suizidalität und sterbehilfe im kontext sozialer arbeit...
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Suizidalität und Sterbehilfe
im Kontext Sozialer Arbeit
„Von der Vorstellung des Endes
bis über das Ende hinaus“
Bachelor-Arbeit
Studiengang Soziale Arbeit
URN: urn:nbn:de:gbv:519-thesis2014-0172-8
Im Sommersemester 2014
vorgelegt von Julia Last
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ........................................................................................................................ 1
2 Vorstellungen über den Tod ........................................................................................... 2
2.1 Wissenschaftliche Betrachtung in Medizin und Philosophie .................................. 3
2.2 Religiöse Ansichten .................................................................................................. 5
2.2.1 Christentum...................................................................................................... 6
2.2.2 Judentum.......................................................................................................... 6
2.2.3 Islam ................................................................................................................. 7
2.2.4 Hinduismus ....................................................................................................... 7
2.2.5 Buddhismus ...................................................................................................... 8
3 Suizidalität ....................................................................................................................... 9
3.1 Geschichtliche Aspekte ........................................................................................... 9
3.2 Begriffsklärungen .................................................................................................. 10
3.3 Risikoeinschätzung ................................................................................................ 11
3.4 Alte Menschen ....................................................................................................... 12
3.5 Psychische Erkrankungen ...................................................................................... 13
3.5.1 Depressionen ................................................................................................. 14
3.5.2 Andere psychische Erkrankungen ( auch Suchtverhalten) ............................ 15
4 Sterbehilfe ..................................................................................................................... 16
4.1 Situation in Deutschland ....................................................................................... 16
4.1.1 Begriffsklärungen ........................................................................................... 17
4.1.2 Geschichte der Sterbehilfe und rechtliche Einordnung ................................ 20
4.1.3 Ethische Aspekte ............................................................................................ 22
4.1.4 Motive ............................................................................................................ 24
4.2 Umgang in anderen Ländern ................................................................................. 25
4.2.1 Niederlande .................................................................................................... 25
4.2.2 Belgien ............................................................................................................ 26
4.2.3 Schweiz ........................................................................................................... 26
4.2.4 Europäische Einordnung ................................................................................ 27
5 Soziale Arbeit ................................................................................................................ 27
5.1 Klinische Sozialarbeit ............................................................................................. 27
5.2 Sterbebegleitung und Beratung ............................................................................ 29
5.3 Trauerarbeit ........................................................................................................... 30
5.3.1 Trauerreaktionen ........................................................................................... 31
5.3.2 Hinterbliebenenberatung .............................................................................. 33
5.3.3 Traumata ........................................................................................................ 35
5.3.4 Hinterbliebenentherapie................................................................................ 37
6 Schluss ........................................................................................................................... 39
7 Anhang .......................................................................................................................... 41
8 Quellenverzeichnis ........................................................................................................ 44
1
1 Einleitung
„[…]Die Zeit hatte ihre Richtung geändert, ihre Bedeutung verloren, bald würde sie ganz
stehen bleiben. Die unzähligen Tauben am Fenster verwandelten sich in Boten, die den
Büchsenmacher Minoru in den Himmel tragen würden. Es blieb nur seine sterbliche Hülle,
die Hände andächtig vor dem weißen Buddha gefaltet, auf dessen Vollendung die
Inselbewohner warteten.“1
Dieses Zitat stammt aus dem Roman „Der weiße Buddha“ von Hitonari Tsuji und
beschreibt den Tod des Protagonisten Minoru Eguchi. Der Büchsenmacher Minoru erzählt
in diesem Buch von seinem Leben und den unterschiedlichen Begegnungen mit dem Tod.
Er erlebt den Unfalltod seines Bruders, den Mord an einem Soldaten sowie den
Selbstmord eines Freundes und begegnet diesen auf seine ganz eigene Weise mit der
Errichtung einer Buddha-Statue.
Auch in dieser Arbeit soll es um den Tod insbesondere um den Suizid und die Sterbehilfe
gehen. Anders als der Autor der mit Vorstellungskraft und Emotionen versucht, den Tod
greifbar zu machen, werden in dieser Arbeit unterschiedliche Ansichten und Fachwissen
zur Verdeutlichung der Problematik dargestellt.
Das erste Kapitel fungiert als Hinführung zur Problematik der Suizidalität und der
Sterbehilfe. Mithilfe der Wissenschaft, der Philosophie und der Religion sollen Ansichten
und Vorstellungen bezüglich des Sterbens und des Todes näher erläutert werden. Diese
Auffassungen können Grundlage bieten für den Umgang mit Sterbenden aber auch mit
Suizidgefährdeten sowie deren Umgang mit der Endgültigkeit des Todes.
Besonders Suizidgefährdete sehen den Tod als letzten und oft einzigen Ausweg aus ihrer
Lage. Daher wird im zweiten Kapitel auf den Suizid und die Menschen, die im direkten
Kontakt mit der Problematik stehen, das Augenmerk gelegt. Dabei werden verschiedene
Problemlagen in diesem Zusammenhang dargestellt. Auch unterschiedliche Altersphasen
1 Tsuji 2008, S. 11
2
spielen eine Rolle. Daher wird die Altersspanne von Menschen über 70Jahren nochmals
extra aufgeführt.
Nicht nur bei der Suizidalität, sondern auch bei der Sterbehilfe wünschen sich Menschen
Akzeptanz und Verständnis. Nach der Klärung der verschiedenen Begrifflichkeiten wird
das dritte Kapitel Aufschluss über die Geschichte, die Motive und die ethischen Aspekte
der Sterbehilfe geben. Zusätzlich wird die Situation von Deutschland mit anderen
europäischen Ländern verglichen.
Das letzte Kapitel befasst sich mit den Aufgabenfeldern der Sozialen Arbeit, die in diesem
Zusammenhang eine Rolle spielen. So bilden sich zwei große Schwerpunkte heraus.
Wesentlich in der Arbeit in diesem Bereich ist die Beratung und die Trauerarbeit, die
beide sogar ineinander übergehen können. Sie sollen nicht nur dem Betroffenen helfen,
sondern auch den Angehörigen und dem sozialen Umfeld eine Stütze sein.
Doch nun als Hinführung beginnend die Vorstellungen über den Tod.
2 Vorstellungen über den Tod
Schon seit der Antike beschäftigen sich Menschen mit dem Leben und dem Tod. So treten
auch immer wieder die gleichen Fragen auf: Was ist ein lebenswertes Leben? Was ist ein
guter / würdevoller Tod? Wie wollen wir sterben?
Früher oder später kommt jeder Mensch mit dem Tod in Berührung und diese oder
ähnliche Fragen treten auf. Doch was ist in der heutigen Welt der Tod? Der medizinische
Fortschritt macht heute immer mehr möglich. Es gibt Reanimationen oder künstliche
Beatmung.2 Aber was ist dann der Tod? Im Folgenden soll dieser Frage auf den Grund
gegangen werden. Dabei treten sich Wissenschaft und Religion gegenüber.
2 Abe 2014, S 31
3
2.1 Wissenschaftliche Betrachtung in Medizin und Philosophie
Selbst die Wissenschaft definiert den Tod in der jeweiligen wissenschaftlichen Richtung
anders. Allen gemein jedoch ist die Ansicht, dass der Tod das Lebensende beschreibt.
Die Mediziner gehen von verschiedenen Definitionen aus. Der ‚natürliche‘ Tod ist
bestimmt durch Rückbildungsvorgänge im Körper und somit ein Sterben im Alter.
Hingegen ist der ‚unnatürliche Tod‘ die Folge von Krankheit, Unfall oder anderen
äußerlich wirkenden Ursachen. Somit ist es ein unzeitiger Tod, der vermeidbar gewesen
wäre.
Dennoch beinhaltet der Tod keine Wiederkehr und das Annehmen einer neuen Realität
nach der Trennung. Das einzig fassbare am Tod ist die Verwesung des Körpers nach
Eintritt. Der Eintritt des Todes ist immer prozesshaft und wird durch drei Kriterien
bestimmt:
„durch das plötzliche Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen aus bis
dahin tatsächlicher oder scheinbarer Gesundheit
durch plötzliches Versagen einer vitalen Funktion im Verlauf einer zwingend zum
Tode führenden Krankheit
durch fortschreitenden biologisch oder pathologisch bedingten Kräfteverfall“3
Dabei müssen auch die unsicheren und sicheren Todeskriterien berücksichtigt werden.
Der Arzt stellt diese dann bei einer Untersuchung fest. Zuerst werden die unsicheren
Todeszeichen überprüft. Wenn weder Puls, Atmung, Herztöne, noch Blutdruck
festzustellen ist, treten die sicheren Todeszeichen in einem Zeitraum von ein bis zwei
Stunden auf. Die Leichenstarre tritt ein und es werden Totenflecke sichtbar.
Die traditionellen Kriterien wie Aussetzen von Herzschlag und Atmung sind aufgrund der
Erfindung der Herz-Lungen-Maschine nicht mehr tödlich und als Kriterium nicht mehr
eindeutig. So wurde 1968 ein neues Kriterium des irreversiblen Hirnausfalls hinzugefügt.
Dabei ist entscheidend, dass keine Aktivitäten des Nervensystems im Gehirn zu erkennen
sind. Man nennt dies auch Hirntod. Zwar ist der Hirntod als Kriterium europaweit
anerkannt, dennoch ist der Tod immer noch kultur-und kontextabhängig.
3 Knipping 2006, S. 500 ff.
4
Betrachtet man die Geschichte des Todes einmal genauer, finden sich unterschiedliche
Ansichten zu dem Thema Tod. Auch die Wissenschaft der Philosophie hat sich schon
immer mit dem Thema auseinander gesetzt und die Vorstellung vom Tod geprägt. Platon
betrachtete zwei unterschiedliche Varianten des Todes. Entweder musste der Tod die
Reise der Seele an einen anderen Ort sein oder das ‚Nichtsein‘ als angenehmer
traumloser Schlaf. Somit war für Platon der Tod etwas Gutes und kein Übel. Auch der
etwas später lebende Epikur sah die Furcht vor dem Tod als unbegründet. Er begründete
dies damit, dass es im Leben keinen Tod gibt und nach dem Tod kein Leben. Der Tod
bedeutete für ihn den Verlust des Bewusstseins verbunden mit der fehlenden Erfahrung
vom Tod. Somit sei die Furcht vor dem Tod bedeutungslos.
Im Mittelalter bestimmte hauptsächlich die Kirche die Auffassung vom Tod. Die drei
Kernaussagen waren damals schon die der Unsterblichkeit der Seele, die Erlösung durch
Jesus Christus und die Auferstehung nach dem Jüngsten Gericht. Näheres dazu findet sich
im nächsten Abschnitt über die religiösen Ansichten des Todes.
Erst mit der Kopernikanischen Wende änderte sich auch wieder das Bild des Todes.
Dennoch behandelt Descartes die Unsterblichkeit der Seele und das Fortbestehen nach
dem Tod nochmals philosophisch.
Ein großer Kritiker der Vorstellung der Unsterblichkeit war Hume. Er beobachtete alte
Menschen und stellte fest, dass sich mit der Schwächung des Körpers auch ein Nachlassen
der geistigen Aktivitäten vollzieht. Er schließt darauf, dass mit dem Tod und der Auflösung
des Köpers auch die Seele endet.
Nach Ende des Ersten Weltkrieges erarbeitete Freud seinen Ansatz zum Konzept des
Todestriebs. Die Gesellschaft hatte zu diesem Zeitpunkt ein verändertes Bild vom Tod
aufgrund der Ereignisse des Ersten Weltkrieges. Freud machte darauf aufmerksam, dass
die Menschen den Tod verdrängten, auch weil es unvorstellbar ist, sich den eigenen Tod
vor Augen zu führen. Außerdem betrachtete die Gesellschaft den Tod eher als Zufall
anstatt als Notwendigkeit. Freud hingegen ging in seiner Theorie davon aus, dass es
neben dem Lustprinzip auch den Todestrieb gibt, der alles wieder ins Gleichgewicht
bringt. Der Ausgangszustand sei der Tod und somit ist Ziel des Lebens ebenfalls der Tod.
Allerdings ist diese Theorie von Freud eine sehr umstrittene.
5
Kurze Zeit später wird der Tod wieder anders dargestellt. Heidegger sah den Tod als
äußerste Grenze des menschlichen Daseins an und als zentrale Bestimmung des Todes.
Der Abschluss des Daseins ist der Tod. Dieser ist jedoch nicht erfahrbar. Für Heidegger
verkörpert der Tod das Nicht-mehr-Dasein und das Unvertretbare, was jedem Menschen
widerfährt.4
Andererseits besitzen wir kaum Wissen über den Tod. Vielleicht lassen sich die Annahmen
vom Tod mit einem Zitat von Manser zusammenfassen. „Jedoch lehrt uns die Natur, dass
ohne das Sterben, ohne den Tod kein Leben werden und sein kann. Im Kreislauf von
Werden, Sein und Vergehen wächst aus dem Absterbenden jeweils neues Leben. Und nur
im wachsenden Einvernehmen und Annehmen des Todes können wir die Kostbarkeit des
Lebens richtig verstehen und aus diesem Verständnis heraus lernen, das Leben zu
gestalten.“5
Der Tod gilt als das Ende des Lebens und wird durch das Kriterium des Hirntods
festgelegt. Aufgrund der Unklarheiten, die mit dem Tod einhergehen, haben Philosophen
im Laufe der Zeit verschiedene Erklärungsansätze entwickelt um sich und den Menschen
den Tod besser zu verdeutlichen.
Auch mit der Religion kann man das Leben gestalten, aber auch den Tod beschreiben. Für
viele ist die Religion ein Leitfaden in vielen wichtigen Fragen. So haben auch die
Religionen ihre Auffassung vom Tod, die im nun folgendem dargelegt wird.
2.2 Religiöse Ansichten
Genauso wie die Wissenschaft hat auch die Religion ihre Aufgaben. Eine bedeutende
Aufgabe ist die Deutung des Todes, um diesen verständlich zu machen und ihn ins Leben
einzufügen. Der Tod, selbst wenn er nur als Übergang angesehen wird, ist meistens ein
Störfaktor.
4 Lacina 2009, S. 13 ff. 5 Knipping 2006, S. 500 ff.
6
So wird der Tod in den Religionen häufig als Strafe und etwas Unnatürliches angesehen.
Er wurde geschaffen um die Ordnung wieder herzustellen und somit einen natürlichen
Kreislauf zu schließen, in dem dann auch der Tod seine Rolle findet. Im Folgenden werden
die einzelnen Positionen der Religionen zum Thema Tod noch detaillierter dargestellt.
2.2.1 Christentum
Das Christentum hat sich im Verlaufe der Existenz geändert und somit haben sich auch
das Bild und die Vorstellung vom Tod mit verändert. In den späteren und moderneren
Zeiten legte man mehr Wert auf die Thematisierung Jesus und dessen Tod und
Wiederauferstehung. Dadurch wandelte sich auch bei den Menschen der Umgang mit
dem Tod. Hatten die Gläubigen früher große Furcht und Angst bezüglich des Themas, wird
es heute zum größten Teil ausgeklammert.
Dennoch gibt es aufgrund der klaren Ansichten über das Leben Schlussfolgerungen zum
Tod. Diese sogenannten Lebensregeln sind zugleich Vorbereitungen auf den Tod und das
Jenseits. Denn dort muss sich der Verstorbene dem Jüngsten Gericht unterziehen,
welches entscheidet, ob man in den Himmel oder in die Hölle kommt. So kann man zwar
wieder auferstehen nach der Vorstellung, aber nicht in seinen physischen Körper
zurückkehren, da der Körper gestorben ist.
2.2.2 Judentum
Im Judentum finden sich ähnliche Aspekte bezüglich des Todes wie im Christentum. Auch
im Judentum steht das Leben und nicht der Tod im Vordergrund. Angesicht der
Unantastbarkeit und Heiligkeit des Lebens wird das Judentum auch als Religion des
Lebens bezeichnet. Daraus ergeben sich schon die Einstellungen und die Ansichten über
den Tod. So ist es eine gesellschaftliche Pflicht das Leben zu erhalten, da nur Gott über
die Dauer entscheiden kann und darf.
Des Weiteren unterscheiden die Gläubigen, ob der Tod als Strafe oder als Teil der
conditio humana erfahren wird. Das bedeutet, dass die Rahmenbedingungen des
7
Sterbens als gut empfunden werden. Doch trotz der Unentrinnbarkeit des Todes kann
dieser an sich niemals gut sein.
Bei Eintritt des Todes trennt sich dann die Seele vom Körper, was man jedoch nicht
beobachten kann. Deshalb wird die klassische Todesdefinition von Atem- und
Herzstillstand als Todeskriterium anerkannt. Der Hirntod hingegen wird sehr kritisch
betrachtet aufgrund der hohen Bedeutung des Herzschlags im Judentum. Für das Leben
nach dem Tod gibt es aber kein einheitliches Konzept wie im Christentum.
2.2.3 Islam
Gegensätzlich zum Christentum und zum Judentum steht der Islam. Im Islam ist der Tod
nichts negatives, was sich auf Strafe oder auf sündhaftes Leben zurückführen lässt.
Vielmehr ist es die Rückkehr zu Gott, der über Leben und Tod entscheidet. Dennoch
besitzt auch der Islam ein positives Menschenbild bei dem die Lebensdauer und das
geglückte Leben wertgeschätzt werden. Der abschließende Tod wird als unausweichliche
Herausforderung und Abkehr von dieser Welt betrachtet.
Der Sterbende wird dann von seinem Umfeld religiös begleitet, was eine Pflicht für jeden
Gläubigen darstellt. Dabei darf der Tod weder herbeigeführt noch beschleunigt werden.
Das Leben darf aber auch nicht um jeden Preis verlängert werden. Der Tod tritt dann als
Vorgang des Austritts der Seele aus dem Körper auf. Es gibt noch weitere Todeskriterien
wie der Stillstand der Organe oder den starren Blick. Der Todesengel führt abschließend
die ausgetretene Seele zu Gott.
2.2.4 Hinduismus
Wie in allen bisherigen Religionen stellt auch im Hinduismus das Leben einen hohen Wert
dar. Aber es ist gekoppelt an eine lange Reihe aufeinanderfolgender Existenzen und somit
stellt das Leben nur einen kleinen Teil im Geburtenkreislauf dar. Ziel eines jeden Hindu ist
die Befreiung in eine unvergängliche geistig-spirituelle Wirklichkeit. Dazu müssen sie sich
an bestimmte Normen halten, die das Karma beeinflussen und damit auch die
8
Wiedergeburt. Das Karma ist verantwortlich für den Existenzbereich und die
Lebensdauer. Am Ende steht dann das atman, jenes unvergängliche Wesen, welches
jenseits von Geburt und Tod existiert.
Alte Menschen entwickeln eine aktive Einstellung gegenüber ihrem Tod. Sie ziehen sich
von ihren weltlichen Bindungen zurück und sterben im Kreis ihrer Familie. Der gute Tod
der hierbei angesprochen wird, kennzeichnet sich noch durch weitere Aspekte. Er
geschieht am Ende eines erfüllten Lebens im Vollbesitz seiner Fähigkeiten und besteht
aus dem freiwilligen Akt der Entsagung. Das Sterben ist dann das Verlassen des Körpers
während eines komplizierten Transformationsprozesses. Hierbei löst sich langsam die
Seele vom Körper mit ritueller Begleitung und das Sterben findet frei von medizinischen
Interventionen statt. Am Ende wird der gute Tod wie ein freudiges Ereignis während der
Bestattung zelebriert.
Hingegen wird ein plötzlicher Tod als schlecht angesehen. Eigentlich wird so ein
plötzlicher Tod durch das Karma ausgelöst und ist somit selbst verschuldet. Aber aufgrund
der Härte, die dies für die Hinterbliebenen bedeuten würde, ersetzt man den schlechten
Tod als Evakuierung des Körpers.
2.2.5 Buddhismus
Die letzte große Religion, die abschließend noch näher betrachtet wird, ist der
Buddhismus. Der Kern dieser Religion besteht in der Auseinandersetzung mit dem Tod. So
ist der Tod sehr stark mit den alten Traditionen verbunden. Schon Buddha begegnete am
Beginn seines Weges Alter, Krankheit und Tod.
Genau wie der Hinduismus geht auch der Buddhismus von einem Geburtenkreislauf mit
verschiedenen Existenzen aus. Diese sind geprägt durch das Leiden, welches als
Grundübel bezeichnet wird. Dennoch ist der Tod keine Befreiung davon, sondern nur der
Weg zu einer neuen Reinkarnation bedingt durch das im Leben gesammelte Karma. Eine
endgültige Befreiung ist nur in der menschlichen Existenzform möglich.
Dafür muss man durch die Erleuchtung Leben und Tod überwinden. Die Grundlage liefert
die Einsicht, dass das Leben leidvoll und vergänglich ist. Um zu dieser Einsicht zu
9
gelangen, meditieren die Buddhisten. Sie werden sich ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst
und üben in der Meditation den Sterbeprozess mehrmals täglich ein.
Zentraler Punkt für den Weg zur Befreiung ist das restlose Aufgeben des Begehrens und
des Lebensdurstes. Denn nur durch die Sehnsucht nach Leben bleibt man im
Geburtenkreislauf gefangen. Wichtig für das Sterben, was als Überschreiten einer Brücke
angesehen wird, sind die Akzeptanz und der Wille dazu. Das Sterben kann nicht durch
körperliche Kriterien definiert werden. Entscheidend jedoch sind drei wesentliche
Kriterien für den Eintritt des Todes. Die Lebenskraft, die Körperwärme und das
Bewusstsein beziehungsweise das Sinnesvermögen müssen entweichen. Ein plötzliches
oder gewaltsames Sterben wird als gefährliche Abweichung vom Normalfall angesehen.6
Auch wenn die Religionen immer großen Wert auf ihre Individualität legen, gibt es doch
Gemeinsamkeiten in der Betrachtung des Todes. Der Tod wird meist von Gott bestimmt
und als Übergang angesehen.
3 Suizidalität
Nachdem die Ansichten der Wissenschaft und die Vorstellung der Religionen zum Tod
dargestellt worden sind und ein plötzlicher Tod als unnatürlich und schlecht definiert
wurde, befasst sich dieses Kapitel mit genau dieser Form. Besonders in den Religionen
wurde der Selbstmord als schlechter Tod abgelehnt. Dennoch haben im Jahr 2012 9890
Menschen in Deutschland Suizid begangen.7
3.1 Geschichtliche Aspekte
Schon in der Geschichte zeigt sich, dass es immer Selbstmorde gab und sich das Bild des
Selbstmordes stark gewandelt hat. In der Antike wurden keine verbindlichen
Entscheidungen bezüglich des Suizids getroffen. Allerdings bildeten sich durch
verschiedene Philosophen differenzierte Ansichten dazu. Platon war ein großer Gegner
6 Heller 2012, S. 27ff. 7 Statistisches Bundesamt 2014 (Internetquelle)
10
des Suizids. Er verlangte sogar eine Bestrafung des Toten. Es sollte verboten werden, dem
Leichnam eine übliche Beerdigung zukommen zu lassen. Hingegen vertrat Seneca die
Auffassung, dass es viel wichtiger sei, wie man gelebt hat. Die Art des Todes hätte nicht so
große Bedeutung. Seneca selbst beging nach der Aufforderung Nero`s sogar Selbstmord.
Eine dritte Meinung äußerten die Stoa. Sie sahen den selbstgewählten Tod als Ausdruck
der Freiheit an.
Im Mittelalter änderten sich die widersprüchlichen Auffassungen mit der
Vormachtstellung des Christentums. Das moralische Verbot aufgrund des Gebots ‚Du
sollst nicht töten‘ war die Grundlage für die Ablehnung des Suizids. Das Leben liege allein
in Gottes Hand und man begehe dreifache Todsünde, (an Gott, der Gesellschaft und der
Selbstliebe/ Selbsterhaltung) so die Auffassung der Christen. Sollte doch jemand Suizid
begehen, wurde er nicht in geweihter Erde beerdigt.8
Im 18.Jahrhundert wurde die Strafe für Suizid durch Friedrich den Großen aufgehoben.
Heute gehen die Meinungen wieder auseinander. Es gibt Befürworter und Gegner des
Suizids. Doch soll es hier nicht um eine Argumentation für oder gegen den Suizid gehen,
sondern um das Darstellen der Fakten in diesem Zusammenhang.
3.2 Begriffsklärungen
Allein schon die Begriffsauswahl ist vielfältig. Oft werden die verschiedensten
Begrifflichkeiten zur Darstellung verwendet wie Suizid, Selbstmord, Selbsttötung aber
auch Begriffe wie Freitod. Im weitesten Sinne meinen diese Begriffe alle das gleiche.
Dennoch gibt es Unterschiede in der Formulierung. Der Begriff Selbstmord ist eher
problematisch, da dieser Begriff Mord impliziert. Ein weiterer Begriff ist der Freitod, bei
dem von der Freiheit des eigenen Handelns und der zuvor getroffenen Entscheidung
ausgegangen wird. Daher wird häufig der Begriff Selbsttötung verwendet. Dieser
beschreibt nur die Handlung gegen das eigene Leben mit tödlichem Ausgang und legt
daher keine Zuschreibung fest.
8 Lacina 2009, S. 81-82
11
Dies sind jedoch alles nur Begriffe für den vollendeten Suizid. Daher soll noch ein weiterer
Begriff definiert werden. „Von Selbsttötungsabsichten einer Person spricht man, wenn
diese Person Verhaltensweisen zeigt oder auch gedankliche Prozesse berichtet, welche
Handlungen oder auch Unterlassungen darstellen bzw. solche Planungen zum Inhalt
haben, die aus der Sicht der Person zwangsläufig kurz- oder auch langfristig zum Tod
führen oder die eigene Gesundheit in existentieller Weise gefährden.“ Diese Definition
beinhaltet drei wesentliche Aspekte. Zum einen werden hierbei Selbsttötungsversuche in
jeglicher Art zum Beispiel als Hilfeschrei berücksichtigt. Dazu kommen die unbewussten
Todessehnsüchte und die Selbsttötung als Konsequenz eines wiederholten
selbstzerstörerischen Verhaltens wie es bei Suchtkonsumenten vorkommt.
3.3 Risikoeinschätzung
Im Hinblick auf die oben vorgetragenen Definitionen, lässt sich schon einschätzen, dass
eine Diagnostik und die damit einhergehende Risikoabwegung nicht einfach ist. Zu
Umfangreich stellt sich das Spektrum von Suizidenten dar. Daher versuchen Fachleute
Merkmale zu bestimmen, die eine hohe Häufigkeit von Suizidenten aufweisen.
„Männlich
Männlich und 35-54 Jahre
Ende einer Partnerschaft
Arbeitslosigkeit
Alleinlebend
Krankheit
Psychische Erkrankung“
Treten diese Merkmale sogar in Kombination auf, erhöht sich das Risiko eines Suizids.
Doch gleichbedeutend sagen diese Merkmale auch nicht mehr, als das ein Risiko
bestehen könnte.
Genauso wenig greifbar wie die Merkmale, sind die Risikogruppen, die sich daraus
ergeben. Bevor in den nachfolgenden Abschnitten einige erklärt werden sollen, werden
sie hier nur kurz aufgelistet.
12
„Alle depressiven Klienten
Alkoholiker, Medikamenten- und Drogenabhängige
Alte und Vereinsamte
Personen, die einen Suizid ankündigen
Personen, die durch einen Suizidversuch auffällig geworden sind“9
3.4 Alte Menschen
Wie eben angesprochen, gehören auch alte Menschen zu der Risikogruppe von
Suizidenten. Hierbei werden alte Menschen als Personen über 70Jahren definiert. Mit
steigendem Alter nehmen Suizidversuche ab, aber die ausgeführten Suizide steigen. Dies
liegt daran, dass sobald ältere Menschen sich für den Suizid entschieden haben, sie
diesen mit aller Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit durchführen. So bleiben
Suizidversuche häufig missglückte Suizide.
Einfluss auf solche Entscheidungen haben die zwischenmenschlichen Verhältnisse, die das
Wohlbefinden beeinflussen. Bei bestimmten sozialen Bedingungen treten Suizide häufiger
auf. Allerdings zählen auch noch andere Faktoren dazu.
Kontaktprobleme und Isolation
Aktueller Verlust einer nahestehenden Person
Weitere Probleme wie Konflikte innerhalb der Familie, finanzielle Probleme oder
Krankheit
Ein eben aufgelisteter Aspekt ist der Faktor Krankheit. Besonders im Alter nehmen
Krankheiten zu. Aber auch mit vielen Einschränkungen müssen ältere Menschen leben.
Die Leistungsfähigkeit, die Beweglichkeit, das Hören und Sehen reduziert sich und dies
kann zu depressiven Symptomen führen. Zusätzlich kann es
Persönlichkeitsveränderungen durch Veränderungen des Gehirns kommen. Dennoch ist
nicht der objektive Befund entscheidend, sondern die subjektive Wahrnehmung und
Verarbeitung. Ausschlaggebend sind auch die damit verbundenen Vorstellungen und
Ängste.
9 Dorrmann 1996, S. 29ff
13
Einem weiteren Faktor kann der Umzug in ein Heim darstellen. Durch diese gravierende
Veränderung kann der Lebensmut sinken, da nicht nur die gewohnten Kontakte
wegbrechen, sondern zusätzlich ein Wechsel der gewohnten Örtlichkeiten stattfindet.
Des Weiteren stellt der Heimalltag eine große Anpassungsleistung bezüglich des
Tagesrhythmus bei Mahlzeiten und Aktivitäten dar. Dies verdeutlicht zwar nicht eine
erhöhte Suizidrate jedoch eine ausgeprägte Lebensmüdigkeit. So verlaufen die
Lebenszufriedenheit oder depressive Verstimmungen parallel mit Suizidgedanken. 10
Hinzu kommt das Alter oft negativ bewertet wird und die Sensibilität für die soziale
Situation gering ist. „Freilich ist die Selbstmordverhütung bei alten Menschen schwieriger,
weil der Entschluß alter Menschen eben oft endgültiger ist, eine oftmals gut begründete
Lebensgeschichte vorausgegangen ist, die Zukunft kürzer, die Vereinsamung totaler und
die Lebensqualität geringer ist.“11 Dies zeigt nochmals alle Komponenten auf, die bei der
Suizidalität von alten Menschen eine Rolle spielt. Doch nicht nur alte Menschen zählen zu
einer Risikogruppe. Auch psychische Erkrankungen können die Grundlage für einen Suizid
bilden.
3.5 Psychische Erkrankungen
Heutzutage gibt es eine Vielzahl von psychischen Erkrankungen mit unterschiedlichen
Ausmaßen. Im Unterschied zu körperlichen Erkrankungen gibt es keine Impfungen oder
bestimmte Vorsorgen. Jeder Mensch kann an einer psychischen Erkrankung leiden. Doch
nicht immer muss es gravierende Ausmaße annehmen. Dennoch gibt es auch solche Fälle.
Diese können dann unter Umständen auch tödlich enden. So zählen auch psychisch
Erkrankte zur Risikogruppe von Suizidenten.
In Folge soll es um Depressionen als eine Erkrankung gehen unter der viele Menschen
leiden. Als zweites wird hier die Thematik Sucht mit aufgegriffen, obwohl sie nicht direkt
zu den psychischen Erkrankungen zählen. Allerdings geht Sucht häufig mit einer
psychischen Erkrankung einher.
10 Teising 1992, S. 43ff 11 Pohlmeier 1983, S. 76
14
3.5.1 Depressionen
„Depression ist die Bezeichnung für eine Gruppe phänomenologisch verwandter
psychischer Zustände, die sich in Schweregrad, Ursache und Verlauf jedoch erheblich
unterscheiden und von normal psychologischen Reaktionen bis hin zu schweren
psychiatrischen Erkrankungen reichen können.“ Das Hauptmerkmal der Depression ist die
niedergedrückte und pessimistische Grundstimmung. Zu den weiteren Symptomen zählen
Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, Hoffnungslosigkeit und körperliche Beschwerden.12
Dabei sind Selbstmordgedanken nicht nur ein Symptom, sondern auch ein möglicher
Ausweg aus der Verzweiflung und Aussichtslosigkeit. Zwar sind damit depressive
Menschen gefährdet, aber häufig werden keine Suizide begangen. Unter bestimmten
Umständen jedoch kann das innere Gleichgewicht gestört werden und die normalen
Bewältigungsstrategien versagen. Dann können Selbstmordgedanken auftreten und der
mögliche Ausweg Suizid rückt näher.
„Für die vorliegende Frage, bei wem entstehen Selbstmordgedanken, ist von besonderer
Bedeutung, daß ein gewichtiger Einfluß dafür von frühkindlichen Erfahrungen ausgeht,
die insbesondere durch Verlusterlebnisse zu einer depressiven Persönlichkeitsstruktur
führen können. Treten später ähnliche Verlusterlebnisse wieder auf, ist Selbstmordgefahr
gegeben.“ Dabei sind Verlusterlebnisse bei depressiven Persönlichkeiten nicht häufiger,
nur die Verarbeitung solcher ist anders.
Eine weitere Besonderheit bei der Depression ist die Aggression. „ Die Depression ist
gelegentlich regelrecht als Aggressionserkrankung gekennzeichnet worden. Gemeint ist
dabei, daß depressive Persönlichkeiten eine gestörte Aggressionsverarbeitung in dem
Sinne haben, daß sie Aggressionen intrapunitiv verarbeiten mit der Konsequenz der
gehemmten Aggression bzw. der Wendung der Aggression gegen die eigene Person.“
Hierbei wird auf den Kampf gegen die Aggression angespielt. Dieser impliziert bestimmte
Schuldgefühle, die möglichst gering gehalten werden. Zusätzlich können die
entstehenden Schuldgefühle lebensbedrohlich werden, wenn die erlebte Aggression nicht
zugelassen wird.13
12 Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2011, S. 168 13 Pohlmeier 1983, S. 70/71
15
Dies sind jedoch nicht alle Möglichkeiten für einen Suizid als möglichen Ausweg. Auch als
Hilfeschrei kann der versuchte Suizid gewertet werden. Wichtig ist auf alle Fälle eine
Reaktion des Umfeldes auf Selbstmordgedanken oder einen Suizidversuch. Auch bei
anderen psychischen Erkrankungen oder bei Suchtverhalten ist diese Regel zu beachten.
3.5.2 Andere psychische Erkrankungen ( auch Suchtverhalten)
Im ICD-10 sind eine Reihe verschiedenster psychischer Erkrankungen aufgelistet. Sie alle
können in möglichen Kombinationen mit bestimmten Situationen Selbstmordgedanken
und suizidales Verhalten auslösen. Auch bei der Sucht können psychische Erkrankungen
mitwirken. Darum soll es hierbei hauptsächlich um die Suchtthematik gehen.
„Sucht ist ein den Menschen beherrschendes Verlangen zur Änderung seines
Gemütszustandes durch die Einnahme bewusstseinsverändernder Mittel oder durch
exzessives Verhalten.“ Alle anderen Dinge, die ansonsten das tägliche Leben in Anspruch
nehmen, werden untergeordnet. Bevor die Erkrankung mit der Abhängigkeit beginnt,
überwiegen die positiven Gefühle, die rasch abklingen.14
Betrachtet man die Suchtmittel ist dies überwiegend der Alkohol. Des Weiteren sind es
suchtmachende Stoffe wie die Drogen Ecstasy, Heroin oder Cannabis, um nur einige
Beispiele zu nennen und zunehmend stoffungebundene Süchte wie Spielsucht.
Für einige Wissenschaftler impliziert Suchtverhalten von vornherein suizidales Verhalten.
So stellt Suchtverhalten eine langsame, aber sichere Selbstzerstörung dar. Damit sei Sucht
ein verlängerter Selbstmord. Dieser Auffassung sind jedoch nicht alles Wissenschaftler.
Vielmehr kann man davon ausgehen, dass durch die vorherrschenden Schuldgefühle, die
dauernden Erlebnisse des Versagens, wirtschaftliche Not, scheinbar unlösbare Konflikte
und weiterer Problemlagen, die Verzweiflung so groß ist, dass ein Suizid als mögliche
Lösung angestrebt wird.
Vergleicht man die Depression mit der Sucht treten einige Gemeinsamkeiten auf. „Die
nicht gehabte oder verlorene Liebe, das Grundproblem der Depression, wird
gewissermaßen symbolisch im süchtigen Trinken nachgeholt, allerdings mit der immer
wieder eintretenden Enttäuschung einer nur scheinbaren Ersatzbefriedigung. Der 14 Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2011, S. 889
16
Depressive versucht es darüber hinaus durch Leistung- Nachholbedarf haben beide.
Ebenfalls träumen beide von einer schöneren Welt, die der eine im alkoholischen Rausch,
der andere extrem im manischen Rausch herbeizuzaubern sucht, beide in Ermangelung
anderer Strategien, die jeweils reale Welt des Alltags zu ertragen.“15 Diese kurze
Zusammenfassung verdeutlicht nicht nur die Gemeinsamkeiten beider, sondern auch die
Problemlage, die dazu führen kann, dass suizidales Verhalten entsteht.
Suizidales Verhalten ist ein gewaltsamer Akt gegen die eigene Person. Ausgelöst durch
ein bestimmtes Ereignis sind vor allem Risikogruppen wie psychisch Kranke oder
Menschen in einem bestimmten Lebensabschnitt besonders gefährdet.
4 Sterbehilfe
Anders als der Suizid schließt die Sterbehilfe eine weitere helfende Person mit ein.
Besonders dieser Umstand ist ein Aspekt für die Problematik der Sterbehilfe. Im
Folgenden Abschnitt soll das Thema Sterbehilfe tiefgründiger erörtert werden. Dazu
werden umfassende Aspekte in Bezug auf Sterbehilfe näher erläutert und auch mit
anderen Ländern verglichen.
4.1 Situation in Deutschland
In Deutschland ist das Thema Sterbehilfe aufgrund der Vergangenheit sehr umstritten.
Viele Aspekte werden mit dem verglichen, was zu Zeiten des NS-Regimes geschah.
Dennoch hat sich auch viel weiterentwickelt und verändert. Daraus entstehen dann
zusätzliche ethische Probleme. Hauptsächlich dabei betroffen, sind neben den Patienten,
die Ärzte oder das Pflegepersonal. Aufgrund dessen beschäftigt sich auch die Deutsche
Bundesärztekammer mit diesem brisanten Thema. 2004 veröffentlichte die
Bundesärztekammer Grundsätze zum Thema Sterbehilfe. Die zentralen Inhalte werden
nun kurz aufgelistet und in den folgenden Kapiteln verdeutlicht:
15 Pohlmeier 1983, S. 74/75
17
„Die ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung kann unter bestimmten Umständen zu
Gunsten einer medizinischen Begleitung im Sterben zurücktreten.
Zulässig sind folgende Formen der Sterbehilfe: passive, indirekte, freiwillige und
nicht-freiwillige sowie Sterbehilfe im engeren und im weiteren Sinne.
Aktive Sterbehilfe und die Tötung auf Verlangen sind in keinem Fall zulässig.
Die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos.
Maßgeblich für die Behandlungsentscheidung ist der Wille des Patienten. Bei nicht
einwilligungsfähigen Patienten ist die Patientenverfügung für den Arzt bindend,
sofern diese die tatsächlich eingetretene Situation beschreibt und keine
Anhaltspunkte für eine nachträgliche Änderung des Willens erkennbar sind.
Bei Patienten mit schweren zerebralen Schädigungen kann die Dauer eines Komas
nicht maßgeblich für die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch sein.
Nahrungs-und Flüssigkeitszufuhr sind nicht zwangsläufig Bestandteile der
Basisbetreuung. Das subjektive Hunger-und Durstempfinden muss aber gestillt
werden.
Ärzte sind zur konsensualen Entscheidungsfindung unter Einbeziehung von
ärztlichen und pflegenden Kollegen angehalten.“
4.1.1 Begriffsklärungen
In diesen acht zentralen Punkten der Bundesärztekammer befinden sich die
verschiedensten Begriffe im Zusammenhang mit Sterbehilfe. Dieses Kapitel soll
einführend diese unterschiedlichen Bezeichnungen erklären.
Im Bereich der Sterbehilfe gibt es immer wieder Komplikationen in der Verwendung der
richtigen Begrifflichkeiten. Allein der Begriff Sterbehilfe ist schwierig einzuordnen, da der
Begriff Hilfe impliziert. Doch Hilfe ist ein positiv besetzter Begriff und besonders bei der
aktiven Sterbehilfe ist diese Bezeichnung konträr zum Wortsinn. Aktive sowie passive und
indirekte Sterbehilfe ordnen die Art der Intervention ein und sollen den Begriff in seiner
Vielfältigkeit näher beschreiben.
18
Sterbehilfe wird häufig auch mit den Begriffen Sterbebegleitung und Euthanasie in
Verbindung gebracht. Allerdings muss man den Begriff Sterbebegleitung deutlich trennen.
Sterbebegleitung ist ein Begriff, der in der Hospiz und Palliativmedizin einzuordnen ist
und auf die Wegbegleitung während des letzten Lebensabschnitts ausgerichtet ist.
Hingegen kann der Begriff Euthanasie in Zusammenhang mit Sterbehilfe gebracht
werden. Dieser kommt aus dem Griechischen und bedeutet guter Tod. In Deutschland ist
er eher negativ belastet aufgrund des geschichtlichen Hintergrundes. Deswegen wird in
Deutschland hauptsächlich der Begriff Sterbehilfe verwendet und nicht Euthanasie wie in
anderen Ländern.
Wie anfangs angedeutet ist Sterbehilfe ein sehr vielschichtiger Begriff. Eine erste Ebene in
der Kategorisierung des Begriffs stellt die Behandlungsebene dar. Dazu zählen die
Formulierungen passive, indirekte und aktive Sterbehilfe.
Passive Sterbehilfe beschreibt das Nichteingreifen oder das Einstellen lebenserhaltender
medizinischer Maßnahmen. Es wird zugelassen, dass der schwerstkranke Mensch stirbt.
Nur eine Grundversorgung wird aufrecht erhalten. Darunter fallen jedoch nicht eine
Reanimation, die Dialyse oder ähnliche Maßnahmen. Auch das Abschalten eines
Beatmungsgerätes zählt zur passiven Sterbehilfe. Es ist zwar eine aktive Handlung des
Arztes, aber es führt auf den ursprünglich ablaufenden Sterbeprozess zurück.
Eine weitere Formulierung ist die indirekte Sterbehilfe. Dabei versucht der Arzt, durch
Gabe von sehr starken Medikamenten die Schmerzen des Patienten zu lindern. Das kann
jedoch dazu führen, dass sich das Leben des Patienten verkürzt oder das Sterben
unabsichtlich beschleunigt wird.
Der dritte Aspekt bezieht sich auf die aktive Sterbehilfe. Durch gezieltes Herbeiführen des
Todes wird auf die Lebensbeendigung des Patienten gezielt. Es ist somit eine
beabsichtigte Tötungshandlung. Besonders diese Form ist sehr umstritten.
Eine weitere Unterscheidung bezieht sich auf die Perspektive des Gesundheitszustandes
des Patienten. Man nennt dies auch Sterbehilfe im engeren und im weiteren Sinne.
Obwohl grundsätzlich immer Leben erhalten werden soll, gibt es Fälle, in denen
Ausnahmen zulässig sind. Dafür bestehen zwei medizinische Szenarien. Zum einen sind
das sterbende Patienten, bei denen der Sterbeprozess schon begonnen hat und eine oder
19
mehrere körperliche Funktionen irreversibel geschädigt sind. Zum anderen sind es
schwerstkranke Patienten, die an einer Krankheit leiden, die in naher Zukunft zum Tode
führt und die eine infauste Prognose haben.
Zusätzlich besteht noch eine dritte Perspektive im Zusammenhang mit der Zustimmung
des Patienten. Es geht dabei um die Freiwilligkeit. Bei der freiwilligen Sterbehilfe äußert
sich der Patient bewusst zum Wunsch seines eigenen Todes. Dies geschieht ohne
äußerlichen Zwang. Ist der Patient jedoch nicht mehr in der Lage diesen Willen oder
Wunsch zu äußern, agiert ein Stellvertreter. Dieser muss den mutmaßlichen Willen des
Patienten feststellen. Dies wird als nicht-freiwillige Sterbehilfe bezeichnet.
Im Gegensatz dazu steht die unfreiwillige Sterbehilfe. Dabei wird der Patienten nicht nach
seinem Willen oder Wunsch befragt, beziehungsweise es wird gegensätzlich zum Willen
des Patienten gehandelt.
Außerdem gibt es noch weitere Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit Sterbehilfe
stehen. Darunter fällt zum Beispiel der Begriff der Sedierung am Lebensende. Dabei wird
durch Medikamentenvergabe das Bewusstsein des Patienten teilweise oder ganz
ausgeschaltet. Häufig wird dies angewendet, wenn die Schmerzen zu stark sind und dem
nicht mehr anders begegnet werden kann.
Auch die Formulierungen Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid haben einen
direkten Zusammenhang mit der Sterbehilfe. Bei der Tötung auf Verlangen wird nach dem
Wunsch des Patienten, dieser durch eine andere Person getötet. Im Unterschied dazu
wird bei der Beihilfe zum Suizid nur die Möglichkeit für den Patienten geschaffen, sich
selbst zu töten.16
Um nun einen genaueren Einblick in die Rechtslage zu bekommen, wird zuerst der
geschichtliche Hintergrund näher beleuchtet.
16 Woellert/ Schmiedebach 2008, S. 17-24
20
4.1.2 Geschichte der Sterbehilfe und rechtliche Einordnung
Schon seit dem Mittelalter wurden erste Aspekte der Sterbehilfe deutlich. Ging man
damals noch fest davon aus, das Leben und Sterben in Gottes Hand liegt, änderte sich in
der Renaissance diese Auffassung. Zu dieser Zeit strebte man nach einem leichteren Tot
und die Erlösung von Qualen durch den Arzt. F.Bacon unterschied zwischen einem
innerlich, sanften Tod und einem äußerlich sanften Tod, der von dem Handwerk des
Arztes abhängig war.17
1835 erschien ein Buch mit dem Titel ‚Euthanasie oder die Kunst den Tod zu erleichtern‘.
Dabei ging es um die Lehre der Euthanasie und sechs zentrale Punkte für das Sterben
eines Menschen. Damals jedoch verband man mit dem Begriff Euthanasie nur das
Begleiten beim Sterben. Handlungen, die zum Tode hätten führen können, wurden von
den Ärzten ethisch verworfen. Das Preußische Landrecht von 1794 verbat sogar die Hilfe
beim Suizid oder die aktive Sterbehilfe und stellte sie unter Strafe.
Erst Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu ersten relevanten Diskussionen von Ärzten
bezüglich der Sterbehilfe im Zusammenhang mit den Kosten im Gesundheitssystem. So
wurde 1895 eine Programmschrift mit dem Titel ‚ Das Recht auf den Tod‘ veröffentlicht.
Hier wurde auf die angenehme Seite des Todes hingewiesen, als Erlösung von Qualen. Es
kam zu einer Anerkennung des Rechts auf Tot durch Mitleid. Dabei wurde eine
Tötungserlaubnis erteilt, wenn der Arzt die entsprechende Diagnose stellte und der
Patient seine Einwilligung gab.
So wurde 1913 der erste richtige Gesetzesentwurf verabschiedet. Dieser hatte
Ähnlichkeiten mit den heutigen gültigen Regelungen in den Niederlande und Belgien.
Allerdings beeinflusste der 1.Weltkrieg den Sterbehilfediskurs.
1921 lehnte die deutsche Ärztekammer einen Antrag auf ‚Vernichtung lebensunwerten
Lebens‘ ab. Dennoch war das Thema weiterhin auf der politischen Agenda. Mit der
Machtergreifung Hitlers und der NSDAP änderte sich die Situation in Deutschland. So
wurde 1939 die Kindereuthanasie eingeleitet und später dann die Erwachsenen-
Euthanasie. Es wurden psychisch Erkrankte, Menschen mit einer Behinderung sowie
17 Lacina 2009, S. 74
21
Kinder mit einer Beeinträchtigung ermordet. Dennoch war während der NS-Zeit Tötung
auf Verlangen und ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ strafbar.
Nach Kriegsende gab es dann kaum noch Publikationen zum Thema Sterbehilfe. So
forderten Juristen sogar auf dem Konstanzer Juristentag 1947 ein Verbot über
Diskussionen zum Thema Sterbehilfe18. Erst Ende der 1950er Jahre kam es in der BRD kam
es in Diskussionen zu einer ethischen Neubewertung in Bezug auf Sterbehilfe. So fing man
an, die Patientenautonomie stärker zu bewerten. Dennoch wurde erst 1979 eine
rechtliche Formulierung in der Bundesärztekammer zum Thema passiver Sterbehilfe
zugelassen. Immer wieder kam es in den folgenden Jahren zu Diskussionen und
gesetzlichen Forderungen. Diese blieben aber bis auf weiteres aus. Erst 1986 kam es zur
Anerkennung der indirekten Sterbehilfe vor dem Deutschen Juristentag.
Heute sind maßgeblich gerichtliche Einzelfallentscheidungen von Bedeutung, da es keine
ausdrückliche, gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe gibt. Alleine die Rechtsprechung und
die berufsständischen Vorgaben bilden ein Maß für Entscheidungen. Eine Grundlage
bildet nur das Grundgesetz mit dem Artikel 2 in dem auf die körperliche Unversehrtheit
verwiesen wird und das Strafgesetzbuch Paragraph 216.
Allgemein kann man sagen, dass alle Handlungen gegen das Leben strafbar sind. Nur in
besonderen Ausnahmefällen und unter bestimmten Voraussetzungen bleibt die Handlung
straffrei. Dazu zählt jedoch nicht die aktive Sterbehilfe. Diese ist immer strafbar egal ob
der Wille des Patienten vorliegt und in welchem Zustand sich dieser befindet. 19
Dennoch gibt es immer wieder Einzelfälle, in denen man nicht klar erkennen kann, um
welche Form der Sterbehilfe es sich handelt und ob Sterbehilfe zulässig ist. Aus diesem
Grund spielen ethische Aspekte eine besondere Rolle.
18 Fittkau/ Gehring 2014 (Internetquelle) 19 Woellert/ Schmiedebach 2008, S. 31
22
passiv indirekt Tötung auf
Verlangen
Beihilfe zum
Suizid
freiwillig erlaubt erlaubt verboten nicht strafbar,
medizinethisch
strittig
nicht- freiwillig erlaubt erlaubt verboten -
unfreiwillig verboten verboten verboten -
Tabelle: Rechtliche Beurteilung der Sterbehilfe in Deutschland 20
4.1.3 Ethische Aspekte
Die Ethik in der Medizin soll eine Grundlage für das Handeln schaffen. Dabei stehen sich
immer die Pflichten des Handelnden und die Rechte des Betroffenen gegenüber.
Besonders im Bereich Sterbehilfe führt das zwangsläufig zu Problemen, da der Arzt
verschiedene Dinge gegenüber dem Patienten zu gewährleisten hat. Unter anderem hat
jeder Patient das Recht auf Lebenserhaltung, Hilfeleistung und körperliche
Unversehrtheit. Dies steht aber auch dem Recht auf Selbstbestimmung und Respekt vor
dem Patienten gegenüber. Somit ist allein schon der Aspekt der Sterbehilfe ein ethisches
Problem.21
Hinzu kommen im Bereich der Sterbehilfe weitere Probleme. Ein zentraler Punkt
besonders bei der passiven Sterbehilfe ist die Nahrungszufuhr. Laut Bundesärztekammer
zählt das subjektive Empfinden nach Hunger oder Durst. So ist umstritten, ob bei der
Basisversorgung auch die Nahrungszufuhr zu gewährleisten ist oder ob dies zu
unterlassen ist, wenn es der Patient wünscht. Häufig stellt sich mit Beginn des Sterbens
das Bedürfnis nach Nahrung ein. Damit wird das Nicht-Essen-Wollen als Zeichen für den
herannahenden Tod gewertet.
Ein weiteres Problem stellen komatöse Krankheitszustände dar. Hinter diesem Begriff
verbirgt sich eine ganze Reihe von verschiedenen Zuständen, die eine unterschiedliche
Betreuung bedürfen. Aus diesem Grund kann keine Verallgemeinerung für Sterbehilfe
20 Woellert/ Schmiedebach 2008, S. 31 21 Schreiner 1995, S. 3 ff.
23
vorgenommen werden. Daher dürfen Maßnahmen die zum Tode führen, erst
angewendet werden, wenn der Zustand einen infausten Verlauf nimmt oder der
Sterbeprozess schon begonnen hat. Dennoch müssen diese Entscheidungen bei jedem
Einzelfall neu bewertet werden.
Ein dritter problematischer Aspekt bei der Sterbehilfe ist die ärztliche Beihilfe zum Suizid.
Rechtlich betrachtet ist dies straffrei, da auch Selbsttötung nicht strafbar ist und demnach
dies auch für die Beihilfe gilt. Allerdings ist die ärztliche Beihilfe ethisch sehr umstritten.
Wie Eingangs schon angesprochen steht der Berufsethos der Lebenserhaltung gegenüber
der Hilfe. Die Bundesärztekammer verwirft ethisch die Beihilfe zum Suizid.
In diesem Zusammenhang wird das Beispiel des Falles Hackethal angeführt. Frau E. war
seit 1977 an einem Hauttumor erkrankt. Dieser wurde mehrfach behandelt und operiert.
Dennoch verschlechterte sich der Zustand von Frau E. stetig und es kam zu einer
Ausweitung des Tumors bis in die Schädelbasis. Dies hatte Schmerzen zu folge, die sich
nicht mehr lindern ließen. Daraufhin bat sie ihren Arzt um Beihilfe bei ihrem Suizid. Der
Arzt Herr Hackethal besorgte ihr eine tödliche Dosis Kaliumzyanid. Unter Abwesenheit
des Arztes, aber im Beisein ihrer nächsten Angehörigen verabreichte sich Frau E. die
tödliche Dosis.
Dieses Beispiel soll die Brisanz des Themas noch verdeutlich. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass die Abwesenheit des Arztes von Bedeutung ist. Helfer können wegen unterlassener
Hilfeleistung oder Tötung auf Verlangen durch Unterlassen laut den Paragraphen 13 und
216 StGB angeklagt werden. Dies geschah auch im Beispiel vom Fall Hackethal. Im Prozess
wurden jedoch alle Beteiligten freigesprochen.22
Alle diese Aspekte und Probleme führen zu Diskussionen zwischen Befürworter und
Kritiker. Doch was bringt Menschen insbesondere Ärzte und Pflegekräfte dazu Leben zu
nehmen und nicht zu schützen? Im folgendem Abschnitt soll dies beleuchtet werde.
22 Woellert/ Schmiedebach 2008, S. 20- 33
24
4.1.4 Motive
Die Motive Sterbehilfe zu begehen, sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Dennoch
kann man vier große Motive zusammenfassen. Diese müssen allerdings nicht in Reinform
auftreten, sondern können auch zusammen vorkommen.
Ein erstes Motiv kann das sogenannte tödliche Mitleid sein. Dabei geht es aber nicht
darum, dass Menschen das Leiden des Patienten nicht ertragen, sondern vielmehr um das
eigene Nichtertragen. Das bedeutet, dass man ein großes Unbehagen gegenüber dem
Patienten verspürt, weil man mit dem eigenen Leiden und der eigenen Vergänglichkeit
konfrontiert wird. Es zeigt die Unfähigkeit das Leiden mit anzusehen und mit zu ertragen.
Als zweites kann man den Würdeverlust anführen. Hierbei geht es allerdings eher um
einen Zuspruch als um die wesenseigene Würde. Durch pflegerische Maßnahmen wie
Waschen oder Füttern, setzt man die Würde des Patienten herab. Man stuft dies als
würdelos ein und möchte durch den Tod die Würde zurückgeben.
Die zwei letzten Motive ähneln sich in ihrer Form. Der ökonomische und gesellschaftliche
Druck werden gleichwohl angesprochen. Pflegerische Maßnahmen und medizinische
Behandlungen kosten weitaus mehr als der Tod eines Patienten. Aufgrund der
wachsenden ökonomischen Zwänge im Gesundheitswesen spielt dieser Aspekt eine
immer wichtigere Rolle. Es werden überall Sparmaßnahmen getroffen, die zum Leidwesen
der Patienten geschehen. So können sie die, für sie notwendigen Hilfen, nicht mehr
erhalten. Der andere Aspekt der zum Tragen kommt, ist der gesellschaftliche Druck.
Dieser ist wohl eher unmerklich und unbewusst. Dennoch spielt auch dieses Motiv eine
Rolle. So bedeuten Schwerstkranke und Sterbende eine Verantwortung, die viele nicht
tragen können oder wollen. Um aus diesem Verantwortungsgefühl heraus zu kommen,
muss der Patient verschwinden. Dieses Motiv ist wohl am schwersten zu greifen, da man
es nur schwer benennen und definieren kann.23
Auch außerhalb Deutschlands gelten diese Motive. So werden im folgenden Kapitel
andere Länder näher beleuchtet und deren Umgang mit Sterbehilfe.
23 Knipping 2006, S. 557 ff.
25
Sterbehilfe ist in Deutschland nur als passive Reaktion zulässig. Aufgrund der deutschen
Vergangenheit insbesondere zur NS-Zeit ist jede andere Form der Sterbehilfe sehr
umstritten.
4.2 Umgang in anderen Ländern
Der Fall einer 99jährigen Frau machte Schlagzeilen. Die körperlich und geistig gesunde
Frau bat ihren Stiefsohn um Sterbehilfe. Dies löste in den Niederlanden eine neue
Debatte über den ‚idealen Tod‘ aus.24 Dies zeigt auf, in welchem internationalen Rahmen
das Thema Euthanasie und Sterbehilfe polarisiert. Auch andere EU-Staaten sowie der
Europarat widmen sich diesem brisanten Thema. Hierfür werden nun einige EU-Staaten
als Beispiel für den Umgang mit der Problematik der Euthanasie vorgestellt. Dafür
wurden direkte Nachbarn von Deutschland ausgewählt. Im Anhang findet sich dazu noch
eine tabellarische Übersicht der drei Länder und deren Sorgfaltskriterien.
4.2.1 Niederlande
Die Niederlande praktizierten europaweit Sterbehilfe als einer der Ersten. Schon im Jahre
2002 wurden die Beihilfe zum Suizid sowie die Euthanasie legalisiert. Beides gilt heute als
Element der medizinischen Praxis.
Ursprünglich wollte man die früher vorherrschende Grauzone in diesem Bereich
abschaffen. Dazu musste das bestehende Abkommen gesetzlich verankert werden.
Juristen und Politiker versprachen sich von der Duldung beziehungsweise der rechtlich
anerkannten Durchführung der Euthanasie Transparenz und Kontrolle. Hierfür wurden
Sorgfaltskriterien für Ärzte beschlossen, die diese vorher zu kontrollieren haben. Des
Weiteren schuf man eine Kontrollkommission, die die Vorgehensweise der Ärzte
überprüfen soll.
Dennoch gibt es auch weiterhin eine Grauzone und eine Zone des Missbrauchs. Auch die
Bevölkerung, die anfänglich sehr begeistert von dem Vorstoß der Regierung war, äußert
24 Abe 2014, S. 31
26
sich mittlerweile kritisch zu dem Thema. Die frühe Begeisterung über den offenen
Umgang mit diesem Thema ist in Angst und Unsicherheit umgeschlagen. So gibt es heute
Credo-Cards, die den Ärzten anzeigen, dass das Leben nicht frühzeitig beendet werden
darf.
4.2.2 Belgien
Kurz nach der Legalisierung der Euthanasie in den Niederlanden, kam es auch zu einer
gesetzlichen Anerkennung in Belgien. Dies war jedoch nicht eine Reaktion auf das
niederländische Gesetz, sondern das Ergebnis einer jahrelangen gesellschafts- und
gesundheitspolitischen Diskussion. Seit den 1960er Jahren wurden immer wieder
Versuche unternommen, um eine Legalisierung zu erreichen.
Trotz den zahlreichen Ähnlichkeiten zu den Niederlanden im Bezug auf Sorgfaltskriterien
und den Einsatz von Kontrollkommissionen, bestehen doch einige gravierende
Unterschiede. Das Gesetz deckt die Beihilfe zum Suizid sowie die Euthanasie von
Minderjährigen nicht mit ab und schließt diese sogar aus. Jedoch sind einige Aspekte des
Gesetzes deutlich lockerer. So muss ein Patient nicht sterbenskrank sein, um Euthanasie
in Anspruch zu nehmen. Es genügt die Diagnose einer unheilbaren Krankheit. Zudem sind
psychisch erkrankte Menschen nicht vom Gesetz ausgeschlossen. Dies führt zu einer
immer weiteren Auflösung des absoluten Lebensschutzes. In dieser Weise äußern sich
Kritiker der Euthanasie.
4.2.3 Schweiz
Genauso wie es Kritiker gibt, haben auch die Befürworter der Euthanasie eine Plattform in
der Gesellschaft. Besonders die Schweiz lässt sogenannten Sterbehilfeorganisationen
großen Raum für deren Arbeit.
Diese Organisationen agieren auf Grundlage der Strafffreiheit bei Suizid. Sie handeln im
rechtsfreien Raum. Dies führt sogar zu einem regelrechten Sterbetourismus. Dabei reisen
einzelne Personen in die Schweiz und bezahlen die Sterbehilfeorganisationen für ihren
gewünschten Tod. Gleichzeitig nutzen die Sterbehilfeorganisationen das so
erwirtschaftete Geld für das Vorantreiben für eine möglichst umfassende Euthanasie-
Regelung.
27
4.2.4 Europäische Einordnung
Auch der Europarat nahm zum Thema Euthanasie und Sterbehilfe Stellung. Im Jahr 1999
gab es eine richtungsweisende Entscheidung. In dieser erklärte der Europarat, dass man
ein Leben nicht so beenden darf. Es sei ein absolutes Tabu, gezielt ein Leben zu verkürzen,
auch wenn es sich um eine Leidensverkürzung handelt. So zielt der Europarat auf ein
Verbot der Euthanasie ab, welches dieser im Jahr 2012 nochmals bekräftigte.25
Im europäischen Ausland wird mit dem Thema Sterbehilfe offener umgegangen. Häufig
sind bestimmte Aspekte der Sterbehilfe erlaubt, obwohl der Europarat eine klare
Meinung gegen Sterbehilfe vertritt.
5 Soziale Arbeit
Alle diese Themen und Aspekte scheinen auf den ersten Blick wenig mit der Sozialen
Arbeit zu verbinden. Allerdings stehen Sozialarbeiter den Menschen in jedem
Lebensabschnitt zur Seite und somit auch am letzten Lebensabschnitt, so unterschiedlich
wie dieser auch sein mag. Das Leben hat viele Facetten, genauso wie der Tod. Anders als
der Mediziner blickt der Sozialarbeit nicht nur auf seine Diagnosen und den Patienten. Er
nimmt den Klienten und sein Umfeld war und arbeitet mit den Menschen in
unterschiedlicher Weise. Genau um diese vielfältige Arbeit angesichts des Todes und
seiner unterschiedlichen Facetten dreht sich das nächste Kapitel.
5.1 Klinische Sozialarbeit
Beginnend mit der klinischen Sozialarbeit werden die anschließenden Bereiche der
Sozialen Arbeit vertieft. Die klinische Sozialarbeit findet sich in den psychosozialen
25 Knipping 2006, S. 557 ff.
28
Feldern der Sozialen Arbeit und beschäftigt sich mit den Multiproblemlagen der Klienten
im Sozial-und Gesundheitswesen.26
Dennoch gibt es ein eher ambivalentes Verhältnis zu den medizinisch-
naturwissenschaftlichen Professionen im klinischen Arbeiten. Während sich die Mediziner
um den körperlichen und psychischen Zustand des Patienten kümmern, übernehmen
Sozialarbeiter eine andere Rolle, die häufig als nicht so tragend anerkannt wird.
Andererseits benötigen Patienten meist mehr als nur eine Diagnose der Erkrankung und
deren Behandlung. Es geht beispielsweise um das Erschließen von sozialen Ressourcen
wie Reha-Maßnahmen oder Selbsthilfegruppen. Auch zur Verbesserung der
Lebensumstände können Sozialarbeiter beitragen, in dem sie dem Patienten helfen, sich
in veränderten Lebensumständen zurechtzufinden. Dies kann der Fall sein bei
Trauerfällen oder körperlichen sowie geistigen Beeinträchtigungen der eigenen Person
beziehungsweise von Angehörigen nach Unfällen. In diesen Fällen werden soziale Lern-
und Bildungsprozesse durch Beratung angestrebt, die die Kompetenzen im Umgang mit
Beeinträchtigungen fördern sollen.27
Ein gesonderter Bereich in der klinischen Sozialarbeit bildet die Hospizarbeit mit der
Palliative Care. An sich stellt der Tod oder das Sterben einen Störfaktor dar. Er
konfrontiert einen mit der eigenen Sterblichkeit. Dennoch ist es ein persönlicher sowie
sozialer Prozess, der begleitet und in das Leben und den Alltag einbezogen werden kann.
Daraus resultiert der zentrale Gedanke der Hospizarbeit. Es geht um eine Unterstützung
im letzten Lebensabschnitt. 28
Die Basis für diese Überzeugung und Verankerung in der Hospizbewegung findet sich in
der mittelalterlichen europäischen Pflegetradition. Später entstand in Großbritannien die
moderne Hospizbewegung durch die Gründerin Cicely Saunders, die Sozialarbeiterin in
einem Krankenhaus war. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen finden sich im
Grundverständnis des Hospizes wieder.29
Durch das Grundverständnis ergibt sich auch die Hilfe in der Hospiztätigkeit, die durch die
Probleme der Patienten definiert wird. Einige gravierende Probleme wären zum Beispiel
26 Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2011, S. 521 27 Sting/ Homfeldt 2006, S.198ff 28 Student/ Mühlum/ Student2004, S.3ff 29 Davy/ Ellis 2010, S. 15
29
die seelischen Belastungen, die Verlusterfahrungen oder das Zerbrechen von
Sicherheiten. Auf Grundlage dessen wurden verschiedene Aufgaben der Hospiz
zugewiesen. Es werden vier große Aufgabengebiete beschrieben:
„Versorgungsaufgaben (Pflege, Therapie, Betreuung)
Beratung (Betroffene, Angehörige, Institutionen)
Bildungsarbeit (Aus-und Weiterbildungen)
Forschung ( Erkenntnisgewinnung)“30
Die klinische Sozialarbeit ist ein Teilbereich der Sozialen Arbeit und befasst sich mit den
Multiproblemlagen der Patienten im Sozial- und Gesundheitswesen. Sie ist Schnittstelle
für die medizinische und pflegerische Betreuung und der Nachsorge, sowie weiteren
Parteien, die zu diesem System gehören.
Besonders um die Beratung im Zusammenhang mit Suizid und Sterbehilfe soll es nun im
weiteren Verlauf gehen. Dabei wird der Schwerpunkt auf der Trauerarbeit liegen.
5.2 Sterbebegleitung und Beratung
Bevor sich der Blick auf die Beratung konzentriert, soll zuvor die Sterbebegleitung
erläutert werden. Anders als bei der Sterbehilfe geht es nicht um ein Eingreifen als Hilfe,
sondern um die Befriedigung von Bedürfnissen und die Begleitung am Lebensende.
Besonders Patienten am Lebensende haben häufig besondere Wünsche im Bezug auf ihr
Ableben. Um diesen gerecht zu werden, sind Hospize sehr patientenorientiert. Die
Bedürfnisse werden hauptsächlich durch Interviews mit den Patienten in Erfahrung
gebracht. Meist können diese Wünsche in drei Kernthemen festgehalten werden.
„Das Bedürfnis, über den Tod zu sprechen
Das Bedürfnis nach Begleitung im Sterben
Das Bedürfnis, Sterbezeit und Sterberaum (mit) zu gestalten“
30 Student/ Mühlum/ Student2004, S.3ff
30
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Sterbebegleitung neben den Bedürfnissen der
Patienten ist der Umgang mit Angst. Oft fällt es Patienten schwer den eigenen Tod zu
akzeptieren. Dennoch ist die Akzeptanz des eigenen Sterbens ein natürlicher Prozess im
Verlauf. Allerdings kann es auch zu Sterbewünsche und Suizidabsichten bei
sterbenskranken Menschen kommen. Dann besteht die wichtigste Aufgabe darin, diese
Wünsche zu erkennen und ihnen angemessen zu begegnen. Sollte der Patient diese
Absichten jedoch nicht äußern, ist es wichtig in Gesprächen auf die verbalen und
nonverbalen Hinweise zu achten. Problematisch wird diese Thematik, wenn der Patient
nach Unterstützung bei der Verwirklichung seiner Absichten fragt. Zwar akzeptiert die
Palliativ Care Sterben, aber der assistierte Suizid gehört nicht in den
Verantwortungsbereich der Fachkräfte.31
Vielmehr ist es Aufgabe der Fachkräfte angemessene Beratung anzubieten. Dies geht
jedoch weit über das Erläutern der weiteren Behandlungsweise hinaus. Mehr noch sollten
beraterische Fähigkeiten vorhanden sein. In Gesprächen kann der Patient klären, welche
Ziele er verfolgt und wie die Grundlage des Arbeitens aussieht. Die Fachkräfte können
dann die Beziehung zum Patienten durch Akzeptanz und Authentizität fördern und somit
Ressourcen und Fähigkeiten des Patienten betonen.32 So lassen sich sogar Ausblicke auf
die Zukunft mit dem Patienten erarbeiten. Auch wenn diese Zukunftsperspektiven eher
positiv unterlegt sind, wird es häufig für die Angehörigen eine sehr schwierige Zukunft, da
diese geprägt ist vom Verlust des Patienten. Dann spielt die Trauerarbeit eine zentrale
Rolle.
Die Sterbebegleitung sowie die Beratung ist kein aktives Eingriff, sondern eine Betreuung
des Sterbenden und deren Angehörigen und der Versuch einer angemessenen Begleitung
während des letzten Weges.
5.3 Trauerarbeit
„Trauer ist ein komplexes und intensives emotionales, somatisches, kognitives, soziales
und kulturelles Geschehen als Reaktion auf einen Verlust.“ Das Zitat verdeutlicht wie
31 Knipping 2006, S. 131 ff. 32 Davy/ Ellis 2010, S.22
31
umfassend die Trauer sein kann, auch wenn Trauer und Abschied Teile des Lebens sind.
Dennoch werden Trauerprozesse eher verleugnet und als Störfaktor bezeichnet. Es
kommt in dieser Zeit zu Irritationen, Verunsicherungen sogar zur Abwehr der Trauer.
Wie genau Trauer abläuft, kann nicht eindeutig festgestellt werden. Jeder Mensch
verarbeitet das Erlebte anders und somit ist auch die Trauer unterschiedlich. So gibt es
auch verschiedene theoretische Modelle von Trauerprozessen. Diese werden später noch
differenziert dargelegt.
5.3.1 Trauerreaktionen
„Trauer ist für den / die Betroffenen so etwas wie ein Erdbeben. Diese Erdbeben können
für den Einzelnen oder die ganze Familie zur Katastrophe führen. Sie können aber auch
neue Möglichkeiten bringen, sich, das Leben und andere besser verstehen zu können.“
Genauso wie Trauer als Erdbeben empfunden werden kann, kann es auch als größten
Liebesbeweis angesehen werden. Doch egal wie man Trauer für sich beschreibt, es gibt
häufig gängige Zeichen die für eine Trauer sprechen.
Dazu zählen auch affektive Symptome wie Angst/ Depression, Schuldgefühle, Wut oder
Einsamkeit. Alle diese Gefühle haben ihre Berechtigung in der Trauer. Häufig sind diese
Symptome noch ausgeprägter, wenn es sich um einen plötzlichen, unerwarteten Tod oder
Selbstmord handelt.
Weitere Verhaltensauffälligkeiten sind Apathie, emotionale Labilität sowie Weinkrämpfe.
Dazu kommt der veränderte Umgang mit Anderen. Dies ist besonders auffällig, wenn bei
Hinterbliebenen von Selbstmördern Stigmatisierungen und Scham hinzukommen. Auch
sporadische Hyperaktivität ist nicht ungewöhnliche, gerade wenn versucht wird, die
Trauer zu verdrängen. Dies lässt sich beobachten, wenn Angehörige schnellstens die
Sachen vom Verstorbenem entfernen.
Zusätzlich verändert sich auch das Selbstbild. Es kommt zu Unsicherheiten, Hilflosigkeit
und Hoffnungslosigkeit. Andere Zeichen sind kognitive Beeinträchtigungen oder
32
psychophysiologische Symptome. Damit sind häufig Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust,
Antriebslosigkeit oder Schlafstörungen gemeint.
Dies waren nur die Ausmaße der Trauer auf die eigene Person. Doch auch innerhalb der
verschiedenen Systeme in denen ein Mensch lebt, kommt es zu Reaktionen wie
beispielsweise innerhalb einer Familie. Das Familiensystem ist nach dem Tod eines
Angehörigen durcheinander in Abhängigkeit der Rolle, die der Verstorbene inne hatte.
Jeder benötigt seine eigene Zeit und zeigt unterschiedliche Reaktionen, die von den
Anderen nicht oder nur teilweise verstanden wird. Dies bietet ein großes
Konfliktpotential. So ist das Risiko für Krisen und Trennungen in dieser Zeit sehr hoch.
Hinzu kommt das unterschiedliche Bedürfnis von Nähe und Distanz. Einige brauchen in
dieser Phase die Gewissheit, dass jemand da ist und ihm zuhört und auch Nähe zulässt.
Andere schotten sich von der Umwelt ab und versuchen mit der Trauer alleine
zurechtzukommen.
Dennoch bedeutet Trauer, mit ihrer ungeahnten Kraft, auch immer eine Reifung und
Entwicklung genauso wie Rückschläge und Katastrophen. „Trauer ist ein Schutz, der die
Möglichkeit schafft, sich auf ein Leben nach dem Verlust des geliebten Menschen
vorzubereiten.“
Gelingt dieses jedoch nicht oder ist die Trauer zu stark, spricht man von einer
pathologischen Trauer. Dabei wird Trauer an sich jedoch nicht als Krankheit angesehen.
Sie kann nur dazu führen und ernsthafte, chronische Probleme hervorrufen. Folgende
Anzeichen können als Hinweis dienen.
„Fehlende Trauerreaktionen nach dem Verlust
Extreme Trauerreaktionen nach dem Verlust
Fehlende Entwicklung der Trauerarbeit
Anhaltende soziale Isolation oder physische und psychische Krankheitsreaktionen
Selbstzerstörendes Verhalten“33
In diesen Fällen ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen. Dies ist zum Beispiel bei
einer Hinterbliebenenberatung oder –therapie möglich.
33 Husebo 2005, S. 115ff
33
5.3.2 Hinterbliebenenberatung
„Durch Beratung hilft man Menschen, unkomplizierten oder normalen Verlustkummer so
zu kanalisieren, daß die Traueraufgaben innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens in
heilsamer Weise bewältigt werden.“ Diese professionellen Dienste können von Ärzten,
Psychologen oder Sozialarbeitern angeboten werden. Früher wurde die Trauer durch die
Familie oder die Kirche erleichtert. Dabei halfen Bestattungsriten und andere soziale
Bräuche. Heute fungiert Beratung als zusätzliche Ergänzung zum sozialen Rahmen der
Hinterbliebenen.34 Voraussetzung für eine adäquate Hilfe ist ein fundiertes Grundwissen
über Trauerprozesse, unterschiedliche Reaktionen und Bewältigungsstrategien. Der
Berater sollte sich seiner eigenen Trauergeschichte bewusst sein und das eigene
Trauererleben vom Trauerprozess des Beratenden trennen.
Wie zu Beginn des Kapitels angedeutet, existieren unterschiedliche Modelle im Bezug auf
Trauerreaktionen wie zum Beispiel die Phasenmodelle von Verena Kast (1982) oder John
Bowlby (1983). Sie gehen von der Lösung der Bindung zum Verstorbenen aus und sehen
das Ziel der Trauer in der Überwindung und des Loslassens. Andere wie M. Stroebe (1993)
beachten kognitive und soziale Prozesse stärker in dem sie den Focus auf die Betrachtung
von Verlustsituationen als kritisches Lebensereignis oder Stressfaktor legen.
In Deutschland ist das Modell der Aufgaben eines Trauerprozesses von James William
Worden weit verbreitet. Er setzt die Eigenverantwortlichkeit und die
Handlungsmöglichkeiten von Trauernden in den Mittelpunkt seiner Herangehensweise. In
vier aufeinanderfolgenden Aufgaben versucht er den Trauerprozess zu bewältigen.
Die erste Aufgabe nennt er „Die Wirklichkeit des Verlusts akzeptieren“. Wie anfangs
beschrieben begegnen die Menschen dem Verlust mit der Verneinung des Todes. Jedoch
ist es wichtig den Tod stückweise zu akzeptieren um mit dem Trauerprozess zu beginnen.
Erst dann kann die Realität durch die Begegnung mit dem Sterbeprozess oder dem toten
Körper hergestellt werden. Mit Hilfe sinnlicher Erfahrungen wie Berührungen des
Leichnams oder Bestattung soll der Angehörige sich vom Toten verabschieden.
34 Worden 1986, S. 46ff.
34
Als zweite Aufgabe beschreibt J.W. Worden, dass der Trauerschmerz und die darin
verborgene Vielfalt der Gefühle durchlebt werden soll. In dieser Phase kommt es zum
Ausleben der Gefühle. Des Weiteren können Schmerzen wie Brust-, Herz- oder
Bauchschmerzen sowie Schlafmangel oder Appetitlosigkeit auftreten. Allerdings kann
auch Gefühllosigkeit ein Merkmal sein. Genau diese differenzierten Ausprägungen
schaffen Unsicherheiten bei den eigenen Gefühlen. Daher ist es wichtig, sich mit den
Gefühlen auseinander zu setzten.35Als Beispiel werden jetzt drei starke Gefühle, die
häufig auftreten, näher erläutert.
Der Zorn ist eine Grundstimmung, die der Mensch besitzt, ausgelöst durch Frustration
oder dem Gefühl der regressiven Hilflosigkeit. Besonders in der Trauer ist er stark
vorhanden und wird häufig an der Umgebung, den Mitmenschen ausgelassen oder nach
innen gekehrt. Aber das eigentliche reale Ziel ist der Verstorbene. Dieses starke, sehr
präsente, negative Gefühl wird mit Hilfe des Beraters anerkannt und den positiven
Gefühlen abgewägt. Durch indirekte Fragen erkennt der Hinterbliebene das beide
Gefühlsausrichtungen vorhanden sind.
Ein zweites sehr starkes Gefühl ist die Angst, die sich aus den Gefühlen der Hilflosigkeit
speist. In den meisten Fällen klingt die Angst nach geraumer Zeit wieder ab. Wenn dies
nicht passiert, verweist der Berater auf das frühere eigenständige Handeln des
Hinterbliebenen. Zusätzlich kann sich die Angst aber auch aufgrund der nun bewussten
eigenen Sterblichkeit manifestieren. Dieses Bewusstsein und die dazugehörige Angst sind
auf einer sehr tiefen Ebene bei jedem Menschen vorhanden. Durch bestimmte situative
Auslöser kann diese Angst an die Oberfläche gelangen. Der Berater muss für sich
entscheiden in welchem Maß er diese Angst anspricht.
Das letzte Gefühl was hier vorgestellt werden soll ist die Schuld, die in Abhängigkeit zu
den Todesumständen steht. Häufig kommt es nach Verlusten zu Selbstvorwürfen und
Schuldzuschreibungen. Diese sind oft irrational und können durch eine Realitätsprüfung
von Berater und Hinterbliebenen geklärt werden. Allerdings gibt es auch richtige Schuld,
die dann besprochen werden muss.36
35 Knipping 2006, S. 410 ff. 36 Worden 1986, S. 52 ff.
35
Die dritte Aufgabe sieht Worden in der Anpassung an die veränderte Umwelt. Durch den
Tod des Angehörigen fällt dessen Rolle weg. Für den Hinterbliebenen bedeutet, dass das
er sich neue Rollen und neue Fertigkeiten zu legen muss. Der Berater kann das
selbstständige Handeln des Hinterbliebenen durch Gespräche fördern. Hauptsächlich
zeigt er auf, was der Hinterbliebene früher schon alles alleine konnte.
Die abschließende vierte Aufgabe benennt Worden als „ Dem Toten einen neuen Platz
zuweisen“. Dies sollte als langfristiges Ziel verfolgt werden. Der Verstorbene wird immer
einen Platz in der Gefühlswelt des Hinterbliebenen haben. Dennoch ist es wichtig, dem
Verstorbenen einen neuen Platz zukommen zu lassen, um auch neue Bindungen zu
knüpfen.
Neben der Beratung gibt es noch weitere Formen der Hilfe zur Verarbeitung der Trauer.
Eine Alternative bietet das Trauercafe. Es ist ein eher niedrigschwelliges
Begebnungsangebot, bei dem Hinterbliebene mit Mitarbeitern oder anderen Trauernden
in Kontakt kommen und über ihre Geschichte sprechen können. Ein weiteres Angebot
sind Trauergruppen. Dies sind geschlossene Gruppen von Trauernden mit einer leitenden
Fachkraft.37
5.3.3 Traumata
Eine besonders schlimme, tiefe Trauer durch das Erlebte kann in ein Trauma umschlagen.
Die meisten Menschen erleben mindestens eine traumatische Erfahrung. Dazu ist es
wichtig zu wissen, was ein Trauma ist und welche Symptome es gibt. „Als Trauma werden
Erfahrungen bezeichnet, die so unfassbar sind, dass sie nur schwierig oder manchmal fast
gar nicht in den bestehenden Erfahrungsschatz eingegliedert werden können.“ Ein
Trauma kann durch den Verlust eines nahestehenden Menschen oder durch das
Miterleben eines Suizides eines anderen Menschen ausgelöst werden. Diese Ereignisse
übersteigen das emotionale und gedankliche Fassungsvermögen eines Menschen. „Daher
sind traumatische Reaktionen zunächst ganz normale, grundsätzlich gesunde Antworten
37 Knipping 2006, S. 410 ff.
36
auf eine anormale, die Seele verletzende Erfahrung.“ Diese Reaktionen sind dann
zunächst Selbstheilungsversuche der Seele.
Es kommt zu verschiedenen Reaktionen und Folgen. Dabei gibt es Risiko- und
Widerstandsfaktoren, die die Verarbeitung und Bewältigung des Traumas beeinflussen.
Risikofaktoren erschweren die Verarbeitung und Widerstandsfaktoren erleichtern die
Verarbeitung. Jedoch sind diese Einflüsse bei jedem Menschen sehr individuell. Von den
biologischen Anlagen über die Kindheit und Familiengeschichte bis hin zu eigenen
Erfahrungen spielt alles eine Rolle.
Die Folgen, die dann bei dem Versuch der Verarbeitung entstehen, sind ebenso vielfältig.
Es kann dazu kommen, dass die Erinnerungen zwar nicht ständig aber doch häufig wieder
präsent sind oder dass man gar keine Erinnerungen zu lässt und diese immer wieder von
sich schiebt. Dennoch sind alle diese Reaktionen normal. Nur wenn sie einen bestimmten
Zeitraum überdauern, werden diese Reaktionen bedenklich.
Zusätzlich zu diesen Folgen und Reaktionen gibt es auch noch Symptome, die auf eine
Traumatisierung schließen. Nicht alle Menschen müssen diese Symptome aufweisen.
Aber eine fehlerhafte oder gar keine Verarbeitung eines Traumas kann zu einer
Belastungsstörung führen. Dann ist es für die betroffene Person und ihr Umfeld wichtig,
mögliche Anzeichen zu erkennen, um entsprechend zu reagieren und sich Hilfe zu suchen.
Ein solches Anzeichen können Flashbacks sein, bei denen der Betroffene die traumatische
Erfahrung nochmals in Gedanken durchlebt. Dies kann zu Alpträumen und zu
Schlafmangel führen. Auch die körperlichen Reaktionen wie Herzrasen, Schwitzen oder
Anstieg des Blutdrucks können Schlafmangel veranlassen. Des Weiteren gibt es noch
Symptome wie Aggressionen, Reizbarkeit, Interessensverlust, Schreckhaftigkeit,
mangelnde Konzentration oder übertriebene Wachsamkeit.
Allerdings beinhaltet auch der ‚natürliche‘ Verlauf eines Traumas diese Symptome. Der
normale Verlauf wird durch drei Phasen beschrieben. Die erste Phase nennt sich
Schockphase. Sie tritt nach dem Geschehen beziehungsweise dem Erlebten ein und kann
zwischen einer Stunde und einer Woche andauern. Danach beginnt die Einwirkungsphase,
bei der man sich mit dem Erlebten beschäftigt und auseinandersetzt. In diesen circa zwei
Wochen entwickeln sich dann auch die Symptome. Abschließend kommt es zur
Erholungsphase, in der auch die Symptome zurückgehen sollten.
37
Bei einem gravierend anderen Verlauf eines Traumas sollten Betroffene und Angehörige
sich Hilfe suchen. Der erste Ansprechpartner kann immer der Arzt sein, der einen
weiterverweist. Auch in Beratungsstellen bekommen Menschen mit traumatischen
Erlebnissen Hilfe und können dort vielleicht zum ersten Mal über das Erlebte sprechen.
Eine weitere Hilfe kann der Besuch eines Traumatherapeuten sein. Diese Therapeuten
sind speziell für den Umgang mit traumatischen Erfahrungen geschult und können eine
notwendige Therapie veranlassen und durchführen.38
Hierfür bitten sich verschiedene Therapieansätze an. Diese sind abhängig von der Art der
Problematik bezüglich der Trauerreaktion. Die fokale Psychotherapie wird häufig
angewendet bei gehemmter, unterdrückter, fehlender sowie fehlgeleiteter Trauer. Dabei
untersucht und prüft der Therapeut zusammen mit dem Klienten, dessen Beziehung zum
Verstorbenen. Er versucht durch gezielte Befragung die Gründe zu erfahren, warum keine
normale Trauerreaktion möglich war. Dennoch verzichtet der Therapeut bei diesem
Ansatz die direkte Konfrontation. Ziel der Therapie ist, dass der Klient seine Trauer nach
außen tragen kann und die Trauer erlebt. Im Gegensatz dazu zielt die Verhaltenstherapie
auf die direkte Konfrontation mit dem Verlust und den Auswirkungen ab. Häufig wird
dieser Ansatz bei krankhaften Trauerreaktionen verwendet. Diese krankhaften
Trauerreaktionen ähneln in gewisser Weise Vermeidungsreaktionen. Das Ziel ist das
Zusammenbrechen der Verleugnung verbunden mit schmerzhaften, emotionalen
Ausbrüchen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Therapieansätze wie die
Trauerwiederholungstherapie oder die Familientherapie.39 Eine weitere Form wäre die
Hinterbliebenentherapie.
5.3.4 Hinterbliebenentherapie
„Die Hinterbliebenentherapie soll die Trennungskonflikte identifizieren und lösen, die die
Bewältigung von Traueraufgaben bei Personen verhindern, bei denen die Trauer
ausbleibt, sich verzögert, übertrieben oder in die Länge gezogen wird.“
Dafür steht dem Therapeuten ein neunstufiges Verfahren zur Verfügung.
„Klären, ob eine physische Krankheit vorliegt.
38 Morgan 2007, S. 9 ff. 39 Cook/ Phillips 1995, S. 103- 107
38
Vertrag machen und Bündnis schließen.
Erinnerungen an den dahingegangenen Menschen wiederbeleben.
Einschätzen, welche der vier Traueraufgaben unerledigt sind.
Umgang mit erinnerungsstimuliertem Affekt oder Affektmangel.
Verbindende Objekte explorieren und entschärfen.
Die Endgültigkeit des Verlustes anerkennen.
Die Phantasievorstellung vom Ende der Trauer einbeziehen.
Den Patienten an das endgültige Abschiednehmen heranführen.“
Mit Hilfe verschiedener Techniken versucht der Therapeut diese Schritte mit dem
Hinterbliebenen zu erarbeiten. Eine gestalttherapeutische Technik wäre zum Beispiel der
„Leere-Stuhl“. Dabei stellt sich der Hinterbliebene vor, auf dem Stuhl säße der
Verstorbene. Nun kann der Hinterbliebene direkt zum Verstorbenem sprechen. Alternativ
dazu kann der Hinterbliebene auch die Augen schließen und sich dann den Verstorbenen
vorstellen.
Eine weitere Technik ist das Psychodrama mit Rollenspiel. Dabei spielt der Hinterbliebene
den Verstorbenen und sich selbst. Durch die Wechselrede der beiden Parteien wird eine
Lösung des Konflikts erzielt. Um sich den Verstorbenen besser vorzustellen, kann ein Foto
von diesem aufgestellt werden.
Nach vollendeter Therapie berichten Hinterbliebene oft von Veränderungen, die sie
bemerken. Diese lassen sich in drei große Bereiche gliedern.
„Veränderungen der subjektiven Erfahrung
Veränderungen im Verhalten
Veränderungen als Linderungen von Symptomen“40
Alle drei Resultate müssen nicht in gleicher Ausprägung vorhanden sein. Sie sind auch
immer abhängig von der vorrangegangenen Problematik.
Die Trauerarbeit mit allen ihren verschiedenen Formen und Möglichkeiten ist Teil der
Aufarbeitung bei negativen Ereignissen und ein Betätigungsfeld der Sozialen Arbeit zur
Unterstützung von Betroffenen.
40 Worden 1986, S. 84ff
39
6 Schluss
„Von der Vorstellung des Endes bis über das Ende hinaus“ beschreibt nicht nur den Titel
der Bachelor-Arbeit, sondern auch die Möglichkeiten der Sozialen Arbeit im
Begegnungsfeld des Todes. Der Tod als weltliches Ende stellt nicht nur
Herausforderungen in der Begegnung mit diesem dar, er lässt auch Spekulationen in
Bezug auf ein Leben nach dem Tod wie bei den Religionen zu.
Die persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod kann Grundlage bieten für die
individuelle Betrachtung der eigenen Sterblichkeit. So können Entscheidungen getroffen
werden für den eigenen Tod.
Besonders bei Suizidalität und Sterbehilfe kann das Ende als positiver Schritt für den
Einzelnen gewertet werden. Es scheint ein möglicher Ausweg aus der scheinbar
aussichtslosen vorherrschenden Situation für den Einzelnen. Auch kann Suizidalität als
Flucht oder Hilfeschrei aufgefasst werden und somit ein gewaltsamer Akt gegen die
eigene körperliche Unversehrtheit darstellen.
Allen diesen Schritten geht jedoch eine so gravierende Entscheidung voraus, dass
besonders diese Hilfe und Unterstützung benötigen. Die Soziale Arbeit kann mit ihren
vielschichtigen Aufgabenbereichen helfen, Klärung in einzelne Situationen bringen.
Dadurch können sich Möglichkeiten eröffnen ohne, dass das eigene Leben beendet
werden muss. Aber auch wenn die Entscheidung gegen das Leben getroffen wurde, kann
die Soziale Arbeit unterstützend in der Betreuung und Nachsorge der Angehörigen
fungieren.
Aus diesen vielen umfangreichen Aspekten konnte ich mir selbst eine Meinung zu den
Themen Suizid und Sterbehilfe bilden. Auch war es mir möglich, mich mit dem Tod näher
zu beschäftigen.
Aufgrund der Tatsache, dass jedem Mensch nur ein Leben gegeben ist, halte ich das
Leben für sehr kostbar und betrachte es als Geschenk. Diese Ansicht hat sich auch nicht
geändert, doch bekam ich durch das Thema eine vage Vorstellung davon, wie hilflos sich
40
Menschen gegenüber ihrem eigenen Schicksal beziehungsweise dem eigenen Körper
fühlen können. Dennoch ist es schwer, sich etwas vorzustellen, was von einem so weit
weg ist. Ich weiß nicht, wie ich handeln würde, in einer mir scheinbar so ausweglosen
Situation.
Dennoch meine ich, mir zumindest ein Bild zu machen beim Thema Sterbehilfe. Ich selbst
möchte nicht, ewig gefangen in einem Koma, dahinvegetieren. Mir ist es wichtig vorher zu
klären, was mit mir geschehen soll und zwar nach meinem Willen und nicht auf
Spekulationen, wie ich wohl entschieden hätte und natürlich möchte ich, dass das
respektiert wird. Wenn ich aber den Respekt von anderen verlange, muss ich auch selbst
andere respektieren.
Wie kann ich da andere für ihre Entscheidung verurteilen, für etwas das ich vielleicht
nicht will, aber dennoch achten sollte? Jeder hat ein Recht auf Leben, aber sollte ich dann
auch ein Recht darauf haben, zu sagen, was ich ertragen kann und was nicht?
Vielleicht sollte man Sterbehilfe und Suizid anders betrachten und nicht als Recht darauf,
das eigene Leben zu beenden, sondern als Recht darauf, zu sagen, was man ertragen kann
und was nicht. Dies hätte dann nichts, damit zu tun, ob man das Leben achtet oder nicht,
sondern mit der eigenen Entscheidung, welche Grenzen ich als Person habe.
Zu Beginn gab es ein Zitat aus dem weißen Buddha und das soll auch der Abschluss sein.
Der Tod sollte nicht als etwas negatives, sondern als ewige Ruhe betrachtet werden.
„Während er das Bewusstsein verlor, sah er den weißen Buddha, der ein erhabenes,
feierliches Licht ausstrahlte. ‚Es ist so weit, nicht wahr? ‘, rief Minoru ihm noch Vom
Rande seiner Ohnmacht zu. Seine Stimme wurde in den Strudel seines schwindenden
Bewusstseins gesogen und verschluckt, und zugleich verschwanden auch Glück, Trauer
und alle Bindungen. Im nächsten Augenblick war alles friedlich erloschen.“41
41 Tsuji 2008, S. 286
41
7 Anhang
Länder Niederlande Belgien Schweiz Sorgfalts Kriterien
Der Zustand des Patienten ist aussichtslos und das Leiden ist unerträglich.
Der Patient muss seinen Sterbewunsch entsprechend den Vorgaben des Informed Consent formulieren.
Der Patient muss über Alternativen aufgeklärt worden sein.
Der Sterbewunsch kann auch im Vorfeld in Form einer Patientenverfügung geäußert werden.
Aktive Sterbehilfe darf nach Einwilligung der Eltern auch an Minderjährigen praktiziert werden; bei Jugendlichen über 16Jahren ist deren Einwilligung nicht erforderlich,
„Die Krankheit ist unheilbar, weit fortgeschritten und führt zu andauernden körperlichen und seelischen Qualen. Das schließt auch psychische
Erkrankungen ein.
Der Sterbewillige muss volljährig sein und seine Entscheidung gemäß den Informed Consent getroffen und schriftlich festgehalten haben.
Arzt und Patient müssen im Vorfeld mehrere beratende Gespräche führen, die in einem bestimmten zeitlichen Abstand zu erfolgen haben.
Ein zweiter Arzt muss den Zustand des Patienten begutachten.- Steht der Tod nicht unmittelbar bevor, dann ist
„Dem Patienten bleibt aufgrund seiner Erkrankung nur wenig Lebenszeit. Das entspricht der ‚Sterbehilfe im weiteren Sinne‘.
Der Patient wurde über Alternativen, wie sie beispielsweise die Palliativmedizin bietet, aufgeklärt bzw. hat diese auch erprobt.
Der Patient hat im Sinne des Informed Consent zugestimmt, und eine dritte Person hat überprüft, dass die Bedingungen des Informed Consent erfüllt waren.
Der Entscheidungsprozess muss dokumentiert und der Fall nach Todeseintritt behördlich gemeldet werden.
Die zum Tode führende Handlung muss von Patienten selbst ausgeführt werden.“
42
aber sie sollen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.
Ein zweiter Arzt muss den Zustand des Patienten und den Entscheidungsprozess begutachten.
Die Lebensbeendigung muss mit aller medizinischen Sorgfalt durchgeführt werden.
Die Fälle aktiver Sterbehilfe müssen- im Nachhinein- einer übergeordneten Ethikkommission gemeldet werden.
Der Bericht des Pathologen muss zusätzlich auch an die Staatsanwaltschaft gehen.
Zur aktiven Sterbehilfe und zur Beihilfe zur Selbsttötung sind nur niederländisch
noch ein dritter Arzt zu konsultieren.
Der Patient muss über Alternativen aufgeklärt worden sein.
Angehörige und andere nahe stehende Personen sollen- in Absprache mit dem Patienten- in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden.
Der Sterbewunsch kann auch im Vorfeld im Beisein zweier Zeugen in Form einer Patientenverfügung geäußert werden. Diese muss alle fünf Jahre erneuert werde. Solche Vorausverfügungen sollen zukünftig in einem staatlichen Register zentral gesammelt werden.
Die Lebensbeendigung muss mit aller medizinischen Sorgfalt durchgeführt werden.
Die Fälle aktiver Sterbehilfe sind- im Nachhinein-
43
e Staatsbürger zugelassen.“
einer übergeordneten Ethikkommission zu melden.“
42
Eidesstattliche Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die Hausarbeit selbstständig verfasst und keine anderen
als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe, alle Ausführungen, die
anderen Schriften wörtlich oder sinngemäß entnommen wurden, kenntlich gemacht sind
und die Arbeit in gleicher oder ähnlicher Fassung noch nicht Bestandteil einer Studien-
oder Prüfungsleistung war.
42 Woellert/ Schmiedebach 2008, S. 34ff
44
8 Quellenverzeichnis
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Dorrmann, Wolfram: Suizid. Therapeutische Interventionen bei Selbsttötungsabsichten. München 1996.
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interkulturelle Sterbebegleitung. Freiburg im Breisgau 2012.
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Schreiner, Paul-Werner u.a.: Ethik in der Medizin. Stuttgart 1995.
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/Tabellen/EckdatenTU.html [Stand 08.05.2014]
Sting, Stephan/ Homfeldt, Hans Günther: Soziale Arbeit und Gesundheit. München 2006.
45
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Palliative Care. München 2004.
Teising, Martin: Alt und lebensmüde. Suizidneigung bei älteren Menschen. München
1992.
Tsuji, Hitonari: Der weiße Buddha. München 2008.
Woellert, Katharina/ Schmiedebach, Heinz-Peter: Sterbehilfe. München 2008.
Worden, James William: Beratung und Therapie in Trauerfällen. Bern 1986.
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