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Post on 22-Mar-2016
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Spiegel-GesprächZwang zum Spektakel
Der Niederländer Rem Koolhaas über neue Trends in Architektur und Städtebau, das Ende der europäischen Stadt sowie den Un-terschied zwischen Architekten und „Stararchitekten“
Spiegel: Herr Koolhaas, Sie bau-en in Europa, in den USA, am Golf und in China. Aus welchem Teil der Welt er-warten Sie künftig die stärksten
Koolhaas: Da müssen wir unterschei-den: Was die Erfahrung des Bauens angeht, wird der stärkste Impuls mit Sicherheit aus China, aus dem Nahen Osten, wahrschein-lich auch aus Indien kommen. Komplexer ist es mit dem Denken: Noch dominiert ja die intellektuelle Kraft des Westens, doch die anderen Kulturen werden stärker. Ich er-warte, dass wir in Architektur und Städte-planung ein neues Denken entwickeln wer-den, das weniger von unseren Modellen ausgehen wird. Es gibt viele junge, gute Ar-chitekten in China. Offen ist die Frage, ob sich aus unserer Zusammenarbeit, aus die-ser Internationalisierung, eine gemeinsa-me Sprache der Architektur ergeben wird, ob wir zwei verschiedene Sprachen sprW-Zechen - oder ob es eine Mischung wird.
Spiegel: Bei einem Vortrag in Dubai ha-ben Sie unlängst zwei Dias an die Wand ge-worfen: erst eine Aufreihung ikonischer Wolkenkratzer, die Sie selbst, Zaha Hadid und andere Stararchitekten entworfen ha-ben - und dann eine Sammlung von Hoch-häusern, deren Schöpfer unbekannt sind.
Koolhaas: Ich tue mich furchtbar
schwer mit dem Wort „Stararchitekt“. Denn es macht den Eindruck, als bezeichne es Menschen, die kein Herz haben, Egoma-nen, die immer nur ihr Ding machen, völ-lig losgelöst von jedem Kontext. Ich finde, das ist eine groteske Beleidigung für ei-nen Berufsstand, der sich - soweit ich mei-ne Kollegen kenne - sehr viel Mühe gibt, für jeden einzelnen Fall das Richtige, das Pas-sende zu finden. Gleichzeitig werden wir na-türlich vom Markt angetrieben - und von Bauherren, die uns auf gewisse Formen fest-legen wollen. Ich denke seit langem darü-ber nach, wie es uns vielleicht gelingt, dieser Festlegung auf das rein Formale zu entge-hen. Deshalb habe ich das einfach mal ge-zeigt: Es gibt in Wirklichkeit gar keinen so großen Unterschied zwischen den Bauten der „Stararchitekten“ und denen anderer.
Spiegel: Wie viel Zeit bleibt Ihnen ei-gentlich bei großen Projekten, sich auf ei-nen Ort, auf einen konkreten Kontext ein-zulassen? In Dubai haben Sie gerade in nur einem Jahr eine Stadt für 1,5 Millionen Ein-wohner entworfen, genannt Waterfront City.
Koolhaas: Es ist weniger Zeit zur Re-cherche da, so dass eine Tendenz zur Nach-ahmung entsteht. Eine unserer Theorien ist, dass man diesen exzessiven Zwang zum Spektakulären durch Rückkehr zur Einfach-keit kontern kann. Das ist ein Effekt der Ge-schwindigkeit. Ein anderer ist die mittler-weile universelle Forderung, alles müsse nun „nachhaltig“ sein. Uns hat diese Idee seit den sechziger Jahren interessiert, in-sofern fühlen wir uns bestätigt. Doch in-zwischen ist Nachhaltigkeit eine so politi-sche Kategorie, dass es immer schwieriger wird, wirklich ernsthaft darüber nachzuden-ken. Die Nachhaltigkeit ist zu einem Or-nament geworden. Immer häufiger gewin-nen Entwürfe in Wettbewerben, weil sie buchstäblich grün sind und sich irgend-
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wo an ihnen eine kleine Windmühle dreht.
Spiegel: Ihnen passt offenbar der Be-griff der Nachhaltigkeit nicht.
Koolhaas: Weil er zu einer hohlen For-mel geworden ist - und es deshalb immer schwieriger wird, über Ökologie nachzu-denken und nicht ironisch zu werden. Auf der anderen Seite hat es natürlich auch ei-nen Vorteil, dass die Etikette der Nachhal-tigkeit heute so populär ist: Wir versuchen schon seit langem so zu bauen, dass wir so weit wie möglich ohne Klimatisierung aus-kommen, dass wir unnötige Sonneneinstrah-lung vermeiden, dass wir eine Dichte herstel-len, die Schatten wirft. Früher gab es dafür kaum Interesse, heute zahlen Kunden dafür.Spiegel: Nachhaltig soll auch Ihre Waterfront City in Dubai werden - worauf genau wollen Sie mit diesem Projekt hinaus?
Koolhaas: Es geht mir darum, in Dubai einen Stadtteil zu etablieren, der eine wirk-liche Metropole ist. Dazu gehört vor allem ein echter öffentlicher Raum - nicht die Ka-rikatur eines öffentlichen Raums, also Shop-ping Malls. Ich bin der Regierung in Du-bai sehr dankbar, dass wir dort ein Gericht haben werden, Krankenhäuser, die End-stationen zweier U-Bahn-Linien. Es wird also eine erkennbare Identität dieses Rau-mes geben: Zutaten dessen, was Dubai aus-macht, aber auch echtes städtisches Leben ...
Spiegel: ... das im Augenblick noch fehlt?
Koolhaas: Es fehlt nicht, es ist eher konfus. Wir haben dort einen Stadtteil na-mens Deira, der absolut urban ist, unglaub-lich dicht, gemischt, aufregend und schön - von einer Art Schönheit, die wahrschein-lich bald unseres Schutzes bedarf. Wie
wir als Städteplaner in Zukunft überhaupt mehr darüber nachdenken müssen, wie wir gleichzeitig planen und konservieren.
Spiegel: Die gewachsene europä-ische Stadt, wie wir sie kennen, ist also bald eine historische Reminis-zenz, ein Fall fürs Weltkulturerbe?
Koolhaas: Genau. Wobei wir uns von der europäischen Stadt nicht verabschieden müssen - sie ist ja noch da. Aber als Norm, als einziges Modell ist sie eben schon zu lan-ge da. Und das ist gewissermaßen die Tra-gödie der vergangenen 20 Jahre. Weil sie als Norm so dominant ist, weil sie der zeitgenös-sischen Architektur so fest im Kopf steckt, hebt sich alles andere negativ dagegen ab: Wir sind gegen China, wir sind gegen Dubai - weil das alles nicht europäisch ist. Womit vielleicht auch im weiteren Sinn ein Prob-lem Europas bezeichnet ist: Wir sind so ge-prägt von unserem Modell, dass es uns oft schwerfällt, in anderen Welten zu denken.
Spiegel: Der Vorwurf gegen die Entwicklung am Golf lautet sinn-gemäß: „Alles Disney-Land.“
Koolhaas: Die ewige Wiederkehr dieser Disney-Fatwa sagt in Wahrheit mehr über die Stagnation der kritischen Vorstellungskraft des Westens aus als über die Städte am Golf. Was unser Büro baut, wird überall kontro-vers diskutiert, aber mir fällt auf, dass Leute, die tatsächlich in China oder am Golf leben, meistens etwas mit unseren Ideen anfan-gen können. Sie sind eben draußen im Fel-de, und im Felde hat man ein anderes Bild.
Spiegel: Lässt sich das, was in Du-bai entsteht, mit dem vergleichen, was Sie in Hamburg entworfen haben - dem aus Containern zu einem spektakulä-ren Ring gestapelten „Science Center“?
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Koolhaas: Vergleichbar ist, dass wir es in beiden Fällen mit großen, von Immo-bilien-Entwicklern angetriebenen Projek-ten zu tun haben, also mit einer sehr abs-trakten Substanz. Das führt dazu, dass man den Unterschied solcher Projekte oft nicht erkennt. Völlig unterschiedlich aber sind die Bedingungen in Hamburg oder in Du-bai, das politische Umfeld, die Freiheit, auch der Spielraum eines Architekten. Wo-mit wieder ein Charakteristikum zeitgenös-sischen Bauens deutlich wird: Wir versu-chen im Grunde überall die gleiche Masse in eine örtlich vorgegebene Form zu gießen.
Spiegel: Sie beklagen, dass moderne Ar-chitektur sich dem Primat des Ikonischen un-terordne und dadurch beliebig werde. Auf der anderen Seite haben Sie selbst einige der einprägsamsten Ikonen überhaupt geschaf-fen, allen voran das Gebäude für den chine-sischen Fernsehsender CCTV in Peking.
Koolhaas: Ich bin ein kritischer Geist und ein Architekt zugleich, und ich füh-le mich nicht verpflichtet, in meiner kon-kreten Arbeit immer meine eigenen Theo-rien zu bestätigen. Es gibt Widersprüche, und die Möglichkeiten, die sich uns heu-te bieten, fordern solche Widersprüche her-aus. Trotzdem versuchen wir Gebäude zu er-richten, deren Identität instabil ist, die also Tiefe haben. Nehmen Sie den CCTV-Kom-plex: Jetzt, wo er fast fertig ist, wird deut-lich, wie er funktioniert. Wo immer Sie stehen - er sieht von überall anders aus. Per-manent verschieben sich Vordergrund und Hintergrund. Wir haben nicht eine einzi-ge, sondern 400 Identitäten geschaffen. Das ist es, was wir wollten: Zweideutigkei-ten, Unübersichtlichkeiten herstellen, um dem Zwang des Expliziten zu entgehen.
Spiegel: Heißt das, dass die Ikone des 20. Jahrhunderts, der Wolkenkratzer, die schie-
re Vertikale, damit auf ihr Ende zugeht?
Koolhaas: Anfang des 20. Jahrhun-derts gab es sehr viele Typologien des Bau-ens, heute haben wir im Grunde nurmehr zwei davon: das Haus und den Turm - und nichts dazwischen. Ich sehe wenig Anzei-chen dafür, dass sich das ändert. In Russland und China erleben wir ja geradezu eine Apo-theose des Turms. Vielleicht erleben manche Typologien ihre Mystifizierung aber auch erst, wenn sie in Wahrheit schon tot sind.
Spiegel:: Was halten Sie von den Türmen, die sich um den Titel des höchsten Gebäudes der Welt balgen? Gefällt Ihnen einer davon?
Koolhaas: Ich finde es lächer-lich. Nüchtern betrachtet, mag ich den ei-nen oder anderen sogar - den Burj Dubai zum Beispiel, einfach, weil er so irrsin-nig aussieht, ein Gebäude das weit hö-her ist als jedes andere, das es je gab. Ganz kann ich diesem Reiz auch nicht widerste-hen, aber intellektuell bin ich durchaus in der Lage, diesen Wettlauf abzulehnen.
Spiegel: Was kommt denn nach dem Wolkenkratzer?
Koolhaas: Es geht inzwischen immer weniger um Höhe, es geht immer mehr um Größe, um „Bigness“. Im Mittelalter hatte ein großes Gebäude, sagen wir, 200 Quadrat-meter, in der Renaissance mögen es 10.000 gewesen sein, im 19. Jahrhundert 40.000. Heute bauen wir Komplexe von 500.000 Quadratmetern. Die Veränderung der Quanti-tät hat Folgen: Eine davon ist, dass wir es mit multifunktionalen Gebäuden zu tun haben, weil sich mit einer einzigen Funktion eine solche Fläche gar nicht mehr füllen lässt.
Spiegel: So dass wir dann, wie im Burj Dubai, 50 Etagen Büros, 50 Etagen Ho-
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tel, und 50 Etagen Wohnungen haben.
Koolhaas: Eine andere Folge ist, dass das Augenmerk sich auf das Innere verlegt - denn je größer ein Gebäude ist, desto we-niger Kontakt hat es mit der Außenwelt. Im Inneren solcher Komplexe aber haben wir es jetzt mit unterschiedlichen Zonen zu tun, die mit ganz unterschiedlichen Geschwin-digkeiten bewohnt werden, einen ganz an-deren Stoffwechsel haben, ständig in Be-wegung sind, umgebaut oder repariert oder einem neuen Zweck zugeführt werden.
Spiegel: Vor ein paar Jahren waren Sie in Lagos, der größten Stadt Nigeri-as, und kamen mit einer Botschaft der De-mut zurück: Architekten, lasst den Din-gen ihren Lauf, passt euch der Realität an!
Koolhaas: Als ich mich zum erstenmal mit Lagos befasste, fand ich eine völlig dys-funktionale Stadt vor, die ihre zehn Milli-onen Einwohner zwang, Wege zum Über-leben zu finden. Mir erschien das als ein Prozess schierer Selbstorganisation - ein Be-griff, der damals sehr in Mode war. Inzwi-schen habe ich die Geschichte dieser Stadt eingehend studiert und mir ist klargewor-den, dass diese Selbstorganisation tatsäch-lich im Rahmen einer Struktur stattfindet, die eine Reihe moderner Denker, Architek-ten und Städteplaner geschaffen haben.
Spiegel: In Lagos haben Sie den Ausdruck „Junk Space“ geprägt - was bedeutet dieser in Europa?
Koolhaas: Der Ausdruck beschreibt den Effekt, den Kommerz auf Architektur hat, wie er sich auf die Schönheit, auf die Au-thentizität und die Akzeptanz eines Gebäu-des auswirkt. Die Ironie ist, dass gerade im Westen uns die Überbewertung des Ökono-mischen in ein permanentes Chaos zwingt:
Früher war ein Flughafen stolz darauf, wenn seine Wege von der Zufahrt zum Gate kurz und direkt waren. Heute sind die Flughä-fen durch die Vielzahl der Ladenpassagen zu Labyrinthen geworden. Vom Paradigma der Klarheit ausgehend, sind wir also in nur 20 Jahren beim Paradigma des Chaos gelandet.
Spiegel: Können Architektur und Städtebau etwas gegen die Zwän-ge ausrichten, die Sie beschreiben - ge-gen die Allmacht der Ökonomie, ge-gen die Atomisierung der Gesellschaft?
Koolhaas: Als wir in Hollywood ein Hauptquartier für die Universal Studios plan-ten, hatten wir das Problem, dass alle ein-zelnen Komponenten der Firma über ein weites Areal verstreut waren - also ha-ben wir dieses Gebäude als eine Art Ma-schine konzipiert, die diese Komponenten wieder zusammenführt. So etwas Ähnli-ches haben wir jetzt auch beim CCTV-Ge-bäude gemacht. Dort sprechen wir von ei-nem „Visitors‘ Loop“, einem Durchlauf, in dem sich alle Leute begegnen werden, die sonst disparat vor sich hinarbeiten würden.
Spiegel: Nehmen Sie damit auf moder-ne Art einen Gedanken auf, den der US-Architekt Louis Sullivan auf den Begriff „form follows function“ gebracht hat?
Koolhaas: Manche unserer Gebäude er-füllen diesen Grundgedanken zu hundert Prozent, und das Ironische ist, dass dieser funktionalistische Gedanke heute so verges-sen, so unbekannt ist, dass er wieder völ-lig neu erscheint. Die Moderne ist letztlich vom Gedanken der Aufklärung bestimmt, vom Fortschritt. So wacklig uns diese Be-griffe heute erscheinen mögen - es wäre ab-surd, sich von ihnen zu verabschieden, denn erst heute sind wir in der Lage, sie als Euro-päer mit der Welt zu teilen. Und das wieder-
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um macht die Glaubwürdigkeit europäischer Architektur im Zeitalter der Globalisie-rung aus: dass wir unsere Formeln weni-ger formelhaft umsetzen können als andere, dass wir uns genauer auf die Umstände ein-lassen können, unter denen andere leben.
Spiegel: Herr Koolhaas, wir dan-ken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Ste-phan Burgdorff und Bernhard Zand.
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