zum ideengehalt von gogol's mantel 1958
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7/25/2019 Zum Ideengehalt Von Gogol's Mantel 1958
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ZEITSCHRIFTFR SLAVISCHEPHILOLOGIE
Im Auftrage
der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainzherausgegeben von
M. VASMER und M. WOLTNER
Band XXVI
HEIDELBERG 1958
CARL WINTER UNIVERSITTSVERLAG
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H. WISS EMANN,ZumIdeengehaltvonGogol'sMantel " 391
Zum Ideengehalt von Gogol's Mantel"
I
Am4. Mai1936 hatCYZEVSKYJimRahmenderBerliner Slavistenabende einen Vortrag ber Gogol's Mantel" gehalten, der durch seine
feinsinnigen stilistischen Beobachtungen uns junge Berliner Slavistensehr fesselte und unser Verstndnis fr Gogol' vertiefte. Der Vortragist in Form eines Aufsatzes im 14. Bande dieser Zeitschrift erschienen1).Die darin dargelegten Auffassungen haben in Deutschland weitgehendAnerkennung gefunden2). Nach erneutem sorgfltigem Durchdenkenhoffen wir aber, durch eine kritische Auseinandersetzung mit ihnenauch unsererseits zur Vertiefung des Verstndnisses fr die rtselhafteDichtung beitragen zu knnen.
Cyzevskyj wendet sich entschieden gegen die alte Auffassung, dievon der russischen publizistischen Kritik seit Belinskij vertretenwurde, da Gogol's Mantel" zur Literatur des sozialen Mitleids" gehre, deren sptere Entwicklung ja tatschlich vom Mantel" starkeImpulse empfangen hat: Wir sind dagegen davon berzeugt, daGogol' in seiner Novelle den sozialen Aspekt seines Themas gar nichtverwenden will, da er im Gegenteil etwas ganz anderes beabsichtigt :ein fr seine Weltanschauung sehr wesentliches Thema zu entwickeln,
das Problem der 'eigenen Stelle' des Menschen.. ,"
3
). Zur Sttzungseiner Auffassung, da der Ideengehalt der Novelle nicht aus dem sozialen Aspekt ihres Themas geschpft sei, stellt Cyzevskyj die Frage:Ist die Person Akakij Akakijevi' denn ein berzeugender Beweis,da auch der 'kleine Mann' unser 'Bruder' ist1Haben nicht diejenigenSchriftsteller das viel eindrucksvoller gezeigt, die geschildert haben,wie sich in der Seele eines 'armen Beamten' wirklich menschlicheGefhle regen, wie z. B. in den besten Novellen dieser Art, den 'ArmenLeuten' Dostojevskijs und 'Jakov Jakovlevi' von P. Kuli, die beidebrigens sicherlich von Gogol's 'Mantel' angeregt wurden?" 4) Weitermeint er: Man mu feststellen, da fr Gogol' die Verteidigung der
!) D. CYZEVSKYJ, Gogol'Studien. 2. Zur Komposition von Gogol's Mantel" .
ZfslPh 14, 63ff.2) V. SETSCHKAREFF, N. V. Gogol. Leben und Schaffen. Verffentlichungen
der Abteilung fr slavische Sprachen und Literaturen des OsteuropaInstituts(Slavischee Seminar) an der Freien Universitt Berlin. Nr. 2. Berlin 1953. 162ff. ;
W. LKTTE NBAUEB, Rubsische Literaturgeschichte. Wien 1955. 164.*)a. a. O. 79.*). a. O. 79.
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'menschlichen Rochto' des kleinen Mannes ein Problem, das diespteren Bearbeitungen desselben Themas im Auge haben und dasauch die zeitgenssischen und spteren Kritiker aus dem Mantelherausgelesen haben gar keine Bedeutung haben konnte. Fr ihnwar diese Verteidigung berflssig, denn fr sein christliches Bewut-sein (undda Gogol' ein christlicher Denker gewesen ist, das wird jetztwohl kaum jemand mehr bezweifeln knnen!) ist die Gleichheit derMenschen vor Gott von vornherein ein Axiom!"1) Hier kann mannunsoforteinwenden, da ja auch Dostojevskijein christlicher Denkerwar, da dann also auch fr sein christliches Bewutsein die Gleichheitder Menschen vor Gott von vornherein ein Axiom htte sein mssenund da infolgedessen auch fr ihn dieVerteidigung der menschlichenRechte des kleinen Mannes gar keine Bedeutung haben konnte.
Dieser offensichtliche Widerspruch ist methodisch lehrreich. Denner beleuchtet schlaglichtartig die Gefahr, die ein unmittelbarer Rck-schlu von der aus anderen Werken eines Dichters und ausseinernicht-dichterischen Hinterlassenschaft bekannten Weltanschauung auf denIdeengehalt einer bestimmten Dichtung in sich birgt. Ein solcherRckschlu ist deshalb so schwierig und methodisch fragwrdig, weilderselbe Mensch als Knstler oft ein anderer ist, denn als Denker. Zwi-schen den beiden Seiten seiner schpferischen Geistigkeit besteht oftein Spamrangsverhltnis, was uns ja gerade aus derrussischen Litera-tur gelufig ist. Man denke nur an Tolstoj ! Zudem pflegt gerade imdichterischen Werk eher das Ringen um eine Weltanschauung ihrenNiederschlag zu finden als deren endgltig ausgereifte theoretischeKonzeption. Wir drfen daher damit rechnen, in ihm neben denThesender theoretischen weltanschaulichen. Konzeption sehr oft auch derenAntithesen wirksam zu sehen ganz abgesehen davon,da eine weltan-schauliche These, von deren Gltigkeit der Dichter als Denker ber-zeugt ist, fr ihn als Dichter sehr oft nichtselbstverstndliches Axiomist, sondern gerade den Ideengehalt zu einer Dichtung liefern kann.Das Verhltnis zwischen den beiden genannten Manifestationenschpferischer Geistigkeit, zwischen dem Denker und dem Knstlerim gleichen Menschen ist also dasgilt besonders von den Groenviel zu spannungsreich und kompliziert, als da einfache unmittelbareRckschlsse von den Konzeptionen des Denkers aufdie Ideengehalteder Schpfungen des Knstlers mglich wren. Auf solchen Rck-schlssen beruhende Urteile ber den Ideengehalt einer Dichtung
a. a. O. 81f.
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.40 I H. Wl.4HF.MAKN
Hintergrndigsten der Dichtung, zu Ethos und Ideengehalt, vor, in-dem sich uns die Konflikte alsWertkonflikte erschlieen1).
Dies Grundgesetz der Tiefenstrukturder Dichtung ist nun insofernvon entscheidender Bedeutung fr das methodische Vorgehen bei derErmittlung des Ideengehaltes, als es uns verpflichtet, von der vorder-grndigsten Schicht, dem sprachlichen Realgebilde, nicht direkt
zum Ideengehalt vordringen zu wollen. Der Weg vom sprachlichenKealgebilde zum Ideengehalt kann nur ber dieMittelschichtenfhren.Denn: Weder der Vordergrund noch der letzte, tiefere Ideengehaltsindfr sichsthetische Gebilde. Die Krisis liegtin jeder Hinsicht beidenMittelschichten2)". Diese also gilt es, vom sprachlichenRealgebildeaus zunchst zuerfassen. Erst, nachdem die Verhaltensweisenund dieCharaktere der Personen, so wie sie uns im sprachlichen Realgebildeerscheinen, durchleuchtet und begriffen wurden, knnen wir vondaaus weiter zum Ideengehalt vordringen.
Das Durchleuchten und Begreifen der Mittelschichten kann aber
nur vermittels einer Kombination philologischer und psychologischerMethoden erfolgen. Philologisch mu verfahren werden, weil dassprachliche Realgebilde als das einzig unmittelbar Wahrnehmbarean der Dichtung dieAusgangsbasis der Untersuchung darstellt, psycho-logische Methoden und zwar genauer przisiert, verhaltenspsycho-logischeund oharakterologische mssenhinzukommen, weil der Inhaltder Mittelschichten aus psychologischen Phnomenen im weitestenSinne des Wortes besteht. Da ein psychologisches Verstndnis derVerhaltensweisen und Charaktere der Personen einer Dichtung not-wendig ist, wird niemand bestreiten. Da man sich dabei aber moder-
ner wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse bedient, wird viel-leicht auf grundstzlichen Widerspruch stoen. Man wird vielleichteinwenden, da es ein unsinniger Anachronismus sei, psychologischeGrundanschauungen unserer Zeit oder gar bestimmte Auffassungenbestimmter Psychologen und Philosophen dieses Jahrhunderts zurInterpretation eines Dichters heranzuziehen, der diese wissenschaft-lichen Auffassungen und Ergebnisse noch gar nicht gekannt habenkann, weil sie zu seiner Zeit noch nicht existierten. Man knne hch-stens solche psychologischen Auffassungen dabei bercksichtigen, diein der Zeit des betreffenden Dichters herrschten und diesem bekannt
waren, und msse sich im brigen bei der psychologischen Interpre-
l HABTMANN a. a. O. 177f.
l HABTIANN, a. a. . 34.
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tation auf sein natrliches psychologisches Verstndnis und den ge-sunden Menschenverstand verlassen. Ein solcher Einwand wrdewieder auf einem Verkennen des Wesensunterschiedes zwischen demknstlerisch und dem wissenschaftlich Schpferischen beruhen. DieGestaltung psychologischen Stoffes" durch den Dichter ist nicht anwissenschaftliche Einsicht gebunden. Der Dichter kann auf seineWeise psychologische Wahrheiten enthllen, die dem wissenschaft-
lichen Denken seiner Zeit noch vllig verborgen sind. Denn er ist vonwissenschaftlicher psychologischer Erkenntnis berhaupt, also auchvon derjenigen seiner eigenen Zeit, grundstzlich unabhngig. DieInterpretation dagegen, soweit sie psychologischen Stoff" behandelt,darf getrost wissenschaftlich und sogar modern-wissenschaftlich auchnach der psychologischen Seite hin sein. In das natrliche psycho-logische Verstndnis" und den gesunden Menschenverstand" schlei-chen sich ohnehin meist unbewut fr den, der diese schnen Gabenbesitzt, Elemente philosophischer und psychologischer Grundan-schauungen seiner Zeit ein, die ungreifbar allgegenwrtig sich aus-wirken, die das Antlitz der Zeit" prgen, die zu ihren Anliegen"
gehren. Ihnen kann niemand entgehen. Jeder Gebildete wird in einerZeit, die durch die Psychoanalyse hindurchgegangen ist, und in derTermini wie Komplex" und Verdrngung" in den allgemeinen Wort-schatz eingegangen sind, psychologische Tatbestnde anders beur-teilen, als jemand, der vor dem Aufkommen tiefenpsychologischerBetrachtungsweisen lebte. Aber ein gar nicht oder nur unvollkommenbewutes Einbeziehen solcher Erkenntniselemente in die Interpreta-tion, wie man ihm heute auf Schritt und Tritt begegnet, kann keines-falls einen hheren Anspruch auf ein adquates wissenschaftlichesVerhalten erheben als eine bewute Heranziehung ganz bestimmterim einzelnen namhaft gemachter psychologischer Theorien und For-
schungsergebnisse. Die letzteren sind zwar fr die Kritik fabarerals das natrliche psychologische Verstndnis" und der gesundeMenschenverstand". Sie werden einmal durch bessere Einsichten er-setzt werden. Aber eben deshalb sind sie besser geeignet, der Wahrheitzu dienen. Wie will man, um ein besonders eklatantes Beispiel aus derrussischen Literatur heranzuziehen, das Psychologische in Dostojev-skijs Werk heute interpretieren, ohne moderne tiefenpsychologischeund psychiatrische Einsichten zu bercksichtigen, die die Wissen-schaft zur Zeit des Dichters noch nicht erworben hatte ? 1st es aberwissenschaftlicher, wenn man dabei allgemein bleibt", statt genmianzugeben, welche psychologischen Anschauungen und Korschungs-
Selt:lirllU. filav. I'liilolliic. Ud. XXVJ/SS. 2
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I I. WlHHUMANN
ornobnisso man jeweils in dio Interpretation einbeziehen zu mssenglaubt ? Dus mag zur Rechtfertigung des in diesem Aufsatz angewand-ten Verfahrens gengen. Unser "Endziel ist es, den Ideengehalt vonGogol's Mantel" herauszuarbeiten. Wir glauben, dies "Endziel abernur erreichen zu knnen, wenn wir vom sprachlichen Realgebilde auszunchst auf breiter Front zu den Mittelschichten des Kunstwerksvordringen, d.h. die geschilderten Verhaltensweisen und Charaktere
der Personen, so wie der Dichter sie gemeint hat, mit philologischenund psychologischen Methoden begreifen.
III
Damit setzen wir uns methodisch gegen yzevskyj ab, derversucht,einen einzelnen Zug des sprachlichen Realgebildes, nmlich denhufigen und vielseitigen Gebrauch des Wortes u n m i t t e l b a rfr das Verstndnis des Ideengehaltes auszuwerten. Er resmiert amEnde seines Aufsatzes: Bei solchem Lesen begegnet uns das Wrt-chen 'sogar' und gibt sich in seiner vollen weitreichenden Bedeutung
im Aufbau der Novelle zu erkennen: es ist gleichzeitig einwichtigeskons ti tu t iv es Glied ihrer Komposit ion und ihres ideologisch enBaues1)." So interessant und frdernd Cyzevskyjs Beobachtungenber den Gebrauch des Wortes auch sind,so lt er dochetwassehr Wesentliches unbeachtet. Er macht zwar in bezug auf den Haupthelden Akakij Akakijevi die treffende Beobachtung: Doch versuchtGogol' wenigstens an mancher Stelle die Welt mit den Augen seinesHelden zu sehen. Dabei kommt ihm gerade das Wort'sogar' zuHilfe,denn durch dieses Wort werden die Objekte angekndigt, die Akakij
Akakijevi von unten sieht, Objekte, zu denen er hinaufschauenmu."
2). Es htte nun als Gegenstck dazu die Beobachtung nahe
gelegen, da bei der Schilderung zweier andererPersonender Novelle,nmlich bei der bedeutenden Persnlichkeit" und bei dem Gehilfendes Brovorstehers das Wort umgekehrt vor Objekten undPersonen gebraucht wird, auf die diese Beamten von oben herabsehen.
Vom Gehilfen des Brovorstehers, der eine verhltnismig geringeRolle in der Novelle spielt und nur als Veranstalter jenerAbendgesellschaft wichtig wird, nach deren Besuch Akakij Akakijevi auf demHeimweg der Mantel geraubt wird, heit es: , , , ,
") . . . 92.2) . . . 77.
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Zum Ideengehalt von Gogol's Mantel"397
, ,
. . . " (S. 138)1). Zahlreiche Belege fr dieses als Signal, da
etwas kommt, auf das sie herabsieht, lassen sich aus der viel breiteren
Charakteristik der ungleich wichtigeren bedeutenden Persnlichkeit"
beibringen. In dem Satz, der ihre Gefhle schildert, nachdem sie
Akakij Akakijevi abgekanzelt hatte, kommt gleich dreimal
indieserFunktion vor: , ,
,
, ,
, , ,
." (S. 147).
Oder : ,
." (S. 150f.).
, , ,
, ,
." (S. 161).
,,. . . ,
, ,
." (S. 151).
Diese Stellen zitiert auch Cyzevskyj. Aber den auffallenden Gegen
satz im Gebrauch von , wo es sich um Akakij Akakijevi undwo essichandererseitsum den Gehilfen des Brovorstehers und vorallemdiebedeutende Persnlichkeit" handelt, hat er nicht beachtet,weil sein Interessezu wenig den Mittelschichten, in diesem speziellenFall der Gegenstzlichkeit der geschilderten Charaktere gilt. Indem Bestreben, eine Formel zu finden, die den Aussagegehalt von fr die Charakteristik aller Personen der Novelle gemeinsam
festlegt, schreibt er: In allem erscheint die menschliche Nichtigkeit,
die nicht nur fr den Haupthelden selbst (mit seiner groen Liebe zu. . einem Mantel), sondern auch fr seine menschliche Umgebung
charakteristisch ist: fr die 'bedeutende Persnlichkeit' mit ihren
moralischen Erlebnissen, die sich an einem Abend in der 'Gesellschaft
einiger gleichgestellter Herren' beschwichtigen lassen, fr dieKollegen
in ihrer 'Freundlichkeit' zu Akakij Akakijevi und ebenso auch fr die
Petersburger Wchter in ihrem 'Heldenmut', der durch eine Prise
Smtliche Zitate aus dem Mantel"stammen aus N. V. GOCIOL', Sobranije
nonii. Gosudarstveimoje izdatel'stvo chudoestvennoj litoratury. Moskau
1949.
26*
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WlHHKMANN
schlechten Tabaks wmiohto gemacht wird."1) Nun bedeutet aber
menschliche Nichtigkeit" in beziig auf den zu allen auf weh au en(hm
kakij Akakijovi etwas ganz anderes als in bezug auf die bedeutendePersnlichkeit", die auf die Subalternbeamten herabsieht. In bezugauf Akakij Akakijevie bedeutet sie etwa soviel wie Hilflosigkeit,Kleinmut", in bezug auf die bedeutende Persnlichkeit" soviel wieberheblichkeit, Gewissenlosigkeit". Richtet man sein Augenmerkzunchst auf die Charaktere, so kann es nur irrefhren, wenn mandiese entgegengesetzten Grundhaltungen unter dem Oberbegriff dermenschlichen Nichtigkeit" vereinigt und so den Gegensatz dergeschilderten Charaktere verwischt. Denn dem unter II dargelegtenGrundsatz folgend, da der Weg zum Ideengehalt eines dichterischenKunstwerkes ber eine ergiebige Analyse seiner Mittelschichten fhrenmu, sind wir der berzeugung, da gerade dieser Gegensatz zwischender Grundhaltung Akakij Akakijevis und derjenigen der bedeutenden Persnlichkeit" den Schlssel zum Verstndnis des Ideengehaltesdieser Novelle darstellt.
IV
Das Grundgesetz der Tiefenstruktur des dichterischen Kunstwerksverurteilt aber einen Versuch, vom sprachlichen Realgebilde aus unddazu noch von einem Einzelzug desselben,mag er noch so charakteristisch und bedeutsam sein, direkt Wesentliches ber den Ideengehaltauszumachen, so sehr zum Scheitern, da auch Cyzevskyj imzweitenTeil seines Aufsatzes zu einer Analyse der Mittelschichten bergehtund aus Verhalten und Charakter des Helden den Ideengehalt zudeuten sucht. Nach cyzevskyj geht Akakij Akakijevie an seiner Leidenschaft zu einem nichtigen", untauglichen Objekt", eben einemMantel, zugrunde. Unter Hinweisauf viele Stellen aus andern WerkenGogol's glaubt er nachweisen zu knnen, da Gogol' dieseLeidenschaft
verurte i len will, weil der Held durch sie sein Sein auf weltliche"Dinge zu grnden sucht statt auf das einzig mgliche centrum securitatis", auf Gott. Aus der Novelle selbst kann er aber keine einzigeStelle anfhren, die diese Deutung nahelegt. Er behauptet zwar, indem er Akakij Akakijevi mit andern Stutzern" Gogol's, mit Chlestakov, iikov und Podkolesin vergleicht: Diese Leidenschaft ist bei
Akakij Akakijevi auf eine noch tiefere Stufe gesunken, da sein Traumnicht ber die allemotwendigste Krperbedeckung hinausgeht')."
i a. a. O. 76. 2) a. a. O. 86.
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Abergibt esberhaupt so etwas wie eine Leidenschaft fr die aller-notwendigste Krperbedeckung" und hat Gogol' sie schildernwollen?Wir glauben beides nicht, sondern sind berzeugt, da das seelischeVerhltnis des Menschen und zwar jedes normalen Menschen zurKleidung sich dem unvoreingenommenen Beobachter ganz andersdarstellt und da Gogol' in seiner Novelle eine sehr feinsinnige psycho-logische Analyse dieses Verhltnisses bietet, das allerdings aus Grn-den, die noch aufzuzeigen sein werden, bei Akakij Akakijevi einesich
der Grenze des Pathologischen nhernde Intensitt annimmt. Umdiese Analyse Gogol's zu verstehen, wollen wir zunchst ganz all-gemein das normale seelische Verhltnis des Menschen zur Kleidungins Auge fassen.
Die Kleidung befriedigt ja nicht nur das nackt vitale Bedrfnis desSchutzes gegen die Unbill der Witterung, sie hat gleichzeitig einen s-thetischen und damit auch einen kommunikativ-sozialen Aspekt, unddieser letztere ist entwicklungsgeschichtlich sicher nicht jnger, nichtsekundr und nicht von zweitrangiger psychologischer Bedeutung.Schliet sich doch die Schmuckfunktion der Kleidung entwicklungs-
geschichtlich an die Bemalung und Ttowierung des in gnstigenKlimaten noch unbekleideten Krpers an. Aus dieser Schmuckfunk-tion entfalten sich im Wandel der Kulturentwicklungen die mannig-fachsten Varianten des sthetisch-kommunikativen Aspektes derKleidung, unter denen diejenige, die Schnheit und Wrde der Indi-vidualitt in der ueren Erscheinung zu betonen sucht, uns heutedie gelufigsteist. Es kann keinemZweifelunterliegen,da sich in die-sem Aspektder Kleidung sthetischeund ethischeMotivemit solchender Selbstbehauptung und des Erfolgesim Lebenskampf aufdas innig-ste verquicken. Schne Kleidung erfreut und erzieht zugleich, ver-
schafft ihrem Trger aber auch Respekt und wohl gar freundlichesEntgegenkommen bei seiner Umgebung. Dieser ber das blo vital-organische Bedrfnis des Schutzes gegen die Witterung hinausge-hende Sinn der Kleidung bringt also die spezifisch menschliche Artder Auseinandersetzung mit der Umwelt, mit den Mitmenschen undmit sich selbst in viel differenzierterer und umfassenderer Weise insSpiel. Dieauf diesenAspekt der Kleidung gerichteten Antriebsspannun-gen drngen auf dieBefriedigung sthetischer und sozialer Bedrfnisseund knnen sogar in den Dienst der so vielgestaltig differenzierten An-liegen der existentiellen Selbstbehauptung und Solbalgostaltung trot.on.
Eine treffliche Schilderung des allgemein monschlichon soelischtmVerhltnises zum sthetisch-kommunikativen Aspekt, der Kleidung
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woI I .
hat AbKXANDKR PFXNI).IOII gegebon: Auch Regungen Her fhlendenNI ollungnahmo richtet, Hie Seele auf die Kleidung, die ihr Leiborado trgt. Im allgemeinen einigt sie sich in bestimmter Weise mitden gewohnton Kleidungsstcken, die sie dann mit dem Leib zusammeninnerlich zu sich hinzunimmt, und mit denen zusammen sie sich ausiler brigen Umgebung innerlich herausschlt und sichihrgegenber-stellt .. . Gerade an den Kleidungsstcken, die der Mensch mit sich
trgt, pflegen sich die Regungen der Wertfindung lebhaft zu be-ttigen. Er findet das eine schn und gut, das andere hlich undschlecht oder alles tadellos; im anderen Falle allesmiserabel. Je mehrer die Dinge, die er an sich trgt, innerlich mit sicheint,umso mehrmachen die positiven Werte seiner Kleidungsstcke auchseinen eige-nenLeib und seine eigene Seele wertvoll, unddie entgegengesetztenUnwerte machen ihn auch als Leib und Seele selbstunwertvoll. EinMensch, der gerade reine, ordentliche, vermeintlich sehrwertvolle undihn gut kleidende Kleidungsstcke angezogen hat, fhlt sichoft leib-lich und seelisch als ein besserer Mensch. .. DieverschiedenenKlei-
dungsstcke werden von dem seelischen Subjekt, besonderswenn essie kostbar und vorzglich sitzend findet, auch mit Liebesregungenund, wenn es sie unwertvoll und schlecht passend findet, mit Feind-se li gkei tsr egungen best rahl t. .. . Man darf aber schlielich auchdie vielen unwillkrlichen und willentlichen prakt ischen Ziel u n-gen, Bereitschaften und Ttigkeiten, die sich auf dieKleidungs-stcke des Menschen beziehen, nicht bersehen. Wieviel Wnschen,Hoffen, Frchten und Wollen geht in diese Richtung1)!" Betrachtenwir nun Akakij Akakijevis seelisches Verhltnis zu seiner Kleidungim allgemeinen und zu dem neuen Mantel im besonderen ! Da flltzu-
nchstauf, da fr den Helden bis zu einem bestimmten Zeitpunktaus-schlielichder vital-organische Aspekt der Kleidung existiert. Sie istfr ihn zunchst wirklich nur allernotwendigste Krperbedeckung.Aber solange sie das ist, kann von einer Leidenschaft auch noch garkeine Rede sein. Auch er hat seine Leidenschaft, aber eine ganz an-dere, nmlich das Abschreiben. Da ihn seine Kleidung berhauptnicht interessiert, wird ausdrcklich und ausfhrlich erzhlt. , , .
: ,
. ,
1) . P F A N D E S , Die Seele des Menschen. Halle 1933. 42f. Die Sperrungen
stammen vonPfnder, nicht von mir.
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Zum Ideengehalt von Gogol's Mantel" 401
, , , ,
, ,
, ,
.
: , ;
, ,
, ,
."
(S. 126f.).
Weiter ist es wichtig, festzustellen, da dies Verhltnis zu seiner
Kleidung sich auch nicht ndert, nachdem ihr vitaler Aspekt ihn leb
haft zu beschftigen begonnen hatte. Man beachte, da die Schil
derung der eigentlichen Handlung mit einem Hinweis auf die verhng
nisvolle Bedeutung des nordischen Frostes fr diejenigen Peters
burger beginnt, die ein Jahresgehalt von 400 Rubeln oder an n hernd
soviel beziehen". Dieser Frost bringt Akakij Akakijevi besonders
stechende Schmerzen im Rcken und der Schulter, und das fhrt erst
zu der Feststellung, da der alte Mantel zerschlissen ist. Damit wre
der Zeitpunkt gekommen, an dem endlich auch die Hlichkeit undDrftigkeit des Kleidungsstckes seinem Trger htte aufgehen
sollen. Nicht umsonst sagt Gogol' gerade an dieser Stelle:
,
;
." (S. 129). Aber Akakij Akakijevi kommt gar
nicht auf den Gedanken, die Anschaffung eines neuen Mantels in Er
wgung zuziehen, und mit keinem Wort wird angedeutet, da er unter
der Drftigkeit und Lcherlichkeit seines alten Kleidungsstckes auch
nur leidet. Hier kann also von einer Leidenschaft fr die Kleidung
noch gar keine Rede sein. Im Gegenteil, eine solche seelische Haltungzur Kleidung setzt voraus, da ein Mensch von einer andern Leiden
schaft absorbiert ist (in diesem Falle die Leidenschaft fr das Schn
schreiben). Es kommt zunchst nur zu dem Entschlu, den alten
Mantel zum Ausbessern zum Schneider zu bringen. Erst der Schneider
Petrovi veranlat den Helden durch sein Verhalten, sich einen neuen
Mantel machen zu lassen. Es ist nun die Frage, was dabei in der Seelo
Akakij Akakijevis vor sich geht. Cyzevskyj hat darauf hingewiesen1),
da im Zusammenhang mit dem Schneider Petrovi einige Male vonGogol' der Teufel genannt wird, und er sieht auch in der Slmupt-
') a. a. O. 88.
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tabaksdoso Polrovis mit (lorn BildeinesGeneralsohne Gesi cht einenHinweis auf den gewichtslosen Teufel des Volksglaubens. Wir glauben,da diese Beobachtungen treffend sind und mchten sogar noch etwashinzufgen, was vielleicht in dieselbe Richtung weist.
Bei der Schilderung des ueren Petrovis heit es: ,
, , , ." (S. 130). Auch das mag Zufall sein wie die Schnupf
tabakdosemitdem General ohne Gesicht. Aber man istdoch versucht,
an die Teufelskralle zu denken. S T ENDER P E T E B S EN hat gezeigt, dadas Bild, das Gogol' vom uerendes Teufels in seinen frheren Werkenbezeichnet,auf polnische Quellenzurckgeht1). Er zitiertin diesemZusammenhang2) eine Stelle aus K. W. W O J C I C K I , Zarysy domowe"(3. Bd. 1843. 179), wodieser einBild von dervolkstmlichen polnischenTeufelsvorstellung gibt, das mit den Worten endet z jednego zawszetrzewika pazur mu od wielkiego wygla.da palca".
V
Also Anspielungen auf den Teufel gibt es in der Schilderung Petrovis sicher. Nur darf man daraus nicht den Schlu ziehen, den Cyzevskyj gezogen hat: Offenbar will Gogol' das ganze Abenteuer mit demMantel als eine 'Versuchung' des Akakij Akakijevi durch den Teufelaufgefat wissen3)." Bei einer Versuchung" mte man so etwas wieein Element der Verlockung erwarten und eineninnerenZwiespaltundKampf zwischen jenen Antrieben, die der Verlockung nachzugeben,und jenen, die ihr zu widerstreben trachten. Man vergleiche etwa die
meisterhafte Schilderung dieserPhnomene im Bildnis"! Aberwhrend der ganzen Auseinandersetzung mit Petrovi erlebt AkakijAkakijevi nichts von alledem. Die Zumutung" Petrovis, da ersich einen neuen Mantel machen lassen soll, erregt in ihmnur Schrekken und Angst und fhrt zu immer erneutenflehentlichen Bitten und
Versuchen, den Schneider doch noch zur Ausbesserung des altenMantels zu bewegen: , : !"
. ,
?" :
,
1)AD . STENDEBPETEBSEN.Der Ursprung des Gogolschen Teufels.GteborgsHgskolas Arsskrift, 26. Gteborg 1920.72ff.
2) . . . 79.3) . . . 89.
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Zum Ideengehalt von Gogol's Mantel" 403
..." (S. 132). ,,...
." " ,
, , .
,
. ?"
, :
." (S. 132).
,
: , , . , ,
." (S. 134). Diese
Hinweise des Schneiders auf die Mode htten fr einen andern viel-
leicht tatschlich eine Versuchung" bedeutet. Aber Akakij Akakijevi
reagiert anders: ,
, ." (S. 134).
Also von dem Erlebnis einer Versuchung durch den Teufel kann
gar keine Rede sein. Wir mssen also die Anspielungen auf den Teufel
in der Schilderung Petrovis anders erklren und kommen deshalb
unten auf sie noch einmal zurck. Hier sei zunchst festgehalten, dader Entschlu Akakij Akakij evis, sich einen Mantel machen zu lassen,
dem Helden aufgezwungen wird. Nichts als die bitterste Not und
die sachlich vllig berechtigte Weigerung Petrovis, den alten Mantel
auszubessern, lassen diesen schweren Entschlu entstehen. Nicht das
leiseste Moment einer Verlockung spielt dabei mit. M. a. W. bei der
Entschlufassimg, sich einen neuen Mantel machen zu lassen, spielt
der sthetischkommunikative Aspekt der Kleidung immer noch nicht
die geringste Pvolle und von einer Leidenschaft fr den zuknftigen
Mantel ist zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Spur zu entdecken.
Man beachte, da es objektiv betrachtet nicht gerade geringe Ntewaren, die Akakij Akakijevi mit seinem alten Mantel durchlebte, ohne
da die Anschaffung eines neuen ihm verlockend erschienen wre:
der Spott der Kollegen und die stechenden Schmerzen, die ihm der
Petersburger Forst verursachte. Wir knnen daraus mit Sicherheit
schlieen, da es ein Erlebnis von groer Eindringlichkeit und Wirk
kraft sein mu, das in der Seele des Helden eine Leidenschaft fr den
zuknftigen Mantel entstehen lt und was die Voraussetzung fr
eine solche Leidenschaft ist ihn fr den sthetischkommunikativen
Aspekt der Kleidung erlebnisfhig macht. Was ist mm dios Erlebnis,
das eine so groe Eindring]ichkoit und Wirkkraft besitzt ? (CyzovsUyj
hat es ganz bersehen, weil es fr ihn feststeht, da Akakij Akakijevi
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404 I I . Wl.4HI0VI/\NN
vom Teufel vorsuolil wurde). Kn ist wiederum die Not, aber nun eine
Not von noch ganz anderer Art: ;
? ?
, ,
, :
, ,
,
; ,
, ,
; ,
, , ,
,
." (S. 135).
Das sind durch die Not erzwungene Einschrnkungen, die deshalb
besonders eindringlich empfunden werden, weil sie die menschliche
Selbstachtung sogar eines Akakij Akakijevi bedrohen. Dagegen
wehrt sich seine Seele. Sie tut es, indemsiesich dem Gegenstand, um
dessentwillen sie solche Opfer bringen mu, mit stark erhhter
affektiver Wertungsbereitschaft zuwendet. Es ist eine von Psycho
logen und Philosophen oft formulierte Wahrheit, da das Ausma der
in eine praktische Strebung einstrmenden seelischen Energie keines
wegs nur durch die primr erlebte Wertbestimmtheit des erstrebten
Gegenstandes bedingt wird, sondern da vor allem auch umgekehrt
dies Ausma der seelischen Energie seinerseits die Wertbestimmtheit
des erstrebten Gegenstandes bedingt und sie sekundr erhhen kann.
Dies Grundgesetz der affektivaxiologischen Seelenregungen fat
Louis LAVELLE folgendermaen: Loin de dire par consquent,
comme on le fait, que la valeur se mesure par l'utilit, il faudrait dire
au contraire que la mesure de la valeur laquelle je suis attach rside
dans la grandeur du sacrifice que je suis prt consentir pour elle et
la mesure de la valeur relle dans la grandeur du sacrifice que je dois
faire pour elle.1)"
Da wir tatschlich von diesen psychologischen Erkenntnissen aus
die seelische Wandlung in Akakij Akakijevi interpretieren drfen,
durch die er pltzlich zu jener merkwrdigen Hingabe an den zuknf
tigen Mantel gefhrt wird, rechtfertigt der Wortlaut der Gogol'schen
Darstellung vollauf. Denn erstens schliet sich an die Schilderungder erwhnten Einschrnkungen eine Bemerkung darber an, da
Louis LAVELLE, Trait des valeurs. Paris 1951. I, 712.
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* > , WE
Zum Ideengehalt von Gogol's Mantel"
Akakij Akakijevi sich nur schwer an sie gewhnen konnte, und zwei
tens wird die darauffolgende Schilderung der liebevollen Hingabe an
den zuknftigen Mantel ausdrcklich durch das Wort als eine
Folge oder noch besser gesagt als eine Kompensationfr die schwer
empfundenen Einschrnkungen gekennzeichnet:
,
, ;
; ,
. ,
, ,
,
,
, ,
". (S. 135f.). Die Bestrahlung des neuen Mantels mit Liebes
regungen, um einen Ausdruck Pfnders wieder aufzunehmen, ist also
nichts, um dessentwillen man den Teufel bemhen mte, und selbst,
wenn der Schneider Petrovi der leibhaftige Satan sein sollte, so lt
doch Gogol' keinen Zweifel darber, da jene Leidenschaft fr denneuen Mantel erst begann,alsAkakij Akakijevi sich an die menschen
unwrdigen Einschrnkungen gewhnen mute, die zu seiner An
schaffung notwendig wurden. Die Hingabe an das, was mit solchen
Opfern erkauft werden mu, ist der einzige Ausweg, seine Selbst
achtung zu wahren. Jetzt erst geht ihm zum erstenmal auf, da ein
Kleidungsstck noch einen andern Sinn hat als den des Schutzes vor
Klte, da es sogar ein Schutz vor dem Erniedrigtwerden sein kann.
Gerade in der schwersten Gefhrdung seiner Selbstachtung geht ihm
auf, da der Gegenstand, um dessentwillen er diese Gefhrdung auf
sich nehmen mu, wenn er einmal seineigenist, seine Selbstachtungerhhenwird.
Der Wandel, den die Wertbestimmtheit des erstrebten Kleidungs
stckes in der Seele unseres Helden erfhrt, ist also von zweierlei Art.
Einmal geht ihm nun erst der sthetischkommunikative, d. h. der
eigentlich menschliche Aspekt der Kleidung auf, zum andern erfhrt
die Strebung eine auerordentliche Intensivierung als affektivaxio
logisches Erlebnis. Beides wird von Gogol' durch die uerste, sogar
die primitivste Selbstachtung des Helden in l'Vago stellende Not moti
viert und durch nichts anderes. Die eingetretene Wandlung in Rich
tung auf das Erleben des sthetischkommunikativen Aspektes wird
aus mehreren Hinweisen deutlich: iioimauuiuicn ii
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10(1 Tl . WlHHUMANN
#1.1
n , :
". (S. 136).
, ,
, ,
." (S. 13G).
Als Akakij Akakijevi den neuen Mantel zum erstenmal trgt, emp-
findet er seinen sthetischen Wert ebenso wie seine vitale Bedeutung:
, : , , , ."(S. 138).
VI
Was nun die fast ans Pathologische grenzendeIntensittssteigerungdes Erlebens nach seiner affektiv-axiologischen Seite hin betrifft, somssen wir uns mit ihr noch weiter beschftigen. Denn sie hat dazuAnla gegeben, da Cyzevskyj die Hingabe an den Mantel als ero-tisches Erlebnis gedeutet hat: Das Thema der Novelle ist das Ent-flammen einer menschlichen Seele1)." Dies Entflammen sei in derSprache des Eros geschildert2)." Von diesem erotischen Aspekt der
Novelle" aus interpretiert er ihren Schluteil: Und die ErscheinungAkakij Akakijevi' als Wiedergnger ist eine seltsame Karikatur desromantischen auferstehenden Liebhabers ('Lenore-Motiv' in einerhumoristischen Wendung), eine unheimliche Verzerrung des roman-tischen Bildes eines Toten, den sein im Leben nicht erflltes Liebes-verlangen aus dem Grabe wieder in die Welt, um die Geliebte zusuchen, hinaustreibt3)." Sieht man sich die schon zitierte Stelle genauan, auf der diese Interpretation basiert, so fllt auf, da das seelischeVerhltnis des Helden zu dem erstrebten Mantel nicht als erotischesErlebnis geschildert, sondern nur mit einem erotischen Erlebnis ver-glichen wird. Ein viermaliges kennzeichnet ganz unmiverstndlich die angefhrten Inhalte erotischen Erlebens alsnicht real, sondern als Gegenstnde eines Vergleichs. Nach un-serm Empfinden wird dieser Vergleich auch keineswegs in der Sprachedes Eros" gegeben. Darunter wrden wir jene tief erregte Spracheverstehen, wie wir sie aus der groen Liebeslyrik aller Zeiten kennen.Das Zustandekommen einer solchen Sprache setzt eigenes Ergriffen-sein des Dichters voraus. Dafr hat Gogol' in dieser Novelle aber zuviel Abstand von seinem Helden.
). . . 82.a) . . . 82.
3) . . . 81.
m
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Prfen nun Cyzevskyjs von dem vermeintlichen erotischenAspekt" der Novelle ausgehende Interpretation des Schluteils!1) Tat-schlich enthltdieser Teilnichtdas Geringste,nicht die entferntesteAndeutung oder Anspielung, die diese Interpretation nahelegenknnte. Dagegenfinden wir in ihm eineMengeunzweideutiger Hin-weisedarauf,da dies phantastische Motiv dazu dienen soll, das imwirklichen Leben ins Unbewute verdrngte Aufbegehren eines Un-
terdrckten gespenstische Wirklichkeit werden zu lassen. Schon diediesen Teileinleitenden Worte kndigen das an. Es heithier: .,. .. ,
?" (S. 149). Sein Aufbegehren
richtet sich gegen die Rangunterschiede im allgemeinen und gegen die
bedeutende Persnlichkeit" im besonderen. Er reit die Mntel ,,co , " herunter (S. 149).
, ,
, ,
." (S. 160).
Von der bedeutenden Persnlichkeit" sagt Gogol' ausdrcklich,da sie , , ." (S. 150). Htte
Akakij Akakijevi nach der knstlerischen Absicht Gogol's als Wie
dergnger eine seltsame Karikatur des romantischen auferstehenden
Liebhabers" sein sollen, so wre als Ursache fr den phantastischen
Scliluteil nicht die bedeutende Persnlichkeit", sondern viel eher
der Dieb anzusehen, der Akakij Akakijevi seinen geliebten Mantel
geraubt hat und von dem Cyzevskyj meint, da er durch die Worte
der Mantel gehrt doch aber mir!" als der starke Rivale einer
Liebesgeschichte2)" gekennzeichnet sei. Aber Akakij Akakijevi will
als Gespenst garnicht seinen einst so geliebten Mantel zurckerobern
oder sich an dem starken Rivalen" seiner Liebesgeschichte" rchen.
Das zeigen eindeutig die Worte, mit denen er der bedeutenden Per
snlichkeit" ihren Mantel rau bt: ! , ! ,
,! !
, !" (S. 152). Nach
diesem Akt des Aufbegehrens gegen die bedeutende Persnlichkeit"
1) Ablehnend hierzu wie berhaupt, zu yZovskyJH Ansichten m.lWt, siehauch Nile Ako NilBson, Zur KntslolnmgsgoBchiehU. dos Uogolselum M.mtols.
Hcando-Klavica 2. 116133. Dienen Aufsa tz le rnte ich er st naoli AbschluU dotvorliegenden konnon.2) a. a. O. 81.
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JOS I I . V VI M M M M NNT
lindet or Ruho: II" , ,
UU4II1O iioiiiuieiiiie. : ,
." (S. 153). AmSchlu wird
noch einmal unmiverstndlich angedeutet, da der Dieb von einst
mit dem mchtigen Schnurrbart und der gewaltigen Faust sich immer
noch unbehelligt herumtreibt. Htte das Gespenst Akakij Akakijevi
nicht auch ihn angreifen knnen ?
Auch im Schluteil der Novelle ist also von einem erotischenAspekt" nichts zu entdecken, wohl aber ist der soziale Aspekt ganz
offensichtlich. Die Theorie Cyzevskyjs vom erotischen Aspekt" der
Novelle basiert lediglich auf jenem Vergleich mit erotischem Erleben,
durch den Gogol' die Intensittssteigerung der affektivaxiologischen
Hinwendung des Helden zum zuknftigen Mantel und die daraus re
sultierende Steigerung seines Lebensgefhls deutlich machen will.
Die psychologischen Ursachen dieser Intensittssteigerung glauben
wir gengend klargelegt zu haben. Nun gilt es zu prfen, wie sie sich
fr die Beurteilung des Charakters des Helden auswirkt. Ist die
affektive Hingabe an den neuen Mantel wirklich eine Leidenschaft,an der Akakij Akakijevi zugrunde geht ? Wir dringen also nun in
eine abermals tiefere Schicht des Kunstwerks vor. Die bisherige ver
haltenspsychologische Analyse mu charakterologisch ausgewertet
und ergnzt werden, um zu Einsichten ber den Charakter desHelden
zu gelangen. Wenn man behauptet, da ein Mensch an einer Leiden
schaft zugrunde geht, so kann damit nur gemeint sein, da die pri
mren Ursachen seines Untergangs in schdlichenAuswirkungen seiner
Leidenschaft auf seine Seele, sein Inneres, seinen Charakter zu suchen
seien. Aber trotz ihrer Intensitt hat die Leidenschaft fr denMantel
dieses Ausma an Macht ber die Seele und den Charakterdes Heldengerade nicht. Es gibt fr ihn immer etwas Hheres auchindenAugen
blicken, in denen er am intensivsten von dem zuknftigen Mantel
trumt. Dies Hhere ist nun freilich kein religiser Inhalt, sondern
etwas anderes. Nachdem erzhlt wurde, wie Akakij Akakijevi davon
trumt, Marderfell fr den Kragen zu nehmen, heites weiter: ,,0
, , ,
: !" ."(S.136). Hiersieht man,
was die wahre Leidenschaft des Helden ist, dergegenber dieHingabe
an den Mantel niemals die Oberhand gewinnt: Es ist die Leiden-
schaft fr das schne und korrekte Abschreiben, eine Leidenschaft,deren Gegenstand zugleich die Pflicht ist, die ihm seine Stelle
auferlegt.
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In der Charakteristik seines Helden, die Gogol' dem Beginn dereigentlichenHandlung voranstellt, nimmt die Schilderung dieser Lei-denschaft einen breiten Raum ein. Akakij Akakijevi geht wie einSchlafwandler durchdie Straenundsiehtberall nur seine sauberenZeilen. AbendsnachdemDienst schreibt erAktenstcke zum Vergn-gen ab.Aber Gogol'stellt diese Leidenschaft nicht als bloes HobbyohnesittlicheBedeutung dar. Denn erleitet ihreSchilderung mit fol-genden Worten ein: ,, . : , ,
." (S. 126). Akakij Akakijevi ist also das Muster
eines Menschen, der seine Stelle ausfllt. Htte Gogol' seinen Unter
gang an einer Leidenschaft schildern wollen, so htte es bei diesem
Charakter auch nur diese Leidenschaft fr das Abschreiben sein
knnen, oder er htte zeigen mssen, da eine andere Leidenschaft
sein inneres Gleichgewicht so sehr erschttert, in dem Mae von ihm
Besitz ergriffen htte, da sie die Liebe fr das Abschreiben, die Treue
zum Dienst in ihm vernichtet htte. Aber gerade das Gegenteil stellt
Gogol' dar. Akakij Akakijevi geht also berhaupt nicht an einer
Leidenschaft zugrunde. Vielmehr hat sein Untergang den Charaktereines doppelten ueren Schicksalsschlages, an dem er selbst un
schuldig ist. Der Mantelraub ist ein unerwarteter Unglcksfall, den
ihm der Zufall beschert, und als er von der bedeutenden Persnlich
keit" abgekanzelt durch die Straen irrt, blst ihm der Schneesturm
eine Angina in den Hals, an der er stirbt. Freilich htte sein Schicksal
zum Gutengewandt werden knnen, aber nicht durch ihn selbst, son
dern durch den, an den er sich mit der Bitte um Hilfe wandte, durch
die bedeutende Persnlichkeit". Schuld an seinem Untergang ist
also, wenn wir von dem ueren Schicksalsschlag absehen, die be
deutende Persnlichkeit".
Fassen wir nun deren Charakter nher ins Auge, so zeigt sich, da
sie in allen Stcken das Gegenteil Akakij Akakijevis ist. Whrend die
Beschrnktheit Akakij Akakijevis bei jeder Gelegenheit hervortritt,
heit es von der bedeutenden Persnlichkeit" sie sei:
". (S. 145). Whrend Akakij
Akakijevi jede Geselligkeit meidet und, wo er sie einmal nicht um
gehen kann, linkisch und verlegen wird, ist die bedeutende Persn
lichkeit" unter ihresgleichen ein angenehmer Unterhalter. Whrend
die erotischen Impulse des Junggesellen Akakij Akakijevi solbst
auf der Hhe seines Lebens, als er im Vollgefhl des Besitzes seinesneuen ManteJs schwelgt, gerade so weit gehen, da er in einem Isohau
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410 H. WlHMICMANN
IVnslor ein erotisches Bild betrachtet und ein paar Schritte einer nachluft, um sich dann gleich selbst darber zu wundern,unterhlt die bedeutende Persnlichkeit" ein zrtliches Familien-rlck und eine Freundin nebenbei. Am ausgiebigsten aber tritt dieGegenstzlichkeit der beiden Charaktere in ihrem Verhltniszu Rang und Stelle hervor. Whrend Akakij Akakijevie seine
Stelle mit Leidenschaft ausfllt, ohne nach einer andern zu verlangen,heit es von der bedeutenden Persnlichkeit": , , ;
. ,
, , ." (S. 145).
Besonders wichtig ist es fr Gogol' denn er betont es immerwieder ,da die bedeutende Persnlichkeit" ansich kein roher undschlechterMensch ist. Lediglich ihrkrampfhaftesBemhen,die WrdeihresRanges Subalternen gegenber zu wahren, ist die Ursache ihresrollen und schlechten Verhaltens: ,
, , , .
;
, , .
(S. ISO). Also der Gegensatz der beiden Charaktere ist nicht als einallgemeiner Gegensatz der moralischenQualitt gegeben derArmeund Machtlose gut, der Reiche und Mchtige schlecht diesbanaleSchema will Gogol' auch beim naivsten Leser nichtaufkommen lassen,sondern der Gegensatz der beiden Charaktere uert sich vor allemin einem Gegensatz ihrer inneren Haltung gegenber der eigenen
Stelle. Akakij Akakijevie kann bei seiner Beschrnktheit nur eineganz subalterne Beamtenstelle ausfllen, aber er fllt sie wirklichaus. Die bedeutende Persnlichkeit" versagt gegenber dermensch-lichenAufgabe, die ihr Amt von ihr fordert.
VII
Fragen wir nun, indem wir zur letzten Schichtder Dichtung vor-stoen, was fr ein Ideengehalt aus der Gegenstzlichkeit dieserCharaktere und dem dadurch bedingten Schicksaldes Helden fabarwird! Ist Akakij Akakijevie nicht der Snder, der vom Teufel ver-
fhrt einer Leidenschaft zum untauglichen Objekt" erliegt und anihr zugrunde geht, sondern der Unglckliche, den ein uerer Un-glcksfalleiner wesentlichen ueren undinneren Lebenshilfe beraubtund dem der nicht hilft, an den er sich wendet und der ihm helfen
TW
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Zum Ideengehalt von Gogol's Mantel"
knnte, so ergeben sich daraus fr den Ideengehalt andere Konse-quenzen als Cyzevskyj sie auf Grund seiner Interpretation ziehen zumssen glaubte. Der Leser wird einem unschuldig Leidenden seinMitleid nicht versagen, und dieses Mitleid knnen wir insofern getrostals soziales Mitleid" bezeichnen, als ja die vernichtende Wucht desUnglcks, das den Helden trifft, sich zum Teil aus seiner ungnstigensozialen Stellung ergibt. Freilich ist das Wesentliche damit noch nichtgesagt. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, da Gogol' wenigerdie sozialen Verhltnisse als das menschliche und christliche Versagen
desjenigen anprangern wollte, der hier zur Hilfe berufen gewesenwre. Wir haben unter I betont, da wir einer Interpretation vonauen her" keine eigentliche Beweiskraft, sondern nur eine erlu-ternde Funktion zuerkennen. In diesem Sinne wollen wir hier einigeStellen aus dem Briefwechsel mit Freunden" anfhren, die vielleichtbesonders geeignet sind, Gogol's Bewertung des Verhaltens der be-deutenden Persnlichkeit" zu beleuchten, die auch aus der Novelleselbst deutlich erkennbar wird. In dem 6. Brief, der die berschrifttrgt '" schreibt Gogol': , ' . ,
, , : ,
, , ! , ,
, ,
, ' .
. ,
;
,
. '
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irbHi ; , , '
, , ."1) Viele Stellen
der Novelle beweisen,da Gogol', als er sie schrieb, von den gleichenAuffassungen darber, wie man den Armen helfen soll, beherrschtwurde. Nach dem Mantelraub sammeln die Kollegen auch fr AkakijAkakijevi. Aber es kommt nur eine ganz geringe Summe 'zusammen.
') Soinenija i ' N. V. (jogolja, izd. \ A. K U L I S A . XunktptMoiburg
J867. 3, 347 f.
/.eltwIirlfUdr lav.J'liilujolu. Bd. XXVI/. 27
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412 VVlHHIOMANN
Ein mitleidiger Kollege gibt ihm einen Hat, aber einen schlechten,nmlich die bedeutende Persnlichkeit" aufzusuchen, und diese\iTsagt ganz. Was nach der Auffassung Gogol's die Aufgabe derbedeutenden Persnlichkeit" gewesen wre, davon kann man sichauch aus andern Stellen des Briefwechsels mit Freunden" ein.lebendiges Bild machen. Im 28. BriefAn einen hochgestellten Mann"entwirft Gogol' sein Idealbild eines hohen leitenden Beamten. Vorallem fordert er ein aus christlicher Demut hervorgehendes stndigesBemhen, in engem persnlichen Kontakt sich mit den persnlichenSchwierigkeitenund Nten der Menschen auseinanderzusetzen: Gottbewahre Sie davor, sich ein Bureau einzurichten. Setzen Sie sich nieanders als persnlich mit jemand auseinander1)." Fr das VerhltnisdesVorgesetzten zu seinen Untergebenen fordert Gogol': Seien auchSie ihnen das, was einVaterseinen Kindern ist. Ein Vateraber fhrtkeine papierene Korrespondenz mit seinen Kindern, sondern verstn-digt sich direkt und unmittelbar mit einem jeden von ihnen2)."
Diese Auffassung von den Pflichten eines leitenden Beamten sprichtaus der Darstellung der Novelle mit groer Eindringlichkeit. DervonGogol' so scharf abgelehnte Brokratismus wird immer wieder nichtnur in seinem vlligen sachlichen Versagen und seiner Lcherlichkeit,sondern auch in seiner leichten Ausnutzbarkeit fr die egoistischenZwecke der Mchtigen angeprangert. Das Mitleid aber, das der Lesermit Akakij Akakijevi empfindet, die Spannung, mit der er ihn zurbedeutenden Persnlichkeit" begleitet, lt den lebhaften Wunschin ihm lebendig werden, da die bedeutende Persnlichkeit" sichdesFalles wirklich annehmen und in dieser oder jener Form helfen mge.Dadurch da Gogol' durch die ausfhrliche Schilderung der um derAnschaffung des Mantels willen ertragenen Entbehrungen, der ihmzugewandten Leidenschaft, der Schwere seines pltzlichen Verlustes,das Mitgefhl des Lesers fr den armen Akakij Akakijevi aufshchste gesteigert hat, wird das Abkanzeln als schweres moralischesVersagen der bedeutenden Persnlichkeit" empfunden. Dadurch daGogol' andererseits aber immer wieder betont, da die bedeutendePersnlichkeit" an sich kein schlechter Mensch ist,wird der Leser ge-zwungen, dem Problem des Mibrauchs von Eang und Stelle im SinneGogol's auf den Grund zu gehen.
J) Da dieser Brief in den mir zur Verfgungstehenden russischen Ausgabenfehlt, zitiere ich nach: Nikolaus Gogol. SmtlicheWerkein8 Bnden hg. v.OTTO BUEK. Mnchen 1913. 7, 343.
2) a. a. O. 344.
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Zum Ideengehalt von Gogol's Mantel" 413
Insofern also wissen wir uns mit Cyzevskyj vollkommen einig, alsauch wir berzeugt sind, da das Problem der eigenen Stelle daseigentliche Thema ist, das Gogol' in dieser Novelle im Auge hat. Esist ein bleibendes Verdienst Cyzevskyjs, hierauf mit Nachdruck hingewiesen zu haben und dadurch fr eine vertiefte Interpretation deschristlichen Gehaltes richtunggebend gewesen zu sein. Nur die Beweisfhrung mu nach unserer Auffassung einen andern Weg gehen.Nach Cyzevskyj ist Akakij Akakijevi derjenige, der sich gegenber
den sittlichen Anforderungen, die die Stelle an ihn erhebt, versndigt.Nach unserer Auffassung ist das die bedeutende Persnlichkeit",whrend Akakij Akakijevi im Gegenteil diesen Anforderungen vollentspricht und das Opfer der Verfehlung der bedeutenden Persnlichkeit" wird. Man berlege nur, wie man das Verhalten der bedeutenden Persnlichkeit" beurteilen mte, wenn Akakij Akakijevi wirklich der vom Teufel verfhrte Snder wre, der sich an die Welt verloren hat und daran zugrunde geht! Ein Leser, der Akakij Akakijeviso auffat, wird auch das Abkanzeln durch die bedeutende Persnlichkeit" nicht allzu tragisch nehmen. Hat er es doch verdient! Warum
interessiert ersich berhaupt so fr den Mantel !Endlich wird noch eine Frage fr die Beurteilung des Ideengehaltes
heranzuziehen sein: Warum hat Gogol' die soziale Opposition des Heldenauf seineFieberdelirien kurz vor seinem Tode (die Flche und Schimpfworte gegendie Exzellenz) und sein Auftreten als Gespenst nach demTode beschrnkt ? Einmalsteigerteer dadurch noch den Eindruck derHilflosigkeit und DemutdesHelden. Zum andern aber wollte er dadurch,da er sie in den Bereich der Fieberdelirien und des Gespenstischenverwies, wohl seinerAuffassung dichterischen Ausdruck verleihen, dadie soziale Opposition keine wirkliche Lsungdes Problems darstelle.
Zusammenfassend drfen wir also fr den Ideengehalt der Novellefolgendes feststellen: Gogol' ruft durch sie zu sozialem Mitleid auf,will aber damit nicht zu sozialer Opposition herausfordern, sondernsucht eine Lsung in christlichem Geiste, und zwar speziell im Sinneseiner Stellenphilosophie". Dabei betont er die sittliche Forderung,die die Stelle an den im Range Hochstehenden erhebt, nmlich inengem menschlichen Kontakt den Hilfsbedrftigen zu helfen. 1stdiese Auffassung richtig, so folgt daraus, da Gogol' uns seinem AkakijAkakijevi sehr wohl als unsern Bruder" anbieten wollte. Cyzovrikyjmeint zwar: Gogol' htte doch selbst nicht verkennen knnen, dali
niemand von seinen Lesern solch einen Bruder htte haben wollon1
).''') a. a. . 89.
2 7 *
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414 I I . VVlHHKMANN
Aber unsoro Interpretation logt die Auffassung nahe, dali (loi Dichterseine Leser offenbar in die christliche Entscheidung, die er ihnenallerdings nicht leicht macht, hineinstellen wollte, ob sie sogar ineinem Akakij Akakijevi ihren Bruder sehen wollen oder nicht. Erknnte sich dabei auf den Geist der Evangelien berufen, wie er etwain solchen Worten wie dem von den Armen im Geiste oder von dengeringsten Brdern zum Ausdruck kommt.
Nun bleibt nur noch die Frage offen : Wie erklren wir die Hinweiseauf den Teufel in der Schilderung des Schneiders Petrovi, wennGogol' wirklich nicht die Absicht hatte, uns einen Akakij Akakijevizu schildern, der einer Versuchung durch den Teufel erliegt1 DieseFrage, so scheint es uns, mu man im Zusammenhang mit der Tatsache beantworten, da das Sujet von der ersten Anregung zu seinerdichterischen Gestaltung bis zur vorliegenden Vollendung nachweisbareine tiefe Wandlung erfahren hat. Die erste Anregung bestand bekanntlich in jener Anekdote von dem armen Beamten, der sich alsleidenschaftlicher Liebhaber der Jagd unter groen Opfern ein teures
Jagdgewehr zusammensparte und es bei dem ersten Jagdausflugverlor1). Htte Gogol' wirklich die Geschichte von der Versuchungdurch den Teufel variieren wollen, so htte es viel nher gelegen, beidem Gewehr oder einem'hnlichen Gegenstand zu bleiben, der bessergeeignet gewesen wre, Objekt einer Leidenschaft in dem von Cyzevskyj gemeinten Sinne zu werden als ein Mantel. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, da Gogol's knstlerischer Gestaltungswille sich zunchst in diesen gewohnten Bahnen bewegte und dabei eine Gestaltkonzipierte, die als Versucher tatschlich auch uere Merkmale desTeufels an sich trug. Als dann das Sujet seine tiefgehende Wandlung
erfuhr, primr eine Wandlung des Ideengehaltes, wie wir glauben,die uerlich in dem Wechsel des Gegenstandes (Mantel statt Jagdgewehr) fr uns fabar wird, mute auch jene Gestalt eine andere
werden, aber gewisse vague uere Hinweise auf den Versucher",der sie ursprnglich sein sollte, konnten bleiben.
Trifft der hier vorgelegte Interpretationsversuch das Richtige, sowird auch eine etwas andere Einordnung des Mantels" in das Gesamtschaffen Gogol's und eine etwas andere Beurteilung seinerWirkung auf die weitere Entwicklung der russischen Literatur notwendig,als yzevskyj sie versucht hat. Das ist aber ein Problem fr sich, daseiner weiteren Untersuchung bedarf und hier nicht mehr behandelt
I vgl. CYZEVSKYJ a. a. O. 79f.
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Zum Ideengehalt von Gogol's ,,Mantel'' 415
werden soll. Nur eine Konsequenz sei noch kurz angedeutet. Unserepsychologische Interpretation der Leidenschaft Akakij Akakijevisfr den Mantel hat gezeigt, da sie sich in ihrer das normale Ma bedenklich berschreitenden Intensitt aus der Xot und dem Strebende Helden erklrt, in seiner schwer bedrohten Selbstachtung einenAusweg zu finden. Sein Seelenleben wird hart an die Grenze des Pathologischen gedrngt, und es lag nur allzu nahe, diesen Weg weiter zuverfolgen. Damit rckt der ,,Mantel" in grere Nahe zu den ,.Memoiren cities Wahnsinnigen". Auch brauchen wir weniger mit der
Mglichkeit zu rechnen, da Dostojevskij den Mantel" miverstanden hat, und Dostojevskijs Wort ,,wir alle sind vom 'Mantel' ausgegangen" bekommt einen noch etwas anderen Sinn, wenn wir seine\ielfaltige und reiche Ausgestaltung des .Sujets vom armen Beamtenin Richtung auf pathologische seelische Phnomene ins Auge fassen.
Tubingen HEINZ WISSEMANN
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