentalen Repräsentati-
on (hier ESELSOHR) eine ganze Reihe von zugehörigen, assoziativ miteinander
verknüpften Einzelelementen (hier die einzelnen Pflanzenarten) aktiviert wer-
den.
6.9.3 Nicht-prototypische Bezeichnungen
Während bei den prototypischen Bezeichnungen eine nahezu ausschließliche
Verwendung von Metaphern zu beobachten ist, spielen bei den nicht-
prototypischen Bezeichnungen sowohl metaphorische als auch metonymische
Verfahren eine Rolle, wobei letztere eindeutig dominieren.
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Pragmatik 263
Bezüglich der Metaphern liefern die nicht-prototypischen Bezeichnungen keine
zusätzlichen Aspekte.
Nach der Metonymietheorie bilden jeweils zwei eng miteinander zusammen-
hängende Begriffe eine Teil-Ganzes- oder eine Ganzes-Teil-Relation. Dabei
wird davon ausgegangen, dass ein bestimmtes Objekt als eine Gestalt, als eine
zusammenhängende Einheit gesehen wird, die intern in Einzelelemente struktu-
riert ist.
Bei den vorliegenden Bezeichnungen trifft man stets auf die Beziehung „x steht
für die gesamte Pflanze“, wobei x jeweils unterschiedlich definiert ist, wie die
folgende Übersicht zeigt:
Beziehung: „x steht für gesamte Pflanze“
a) x = Pflanzenteile
1. Samen/Früchte
1.1 Eigenschaft (Arctium lappa L. [lappa, grippe, ...];Taraxacum
officinale Web. [Soffione, ...])
1.2 Aussehen (Arctium lappa L. [poire de vallée]; Plantago [herbe aux pu-
ces])
1.3 Verwendung (Arctium lappa L. [pan d’aucèu]; Plantago [pa d auzel])
2. Blatt
2.1 Details (Hypericum perforatum L. [millepertuis, herbe à mille trous];
Plantago [herbe à cinq côtes, foey da sin kost, Cinque coste])
3. Blütenstand
3.1 Form (Lavandula [aspic, ...]; Verbascum thapsus L. [la ko de lup,...])
b) x = Aussehen
Verbascum thapsus L. [verbasco, ...]
c) x = Standort
Arctium lappa L. [poire de vallée]
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Pragmatik 264
d) x = Verwendung
Hypericum perforatum L. [cacciadiavoli, fuga demonii]
Lavandula [lavanda, ...]
Taraxacum officinale Web. [Engraissa-puorch, ...]
Verbascum thapsus L. [bouillon-blanc]
e) x = Eigenschaft
Arctium lappa L. [herbe aux teigneux, teigne, tinuzoe, peignerolle]
Taraxacum officinale Web. [pissenlit]
f) x = Heiliger
Verbascum thapsus L. [herbe de Saint-Pierre, herbe de Saint-Fiacre]
Sieht man sich die Übersicht genauer an, erkennt man, dass unter a) x = Pflan-
zenteile Teil-Ganzes-Relationen beschrieben werden, die direkte morphologi-
sche Bestandteile der einzelnen Pflanzen zum Inhalt haben.
In den Abschnitten b) bis f) werden Relationen dargestellt, die sich auf Teile be-
ziehen, die mit den Pflanzen assoziiert werden, also bestimmte Eigenschaften
und Merkmale darstellen. Die Zahl der Relationen in a) ist mit denen in b) bis f)
annähernd identisch. Dies bedeutet, dass die Sprecher der untersuchten
Sprachräume die Bezeichnungsgrundlagen nicht nur in den konkreten Teilen
der Pflanzen suchen, sondern dass sie darüber hinausgehend für sie eng mit
den Pflanzen assoziierte Merkmale quasi auch als deren „Teile“ ansehen und
zur Bezeichnungsgrundlage machen. Darin kommt zum einen zum Ausdruck,
dass für die Sprecher die konkreten Pflanzenbestandteile nicht ausreichen, um
über die Pflanzen zu kommunizieren. Neben diese Bestandteile treten weitere
Charakteristika, die für die Sprecher im Zusammenhang mit den Pflanzen wich-
tig sind (z.B. Verwendung, Eigenschaften, ...). Zum anderen wird durch dieses
Bezeichnungsverhalten deutlich, dass die Sprecher in hohem Maße kreativ sind
und den mit den Heilpflanzen in Zusammenhang stehenden Lebensbereich auf
mehreren Ebenen „ausschöpfen“.
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Pragmatik 265
In der Theorie über Metonymien wird festgehalten, dass eng miteinander zu-
sammenhängende Begriffe in einer Teil-Ganzes- oder Ganzes-Teil-Relation
stehen. Diese Feststellung besitzt auch für das vorliegende Sprachmaterial Gül-
tigkeit. In der Kategorie a), in der Pflanzenteile für die gesamte Pflanze stehen,
wird dies besonders deutlich. Innerhalb dieser Gruppe von Bezeichnungen
kann man eine Abstufung erkennen, bis zu welchem Grad die Begriffe mitei-
nander zusammenhängen. Der Abschnitt 1. Samen/Früchte ist in drei Unter-
gruppen gegliedert, von denen in 1.1 diejenigen Bezeichnungen eingeordnet
sind, die am engsten mit den Pflanzen in Verbindung stehen, da sie sich auf de-
ren Eigenschaften beziehen. Die Bezeichnungen aus 1.2 sind auch noch relativ
eng mit den Pflanzen verbunden, da es um das Aussehen bestimmter Pflanzen-
teile geht, die mit strukturell ähnlichen Bildern beschrieben werden. In Abschnitt
1.3, in dem es um Bezeichnungen nach der Verwendung der Samen/Früchte
geht, ist die Beziehung zwischen den Bezeichnungen und den Pflanzen etwas
lockerer, da die Verwendung nicht auf morphologischen Charakteristika der
Pflanzen beruht, sondern über die Pflanze hinausgeht und auf einen weiteren
Lebensbereich der Sprecher Bezug nimmt (Füttern von Vögeln). In Abschnitt 2.
Blatt hingegen sind beide Bezeichnungsgruppen (2.1 Details/2.2 Form) direkt
mit den entsprechenden Pflanzen verbunden. Die Bezeichnungen stützen sich
lediglich auf Beobachtungen, die die Sprecher unmittelbar am Blatt der Pflan-
zen gesammelt haben (Öldrüsen, Blattadern, Längen- und Breitenverhältnisse).
Gleiches gilt für Abschnitt 3., in dem es um die Form des Blütenstandes geht.
Bezüglich der Kategorien b) Aussehen und c) Standort ist festzuhalten, dass
hier nicht ein morphologischer Bestandteil der Pflanzen als Bezeichnungs-
grundlage dient, sondern dass ein Aspekt herausgegriffen wird, der die Pflanze
als Ganzes betrifft. Sowohl das Aussehen als auch der Standort einer Pflanze
beziehen sich auf ihre gesamte Erscheinung, stellen jedoch nur Teilaspekte
dar, die aber mit der Pflanze direkt verbunden sind und so eine weitere Bestäti-
gung der Metonymie-Theorie liefern.
In den Kategorien d) bis f) sind Bezeichnungen eingeordnet, die zwar auch mit
den Pflanzen zusammenhängen, jedoch sind die Relationen zwischen den
6.9 Bedeutung von Metaphern und Metonymien für die Pragmatik 266
Pflanzen und Bezeichnungen von anderer Qualität. Hier geht es nicht mehr um
morphologische Bestandteile der Pflanzen, sondern es stehen mit ihnen durch
die Erfahrung der Sprecher assoziierte Merkmale im Vordergrund. So werden
mit den Pflanzen beispielsweise bestimmte Eigenschaften und daraus resultie-
rende Verwendungsmöglichkeiten assoziiert (Medizin, Schweinefutter, ...).
Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Theorie betrifft die Rolle der Metonymie
als ein effizientes Kommunikationsmittel. Es wird davon ausgegangen, dass die
Kommunikationspartner über gemeinsames Weltwissen verfügen und Kennt-
nisse bezüglich der typischen Struktur der sie umgebenden Lebensbereiche tei-
len. Zur Verständigung über die hier gewählten Pflanzen brauchen die Sprecher
bei Verwendung von Metonymien keinen Wechsel der konzeptuellen Rahmen
vorzunehmen, wie es bei Metaphern erforderlich ist. Durch den Wegfall des
Kippeffektes wird die Kommunikation direkter und damit insgesamt einfacher.
Bei den hier gebildeten Metonymien wird auf Konzepte zurückgegriffen, die je-
weils in sehr enger Verbindung zu den Pflanzen stehen und die zum Teil Le-
bensbereichen entstammen (z.B. medizinische Anwendung, Bedeutung im
[Aber]Glauben), die den Sprechern allgemein vertraut sein dürften.
Schließlich geht die Metonymie-Theorie davon aus, dass dieses Bezeichnungs-
verfahren einen nicht unerheblichen Beitrag zur sprachlichen Ökonomie leistet.
Zum einen hängt dies mit der eben beschriebenen einfacheren Kommunikation
zusammen. Zum anderen erfolgt hier wie auch schon bei der Metapher eine
Konzentration auf diejenigen Aspekte der Pflanzen, die besonders betont wer-
den sollen. Demnach ist es durch die Metonymien ebenfalls möglich, relevante
Elemente in den Vordergrund zu stellen. Dadurch wird die Kommunikation
ebenfalls ökonomischer, da schon wenige Aspekte genügen, um auf die ent-
sprechenden Pflanzen zu verweisen.
267
7 Schlussbemerkungen
Die eingehende Beschäftigung mit dem Sprachmaterial hat gezeigt, dass eine
wesentliche Voraussetzung für die einzelnen Bezeichnungsverfahren die Abs-
traktion ist. Es findet eine Generalisierung bestimmter Formen statt, die dadurch
geleistet wird, dass einzelne Unterschiede vernachlässigt werden. Eine solche
Generalisierung erleichtert die sprachliche Ökonomie und vereinfacht damit die
Kommunikation.
Das bei den untersuchten Bezeichnungen dominierende Verfahren besteht in
der Verknüpfung von Tierorganen bzw. -körperteilen mit Pflanzen. Dieses Ver-
fahren ist unabhängig von der Einzelsprache in den untersuchten italienischen,
provenzalischen und spanischen Sprachräumen zu beobachten.
Das Sprachmaterial veranschaulicht die enge Verbindung zwischen Frames
und Prototypen und untermauert damit entsprechende Thesen der kognitiven
Linguistik. Es konnte nachgewiesen werden, dass Frames nach Kontiguitäten
organisiert sind, indem eng beieinander liegende Charakteristika herangezogen
werden.
Die Rolle der Wahrnehmung wurde als wesentliches Zusatzelement der kogniti-
ven Semantik herausgestellt. Zunächst konnte nachgewiesen werden, dass die
Beschränkung auf bestimmte Merkmale als ein wesentliches Verfahren der
Wahrnehmung uneingeschränkte Gültigkeit für das vorliegende Sprachmaterial
besitzt. Dieses Verfahren schlägt sich unmittelbar in der Bezeichnungsvergabe
und der vorherigen Framebildung nieder. Daran wird die Verquickung von
Wahrnehmungstheorien mit Ansätzen der kognitiven Linguistik deutlich. Beson-
ders der Aspekt der Ähnlichkeit steht hier im Vordergrund. Bei der Wahrneh-
mung wird versucht, das Augenmerk auf Ähnlichkeiten zu legen. Dieses Vorge-
hen wird direkt auf die Framebildung übertragen, indem ähnlich aussehende
Pflanzen gruppiert werden.
Des Weiteren konnte die Relevanz des außersprachlichen Wissens für die
Framebildung nachgewiesen werden. Im Vordergrund stehen hier das Ausse-
hen der Tierorgane, ihre Position und religiöse Aspekte. Das Sprachmaterial lie-
7. Schlussbemerkungen 268
fert somit Belege für die These der kognitiven Linguistik, wonach außersprachli-
ches Wissen Hinweise für die Erklärung von Gliederungsprozessen liefert.
Bezüglich der Bezeichnungsverfahren wurde bereits festgehalten, dass sie ein-
zelsprachlich übergreifend sind. Jedoch ist die dahinter stehende Kategorisie-
rung an sich nicht immer identisch. Hier sind graduelle Unterschiede festzustel-
len, was die Berücksichtigung einzelner Gliederungsmerkmale betrifft. Bei-
spielsweise spielt in einer Sprachgemeinschaft die medizinische Verwendung
bestimmter Pflanzen eine größere Rolle als in einer anderen. Allgemein ist fest-
zustellen, dass Frames mit dem Schwerpunkt auf der Wahrnehmung nicht
sprachraumübergreifend sind, wohingegen Frames, die religiöse Aspekte zur
Gliederung heranziehen, unabhängig von der Einzelsprache relevant sind.
Bei der Beschreibung der semasiologischen Prototypen konnte sehr gut das
Phänomen der Hierarchisierung beobachtet werden. Je nach Merkmalshäufig-
keit werden Pflanzen unterschiedlich weit entfernt von der mentalen Repräsen-
tation eingeordnet, wobei häufig eine graduelle Abstufung bei der Anordnung
gegeben ist. Zugleich wurde bei der Analyse der Prototypen die Relevanz
sprachhistorischer Gegebenheiten offenkundig. Die sprachhistorischen Unter-
suchungen konnten die unter rein kognitiven Gesichtspunkten angelegte Analy-
se dahingehend bereichern, dass die historischen Erkenntnisse oftmals erhel-
lend wirkten, um das Gliederungsverhalten der Sprecher besser nachvollziehen
zu können. Hier liegt ein eindeutiger Beweis für die Notwendigkeit des Mitei-
nander von sprachhistorischen und kognitiven Ansätzen zur Bezeichnungsana-
lyse vor.
Auch durch die Beschreibung der onomasiologischen Prototypen wird die Theo-
rie der kognitiven Linguistik bestätigt. Hier steht ebenfalls das ausgeprägte Ka-
tegorisierungsverhalten der Sprecher im Vordergrund. Ihr Ziel besteht darin, die
Referenten in ihrer Umgebung zu systematisieren. Die onomasiologischen Pro-
totypen liefern auch Belege für sprachraumübergreifende Wahrnehmungs- und
Kategorisierungsmuster und stützen damit die Ansätze der kognitiven Linguis-
tik. Auch die besonders im Rahmen der Prototypentheorie von Koch inte-
ressierende komplementäre Beziehung zwischen semasiologischen und ono-
7. Schlussbemerkungen 269
masiologischen Prototypen konnte anhand des analysierten Sprachmaterials
eindeutig nachgewiesen werden. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass
die Ansätze der kognitiven Linguistik auch bei der Untersuchung nicht-
prototypischer Bezeichnungen nutzbringend verwendet werden können, indem
vor allem Aspekte des enzyklopädischen Wissens bei der Erklärung von Be-
zeichnungen berücksichtigt werden können.
„Unterstützung“ erhält der Ansatz der kognitiven Linguistik schließlich durch die
Metapherntheorie und die aus dem Sprachmaterial gewonnenen Erkenntnisse.
So wird durch die Metaphernbildung ermöglicht, bestimmte Aspekte der Pflan-
zen hervorzuheben und sie für die Kategorisierung zu verwenden. Damit arbei-
tet quasi die Metaphernbildung dem Ansatz der kognitiven Linguistik zu. Über
Metaphern werden jeweils ein bis zwei Merkmale der Pflanzen hervorgehoben,
die stellvertretend für die jeweils gesamte Pflanze stehen. Dies schlägt sich
unmittelbar in den Prototypen nieder, die genau auf der Grundlage dieser
Merkmale entstehen.
270
Bibliographie
I. Primärliteratur
a) Atlanten
Alvar, M., Atlas lingüístico-etnográfico de Aragón, Navarra y Rioja, Bd.1-6,
Zaragoza 1979 - 1981
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„Bilder-Datenbank“ [© Uwe Lochstampfer], 29.01.2001; 21.11.2011
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Bildnachweis
S.112 oben: Arctium lappa L.
www.botanikus.de, „Arctium_lappa2.jpg“ [© Uwe Lochstampfer], 29.01.2001
S.112 unten/S.183 oben/S.214: Arctium lappa L.
www.botanikus.de, „Arctium_lappa.jpg“ [© Uwe Lochstampfer], 21.11.2011
S.115/S.183 unten/S.209: Hypericum perforatum L.
www.botanikus.de, „Hypericum_perforatum10.jpg" [© Uwe Lochstampfer],
21.11.2011
S.118: Lavandula angustifolia L.
www.botanikus.de, „Lavandula_angustifolia.jpg“ [© Uwe Lochstampfer],
21.11.2011
S.122/S.184 links/S.207/S.211/S.230 unten/S.248: Plantago lanceolata L.
www.botanikus.de, „Plantago_lanceolata.jpg“ [© Uwe Lochstampfer],
21.11.2011
S.123/S.179 links/S.185/S.207/S.211/S.213 unten/S.230 unten/S.249 oben:
Plantago major L.
www.botanikus.de, „Plantago_major.jpg“ [© Uwe Lochstampfer], 21.11.2011
S.129/S.186 oben/S.207 unten/S.231/S.251 rechts oben: Taraxacum officinale
Web.
www.botanikus.de, „Taraxacum_officinale43.jpg“ [© Uwe Lochstampfer],
21.11.2011
Bildnachweis 279
S.132/S.179 rechts/S.186 unten/S.209/S.228/S.252: Verbascum thapsus L.
www.botanikus.de, „Verbascum_thapsus2.jpg“ [© Uwe Lochstampfer],
21.11.2011
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S.172 oben/S.253 unten: Wolf
Corbet/Ovenden 1982, S.64
S.172 unten/S.248: Hirschgeweih
Corbet/Ovenden 1982, S.210
S.184 rechts/S.207/S.211/S.215: Plantago media L.
www.botanikus.de, „Plantago_media3.jpg“ [© Uwe Lochstampfer], 21.11.2011
S.227 oben/S.228: Equisetum arvense
www.botanikus.de, „Equisetum_arvense.jpg“ [© Uwe Lochstampfer],
21.11.2011
S.230 oben: Anchusa officinalis L.
Schauer, T./Caspari, C., Der große BLV Pflanzenführer, München 2001, S.103,
Bild 2
Bildnachweis 280
S.249 unten/S.250: Plantago major L.
Schauer/Caspari 2001, S.115, Bild 4
S.250: Plantago media L.
Schauer/Caspari 2001, S.189, Bild 5
S.250: Plantago lanceolata L.
Schauer/Caspari 2001, S.217, Bild 3
S.251 rechts unten: Taraxacum officinale Web.
www.botanikus.de, „Taraxacum_officinale24.jpg“ [© Uwe Lochstampfer],
21.11.2011
Lebenslauf
Name Sylvia Zhu, geb. Hofmann
Geburtsdatum/-ort 18.05.1974 in Dortmund
Staatsangehörigkeit deutsch
Familienstand verheiratet
Anschrift Kardinal-Graf-Galen-Str.29
45468 Mülheim an der Ruhr
Telefon 0208-7682844
E-Mail sylvia.zhu@web.de
Schulbildung
08/1980 – 07/1984 Lieberfeld-Grundschule in Dortmund
08/1984 – 06/1993 Goethe-Gymnasium in Dortmund Abschluss: Abitur (06/1993)
Studium
10/1993 – 02/1998 Französisch/Englisch (Lehramt Sek.I/II), Ruhr-Universität Bochum, Abschluss: 1.Staatsexamen (06/1999)
10/1993 – 02/1996 Geschichte (Lehramt Sek.I/II), Ruhr-Universität Bochum Zwischenprüfung (03/1996)
04/1994 – 02/1996 Pädagogik (Lehramt Sek.II), Ruhr-Universität Bochum Zwischenprüfung (06/1996)
Promotion
06/1999 – 02/2009 bei Herrn Prof. Dr. Lebsanft (Romanisches Seminar) Fakultät für Philologie, Ruhr-Universität Bochum
10/2000 – 09/2002 Stipendiatin der Graduiertenförderung NRW
Titel der Dissertation: „Romanische Pflanzennamen und kognitive Semantik“
Berufserfahrung
10/1996 – 01/1997 Dozententätigkeit an der Volkshochschule Dortmund im Be-reich „Deutsch als Fremdsprache“
02/2003 – 01/2005 Referendariat in den Fächern Französisch und Englisch (Lehramt Sek.I/II), Studienseminar Essen
Abschluss: 2. Staatsexamen (01/2005)
02/2005 – 01/2007 Studienrätin z.A. am Arndt-Gymnasium, Krefeld
seit 02/2007 Studienrätin am Arndt-Gymnasium, Krefeld
Mülheim an der Ruhr, den 02.04.2012
Gedruckt mit der Genehmigung der Fakultät für Philologie der
Ruhr-Universität Bochum
Referent: Herr Prof. Dr. Lebsanft
Koreferent: Herr Prof. Dr. Bernhard
Tag der mündlichen Prüfung: 06.02.2009
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