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Analysis 1
WS 2014-2015
Michael Kaltenback
Inhaltsverzeichnis
Vorwort iii
1 Mengen und Abbildungen 1
1.1 Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.3 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2 Die reellen Zahlen 11
2.1 Algebraische Struktur der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.2 Ordnungsstruktur der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.3 Die naturlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
2.4 Der Ring der ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.5 Eine alternative Konstruktion von Z* . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.6 Dividieren mit Rest* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.7 Der Korper Q . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.8 Archimedisch angeordnete Korper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.9 Das Vollstandigkeitsaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
2.10 Dedekindsche Schnitte* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.11 Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
2.12 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
3 Der Grenzwert 61
3.1 Metrische Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
3.2 Der Grenzwert in metrischen Raumen . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
3.3 Folgen reeller und komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.4 Monotone Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
3.5 Cauchy-Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.6 Konvergenz in weiteren metrischen Raumen . . . . . . . . . . . . . . 81
3.7 Konvergenz gegen unendlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.8 Konvergenz gegen ±∞ als metrische Konvergenz* . . . . . . . . . . . 86
3.9 Unendliche Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.10 Konvergenzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
3.11 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
4 Die Konstruktion der reellen Zahlen 107
4.1 Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
4.2 Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
i
ii INHALTSVERZEICHNIS
5 Topologie metrischer Raume 115
5.1 ǫ-Kugeln, offene und abgeschlossene Mengen . . . . . . . . . . . . . 115
5.2 Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
5.3 Gerichtete Mengen und Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
5.4 Unbedingte Konvergenz und Umordnen von Reihen . . . . . . . . . . 132
5.5 Grenzwerte von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
5.6 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
6 Reelle und komplexe Funktionen 151
6.1 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
6.2 Der Zwischenwertsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
6.3 Gleichmaßige Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
6.4 Unstetigkeitsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
6.5 Monotone Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
6.6 Gleichmaßige Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
6.7 Reell- und komplexwertige Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . 175
6.8 Die Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
6.9 Fundamentalsatz der Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
6.10 Weitere wichtige elementare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 191
6.11 Abelscher Grenzwertsatz* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
6.12 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
7 Differentialrechnung 205
7.1 Begriff der Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
7.2 Mittelwertsatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
7.3 Motivation zum Taylorschen Lehrsatz* . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
7.4 Der Taylorsche Lehrsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
7.5 Stammfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
7.6 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Literaturverzeichnis 239
Index 240
Vorwort
Mit diesem Skriptum, liebe Studenten, mochte ich zu einem reibungslosen Start in ihr
Mathematikstudium beitragen. Den in dieser Vorlesung auftretenden Begriffen, Kon-
zepten und Ergebnissen werden Sie im ganzen Studium immer wieder begegnen. So
Dinge wie Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Konvergenz werden als selbstverstand-
lich vorausgesetzt werden.
Bei der Gestaltung dieses Skriptums habe ich versucht darauf zu achten, dass selbi-
ges nicht nur als Lernunterlage, sondern auch zum Nachschlagen in spateren Semestern
verwendet werden kann. Insbesondere findet sich ein ausfuhrlicher Index am Ende des
Skriptums.
Obwohl die erste Analysis Vorlesung inhaltlich nicht viel Spielraum fur den Vortra-
genden lasst, habe ich doch versucht, auf die Dinge besonderes Augenmerk zu legen,
die mir in meiner Arbeit als Mathematiker und im Hinblick auf zukunftige Vorlesun-
gen wichtig scheinen. Ich mochte aber auch betonen, dass das meine ganz personliche
Sicht der Materie ist. Es kann fur Sie daher nur von Nutzen sein, wenn sie auch in
andere Analysis Skripten bzw. Bucher schauen und daraus lernen, um einen großeren
Blickwinkel zu bekommen.
Das erste Kapitel ist als Einfuhrung in die mathematischen Grundlagen bewusst
kurz gehalten, da diese in der parallel gehaltenen Vorlesung Lineare Algebra 1 ohnehin
ausfuhrlicher behandelt werden, und somit allzu viele Doppelgleisigkeiten vermieden
werden.
Die mit * gekennzeichneten Abschnitte, Resultate bzw. Bemerkungen ist uber die
Vorlesung hinausfuhrendes Material, welches aber den Umfang der Vorlesung spren-
gen wurde.
Schließlich mochte ich den vielen Kolleginnen und Kollegen danken, die mich auf
Fehler in den vorherigen Versionen dieses Skriptums aufmerksam gemacht haben und
somit ein viel weniger holpriges Werk ermoglicht haben.
Bezuglich der noch versteckten Fehler mochte ich die Leser bitten, mir entdeckte
Druckfehler mit Seiten und Zeilenangabe per Email zu schicken:
Michael Kaltenback Wien, im September 2014
iii
iv VORWORT
Kapitel 1
Mengen und Abbildungen
1.1 Mengen
Die Objekte der modernen Mathematik sind die Mengen. Obwohl die Logik einen
axiomatischen Zugang zur Mengenlehre bietet, wollen wir uns in dieser Vorlesung auf
den naiven Mengenbegriff stutzen. Interessierte Studenten seien auf die Vorlesungen
uber axiomatische Mengenlehre verwiesen.
1.1.1 Definition. Eine Menge ist eine Zusammenfassung von bestimmten, wohl un-
terschiedenen Objekten unserer Anschauung zu einem Ganzen. Die Objekte heißen
Elemente der Menge.
Ist x ein solches Element von M, so schreiben wir x ∈ M. Im Falle, dass x nicht
zu M gehort, schreiben wir x < M. Moglichkeiten Mengen darzustellen sind die
aufzahlende Schreibweise:
M = {a, b, c, d, e}, oder M = {1, 2, . . . }
und die beschreibende Schreibweise:
M = {x : x ist ungerade ganze Zahl}.
1.1.2 Definition. Sind A, B Mengen, so sagt man A ist gleich B (A = B), wenn sie die
selben Elemente enthalten. Man sagt A ist eine Teilmenge von B (A ⊆ B), falls jedes
Element von A auch ein Element von B ist. In diesem Fall bezeichnet man auch B als
Obermenge von A (B ⊇ A).
Will man zum Ausdruck bringen, dass dabei A mit B nicht ubereinstimmt, so
schreibt man A ( B.
Schreibweisen wie A , B, A ) B, o.a. sind dann selbsterklarend. Einer bestimmten
Menge werden wir oft begegnen, namlich der leeren Menge ∅, also der Menge, die
keine Elemente enthalt.
Man beachte zum Beispiel, dass die Menge {a, b, c} gleich der Menge {c, a, b, a} ist,
und dass z.B. die Menge {1, 3, 5, . . . } mit
{x : x ist ungerade naturliche Zahl}
ubereinstimmt.
1
2 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN
Hat man zwei oder mehrere Mengen, so kann man diese in verschiedener Weise
miteinander verknupfen.
1.1.3 Definition. Seien A und B zwei Mengen:
� Die Menge A ∪ B = {x : x ∈ A oder x ∈ B} heißt die Vereinigungsmenge von A
und B. Fur A ∪ B sagt man kurz auch A vereinigt B.
� Die Menge A ∩ B = {x : x ∈ A und x ∈ B} heißt die Schnittmenge von A und B.
Man sagt kurz auch A geschnitten B.
� Die Menge B \ A = {x : x ∈ B und x < A} ist die Differenz von B und A. Man
sagt kurz auch B ohne A.
� Betrachtet man Teilmengen A einer fixen Grundmenge M, so schreiben wir auch
Ac fur M \ A und nennen es das Komplement von A in M, kurz A Komplement.
� A × B := {(x, y) : x ∈ A, y ∈ B} das kartesische Produkt der Mengen A und B.
Das ist also die Menge, deren Elemente die geordneten Paare sind, deren erste
Komponente zu A und deren zweite Komponente zu B gehort1. Fur A×A schreibt
man auch A2.
Auch Durchschnitt und Vereinigung von mehr als zwei Mengen kann man analog
definieren. Ist Mi, i ∈ I, eine Familie von Mengen, welche mit der Indexmenge I durch
indiziert ist, so setzt man
⋂
i∈IMi := {x : x ∈ Mi fur alle i ∈ I},
⋃
i∈IMi := {x : es gibt ein i ∈ I mit x ∈ Mi}.
Das kartesische Produkt endlich vieler Mengen ist analog wie jenes fur zwei Mengen
erklart. Zum Beispiel ist
A × B ×C := {(x, y, z) : x ∈ A, y ∈ B, z ∈ C}.
Fur A × A × A schreibt man A3, u.s.w.
1.1.4 Beispiel.
Einfache Beispiele fur Durchschnitts- bzw. Vereinigungsbildung waren:
{1, 2, 3} ∩ {−1, 0, 1} = {1}, {a, b, 7} ∩ {3, 4, x} = ∅,
{2, 3, 4, 5} ∪ {4, 5, 6, 7} = {2, 3, 4, 5, 6, 7}, {a, b, c} ∪ ∅ = {a, b, c}.
Ist M2 = {x ∈ Z : es gibt ein y ∈ Z, sodass x = 2y}, so ware Z \ M2 gerade die
Menge der ungeraden ganzen Zahlen. Hier und im Folgenden bezeichnet Z die
Menge aller ganzen Zahlen.
Weiters ist
{1, 2, 3, 4} \ {4, 5, 6, 7} = {1, 2, 3}, {a, b, c} \ ∅ = {a, b, c}.1Anm.: Ist x , y, so ist (x, y) , (y, x).
1.1. MENGEN 3
Bezeichnet man mit N die Menge der naturlichen Zahlen, dh. N = {1, 2, 3, . . . },und mit 2N die Menge der geraden naturlichen Zahlen, so ist das kartesische
Produkt N × 2N die Menge
N × 2N = {(1, 2), (1, 4), . . . , (2, 2), (2, 4), . . . , (3, 2), (3, 4), . . .}.
1.1.5 Definition. Ist M eine Menge, so bezeichnet man mit P(M) die Menge aller
Teilmengen von M,
P(M) = {A : A ⊆ M}.
Diese Menge heißt die Potenzmenge von M. Sie ist also die Menge, deren Elemente
alle Teilmengen von M sind.
1.1.6 Beispiel. Ist M = {1, 2, 3}, dann ist die Potenzmenge P(M) gleich
P(M) = {∅, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}}.
Die Potenzmenge der Menge N ist schon viel zu groß, um sie noch in irgendeiner
aufzahlenden Weise anschreiben zu konnen. Sie enthalt ja neben Mengen des Typs
{1, 2, 3}, {4, 6, 7, 8, 1004}usw. auch noch unendliche Mengen wie zum Beispiel 2N oder
{n ∈ N : n ≥ 27} und viele mehr.
1.1.7 Bemerkung. Fur das Verknupfen von Mengen gelten diverse Rechenregeln. Es
gilt zum Beispiel das Distributivgesetz fur drei Mengen A, B,C:
A ∩ (B ∪C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C), (1.1)
A ∪ (B ∩C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C).
Um z.B. (1.1) nachzuweisen beachte man, dass zwei Mengen ubereinstimmen, wenn
ein beliebiges Element x genau dann in der einen Menge ist, wenn es auch in der
anderen Menge ist:
Ein x liegt in A ∩ (B∪ C)
genau dann, wenn
x ∈ A und x ∈ B ∪ C.
Das ist gleichbedeutend mit:
x ∈ A, und x liegt zumindest in einer der Mengen B bzw. C.
Diese Aussage ist aber aquivalent zu:
Zumindest eine der Aussagen - x ∈ A und x ∈ B - oder - x ∈ A und x ∈ C - trifft zu.
Nun ist das dasselbe, wie:
x ∈ A ∩ B oder x ∈ A ∩ C.
Schließlich gilt das genau dann, wenn
x ∈ (A ∩ B) ∪ (A ∩ C).
Den an einem kleinen Abriss des axiomatischen Zugangs zur Mengenlehre interes-
sierten Leser mochte ich hier an die Vorlesung Lineare Algebra verweisen.
4 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN
1.2 Funktionen
1.2.1 Definition. Seien M und N Mengen. Eine Teilmenge f ⊆ M × N wird als Funk-
tion (oder auch als Abbildung) von M nach N bezeichnet, wenn
(i) fur alle x ∈ M gibt es ein y ∈ N : (x, y) ∈ f ;
(ii) sind (x, y1) ∈ f und (x, y2) ∈ f , so folgt y1 = y2.
Die Menge M wird als Definitionsmenge und die Menge N als Zielmenge bzw. Werte-
vorrat bezeichnet.
Die Bedingung (i) besagt, dass jedem x (mindestens) ein Funktionswert y zugeord-
net wird, man sagt auch f ist uberall definiert.
Die Bedingung (ii) besagt, dass einem x hochstens ein Funktionswert zugeordnet
wird. Man sagt auch f ist wohldefiniert.
Eine Funktion von M nach N lasst sich also als eine Vorschrift auffassen, durch die
jedem Element x aus der Menge M in eindeutiger Weise ein Element y aus der Menge
N zugeordnet wird. Man schreibt y = f (x) und bezeichnet y als den Funktionswert von
f an der Stelle x.
Offenbar stimmen zwei Funktionen f und g von M nach N uberein, also f = g,
genau dann, wenn f (x) = g(x) fur alle x ∈ M.
Sieht man eine Funktion eher als Abbildungsvorschrift, dann unterscheidet man
– obwohl mathematisch das Gleiche – die Funktion als Abbildungsvorschrift und die
Funktion als Teilmenge von M × N, und man bezeichnet diese Teilmenge von M × N
auch als Graph graph f von f .
1.2.2 Beispiel. Sei M die Menge aller Worter in einem Worterbuch. N = {1, 2, . . . } sei
die Menge der naturlichen Zahlen. Sei nun f jene Funktion auf M, die jedem Wort die
Anzahl seiner Buchstaben zuweist, d.h.
f (’gehen’) = 5.
1.2.3 Beispiel. Wir haben im Abschnitt uber Familien von Mengen Mi, i ∈ I, gespro-
chen, ohne genau zu sagen, was das bedeutet. Das ist namlich die Funktion i 7→ Mi von
der Indexmenge I in die Potenzmenge P(M), wobei M eine hinreichend große Menge
ist, die alle Mengen Mi enthalt, z.B. M = ∪i∈I Mi.
Als Abbildungsvorschrift gibt man eine Funktion f von M nach N auch oft an als
f :
{M → N
x 7→ f (x).
Eine wichtige Funktion soll nun derart angegeben werden.
1.2.4 Definition. Ist M eine Menge, so heißt die Abbildung
idM :
{M → M
x 7→ x
die identische Abbildung auf der Menge M. Daher idM : M → M mit idM(x) = x.
1.2. FUNKTIONEN 5
1.2.5 Definition. Sei f eine Funktion von M nach N und sei A ⊆ M. Die Funktion, die
jedem x ∈ A den Funktionswert f (x) zuweist, heißt Einschrankung von f auf A und
wird mit f |A bezeichnet. Also
f |A = {(x, y) ∈ f : x ∈ A}.
Ist umgekehrt g eine Funktion von A nach N und M ⊇ A, so heißt eine Funktion
f : M → N Fortsetzung von g, falls g = f |A.
1.2.6 Definition. Sei f eine Funktion von M nach N.
� Fur eine Teilmenge A von M bezeichne
f (A) = {y ∈ N : es gibt ein x ∈ A, sodass f (x) = y},
das Bild der Menge A unter der Abbildung f .
� Fur f (M) schreibt man auch ran f (vom englischen Wort range). Diese Menge
wird als Wertebereich bzw. Bildmenge von f bezeichnet.
� Das vollstandige Urbild einer Teilmenge B von N ist die Menge
f −1(B) = {x ∈ M : f (x) ∈ B}.
Fur y ∈ N wird jedes x ∈ f −1({y}) als ein Urbild von y bezeichnet.
1.2.7 Bemerkung. Ist f : M → N eine Funktion, so muss die Zielmenge N im All-
gemeinen nicht mit der Bildmenge f (M) ubereinstimmen. Ist insbesondere B ⊆ N mit
f (M) ⊆ B, so kann man f auch als Funktion von M nach B betrachten.
1.2.8 Beispiel. Betrachte zum Beispiel die Funktion n 7→ 2n von N in N. Naturlich
kann man auch n 7→ 2n als Funktion von N in die Menge aller geraden naturlichen
Zahlen betrachten.
1.2.9 Bemerkung. In manchen Zusammenhangen betrachtet man auch Funktionen, die
nicht uberall definiert sind. Das sind Teilmengen von f ⊆ M × N, die nur die Eigen-
schaft (ii) aus Definition 1.2.1 haben, d.h. dass es zu jedem Wert x ∈ M hochstens
einen – also keinen oder genau einen – Funktionswert y ∈ N gibt.
Eine interessante Menge ist dann offenbar der Definitionsbereich dom f (vom eng-
lischen Wort domain) der Funktion f :
dom f = {x ∈ M : es gibt ein y ∈ N, sodass (x, y) ∈ f }.
Betrachte zum Beispiel
f := {(x, y) ∈ N2 : x = 2y}. (1.2)
Offenbar ist dieses f eine nur auf der Menge der geraden Zahlen definierte Funktion.
Folgende Begriffsbildung ist auf den ersten Blick nicht allzu kompliziert. Sie spielt
aber in der Mathematik eine immens wichtige Rolle.
1.2.10 Definition. Sei f : M → N eine Funktion. f heißt
6 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN
� injektiv, wenn gilt
f (x1) = f (x2) ⇒ x1 = x2,
d.h. zu jedem Wert y ∈ N gibt es hochstens ein Urbild. Aquivalent dazu ist, dass
aus x1 , x2 folgt, dass f (x1) , f (x2).
� surjektiv, wenn es zu jedem y ∈ N ein x ∈ M gibt, sodass f (x) = y, oder aquiva-
lent ran f = N.
� bijektiv, wenn sie sowohl injektiv als auch surjektiv ist.
1.2.11 Bemerkung. Man beachte, dass die Eigenschaft surjektiv, und somit auch bijek-
tiv, zu sein, ganz wesentlich von der betrachteten Zielmenge der Funktion f abhangt.
Denn ist etwa f : M → N eine beliebige Funktion, und betrachtet man f als
Funktion von M nach f (M) und nicht nach N, so ist f : M → f (M) immer surjektiv.
Vergleiche auch Bemerkung 1.2.7.
1.2.12 Beispiel. Folgende drei Beispiele zeigen insbesondere, dass keine der beiden
Eigenschaften injektiv und surjektiv zu sein, die jeweils andere impliziert.
Sei A die Menge aller in Osterreich amtlich registrierten Staatsburger, und sei f
jene Funktion, die einer Person aus A ihre Sozialversicherungsnummer zuordnet.
Dann ist f : A → N keine surjektive (es gibt ja nur endlich viele Osterreicher),
aber sehr wohl eine injektive Funktion, da zwei verschiedene Personen auch zwei
verschiedene Sozialversicherungsnummern haben.
Die Funktion g : A → N, die jeder Person ihre Korpergroße in Zentimeter (ge-
rundet) zuordnet, ist weder injektiv noch surjektiv.
Sei h : N → N die Funktion, die einer Zahl (dargestellt im Dezimalsystem) ihre
Ziffernsumme zuordnet. Diese Funktion ist nicht injektiv (h(11) = 2 = h(2)),
aber sie ist surjektiv, denn ist n ∈ N, so gilt sicherlich
h(11 . . .1︸ ︷︷ ︸n Stellen
) = n.
1.2.13 Lemma. Sei f eine Funktion von M nach N. Ist f bijektiv, so ist
f −1 = {(y, x) ∈ N × M : (x, y) ∈ f }
eine bijektive Funktion von N nach M.
Beweis. Ist y ∈ N, dann existiert ein x ∈ M mit y = f (x), da f surjektiv ist. Also ist
die Forderung (i) von Definition 1.2.1 fur f −1 erfullt. Um auch (ii) nachzuprufen, sei
(y, x1), (y, x2) ∈ f −1. Dann sind (x1, y), (x2, y) ∈ f und wegen der Injektivitat von f
folgt x1 = x2.
❑
1.2.14 Bemerkung. Man sieht am obigen Beweis, dass die Inverse f −1 einer injektiven
Funktion f eine nicht notwendig uberall definierte Funktion ist, vgl. Bemerkung 1.2.9.
Ihr Definitionsbereich ist gerade ran f . Ist dagegen f nicht injektiv, so ist f −1 nicht
einmal mehr eine nicht uberall definierte Funktion.
1.2. FUNKTIONEN 7
Durch unmittelbares Nachprufen der Definition sieht man, dass die Zusammenset-
zung von Funktionen wieder eine Funktion ist.
1.2.15 Definition. Seien f : M → N und g : N → P Funktionen. Dann bezeichne g◦ f
jene Funktion von M nach P, die durch
(g ◦ f )(x) = g( f (x)), x ∈ M,
definiert ist. Man bezeichnet g ◦ f oft auch als die zusammengesetzte Funktion oder als
die Hintereinanderausfuhrung von f und g.
Ist f eine Abbildung von M nach N, so gilt immer f = f ◦ idM = idN ◦ f .
Die Hintereinanderausfuhrung ist assoziativ: Sind f : M → N, g : N → P und
h : P→ Q Funktionen so gilt (x ∈ M)
((h ◦ g) ◦ f )(x) = (h ◦ g)( f (x)) = h(g( f (x))) =
h((g ◦ f )(x)) = (h ◦ (g ◦ f ))(x).
Also gilt (h ◦ g) ◦ f = h ◦ (g ◦ f ). Als Konsequenz schreiben wir auch h ◦ g ◦ f dafur.
1.2.16 Bemerkung (*). Man kann g ◦ f auch als
{(x, z) : ∃y ∈ N, (x, y) ∈ f , (y, z) ∈ g} (1.3)
schreiben.
Fur Mengen M,N, P und beliebige Teilmengen f ⊆ M × N, g ⊆ N × P – also f
und g sind nicht notwendigerweise Funktionen; man spricht von Relationen zwischen
M und N bzw. zwischen N und P – kann man vermoge (1.3) auch g◦ f definieren. Man
spricht vom Relationenprodukt von f und g.
1.2.17 Bemerkung. Sind f und g nicht mehr uberall definiert, so muss man bei der
Komposition darauf achten, dass die Definitionsbereiche so zusammenpassen, dass der
Bildbereich von f im Definitionsbereich von g enthalten ist.
1.2.18 Satz. Sei f : M → N eine Funktion.
� Ist f : M → N bijektiv, so gilt f −1 ◦ f = idM, f ◦ f −1 = idN .
� Ist umgekehrt g : N → M eine Funktion mit
g ◦ f = idM , f ◦ g = idN , (1.4)
so ist f bijektiv und es gilt g = f −1.
� Fur bijektives f ist f −1 auch bijektiv, wobei ( f −1)−1 = f .
� Sind f : M → N und h : N → P bijektiv, so gilt
(h ◦ f )−1 = f −1 ◦ h−1.
8 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN
Beweis. Sei zunachst f bijektiv. Offenbar gilt
( f −1 ◦ f )(x) = x, x ∈ M ,
und
( f ◦ f −1)(y) = y, y ∈ N ,
wodurch f −1 ◦ f = idM , f ◦ f −1 = idN .
Sei nun die Existenz einer Funktion g vorausgesetzt, die (1.4) erfullt. Zu y ∈ N ist
x = g(y) ein Element aus M, welches f (x) = f (g(y)) = idN(y) = y erfullt. Also ist f
surjektiv. Aus f (x1) = f (x2) folgt
x1 = g( f (x1)) = g( f (x2)) = x2 ,
womit sich f als injektiv herausstellt. Also ist f bijektiv und hat damit eine Inverse, fur
die
g = idM ◦g = ( f −1 ◦ f ) ◦ g = f −1 ◦ ( f ◦ g) = f −1 ◦ idN = f −1
gilt.
Fur bijektives f gilt f −1 ◦ f = idM , f ◦ f −1 = idN . Somit kann man das eben
gezeigte auf f −1 : N → M anwenden, um die Bijektivitat von f −1 zu folgern. Dabei
gilt ( f −1)−1 = f .
Seien nun f : M → N und h : N → P bijektiv. Die Funktion e := f −1 ◦ h−1 erfullt
wegen der Assoziativitat der Hintereinanderausfuhrung
e ◦ (h ◦ f ) = f −1 ◦ (h−1 ◦ h) ◦ f = f −1 ◦ idN ◦ f = f −1 ◦ f = idM ,
sowie
(h ◦ f ) ◦ e = h ◦ ( f ◦ f −1) ◦ h−1 = h ◦ idN ◦h−1 = h ◦ h−1 = idP .
Nach dem ersten Teil des Satzes gilt e = (h ◦ f )−1.
❑
1.3 Ubungsbeispiele
1.1 Seien A, B,C ⊆ M Mengen.
(i) Berechnen Sie A ∪ ∅, (A ∪ B)c ∪ (A \ B), ∅c, A × ∅.(ii) Zeigen Sie, dass A ⊆ B genau dann, wenn A ∩ B = A.
(iii) Was folgt aus A \ B = A ∪ B fur die Menge B?
(iv) Zeigen Sie, dass A ⊇ B genau dann, wenn A ∩ B = B.
1.2 Seien Xi, i ∈ I und Yi, i ∈ I Familien von Mengen.
(i) Zeigen Sie die de Morganschen Regeln
(⋃
i∈IXi
)c
=⋂
i∈IXc
i ,
(⋂
i∈IXi
)c
=⋃
i∈IXc
i .
(ii) Beweisen Sie (⋃
i∈I(Xi ∪ Yi)
)c
=
(⋂
i∈IXc
i
)∩
(⋂
i∈IYc
i
),
sowie (⋃
i∈IXi
)∩
(⋃
i∈IYi
)=
⋃
(i, j)∈I×I
(Xi ∩ Y j).
1.3. UBUNGSBEISPIELE 9
1.3 Sei M eine Menge und sei A ⊆ P(M). Ausgehend von A konstruieren wir eine weitere
Menge B ⊆ P(M) von Teilmengen B von M, und zwar als die Menge aller moglichen
Vereinigungen von Mengen aus A, dh. die Menge aller B ⊆ M, sodass es eine Familie
(Ai)i∈I gibt mit Ai ∈ A, i ∈ I und B = ∪i∈I Ai. Man weise nach, dass ∪i∈I Bi ∈ B, wenn (Bi)i∈Ieine Familie von Mengen aus B ist.
1.4 (i) Man betrachte die Funktion f1 : X → Y als Teilmenge von X × Y . Ist f2 eine weitere
Funktion von X nach Y , sodass f1 ⊆ f2 als Teilmengen von X × Y , so zeige man, dass
f1 = f2.
(ii) Weiters sei X = {a, b, c}. Sei f : P(X) → P(X) eine Funktion, wobei f (A) = A ∪ {a}.Stellen Sie diese Funktion als Teilmenge von P(X)×P(X), also als Menge von Paaren
dar.
1.5 Sei N = {1, 2, 3, . . . } die Menge der naturlichen Zahlen, Z die Menge der ganzen Zahlen und
Q die Menge der rationalen Zahlen.
Mit den aus der Schule bekannten Eigenschaften betrachte man f : Z×N→ Q, (p, n) 7→ p
n.
Ist diese Funktion injektiv, surjektiv, bijektiv? Falls sie nicht bijektiv ist: Wie kann man den
Definitionsbereich einschranken, sodass man eine bijektive Funktion erhalt?
1.6 Seien f : X → Y und g : Y → Z Funktionen. Zeigen Sie:
(i) Sind f und g beide injektiv (surjektiv), so ist auch g ◦ f injektiv (surjektiv).
(ii) Ist g ◦ f bijektiv, so muss f injektiv und g surjektiv sein.
1.7 Sei f : X → Y eine Funktion und seien C,D ⊆ Y . Beweisen Sie:
(i) f −1(C ∩ D) = f −1(C) ∩ f −1(D) .
(ii) f −1(C ∪ D) = f −1(C) ∪ f −1(D).
(iii) Gilt C ⊆ D ⊆ Y , so folgt f −1(C) ⊆ f −1(D).
1.8 Sei f : X → Y eine Funktion und seien A, B ⊆ X. Zeigen Sie:
(i) f (A ∪ B) = f (A) ∪ f (B).
(ii) Gilt A ⊆ B ⊆ X, so folgt f (A) ⊆ f (B).
Gilt auch f (A ∩ B) = f (A) ∩ f (B)? Wenn nicht, dann gebe man ein Gegenbeispiel an.
1.9 Sei f : X → Y eine Funktion. Zeigen Sie, dass folgende Aussagen aquivalent sind.
(i) f ist injektiv.
(ii) f −1( f (A)) = A fur alle A ⊆ X.
(iii) f (A ∩ B) = f (A) ∩ f (B) fur alle A, B ⊆ X.
1.10 Sei M = {1, 2, . . . , 10}, N = {2, . . . , 9} und f : N → M, n 7→ n + 1. Wie viele Fortsetzungen
von f zu einer Funktion g : M → M gibt es? Weiters gebe man alle Fortsetzungen von f zu
einer Funktion g : M → M an, sodass g surjektiv ist.
1.11 Geben Sie eine Funktion an, die N bijektiv auf N × N abbildet.
10 KAPITEL 1. MENGEN UND ABBILDUNGEN
Kapitel 2
Die reellen Zahlen
Die reellen Zahlen sind uns anschaulich schon aus der Schule bekannt. Wir wollen im
Folgenden die charakteristischen Eigenschaften der reellen Zahlen sammeln, von de-
nen wir dann sehen werden, dass diese die reellen Zahlen (bis auf isomorphe Kopien)
eindeutig bestimmen. Dass es die reellen Zahlen (also eine Menge mit den charakteris-
tischen Eigenschaften) unter der Annahme der Gultigkeit der Mengenlehre uberhaupt
gibt, werden wir spater sehen.
2.1 Algebraische Struktur der reellen Zahlen
Zuerst wollen wir uns den Operationen + und ·, also der algebraischen Struktur, zu-
wenden. Die reellen Zahlen mit diesen Operationen sind ein so genannter Korper:
2.1.1 Definition. Sei K eine nichtleere Menge, und es seien Abbildungen (sogenannte
Verknupfungen)
+ : K × K → K (Addition)
und
· : K × K → K (Multiplikation)
gegeben. Das Tripel 〈K,+, ·〉 heißt Korper, falls es zwei ausgezeichnete Elemente 0, 1 ∈K gibt, sodass folgende Gesetze (Axiome) gelten. Wir schreiben dabei x + y fur +(x, y)
und x · y fur ·(x, y).
(a1) Die Addition ist assoziativ:
(x + y) + z = x + (y + z), fur alle x, y, z ∈ K.
(a2) 0 ist ein neutrales Element bezuglich +:
x + 0 = x, fur alle x ∈ K.
(a3) Jedes Element x ∈ K besitzt ein Inverses −x ∈ K bezuglich +:
x + (−x) = 0, fur alle x ∈ K.
(a4) Die Addition ist kommutativ:
x + y = y + x, fur alle x, y ∈ K.
11
12 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
(m1) Die Multiplikation ist assoziativ:
(x · y) · z = x · (y · z), fur alle x, y, z ∈ K.
(m2) 1 ist ein neutrales Element von K \ {0} bezuglich ·:
x · 1 = x, fur alle x ∈ K \ {0}.
(m3) Jedes von 0 verschiedene Element x besitzt ein Inverses bezuglich ·:
x · x−1 = 1, fur alle x ∈ K \ {0}.
(m4) Die Multiplikation ist kommutativ:
x · y = y · x, fur alle x, y ∈ K.
(d) Es gilt das Distributivgesetz:
x · (y + z) = (x · y) + (x · z), fur alle x, y, z ∈ K .
2.1.2 Bemerkung. Da 〈K,+〉 und 〈K \ {0}, ·〉 Gruppen sind, folgt, dass die jeweiligen
neutralen Elemente 0 bzw. 1 eindeutig bestimmt sind1. Ware namlich etwa 0 ein weiters
neutrales Element bezuglich +, so folgte aus (a2) und (a4), dass
0 = 0 + 0 = 0 .
Dasselbe gilt fur die Inversen −a und a−1. Ware etwa a ein weiteres additiv Inverses zu
a, also a + a = 0, so folgte
a = a + (a + (−a))︸ ︷︷ ︸=0
= (a + a)︸ ︷︷ ︸=0
+(−a) = 0 + (−a) = −a .
Somit ist x 7→ −x eine – wie aus unten stehenden Rechenregeln folgt – bijektive Funk-
tion von K auf sich selbst und x 7→ x−1 eine bijektive Funktion von K \ {0} auf sich
selbst. Siehe dazu die Lineare-Algebra Vorlesung.
2.1.3 Beispiel. Man betrachte die Menge K = {≬,⋔}. Die Verknupfungen+ und · seien
gemaß folgender Verknupfungstafeln definiert:
+ ≬ ⋔
≬ ≬ ⋔
⋔ ⋔ ≬
· ≬ ⋔
≬ ≬ ≬
⋔ ≬ ⋔
Man erkennt unschwer, dass alle Anforderungen an einen Korper, d.h. Axiome
(a1) − (a4), (m1) − (m4), (d), erfullt sind, wobei ≬ des neutrale 0 Element bezuglich +
und ⋔ des neutrale Element 1 bezuglich · ist.
Es sei noch bemerkt, dass jeder Korper mindestens zwei Elemente hat, und somit
der hier vorgestellte Korper kleinstmoglich ist.
1Die ausgezeichneten Elemente 0 und 1 sind zunachst von den gleich bezeichneten, bekannten ganzen
Zahlen zu unterscheiden. Sie haben lediglich ahnliche Eigenschaften. Um zu betonen, dass es sich um das
additiv bzw. multiplikativ neutrale Element von K handelt, schreibt man auch 0K bzw. 1K .
2.2. ORDNUNGSSTRUKTUR DER REELLEN ZAHLEN 13
Wir werden xy fur x · y und, falls y , 0, fur xy−1 oft xy
schreiben. Um Klammern zu
sparen, wollen wir auch ubereinkommen, dass Punkt- vor Strichrechnung kommt, also
zB. xy + xz = (xy) + (xz). Schließlich werden wir fur x + (−y) bzw. (−x)+ y auch x − y
bzw. −x + y schreiben.
2.1.4 Lemma. Fur einen Korper 〈K,+, ·〉 gelten folgende Rechenregeln:
(i) Die Inverse von der Inversen ist die Zahl selbst:
−(−x) = x, x ∈ K und (x−1)−1 = x, x ∈ K \ {0}.
(ii) −(x + y) = (−x) + (−y), x, y ∈ K.
(iii) x · 0 = 0, x, y , 0 ⇒ x · y , 0 und (xy)−1 = x−1y−1, sowie (−x)−1 = −(x−1).
Insbesondere (−1)(−1) = 1.
(iv) x(−y) = −xy, (−x)(−y) = xy, x(y − z) = xy − xz.
(v) ab
cd= ac
bd.
Beweis. Exemplarisch wollen wir x · 0 = 0 und −(x + y) = (−x) + (−y) nachweisen.
Wegen (a2) gilt 0 + 0 = 0 und mit (d) damit auch x · 0 = x · (0 + 0) = x · 0 + x · 0.
Addieren wir das nach (a3) existierende additiv Inverse von x ·0, so folgt mit Hilfe von
(a1), dass
0 = x · 0+ (−x · 0) = (x · 0+ x · 0)+ (−x · 0) = x · 0+ (x · 0+ (−x · 0)) = x · 0+ 0 = x · 0
Wegen dem Kommutativgesetz und Assoziativgesetz gilt
(x + y) + ((−x) + (−y)) = ((x + y) + (−x)) + (−y) = ((y + x) + (−x)) + (−y) =
(y + (x + (−x))) + (−y) = ((y + 0) + (−y)) = y + (−y) = 0 .
Also ist (−x) + (−y) eine additiv Inverse von x + y. Wegen Bemerkung 2.1.2 ist diese
additiv Inverse aber eindeutig. Also (−x) + (−y) = −(x + y).
❑
Schließlich wollen wir noch einige Schreibweisen festlegen: Ist A Teilmenge unse-
res Korpers K, so sei
−A = {−a : a ∈ A} .
Also ist −A das Bild von A unter der Abbildung − : K → K.
Sind A, B ⊆ K, so sei
A + B = {a + b : a ∈ A, b ∈ B} .
Somit ist A + B das Bild von A × B (⊆ K × K) unter der Abbildung + : K × K → K.
Entsprechend seien A−1, A − B, etc. definiert.
2.2 Ordnungsstruktur der reellen Zahlen
Eine weitere wichtige Eigenschaft der reellen Zahlen ist die, dass man je zwei Zahlen
x und y der Große nach vergleichen kann. Dabei ist bekannterweise x < y genau dann,
wenn y− x eine positive reelle Zahl ist. Um diesen Sachverhalt mathematisch zu fassen,
definieren wir
14 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.2.1 Definition. Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper und sei P ⊆ K. Dann heißt K (streng genom-
men 〈K,+, ·, P〉) ein angeordneter Korper, wenn gilt, dass
(p1) K = P∪{0}∪(−P),2 wobei P,−P disjunkt3, und beide 0 nicht enthalten;
(p2) x, y ∈ P⇒ x + y ∈ P;
(p3) x, y ∈ P⇒ xy ∈ P.
Die Menge P heißt die Menge der positiven Zahlen.
Fur x, y ∈ K sagen wir, dass
� x kleiner als y ist, in Zeichen x < y, wenn y − x ∈ P;
� x großer als y ist, in Zeichen x > y, wenn x − y ∈ P;
� x kleiner oder gleich y ist, in Zeichen x ≤ y, wenn x < y oder x = y;
� x großer oder gleich y ist, in Zeichen x ≥ y, wenn x > y oder x = y.
2.2.2 Lemma. In einem angeordneten Korper K gelten fur beliebige a, b, x, y, z ∈ K
folgende Regeln:
(i) x ≤ x (Reflexivitat).
(ii) (x ≤ y ∧ y ≤ x)⇒ x = y (Antisymmetrie).
(iii) (x ≤ y ∧ y ≤ z)⇒ x ≤ z (Transitivitat).
(iv) x ≤ y ∨ y ≤ x (Totalitat).
(v) (x ≤ y ∧ a ≤ b)⇒ x + a ≤ y + b.
(vi) x ≤ y⇒ −x ≥ −y.
(vii) (z > 0 ∧ x ≤ y)⇒ xz ≤ yz und (z < 0 ∧ x ≤ y)⇒ xz ≥ yz.
(viii) x , 0⇒ x2 > 0. Insbesondere: 1 > 0.
(ix) x > 0⇒ x−1 > 0 und x < 0⇒ x−1 < 0.
(x) 0 < x ≤ y⇒ ( xy≤ 1 ≤ y
x∧ x−1 ≥ y−1).
(xi) (0 < x ≤ y ∧ 0 < a ≤ b)⇒ xa ≤ yb.
(xii) x < y⇒ x <x+y
2< y, wobei 2 := 1 + 1.
Beweis. Wir beweisen exemplarisch (ii), (iii), (viii) und (xii):
(ii): (x ≤ y∧ y ≤ x) ist per Definitionem dasselbe, wie y− x ∈ P∪ {0} ∧ x− y ∈ P∪ {0}.Also y − x ∈ (P ∪ {0}) ∩ (−P ∪ {0}) = {0}, und damit x = y.
2Der Punkt uber ∪ soll die Disjunktheit der Mengen anzeigen.3Also ihr Schnitt ist leer.
2.2. ORDNUNGSSTRUKTUR DER REELLEN ZAHLEN 15
(iii): (x ≤ y ∧ y ≤ z) ⇔ (y − x ∈ P ∪ {0} ∧ z − y ∈ P ∪ {0}). Aus (p2) folgt
z − x = (z − y) + (y − x) ∈ P ∪ {0}, also x ≤ z.
(viii): Aus x , 0 folgt x ∈ P ∪ −P. Ist x ∈ P, so folgt wegen (p3), dass x2 = xx ∈ P
und damit x2 > 0. Ist x ∈ −P, so folgt −x ∈ P und wieder wegen (p3), dass
x2 = xx = (−x)(−x) ∈ P.
(xii): Aus x < y und (v) folgt x+x < x+y < y+y. Nun ist wegen des Distributivgesetzes
x + x = x(1 + 1) und y + y = y(1 + 1). Da wegen (p2), 1 + 1 ∈ P, folgt aus (vii), dass
x <x+y
2< y.
❑
2.2.3 Bemerkung. Die Eigenschaften (i)−(iii) besagen genau, dass ≤ eine Halbordnung
auf K ist. Eigenschaft (iv) bedeutet dann, dass diese Halbordnung sogar eine Totalord-
nung ist.
Man kann also einen angeordneten Korper als Gerade veranschaulichen, wobei eine
Zahl x genau dann links von einer anderen Zahl y liegt, wenn sie kleiner ist:
K0 x y
Abbildung 2.1: Zahlengerade
2.2.4 Definition. Sei K eine Menge und ≤ eine Totalordnung darauf.
� Sind x, y ∈ K, so sei max(x, y) das Maximum von x und y. Also max(x, y) = x,
falls x ≥ y, und max(x, y) = y falls y ≥ x. Entsprechend definiert man das
Minimum min(x, y) zweier Zahlen.
� Ist A ⊆ K, und gibt es ein a0 ∈ A, sodass a ≤ a0 (a0 ≤ a) fur alle a ∈ A, so nennt
man a0 das Maximum (Minimum) von A, und schreibt a0 = max A (a0 = min A).
Zum Maximum (Minimum) sagt man auch großtes (kleinstes) Element.
� Ist A ⊆ K, so heißt A nach oben beschrankt, falls es ein x ∈ K gibt, sodass
A ≤ x, sodass also a ≤ x fur alle a ∈ A. Jedes x ∈ K mit A ≤ x heißt dabei obere
Schranke von A. Entsprechend heißt eine Teilmenge A nach unten beschrankt,
wenn es eine untere Schranke in K hat, wenn also x ≤ A fur ein x ∈ K. Eine nach
oben und nach unten beschrankte Teilmenge heißt beschrankt.
� Sei A ⊆ K eine nach oben (unten) beschrankte Teilmenge. Hat nun die Menge
{x ∈ K : A ≤ x} ({x ∈ K : x ≤ A}) aller oberen (unteren) Schranken von A ein
Minimum (Maximum), so heißt dieses Supremum (Infimum) von A und wird mit
sup A (inf A) bezeichnet.
� Die Tatsache, dass eine Menge A ⊆ K nicht nach oben (nicht unten) beschrankt
ist, wollen wir mit der formalen Gleichheit sup A = +∞ (inf A = −∞) zum
Ausdruck bringen.
16 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
sup MM
obere Schranken von M
Abbildung 2.2: Supremum der Menge M
2.2.5 Bemerkung. Man sieht leicht, dass jedes Maximum (Minimum) einer Teilmenge
auch Supremum (Infimum) dieser Teilmenge ist. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen
nicht.
Es kann auch vorkommen, dass eine beschrankte Teilmenge von K weder ein Su-
premum, noch ein Infimum hat.
2.2.6 Bemerkung. Wenn das Supremum einer Teilmenge A existiert, so gilt gemaß der
Definition A ≤ sup A, und sup A ≤ x fur alle oberen Schranken x von A.
Ist umgekehrt y ∈ K mit A ≤ y und y ≤ x fur alle oberen Schranken x von A,
so folgt aus A ≤ y, dass y eine obere Schranke von A ist, und aus der zweiten Vor-
aussetzung, dass y das Minimum der oberen Schranken von A ist. Also ist y = sup A.
Entsprechendes lasst sich fur das Infimum sagen.
2.2.7 Lemma. Ist A ⊆ B ⊆ K, so gilt
(i) {x ∈ K : A ≤ x} ⊇ {x ∈ K : B ≤ x} und {x ∈ K : x ≤ A} ⊇ {x ∈ K : x ≤ B}.
(ii) Haben A und B ein Maximum (Minimum), so folgt max A ≤ max B
(min A ≥ min B).
(iii) Haben A und B ein Supremum (Infimum), so folgt sup A ≤ sup B (inf A ≥ inf B).
Beweis.
(i) t ∈ {x ∈ K : B ≤ x} bedingt b ≤ t fur alle b ∈ B. Wegen A ⊆ B gilt auch a ≤ t fur
alle a ∈ A, und daher t ∈ {x ∈ K : A ≤ x}. Die zweite Mengeninklusion beweist
man genauso.
(ii) Das Maximum von B erfullt definitionsgemaß max B ≥ b fur alle b ∈ B, und da-
mit insbesondere max B ≥ a fur alle a ∈ A. Wegen max A ∈ A folgt insbesondere
max B ≥ max A. Analog zeigt man min A ≥ min B.
(iii) Definitionsgemaß haben wir sup A = min{x ∈ K : A ≤ x} und
sup B = min{x ∈ K : B ≤ x}. Nach (i) ist {x ∈ K : B ≤ x} ⊆ {x ∈ K : A ≤ x} und
daher nach (ii)
sup A = min{x ∈ K : A ≤ x} ≤ min{x ∈ K : B ≤ x} = sup B .
❑
Ist K ein angeordneter Korper, so gelten fur die oben eingefuhrten Begriffe einfach
nachzuprufende Rechenregeln:
(i) Aus x ≤ A ⇔ −x ≥ −A folgt, dass A ⊆ K genau dann nach oben (unten)
beschrankt ist, wenn −A nach unten (oben) beschrankt ist.
2.2. ORDNUNGSSTRUKTUR DER REELLEN ZAHLEN 17
(ii) min(−A) = −max A, max(−A) = −min A,
(iii) inf(−A) = − sup(A), sup(−A) = − inf(A).
Diese Gleichheiten gelten in dem Sinn, dass die linke Seite des Gleichheitszeichen
genau dann existiert, wenn die rechte existiert.
2.2.8 Beispiel. Seien a, b ∈ K. Dann definiert man die Intervalle
(a, b) := {x ∈ K : a < x < b}, (a, b] := {x ∈ K : a < x ≤ b} ,
und entsprechend
[a, b] := {x ∈ K : a ≤ x ≤ b}, [a, b) := {x ∈ K : a ≤ x < b} .
Außerdem setzt man (+∞,−∞ sind hier nur formale Ausdrucke)
(−∞, b) := {x ∈ K : x < b}, (−∞, b] := {x ∈ K : x ≤ b} ,
(a,+∞) := {x ∈ K : a < x}, [a,+∞) := {x ∈ K : a ≤ x} .
Ist a < b, so sind die Mengen (a, b), [a, b], (a,+∞) z.B. nach unten beschrankt.
Nach oben beschrankt sind dagegen nur die ersten beiden. Die Mengen (a, b), (a, b]
haben das Supremum b, aber nur fur die Menge (a, b] ist b ein Maximum.
Um etwa einzusehen, dass b = sup(a, b), argumentiert man folgendermaßen:
Zunachst ist wegen der Definition von Intervallen x ≤ b fur alle x ∈ (a, b), also
(a, b) ≤ b.
Angenommen es gabe eine obere Schranke y von (a, b) mit y < b. Im Falle y ≤ a
ware y ≤ a < a+b2
< b (vgl. Lemma 2.2.2, (xii)), womit aber y keine obere Schranke
sein kann, da a+b2∈ (a, b).
Im Falle a < y ware a < y <y+b
2< b, womit wiederum y keine obere Schranke sein
kann, day+b
2∈ (a, b).
Also ist b tatsachlich die kleinste obere Schranke von (a, b), sup(a, b) = b.
2.2.9 Beispiel. Dem Begriff der rationalen Zahlen vorgreifend seien K die rationalen
Zahlen und sei
M = {x ∈ K : x2 < 2} .
Dann hat diese Menge weder Maximum noch Supremum, obwohl sie nach oben be-
schrankt ist. Siehe dazu Satz 2.9.5.
Wir wollen noch zwei elementare Funktionen auf einem angeordneten Korper be-
trachten.
2.2.10 Definition. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Die Signumfunktion sgn
sei jene Funktion von K nach K, sodass fur x ∈ K
sgn(x) =
1 , falls x ∈ P
0 , falls x = 0
−1 , falls x ∈ −P
.
Fur x , 0 heißt sgn(x) auch das Vorzeichen von x.
18 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Die Betragsfunktion |.| : K → K ist definiert durch
|x| ={
x , falls x ∈ P ∪ {0}−x , falls x ∈ −P
.
Sind x, y ∈ K, so bezeichnet man |x − y| auch als den Abstand von x und y.
2.2.11 Lemma. Fur x, y ∈ K gilt:
(i) |x| = sgn(x)x.
(ii) |xy| = |x||y|.
(iii) |x + y| ≤ |x| + |y| (Dreiecksungleichung).
(iv) |x + y| ≥ ||x| − |y|| (Dreiecksungleichung nach unten).
(v) max(x, y) =x+y+|x−y|
2, min(x, y) =
x+y−|x−y|2
.
Beweis. (i) und (ii) folgen ganz leicht, wenn wir die Falle x > 0, x = 0, x < 0 unter-
scheiden.
Die Dreiecksungleichung folgt unmittelbar, wenn eine der Zahlen x oder y Null ist.
Sonst unterscheiden wir folgende zwei Falle:
sgn(x) = sgn(y) , 0⇒ |x + y| = | sgn(x)(|x| + |y|)| = |x| + |y|
sgn(x) = − sgn(y) , 0⇒ |x + y| = | sgn(x)(|x| − |y|)| = ||x| − |y|| ≤ |x| + |y|
Letztere Ungleichung gilt, da sowohl |x| − |y| ≤ |x|+ |y|, als auch −(|x| − |y|) = |y| − |x| ≤|x| + |y|.
Um die Dreiecksungleichung nach unten einzusehen, bemerke
|x| = |(x + y) + (−y)| ≤ |x + y| + |y|, (2.1)
also |x| − |y| ≤ |x + y|. Analog folgt
|y| ≤ |x + y| + |x| ,
also auch |y| − |x| ≤ |x + y|.Mit einer ahnlichen Fallunterscheidung beweist man die Aussage (v).
❑
2.3 Die naturlichen Zahlen
Ob es die oben diskutierten angeordneten Korper uberhaupt gibt, davon haben wir uns
bisher nicht uberzeugen konnen. Um solche Objekte zu konstruieren, wenden wir uns
zunachst den naturlichen Zahlen zu.
Die naturlichen Zahlen sind uns als Objekt des Alltages wohlvertraut, aber ihre
Existenz als mathematisches Objekt ist keine Trivialitat. Trotzdem wollen wir diese
voraussetzen. In der Tat folgt sie aus den Axiomen der Mengenlehre.
2.3.1 Definition. Die naturlichen Zahlen sind eine Menge N, in der ein Element 1 ∈N ausgezeichnet ist,4 und auf der eine Funktion (Nachfolgerabbildung) ′ : N → Ndefiniert ist, sodass gilt
4Die Bezeichnung 1 hat zumindest zum gegenwartigen Zeitpunkt nichts mit der gleichlautenden Bezeich-
nung fur das multiplikative neutrale Element in einem Korper zu tun.
2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 19
(S1) ′ ist injektiv.
(S2) Es gibt kein n ∈ N mit n′ = 1.
(S3) Ist M ⊆ N, 1 ∈ M und m′ ∈ M fur alle m ∈ M, so ist M = N.
Fur n′ wollen wir auch n + 1 schreiben.
2.3.2 Bemerkung. Wir wollen anmerken, dass wir zunachst weder die Abbildungen
+, ·, die N × N nach N abbilden, noch die Moglichkeit zwei naturliche Zahlen der
Große nach zu ordnen, zur Verfugung haben. Obige Festlegung, dass n′ = n + 1 ist nur
symbolisch zu verstehen.
Ehe wir uns an die Definition von Addition und Multiplikation machen, wollen wir
uns die Moglichkeit schaffen, Ausdrucke, wie nx, xn,∑n
k=1 c(k) fur n ∈ N zu definieren,
wenn z.B. x und c(k) fur k ∈ N Elemente eines Korpers sind.
Alle diese Ausdrucke haben gemein, dass sie Funktionen n 7→ φ(n) auf N sind,
wobei φ(1) bekannt ist, und wobei φ(n′) bekannt ist, wenn φ(n) es ist. Im Falle von
n 7→ xn ist etwa x1 = x und xn′ = xn · x.
Um einzusehen, warum solche Funktionen eindeutig definiert sind, zeigen wir den
2.3.3 Satz (Rekursionssatz). Sei A eine Menge, a ∈ A, g : A→ A (Rekursionsfunktion).
Dann existiert genau eine Abbildung φ : N→ A mit φ(1) = a und φ(n′) = g(φ(n)).
Beweis. Betrachte alle Teilmengen H ⊆ N × A mit den Eigenschaften
(a) (1, a) ∈ H
(b) Ist (n, b) ∈ H, so gilt auch (n′, g(b)) ∈ H.
Solche Teilmengen existieren, da z.B. N × A die Eigenschaften (a) und (b) hat. Sei D
der Durchschnitt aller solchen Teilmengen:
D :=⋂
H erfullt (a) und (b)
H
Da (1, a) ∈ H fur alle H, die (a) und (b) erfullen, ist auch (1, a) ∈ D. Ist (n, b) ∈ D, so
gilt (n, b) ∈ H fur alle (a) und (b) erfullenden H. Nach (b) folgt (n′, g(b)) ∈ H fur alle
solchen H, und somit (n′, g(b)) ∈ D.
Also hat D auch die Eigenschaften (a) und (b), und ist damit die kleinste Teilmenge
mit diesen Eigenschaften.
Wir behaupten, dass D eine Funktion vonN nach A ist, also, dass es zu jedem n ∈ Ngenau ein b ∈ A gibt, sodass (n, b) ∈ D, vgl. Definition 1.2.1. Dazu reicht es zu zeigen,
dass5
M = {n ∈ N : ∃! b ∈ A, (n, b) ∈ D}mit N ubereinstimmt. Wir prufen das mit Hilfe von (S 3) nach.
Zunachst ist 1 ∈ M, da einerseits (1, a) ∈ D. Gabe es andererseits ein weiteres
c ∈ A, c , a mit (1, c) ∈ D, so betrachte D \ {(1, c)}. Klarerweise hat D \ {(1, c)} die
Eigenschaft (a). Wegen (S 2) bleibt auch die Eigenschaft (b) erhalten. Ein Widerspruch
dazu, dass D kleinstmoglich ist.
Nun zeigen wir, dass mit n auch n′ in M liegt. Fur n ∈ M gibt es genau ein b ∈ A
mit (n, b) ∈ D. Also ist auch (n′, g(b)) ∈ D. Ware noch (n′, c) ∈ D mit c , g(b), so kann
man wieder D \ {(n′, c)} betrachten. Weil n′ , 1, erfullt D \ {(n′, c)} Eigenschaft (a).
5∃! steht fur: Es gibt genau ein
20 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Aus (k, d) ∈ D \ {(n′, c)} ⊆ D folgt (k′, g(d)) ∈ D. Ist k , n, so folgt wegen (S 1)
daher auch (k′, g(d)) , (n′, c). Ist n = k, so muss wegen n ∈ M die Gleichheit d = b
gelten. Es folgt (k′, g(d)) = (n′, g(b)) , (n′, c). In jedem Fall gilt also (k′, g(d)) ∈D \ {(n′, c)}, und D \ {(n′, c)} erfullt auch (b). Das ist wieder ein Widerspruch dazu, dass
D kleinstmoglich ist.
Aus (S 3) folgt M = N. Nach Definition 1.2.1 kann man also D auffassen als Abbil-
dung φ : N→ A. Die Eigenschaft (a) bedeutet φ(1) = a, und (b) besagt φ(n′) = g(φ(n)).
Ware φ eine weitere Funktion mit φ(1) = a und mit φ(n′) = g(φ(n)), und betrachtet
man φ als Teilmenge D von N × A, so erfullt D Eigenschaften (a), (b). Weil wir schon
wissen, dass D die kleinste solche Menge ist, folgt D ⊆ D. Da aber beide Funktionen
sind, muss D = D bzw. φ = φ.
❑
2.3.4 Bemerkung. Satz 2.3.3 rechtfertigt rekursive Definitionen:
Zum Beispiel die Funktion n 7→ xn, wobei x in einem Korper K liegt. Dafur
nehmen wir A = K, a = x und g : K → K, y 7→ yx. Nach Satz 2.3.3 ist dann xn
fur alle n ∈ N eindeutig definiert.
Genauso kann man n 7→ nx definieren.
Um n 7→ ∏nk=1 c(k) zu definieren, wenn c : N → K ist, wenden wir Satz 2.3.3
mit A = N × K, a = (1, c(1)) und g : N × K → N × K, (n, x) 7→ (n′, x · c(n′)) an,
und definieren∏n
k=1 c(k) als die zweite Komponente von φ(n).
Genauso kann man n 7→ ∑nk=1 c(k), n 7→ maxk=1,...,n c(k) und ahnliche Ausdrucke
definieren.
Furn∑
k=1
c(k) schreiben wir auch c(1) + · · · + c(n). Entsprechend setzen wir
c(1) · · · · · c(n) :=
n∏
k=1
c(k) und max(c(1), . . . , c(n)) = maxk=1,...,n
c(k) .
Als weitere Anwendung des Rekursionssatzes erhalten wir, dass die naturlichen
Zahlen im Wesentlichen eindeutig sind.
2.3.5 Korollar. Seien N und N Mengen mit ausgezeichneten Elementen 1 ∈ N und
1 ∈ N und Abbildungen ′ : N → N, ˜ : N → N, sodass fur beide die Axiome (S1),
(S2) und (S3) gelten. Dann gibt es eine eindeutige bijektive Abbildung ϕ : N → N mit
ϕ(1) = 1 und ϕ(n) = ϕ(n′), n ∈ N.
Beweis. Wendet man den Rekursionssatz an auf A = N, a = 1, und g = , so folgt, dass
genau eine Abbildung ϕ : N → N existiert mit ϕ(1) = 1 und ϕ(n) = ϕ(n′), n ∈ N.
Durch Vertauschung der Rollen von N und N erhalt man eine Abbildung ψ : N → Nmit ψ(1) = 1 und ψ(x)′ = ψ(x), x ∈ N.
Betrachte die AbbildungΦ = ψ ◦ ϕ : N→ N. Es gilt Φ(1) = 1 und
Φ(n)′ = (ψ(ϕ(n)))′ = ψ(ϕ(n)) = (ψ ◦ ϕ)(n′) .
Die identische Abbildung idN hat die selben Eigenschaften, also folgt nach der
Eindeutigkeitsaussage des Rekursionssatzes Φ = idN. Analog zeigt man ϕ ◦ ψ = idN,
2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 21
also ist ϕ bijektiv und es gilt ϕ−1 = ψ.
❑
Wenn wir uns den Beweis des Rekursionssatzes nochmals anschauen, so haben wir
gezeigt, dass D eine Funktion auf N ist, es also zu jedem n ∈ N genau ein b ∈ A gibt
mit (n, b) ∈ D, indem wir die Menge M aller in diesem Sinne”guten“ n ∈ N hernehmen
und davon zeigen, dass sie die Voraussetzungen von (S 3) erfullen.
Diese Vorgangsweise kann man auf alle Aussagen A(n) ausdehnen, die fur alle
naturliche Zahlen n gelten sollen. Das fuhrt zum so genannten:
Prinzip der vollstandigen Induktion: Fur jedes n ∈ N sei A(n) eine Aussage uber die
naturliche Zahl n. Gilt
(i) Induktionsanfang: Die Aussage A(1) ist wahr.
(ii) Induktionsschritt: Fur jedes n ∈ N ist wahr, dass aus der Gultigkeit von A(n) die
Gultigkeit von A(n′) folgt.
Dann ist die Aussage A(n) fur jede naturliche Zahl n richtig.
Um das einzusehen, betrachte man die Menge M aller n ∈ N, fur die A(n) richtig
ist. Ist nun A(1) richtig, so ist 1 ∈ M, und aus A(n)⇒ A(n′) sehen wir, dass mit m ∈ M
auch m′ ∈ M. Nach Axiom (S 3) ist M = N. Also ist A(n) fur jede naturliche Zahl n
richtig.
Als Anwendung der Beweismethode der vollstandigen Induktion bringen wir die
spater verwendete Bernoullische Ungleichung.
2.3.6 Lemma. Ist 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper, und bezeichnen wir das multi-
plikative neutrale Element mit 1K , so folgt fur x ∈ K, x ≥ −1K , und n ∈ N, dass
(1K + x)n ≥ 1K + nx .
Beweis. Induktionsanfang: Ist n = 1, so besagt die Bernoullische Ungleichung (1K +
x)n = 1K + x ≥ 1K + x, was offenbar stimmt.
Induktionsschritt: Angenommen die Bernoullische Ungleichung sei nun fur n ∈ Nrichtig. Dann folgt wegen 1K + x ≥ 0, dass
(1K + x)n′ = (1K + x)n(1K + x) ≥ (1K + nx)(1K + x) = 1K + (n′)x + nx2 ≥ 1K + n′x .
❑
Eine andere unmittelbare Anwendung des Beweisprinzipes der vollstandigen In-
duktion ist die Verifikation der offensichtlich fur Ausdrucke wie∑n
k=1 c(k) geltenden
Rechenregeln. Zum Beispiel das Distributivgesetz
a
n∑
k=1
c(k) =
n∑
k=1
(ac(k)) .
Induktionsanfang: Ist n = 1, so gilt a∑1
k=1 c(k) = ac(1) =∑1
k=1(ac(k)).
Induktionsschritt: Angenommen die Rechenregel gilt fur n, so rechnen wir:
a
n′∑
k=1
c(k) = a(
n∑
k=1
c(k)
+ c(n′)) = a
n∑
k=1
c(k)
+ ac(n′) =
22 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
n∑
k=1
(ac(k)) + ac(n′) =n′∑
k=1
(ac(k)) .
Entsprechend zeigt man auch andere Rechenregeln fur solche induktiv definierten Aus-
drucke.
Wir kommen nun zur Diskussion der algebraischen Operationen Addition und Mul-
tiplikation, sowie der Ordnungsrelation auf N. Ihre Existenz und ihre Eigenschaften
mussen wir nun mit mathematischer Strenge herleiten, d.h. sie alleine aus den Axiomen
(S 1),(S 2),(S 3) mittels logischer Schlusse zeigen. Hauptinstrument dabei wird wieder
der Rekursionssatz Satz 2.3.3 sein.
2.3.7 Definition. Wir definieren fur jedes m ∈ N Abbildungen +m : N → N und
·m : N→ N rekursiv:
+m(1) := m′ und +m (n′) := (+m(n))′ ,
·m(1) := m und ·m (n′) := +m(·m(n)) .
Weiters definieren wir Relationen < und ≤ auf N durch
n < m :⇐⇒ (∃t ∈ N : +t(n) = m) ,
n ≤ m :⇐⇒ (n = m) oder (n < m) .
Sind m, n ∈ N, so schreibt man
+m(n) =: m + n, ·m(n) =: m · n,
und spricht von der Addition bzw. Multiplikation auf N.
2.3.8 Satz.
Fur jedes m ∈ N sind die Abbildungen +m und ·m injektiv, wobei +m(n) , m fur
alle n ∈ N.
Die Addition im Bereich N der naturlichen Zahlen erfullt die Gesetze
� Fur alle a, b, c ∈ N gilt (a + b) + c = a + (b + c). (Assoziativitat)
� Fur alle a, b ∈ N gilt a + b = b + a. (Kommutativitat)
sowie die Kurzungsregel
� Sind n,m, k ∈ N und gilt k + m = k + n, so folgt m = n.
Die Multiplikation ist ebenfalls assoziativ, kommutativ und erfullt die Kurzungs-
regel. Zusatzlich gilt noch
� Fur jedes a ∈ N ist a · 1 = 1 · a = a. (Existenz des neutralen Elementes)
Die Addition hangt mit der Multiplikation zusammen uber das Distributivgesetz
� Fur a, b, c ∈ N gilt stets (b + c) · a = (b · a) + (c · a).
Die Relation ≤ ist eine Totalordnung mit 1 als kleinstes Element, und aus m < n
folgt m , n. Zudem gelten folgende Vertraglichkeiten mit den Operationen Plus
und Mal:
2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 23
� Sind a, b, c ∈ N und gilt a < b (a ≤ b), so folgt a+c < b+c (a+c ≤ b+c).
� Sind a, b, c ∈ N und gilt a < b (a ≤ b), so folgt a · c < b · c (a · c ≤ b · c).
Es gilt weiters
� Sind n,m, l ∈ N mit n+ l < m+ l (n+ l ≤ m+ l) oder n · l < m · l (n · l ≤ m · l),so folgt n < m (n ≤ m).
� Sind n,m ∈ N, n < m, so gibt es ein eindeutiges t ∈ N, sodass m = n + t.
Wir setzen in diesem Falle
m − n := t . (2.2)
� Sind m, n, t ∈ N, t < n < m, so folgt n − t < m − t.
� Sind l,m, n ∈ N, n + m < l, so folgt n < l − m und
l − (m + n) = (l − m) − n . (2.3)
Beweis.
Zur Assoziativitat von +:
Seien k,m ∈ N fest gewahlt, wir fuhren Induktion nach n durch.
Induktionsanfang: (k + m) + 1 = +k(m)′ = +k(m′) = k + (m + 1).
Induktionsschritt: Nach Induktionsvoraussetzung gilt (k + m) + n = k + (m + n).
Es folgt
(k + m) + (n′) = +k+m(n′) = +k+m(n)′ = ((k + m) + n)′ =
= (k + (m + n))′ = +k(m + n)′ = +k((m + n)′) = k + (m + n′) ,
wobei letztere Gleichheit wegen des schon gezeigten Induktionsanfangs folgt.
Zur Kommutativitat von +:
Wir zeigen ∀m, n ∈ N : m + n = n + m mittels Induktion nach m.
Induktionsanfang (m = 1): Wir zeigen
∀n ∈ N : 1 + n = n + 1 (2.4)
mittels Induktion nach n. Der Fall n = 1 ist klar, denn 1 + 1 = 1 + 1. Fur
den Induktionsschritt n → n′ gehen wir aus von der Induktionsvoraussetzung
1 + n = n + 1. Daraus folgt
n′ + 1 = n′′ = (n + 1)′ = (1 + n)′ = 1 + n′ .
Induktionsschritt (m→ m′): Wir zeigen
(∀n ∈ N : m + n = n + m) =⇒ (∀n ∈ N : m′ + n = n + m′) .
Dazu fuhren wir Induktion nach n durch. Betrachte also zuerst den Fall n = 1.
Nach der bereits bewiesenen Aussage (2.4) mit vertauschten Rollen von m und
n gilt m′ + 1 = 1 + m′.
Der Induktionsschritt n → n′ hat nun als Induktionsvoraussetzung m′ + n =
n + m′ und wir erhalten
m′ + n′ = (m′ + n)′ = (n + m′)′ = (n + m)′′∗= (m + n)′′ =
= (m + n′)′∗= (n′ + m)′ = n′ + m′ .
An den mit ∗ gekennzeichneten Stellen ist die Induktionsvoraussetzung des In-
duktionsschritts (m→ m′) benutzt worden.
24 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Zur Injektivitat von +m und der Tatsache, dass +m(n) , m, fur alle n ∈ N:
Fur m = 1 ist +m(n) = n′. Nach (S 1) ist +1 injektiv und nach (S 2) gilt +1(n) , 1.
Sei nun m ∈ N und +m injektiv und erfulle +m(n) , m fur alle n ∈ N.
Es folgt +m′(n) = m′ + n = m + (n+ 1) = +m(n′). Also ist +m′ die Zusammenset-
zung der injektiven Abbildungen (n→ n′) und +m und somit selbst injektiv.
Aus m + 1 = m′ = +m′(n) = (m+ n)+ 1 folgt wegen der Injektivitat von +1, dass
m = m + n = +m(n) im Widerspruch zur Induktionsvoraussetzung.
Die Kurzungsregel fur + folgt sofort aus der Injektivitat von +k.
m < n bedeutet n = m + k mit einem k ∈ N. Aus m = n wurde der Widerspruch
m = m + k = +m(k) folgen.
Es gilt a · 1 = 1 · a = a, a ∈ N:
Unmittelbar aus der Definition 2.3.7 folgt a ·1 = ·a(1) = a. Die zweite Gleichheit
zeigen wir mittels Induktion nach a:
Induktionsanfang (a = 1): 1 · a = 1 · 1 = 1 = a.
Induktionsschritt (a→ a′): Wir nehmen also 1 · a = a an und schließen
1 · (a′) = ·1(a′) = +1(·1(a)) = +1(1 · a) = 1 + a = a′ .
Zur Kommutativitat von ·:Wir zeigen ∀m, n ∈ N : m · n = n · m mittels Induktion nach m.
Induktionsanfang (m = 1): Nach dem letzten Punkt gilt ∀n ∈ N : 1 ·n = n = n ·1.
Induktionsschritt (m→ m′): Wir zeigen
(∀n ∈ N : m · n = n · m) =⇒ (∀n ∈ N : m′ · n = n · m′) .
Dazu fuhren wir Induktion nach n durch. Betrachte also zuerst den Fall n = 1.
Wieder nach dem letzten Punkt gilt (m′) · 1 = m′ = 1 · m′.Der Induktionsschritt n→ n′ hat nun als Induktionsvoraussetzung m′ · n = n · m′und wir erhalten
m′ · n′ = m′ + (m′ · n) = m′ + (n · m′) = (m + 1) + (n + (n · m)) =
(n + 1) + (m + (n · m))∗= (n + 1) + (m + (m · n)) =
n′ + (m · n′) ∗= n′ + (n′ · m) = n′ · m′ .
An den mit ∗ gekennzeichneten Stellen ist die Induktionsvoraussetzung des In-
duktionsschritts (m→ m′) benutzt worden.
Zum Distributivgesetz:
Vollstandige Induktion nach a:
Induktionsanfang (a = 1): Da 1 bezuglich · ein neutrales Element ist, folgt
(b + c) · 1 = b + c = (b · 1) + (c · 1) .
Induktionsschritt:
(b + c) · (a + 1) = (b + c) + ((b + c) · a)∗= (b + c) + ((b · a) + (c · a)) =
(b + (b · a)) + (c + (c · a)) = (b · (a + 1)) + (c · (a + 1)) .
An der mit ∗ gekennzeichneten Stelle ist die Induktionsvoraussetzung eingegan-
gen.
2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 25
Zur Assoziativitat von ·:Wir zeigen a · (b · c) = (a · b) · c mittels Induktion nach b.
Induktionsanfang: a · (1 · c) = a · c = (a · 1) · c.
Induktionsschritt: Nach Induktionsvoraussetzung gilt also (a · b) · c = a · (b · c).
Mittels Distributivgesetz folgt
(a · (b + 1)) · c = ((a · b) + (a · 1)) · c = ((a · b) · c) + ((a · 1) · c) =
(a · (b · c)) + (a · (1 · c)) = a · ((b · c) + (1 · c)) = a · ((b + 1) · c) .
Zur Totalitat von ≤ und zur Tatsache 1 ≤ n, n ∈ N:
Wir wollen zeigen, dass je zwei n,m ∈ N bezuglich ≤ vergleichbar sind, was wir
mittels Induktion nach m beweisen werden.
Fur m = 1 zeigt man leicht mittels Induktion nach n, dass immer n = 1, oder
∃t ∈ N, n = 1 + t, also immer 1 ≤ n.
Gelte die Vergleichbarkeit von m mit allen n ∈ N. Um sie fur m′ zu zeigen,
machen wir eine Fallunterscheidung: Ist m = n, so folgt n + 1 = m′ also n ≤ m′.
Aus n < m folgt m = n + t fur ein t ∈ N, und daher m′ = n + (t + 1), also n < m′.Ist n = m + 1, so folgt m′ = n.
Ist schließlich m < n, n , m + 1, so gilt n = m + t mit t , 1. Aus der schon
bewiesenen Vergleichbarkeit mit 1 folgt, dass 1 < t, und somit t = 1 + s, s ∈ N.
Aus der Assoziativitat folgt n = m′ + s, also m′ < n.
Die Reflexivitat von ≤ ist klar.
Zur Transitivitat von < und damit von ≤:
Sei k, l,m ∈ N und k ≤ l, l ≤ m. Ist k = l oder l = m, so sieht man sofort, dass
k ≤ m.
Im Fall k < l, l < m gibt es i, j ∈ Nmit k+ i = l, l+ j = m. Es folgt k+ (i+ j) = m
und daher k < m.
Die Antisymmetrie von ≤ folgt, da aus n ≤ m und m ≤ n im Falle m , n wegen
des vorletzten Punktes und wegen der Transitivitat von < folgt n < n, was dem
vorletzten Punkt widerspricht.
Zur Vertraglichkeit von < mit + und ·:Sei n < m und k ∈ N. Somit ist n + t = m mit t ∈ N, und es gilt
m + k = (n + t) + k = n + (t + k) = n + (k + t) = (n + k) + t ,
sowie
m · k = (n + t) · k = (n · k) + (t · k) .
Also folgt n + k < m + k und n · k < m · k.
Die Injektivitat von ·k bzw. – was das selbe ist – die Kurzungsregel fur · folgt
nun aus den gezeigten Eigenschaften von ≤:
Seien k,m, n ∈ N mit m , n. Wegen der Totalitat gilt m < n oder n < m, was mit
der Vertraglichkeit von < mit · bedingt, dass k · m < k · n oder k · n < k · m und
somit k · m , k · n.
26 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Zum Kurzen in Ungleichungen:
Aus n+ l < m+ l folgt definitionsgemaß m+ l = (n+ l)+ k fur ein k ∈ N. Gemaß
der Kurzungsregel fur + folgt m = n + k und somit n < m.
Sei nun n · l < m · l. Ware m ≤ n, so folgte aus dem letzten Punkt der Widerspruch
m · l ≤ n · l. Wegen der Totalitat muss n < m gelten.
Zur Wohldefiniertheit von m − n:
Sei also n < m. Definitionsgemaß ist m = n+ t fur ein t ∈ N. Ist nun m = n+ s fur
eine weitere Zahl s ∈ N, so folgt aus der Kurzungsregel fur + und n + t = n + s,
dass s = t. Also ist m − n := t eindeutig dadurch definiert, dass n + t = m.
Zur Vertraglichkeit von < mit −:
Ist t < n < m, so folgt n = t + s und m = n + l fur s, l ∈ N, und weiters
m = t + (l + s). Somit ist m − t = l + s und n − t = s, und daher n − t < m − t.
Zu (2.3):
Die Ungleichung m + n < l bedeutet l = (m + n) + k fur ein eindeutiges k ∈ N.
Definitionsgemaß ist daher k = l− (m+n). Andererseits gilt wegen m < m+n < l
auch l = m + s, s ∈ N.
Wegen der Kurzungsregel fur + folgt s = n + k, und somit n < s = l − m.
Außerdem ist k = s − n = (l − m) − n.
❑
2.3.9 Bemerkung. Ist N eine Kopie von N wie in Korollar 2.3.5, und werden die Ope-
rationen + und ·, sowie ≤ auf N genauso definiert wie auf N, so sieht man leicht, dass
die nach Korollar 2.3.5 existierende Abbildung ϕ : N→ N mit den Operationen und ≤vertraglich ist:
ϕ(n + m) = ϕ(n) + ϕ(m), ϕ(n · m) = ϕ(n) · ϕ(m),
n ≤ m⇔ ϕ(n) ≤ ϕ(m) .
Folgende Eigenschaft der naturlichen Zahlen werden wir oft verwenden.
2.3.10 Satz. Ist ∅ , T ⊆ N, so hat T ein Minimum.
Beweis. Wir nehmen das Gegenteil an. Sei
M = {n ∈ N : ∀m ∈ T ⇒ n < m}.
Es ist nun 1 ∈ M, da sonst 1 das Minimum von T ware.
Ist n ∈ M, und m ∈ T , so gilt n < m. Daraus schließen wir n + 1 ≤ m. Ware
n + 1 = m0 fur ein m0 ∈ T , so hatte T das Minimum m0. Wir nehmen aber an, dass es
ein solches nicht gibt.
Also gilt immer n + 1 < m, m ∈ T , bzw. n + 1 ∈ M. Nach (S 3) folgt M = N. Ist
m ∈ T ⊆ N, so folgt m ∈ M und daher der Widerspruch m < m.
❑
Diese Eigenschaft der naturlichen Zahlen konnen wir hernehmen, um folgende
Varianten des Prinzips der vollstandigen Induktion zu rechtfertigen. Zum Beispiel ist
2.3. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 27
es oft zielfuhrender die folgende Version zu benutzen:
Sei A(n), n ∈ N, eine Aussage uber die naturliche Zahl n. Gilt
(i) Die Aussage A(1) ist wahr.
(ii) Es gelte fur jedes n ∈ N, n > 1: Ist die Aussage A(m) wahr fur alle m < n, so ist
auch A(n) wahr.
Dann ist die Aussage A(n) fur alle n ∈ N wahr. Denn ware die Menge der n ∈ N, fur
die A(n) falsch ist, nicht leer, so hatte sie ein Minimum n. Wegen (i) ist aber n > 1,
wegen (ii) ist A(n) wahr, was offensichtlich ein Widerspruch ist.
Ist eine Aussage erst ab einer gewissen Zahl n0 richtig, so kann man folgende
Varianten des Prinzips der vollstandigen Induktion anzuwenden versuchen:
Gilt
(i) Die Aussage A(n0) ist wahr.
(ii) Ist A(n) wahr fur ein n ≥ n0, dann ist A(n + 1) wahr.
oder gilt
(i) Die Aussage A(n0) ist wahr.
(ii) Ist n > n0 und ist A(m) wahr fur alle m mit n0 ≤ m < n, dann ist A(n) wahr.
Dann ist die Aussage A(n) fur alle n ≥ n0 richtig.
2.3.11 Beispiel. Mit fast dem selben Beweis wie in Lemma 2.3.6, jedoch mit einer
Induktion bei 2 startend, zeigt man, dass fur x ≥ −1K und x , 0 sowie n ≥ 2 sogar
(1K + x)n > 1K + nx .
Induktionsanfang: Ist n = 2, so gilt wegen x2 > 0, dass (1K+x)2 = 1K+2x+x2 > 1K+2x.
Induktionsschritt: Angenommen die Ungleichung ist fur n ∈ N richtig. Dann folgt
wegen 1K + x ≥ 0 und nx2 > 0, dass
(1K + x)n′ = (1K + x)n(1K + x) ≥ (1K + nx)(1K + x) = 1K + (n′)x + nx2 > 1K + n′x .
Klarerweise haben unendliche Teilmengen vonN kein Maximum. Aber wie intuitiv
klar ist, hat jede endliche Teilmenge einer total geordneten Menge ein Maximum und
ein Minimum. Um das exakt nachzuweisen, benotigen wir die genaue Definition von
Endlichkeit.
2.3.12 Definition. Eine nichtleere Menge M heißt endlich, wenn es ein k ∈ N und eine
bijektive Funktion f : {n ∈ N : n ≤ k} → M gibt. Die Zahl k ist dann die Machtigkeit
von M6. Man sagt auch, dass M genau k Elemente hat. Die leere Menge nennen wir
auch endlich, und ihre Machtigkeit sei Null.
6Damit die Machtigkeit wohldefiniert ist, muss man noch zeigen, dass es im Fall k1 , k2 keine bijek-
tive Funktion von {n ∈ N : n ≤ k1} auf {n ∈ N : n ≤ k2} gibt, was sich durch vollstandige Induktion
bewerkstelligen lasst.
28 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.3.13 Bemerkung. Man zeigt elementar durch vollstandige Induktion nach der
Machtigkeit der endlichen Menge M, dass alle ihre Teilmengen auch endlich sind.
2.3.14 Lemma. Jede endliche nichtleere Teilmenge M einer total geordneten Men-
ge 〈T,≤〉 hat ein Minimum und ein Maximum, das wir mit min(M) bzw. mit max(M)
bezeichnen.
Insbesondere gilt diese Aussage fur endliche Teilmengen von angeordneten
Korpern und von N.
Beweis. Hat M nur ein Element, d.h. M = {m}, so ist klarerweise m das Maximum von
M.
Angenommen alle M ⊆ T mit n Elementen haben ein Maximum. Hat nun M ⊆ T
genau n + 1 Elemente und ist m1 ∈ M, so hat M \ {m1} genau n Elemente und laut
Induktionsvoraussetzung ein Maximum m2 ∈ M \ {m1}. Da 〈T,≤〉 eine Totalordnung
ist, gilt m1 ≤ m2 oder m1 ≥ m2. Im ersten Fall ist dann m2 das Maximum von M und
im zweiten ist m1 das Maximum von M.
❑
Eine immer wieder verwendete Tatsache ist im folgenden Lemma vermerkt.
2.3.15 Lemma. Sei M ⊆ N nicht endlich. Dann gibt es eine streng monoton wachsende
Bijektion φ von N auf M. Fur eine solche gilt immer φ(n) ≥ n.
Beweis. Sei g : M → M definiert durch g(s) = min{m ∈ M : m > s}, und sei
a = min M. Man beachte, dass g(s) fur alle s ∈ M definiert ist, da {m ∈ M : m > s}voraussetzungsgemaß niemals leer ist.
Nach dem Rekursionssatz gibt es eine eindeutige Abbildung φ : N→ M mit φ(1) =
a = min M und so, dass φ(n + 1) = g(φ(n)) = min{m ∈ M : m > φ(n)}.Offensichtlich gilt φ(n+ 1) > φ(n). Daraus folgt durch vollstandige Induktion, dass
φ(l) > φ(n), wenn l > n. Also ist φ streng monoton wachsend und somit auch injektiv.
Durch vollstandige Induktion zeigt man auch leicht, dass φ(n) ≥ n fur alle n ∈ N.
Ware ein m1 ∈ M nicht im Bild von φ, so ist klarerweise m1 > min M = φ(1).
Angenommen m1 > φ(n). Dann ist m1 ∈ {m ∈ M : m > φ(n)} und wegen m1 ,
φ(n + 1) = min{m ∈ M : m > φ(n)} muss m1 > φ(n + 1).
Es folgt φ(n) < m1 fur alle n ∈ N, was aber φ(m1) ≥ m1 widerspricht.
❑
2.4 Der Ring der ganzen Zahlen
Im Bereich der naturlichen Zahlen haben wir zuletzt Operationen + und · definiert. Ist
m < n, so haben wir auch n−m ∈ N definiert. Wir wollen nun aus den naturlichen Zah-
len die ganzen Zahlen Z konstruieren, und die Operationen + und · auf Z so fortsetzen,
dass wir einen Ring 〈Z,+, ·〉 erhalten. Die Menge Z zu definieren, ist kein Problem.
2.4.1 Definition. Seien N1 und N2 zwei disjunkte Kopien der naturliche Zahlen, und
sei 0 ein Element, das in keiner dieser Mengen enthalten ist7. Wir definieren
Z := N1∪{0}∪N2.
7Man kann z.B. fur N j einfach die Menge N × { j} hernehmen, und fur 0 das Element (1, 3)
2.4. DER RING DER GANZEN ZAHLEN 29
Ist ϕ : N1 → N2 eine bijektive Abbildung wie in Korollar 2.3.5, so definieren wir eine
Abbildung − : Z→ Z
−n =
ϕ(n) , falls n ∈ N1
0 , falls n = 0
ϕ−1(n) , falls n ∈ N2
Schreiben wir nun N fur N1, so gilt
Z = −N∪{0}∪N.
Man erkennt unschwer, dass − eine Bijektion ist, die mit sich selber zusammengesetzt
die Identitat ergibt, also eine Involution ist.
Nun definieren wir die Operationen auf Z in der Art und Weise, wie wir sie der
Anschauung nach erwarten.
2.4.2 Definition. Fur n ∈ N setzen wir sgn(n) := 1, sgn(−n) := −1, sgn(0) = 0 sowie
|n| := n, | − n| := n und |0| := 0. Weiters sei + : Z × Z→ Z definiert durch
p + q :=
p + q , p, q ∈ N−(|p| + |q|) , −p,−q ∈ N
p − |q| , p,−q ∈ N, p > −q
−(|q| − p) , p,−q ∈ N, p < −q
−(|p| − q) , −p, q ∈ N, − p > q
q − |p| , −p, q ∈ N, − p < q
0 , q = −p
p , q = 0
q , p = 0
,
und · : Z × Z→ Z durch
p · q :=
|p| · |q| , q, p , 0, sgn(q) = sgn(p)
−(|p| · |q|) , q, p , 0, sgn(q) = − sgn(p)
0 , q = 0 ∨ p = 0
.
Sind p, q ∈ Z, so schreibt man wie schon zuvor fur p + (−q) meist p − q.
2.4.3 Satz. 〈Z,+, ·〉 ist ein kommutativer Integritatsring mit Einselement. Es gilt also:
� Die Addition ist kommutativ und assoziativ, 0 ist ein bzgl. + neutrales Element
und −p ist das zu p ∈ Z bzgl. + inverse Element. Also gelten (a1)-(a4) von
Definition 2.1.1.
� Die Multiplikation ist kommutativ und assoziativ, und 1 ist ein bzgl. · neutrales
Element. Also gelten (m1),(m2),(m4) von Definition 2.1.1.
� Es gilt das Distributivgesetz.
� Aus p , 0 ∧ q , 0 folgt pq , 0 (Integritatseigenschaft).
Beweis. Seien p, q ∈ Z. Zunachst folgen p+ q = q+ p und p · q = q · p unmittelbar aus
der Definition und eben der Tatsache, dass diese Operationen auf N kommutativ sind.
30 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Ebenfalls unmittelbar aus der Definition sieht man, dass p + 0 = p und p · 1 = p.
Also ist 0 ein bezuglich + und 1 ein bezuglich · neutrales Element. Genauso elementar
verifiziert man p + (−p) = 0 und p · q , 0, wenn p und q beide , 0.
Es bleibt die Assoziativitat und das Distributivgesetz nachzuprufen. Das ist in
der Tat muhsam und durch zahlreiche Fallunterscheidungen zu bewerkstelligen. Wir
wollen daher nur r + (q + p) = (r + q) + p im exemplarischen Fall r, q ∈ N, − p ∈ Nbetrachten:
Ist |p| > r + q, so folgt (r + q) + p = −(|p| − (r + q)), und nach (2.3) ist dieser
Ausdruck gleich −((|p| − q) − r). Wegen |p| − q > r und |p| > q folgt definitionsgemaß
−((|p| − q) − r) = r + (−(|p| − q)) = r + (p + q).
Im Falle |p| = r + q gilt einerseits (r + q) + p = 0 und andererseits wegen |p| > q
und |p| − q = r (siehe (2.2)), dass r + (q + p) = r + (−(|p| − q)) = 0.
Sei nun |p| < r + q. Dann folgt (r + q) + p = (r + q) − |p| =: k ∈ N. Also ist k jene
Zahl, sodass |p| + k = r + q.
Ist q > |p|, so gilt andererseits r + (q + p) = r + (q − |p|), und wegen der bekannten
Rechenregeln auf N, |p| + (r + (q − |p|)) = r + q, also k = r + (q + p).
Wenn q = |p|, so folgt r+(q+p) = r, und ebenfalls |p|+r = r+q, d. h. k = r+(q+p).
Ist schließlich q < |p|, so folgt r + (q + p) = r + (−(|p| − q)). Da |p| < r + q folgt
r > |p| − q, und somit r + (−(|p| − q)) = r − (|p| − q) =: l ∈ N. Das ist also jene Zahl,
sodass (|p| − q) + l = r. Addiert man hier q und verwendet die Assoziativitat von + auf
N, so folgt |p| + l = r + q, also l = k.
❑
2.4.4 Bemerkung. In Integritatsringen gilt die Kurzungsregel:
m , 0, xm = ym⇒ y = x ,
denn aus xm − ym = (x − y)m = 0 folgt ja x − y = 0.
Wir benotigen noch eine Totalordnung auf Z, welche ≤ auf N erweitert.
2.4.5 Definition. Wir definieren fur p, q ∈ Z
q < p⇔ p − q ∈ N und q ≤ p⇔ q < p ∨ q = p. (2.5)
Man sieht leicht ein, dass mit ≤ eine Totalordnung auf Z definiert ist, die ≤ auf Nerweitert, und die mit den Operationen + und · vertraglich ist.
2.4.6 Bemerkung. Wenn man sich an die Definition eines angeordneten Korpers in
Definition 2.2.1 erinnert, so haben wir die Existenz einer Teilmenge P ⊆ K verlangt,
die (p1) - (p3) erfullt. Genau diese Situation haben wir hier mit P = N, nur, dass Z kein
Korper, sondern ein Ring ist.
Die von uns definierte Totalordnung ≤ auf Z erfullt nun auch alle Eigenschaften,
die fur die entsprechende Totalordnung auf einem angeordneten Korper gelten (vgl.
Lemma 2.2.2). Ausgenommen sind nur die Eigenschaften, die sich auf die multiplikativ
Inverse beziehen.
Die ganzen Zahlen sind eindeutig in dem Sinn, dass wenn Z neben Z eine weite-
re Menge versehen mit einer Involution − : Z → Z, mit Operationen +, · und einer
2.4. DER RING DER GANZEN ZAHLEN 31
Relation ≤ ist, sodass Z eine Kopie N der naturlichen Zahlen enthalt, Z geschrieben
werden kann als die disjunkte Vereinigung von −N, {0} und N, die Operationen + und ·wie in Definition 2.4.2 durch die entsprechenden Operationen auf N (siehe Bemerkung
2.3.9) definiert sind, und sodass ≤ wie in (2.5) definiert ist, es eine eindeutige Bijektion
φ : Z→ Z gibt, sodass
φ(−p) = −φ(p), φ(1) = 1, φ(n + 1) = φ(n)+1, p ∈ Z, n ∈ N .
Um das zu zeige, setzt man einfach die Bijektion ϕ aus Korollar 2.3.5 zu einer
Bijektion φ von Z auf Z gemaß der Forderung φ(−p) = −φ(p) fort. Die erhaltene
Bijektion Z→ Z ist mit +, ·,− und ≤ vertraglich. Siehe dazu auch Bemerkung 2.3.9.
Wir haben im Abschnitt uber die naturlichen Zahlen fur eine Zahl x aus einem
Korper ihre Potenzen xn, n ∈ N definiert (siehe Bemerkung 2.3.4). Das wollen wir auf
Z ausdehnen.
2.4.7 Definition. Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper. Fur eine ganze Zahl p und eine Zahl x ∈K, x , 0 definieren wir
xp =
xp , falls p ∈ N1 , falls p = 01
x−p , falls −p ∈ N.
Fur x ∈ K \ {0}, p, q ∈ Z gelten die aus der Schule bekannten Rechenregeln:
xp xq = xp+q, (xp)q = xpq, x−p =1
xp. (2.6)
Den Beweis fur diese Rechenregeln fuhrt man mittels vollstandige Induktion fur
p, q ∈ N, und dann durch Fallunterscheidung fur den allgemeinen Fall p, q ∈ Z.
2.4.8 Lemma. Ist 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper, so gilt fur n ∈ N und x, y ≥ 0
x < y⇔ xn < yn ,
und fur x, y > 0
x < y⇔ x−n > y−n .
Beweis. Zunachst zeigt man leicht durch vollstandige Induktion und mit Hilfe von
(p3), dass aus 0 < t immer 0 < tn folgt.
Ist x < y, so folgt im Falle x = 0 daher xn = 0 < yn. Ist 0 < x < y, so zeigt man
xn < yn durch vollstandige Induktion:
Fur n = 1 ist xn < yn offensichtlich. Gilt xn < yn, so folgt aus Lemma 2.2.2 und der
rekursiven Definition von xn (siehe Bemerkung 2.3.4)
xn+1 = xn · x < yn · x < yn · y = yn+1 .
Ist umgekehrt xn < yn, so muss x < y, da sonst y ≤ x, und aus dem eben bewiesenem
yn ≤ xn folgte.
Die letzte Behauptung folgt sofort aus x < y⇔ x−1 > y−1 fur alle x, y > 0.
❑
Also ist x 7→ xn eine streng monoton wachsende Funktion und somit injektive
Funktion von P ∪ {0} nach P ∪ {0}. Wir werden spater sehen, dass diese Funktionen in
vollstandig angeordneten Korpern auch surjektiv sind.
Fur p ∈ Z, p < 0 ist x 7→ xp eine streng monoton fallende Funktion und somit eine
injektive Funktion von P nach P.
32 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.5 Eine alternative Konstruktion von Z*
Wir wollen in diesem Abschnitt einen alternativen Zugang zu den ganzen Zahlen vor-
stellen. Der Vorteil dieser vordergrundig aufwendigeren Methode ist, dass die Beweise
der Rechengesetze struktureller und kurzer sind.
2.5.1 Definition. Sei ∼⊆ (N × N)2 die Relation
(x, n) ∼ (y,m) :⇐⇒ x + m = y + n .
2.5.2 Lemma. Die Relation ∼ ist eine Aquivalenzrelation.
Beweis. Die Reflexivitat und Symmetrie ist klar. Um zu zeigen, dass ∼ transitiv ist,
seien (x, n) ∼ (y,m) und (y,m) ∼ (z, k) gegeben. Dann gilt x+m = y+n und y+k = z+m.
Es folgt
(x + k) + m = (x + m) + k = (y + n) + k = (y + k) + n = (z + m) + n = (z + n) + m ,
und wegen der Kurzungsregel in N daher x + k = z + n; also (x, n) ∼ (z, k).
❑
2.5.3 Definition. Wir bezeichnen mit Z die Faktormenge (N × N)/∼.
Auf Z definieren wir algebraische Operationen + und · . Die Vorgangsweise dazu
ist, zunachst Addition und Multiplikation auf N × N zu definieren, und diese dann auf
Z zu ubertragen.
+ :
{(N × N)2 → N × N
((x, n), (y,m)) 7→ (x + y, n + m)
· :{
(N × N)2 → N × N((x, n), (y,m)) 7→ (xy + nm, xm + ny)
2.5.4 Lemma. Die Operationen + und · auf N × N sind kommutativ, assoziativ und es
gilt das Distributivgesetz.
Beweis. Seien (x, n), (y,m) ∈ N × N. Dann ist
(x, n) + (y,m) = (x + y, n + m) = (y + x,m + n) = (y,m) + (x, n) ,
(x, n) · (y,m) = (xy + nm, xm + ny) = (yx + mn, yn + mx) = (y,m) · (x, n) .
Sei zusatzlich (z, k) ∈ N × N. Dann gilt
((x, n) + (y,m)
)+ (z, k) = (x + y, n + m) + (z, k) =
((x + y) + z, (n + m) + k
)=
=(x + (y + z), n + (m + k)
)= (x, n) +
((y,m) + (z, k)
).
Die Gultigkeit der Assoziativitat der Multiplikation sowie des Distributivgesetzes
rechnet man ahnlich, aber deutlich muhsamer, nach.
❑
Um diese Operationen auf Z ubertragen zu konnen, benotigen wir die Vertraglich-
keit mit der Relation ∼.
2.5.5 Lemma. Sind (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) ∼ (y, m), so folgt, dass auch
(x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y, m), (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) .
2.5. EINE ALTERNATIVE KONSTRUKTION VON Z* 33
Beweis. Seien (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) ∼ (y, m) gegeben. Dann gilt
(x + y) + (n + m) = (x + n) + (y + m) = (x + n) + (y + m) = (x + y) + (n + m) ,
und wir sehen, dass (x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y, m).
Um die Aussage fur · zu zeigen, betrachten wir zuerst (x, n) ∼ (x, n) und ein (y,m).
Dann gilt
(xy + nm) + (xm + ny) = (x + n)y + (x + n)m =
= (x + n)y + (x + n)m = (xy + nm) + (xm + ny) ,
und wir erhalten (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y,m). Wegen der Kommutativitat von · folgt
auch, dass fur (x, n) und (y,m) ∼ (y, m) stets (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) gilt. Die
Aussage fur · folgt nun aus der Transitivitat von ∼ angewandt auf
(x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) .
❑
2.5.6 Definition. Auf Z seien zwei algebraische Operationen + und · definiert,
indem wir fur a, b ∈ Z Paare (x, n), (y,m) ∈ N × N so wahlen, dass [(x, n)]∼ = a und
[(y,m)]∼ = b, und dann
a + b :=[(x, n) + (y,m)
]∼, a · b :=
[(x, n) · (y,m)
]∼
setzen.
Dass durch diese Vorschrift tatsachlich zwei Funktionen wohldefiniert sind, ver-
danken wir gerade der Vertraglichkeitsaussage in Lemma 2.5.5.
Im nachsten Schritt definieren wir die Relation ≤ auf Z. Dazu sei
(x, n) ≤ (y,m) :⇐⇒ x + m ≤ y + n, (x, n), (y,m) ∈ N × N .
2.5.7 Lemma. Die Relation ≤ auf N × N ist reflexiv, transitiv und total, dh. (x, n) ≤(y,m) ∨ (y,m) ≤ (x, n) fur alle (x, n), (y,m) ∈ N × N. Zudem gilt
(x, n) ≤ (y,m) und (y,m) ≤ (x, n) ⇐⇒ (x, n) ∼ (y,m). (2.7)
Außerdem folgt aus (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) ∼ (y, m), dass
(x, n) ≤ (y,m) ⇐⇒ (x, n) ≤ (y, m) .
Beweis. Die Reflexivitat folgt unmittelbar aus der Definition. Sei (x, n) ≤ (y,m) und
(y,m) ≤ (z, k). Dann gilt x + m ≤ y + n und y + k ≤ z + m, und wir erhalten
(x + k) + m = (x + m) + k ≤ (y + n) + k = (y + k) + n ≤ (z + m) + n = (z + n) + m .
Daraus folgt nun x + k ≤ z + n, d.h. (x, n) ≤ (z, k). Die Totalitat folgt aus der Tatsache,
dass ≤ eine Totalordnung auf N ist.
Da (x, n) ≤ (y,m) und (y,m) ≤ (x, n) mit x + m = y + n gleichbedeutend ist, folgt
(2.7). Die letzte Aussage folgt unmittelbar aus (2.7) und der Transitivitat von ≤ auf
N × N.
❑
Wegen der letzte Aussage von Lemma 2.5.7, ist folgende Definition unabhangig
von den Reprasentanten der Restklassen a bzw. b. Wir erhalten damit eine Totalord-
nung auf Z.
34 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.5.8 Definition. Seien a, b ∈ Z, a = [(x, n)]∼, b = [(y,m)]∼. Dann schreiben wir a ≤ b,
falls (x, n) ≤ (y,m).
2.5.9 Satz. Die Addition und Multiplikation auf Z sind kommutativ, assoziativ und
es gilt das Distributivgesetz. Das Element 0 := [(1, 1)]∼ bzw. 1 := [(2, 1)]∼ ist neu-
trales Element bezuglich + bzw. ·. Jedes Element besitzt ein additiv Inverses Element.
Fur · gilt die Kurzungsregel, d.h. ist a, b, c ∈ Z, c , 0, und gilt a ·c = b ·c, so folgt a = b.
Die Relation ≤ ist eine Totalordnung. Fur alle a, b, c ∈ Z, a ≤ b, gilt auch
a + c ≤ b + c und, falls c ≥ 0, auch a · c ≤ b · c. Umgekehrt, ist c > 0 und a · c ≤ b · c,
so folgt a ≤ b.
Die naturlichen Zahlen N sind in Z injektiv eingebettet vermoge der Abbildung
φ :
{N → Zx 7→ [(x + 1, 1)]∼
Diese Einbettung erhalt Addition, Multiplikation und Ordnung.
Beweis. Die Gultigkeit von Assoziativitat, Kommutativitat sowie Distributivitat folgt
wegen Lemma 2.5.4.
Sei a = [(x, n)]∼ ∈ Z. Dann gilt
a + 0 = [(x, n)]∼ + [(1, 1)]∼ = [(x + 1, n + 1)]∼ = [(x, n)]∼ = a ,
sowie
a · 1 = [(x, n)]∼ · [(2, 1)]∼ = [(2x + n, x + 2n)]∼ = [(x, n)]∼ = a ,
also ist 0 neutrales Element der Addition und 1 neutrales Element der Multiplikation.
Setze a := [(n, x)]∼, dann gilt
a + a = [(x, n)]∼ + [(n, x)]∼ = [(x + n, n + x)]∼ = [(1, 1)]∼ = 0 ,
also hat a ein additives Inverses, namlich a.
Wegen Lemma 2.5.7 ist ≤ auf Z eine Totalordnung. Seien a, b, c ∈ Z, a =
[(x, n)]∼, b = [(y,m)]∼, c = [(z, k)]∼. Dann gilt
a + c ≤ b + c ⇐⇒ (x + z, n + k) ≤ (y + z,m + k) ⇐⇒ x + z + m + k ≤ y + z + n + k
⇐⇒ x + m ≤ y + n ⇐⇒ a ≤ b .
Sei nun angenommen, dass a < b, d.h. dass x + m < y + n, und dass c ≥ 0, d.h. z ≥ k.
Dann gibt es t ∈ N mit y + n = (x + m) + t. Wegen z ≥ k folgt tz ≥ tk und daher auch
(y + n)z = (x + m)z + tz ≥ (x + m)z + tk und schließlich
(x + m)k + (y + n)z ≥ (x + m)z + tk + (x + m)k = (x + m)z + (y + n)k .
Also haben wir (xk + nz) + (yz + mk) ≥ (xz + nk) + (yk + mz), und das heißt gerade
a · c ≤ b · c.
Sei umgekehrt a · c ≤ b · c, d.h. nach obiger Rechnung (x + m)k + (y + n)z ≥(x+m)z+(y+n)k, und c > 0, d.h. z > k. Angenommen es ware a > b, d.h. x+m > y+n.
Dann gibt es t ∈ N mit (y + n) + t = x + m. Damit erhalten wir
tk + (y + n)(k + z) ≥ tz + (y + n)(z + k)
2.5. EINE ALTERNATIVE KONSTRUKTION VON Z* 35
und daraus tk ≥ tz und schließlich den Widerspruch k ≥ z. Also muss a ≤ b gelten. Die
Kurzungsregel fur · folgt aus der gerade bewiesenen Kurzungsregel fur ≤.
Die Injektivitat der Abbildung φ gilt, da (x + 1, 1) ∼ (y + 1, 1) gerade x + 2 = y + 2
bedeutet, und damit x = y folgt. Außerdem gilt
φ(x) + φ(y) = [((x + 1) + (y + 1), 1 + 1)]∼ = [((x + y) + 1, 1)]∼ = φ(x + y) ,
φ(x) · φ(y) =[((x + 1)(y + 1) + 1, (x + 1) + (y + 1))
]∼ =[
(xy + x + y + 1 + 1, x + y + 1 + 1)]∼ = [(xy + 1, 1)]∼ = φ(xy) ,
φ(x) ≤ φ(y) ⇐⇒ (x + 1) + 1 ≤ (y + 1) + 1 ⇐⇒ x ≤ y .
❑
Folgendes Resultat liefert insbesondere, dass die hier konstruierten ganzen Zahlen
eine Kopie der eingangs konstruierten ganzen Zahlen sind.
2.5.10 Proposition. Versteht man die naturlichen Zahlen via φ eingebettet in Z wie in
Satz 2.5.9, so gilt
Z = −N∪{0}∪N,
wobei diese drei Mengen disjunkt sind. Dabei gilt p ∈ N ⇔ p > 0 und p ∈ −N ⇔ p <
0.
Definieren wir sgn(x) = 0, wenn x = 0, sgn(x) = 1, wenn x ∈ N, und sgn(x) = −1,
wenn x ∈ −N, und setzen |p| = sgn(p)p, so gilt fur p, q ∈ Z
p + q =
p + q , p, q ∈ N−(|p| + |q|) , −p,−q ∈ N
p − |q| , p,−q ∈ N, p > −q
−(|q| − p) , p,−q ∈ N, p < −q
−(|p| − q) , −p, q ∈ N, − p > q
q − |p| , −p, q ∈ N, − p < q
0 , q = −p
p , q = 0
q , p = 0
,
und
p · q =
|p| · |q| , q, p , 0, sgn(q) = sgn(p)
−(|p| · |q|) , q, p , 0, sgn(p) = − sgn(p)
0 , q = 0 ∨ p = 0
.
Schließlich gilt p < q⇔ q − p ∈ N und p ≤ q⇔ (p = q ∨ p < q).
Beweis. Ist [(x, n)]∼ ∈ Z, [(x, n)]∼ > 0 = [(1, 1)]∼, so gilt x + 1 > n + 1. Damit ist
x − n ∈ N, und wegen (x − n + 1, 1) ∼ (x, n) folgt φ(x − n) = [(x, n)]∼. Umgekehrt ist
fur y ∈ N φ(y) = [(y + 1, 1)]∼ > [(1, 1)]∼ = 0.
Ist [(x, n)]∼ ∈ Z, [(x, n)]∼ < 0 = [(1, 1)]∼, so folgt aus den Rechenregeln von
Satz 2.5.9 0 > −[(x, n)]∼ = [(n, x)]∼. Aus dem schon Bewiesenen folgt −[(x, n)]∼ =−φ(n−x), wobei n−x ∈ N. Umgekehrt ist fur y ∈ N −φ(y) = [(1, y+1)]∼ < [(1, 1)]∼ = 0.
Also kann man N mit {p ∈ Z : p > 0} und −N mit {p ∈ Z : p < 0} identifizieren.
Z = −N∪{0}∪N,
36 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
folgt nun aus der Tatsache, dass ≤ eine Totalordnung ist.
Die restlichen Aussagen folgen aus der Definition von |.|, sgn(.) und der Tatsache,
dass p < q⇔ 0 < q − p, siehe Satz 2.5.9.
❑
2.6 Dividieren mit Rest*
Ausgerustet mit unserem Grundwissen uber die naturlichen und die ganzen Zahlen
konnen wir nun in diesem Kapitel das aus der Schule bekannte Dividieren mit Rest
mathematisch rechtfertigen.
2.6.1 Satz. Sind m ∈ N, n ∈ Z, so gibt es eindeutige Zahlen l ∈ Z und r ∈ {0, . . . ,m −1}8, sodass n = ml + r. Dabei ist n ≥ 0 genau dann, wenn l ≥ 0.
Beweis. Sei zunachst n ∈ N∪{0} beliebig. Da die Menge aller l ∈ N∪{0}mit m·l+m > n
nicht leer ist (n ist sicher in dieser Menge), hat sie ein Minimum (Variante von Satz
2.3.10). Ist l = 0, so muss n ∈ {0, . . . ,m − 1}, und ist l > 0, so folgt wegen der
Minimalitat ml = m(l − 1) + m ≤ n < ml + m. Also muss immer n = ml + r fur ein
l ∈ N ∪ {0} und ein r ∈ {0, . . . ,m − 1}.Ist nun auch n = ml+ r fur l ∈ N∪{0} und r ∈ {0, . . . ,m−1}, so folgt ml+m > n und
wegen der Minimalitatseigenschaft von l auch l ≥ l. Andererseits gilt ml ≤ n, weshalb
nicht l > l sein kann, da sonst n ≥ ml = ml + m(l − l) ≥ ml + m ware. Somit gibt es
eindeutige l ∈ N ∪ {0} und r ∈ {0, . . . ,m − 1}, sodass n = ml + r.
Fur n < 0 ist −n − 1 ≥ 0. Somit gibt es eindeutige s ∈ N ∪ {0}, t ∈ {0, . . . ,m − 1},sodass −n−1 = sm+ t = (s+1)m+ (t−m), und daher sodass −n = (s+1)m+ (t−m+1),
bzw. n = −(s+ 1)m+ (−t+m− 1). Setzen wir l = −(s+ 1) und r = −t+m− 1, so sehen
wir, dass n = ml + r fur ein eindeutiges l < 0 und ein eindeutiges r ∈ {0, . . . ,m − 1}.❑
2.6.2 Bemerkung. Die geraden (ungeraden) Zahlen sind genau alle ganzen Zahlen der
Form 2k (2k + 1) fur ein k ∈ Z. Aus Satz 2.6.1 folgt insbesondere, dass jede gegebene
ganze Zahl gerade oder ungerade ist, wobei aus der Eindeutigkeitsaussage in Satz 2.6.1
folgt, dass sie nicht gleichzeitig gerade und ungerade sein kann. Also gilt Z = 2Z∪(2Z+1). Entsprechendes gilt, wenn man 2 durch eine andere naturliche Zahl m ersetzt, wobei
dann
Z = mZ∪(mZ + 1)∪ . . . ∪(mZ + m − 1).
2.6.3 Definition. Eine Zahl q ∈ N teilt eine Zahl p ∈ N, falls es ein m ∈ N gibt, sodass
mq = p. Wir schreiben q|p dafur. Teilt q die Zahl p nicht, so schreiben wir q ∤ p.
Außerdem setzen wir p : q := m9.
Eine Zahl p ∈ N \ {1} heißt Primzahl, wenn p nur von 1 und p geteilt wird. Die
Menge aller Primzahlen sei P.
2.6.4 Fakta.
Falls q|p, so folgt aus mq = p und 1 ≤ m, dass q ≤ p, wobei q = p genau dann,
wenn m = 1.
8{0, . . . ,m − 1} steht fur {k ∈ N ∪ {0} : 0 ≤ k < m}9Da wir in Z kurzen durfen, ist p : q eindeutig definiert.
2.6. DIVIDIEREN MIT REST* 37
Um zu sehen, ob eine Zahl p eine Primzahl ist, genugt es somit zu uberprufen,
dass q ∤ p fur alle q ∈ N, 1 < q < p.
Man sieht sofort, dass 2, 3, 5, . . . Primzahlen sind.
Ist n ∈ N \ {1} und M = {r ∈ N \ {1} : r|n}, so ist M nicht leer, da zumindest
n ∈ M. Gilt M = {n}, so ist n definitionsgemaß eine Primzahl. Anderenfalls sei
m das kleinste Element von M und k so, dass km = n. Nun ist m eine Primzahl,
da sonst m = pq mit 1 < p, q < m, und weiter p(qk) = n. Es ware p ∈ M im
Widerspruch zur Minimalitat von m.
Insbesondere wird jede Zahl in N \ {1} von einer Primzahl geteilt.
2.6.5 Lemma. Seien a, b ∈ N und p ∈ P. Gilt p|(ab), so folgt p|a ∨ p|b.
Beweis. Sei T ⊆ P die Menge aller Primzahlen, sodass die Aussage fur gewisse a, b ∈N falsch ist. Wir bringen die Annahme T , ∅ auf einen Widerspruch.
Sei also T , ∅ und p die kleinste Zahl in T (siehe Satz 2.3.10). Somit gibt es
a, b ∈ N mit p ∤ a ∧ p ∤ b, aber p|(ab), bzw. pn = ab fur ein n ∈ N. Daher ist
S = {n ∈ N : ∃a, b ∈ N : p ∤ a ∧ p ∤ b ∧ pn = ab},
die Menge aller solchen n nicht leer. Somit hat auch diese Menge ein Minimum s.
Seien c, d ∈ N, sodass p ∤ c, p ∤ d und ps = cd. Aus den ersten beiden Tatsachen folgt
c, d , p, c, d , 1, und daraus zusammen mit der Tatsache, dass p eine Primzahl ist,
folgt s > 1.
Nun muss c < p sein, da sonst c − p ∈ N und damit p(s − d) = (c − p)d, was
s − d ∈ N implizieren und somit der Minimalitat von s widersprechen wurde. Genauso
gilt d < p.
Daraus schließen wir wegen ps = cd auf s < p. Gemaß Fakta 2.6.4 gibt es eine
Primzahl p′ ≤ s < p, sodass p′|s, d.h. s = p′s′ fur ein s′ ∈ N, s′ < s. Somit folgt
p′(ps′) = cd, also p′|(cd). Wegen der Minimalitat von p muss p′|c oder p′|d. O.B.d.A.
sei c = c′p′, c′ ∈ N, womit
p′(ps′) = p′(c′d) und daraus ps′ = c′d
folgt. Nun widerspricht das aber ebenfalls der Minimalitat von s.
❑
2.6.6 Satz. Ist n ∈ N \ {1}, so gibt es eindeutige Primzahlen p1, . . . , pm ∈ P und
Exponenten e1, . . . , em ∈ N, sodass
n = pe1
1· . . . pem
m . (2.8)
Diese Zerlegung heißt Primfaktorzerlegung.
Beweis. Wir zeigen zuerst die Existenz einer solche Zerlegung. Fur n = 2 ist diese klar.
Angenommen fur ein n > 2 gibt es zu allen k < n, k ≥ 2 eine solche Zerlegung.
Nach Fakta 2.6.4 gibt es eine Primzahl p ≤ n mit p|n. Ist n = p, so haben wir unsere
Zerlegung. Ist p < n, so folgt n = (n : p)p, wobei nach Voraussetzung n : p (< n) eine
solche Zerlegung hat. Somit hat auch n eine solche Zerlegung. Nach einer Variante
des Prinzips der vollstandigen Induktion gibt es eine Primfaktorzerlegung fur alle n ∈N \ {1}.
38 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Die Eindeutigkeit ist fur n = 2 wieder klar, da alle Produkte der Form (2.8) einen
Wert > 2 ergeben, außer fur m = 1 und e1 = 1, p1 = 2.
Angenommen mit einem n > 2 ist die Primfaktorzerlegung eindeutig fur alle k <
n, k ≥ 2, und angenommen
qf11· . . .q fl
l= n = p
e1
1· . . . pem
m ,
mit l,m ∈ N und e1, . . . , em, f1, . . . , fl ∈ N sowie p1, . . . , pm, q1, . . . , ql ∈ P. Insbe-
sondere gilt q1|pe1
1· . . . p
emm . Nach Lemma 2.6.5 muss q1|p j und daher q1 = p j fur ein
j ∈ {1, . . . ,m}. Durch Umnummerierung konnen wir q1 = p1 annehmen. Es folgt
qf1−1
1· . . .q fl
l= n : q1 = p
e1−1
1· . . . pem
m .
Ist n : q1 = 1, so muss n = p1 = q1 und l = 1 = m, e1 = 1 = f1. Sonst folgt wegen
1 < n : q1 < n aus unserer Annahme, dass auch l = m und e j = f j sowie p j = q j,
j = 1, . . . , l.
❑
2.7 Der Korper Q
Oben haben wir den kommutativen Integritatsring 〈Z,+, ·〉 konstruiert. Diesen werden
wir nun zu einem angeordneten Korper, dem Korper der rationalen Zahlen erweitern,
und damit sehen, dass es zumindest einen angeordneten Korper gibt.
Der Grundgedanke der folgenden Konstruktion entspringt der Tatsache, dass in
einem Korperp1
q1=
p2
q2genau dann gilt, wenn p1q2 = p2q1.
2.7.1 Definition. Sei ∼⊆ (Z × N)2 die Relation
(x, n) ∼ (y,m) :⇐⇒ xm = yn .
2.7.2 Lemma. Die Relation ∼ ist eine Aquivalenzrelation.
Beweis. Die Reflexivitat und Symmetrie sind offensichtlich. Sei nun (x, n) ∼ (y,m) und
(y,m) ∼ (z, k) dann gilt also xm = yn und yk = zm. Es folgt
(xk)m = (xm)k = (yn)k = (yk)n = (zm)n = (zn)m ,
und da 〈Z,+, ·〉 ein Integritatsring ist, gilt die Kurzungsregel, und wir erhalten xk = zn,
d.h. (x, n) ∼ (z, k).
❑
2.7.3 Definition. Wir bezeichnen mit Q die Menge (Z×N)/∼ aller Aquivalenzklassen.
Q heißt der Korper der rationalen Zahlen.
Um auf Q die algebraischen Operationen + und · zu definieren, definieren wir
zunachst Addition und Multiplikation auf Z × N, und ubertragen diese dann durch
Faktorisieren auf Q.
+ :
{(Z × N)2 → Z × N
((x, n), (y,m)) 7→ (xm + yn, nm)
2.7. DER KORPER Q 39
· :{
(Z × N)2 → Z × N((x, n), (y,m)) 7→ (xy, nm)
Die Motivation fur unsere Definition ergibt sich aus den Regeln der Bruchrechnung.
x
n+
y
m=
xm
nm+
yn
mn=
xm + yn
nm,
x
n· y
m=
xy
nm.
2.7.4 Lemma. Fur die Verknupfungen +, · gilt das Kommutativ- und das Assoziativge-
setz.
Beweis. Die Gesetze gelten, da man sie leicht auf die Gultigkeit dieser Gesetze auf Zzuruckfuhrt. Zum Beispiel gilt das Assoziativgesetz wegen
((x, n) + (y,m)) + (z, k) = (xm + yn, nm) + (z, k) = ((xm + yn)k + z(nm), (nm)k) =
(x(mk) + (yk + zm)n, n(mk)) = (x, n) + ((y,m) + (z, k)).
❑
Um Q anordnen zu konnen, definieren wir noch
sgn :
{(Z × N) → Z
(x, n) 7→ sgn(x).
2.7.5 Lemma. Sind (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) ∼ (y, m), so folgt sgn((x, n)) = sgn((x, n))
und
(x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y, m), (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) .
Beweis. Seien (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) gegeben. Zunachst folgt aus xn = xn und
n, n ∈ N, dass sgn((x, n)) = sgn(x) = sgn(x) = sgn((x, n)). Weiters gilt
(xm + yn)nm = xmnm + ynnm =
= (xn − xn)︸ ︷︷ ︸=0
mm + xnmm + ynnm = (xm + yn)nm ,
also (x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y,m). Wegen der Kommutativitat folgt daraus mit ver-
tauschter Notation, dass fur (x, n) und (y,m) ∼ (y, m) stets auch (x, n) + (y,m) ∼(x, n) + (y, m). Wegen der Transitivitat folgt
(x, n) + (y,m) ∼ (x, n) + (y, m) .
Bei der Multiplikation geht man analog vor. Seien (x, n) ∼ (x, n) und (y,m) gegeben.
Dann gilt
xynm = (xn − xn)︸ ︷︷ ︸=0
ym + xnym = xynm ,
also (x, n) ·(y,m) ∼ (x, n) ·(y,m). Wegen der Kommutativitat folgt daraus mit vertausch-
ter Notation, dass fur (x, n) und (y,m) ∼ (y, m) stets auch (x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m).
Wegen der Transitivitat folgt schließlich
(x, n) · (y,m) ∼ (x, n) · (y, m) .
❑
40 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.7.6 Definition. Auf Q seien zwei algebraische Operationen + und · dadurch defi-
niert, dass wir fur a, b ∈ Q Paare (x, n), (y,m) ∈ Z×Nmit [(x, n)]∼ = a und [(y,m)]∼ = b
wahlen, und sgn(a) := sgn((x, n)) sowie
a + b :=[(x, n) + (y,m)
]∼ , a · b :=
[(x, n) · (y,m)
]∼
setzen.
Wegen Lemma 2.7.5 hangen sgn(a), a + b und a · b nicht von den gewahlten Re-
prasentanten (x, n) bzw. (y,m) ab.
2.7.7 Satz. Setzt man nun P = {a ∈ Q : sgn(a) = 1}, so ist 〈Q,+, ·, P〉 ist ein angeord-
neter Korper.
� Dabei ist [(0, 1)]∼ das neutrale Element bzgl. +,
� [(1, 1)]∼ das neutrale Element bezuglich ·.
� Zu [(x, n)]∼ ∈ Q ist [(−x, n)]∼ das additiv Inverse, und
� zu [(x, n)]∼ ∈ Q \ {0} ist [(sgn(x)n, |x|)]∼ das multiplikativ Inverse.
� Außerdem gilt
[(x, n)]∼ ≤ [(y,m)]∼ ⇔ xm ≤ ny. (2.9)
� Die ganzen Zahlen Z sind in Q eingebettet durch
φ :
{Z → Qx 7→ [(x, 1)]∼
Diese Einbettung erhalt Addition, Multiplikation und Ordnung.
� Schließlich hat Q die Eigenschaft, dass die Teilmenge φ(N) von Q keine obere
Schranke hat.
Beweis. Die Gultigkeit der Rechenregeln wie Kommutativitat und Assoziativitat ergibt
sich aus den entsprechenden Regeln fur + und · auf Z × N. Das Distributivgesetz gilt,
da fur [(x, n)]∼, [(y,m)]∼, [(z, k)]∼ ∈ Q
([(x, n)]∼ + [(y,m)]∼) · [(z, k)]∼ = [(xm + yn,mn)]∼ · [(z, k)]∼ = [((xm + yn)z, kmn)]∼ =
[(xzkm + yzkn, (km)(kn))]∼ = [(x, n)]∼ · [(z, k)]∼ + [(y,m)]∼ · [(z, k)]∼ .
Fur a = [(x, n)]∼ ∈ Q gilt
a + [(0, 1)]∼ = [(x + 0, n · 1)]∼ = a, a · [(1, 1)]∼ = [(x · 1, n · 1)]∼ = a .
Weiters hat man fur b := [(−x, n)]∼
a + b = [(xn − xn, nn)]∼ = [(0, nn)]∼ = [(0, 1)]∼ = 0 .
Sei nun a , 0, d.h. (x, n) / (0, 1) oder aquivalent x , 0. Mit c := [(sgn(x)n, |x|)]∼ folgt
ac = [(sgn(x)xn, n|x|)]∼ = [(1, 1)]∼.
2.7. DER KORPER Q 41
Wegen sgn([(−x, n)]∼) = sgn(−x) = − sgn([(x, n)]∼) und sgn([(x, n)]∼) = 0 ⇔ x =
0⇔ [(x, n)]∼ = [(0, 1)]∼ gilt fur a ∈ Q
a ∈ P ⇔ sgn(a) = 1
a ∈ {0} ⇔ sgn(a) = 0
a ∈ −P ⇔ sgn(a) = −1
Daraus folgt sofort
Q = P∪{0}∪ − P,
wobei das eine Vereinigung paarweiser disjunkter Mengen ist.
Aus sgn([(x, n)]∼+ [(y,m)]∼) = sgn(xm+yn) und sgn([(x, n)]∼ · [(y,m)]∼) = sgn(xy)
erhalten wir, dass a, b ∈ P die Tatsache a + b, a · b ∈ P nach sich zieht. Somit ist
〈Q,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper, und wir haben damit eine Totalordnung ≤ auf Q.
(2.9) folgt aus
[(y,m)]∼ − [(x, n)]∼ = [(yn − xm,mn)]∼ ∈ {0} ∪ P⇔ sgn(yn − xm) ≥ 0⇔ xm ≤ yn.
Betrachte nun die Abbildung φ : Z → Q. Diese ist injektiv, denn (x, 1) ∼ (y, 1) gilt
genau dann, wenn x = y. Dass φ die algebraischen Operationen erhalt, rechnet man
leicht nach. Die Vertraglichkeit mit der Ordnung gilt, da wegen (2.9)
x ≤ y⇔ x · 1 ≤ y · 1⇔ [(x, 1)]∼ ≤ [(y, 1)]∼ ⇔ φ(x) ≤ φ(y).
Angenommen [(x, n)]∼ ist eine obere Schranke von φ(N), also mn ≤ x fur alle
m ∈ N. Das ist aber offensichtlich falsch, wenn x ≤ 1 und man zum Beispiel m = 2
setzt. Ist x > 1, so erhalt man mit m = x2 den Widerspruch x ≤ xn ≤ 1.
❑
Wir werden im Folgenden fur die rationale Zahl [(x, n)]∼ stets das Symbol xn
schrei-
ben. Dieses Symbol druckt tatsachlich die Division von x durch n aus, denn man hat
[(x, 1)]∼ = [(x, n)]∼ · [(n, 1)]∼
Wir sehen insbesondere, dass jede rationale Zahl der Quotient von zwei ganzen Zahlen
ist.
Nun wollen wir zeigen, dass jeder angeordnete Korper die rationalen Zahlen, und
damit insbesondere auch die ganzen Zahlen, enthalt.
2.7.8 Proposition. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Dann gibt es eine eindeuti-
ge Abbildung φ : Q→ K, die nicht identisch gleich 0K ist, und welche mit der Addition
und Multiplikation vertraglich ist. Diese Abbildung ist dann injektiv und auch mit −sowie mit den Ordnungen < und ≤ vertraglich.
Beweis.
Fur n ∈ N und x ∈ K haben wir im Abschnitt uber die naturlichen Zahlen eine
Funktion n 7→ nx von N nach K rekursiv durch 1x = x und (n′)x = nx + x
definiert; siehe Bemerkung 2.3.4. Nun nehmen wir fur x ∈ K das multiplikativ
neutrale Element 1K von K, und bezeichnen mit φ : N → K die entsprechende
Funktion n 7→ n1K , welche offensichtlicherweise φ(1) = 1K und φ(n + 1) =
φ(n) + 1K erfullt.
Mit vollstandiger Induktion nach m zeigt man leicht, dass φ(n+m) = φ(n)+φ(m)
und φ(n · m) = φ(n) · φ(m) fur alle n,m ∈ N.
Wegen 1K ∈ P (siehe Lemma 2.2.2) sieht man ebenfalls mit vollstandiger Induk-
tion, dass φ(n) ∈ P fur alle n ∈ N. Insbesondere gilt immer φ(n) , 0K .
42 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Nun setzen wir φ auf Z dadurch fort, dass wir φ(0) = 0K und φ(−n) = −φ(n), n ∈N setzen. Man beweist durch Fallunterscheidungen mit der in Definition 2.4.2
angegebenen Form von + und · auf Z auf elementare Art und Weise, dass diese
Fortsetzung die Addition und Multiplikation erhalt.
Wegen (p, q ∈ Z)
p < q⇔ q − p ∈ N⇔ φ(q − p) = φ(q) − φ(p) ∈ P⇔ φ(p) < φ(q)
ist φ auch mit der Ordnung vertraglich.
Da ganz Q von den Quotienten xn
mit x ∈ Z, n ∈ N, ausgeschopft wird, lasst sich
φ durch die Vorschrift
φ
(x
n
):=
φ(x)
φ(n)
zu einer Abbildung von Q nach K fortsetzen. Man beachte hier, dass aus xn= x
n
folgt, dass xn = xn und daher φ(x)φ(n) = φ(x)φ(n) bzw.φ(x)
φ(n)=
φ(x)
φ(n). Also ist diese
Abbildung wohldefiniert.
Diese Fortsetzung erhalt ebenfalls die Addition und Multiplikation, denn furxn,
y
m∈ Q gilt
φ
(x
n+
y
m
)= φ
(xm + yn
nm
)=φ(xm + yn)
φ(nm)=
φ(x)φ(m) + φ(y)φ(n)
φ(n)φ(m)=φ(x)
φ(n)+φ(y)
φ(m)= φ
(x
n
)+ φ
(y
m
),
φ
(x
n· y
m
)= φ
(xy
nm
)=φ(xy)
φ(nm)=
φ(x)φ(y)
φ(n)φ(m)=φ(x)
φ(n)· φ(y)
φ(m)= φ
(x
n
)· φ
(y
m
).
Sie erhalt auch die Ordnung, denn es gilt
x
n<
y
m⇐⇒ xm < yn ⇐⇒ φ(x)φ(m) < φ(y)φ(n) ⇐⇒ φ(x)
φ(n)<φ(y)
φ(m).
Es folgt insbesondere, dass φ injektiv ist.
Um die Eindeutigkeit von φ nachzuweisen, sei φ eine weitere mit Addition und
Multiplikation vertragliche Abbildung, sodass φ(x) , 0 fur zumindest ein x ∈ Q.
Aus φ(x)φ(1) = φ(x1) = φ(x) folgt φ(1) = 1K , und aus φ(0) + φ(0) = φ(0 + 0) =
φ(0) folgt φ(0) = 0K .
Durch vollstandige Induktion zeigt man, dass φ(n) = φ(n) fur n ∈ N. Aus φ(−n)+
φ(n) = φ(0) = 0K = φ(−n) + φ(n) folgt φ(p) = φ(p), p ∈ Z. Schließlich folgt aus
φ(p
n)φ(n) = φ(p) = φ(p) = φ(
p
n)φ(n), dass φ = φ.
❑
Das letzte Resultat zeigt uns, dass die rationalen Zahlen in einem gewissen Sinn
der kleinste angeordnete Korper ist.
2.8. ARCHIMEDISCH ANGEORDNETE KORPER 43
Wenn wir im Folgenden von den naturlichen (ganzen, rationalen) Zahlen als Teil-
menge eines angeordneten Korpers sprechen, so wollen wir darunter die gemaß Pro-
position 2.7.8 existierende isomorphe Kopie φ(N) = {n1k : n ∈ N}, φ(Z), bzw. φ(Q)
verstehen und nicht mehr z.B. zwischen n und n · 1K unterscheiden.
2.7.9 Bemerkung (*). Die am Beginn vom Beweis von Proposition 2.7.8 konstruierte
Einbettung φ der naturlichen Zahlen in einen angeordneten Korper lasst sich auch auf
beliebigen Korpern K durchfuhren.
Dabei kann es passieren, dass φ(n) = 0K fur ein n ∈ N. Das kleinste derartige n ist
dann eine Primzahl und heißt die Charakteristik des Korpers K.
Ist hingegen immer φ(n) , 0K , so sagt man, dass K von Charakteristik Null ist.
Insbesondere sind angeordnete Korper von Charakteristik Null. Man sieht leicht ein,
dass dann φ injektiv ist, und man denselben Beweis wie den von Proposition 2.7.8
hernehmen kann, um zu zeigen, dass sich Q injektiv in jeden Korper der Charakteristik
Null einbetten lasst.
2.7.10 Bemerkung (*). Die angegebene Art und Weise, aus Z die rationalen Zahlen zu
konstruieren, lasst sich auf beliebige kommutative Integritatsringe R ausdehnen. Dazu
betrachtet man R× (R \ {0}) und die Aquivalenzrelation ∼mit (x, a) ∼ (y, b)⇔ xb = ya
darauf.
Die in diesem Abschnitt gebrachten Ergebnisse (samt Beweise) gelten sinngemaß
auch in dieser allgemeineren Situation, wobei man hier i.A. keine sgn-Funktion hat,
und wobei das multiplikativ Inverse zu [(x, n)]∼ genau [(n, x)]∼ ist. (R × (R \ {0}))/∼ ist
dann ein Korper (Quotientenkorper von R), aber i.A. kein angeordneter Korper.
Wendet man diese Konstruktion auf Z an, so erhalt man wieder Q.
2.8 Archimedisch angeordnete Korper
2.8.1 Definition. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Dann heißt K archimedisch
angeordnet, wenn N als Teilmenge von K nicht nach oben beschrankt ist.
In Satz 2.7.7 haben wir gesehen, dass die rationalen Zahlen archimedisch ange-
ordnet sind. Wir werden auch sehen, dass die reellen Zahlen archimedisch angeordnet
sind.
2.8.2 Beispiel. Die Eigenschaft, dass 〈K,+, ·, P〉 ein archimedisch angeordneter Korper
ist, ermoglicht es uns etwa das Infimum von Mengen wie
M =
{1
n: n ∈ N
}
zu berechnen. Der Vermutung nach ist inf M = 0.
Um das zu beweisen, sei zunachst bemerkt, dass 0 offensichtlich eine untere
Schranke von M ist. Ware ǫ > 0 eine weitere untere Schranke von M, d.h. 0 < ǫ <1n, n ∈ N, so folgte n < 1
ǫ, was aber der Eigenschaft von K, archimedisch angeordnet
zu sein, widerspricht.
In archimedisch angeordneten Korpern gilt der folgende fur die spater zu entwi-
ckelnde Konvergenztheorie wichtige
44 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.8.3 Satz. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein archimedisch angeordneter Korper. Sind x, y ∈ K, x < y,
dann existiert p ∈ Q mit x < p < y 10.
Beweis. Seien zunachst x, y ∈ K mit 0 ≤ x < y gegeben. Dann ist y − x > 0 und damit
auch 1y−x
> 0. Da K archimedisch angeordnet ist, gibt es ein n ∈ N mit n > 1y−x
und
daher n(y − x) > 1.
Nach Satz 2.3.10 hat {k ∈ N : k > nx} ein Minimum, und somit gibt es eine kleinste
naturliche Zahl m ∈ N, sodass m > nx. Ist m > 1, so folgt aus der Wahl von m, dass
m− 1 ≤ nx. Ist m = 1, so folgt gemaß unserer Voraussetzung m− 1 = 0 ≤ nx. Also gilt
immer m − 1 ≤ nx < m. Kombiniert man diese Ungleichung mit n(y − x) > 1, so folgt
nx < m ≤ nx + 1 < ny ,
und damit x < mn< y.
Ist schließlich x < 0, so konnen wir ein k ∈ N wahlen mit k ≥ |x|, da N ja nicht
nach oben beschrankt ist. Es folgt 0 ≤ x + k < y + k, und nach dem eben Bewiesenen
x + k < mn< y + k. Nun ist m
n− k eine rationale Zahl mit x < m
n− k < y.
❑
2.8.4 Bemerkung. Da man obigen Satz induktiv immer wieder anwenden kann, sieht
man, dass zwischen zwei Zahlen sogar unendlich viele rationale Zahlen liegen.
Ist Q ( K, so kann man mit einer linearen Transformation sogar zeigen, dass es
eine nicht rationale Zahl zwischen 0 und 1 gibt, und weiters unter Verwendung von
Satz 2.8.3, dass es zwischen zwei Zahlen von K auch eine nicht rationale Zahl gibt.
2.9 Das Vollstandigkeitsaxiom
Wie wir spater sehen werden, ist die Vollstandigkeit die Eigenschaft der reellen Zahlen,
die sie unverwechselbar von anderen angeordneten Korpern unterscheidet.
2.9.1 Definition. Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Dann heißt K vollstandig
angeordnet, wenn jede nach oben beschrankte Menge ein Supremum hat. Diese Eigen-
schaft nennen wir (s).
Wie schon im vorhergehenden Abschnitt erwahnt, gilt
2.9.2 Lemma. Ist 〈K,+, ·, P〉 ein vollstandig angeordneter Korper, so ist er archime-
disch angeordnet.
Beweis. Ware namlich N nach oben beschrankt, so existierte wegen (s)
η = supN.
Sei n beliebig in N. Mit n gehort aber auch n + 1 zu N. Also gilt n + 1 ≤ η, und
somit n ≤ η − 1. Daher ist η − 1 eine obere Schranke von N, was den Widerspruch
η − 1 ≥ supN = η nach sich zieht.
❑
Nun gilt folgender wichtige Satz, dessen Beweis wir spater (am Ende dieses Ab-
schnittes bzw. im Kapitel 4) bringen werden.
10Diese Aussage nennt man auch die Dichteeigenschaft von Q in K.
2.9. DAS VOLLSTANDIGKEITSAXIOM 45
2.9.3 Satz. Es gibt einen vollstandig angeordneten Korper 〈L,+, ·, L+〉.Ist 〈K,+, ·, P〉 ein weiterer vollstandig angeordneter Korper, so gibt es einen ein-
deutigen Isomorphismus φ : L→ K, also eine Bijektion, sodass φ mit den Operationen
vertraglich ist und sodass φ(L+) = P.
Wenn wir ab jetzt von den reellen Zahlen sprechen, dann sei immer ein
vollstandig angeordneter Korper 〈L,+, ·, L+〉 gemeint. Wir schreiben im Folgenden im-
mer 〈R,+, ·,R+〉 dafur. Wegen Satz 2.9.3 ist 〈R,+, ·,R+〉 bis auf Kopien eindeutig. Es
sei aber bemerkt, dass diese Eindeutigkeit fur die restlichen Aussagen dieses Kapitels
und auch fur Kapitel 3 unerheblich sind – diese also in jedem vollstandig angeordneten
Korper gelten.
2.9.4 Bemerkung. Zusammenfassend sei nochmals betont, dass die reellen Zahlen Reinen vollstandig angeordneter Korper bilden, der die Korperaxiome (a1)-(a4), (m1)-
(m4), (d), die Axiome eines angeordneten Korpers (p1)-(p3) und das Vollstandig-
keitsaxiom (s) erfullt.
Alle bisher gezeigten Rechenregeln und Eigenschaften von R lassen sich alle aus
diesen Axiomen herleiten, bzw. haben wir hergeleitet. Auch die im Folgenden aufge-
baute Analysis setzt nur auf diese Axiome auf.
Die Vollstandigkeit von R garantiert zum Beispiel, dass es n-te Wurzeln von nicht-
negativen Zahlen gibt.
2.9.5 Satz. Sei x ∈ R, x ≥ 0, und n ∈ N. Dann existiert genau eine Zahl y ∈ R, y ≥ 0,
sodass yn = x.
Beweis. Im Fall n = 1 ist die Aussage trivial. Sei also n ≥ 2.
Die Eindeutigkeit von y folgt unmittelbar aus Lemma 2.4.8, da aus 0 ≤ y1 < y2
immer yn1< yn
2folgt. Somit konnen nicht beide der Gleichung yn = x genugen.
Zur Existenz: Ist x = 0, so ist klarerweise yn = x fur y = 0. Im Fall x > 0 sei
E := {t ∈ R : t > 0, tn < x}.
Diese Menge ist nicht leer, denn fur s = x1+x
gilt 0 < s < min(x, 1) und daher sn < s <
x; also s ∈ E.
Fur τ := 1 + x gilt τ > 1 und daher τn > τ > x. Aus t ≥ τ folgt dann tn ≥ τn > x
und damit t < E. Also muss τ eine obere Schranke von E sein.
Da R vollstandig angeordnet ist, existiert y := sup E. Wegen 0 < x1+x∈ E ist sicher
y > 0. Wir zeigen im Folgenden, dass yn = x, und zwar indem wir die beiden anderen
Moglichkeiten yn < x und yn > x ausschließen.
Dazu benotigen wir, dass die fur beliebige Elemente a, b ∈ R geltende und mit
vollstandiger Induktion nach n zu beweisende Gleichung
bn − an = (b − a)(bn−1 + bn−2a + . . . + ban−2 + an−1) . (2.10)
Fur 0 < a < b erhalten wir daraus die Abschatzung
bn − an < (b − a)nbn−1 . (2.11)
Angenommen yn < x, so gibt es gemaß Satz 2.8.3 ein ǫ ∈ Q mit
0 < ǫ < min
(x − yn
n(y + 1)n−1, 1
).
46 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Setzen wir in (2.11) a = y und b = y + ǫ, so folgt
(y + ǫ)n − yn < ǫn(y + ǫ)n−1 < ǫn(y + 1)n−1 < x − yn .
Also gilt (y + ǫ)n < x und daher y + ǫ ∈ E im Widerspruch zu y = sup E.
Ware yn > x, so setze man
δ :=yn − x
nyn−1.
Dann gilt 0 < δ <y
n< y.
Wir zeigen, dass y − δ eine obere Schranke von E ist. Ware dem nicht so, dann gilt
t > y − δ fur ein t ∈ E. Aus (2.11) folgt aber mit b = y, a = (y − δ)
yn − tn < yn − (y − δ)n < δnyn−1 = yn − x .
Also tn > x, und daher der Widerspruch t < E.
Die Tatsache, dass y−δ eine obere Schranke von E ist, widerspricht aber y = sup E.
❑
2.9.6 Definition. Die nach obigem Satz eindeutig bestimmte Zahl y ≥ 0, die n-te
Wurzel von x, schreibt man auch als n√
x oder x1n .
2.9.7 Bemerkung. Man betrachte die Funktion
{R+ ∪ {0} → R+ ∪ {0}
y 7→ yn .
Gemaß Lemma 2.4.8 ist diese Funktion streng monoton wachsend und daher injektiv.
Zu gegebenem x ist y = n√
x jene Zahl, sodass yn = x. Also ist y 7→ yn auch surjektiv
als Funktion von R+ ∪ {0} nach R+ ∪ {0}. Sie ist also bijektiv und ihre Umkehrfunktion
ist genau x 7→ n√
x. Wegen Lemma 2.4.8 ist auch x 7→ n√
x streng monoton wachsend.
2.9.8 Bemerkung. Nun sehen wir auch, dass R nicht nur aus rationalen Zahlen bestehen
kann, also Q ( R gilt. Ware namlich
√2 =
p
q∈ Q, (2.12)
so kann man p, q teilerfremd wahlen, d.h. es gibt kein k ∈ N \ {1}, welches p und q
teilt11. Insbesondere ist nur hochstens eine der Zahlen p oder q gerade. Ausquadrieren
und mit q2 Multiplizieren in (2.12) ergibt 2q2 = p2. Da eine Zahl genau dann gerade
ist, wenn ihr Quadrat es ist, folgt, dass p gerade und damit q ungerade ist; siehe Satz
2.6.6. Schreibt man p = 2m, so folgt 2q2 = 4m2, und damit q2 = 2m2. Wir erhalten
daraus den Widerspruch, dass auch q gerade sein musste.
2.9.9 Definition. Ist x > 0 und ist r ∈ Q dargestellt in der Form r =p
qmit p ∈ Z, q ∈ N,
so definieren wir
xr :=(
q√
x)p.
11Eine ganze Zahl k , 0 teilt eine ganze Zahl n, wenn es ein m ∈ Z gibt, sodass km = n.
2.9. DAS VOLLSTANDIGKEITSAXIOM 47
Da die Darstellung einer rationalen Zahl als Bruch nicht eindeutig ist, mussen wir
nachweisen, dass die Definition von xr nicht von der Wahl von p, q abhangt. Dazu
brauchen wir
2.9.10 Lemma. Sind x > 0, z > 0 und p ∈ Z, q ∈ N, so giltq
√1x= 1
q√x, q√
xz = q√
x q√
z
sowie
(q√
x)p =q√
xp. (2.13)
Beweis.q
√1x= 1
q√xfolgt aus ( 1
q√x)q = 1
( q√x)q =1x
und der Tatsache, dass nach Satz 2.9.5
q
√1x
die eindeutige Losung y von yq = 1x
ist.
Wegen ( q√
x q√
z)q = ( q√
x)q( q√
z)q = xz muss q√
x q√
z mit q√
xz ubereinstimmen.
Ist p = 0, so ist (2.13) trivialerweise richtig, da jaq√
1 = 1. Sonst folgt (2.13) wegen
(2.6) aus (( q√
x)p)q = (( q√
x)q)p = xp und aus der Tatsache, dass nach Satz 2.9.5q√
xp die
eindeutige Losung y von yq = xp ist.
❑
Ist jetzt r =p
q= m
n, so folgt wegen pn = qm
(q√
xp)n =
q√
xpn=
q√
xqm= (
q√
xq)m = xm.
Zieht man links und rechts die n-te Wurzel, so gilt wegen (2.13)
q√
xp=
n√
xm,
und damit ist xr wohldefiniert. Außerdem gelten die (mit einer Beweisfuhrung ahnlich
wie der von Lemma 2.9.10 zu zeigenden) Rechenregeln (r, s ∈ Q, x > 0)
xr+s = xr xs, (xr)s = xrs, x−r =1
xr.
2.9.11 Lemma (Lemma vom iterierten Supremum). Seien M,N zwei nichtleere Men-
gen und f : M × N → R eine nach oben beschrankte Funktion, dh. { f (m, n) : (m, n) ∈M × N} ist nach oben beschrankt. Dann gilt
sup{sup{ f (m, n) : m ∈ M} : n ∈ N} = sup{ f (m, n) : (m, n) ∈ M × N} =
sup{sup{ f (m, n) : n ∈ N} : m ∈ M}.Sind umgekehrt alle Mengen { f (m, n) : m ∈ M}, n ∈ N, nach oben beschrankt genauso
wie {sup{ f (m, n) : m ∈ M} : n ∈ N}, bzw. gilt entsprechendes mit M und N vertauscht,
so ist auch { f (m, n) : (m, n) ∈ M × N} nach oben beschrankt, womit obige Gleichung
wieder gilt. 12
Eine entsprechende Aussage gilt furs Infimum.
Beweis. Wir setzen s = sup{ f (m, n) : (m, n) ∈ M × N} und fur festes q ∈ N auch
sq = sup{ f (m, q) : m ∈ M}. Aus { f (m, q) : m ∈ M} ⊆ { f (m, n) : (m, n) ∈ M × N} folgt
dann sq ≤ s fur jedes q ∈ N; also auch sup{sq : q ∈ N} ≤ s.
Umgekehrt folgt fur festes (m, n) ∈ M ×N, dass f (m, n) ∈ { f (m, q) : m ∈ M}, wenn
nur q = n. Fur dieses q ist f (m, n) ≤ sq; also gilt auch f (m, n) ≤ sup{sq : q ∈ N}. Da
(m, n) ∈ M × N beliebig war, folgt schließlich s ≤ sup{sq : q ∈ N}.❑
12Also gilt obige Gleichung auch fur nicht notwendigerweise nach oben beschrankte Funktionen, wenn
man auch den Wert +∞ zulasst.
48 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.10 Dedekindsche Schnitte*
Am Ende dieses Abschnitts werden wir beweisen, dass vollstandig angeordnete Korper
tatsachlich existieren, und dass alle solche immer Kopien von einander sind. Eine an-
dere Art und Weise, das zu tun, findet sich in Kapitel 4.
Um diese anspruchsvolle Konstruktion zu motivieren, denken wir uns eine Gerade
gemeinsam mit einer Einheitsstrecke gezeichnet. Auf dieser Geraden denken wir uns
die rationalen Zahlen durch fortgesetztes unterteilen der Einheitsstrecke aufgetragen.
Obwohl es anschaulich beliebig nahe an jedem Punkt eine rationale Zahl gibt, gibt es
gemaß Bemerkung 2.9.8 Punkte, welche nicht rational sind.
Unsere Konstruktion beruht auf der folgenden Bemerkung, die R.Dedekind13 ge-
macht hat: Zerfallen alle Punkte der Geraden in zwei Klassen von der Art, dass jeder
Punkt der ersten Klasse links von jedem Punkt der zweiten Klasse liegt, so existiert
ein und nur ein Punkt, welcher diese Einteilung aller Punkte in zwei Klassen, diese
Zerschneidung der Geraden in zwei Stucke, hervorbringt.
Man kann also einen Punkt P der Geraden identifizieren mit der Menge aller Punk-
te, die links von ihm liegen. Da man nun aber mit den rationalen Punkten beliebig nahe
an den Punkt P herankommt, genugt es, alle rationalen Punkte, die links von P liegen,
zu kennen, um P selbst eindeutig zu rekonstruieren.
2.10.1 Satz. Es gibt einen vollstandig angeordneten Korper. Dieser ist bis auf Isomor-
phie eindeutig bestimmt.
Beweis. Der Beweis dieses Satzes ist relativ lang und wird in mehreren Schritten
gefuhrt, von denen wir auch nicht alle im Detail ausfuhren werden.
Schritt 1: Eine Teilmenge α von Q heißt ein Dedekindscher Schnitt, wenn sie die
folgenden drei Eigenschaften besitzt:
(I) α , ∅, α , Q.
(II) Aus p ∈ α folgt (−∞, p] ⊆ α.
(III) Ist p ∈ α, so existiert ein ǫ ∈ Q, ǫ > 0, sodass p + ǫ ∈ α.
Die Menge aller Dedekindschen Schnitte bezeichnen wir mit K.
Dieser Begriffmodelliert die Anschauung der Menge aller rationalen Punkte, die
”links von dem Punkt der Geraden liegen“.
Die Eigenschaft (III) besagt, dass α kein großtes Element hat. Aus der Eigen-
schaft (II) erhalt man unmittelbar die folgenden beiden Aussagen.
(i) Ist p ∈ α und q < α, dann ist p < q.
(ii) Ist r < α und s > r, so ist s < α.
Schritt 2: Wir definieren eine Relation ≤ auf K durch
α ≤ β :⇐⇒ α ⊆ β, α, β ∈ K ,
Diese Relation ist offenbar eine Halbordnung. Wir zeigen, dass sie sogar eine
Totalordnung ist. Seien α, β ∈ K und sei angenommen, dass α � β, d.h. α * β.
13Richard Dedekind. 6.10.1831 Braunschweig - 12.2.1916 Braunschweig
2.10. DEDEKINDSCHE SCHNITTE* 49
Dann existiert also p ∈ α mit p < β. Also folgt aus q > p, dass q < β, und aus
q < p, dass q ∈ α. Ist also q ∈ β, so muss q < p sein und daher zu α gehoren.
Somit gilt β ≤ α.
Fur α ( β schreiben wir auch α < β.
Schritt 3: In diesem Schritt zeigen wir, dass K mit der Ordnung ≤ die Supremums-
eigenschaft besitzt. Sei A ⊆ K eine nichtleere und nach oben beschrankte Teil-
menge von K, und setze
γ :=⋃
α∈Aα .
Wir zeigen, dass γ ∈ K. Da A nichtleer ist, existiert ein α0 ∈ A. Nun ist α0
nichtleer und α0 ⊆ γ, also gilt auch γ , ∅. Da A nach oben beschrankt ist,
existiert β ∈ K mit α ⊆ β fur alle α ∈ A, was γ ⊆ β nach sich zieht. Wegen β , Qist auch γ , Q. Also erfullt γ die Eigenschaft (I). Ist p ∈ γ, so existiert α ∈ A
mit p ∈ α. Also folgt (−∞, p] ⊆ α ⊆ γ. Weiters existiert ein rationales ǫ > 0 mit
r + ǫ ∈ α ⊆ γ. Wir sehen also, dass γ die Eigenschaften (II) und (III) hat.
Es bleibt γ = sup A zu zeigen. Offenbar gilt α ≤ γ fur alle α ∈ A. Ist β ∈ K mit
β ≥ α bzw. β ⊇ α fur alle α ∈ A, so folgt β ⊇ γ. Also ist γ tatsachlich die kleinste
obere Schranke von A.
Schritt 4: Wir definieren eine Addition auf K. Fur α, β ∈ K setze
α + β :={r + s : r ∈ α, s ∈ β} .
Weiters setze 0∗ := {p ∈ Q : p < 0}.Als erstes zeigen wir, dass α + β ∈ K. Da α , ∅ und β , ∅, folgt auch α + β , ∅.Wahle r′ < α und s′ < β, dann ist r′ > r, r ∈ α, und s′ > s, s ∈ β. Also erhalten
wir r′ + s′ > r + s, r ∈ α, s ∈ β. Damit kann r′ + s′ nicht zu α + β gehoren.
Wir sehen, dass α + β die Eigenschaft (I) besitzt. Sei nun p ∈ α + β gegeben,
und schreibe p = r + s mit gewissen r ∈ α, s ∈ β. Fur q < p folgt q − s < r
und daher q − s ∈ α. Also q = (q − s) + s ∈ α + β, und wir sehen, dass (II)
gilt. Zu p = r + s ∈ α + β wahle ein rationales ǫ > 0 mit r + ǫ ∈ α, dann folgt
r + s + ǫ ∈ α + β, also gilt auch (III).
Die Addition ist kommutativ, denn
α + β = {r + s : r ∈ α, s ∈ β} = {s + r : r ∈ α, s ∈ β} = β + α .
Sie ist assoziativ, denn
α + (β + γ) ={r + u : r ∈ α, u ∈ (β + γ)
}=
={r + (s + t) : r ∈ α, s ∈ β, t ∈ γ} = {
(r + s) + t : r ∈ α, s ∈ β, t ∈ γ} =
={v + t : v ∈ (α + β), t ∈ γ} = (α + β) + γ .
Nun identifizieren wir 0∗ als das neutrale Element bezuglich der Addition: Ist
r ∈ α und s ∈ 0∗, so folgt r + s < r, also r + s ∈ α. D.h. α + 0∗ ≤ α.
Sei umgekehrt p ∈ α, und wahle ein rationales ǫ > 0 mit p + ǫ ∈ α. Dann gilt
p = p + ǫ + (−ǫ) ∈ α + 0∗.
50 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Es bleibt zu zeigen, dass jedes Element von K ein additives Inverses besitzt. Sei
also α ∈ K gegeben. Setze
β :={p ∈ Q : ∃ ǫ > 0 : p + ǫ < −α} .
Als erstes zeigen wir, dass β ∈ K. Sei s < α und setze p := −s − 1, dann ist
p + 1 = −s < −α, also p ∈ β, d.h. β , ∅. Aus q ∈ α folgt −q < β, da sonst
q − ǫ < α, und somit q < α; also β , Q. Damit gilt (I). Sei nun p ∈ β gegeben.
Wahle ǫ > 0, sodass −p − ǫ < α. Ist q < p, so gilt −q − ǫ > −p − ǫ und
daher −q − ǫ < α, d.h. q ∈ β. Es gilt also (II). Mit t := p + ǫ2
ist t > p und
−t − ǫ2= −p − ǫ < α, d.h. t ∈ β. Also gilt (III).
Ist r ∈ α und s ∈ β, so ist −s < α und daher r < −s. Daher ist r + s < 0, bzw,
r + s ∈ 0∗. Wir sehen, dass α + β ≤ 0∗.
Umgekehrt sei v ∈ 0∗. Setze w := − v2> 0. Sei q < α. Da Q archimedisch
angeordnet ist, gibt es ein n1 ∈ N mit n1w > q und daher mit n1w < α. Zu q ∈ αgibt es auch ein n2 ∈ N mit n2w > −q und daher mit −n2w ∈ α.
Es existiert also ein n ∈ Z mit nw ∈ α und (n + 1)w < α. Setze p := −(n + 2)w.
Dann ist p ∈ β, denn −p − w < α. Wir haben also
v = nw + p ∈ α + β .
Schritt 5: Die Addition ist mit der Ordnung vertraglich. Ist namlich α ≤ β, d.h. α ⊆ β,
und ist γ ∈ K, so folgt α + γ ⊆ β + γ. Addieren von −γ zeigt, dass in der Tat
α ≤ β⇔ α + γ ≤ β + γ.
Daraus folgt unmittelbar α < β ⇔ β − α ∈ P := {γ ∈ K : γ > 0}, und die
Tatsache, dass mit α, β ∈ P auch α + β > α + 0∗ > 0∗ und somit α + β ∈ P.
Schritt 6: Wir definieren eine Multiplikation auf K. Seien zunachst α, β > 0. Dann
setze
α · β :={p ∈ Q : ∃r ∈ α, s ∈ β, r, s > 0 : p ≤ rs
}.
Man zeigt genauso wie in Schritt 4, dass α · β tatsachlich ein Element von K ist,
dass die Multiplikation kommutativ und assoziativ ist, und dass das Distributiv-
gesetz gilt.
Weiters definieren wir
1∗ := {p ∈ Q : p < 1} .Wieder sieht man analog wie in den vorherigen Beweisschritten, dass 1∗ neutra-
les Element bezuglich der Multiplikation ist, und dass jedes Element α > 0 ein
multiplikatives Inverses
β :={p ∈ Q : ∃ ǫ > 0 : p + ǫ < {1
q: q ∈ α, q > 0}}
besitzt.
Um nun die Multiplikation auch fur Elemente α < 0 zu definieren, setze
α · β :=
(−α) · (−β) , falls α < 0∗, β < 0∗
(−α) · β , falls α < 0∗, β > 0∗
α · (−β) , falls α > 0∗, β < 0∗
0∗ , falls α = 0∗ oder β = 0∗
2.10. DEDEKINDSCHE SCHNITTE* 51
Der Beweis der Rechengesetze folgt aus den bereits bekannten Regeln fur die
Multiplikation von positiven Zahlen durch Fallunterscheidungen.
Um α, β ∈ P ⇒ α · β ∈ P einzusehen, wahle man a ∈ α \ 0∗, b ∈ β \ 0∗. Also
a, b ≥ 0. Wegen (III) konnen wir sogar a, b > 0 annehmen. Es folgt a·b ∈ α·β\0∗und somit α, β ∈ P.
Wir haben also bewiesen, dass 〈K,+, ·, P〉 ein vollstandig angeordneter Korper
ist.
Schritt 7: Wie jeder angeordnete Korper enthalt K eine Kopie von Q, daher eine mit
den Operationen und mit ≤ Vertragliche Injektion φ : Q → K, vgl. Proposition
2.7.8. Aus φ(1) = 1∗ folgt mit vollstandiger Induktion φ(n) = {p ∈ Q : p < n}.Außerdem zeigt man, dass fur r, s ∈ Q und αr = {p ∈ Q : p < r}, αs = {p ∈ Q :
p < s}
αr + αs = {p ∈ Q : p < r + s}, − αr = {p ∈ Q : p < −r},
αr · αs = {p ∈ Q : p < rs}, α−1r = {p ∈ Q : p <
1
r}.
Fur r > 0 sieht man z.B. letztere Tatsache folgendermaßen:
α−1r =
{p ∈ Q : ∃ ǫ > 0 : p + ǫ < {1
q: q ∈ Q, 0 < q < r}} =
{p ∈ Q : ∃ ǫ > 0 : p + ǫ ≤ 1
r
}= {p ∈ Q : p <
1
r}.
Aus φ( xn) = sgn(x)
φ(|x|)φ(n)
fur x ∈ Z, n ∈ N, folgt somit φ(r) = αr, r ∈ Q.
Schritt 8: Wir zeigen, dass jeder vollstandig angeordnete Korper L isomorph zu dem
oben konstruierten Korper K ist. Beachte, dass L und K als angeordnete Korper
den Korper der rationalen Zahlen enthalten. Definiere
ω :
{L → K
x 7→ {p ∈ Q : p < x} , ψ :
{K → L
α 7→ supα
Die Abbildung ω ist wohldefiniert, denn {p ∈ Q : p < x} ist, wie man unmit-
telbar uberpruft, ein Dedekindscher Schnitt. Auch ψ ist wohldefiniert, denn α ist
eine nichtleere und beschrankte Teilmenge von Q ⊆ L und besitzt daher in L ein
Supremum.
Außerdem sind diese beiden Abbildungen streng monoton wachsend, und fur
p ∈ Q gilt ω(p) = αp und ψ(αp) = supαp = p.
Aus dem noch zu zeigenden Lemma 2.10.2 folgt, dass ω und ψ mit den Opera-
tionen vertraglich sind. Wendet man Lemma 2.10.2 nun auch auf ω◦ψ und ψ◦ωan, so folgt aus der Eindeutigkeitsaussage, dass ω ◦ ψ = idK und ψ ◦ ω = idL.
Also sind ω und ψ zueinander inverse Bijektionen, welche mit Addition, Mul-
tiplikation und Ordnung vertraglich sind. Daher sind L und K als angeordnete
Korper isomorph. Mit derselben Argumentation zeigt man auch, dass der von
uns angegebene Isomorphismus eindeutig ist.
❑
52 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.10.2 Lemma. Seien K1 und K2 zwei vollstandig angeordnete Korper, und bezeichne
Q1 bzw. Q2 die gemaß Proposition 2.7.8 existierende Kopie von Q, welche in K1 bzw.
K2 enthalten ist. Seien φ j : Q→ K j, j = 1, 2, die entsprechenden Einbettungen.
Ist ω : K1 → K2 streng monoton wachsend und so, dass ω(φ1(p)) = φ2(p) fur alle
p ∈ Q, dann ist ω mit + und · vertraglich.
Schließlich muss jede weitere streng monoton wachsende Abbildung ω : K1 → K2
mit ω(φ1(p)) = φ2(p), p ∈ Q schon mit ω ubereinstimmen.
Beweis. Zunachst beweisen wir die letzte Aussage. Angenommen es gabe ein x ∈ K1,
sodass ω(x) , ω(x). O.B.d.A. sei ω(x) < ω(x). Nach Satz 2.8.3 gibt es ein p ∈ Q mit
ω(x) < φ2(p) < ω(x).
Nun muss x < φ1(p), da widrigenfalls φ1(p) ≤ x und daher ω(φ1(p)) = φ2(p) ≤ω(x). Andererseits muss aber φ1(p) < x, da sonst x ≤ φ1(p) und daher ω(x) ≤ φ2(p) =
ω(φ1(p)). Beides kann aber nicht gleichzeitig gelten. Somit muss ω = ω.
Zur Vertraglichkeit mit + halte man zunachst ein p ∈ Q fest, und betrachte
ωp :
{K1 → K2
x 7→ ω(x + φ1(p)) − φ2(p).
Wegen den Eigenschaften von φ1, φ2 aus Proposition 2.7.8 folgt ωp(φ1(q)) = ω(φ1(q +
p)) − φ2(p) = φ2(q) fur alle q ∈ Q. Außerdem ist ωp offensichtlicherweise streng
monoton wachsend.
Nach obiger Eindeutigkeitsaussage folgtω = ωp bzw.ω(x+φ1(p)) = ω(x)+φ2(p) =
ω(x) + ω(φ1(p)) fur alle x ∈ K1 und wegen der Beliebigkeit von p auch fur alle p ∈ Q.
Nun betrachte man fur ein festes y ∈ K1 die Abbildung ωy(x) = ω(x + y) − ω(y).
Wegen dem eben gezeigten erfullt diese ωy(φ1(q)) = φ2(q), q ∈ Q, und sie ist ebenfalls
streng monoton wachsend. Also folgt ωy = ω, bzw. ω(x + y) = ω(x) + ω(y), x, y ∈ K1.
Indem man zunachst x 7→ ω(x·φ1(p))
φ1(p)fur festes p ∈ Q \ {0} und dann x 7→ ω(x·y)
ω(y)fur
festes y ∈ K1 \ {0} betrachtet, folgt wie oben auch die Vertraglichkeit mit · .
❑
2.11 Die komplexen Zahlen
Betrachtet man die quadratische Gleichung x2 + 1 = 0 und sucht die Losungen davon,
indem man formal rechnet, so erhalt man x1,2 = ±√−1, also eigentlich kein Ergebnis.
Das stimmt mit der Tatsache uberein, dass die Gleichung x2 + 1 = 0 keine reellen
Losungen hat. Aus vielen Grunden ware es trotzdem wunschenswert, mit Wurzeln aus
negativen Zahlen rechnen zu konnen. Insbesondere hatte x2 + 1 = 0 zwei Losungen.
Wir formalisieren nun das Konzept der Wurzel aus einer negativen Zahl.
2.11.1 Definition. Die Menge der komplexen Zahlen C wird definiert als die Menge
der Paare reeller Zahlen,C := R2 = R×R. Wir schreiben eine komplexe Zahl (a, b) ∈ Can als a + ib. Hierbei ist i ein formales Symbol, die sogenannte imaginare Einheit.
Ist z = a+ ib ∈ C, so heißt a der Realteil und b der Imaginarteil von z. Man schreibt
auch a = Re z und b = Im z.
Fur zwei komplexe Zahlen a + ib und c + id definieren wir eine Addition und eine
Multiplikation, indem wir
(a + ib) + (c + id) := (a + c) + i(b + d), (2.14)
(a + ib) · (c + id) := (ac − bd) + i(bc + ad). (2.15)
2.11. DIE KOMPLEXEN ZAHLEN 53
setzen.
Ist (a, b) ∈ C mit b = 0, so schreibt man auch a anstatt a + i0, und ist a = 0, so
schreibt man ib anstatt 0 + ib. Falls a = 0 und b = 1, so schreibt man kurz i. Anstatt
0 + i0 schreibt man auch 0.
Wir wollen die triviale aber nutzliche Tatsache bemerken, dass zwei komplexe Zah-
len genau dann ubereinstimmen, wenn ihre Realteile und ihre Imaginarteile uberein-
stimmen.
Die imaginare Einheit modelliert den Ausdruck√−1. Tatsachlich gilt gemaß
(2.15), dass i2 = −1 sowie (−i)2 = −1.
2.11.2 Satz. Die komplexen Zahlen 〈C,+, ·〉 sind ein Korper, wobei 0+ i0 das neutrale
Element bezuglich +, 1 + i0 das neutrale Element bezuglich ·, (−a) + i(−b) die additiv
Inverse zu a + ib, unda
a2 + b2+ i
−b
a2 + b2(2.16)
die multiplikativ Inverse zu a + ib , 0 + i0 ist.
Beweis. Wir mussen die Korperaxiome aus Definition 2.1.1 nachweisen. Die Kommu-
tativitat von + und ·, daher Axiome (a4),(m4), folgt unmittelbar aus der Definition in
(2.14) und (2.15). Genauso schnell uberzeugt man sich von der Gultigkeit der Assozia-
tivitat von +, dh. (a1). Wegen
((a + ib) · (c + id)) · (x + iy) = ((ac − bd) + i(bc + ad)) · (x + iy) =
(acx − bdx − bcy − ady) + i(bcx + adx + acy − bdy) =
= (a + ib) · ((cx − dy) + i(cy + dx)) = (a + ib) · ((c + id) · (x + iy))
gilt (m1). Ganz leicht sieht man, dass 0 + i0 das additiv neutrale Element von C ist –
(a2) –, und dass (−a) + i(−b) das zu a + ib additiv inverse Element ist, dh. (a3).
Genauso elementar sieht man, dass 1 + i0 das multiplikativ neutrale Element ist –
(m2) –, und dass die in (2.16) angegebene komplexe Zahl das zu a + ib multiplikativ
inverse Element ist, dh. (m3). Schließlich gilt (d), da in R das Distributivgesetz gilt und
da
(x + iy) · ((a + ib) + (c + id)) = (x + iy) · ((a + c) + i(b + d)) =
(xa + xc − yb − yd) + i(xb + xd + ya + yc) =
((xa− yb)+ i(xb+ ya))+ ((xc− yd)+ i(xd + yc)) = (x+ iy) · (a+ ib)+ (x+ iy) · (c+ id).
❑
Die reellen Zahlen sind in C eingebettet vermoge der Abbildung a 7→ a + i · 0. Of-
fenbar ist diese Einbettung ein Korperhomomorphismus, dh. vertraglich mit den Ver-
knupfungen +, ·. Insbesondere sehen wir, dass C ein R-Vektorraum ist. Die dafur noti-
gen Rechengesetze gelten, da sie einfach Spezialfalle der Rechenregeln des Korpers Csind. Eine Basis von C als R-Vektorraum lasst sich leicht angeben, namlich {1, i}. Denn
es lasst sich ja jede komplexe Zahl in eindeutiger Weise als Linearkombination a·1+b·imit den reellen Koeffizienten a, b anschreiben. Wir sehen also, dass die Dimension von
C als R-Vektorraum zwei ist.
54 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
C
Re
Im
ib
−ib
a
z = a + ib
z = a − ib
0
|z|
|z| = |z|
Abbildung 2.3: Zahlenebene
Graphisch lassen sich die Zahlen aus C als Punkte in der Ebene veranschaulichen,
man spricht auch von der Gaußschen Zahlenebene14. Dabei ist
|z| :=√
a2 + b2 (≥ 0) (2.17)
die Lange des Vektors von (0, 0) nach (a, b). Wir nennen |z| auch den Betrag von z.
Der Betrag auf den komplexen Zahlen wird gleich wie die Betragsfunktion auf
einem angeordneten Korper bezeichnet. Es gelten namlich vergleichbare Regeln (z,w ∈C):
(i) |Re z | ≤ |z|, | Im z | ≤ |z|
(ii) |zw| = |z||w|.
(iii) |z + w| ≤ |z| + |w|.
(iv) |z + w| ≥∣∣∣|z| − |w|
∣∣∣.
(i) und (ii) lassen sich dabei elementar nachprufen. Die Dreiecksungleichung folgt
durch Ausquadrieren, und die Dreiecksungleichung nach unten beweist man genauso,
wie bei den angeordneten Korpern (siehe (2.1)).
Eine weitere Begriffsbildung im Zusammenhang mit den komplexen Zahlen ist die
der konjugiert komplexen Zahl z zu einer komplexen Zahl z = a + ib:
z := a − ib .
14Carl-Friedrich Gauß. 30.4.1777 Braunschweig - 23.2.1855 Gottingen
2.12. UBUNGSBEISPIELE 55
Offenbar gilt |z| = |z|, |z|2 = zz, und z−1 = z|z|2 wenn z , 0. Der Ubergang von z zu
seiner konjugierten z entspricht bei der graphischen Veranschaulichung der komplexen
Zahlen genau dem Spiegeln an der reellen Achse.
2.12 Ubungsbeispiele
2.1 Sei K = {0, 1, 2}. Man definiere + und · so, dass (K,+, ·) ein Korper wird. Lasst sich dieser
Korper anordnen? Begrundung!
2.2 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man zeige (x, y, a, b ∈ K):
x ≤ y ∨ y ≤ x,
x , 0⇒ x2 > 0,
(x ≤ y ∧ a ≤ b)⇒ x + a ≤ y + b,
2.3 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man zeige (x, y, z ∈ K):
(z > 0 ∧ x ≤ y)⇒ xz ≤ yz,
(z < 0 ∧ x ≤ y)⇒ xz ≥ yz.
Außerdem beweise man − 23> − 3
4, wobei 2 := 1K + 1K , 3 := 1K + 1K + 1K , 4 := 1K + 1K +
1K + 1K .
2.4 Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper, und seien p, q ∈ K. Man betrachte die Funktion f (x) = x2 + px + q
von K nach K.
Man zeige, dass wenn x1 eine Nullstelle ist, dann auch x2 := −p− x1 eine Nullstelle ist, dass
dann f (x) = (x − x1)(x − x2), und dass es dann keine weitere Nullstellen von f gibt. Also
hat f hochstens zwei Nullstellen. Dabei heißt x0 eine Nullstelle von f , wenn f (x0) = 0.
Hinweis: Ist x1 eine feste Nullstelle und x ∈ K, so gilt f (x) = f (x) − f (x1). Man berechne
die rechte Seite unter zu Hilfenahme von x2 − x21= (x − x1)(x + x1).
2.5 Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper, sodass 2 := 1K+1K , 0 und damit 4 := 1K+1K+1K+1K = 2 ·2 , 0,
und seien p, q ∈ K. Man betrachte die Funktion f (x) = x2 + px + q von K nach K. Man
zeige, dass f genau dann eine Nullstelle hat, falls es ein y ∈ K gibt, sodass y2 =p2
4− q. In
diesem Falle zeige man, dass dann − p
2+ y und − p
2− y genau die Losungen von f (x) = 0
sind.
Hinweis: Quadratische Erganzung.
2.6 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Um die Losungsmenge einer Ungleichung z.B. der
Form
|2 − x| ≥ 4 ,
zu erhalten (2 := 1K + 1K , 4 := 2 + 2) geht man folgendermaßen vor: Betrachte zuerst den
Fall x < 2. Dann schreibt sich unsere Ungleichung als 2 − x ≥ 4, was zu x ≤ −2 aquivalent
ist. Also ist unsere Losungsmenge in diesem Fall {x ∈ K : x < 2} ∩ {x ∈ K : x ≤ −2} = {x ∈K : x ≤ −2}.Ist x ≥ 2, so schreibt sich unsere Ungleichung als x−2 ≥ 4, und somit x ≥ 6 := 4+2. Unsere
Losungsmenge ist in diesem Fall {x ∈ K : x ≥ 2} ∩ {x ∈ K : x ≥ 6} = {x ∈ K : x ≥ 6}.Die Losungsmenge insgesamt ist somit {x ∈ K : x ≤ −2} ∪ {x ∈ K : x ≥ 6} = (−∞,−2] ∪[6,+∞).
Man bestimme auf analoge Weise die Menge aller x ∈ K, x , 1, sodass
4x
|1 − x| ≤ 2 .
2.7 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man bestimme die Menge aller x ∈ K, sodass
4|x| + |5 − 2x| ≤ 8.
56 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.8 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man zeige: Die Abbildung φ : x 7→ x1K+|x| ist eine
bijektive Abbildung von K auf (−1K , 1K) = {x ∈ K : −1K < x < 1K }. Man gebe auch die
Inverse φ−1 : (−1K , 1K)→ K von φ an.
Weiters zeige man, dass φ streng monoton steigend ist, dh. x < y⇒ φ(x) < φ(y).
2.9 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man bestimme Minimum, Maximum, Infimum und
Supremum (falls existent) der Menge
(−1K ,
1K
2 · 1K
]∪
{1K +
1K
n · 1K
: n ∈ N}∪ (2 · 1K , 3 · 1K ] .
Begrunden Sie ihre Antwort in mathematisch stichhaltiger Art und Weise!
2.10 Sei 〈K,+, ·, P〉 ein angeordneter Korper. Man bestimme Minimum, Maximum, Infimum und
Supremum (falls existent) der Menge
⋃
0<x<y<1K
{t ∈ K :1K
y< t <
1K
x}
Begrunden Sie ihre Antwort in mathematisch stichhaltiger Art und Weise!
2.11 Sei 〈K,+, ·,P〉 ein angeordneter Korper. Sei M ⊆ K so, dass inf M existiert, und s ∈ K.
Man zeige: Es gilt s < inf M genau dann, wenn es ein t ∈ K gibt, sodass s < t ≤ m fur alle
m ∈ M. Weiters zeige man: s ≤ inf M ⇔ s ≤ m, ∀m ∈ M.
2.12 Man zeige: Ist M ⊆ K, so existiert sup M genau dann, wenn inf(−M) existiert. In diesem
Falle gilt − sup M = inf(−M).
2.13 Sei 〈K,+, ·,P〉 ein angeordneter Korper.
Sei M ⊆ K nach oben beschrankt, und bezeichne O die Menge aller oberen Schranken. Man
zeige, dass O ∩ M = ∅ oder O ∩ M = {z}, und dass die zweite Moglichkeit genau dann
eintritt, wenn M ein Maximum hat.
2.14 Man stelle eine Formel fur (n ∈ N)
p(n) := 12 + 22 + 32 + · · · + n2
auf, und beweise diese mittels vollstandiger Induktion.
Hinweis: Setzen Sie unbestimmt p(n) = an3 + bn2 + cn + d an, und ermitteln Sie die unbe-
kannten Koeffizienten durch Einsetzen von n = 1, n = 2, usw. .
2.15 Man stelle eine Formel fur (n ∈ N)
p(n) :=
n∑
k=1
(2k − 1)2 = 12 + 32 + · · · + (2n − 1)2
auf, und beweise diese mittels vollstandiger Induktion.
Hinweis: Setzen Sie unbestimmt p(n) = an3 + bn2 + cn + d an, und ermitteln Sie die unbe-
kannten Koeffizienten durch Einsetzen von n = 1, n = 2, usw. .
2.16 Zeige mittels vollstandiger Induktion, dass fur n ∈ N, n ≥ 2,
n∑
k=2
1
k2 − 1=
3
4− 2n + 1
2n(n + 1).
2.17 Zeige mittels vollstandiger Induktion, dass fur n ∈ N,
n∑
k=1
k(k + 1) =1
3n(n + 1)(n + 2) .
2.12. UBUNGSBEISPIELE 57
2.18 Zeige mittels vollstandiger Induktion, dass fur n ∈ N, n ≥ 2,
n∏
k=2
(1 − 2
k(k + 1)
)=
1
3(1 +
2
n) .
2.19 Zeige mittels vollstandiger Induktion:
(a) 2n > n fur n ∈ N und 2n > n2 fur n ∈ N, n ≥ 5.
(b) Fur ein beliebiges x ≥ 2 aus einem angeordneten Korper, folgere man xn > n fur
n ∈ N und xn > n2 fur alle n ∈ N, n ≥ 5.
2.20 Zeige mittels vollstandiger Induktion: Fur beliebige Elemente a, b aus einem Korper und
n ∈ N gilt
bn+1 − an+1 = (b − a)
n∑
j=0
a jbn− j .
Leite daraus fur x , 1 die Formel
n∑
k=0
xk =1 − xn+1
1 − x, n ∈ N .
her.
2.21 Die Zahlen an ∈ N (n ∈ N) sind rekursiv definiert durch
a1 = 1, an+1 = a1 + a2 + . . . + an .
Zeige, dass an = 2n−2 fur n ≥ 3.
Anmerkung: Die Existenz dieser Zahlen an folgt aus dem Rekursionssatz, wenn fur A die
Menge ∪k∈NNk, also die Menge aller endlichen geordneten Tupel, fur a das Element 1 ∈ N ⊆
A gewahlt, und g durch g((b1, . . . , bk)) := (b1, . . . , bk,∑k
j=1 b j) definiert wird. Die gesuchten
Zahlen an sind dann genau die letzten Eintrage von φ(n).
2.22 Eine Zahl p ∈ N, p > 1, heißt Primzahl, wenn aus m · n = p fur m, n ∈ N folgt, dass n = 1
oder m = 1.
Sei A(n), n ∈ N, n ≥ 2, die Aussage:
Es gibt endlich viele (nicht notwendigerweise verschiedene) Primzahlen p1, . . . , pm, sodass
n =
m∏
j=1
p j .
Beweise diese Aussage mit Hilfe einer im Skriptum angegebenen Variante der vollstandigen
Induktion.
2.23 Fur n ∈ N und k ∈ {0, . . . , n}, sei der Binomialkoeffizient(
n
k
)durch
(n
0
)= 1 und durch
(n
k
)=
n
1· n − 1
2· . . . · n − k + 1
k=
n!
k!(n − k)!fur n ≥ k ≥ 1
definiert, wobei n! durch 0! = 1, 1! = 1 und (n+ 1)! = n!(n+ 1) induktiv definiert ist. Zeige,
dass fur n ≥ k ≥ 1 (n
k
)+
(n
k − 1
)=
(n + 1
k
).
Weiters beweise den Binomischen Lehrsatz mittels vollstandiger Induktion:
(a + b)n =
n∑
k=0
(n
k
)an−kbk ,
wobei a, b Elemente aus einem beliebigen Korper sind.
Anmerkung: Ist k ∈ Z \ {0, . . . , n}, so definiere(
n
k
):= 0. Dann gilt die Gleichung
(n
k
)+
(n
k−1
)=(
n+1
k
)fur alle n ∈ N, k ∈ Z.
58 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
2.24 Sei p, q ∈ Z mit p ≤ q. Zeige, dass {r ∈ Z : p ≤ r ≤ q} eine endliche Teilmenge von Z ist.
Dabei ist die Definition 2.3.12 zu verwenden.
2.25 Sei 〈K,+, ·〉 ein Korper, und sei x ∈ K \ {0}, p, q ∈ Z. Zeige mittels vollstandiger In-
duktion fur naturliche p, q und/oder mittels Fallunterscheidungen im allgemeinen Fall:
x−p = 1xp , xp xq = xp+q, (xp)q = xpq.
2.26 Zeigen Sie, dass fur m < n, m, n ∈ N und k = 2, . . . , n, folgende Ungleichungskette gilt:
1
mk
(m
k
)<
1
nk
(n
k
)≤ 1
k!≤ 1
2k−1,
wobei(
m
k
):= 0, falls m < k.
Weiters beweise man, dass fur k ≥ 2, k ∈ N,(
2k
k
)
22k=
1 · 3 . . . (2k − 1)
2 · 4 . . . (2k).
2.27 Sei 〈K,+, ·〉 ein archimedisch angeordneter Korper. Dieser enthalt bekanntlich Q – genauer,
eine Kopie der rationalen Zahlen. Ist nun Q ( K, so zeige man, dass es sogar ein η ∈ K \ Qgibt mit 0 < η < 1.
Weiters zeige man, dass zwischen je zwei x < y aus K ein nicht rationales ξ mit x < ξ < y
gibt.
Hinweis: Zeigen Sie die letzte Behauptung zunachst fur x, y ∈ Q.
2.28 Sei K ein archimedisch angeordneter Korper. Man bestimme das Supremum und Infimum
der Menge
M =
{(−1)n +
2
n: n ∈ N
}.
2.29 Sei (K,+, ·, P) ein archimedisch angeordneter Korper. Man bestimme die Menge aller oberen
Schranken und die Menge aller unteren Schranken der Teilmenge
M := {(−1)n − (−1)n
n: n ∈ N} ∪ [
1
2, 1) ⊆ K .
Hat diese Menge ein Infimum bzw. ein Supremum in K? Falls ja, dann bestimme man diese
und uberprufe, ob diese auch Minimum bzw. Maximum von M sind!
2.30 Sei p(x) = ak xk + · · · + a0 ein Polynom mit reellen Koeffizienten a j, sodass ak > 0. Zeigen
Sie, dass es ein N ∈ N gibt, sodass p(n) > 0 fur alle n ≥ N, n ∈ N.
Hinweis: Zeigen Sie, dass man ak = 1 annehmen kann, und dass wenn n >
k max(|ak−1|, . . . , |a0|) auch p(n) > 0 gilt.
2.31 Zeigen Sie fur eine Teilmenge M von R und x ∈ R, dass inf({x} + M) = x + inf M in dem
Sinne, dass die linke Seite genau dann existiert, wenn die rechte es tut!
Unter der Annahme, dass ∅ , M1, M2 ⊆ R nach unten beschrankt sind, zeigen Sie weiters,
dass inf(M1 + M2) = inf M1 + inf M2
2.32 Betrachte die quadratische Ungleichung (p, q ∈ R)
x2 + px + q ≥ 0 .
Man beweise, dass die Menge aller x ∈ R, fur die diese Ungleichung stimmt, mit R uberein-
stimmt, wenn x2 + px + q keine Nullstellen in R hat, und sonst gleich (−∞, x1] ∪ [x2,+∞)
ist, wobei
x1 = − p
2−
√p2
4− q, x2 = − p
2+
√p2
4− q.
Wie schauen die Losungsmengen fur die Ungleichungen x2 + px + q > 0, x2 + px + q ≤ 0,
x2 + px + q < 0 aus?
Hinweis: Man beachte x2 + px + q = (x +p
2)2 + q − p2
4und verwende die Tatsache, dass
x 7→ x2 die Menge R+ ∪ {0} bijektiv auf R+ ∪ {0} abbildet.
2.12. UBUNGSBEISPIELE 59
2.33 Man bestimme die Menge aller x ∈ R, sodass 6|x| + (1 − 3x)2 ≤ 37.
2.34 Man rechne nach,
(i) dass 1 + i0 das multiplikativ neutrale Element von C ist.
(ii) dass fur z ∈ C \ {0} tatsachlich w := z
|z|2 das multiplikativ Inverse Element zu z ist, dass
also wz = 1 + 0i gilt.
(iii) dass |zw| = |z||w|, |z + w| ≤ |z| + |w| fur z,w ∈ C.
2.35 Man berechne: 3+i9−2−i3
, (−1 + i2)−2, (1 + i)2,∑17
j=0 i j.
2.36 Sei z = a + ib ∈ C. Man zeige mit den Mitteln der Vorlesung (also ohne Polarkoordinaten),
dass z Quadratwurzeln hat, dass es also ein w ∈ C gibt, sodass w2 = z. Wie viele Losungen
gibt es? Man berechne damit alle Quadratwurzeln von i und von 3 − i2.
Hinweis: Man setze w = c + id unbestimmt an und lose die gewunschte Gleichung.
2.37 Man betrachte die Intervalle In :=(− 1
n, 1
n
)⊆ R und bestimme ∩n∈NIn.
Weiters sei Bn := {z ∈ C : Re(z) + Im(z) ∈ In}. Man bestimme B = ∩n∈NBn und skizziere die
Lage von B und Bn in der Zahlenebene.
60 KAPITEL 2. DIE REELLEN ZAHLEN
Kapitel 3
Der Grenzwert
In der Mathematik hat sich schon bald herausgestellt, dass eine rein algebraische Be-
trachtungsweise der reellen Zahlen nicht immer das geeignete Instrument zur Modellie-
rung der in den Naturwissenschaften auftretenden Phanomene ist. Probleme wie”un-
endlich oft immer kleiner werdende Großen zusammenzahlen“ oder”einer gewissen
Zahl immer naher kommen“, lassen sich mit den bisher rein algebraischen Methoden
nicht betrachten.
Man denke zum Beispiel an die Approximation der Zahl 2π, indem man einem
Kreis mit Radius eins regelmaßige n-Ecke einschreibt, von diesen den Umfang berech-
net, und dann n immer großer werden lasst.
Das fuhrt zu dem Begriff des Grenzwertes einer Folge von Zahlen. Dazu wollen
wir das”Einer-Zahl-immer-naher-Kommen“ bzw. Konvergieren mathematisch exakti-
fizieren:
Eine Folge x1, x2, x3, . . . von reellen Zahlen heißt konvergent gegen eine reelle Zahl
x, falls es zu jedem beliebig kleinen Abstand ǫ > 0 einen Folgenindex N gibt, sodass
ab diesem Index alle Folgenglieder einen Abstand von x kleiner als ǫ haben; sodass
also
|xn − x| < ǫ,
fur alle n ≥ N.
Wir wollen nun aber Konvergenzbetrachtungen nicht nur fur Folgen von reellen
Zahlen betrachten, sondern auch z.B. fur Folgen von komplexen Zahlen oder fur Folgen
von Punkten im Raum. Wie man aus der Definition der Konvergenz erahnen kann,
benotigt man dazu lediglich einen Abstandsbegriff auf dem betrachteten Objekt. Wir
fuhren dazu den Begriff des metrischen Raumes ein.
3.1 Metrische Raume
Um zu sagen, wann ein Punkt x”nahe“ bei einem anderen Punkt y liegt, mussen wir in
irgendeiner Weise den Abstand von x zu y messen konnen. Betrachten wir zum Beispiel
die Menge X aller Punkte der Ebene. Dann ist es naheliegend, als Abstand zwischen
x und y die Lange lx,y der Strecke, die die beiden Punkte verbindet, zu nehmen. Man
erkennt dabei, dass folgende Regeln gelten: Stets ist lx,y ≥ 0, denn Langen sind im-
mer positiv. Dabei gilt”=“ genau dann, wenn x = y, denn eine Strecke hat dann und
nur dann Lange 0, wenn Anfangs- und Endpunkt gleich sind. Es ist stets lx,y = ly,x,
denn vertauscht man Anfangs- und Endpunkt, so bleibt die Lange der Strecke erhalten.
61
62 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Schwieriger einzusehen, aber anschaulich doch klar, ist die Gultigkeit der Dreiecks-
ungleichung: In jedem Dreieck ist die Lange einer Seite hochstens so groß, wie die
Summe der Langen der anderen Seiten; also fur je drei Punkte – die Eckpunkte des
Dreiecks – gilt lx,z ≤ lx,y + ly,z.
Es sind genau diese drei Eigenschaften, die es ausmachen, dass”die Lange der
Verbindungsstrecke“ ein vernunftiger Abstandsbegriff ist.
3.1.1 Definition. Sei X eine Menge, d : X × X → R1 eine Funktion. Dann heißt d eine
Metrik auf X, und 〈X, d〉 ein metrischer Raum, wenn gilt
(M1) Fur alle x, y ∈ X ist d(x, y) ≥ 0. Dabei gilt d(x, y) = 0 genau dann, wenn x = y.
(M2) Fur alle x, y ∈ X gilt d(x, y) = d(y, x).
(M3) Sind x, y, z ∈ X, so gilt die Dreiecksungleichung:
d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) .
3.1.2 Bemerkung. Man kann allgemeiner auch Metriken d betrachten, die X × X nicht
nach R, sondern nach K abbilden, wobei 〈K,+, ·, P〉 ein archimedisch angeordneter
Korper ist. Wir werden darauf im Kapitel 4 zuruck kommen.
3.1.3 Beispiel.
Ist X = R und d(x, y) = |x − y| fur x, y ∈ R, so sieht man sofort, dass (M1) und
(M2) erfullt sind. (M3) folgt aus der Dreiecksungleichung fur den Betrag (siehe
Lemma 2.2.11):
|x − z| = |(x − y) + (y − z)| ≤ |x − y| + |y − z|, x, y, z ∈ R. (3.1)
Ist X = C � R2 und d(z,w) = |z − w| fur z,w ∈ C, wobei |.| hier der komplexe
Betrag ist, so erfullt d offensichtlich (M2) und d(z,w) ≥ 0. Schreibt man z = a+ib
und w = c + id, so gilt d(z,w) =√
(a − c)2 + (b − d)2 = 0 genau dann, wenn
a − c = 0 und b − d = 0, also z = w. Somit ist (M1) erfullt. (M3) folgt aus der
Dreiecksungleichung fur den komplexen Betrag ahnlich wie in (3.1).
Um eine Metrik auf X := Rp zu definieren, setzen wir
d2(x, y) :=( p∑
j=1
(x j − y j)2) 1
2, x = (x1, . . . , xp), y = (y1, . . . , yp) ∈ X .
Man spricht von der euklidischen Metrik auf Rp. Die Gultigkeit von (M1) und
(M2) ist aus der Definition offensichtlich. Die Dreiecksungleichung (M3) folgt
hingegen aus dem unten folgenden Lemma 3.1.4.
Im Falle p = 1, also X = R, gilt d2(x, y) = |x − y|. Damit ist der Abstand zweier
Zahlen bzgl. der euklidischen Metrik nichts anderes als der Betrag der Differenz
dieser Zahlen.
Die euklidische Metrik auf R2 hat eine analoge Interpretation mit Hilfe des Be-
trages einer komplexen Zahl. Fur z = a+ib ∈ C haben wir den Betrag definiert als
|z| =√
a2 + b2. Daraus erkennt man, dass die euklidische Metrik auf R2 gerade
d2(z,w) = |z − w|, z,w ∈ C ,1Wie unmittelbar nach Satz 2.9.3 bemerkt, ist R ein vollstandig angeordneter Korper.
3.1. METRISCHE RAUME 63
ist, wobei wir hier die komplexen Zahlen in der Gaußschen Zahlenebene, also
als Elemente von R2 interpretieren.
(M3) folgt in den Fallen p = 1, 2, wie schon oben gezeigt, aus der bereits bewie-
senen Dreiecksungleichung fur die Betragsfunktion.
3.1.4 Lemma. Seien p ∈ N, a1, . . . , ap, b1, . . . , bp ∈ R. Dann gilt (Cauchy-
Schwarzsche Ungleichung2)
p∑
i=1
aibi
2
≤
p∑
i=1
a2i
·
p∑
i=1
b2i
,
und (Minkowskische Ungleichung3)
p∑
i=1
(ai + bi)2
12
≤
p∑
i=1
a2i
12
+
p∑
i=1
b2i
12
.
Beweis. Wir verwenden die Bezeichnungen a := (a1, . . . , ap), b := (b1, . . . , bp) ∈ Rp
und definieren4
(a, b) :=
p∑
i=1
aibi.
Fur Zahlen λ, µ ∈ R und a, b ∈ Rp setzen wir
λa + µb := (λa1 + µb1, . . . , λap + µbp) .
Offenbar gilt fur a, b, c ∈ Rp
(λa + µb, c) =
p∑
i=1
(λai + µbi)ci =
p∑
i=1
λaici +
p∑
i=1
µbici = λ(a, c) + µ(b, c) .
Man spricht von der Linearitat von (., .) in der vorderen Komponente. Wegen (a, b) =
(b, a) ist (., .) auch in der hinteren Komponente linear (vgl. den Begriff des Skalarpro-
duktes auf einem Vektorraum in der Linearen Algebra).
Um die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung zu zeigen, gehen wir von der trivialen
Bemerkung aus, dass fur jedes p-Tupel x = (x1, . . . , xp) ∈ Rp
(x, x) =
p∑
i=1
x2i ≥ 0. (3.2)
Fur alle t ∈ R gilt nun
0 ≤ (a + tb, a + tb) = (a, a) + 2t(a, b) + t2(b, b).
2Hermann Amandus Schwarz. 25.1.1843 Hermsdorf (Sobiecin, Polen) - 30.11.1921 Berlin3Hermann Minkowski. 22.6.1864 Alexoten (bei Kaunas, Litauen) - 12.1.1909 Gottingen4Also ist (., .) eine Abbildung von Rp × Rp nach R.
64 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Ist (b, b) , 0, so setze man t = − (a,b)
(b,b)in obige Ungleichung ein, und erhalt
0 ≤ (a, a) − (a, b)2
(b, b).
Daraus folgt unmittelbar die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung.
Im Falle (b, b) = 0 folgt b = (0, . . . , 0), und damit (a, b) = 0. Es gilt also auch in
diesem Fall die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung.
Die Minkowskische Ungleichung folgt wegen (ai + bi)2 = ai · (ai + bi) + bi(ai + bi)
aus
p∑
i=1
(ai + bi)2 =
p∑
i=1
ai(ai + bi) +
p∑
i=1
bi(ai + bi) ≤∣∣∣∣∣∣∣
p∑
i=1
ai · (ai + bi)
∣∣∣∣∣∣∣+
∣∣∣∣∣∣∣
p∑
i=1
bi · (ai + bi)
∣∣∣∣∣∣∣
≤
p∑
i=1
a2i
12
·
p∑
i=1
(ai + bi)2
12
+
p∑
i=1
b2i
12
·
p∑
i=1
(ai + bi)2
12
=
=
p∑
i=1
a2i
12
+
p∑
i=1
b2i
12
·
p∑
i=1
(ai + bi)2
12
.
❑
Beispiele von Metriken gibt es viele, und sie treten in verschiedensten Zusam-
menhangen auf.
3.1.5 Beispiel.
(i) Sei noch einmal X := R2 und setze
d1(x, y) := |x1 − y1| + |x2 − y2|, x = (x1, x2), y = (y1, y2) ∈ R2 .
Dann ist d1 eine Metrik. Die Gultigkeit von (M1) und (M2) ist wieder aus der
Definition offensichtlich. Um die Dreiecksungleichung einzusehen, seien x, y, z ∈R gegeben. Dann folgt mit Hilfe der Dreiecksungleichung fur |.|
d1(x, z) = |x1 − z1| + |x2 − z2| ≤(|x1 − y1| + |y1 − z1|
)+
(|x2 − y2| + |y2 − z2|)=
=(|x1 − y1| + |x2 − y2|
)+
(|y1 − z1| + |y2 − z2|)= d1(x, y) + d1(y, z) .
Diese Metrik ist offenbar ungleich der euklidischen Metrik, denn es gilt etwa
d1((0, 0), (2, 1)) = 3 ,√
5 = d2((0, 0), (2, 1)).
Anschaulich interpretiert bezeichnet man d1 manchmal als New York-Metrik.
Denn stellt man sich in der Ebene einen Stadtplan mit lauter rechtwinkeligen
Straßen – wie etwa in New York – vor, dann misst d1(x, y) gerade die Lange des
Fußweges von der Kreuzung x zur Kreuzung y.
Ganz analog definiert man eine Metrik am Rp
d1(x, y) =
p∑
j=1
|x j − y j|, x = (x1, . . . , xp), y = (y1, . . . , yp) ∈ Rp .
Der Nachweis von (M1)-(M3) geht genauso wie im oben betrachteten Fall p = 2.
3.1. METRISCHE RAUME 65
(ii) Ist wieder X = Rp, so definieren wir nun die Metrik
d∞(x, y) := maxj=1,...,p
|x j − y j|, x = (x1, . . . , xp), y = (y1, . . . , yp) ∈ Rp .
(M1),(M2) sind klar. Die Dreiecksungleichung folgt aus der Tatsache, dass fur
alle nichtnegativen Zahlen
max{a1 + b1, . . . , ap + bp} ≤ max{a1, . . . , ap} +max{b1, . . . , bp} .
Auch diese Metrik unterscheidet sich tatsachlich von den schon eingefuhrten Me-
triken d1 und d2, da etwa im Falle p = 2 gilt, dass d∞((0, 0), (2, 1)) = 2.
(iii) Ist X = Cp, so definiert man fur z = (z1, . . . , zp),w = (w1, . . . ,wp) ∈ Cp
d2(z,w) =
√√√ p∑
j=1
|z j − w j|2 .
Identifiziert man z mit dem Vektor x ∈ R2p, indem man x1 = Re z1, x2 =
Im z1, . . . , x2p−1 = Re zp, x2p = Im zp setzt, und identifiziert man w entsprechend
mit dem Vektor y ∈ R2p, so gilt
d2(z,w) =
√√√ p∑
j=1
(Re(z j − w j)2 + Im(z j − w j)2) = d2(x, y) .
Insbesondere ist auch Cp versehen mit d2 ein metrischer Raum.
(iv) Eine hauptsachlich aus theoretischer Sicht wichtige Metrik ist die diskrete Metrik.
Sie findet man auf jeder nichtleeren Menge X, indem man
d(x, y) =
{0 , falls x = y
1 , falls x , y
setzt.
3.1.6 Beispiel (*). Betrachte die ganzen Zahlen X := Z und halte eine Primzahl p fest.
Setze
d(p)(x, y) :=
{1
pn(p) , falls x , y, x − y = ±∏q prim qn(q)
0 , falls x = y
Dabei ist ±∏q prim qn(q) die eindeutige Primfaktorzerlegung von x − y. Dann ist d(p)
eine Metrik auf Z. Denn (M1) ist nach Definition erfullt, (M2) ist ebenfalls richtig,
denn vertauscht man x und y, so andert sich bei der Differenz x− y nur das Vorzeichen,
nicht jedoch die Primfaktoren und ihre Potenzen. Die Dreiecksungleichung ist wieder
schwieriger einzusehen. Wir zeigen, dass in diesem Fall sogar die starkere Ungleichung
d(p)(x, z) ≤ max{d(p)(x, y), d(p)(y, z)}, x, y, z ∈ Z ,
gilt. Diese Ungleichung impliziert tatsachlich sofort die Dreiecksungleichung, denn fur
je zwei Zahlen a, b ≥ 0 ist stets max(a, b) ≤ a + b.
Schreibe
x − z = ±∏
q prim
qn1(q), x − y = ±∏
q prim
qn2(q), y − z = ±∏
q prim
qn3(q) ,
66 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
sodass also
d(p)(x, z) =1
pn1(p), d(p)(x, y) =
1
pn2(p), d(p)(y, z) =
1
pn3(p).
Betrachte den Fall, dass d(p)(x, y) ≥ d(p)(y, z), d.h. n2(p) ≤ n3(p). Wegen n2(p) ≤ n3(p)
teilt pn2(p) sowohl x − y als auch y− z, und daher auch (x− y)+ (y− z) = x − z. Es folgt
n2(p) ≤ n1(p), und somit d(p)(x, y) ≥ d(p)(x, z).
Der Fall d(p)(x, y) ≤ d(p)(y, z) wird genauso behandelt.
Auf Z haben wir naturlich auch die euklidische Metrik d2(x, y) = |x − y|, denn Z ist
ja eine Teilmenge von R. Diese ist verschieden von der Metrik d(p), denn zum Beispiel
ist d(p)(0, p) = 1p, wogegen d2(0, p) = p.
3.1.7 Bemerkung. Auf R stimmen die Metriken d1, d2, d∞ alle uberein.
3.1.8 Bemerkung. Die oben kennengelernten Metriken d2, d1, d∞ auf dem Rp sind al-
lesamt von Normen erzeugte Metriken.
Eine Norm ‖.‖ auf Rp ist eine Funktion von Rp → R mit folgenden drei Eigen-
schaften x, y ∈ Rp, λ ∈ R:
(i) ‖x‖ ≥ 0, wobei ‖x‖ = 0⇔ x = 0.
(ii) ‖λx‖ = |λ| · ‖x‖.
(iii) ‖x + y‖ ≤ ‖x‖ + ‖y‖.
Es gilt nun d(x, y) = ‖x − y‖2, d1(x, y) = ‖x − y‖1, d∞(x, y) = ‖x − y‖∞, wobei diese
drei Normen durch ‖x‖2 :=√∑p
j=1|x j|2, ‖x‖1 :=
∑p
j=1|x j|, ‖x‖∞ = max{|x1|, . . . , |xp|}
definiert sind.
3.2 Der Grenzwert in metrischen Raumen
Wir kommen nun zuruck zu dem am Anfang des Kapitels motivierten Begriff der Kon-
vergenz einer Folge.
3.2.1 Definition. Eine Folge in einer Menge X ist aus mathematischer Sicht nichts
anderes als eine Funktion
y : N→ X,
wobei der Funktionswert y(n) von y an der Stelle n meist als yn geschrieben wird.
Fur die Folge y als solche schreiben wir meist (yn)n∈N. Folgen werden auch oft als
y1, y2, y3, . . . angeschrieben.
3.2.2 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, (xn)n∈N eine Folge in X, und x ein
Element von X. Dann heißt (xn)n∈N konvergent gegen x, wenn gilt 5
∀ǫ ∈ R, ǫ > 0∃N ∈ N : d(xn, x) < ǫ fur alle n ≥ N . (3.3)
In diesem Fall schreibt man limn→∞ xn = x.
5Kurzer lasst sich das folgendermaßen schreiben: ∀ǫ ∈ R, ǫ > 0∃N ∈ N : ∀n ≥ N ⇒ d(xn , x) < ǫ.
3.2. DER GRENZWERT IN METRISCHEN RAUMEN 67
ǫ′
xN′
ǫ
xN
x
x1
Ist (xn)n∈N eine Folge, und gibt es ein Ele-
ment x ∈ X, sodass limn→∞ xn = x, so sagt
man die Folge (xn)n∈N ist konvergent. Ist
eine Folge nicht konvergent, so sagt man
sie ist divergent.
Man verwendet auch andere Schreibwei-
sen fur limn→∞ xn = x, wie zum Beispiel
(xn)n∈N → x, n → ∞, oder xn
n→∞−→ x, oder
auch nur xn → x.
3.2.3 Bemerkung. Wegen |d(x, xn) − 0| = d(x, xn) konvergiert eine Folge (xn)n∈N in ei-
nem metrischen Raum 〈X, d〉 genau dann gegen ein x ∈ X, wenn die Folge (d(x, xn))n∈Nin R (versehen mit der euklidischen Metrik) gegen 0 konvergiert.
Folgen mussen nicht immer mit dem Index 1 anfangen. Ist k eine feste ganze Zahl,
so setzen wir Z≥k := {n ∈ Z : n ≥ k}. Eine Abbildung x : Z≥k → X nennen wir ebenfalls
Folge, wobei ihre Konvergenz in analoger Weise wie in Definition 3.2.2 definiert ist.
3.2.4 Beispiel.
(i) Sei 〈X, d〉 ein beliebiger metrischer Raum, und sei x ∈ X. Betrachte die konstante
Folge x1 = x2 = x3 = . . . = x. Dann gilt lim j→∞ x j = x.
Um dies einzusehen, sei ein ǫ ∈ R, ǫ > 0, gegeben. Wir mussen eine Zahl N ∈ Nfinden, sodass d(x j, x) < ǫ fur alle j ≥ N. Wahle N := 1, dann gilt
d(x j, x) = d(x, x) = 0 < ǫ fur alle j ≥ N .
Dieses Beispiel ist naturlich in gewissem Sinne trivial, denn die Folgenglieder x j
sind ja schon alle gleich dem Grenzwert x, kommen diesem also naturlich beliebig
nahe.
(ii) Sei X = R und d = d2 die euklidische Metrik d2(x, y) = |x − y|. Dann gilt
lim j→∞1j= 0.
Um dies einzusehen, sei ein ǫ ∈ R, ǫ > 0, gegeben. Wir mussen eine Zahl N ∈ Nfinden, sodass | 1
j− 0| = 1
j< ǫ gilt, wenn nur j ≥ N. Dazu benutzen wir die
Tatsache, dass N als Teilmenge von R nicht nach oben beschrankt ist. Wahle
N ∈ N mit 1ǫ< N. Fur alle j ∈ N mit j ≥ N gilt dann 1
j≤ 1
N< ǫ.
(iii) Aus dem letzten Beispiel zusammen mit Bemerkung 3.2.3 schließen wir auf
lim j→∞(1 + 1j) = 1, da |(1 + 1
j) − 1| = 1
j→ 0.
(iv) Sei q ∈ R, 0 ≤ q < 1, und betrachte die Folge (qn)n∈N. Dann gilt limn→∞ qn = 0.
Um das einzusehen, konnen wir q > 0 voraussetzen, da sonst die betreffliche
Folge identisch gleich Null ist. Wir verwenden zum Beweis die Bernoullische
Ungleichung aus Lemma 2.3.6. Setzt man in der Bernoullischen Ungleichung
x = 1q− 1 > 0, so erhalt man
(1
q
)n
≥ 1 + n
(1
q− 1
).
68 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Da R archimedisch angeordnet ist, gibt es zu jedem ǫ > 0 eine Zahl N ∈ N mit
1 + N( 1q− 1) > 1
ǫund damit auch ( 1
q)N > 1
ǫ, also qN < ǫ. Es folgt d(0, qn) = qn ≤
qN < ǫ fur alle n ≥ N.
(v) Sei z ∈ C mit |z| < 1. Setzen wir q := |z|, so folgt aus dem vorherigen Beispiel,
dass d(0, zn) = |zn − 0| = qn → 0 fur n→ ∞. Also gilt auch limn→∞ zn = 0 in C.
3.2.5 Beispiel. Es gibt viele Folgen, die nicht konvergieren. Die Folge zn := in in C,
dh.
i,−1,−i, 1, i,−1,−i, 1, . . . ,
zum Beispiel, ist divergent, wobei wir immer, wenn wir nichts anderes explizit ange-
ben, C mit der euklidischen Metrik versehen.
Um das nachzuprufen, nehmen wir an, dass zn → z fur ein gewisses z ∈ C. Wahlt
man N ∈ N, sodass |zn − z| < 12
fur alle n ≥ N, und nimmt ein n0 ≥ N, welches durch 4
teilbar ist, so folgt der Widerspruch
2 = |1 − (−1)| = |zn0− zn0+2| ≤ |zn0
− z| + |z − zn0+2| <1
2+
1
2= 1 .
Es gelten folgende, zu (3.3) aquivalente Konvergenzbedingungen.
3.2.6 Lemma. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, x ∈ X und (xn)n∈N eine Folge aus X.
Dann gilt limn→∞ xn = x, dh. es gilt (3.3), genau dann, wenn fur gewisse K ∈ (0,+∞)
und α ∈ (0,+∞) ∪ {+∞}
∀ǫ ∈ (0, α)∃N ∈ N : d(xn, x) < K · ǫ fur alle n ≥ N. (3.4)
Die Konvergenz von (xn)n∈N gegen x ist auch aquivalent zu (3.3) bzw. (3.4), wenn man
in diesen Bedingungen · · · < ǫ bzw. · · · < K · ǫ durch · · · ≤ ǫ bzw. · · · ≤ K · ǫ ersetzt.
Beweis. Offenbar folgt (3.4) aus (3.3). Gelte umgekehrt (3.4). Fur ǫ > 0 gilt
min( ǫ
K, α
2
) ∈ (0, α). Nimmt man diese Zahl als ǫ in (3.4), so gibt es ein N ∈ N, so-
dass
d(xn, x) < K ·min
(ǫ
K,α
2
)≤ ǫ, fur alle n ≥ N .
Also gilt auch (3.3).
Dass aus (3.3) bzw. (3.4) die jeweiligen Bedingungen mit ≤ anstatt < folgt, ist klar,
da aus < ja immer ≤ folgt.
Fur die Umkehrung wende die Bedingungen mit ≤ statt < auf ǫ2
an. Man erhalt
dann · · · ≤ ǫ2< ǫ bzw. · · · ≤ K · ǫ
2< K · ǫ.
❑
3.2.7 Definition. Ist (xn)n∈N eine Folge und n : N→ N eine streng monoton wachsende
Funktion6, dh. n(1) < n(2) < n(3) < . . . , so nennt man (xn( j)) j∈N eine Teilfolge von
(xn)n∈N.
Folgende elementare Sachverhalte sind von großer Bedeutung und werden in Be-
weisen immer wieder Verwendung finden.
6Klarerweise ist eine solche Funktion n immer injektiv, und es gilt n( j) ≥ j.
3.2. DER GRENZWERT IN METRISCHEN RAUMEN 69
3.2.8 Satz. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und sei (xn)n∈N eine Folge von Elementen
aus X.
(i) Die Folge (xn)n∈N hat hochstens einen Grenzwert.
(ii) (xn)n∈N konvergiert gegen x ∈ X genau dann, wenn es ein k ∈ N gibt, sodass
(xn)n∈Z≥kgegen x ∈ X konvergiert. Es kommt also nicht auf endlich viele Folgen-
glieder an, ob und wogegen eine Folge konvergiert.
(iii) Ist limn→∞ xn = x und k ∈ N, so konvergieren auch (xn+k)n∈N und (xn−k)n∈Z≥k+1
gegen x.
(iv) Ist limn→∞ xn = x, so konvergiert auch jede Teilfolge (xn( j)) j∈N gegen x.
Beweis. Wir zeigen zunachst (i). Es gelte xn → x und xn → y, wobei x , y, dh.
d(x, y) > 0. Wahle N1 ∈ N, sodass d(xn, x) <d(x,y)
3, n ≥ N1, und N2 ∈ N, sodass
d(xn, y) <d(x,y)
3, n ≥ N2. Dann folgt fur N := max{N1,N2} der Widerspruch
d(x, y) ≤ d(x, xN) + d(xN , y) <d(x, y)
3+
d(x, y)
3=
2d(x, y)
3< d(x, y) ,
Wir zeigen auch noch (iv). Die restlichen Aussagen sind noch elementarer nachzuwei-
sen. Sei also (xn( j)) j∈N eine Teilfolge der gegen x konvergenten Folge (xn)n∈N. Ist ǫ > 0,
so gibt es ein N ∈ N, sodass d(xn, x) < ǫ, wenn nur n ≥ N.
Ist nun i0 ∈ N so groß, dass n(i0) ≥ N (z.B. i0 = N), so folgt fur i ≥ i0 auch
n(i) ≥ N und somit d(xn(i), x) < ǫ. Somit gilt lim j→∞ xn( j) = x.
❑
3.2.9 Beispiel.
(i) Ist p ∈ N, so gilt limn→∞1np = 0. Das folgt unmittelbar aus Satz 3.2.8 und der
Tatsache, dass diese Folge eine Teilfolge von(
1n
)n∈N
ist.
(ii) Sei z ∈ C, |z| < 1. Betrachte die Folge (die sogenannte geometrische Reihe)
S n :=
n∑
k=0
zk = 1 + z + z2 + . . . + zn .
Aus (2.10) folgt
1n − zn = (1 − z)(1n−1 + 1n−2z + . . . + 1zn−2 + zn−1) = (1 − z)(1 + z + . . . + zn−1) ,
und wir erhalten
S n−1 =1
1 − z− zn
1 − z. (3.5)
Sei nun beliebig ǫ > 0 vorgegeben. Wahle N ∈ N mit |z|n < ǫ, n ≥ N (vgl.
Beispiel 3.2.4, (iv)), dann folgt
∣∣∣S n−1 −1
1 − z
∣∣∣ = |z|n|1 − z| <
ǫ
|1 − z| , n ≥ N .
Wegen Lemma 3.2.6 gilt somit S n−1 → 11−z
, und wegen Satz 3.2.8 auch
limn→∞ S n =1
1−z.
70 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
3.2.10 Lemma. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und seien (xn)n∈N, (yn)n∈N Folgen von
Elementen von X, sodass limn→∞ xn = x und limn→∞ yn = y. Dann folgt
limn→∞
d(xn, yn) = d(x, y).
Beweis. Zunachst wollen wir folgende Ungleichung
∣∣∣ d(a1, b1) − d(a2, b2)∣∣∣ ≤ d(a1, a2) + d(b1, b2), a1, a2, b1, b2 ∈ X . (3.6)
beweisen. Aus der Dreiecksungleichung folgt d(a1, b1) − d(a2, b1) ≤ d(a1, a2) sowie
d(a2, b1) − d(a1, b1) ≤ d(a1, a2) und damit |d(a1, b1) − d(a2, b1)| ≤ d(a1, a2). Entspre-
chend gilt |d(a2, b1) − d(a2, b2)| ≤ d(b1, b2). Also erhalten wir
∣∣∣ d(a1, b1) − d(a2, b2)∣∣∣ ≤
∣∣∣ d(a1, b1) − d(a2, b1)∣∣∣ +
∣∣∣ d(a2, b1) − d(a2, b2)∣∣∣ ≤
d(a1, a2) + d(b1, b2) .
Sei nun ǫ > 0 und N ∈ N so groß, dass d(xn, x), d(yn, y) < ǫ2, wenn n ≥ N. Aus (3.6)
folgt ∣∣∣ d(xn, yn) − d(x, y)∣∣∣ ≤ d(xn, x) + d(yn, y) < ǫ
fur alle n ≥ N.
❑
Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit konvergenten Folgen auftritt, ist
der der Beschranktheit.
3.2.11 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, und sei Y ⊆ X. Dann heißt Y be-
schrankt, wenn es eine Zahl C > 0 und einen Punkt x0 ∈ X gibt, sodass
d(x0, y) ≤ C, y ∈ Y .
Eine Folge (xn)n∈N heißt beschrankt, wenn die Bildmenge {xn : n ∈ N} beschrankt ist.
Allgemeiner heißt eine Funktion f : E → X beschrankt, wenn die Bildmenge f (E)
beschrankt ist.
Die Menge Y ist also beschrankt, wenn sie ganz in einem gewissen Kreis7 (Mittel-
punkt x0, Radius C) liegt.
3.2.12 Bemerkung. Y ist beschrankt genau dann, wenn es zu jedem Punkt x ∈ X eine
Zahl Cx > 0 gibt mit d(x, y) ≤ Cx, y ∈ Y. Denn ist x ∈ X gegeben, so setze Cx :=
d(x, x0) + C. Dann gilt fur jedes y ∈ Y
d(x, y) ≤ d(x, x0) + d(x0, y) ≤ d(x, x0) +C = Cx .
Mit Hilfe dieser Tatsache sieht man auch, dass Y ⊆ C (Y ⊆ R) versehen mit der
euklidischen Metrik genau dann beschrankt ist, wenn fur ein gewisses C > 0 gilt, dass
|x| = d(x, 0) ≤ C fur alle x ∈ Y .
Im Falle Y ⊆ R stimmt somit diese Definition von Beschranktheit mit der von Defini-
tion 2.2.4 uberein.
7Ein Kreis in einem metrischen Raum 〈X, d〉 ist hier zu verstehen als {y ∈ X : d(x0 , y) ≤ C}.
3.3. FOLGEN REELLER UND KOMPLEXER ZAHLEN 71
3.2.13 Proposition. In einem metrischen Raum ist jede konvergente Folge (xn)n∈N auch
beschrankt.
Beweis. Wahle N ∈ N mit d(xn, x) < 1 fur alle n ≥ N. Setzt man
C := 1 +max{d(x1, x), . . . , d(xN−1, x)} ,
so erhalt man d(xn, x) ≤ C fur jedes n ∈ N.
❑
Insbesondere gibt es zu jeder konvergenten reell- bzw. komplexwertigen Folge
(xn)n∈N eine Konstante C > 0, sodass |xn| ≤ C, n ∈ N.
3.2.14 Bemerkung (*). Die Umkehrung von Proposition 3.2.13 ist falsch und zwar in
jedem metrischen Raum, der mehr als einen Punkt enthalt. In der Tat gilt fur x, y ∈ X
mit x , y, dass die Folge x, y, x, y, x, y, x, . . . zwar beschrankt, aber nicht konvergent ist.
3.2.15 Beispiel. Man betrachte die Folge (S n)n∈N aus Beispiel 3.2.9, (ii), fur den Fall
|z| = 1 aber z , 1. Wegen (3.5) gilt
S n =1 − zn+1
1 − z;
also |S n| ≤ 1+|zn+1||1−z| =
2|1−z| . Die Folge (S n)n∈N ist damit beschrankt. Sie ist aber nicht kon-
vergent, denn gemaß den Ergebnissen im nachsten Abschnitt ware dann auch (zn)n∈Nkonvergent. Das ist aber nicht der Fall. Man setze z.B. z = i oder z = −1.
3.3 Folgen reeller und komplexer Zahlen
Wir wollen uns hier zunachst mit dem metrischen Raum 〈R, d〉 beschaftigen, und fol-
gendes einfaches, aber sehr nutzliches Lemma bringen.
3.3.1 Lemma. Fur zwei konvergente Folgen (xn)n∈N, (yn)n∈N reeller Zahlen mit den
Grenzwerten x bzw. y gilt:
(i) Ist c ∈ R mit x < c (c < x), so gibt es ein N ∈ N, sodass xn < c (c < xn) fur alle
n ≥ N.
(ii) Ist x < y, so gibt es ein N ∈ N, sodass xn < yn fur alle n ≥ N.
(iii) Gilt ab einem gewissen N ∈ N die Ungleichung xn ≤ yn, so folgt x ≤ y.
Beweis.
(ii) Setzt man ǫ =y−x
2, so folgt aus der Konvergenz die Existenz eines N ∈ N, sodass
|xn − x| < y−x
2und |yn − y| < y−x
2fur n ≥ N. Somit gilt
−(yn − y) − (x − xn) ≤ |yn − y| + |x − xn| < (y − x) ;
also
yn − xn = (y − x) + (yn − y) + (x − xn) > 0.
(i) Folgt aus (ii), wenn wir (yn)n∈N ((xn)n∈N) als die identische Folge (c)n∈N wahlen.
72 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
(iii) Ware x > y, so wurde aus (ii) folgen, dass xn > yn fur alle n ≥ k mit einem
hinreichend großen k ∈ N. Das widerspricht der Annahme.
❑
Der nachste Satz dient haufig als Werkzeug zur Berechnung von Grenzwerten.
3.3.2 Satz (Einschluss-Satz). Seien (xn)n∈N, (yn)n∈N und (an)n∈N drei reelle Folgen mit
xn ≤ an ≤ yn fur alle bis auf endlich viele n ∈ N.
Existieren zudem die Grenzwerte limn→∞ xn und limn→∞ yn, und gilt
limn→∞
xn = limn→∞
yn,
so existiert auch der Grenzwert limn→∞ an und stimmt mit dem gemeinsamen Grenzwert
von (xn)n∈N und (yn)n∈N uberein.
Beweis. Setze a := limn→∞ xn. Zu ǫ > 0 wahle N ∈ N mit |xn − a|, |yn − a| < ǫ und
xn ≤ an ≤ yn fur n ≥ N. Fur solche n folgt
−ǫ < xn − a ≤ an − a ≤ yn − a < ǫ,
d.h. |an − a| < ǫ.❑
3.3.3 Beispiel. Als einfaches Beispiel betrachte man die Folge(
1n2−3n+3
)n∈N
. Man sieht
leicht, dass
0 ≤ 1
n2 − 3n + 3≤ 1
n, fur n ≥ 3.
Also folgt mit Satz 3.3.2, dass limn→∞1
n2−3n+3= 0.
3.3.4 Beispiel.
Jede Zahl x ∈ R ist Limes einer Folge (rn)n∈N bestehend aus rationalen Zahlen.
Um das einzusehen, wahle gemaß Satz 2.8.3 fur jedes n ∈ N eine Zahl rn ∈ Q,
sodass x < rn < x + 1n. Aus Satz 3.3.2 folgt limn→∞ rn = x. Genauso gibt es eine
Folge irrationaler Zahlen großer x, die gegen x konvergiert.
*Arbeitet man mit großerer mathematischen Strenge, so muss man obiges Argu-
ment folgendermaßen prazisieren: Nach Satz 2.8.3 ist die Menge Mn der r ∈ Qmit x < r < x + 1
nnicht leer. Nun sei ρ einfach eine nach dem Auswahlaxiom
existierende Funktion von N nach ∪n∈NMn, sodass ρ(n) ∈ Mn. Nun setze einfach
rn = ρ(n).
Mit einer etwas feineren Argumentation kann man (rn)n∈N sogar streng monoton
fallend (rn1> rn2
wenn n1 < n2) wahlen. Dazu definiert man rn induktiv so, dass
x < rn < min(x + 1n, rn−1). Genauso kann man eine streng monoton wachsende
Folge aus Q konstruieren, die gegen x konvergiert.
3.3. FOLGEN REELLER UND KOMPLEXER ZAHLEN 73
*Lasst man auch hier mehr Strenge walten, so benotigt man zur Existenz der
Folge (rn)n∈N den Rekursionssatz:
Fur jedes y > x und jedes n ∈ N ist die MengeQ∩(x,min(y, x+ 1n)) nicht leer. Sei
: N×(x,+∞)→ Q eine Auswahlfunktion, sodass (n, y) ∈ Q∩(x,min(y, x+ 1n)).
Nun sei a := (1, r1) ∈ N × ((x,+∞) ∩ Q) =: A und g : A → A definiert durch
g(n, y) = (n + 1, (n, y)). Nach dem Rekursionssatz gibt es eine Funktion φ :
N → A mit φ(1) = a und φ(n + 1) = g(φ(n)). Ist fur n ∈ N nun rn die zweite
Komponente von φ(n), so hat (rn)n∈N die geforderten Eigenschaften.
Sei F ⊆ R nach oben beschrankt und x := sup F. Gemaß der Definition des
Supremums gilt (x− 1n, x]∩F , ∅ fur alle n ∈ N. Wahlt man fur jedes n ∈ N eine
reelle Zahl xn ∈ (x − 1n, x] ∩ F, so erhalt man eine Folge (xn)n∈N, in F, die gegen
sup F konvergiert. Man kann ahnlich wie oben (xn)n∈N sogar monoton wachsend
wahlen.
Entsprechendes gilt fur nach unten beschrankte Mengen und deren Infimum.
Im nachsten Satz wollen wir zeigen, dass die algebraischen Operationen und die
Betragsfunktion auf R und C mit dem Grenzwertbegriff vertraglich sind.
3.3.5 Satz (Rechenregeln fur Folgen). Seien (zn)n∈N und (wn)n∈N konvergente Folgen
reeller oder komplexer Zahlen, limn→∞ zn =: z, limn→∞ wn =: w, und sei λ ∈ R bzw.
λ ∈ C. Dann gilt fur k ∈ N
(i) limn→∞ |zn| = |z|, limn→∞ zn = z.
(ii) limn→∞(zn + wn) = z + w, limn→∞(−zn) = −z.
(iii) Ist z = 0, also zn → 0, n→ ∞, und ist (un)n∈N eine beschrankte Folge aus R bzw.
C, dann gilt limn→∞(zn · un) = 0.
(iv) limn→∞(λzn) = λz und limn→∞(zn · wn) = z · w.
(v) limn→∞ zkn = zk.
(vi) Falls z , 0 ist, gilt limn→∞1zn= 1
z.
(vii) Ist zn ∈ R und zn ≥ 0, so folgt limn→∞ k√
zn =k√
z.
3.3.6 Bemerkung. Bis auf den letzten Punkt werden wir Satz 3.3.5 fur komplexe Folgen
beweisen. Fast derselbe Beweis funktioniert fur reellwertige Folgen.
Man kann aber die Rechenregeln fur reellwertige Folgen auch aus denen fur
komplexwertige Folgen herleiten, da – wie wir gleich zeigen wollen – eine Folge
(xn)n∈N in R genau dann konvergiert, wenn (xn + i0)n∈N in C konvergiert. Dabei gilt
limn→∞(xn + i0) = (limn→∞ xn) + i0.
Ist (xn)n∈N eine reellwertige Folge, welche gegen ein x ∈ R konvergiert, so konver-
giert (xn+ i0)n∈N gegen x+ i0, da ja |(xn+ i0)− (x+ i0)| = |xn − x| → 0; vgl. Bemerkung
3.2.3.
Konvergiert umgekehrt fur eine reellwertige Folge (xn)n∈N die Folge (xn + i0)n∈N in
C gegen x + iy ∈ C, so muss wegen
0 ≤ max(|xn − x|, |0 − y|) ≤ |(xn + i0) − (x + iy)| → 0, n→ ∞,
gemeinsam mit Satz 3.3.2 folgen, dass xn → x und |y| → 0, d.h. y = 0.
74 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Beweis. (Satz 3.3.5)
(i) Zu ǫ > 0 wahle N ∈ N, sodass |zn−z| < ǫ fur n ≥ N. Mit der Dreiecksungleichung
nach unten erhalt man
∣∣∣|zn| − |z|∣∣∣ ≤ |zn − z| < ǫ, |zn − z| = |zn − z| < ǫ.
Man kann limn→∞ |zn| = |z| auch als Spezialfall von Lemma 3.2.10 sehen: |zn| =d(zn, 0)→ d(z, 0) = |z|.
(ii) Sei ǫ > 0 gegeben. Wahle N so, dass |zn − z| < ǫ2
und auch |wn − w| < ǫ2
fur alle
n ≥ N. Es gilt fur solche n
|(zn + wn) − (z + w)| = |(zn − z) + (wn − w)| ≤ |zn − z| + |wn − w| < ǫ
2+ǫ
2= ǫ.
Also ist (zn + wn)n∈N konvergent und der Grenzwert ist z + w. Weiters gilt fur N
so groß, dass |zn − z| < ǫ, wenn nur n ≥ N, auch
|(−zn) − (−z)| = | − (zn − z)| = |zn − z| < ǫ, n ≥ N.
Also konvergiert (−zn)n∈N gegen −z.
(iii) Ist C > 0 so, dass |un| ≤ C, n ∈ N, und ist ǫ > 0, so gibt es wegen zn → 0 ein
N ∈ N, sodass |zn| < ǫC, n ≥ N. Es folgt |zn ·un| < ǫ fur alle n ≥ N, also zn ·un → 0.
(iv) Ist N so groß, dass |zn − z| < ǫ fur n ≥ N, so gilt
|λzn − λz| = |λ| · |zn − z| < λ · ǫ, n ≥ N.
Gemaß (3.4) folgt daher λzn → λz.
Um znwn → zw nachzuweisen, sei daran erinnert, dass gemaß Proposition 3.2.13
konvergente Folgen beschrankt sind. Nach (ii) konvergiert (zn − z) gegen Null,
und mit (iii) daher auch (zn − z)wn → 0, n → ∞. Der schon bewiesene Teil von
(iv) gibt nun zusammen mit (ii)
znwn = (zn − z)wn + zwn
n→∞−→ 0 + zw.
(v) Das folgt durch vollstandige Induktion nach k aus (iv).
(vi) Sei nun z , 0. Wegen (i) und Lemma 3.3.1 folgt aus zn → z fur hinreichend
großes n, dass |zn| > |z|2
. Es folgt die Abschatzung
∣∣∣∣∣1
zn
− 1
z
∣∣∣∣∣ =|z − zn||z| · |zn|
≤ |z − zn| ·2
|z|2 ,
und damit wird die Differenz 1zn− 1
zfur große n beliebig klein.
3.3. FOLGEN REELLER UND KOMPLEXER ZAHLEN 75
(vii) Sei zunachst z > 0. Wegen (i) und Lemma 3.3.1 folgt aus zn → z die Existenz von
N ∈ N, sodass fur n ≥ N sicher zn >z2> 0 und |zn − z| < ǫ. Gemaß (2.10) gilt fur
solche n
| k√
zn − k√
z| = |zn − z|| k√
zk−1+ k√
zk−2 k√
zn + . . . +k√
znk−2 k√
z + k√
znk−1|≤
|zn − z|| k√
z2
k−1+ k
√z2
k−2k√
z2+ . . . + k
√z2
k−2k√
z2+ k
√z2
k−1|<
ǫ
k k√
z2
k−1,
da klarerweise auch z > z2. Gemaß (3.4) folgt k
√zn → k
√z.
Ist z = 0, so sei ǫ > 0 vorgegeben. Ist nun N ∈ N so, dass zn = |zn − 0| < ǫk fur
n ≥ N, dann folgt aus der Monotonie der Wurzelfunktion (vgl. Bemerkung 2.9.7)
| k√
zn − 0| = k√
zn < ǫ. Also k√
zn → 0.
❑
3.3.7 Beispiel.
(i) Wegen limn→∞1n= 0 folgt aus Satz 3.3.5, (vii), dass limn→∞
1p√n= 0. Zusammen
mit Satz 3.3.5, (v), erhalt man also, dass fur alle r ∈ Q, r > 0,
limn→∞
1
nr= 0 .
(ii) Um fur xn =√
n3 + 1 −√
n3 + 2n den Grenzwert zu berechnen, verwenden wir
(2.10) und erhalten
√n3 + 1 −
√n3 + 2n =
(n3 + 1) − (n3 + 2n)√
n3 + 1 +√
n3 + 2n=
1 − 2n√
n3 + 1 +√
n3 + 2n=
1n− 2
√n + 1
n2 +
√n + 2
n
.
Wegen
0 ≤ 1√
n + 1n2 +
√n + 2
n
≤ 1√
n
ergibt Satz 3.3.2, dass der mittlere Ausdruck gegen Null konvergiert. Zusammen
mit Satz 3.3.5, (iv), folgt limn→∞ xn = 0.
(iii) Die Folge xn =n√
n konvergiert gegen 1. In der Tat gilt fur die Folge an := xn − 1,
dass an ≥ 0 und (1 + an)n = n. Nach dem Binomischen Lehrsatz gilt
n = (an + 1)n =
n∑
k=0
(n
k
)ak
n1n−k ≥ 1 +n(n − 1)
2a2
n.
Damit folgt a2n ≤
2(n−1)
n(n−1)= 2
n→ 0. Gemaß Satz 3.3.5, (vii), gilt an → 0 und damit
xn → 1, n→ ∞.
76 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
(iv) Ist q > 0 fest, so gilt limn→∞ n√
q = 1. Betrachte zunachst den Fall q ≥ 1. Dann
gilt fur n ≥ q
1 ≤ n√
q ≤ n√
n .
Nach Satz 3.3.2 folgt n√
q → 1. Im Fall 0 < q < 1 betrachte 1n√
q= n
√1q
und
verwende Satz 3.3.5.
(v) Um fur z ∈ C mit |z| < 1 und k ∈ N den Grenzwert limn→∞ nk · zn zu berechnen,
sei N ∈ N so groß, dass | n√
nk · z| < 1+|z|2
(< 1) fur alle n ≥ N, was wegen
limn→∞n√
nk · |z| = |z| zusammen mit Lemma 3.3.1 moglich ist. Fur n ≥ N gilt
dann
0 ≤ |nk · zn| ≤(1 + |z|
2
)n
,
und somit limn→∞ nk · zn = 0.
3.4 Monotone Folgen
Bisher haben wir zwar gesehen, was aus der Konvergenz einer oder mehrerer Folgen
folgt. Das Problem, ob eine gegebene Folge konvergiert oder nicht, haben wir jedoch
nicht betrachtet. Die definierende Eigenschaft von R, vollstandig angeordnet zu sein,
wird uns in R die Existenz von Grenzwerten bestimmter Folgen liefern.
3.4.1 Definition. Eine Folge (an)n∈N in R heißt monoton wachsend, falls an ≤ an+1 fur
alle n ∈ N, dh.
a1 ≤ a2 ≤ a3 ≤ . . .
Sie heißt monoton fallend, falls an ≥ an+1 fur alle n ∈ N, dh.
a1 ≥ a2 ≥ a3 ≥ . . .
Eine Folge heißt monoton, wenn sie monoton wachsend oder monoton fallend ist.
3.4.2 Satz. Sei (xn)n∈N eine monoton wachsende und nach oben beschrankte Folge.
Dann konvergiert (xn)n∈N, wobei
limn→∞
xn = sup{xn : n ∈ N} .
Entsprechend konvergiert eine monoton fallende und nach unten beschrankte Folge
(xn)n∈N gegen inf{xn : n ∈ N}.
Beweis. Sei (xn)n∈N monoton wachsend und nach oben beschrankt. Somit existiert
x := sup{xn : n ∈ N}. Wir zeigen, dass limn→∞ xn = x. Sei ǫ > 0. Wegen x− ǫ < x kann
x − ǫ keine obere Schranke der Menge {xn : n ∈ N} sein. Es gibt also ein N ∈ N mit
xN > x − ǫ. Wegen der Monotonie folgt auch xn > x − ǫ fur alle n ≥ N. Da stets x ≥ xn
gilt, erhalt man fur n ≥ N
0 ≤ x − xn < ǫ,
und damit |xn − x| < ǫ.Fur monoton fallende Folgen schließt man in analoger Art und Weise.
❑
3.4.3 Beispiel.
3.4. MONOTONE FOLGEN 77
(i) Betrachte die Folge(
1n
)n∈N
. Gemaß Beispiel 2.8.2 gilt inf{ 1n
: n ∈ N} = 0. Also
folgt aus Satz 3.4.2, dass limn→∞1n= 0. Dieses Konvergenzverhalten haben wir
ubrigens auch schon in Beispiel 3.2.4, (ii), festgestellt.
(ii) Die Bedingung in Satz 3.4.2 ist hinreichend fur Konvergenz, aber nicht notwen-
dig. Betrachte dazu die Folge(
(−1)n
n
)n∈N
.
(iii) Nach dem Rekursionssatz Satz 2.3.3 ist durch a1 =√
2 und an+1 =√
2 + an eine
Folge in [0,+∞) wohldefiniert. Wir behaupten, dass dabei an ≤ 2 und an ≤ an+1
fur alle n ∈ N, was wir mittels vollstandiger Induktion zeigen wollen.
Fur n = 1 gilt offenbar a1 =√
2 ≤ 2 und a1 =√
2 ≤√
2 +√
2 ≤ a2.
Gelte nun an ≤ 2 und an ≤ an+1. Daraus folgt an+1 =√
2 + an ≤√
2 + 2 = 2 und
auch an+1 =√
2 + an ≤√
2 + an+1 = an+2.
Gemaß Satz 3.4.2 konvergiert (an)n∈N gegen a = sup{an : n ∈ N}, welches sicher
a ≥ a1 =√
2 > 0 erfullt. Um a genau zu berechnen, sei bemerkt, dass auch (vgl.
Satz 3.3.5)
a = limn→∞
an+1 = limn→∞
√2 + an =
√2 + a .
Somit erfullt a die Gleichung a2 − a − 2 = 0. Also gilt a = 2 oder a = −1, wobei
die zweite Moglichkeit wegen a > 0 ausgeschlossen werden kann.
(iv) Fur n ∈ N sei
en =
(1 +
1
n
)n
und fn =
(1 +
1
n
)n+1
.
Offenbar gilt immer 1 < en < fn. Wir rechnen mit Hilfe der Version der Bernoul-
lische Ungleichung aus Beispiel 2.3.11
en+1
en
=
(1 +
1
n
) 1 + 1
n+1
1 + 1n
n+1
=n + 1
n
(n2 + 2n + 1 − 1
n2 + 2n + 1
)n+1
=
n + 1
n
(1 − 1
(n + 1)2
)n+1
>n
n + 1
(1 − (n + 1)
1
(n + 1)2
)=
n + 1
n
n
n + 1= 1.
Ahnlich gilt
fn
fn+1
=1
1 + 1n
1 + 1
n
1 + 1n+1
n+2
=n
n + 1
(n2 + 2n + 1
n2 + 2n
)n+2
=
n
n + 1
(1 +
1
n2 + 2n
)n+2
>n
n + 1
(1 + (n + 2)
1
n2 + 2n
)=
n
n + 1
n + 1
n= 1 .
Also ist (en)n∈N streng monoton wachsend und ( fn)n∈N streng monoton fallend.
Wegen 1 < en < fn ≤ f1 = 4 fur alle n ∈ N sind diese Folgen auch beschrankt,
und somit konvergent, wobei
limn→∞
fn = limn→∞
(1 +
1
n
)· en = 1 · lim
n→∞en .
Den gemeinsamen Grenzwert dieser Folgen nennt man die Eulersche Zahl e.
78 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Fur beschrankte, aber nicht notwendigerweise monotone Folgen gilt folgende
schwachere Aussage.
3.4.4 Lemma. Sei (xn)n∈N eine beschrankte Folge aus R. Fur N ∈ N sei
yN := inf{xn : n ≥ N}.
Dann ist die Folge (yN)N∈N monoton wachsend, beschrankt, und konvergiert daher ge-
gen sup{yN : N ∈ N}. Also existiert der sogenannte Limes Inferior
lim infn→∞
xn := supN∈N
infn≥N
xn = limN→∞
infn≥N
xn.
Schließlich gibt es eine Teilfolge (xn( j)) j∈N von (xn)n∈N, die ebenfalls gegen
lim infn→∞ xn konvergiert.
Entsprechendes gilt, wenn man alle Infima durch Suprema und umgekehrt ersetzt.
Also ist (zN)N∈N mit zN = sup{xn : n ≥ N} monoton fallend und beschrankt. Ihren
Grenzwert nennt man Limes Superior
lim supn→∞
xn := infN∈N
supn≥N
xn = limN→∞
supn≥N
xn.
Beweis. Gemaß Voraussetzung gilt |xn| ≤ C, n ∈ N fur ein reelles C > 0. Somit
existiert fur jedes N ∈ N
yN := inf{xn : n ≥ N} ≤ C ,
und in Folge auch y := sup{yN : N ∈ N}. Aus {xn : n ≥ N + 1} ⊆ {xn : n ≥ N} folgt
yN+1 ≥ yN , und aus Satz 3.4.2 die Tatsache limn→∞ yn = y, wobei ym ≤ y fur alle m ∈ N.
Wir definieren nun rekursiv eine Teilfolge8 (xn( j)) j∈N von (xn)n∈N, indem wir
zunachst n(1) = 1 setzen. Ist n( j) ∈ N definiert, so existiert wegen yn( j)+1 ≤ y ein
n( j + 1) ∈ N derart, dass n( j + 1) > n( j) und
yn( j)+1 = inf{xk : k > n( j)} ≤ xn( j+1) < y +1
j + 1.
Wegen yn( j) ≤ yn( j)+1 ≤ xn( j+1) < y + 1j+1
liefert das Einschlusskriterium Satz 3.3.2 die
Konvergenz von (xn( j)) j∈N gegen y.
Der Beweis fur den Limes Superior verlauft entsprechend.
❑
3.4.5 Fakta.
1. Aus infn≥N xn ≤ supn≥N xn, N ∈ N folgt unmittelbar
lim infn→∞
xn ≤ lim supn→∞
xn.
2. Weiters folgt aus den Rechenregeln fur Suprema und Infima sofort, dass
lim supn→∞(−xn) = − lim infn→∞ xn sowie lim supn→∞ an ≤ lim supn→∞ bn und
lim infn→∞ an ≤ lim infn→∞ bn fur beschrankte Folgen (an)n∈N, (bn)n∈N mit an ≤bn ab einem Index N ∈ N.
8Dass man so verfahren kann, wird durch den Rekursionssatz gewahrleistet.
3.5. CAUCHY-FOLGEN 79
3. Ist (xn)n∈N konvergent, so folgt aus Lemma 3.4.4 und Satz 3.2.8, (iv), dass
lim infn→∞
xn = limn→∞
xn = lim supn→∞
xn. (3.7)
4. Gilt umgekehrt y := lim infn→∞ xn = lim supn→∞ xn, so gibt es zu jedem ǫ > 0
ein N1 ∈ N, sodass y− ǫ < infn≥N xn ≤ y fur alle N ≥ N1, und ein N2 ∈ N, sodass
y ≤ supn≥N < y + ǫ fur alle N ≥ N2. Fur N ≥ max(N1,N2) folgt
y − ǫ < infn≥N
xn ≤ xN ≤ supn≥N
< y + ǫ ,
und damit die Konvergenz von (xn)n∈N gegen y; also gilt (3.7).
5. Aus lim supn→∞ xn = limN→∞ supn≥N xn zusammen mit Satz 2.8.3 und Lemma
3.3.1 zeigt man, dass lim supn→∞ xn < ξ genau dann, wenn es ein q < ξ gibt,
sodass xn ≤ q fur alle bis auf endlich viele n ∈ N. Entsprechendes gilt fur
lim infn→∞ xn > ξ.
6. Ahnlich gilt lim supn→∞ xn > ξ genau dann, wenn es ein q > ξ gibt, sodass xn ≥ q
fur unendlich viele n ∈ N. Entsprechendes gilt fur lim infn→∞ xn < ξ.
3.4.6 Bemerkung (*). In der Tat ist lim supn→∞ xn jene eindeutige Zahl x, fur die gilt:
Fur jedes ǫ > 0 gibt es nur fur endlich viele n ∈ N, die der Ungleichung xn ≥ x + ǫ
genugen, wogegen fur unendlich viele n ∈ N die Ungleichung xn ≥ x − ǫ gilt. Auch
hier gilt entsprechendes fur lim infn→∞ xn.
3.5 Cauchy-Folgen
Um in allgemeinen metrischen Raumen Folgen auf Konvergenz zu untersuchen, fuhrt
man den Begriff der Cauchy-Folge ein.
3.5.1 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Eine Folge (xn)n∈N von Elementen
aus X heißt Cauchy-Folge9, falls
∀ǫ ∈ R, ǫ > 0∃N ∈ N : d(xn, xm) < ǫ fur alle n,m ≥ N . (3.8)
3.5.2 Bemerkung. Da es wegen Satz 2.8.3 zwischen jedem ǫ ∈ R, ǫ > 0 und der Zahl 0
ein ε ∈ Qmit 0 < ε < ǫ gibt, erhalt man eine zu Definition 3.5.1 aquivalente Definition,
wenn man in (3.8) statt ∀ǫ ∈ R, ǫ > 0 . . . den Ausdruck ∀ǫ ∈ Q, ǫ > 0 . . . schreibt.
Aus dem selben Grund lasst sich die Konvergenz einer Folge durch (3.3) charakte-
risieren, wenn man in eben dieser Gleichung ∀ǫ ∈ Q, ǫ > 0 . . . anstatt ∀ǫ ∈ R, ǫ > 0 . . .
schreibt.
Ahnlich wie in Proposition 3.2.13 gilt:
3.5.3 Proposition. Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge. Dann ist {xn : n ∈ N} beschrankt.
9Augustin Louis Cauchy. 21.8.1789 Paris - 22.5.1857 Sceaux (bei Paris)
80 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Beweis. Wahle N ∈ N mit d(xn, xm) < 1 fur n,m ≥ N. Setzt man
C := 1 +max{d(x1, xN), . . . , d(xN−1, xN)} ,
so gilt d(xn, xN) ≤ C fur jedes n ∈ N.
❑
Aus dem nachsten Resultat erkennt man einen Zusammenhang zum Begriff der
Konvergenz.
3.5.4 Proposition. Jede konvergente Folge (xn)n∈N ist eine Cauchy-Folge.
Beweis. Sei ǫ > 0 gegeben. Aus der Definition der Konvergenz folgt die Existenz
einer Zahl N ∈ N mit der Eigenschaft, dass d(xn, x) < ǫ2, n ≥ N. Hier bezeichnet
x den Grenzwert der Folge (xn)n∈N, der zwar nach Voraussetzung existiert, uber den
sonst aber nichts bekannt zu sein braucht. Dann gilt nach der Dreiecksungleichung fur
n,m ≥ N
d(xn, xm) ≤ d(xn, x) + d(x, xm) <ǫ
2+ǫ
2= ǫ.
❑
Also ist jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge. Wurde nun umgekehrt jede
Cauchy-Folge konvergieren, so konnten wir die Konvergenz einer Folge nachweisen,
ohne ihren Grenzwert explizit in der Hand zu haben. Leider ist dies bei vielen metri-
schen Raumen nicht der Fall.
3.5.5 Definition. Ein metrischer Raum 〈X, d〉 heißt vollstandig, wenn jede Cauchy-
Folge von Elementen aus X in X einen Grenzwert besitzt.
3.5.6 Beispiel. Die rationalen Zahlen sind nicht vollstandig. Dazu betrachte man z.B.
eine Folge (rn)n∈N bestehend aus rationalen Zahlen wie in Beispiel 3.3.4, die gegen√2 ∈ R \ Q konvergiert.
Diese ist eine Cauchy-Folge in R und daher auch in Q. Sie konvergiert aber nicht
in Q. Denn wurde sie das tun, so wurde sie in R einerseits gegen√
2 und anderer-
seits gegen einen Grenzwert in Q konvergieren. Das widerspricht der Eindeutigkeit des
Grenzwertes in R.
3.5.7 Lemma. Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge in einem metrischen Raum 〈X, d〉, die
eine konvergente Teilfolge hat. Dann ist (xn)n∈N konvergent.
Beweis. Sei (xn(k))k∈N die konvergente Teilfolge mit limk→∞ xn(k) = x. Zu ǫ > 0 wahle
N1 so groß, dass d(xn, xm) < ǫ fur n,m ≥ N1. Wahle N2 so groß, dass d(xn(k), x) < ǫ fur
k ≥ N2. Setze N := max{N1,N2}. Wahlt man nun k ≥ N, so folgt n(k) ≥ k ≥ N, und
man erhalt fur n ≥ N
d(xn, x) ≤ d(xn, xn(k)) + d(xn(k), x) < ǫ + ǫ = 2ǫ.
❑
Das wichtigste Beispiel fur einen vollstandig metrischen Raum sind die reellen
Zahlen.
3.6. KONVERGENZ IN WEITEREN METRISCHEN RAUMEN 81
3.5.8 Satz (Cauchysches Konvergenzkriterium). Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge reeller
Zahlen. Dann existiert eine reelle Zahl x, sodass (xn)n∈N gegen x konvergiert.
Beweis. Gemaß Proposition 3.5.3 ist die Cauchy-Folge (xn)n∈N beschrankt. Nach
Lemma 3.4.4 hat (xn)n∈N eine konvergente Teilfolge. Schließlich konvergiert gemaß
Lemma 3.5.7 auch die Folge (xn)n∈N selbst.
❑
3.5.9 Beispiel.
Der metrische Raum X = [0, 1] versehen mit der euklidischen Metrik ist auch
vollstandig, denn ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge in X, so ist sie das auch in R.
Wegen Satz 3.5.8 gilt limn→∞ xn = x fur ein x ∈ R.
Wegen 0 ≤ xn ≤ 1, n ∈ N, folgt aus Lemma 3.3.1, (iii), dass auch x ∈ X. Also
hat jede Cauchy-Folge in X einen Grenzwert in X.
Ist dagegen etwa X = (0, 1] versehen mit der euklidischen Metrik, so ist(
1n
)n∈N
eine Cauchy-Folge in X. Sie hat aber in X keinen Grenzwert, denn sonst wurde(1n
)n∈N
auch in R gegen diesen Grenzwert x ∈ X ⊆ R und andererseits gegen 0
streben. Wegen 0 < X muss x , 0 im Widerspruch zu Satz 3.2.8, (i).
3.6 Konvergenz in weiteren metrischen Raumen
Wir betrachten die Menge Rp (p ∈ N) und versehen diese mit den drei schon vorge-
stellten Metriken d1, d2, d∞. Wie bereits bemerkt, unterscheiden sich diese Metriken
voneinander.
Der Unterschied ist aber nicht allzu groß. In der Tat werden wir sehen, dass wenn
eine Folge bezuglich einer der drei Metriken konvergiert, diese dann auch bezuglicher
der anderen zwei konvergiert10.
Der Grund dafur liegt in der Ungleichungskette
maxk=1,...,p
{|xk |} ≤( p∑
k=1
|xk|2) 1
2 ≤p∑
k=1
|xk | ≤ p · maxk=1,...,p
{|xk|} . (3.9)
Das zweite”≤“ sieht man durch quadrieren. Das erste und dritte ist klar.
3.6.1 Proposition. Sei (xn)n∈N eine Folge von Punkten xn = (xn,1, . . . , xn,p) ∈ Rp, und
x = (x1, . . . , xp) ∈ Rp. Dann impliziert limn→∞ xn = x bezuglich einer der Metriken d1,
d2, d∞ auch limn→∞ xn = x bezuglich der anderen zwei Metriken aus d1, d2, d∞.
Die Konvergenz von (xn)n∈N gegen x bezuglich einer und daher aller dieser Metri-
ken ist wiederum aquivalent zur komponentenweisen Konvergenz 11
limn→∞
xn,k = xk fur alle k = 1, . . . , p . (3.10)
Insbesondere konvergiert eine Folge (zn)i∈N komplexer Zahlen gegen ein z ∈ C genau
dann, wenn12
limn→∞
Re(zn) = Re z und limn→∞
Im(zn) = Im z .
10Es sei aber hier auch darauf hingewiesen, dass es auf ein und der selben Menge Metriken d, d geben
kann, sodass eine gewisse Folge (xn)n∈N in dieser Menge bezuglich d konvergiert, aber bezuglich d divergiert.11Diese Konvergenz versteht sich in R bezuglich der euklidischen Metrik.12Vergleiche Bemerkung 3.3.6.
82 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Beweis. Aus Ungleichung (3.9) schließen wir auf
d∞(xn, x) ≤ d2(xn, x) ≤ d1(xn, x) ≤ p · d∞(xn, x).
Das Einschlusskriterium Satz 3.3.2 liefert nun sofort, dass, wenn eine der Folgen(d1(xn, x)
)n∈N,
(d2(xn, x)
)n∈N bzw.
(d∞(xn, x)
)n∈N eine Nullfolge ist, es dann die beiden
anderen Folgen auch sind. Aus Bemerkung 3.2.3 folgt, dass die Konvergenzbegriffe
bzgl. der drei Metriken ubereinstimmen.
Sei nun limn→∞ xn = x bezuglich bezuglich einer dieser Metriken und daher insbe-
sondere bezuglich d∞. Fur k = 1, . . . , p gilt
0 ≤ |xn,k − xk | ≤ maxj=1,...,p
{|xn, j − x j|} = d∞(xn, x) .
Wieder nach dem Einschlusskriterium Satz 3.3.2 zusammen mit Bemerkung 3.2.3 folgt
limn→∞ xn,k = xk.
Sei umgekehrt (3.10) vorausgesetzt und ǫ > 0 gegeben. Wahle N1, . . . ,Np, sodass
fur k = 1, . . . , p folgt |xn,k − xk | < ǫ, n ≥ Nk. Setzt man N := max{N1, . . . ,Np}, so folgt
d∞(xn, x) = maxk=1,...,p
{|xn,k − xk |} < ǫ .
Also gilt xn → x bezuglich d∞.
❑
3.6.2 Beispiel. Man betrachte die Folge (xn)n∈N im R3 gegeben durch
xn =1
n·(−1)n, 2 − 3n,
n∑
k=0
1
2k
.
Wegen | 1n· (−1)n| = 1
n→ 0 und
∣∣∣ 1n·∑n
k=012k
∣∣∣ ≤ 2n→ 0 konvergieren die erste und die
dritte Komponente gegen 0.
Die zweite konvergiert wegen 1n(2− 3n) = 2
n− 3 gegen −3. Also konvergiert unsere
Folge bezuglich d1, d2, d∞ gegen (0,−3, 0).
3.6.3 Korollar. Der Raum Rp versehen mit einer der Metriken d1, d2, d∞ ist
vollstandig. Insbesondere sind die komplexen Zahlen vollstandig.
Beweis. Zunachst sei bemerkt, dass wenn eine Folge (xn)n∈N von Punkten des Rp eine
Cauchy-Folge bezuglich einer der Metriken d1, d2, d∞ ist, so ist sie das wegen
d∞(xn, xm) ≤ d2(xn, xm) ≤ d1(xn, xm) ≤ p · d∞(xn, xm)
auch bezuglich der beiden anderen Metriken.
Sei nun (xn)n∈N eine Cauchy-Folge von Punkten des Rp (bzgl. d1, d2, d∞), wobei
xn = (xn,1, . . . , xn,p). Dann gibt es zu jedem vorgegebenen ǫ > 0 eine Zahl N ∈ N mit
d∞(xn, xm) < ǫ fur n,m ≥ N. Es folgt fur jedes k ∈ {1, . . . , p}
|xn,k − xm,k| ≤ d∞(xn, xm) < ǫ, n,m ≥ N ,
d.h. jede der Folgen (xn,k)n∈N, k = 1, . . . , p, ist eine Cauchy-Folge reeller Zahlen. Daher
existieren y1, . . . , yp ∈ R mit
limi→∞
xi,k = yk, k = 1, . . . , p .
Wegen Proposition 3.6.1 folgt limn→∞ xn = y mit y = (y1, . . . , yp).
❑
3.6. KONVERGENZ IN WEITEREN METRISCHEN RAUMEN 83
3.6.4 Bemerkung. Die in Satz 3.3.5 hergeleiteten Rechenregeln gelten zum Teil auch
in Rp, wenn Rp mit der euklidischen Metrik und mit den Verknupfungen”+“ und
”skalares Multiplizieren“ wie aus der Linearen Algebra bekannt versehen wird. Sind
also (xn)n∈N, (yn)n∈N Folgen in Rp, die gegen x bzw. y konvergieren, und ist (λn)n∈Neine gegen ein λ ∈ R konvergente Folge in R, so gilt
(i) limn→∞(xn + yn) = x + y.
(ii) limn→∞ λnxn = λx.
(iii) limn→∞(xn, yn) = (x, y) (∈ R) (vgl. (3.2)).
Das folgt aus Proposition 3.6.1, da man die jeweiligen Konvergenzen auf die Kompo-
nenten von Rp zuruckfuhren kann. Eine andere Moglichkeit, diese Behauptungen zu
beweisen, besteht darin, den euklidischen Abstand d2(x, y) zweier Punkte x, y ∈ Rp als
‖x − y‖2 zu schreiben, wobei ‖x‖2 =√∑p
k=1|xk|2, und im Beweis von Satz 3.3.5 den
Betrag durch ‖.‖ ersetzt. Siehe Bemerkung 3.1.8.
Dass es auf ein und derselben Menge zwei Metriken geben kann, sodass die Kon-
vergenz einer Folge bezuglich der einen Metrik nicht die Konvergenz bezuglich der
anderen bedingt, zeigt folgendes Beispiel.
3.6.5 Beispiel. Man betrachteR einerseits versehen mit der Euklidischen Metrik d2, al-
so die von |.| induzierte Metrik, und andererseits mit der diskreten Metrik d aus Beispiel
3.1.5, (iv).
Außerdem betrachte man die Folge(
1n
)n∈N
, welche bekannterweise gegen 0 kon-
vergiert. Bezuglich d tut sie das nicht, da ja immer d(0, 1n) = 1, n ∈ N.
Man zeigt unschwer, dass eine Folge (xn)n∈N bezuglich d genau dann gegen x kon-
vergiert, wenn xn = x ab einem Index n0.
3.6.6 Beispiel (*). Sei p eine feste Primzahl. Die Folge (pn)n∈N ist bezuglich der Me-
trik d(p) auf Z gegen 0 konvergent, bezuglich der euklidischen Metrik d2 auf Z jedoch
divergent. Um das einzusehen, sei ǫ > 0 gegeben. Wahlt man N ∈ N mit 1pN < ǫ, so
gilt fur alle n ≥ N
d(p)(pn, 0) =1
pn≤ 1
pN< ǫ .
Angenommen es existiere x ∈ Z, sodass pn → x bezuglich d2. Wahle N ∈ N, sodass
d2(pn, x) < 1, n ≥ N. Dann folgt mit der Bernoullischen Ungleichung
1 + n(p − 1) ≤ pn = d2(pn, 0) ≤ d2(pn, x) + d2(x, 0) < 1 + |x|, n ≥ N ,
und weiter, dass n(p− 1) ≤ |x|, n ≥ N, was der Tatsache widerspricht, dass R archime-
disch angeordnet ist.
Tatsachlich sind in 〈Z, d2〉 nur die ab einem Index konstanten Folgen konvergent,
da konvergente Folgen auch Cauchy-Folgen sind, und damit insbesondere ab einem
gewissen Index der Abstand zweier Folgenglieder kleiner als 1 ist. Zwei verschiedene
ganze Zahlen haben aber sicher einen Abstand von mindestens 1.
84 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
3.7 Konvergenz gegen unendlich
Die Folge xn = n, n ∈ N, als Folge in R ist nicht konvergent. Sie ist ja nicht einmal
beschrankt. Trotzdem zeigt sie ein doch recht determiniertes Verhalten. Aus dem Bauch
heraus wurde man sagen, dass sie”gegen unendlich“ strebt.
3.7.1 Definition. Eine Folge (xn)n∈N aus R heißt konvergent gegen +∞, in Zeichen
xn → +∞, n→ ∞, falls
∀M > 0∃N ∈ N : xn > M fur n ≥ N . (3.11)
Entsprechend sagen wir, dass eine Folge (xn)n∈N aus R gegen −∞ strebt, in Zeichen
xn → −∞, n→ ∞, wenn
∀M < 0∃N ∈ N : xn < M fur n ≥ N . (3.12)
Folgen, die im obigen Sinne gegen +∞ oder −∞ streben, heißen auch bestimmt diver-
gent.
3.7.2 Bemerkung. Unmittelbar aus (3.11) bzw. (3.12) und Lemma 3.3.1, (i), erkennt
man, dass sich fur eine Folge (xn)n∈N und ein x ∈ R die Konvergenzen limn→∞ xn = +∞und limn→∞ xn = x gegenseitig ausschließen. Genauso kann limn→∞ xn = −∞ und
limn→∞ xn = x nicht gleichzeitig stattfinden. Ebenso schließen sich limn→∞ xn = +∞und limn→∞ xn = −∞ gegenseitig aus.
Ist (xn)n∈N in R und x ∈ R oder x = ±∞, so kann man x = limn→∞ xn einheitlich
folgendermaßen schreiben:
(∀ξ ∈ R, ξ < x∃N ∈ N : ∀n ≥ N ⇒ xn > ξ) ∧(∀η ∈ R, η > x∃N ∈ N : ∀n ≥ N ⇒ xn < η).
Fur die Konvergenzbegriffe aus Definition 3.7.1 gelten ahnliche Regeln wie bei der
Konvergenz gegen Zahlen.
3.7.3 Satz. Fur Folgen (xn)n∈N und (yn)n∈N aus R, sodass limn→∞ xn = +∞, gelten
folgende Aussagen.
(i) Ist die Menge {yn : n ∈ N, n ≥ k} fur ein gewisses k ∈ N nach unten beschrankt,
dann gilt
limn→∞
(xn + yn) = +∞.
(ii) limn→∞(−xn) = −∞.
(iii) Ist yn ≥ C fur ein gewisses C > 0 und fur alle n ∈ N, n ≥ k mit einem gewissen
k ∈ N, so gilt limn→∞ xnyn = +∞.
(iv) Ist xn ≤ yn, fur alle n ∈ N, n ≥ k fur einen gewissen Index k ∈ N, so folgt
limn→∞ yn = +∞.
(v) Seien alle bis auf endlich viele, d.h. alle ab einem Index k ∈ N, yn positiv (negativ).
Dann gilt limn→∞ yn = +∞ (−∞) genau dann, wenn limn→∞1yn= 0.
(vi) Sei (yn)n∈N monoton wachsend (fallend). Ist (yn)n∈N beschrankt, so ist diese Folge
konvergent gegen eine reelle Zahl. Ist (yn)n∈N unbeschrankt, so konvergiert sie
gegen +∞ (−∞).
3.7. KONVERGENZ GEGEN UNENDLICH 85
Analoge Aussagen gelten im Fall limn→∞ xn = −∞.
Beweis.
(i) Sei C eine untere Schranke von {yn : n ∈ N, n ≥ k}. Zu M > 0 wahle N so groß,
dass xn > M −C fur alle n ≥ N, so folgt fur n ≥ max(N, k)
xn + yn > (M −C) +C = M ;
also (xn + yn)→ +∞.
(ii) Folgt unmittelbar aus xn > M ⇔ −xn < −M.
(iii) Wahle N so, dass xn >MC
fur n ≥ N und sodass N ≥ k. Dann folgt fur n ≥ N auch
xnyn >M
C·C = M,
d.h. xnyn → +∞.
(iv) Ist xn > M, so erst recht yn > M.
(v) Seien alle yn mit n ≥ k positiv. Wir nehmen zuerst an, dass 1yn→ 0. Zu vorgege-
benem M wahle N ≥ k so groß, dass fur n ≥ N gilt 1yn< 1
M. Es folgt yn > M.
Gilt umgekehrt yn → +∞, und ist ǫ > 0, so wahle N so groß, dass fur n ≥ N gilt
yn >1ǫ. Daraus folgt | 1
yn| = 1
yn< ǫ.
(vi) Ist (yn)n∈N beschrankt, so folgt die Aussage aus Satz 3.4.2. Im Fall der Unbe-
schranktheit gibt es eben wegen dieser zu jedem M > 0 ein N ∈ N, sodass
yN > M. Wegen der Monotonie folgt dann auch yn > M fur alle n ≥ N
❑
3.7.4 Beispiel. Sei q ∈ R und betrachte die Folge qn, n ∈ N. Dann gilt
limn→∞
qn =
+∞ , falls q > 1
1 , falls q = 1
0 , falls −1 < q < 1
∄ , falls q ≤ −1
Dabei haben wir den Fall 0 ≤ q < 1 schon in Beispiel 3.2.9 behandelt. Der Fall q = 1 ist
klar. Fur q > 1 folgt aus 0 < 1q< 1 durch Anwendung von Satz 3.7.3, dass qn → +∞.
Ist −1 < q < 0, so beachte |qn| = |q|n → 0. Ist q ≤ −1, so hat man qn ≥ 1 fur n gerade
und qn ≤ −1 fur n ungerade. Insbesondere ist der Abstand zweier aufeinanderfolgender
Folgenglieder ≥ 2, und wir sehen, dass qn keine Cauchy-Folge und erst recht keine
konvergente Folge sein kann. Konvergenz gegen +∞ oder −∞ kann aber auch nicht
stattfinden, denn dann mussten ja die Folgenglieder insbesondere ab einem Index alle
das gleiche Vorzeichen haben.
86 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
3.7.5 Beispiel. Seien p, q aus R[x], p, q , 0, dh. zwei Polynome mit reellen Koeffizi-
enten ungleich dem Nullpolynom. Betrachte die Folge
xn :=p(n)
q(n)
fur alle n ∈ N mit q(n) , 0. Da Polynome nur endlich viele Nullstellen haben, ist xn
sicher fur alle n ∈ N, n ≥ n0 mit einem gewissen n0 ∈ N definiert. Schreiben wir p und
q als p(x) = amxm + . . . + a0 und q(x) = bk xk + . . . + b0 mit am, bk , 0 an, so gilt
limn→∞
xn =
0 , falls m < kam
bk, falls m = k
+∞ , falls m > k,am
bk> 0
−∞ , falls m > k, am
bk< 0
Um dieses einzusehen, betrachte zuerst den Fall, dass m ≤ k, und schreibe
xn =amnm + am−1nm−1 + . . . + a0
bknk + bk−1nk−1 + . . . + b0
=amnm−k + am−1nm−1−k + . . . + a0n−k
bk + bk−1n−1 + . . . + b0n−k.
Dann konvergiert der Nenner dieses Bruches gegen bk , 0. Ist m < k, so konvergiert
der Zahler gegen 0, insgesamt also xn → 0. Ist m = k, so strebt der Zahler gegen am
und wieder folgt unsere Behauptung.
Ist m > k, so schreiben wir xn als
nm−k am + am−1n−1 + . . . + a0n−m
bk + bk−1n−1 + . . . + b0n−k.
Also gilt xn = nm−kyn, wobei yn → am
bk. Nach Lemma 3.3.1 hat yn fur hinreichend große
Indizes dasselbe Vorzeichen wie am
bk. Wegen 1
xn→ 0 folgt aus Satz 3.7.3 das behauptete
Konvergenzverhalten fur xn.
3.7.6 Beispiel. Ist (xn)n∈N eine Folge aus R, die nicht nach oben beschrankt ist, es also
kein reelles C > 0 gibt mit xn ≤ C fur alle n ∈ N, so hat (xn)n∈N eine Teilfolge (xn(k))k∈N,
die limk→∞ xn(k) = +∞ erfullt.
Dazu wahlt man n(1) ∈ N so, dass xn(1) ≥ 1, und definiert n(k + 1) ∈ N rekursiv so,
dass n(k+1) > n(k) und xn(k+1) ≥ k+1. Aus Satz 3.7.3, (iv), folgt dann wegen xn(k) ≥ k,
dass limk→∞ xn(k) = +∞.
3.8 Konvergenz gegen ±∞ als metrische Konvergenz*
Am Ende dieses Kapitels wollen wir eine Moglichkeit vorstellen, wie man die ein-
gefuhrte Konvergenz gegen ±∞ als herkommliche Konvergenz in einem metrischen
Raum auffassen kann.
Als erstes mussen wir ±∞ als Elemente unseres Raumes anerkennen, denn eine
Folge von Elementen eines Raumes X kann gegen ein Element von X konvergieren,
aber nicht gegen irgendetwas. Betrachte also die Menge R = R∪{+∞,−∞}, wobei +∞und −∞ zwei verschiedene formale Elemente sind, die nicht in R liegen.
Nun versehen wir die Menge R in naheliegender Weise mit einer Relation:
x ≤ y :⇐⇒ (x ≤ y, x, y ∈ R) oder x = −∞ oder y = +∞ .
3.8. KONVERGENZ GEGEN ±∞ ALS METRISCHE KONVERGENZ* 87
R +∞−∞
Abbildung 3.1: Veranschaulichung von R
Diese Relation ist offensichtlicherweise eine Totalordnung, die die Supremumseigen-
schaft hat.
3.8.1 Lemma. Die Funktion φ : R → (−1, 1), wobei φ(x) = x1+|x| , bildet R bijektiv
auf das offene Intervall (−1, 1) ab. Ihre Inverse φ−1 : (−1, 1) → R ist gegeben durch
φ−1(y) =y
1−|y| .
Schließlich sind φ und ihre Inverse φ−1 streng monoton wachsend.
Beweis. Als erstes wollen wir festhalten, dass fur x ∈ R stets |φ(x)| < 1, d.h. φ(x) ∈(−1, 1) gilt, und dass φ(x) das gleiche Vorzeichen wie x hat.
Ist ψ : (−1, 1)→ R definiert durch ψ(y) =y
1−|y| , so folgt
φ ◦ ψ(y) =
y
1−|y|
1 +|y|
1−|y|
=y
(1 − |y|) + |y| = y,
und
ψ ◦ φ(x) =
x1+|x|
1 − |x|1+|x|=
x
(1 + |x|) − |x| = x.
Somit ist nach Satz 1.2.18 die Abbildung φ bijektiv, und ψ ist die Inverse von φ.
Fur die behaupteten Monotonieeigenschaft seien x1, x2 ∈ R mit x1 = 0 oder x2 = 0
oder sgn(x1) = sgn(x2). Wegen x1|x2| = |x1|x2 gilt dann
x1 < x2 ⇔ x1(1 + |x2|) = x1 + x1|x2| < x2 + x2|x1| = x2(1 + |x1|)⇔ φ(x1) < φ(x2).
Da x und φ(x) dasselbe Vorzeichen haben, folgt fur den verbleibenden Fall
x1, x2 , 0, sgn(x1) = − sgn(x2), wobei o.B.d.A. x1 < x2, dass sowohl x1 < 0 < x2 als
auch φ(x1) < 0 < φ(x2).
❑
Nun setzten wir φ fort zu einer Abbildung R→ [−1, 1], indem wir
φ(x) :=
x1+|x| , falls x ∈ R
1 , falls x = +∞−1 , falls x = −∞
definieren.
Offensichtlich ist diese Fortsetzung, die wir ebenfalls φ nennen wollen, auch bijek-
tiv und streng monoton wachsend, wobei
φ−1(y) :=
y
1−|y| , falls −1 < y < 1
+∞ , falls y = 1
−∞ , falls y = −1
Wir definieren nun eine Metrik auf R, indem wir die euklidische Metrik mittels φ nach
R ubertragen.
88 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
R
+∞
−∞
φ
φ−1
[−1, 1]
Abbildung 3.2: Die Abbildung φ
3.8.2 Definition. Definiere eine Abbildung d : R × R→ R als
d(x, y) :=∣∣∣φ(x) − φ(y)
∣∣∣ .
3.8.3 Lemma. Die Abbildung d ist eine Metrik.
Dabei konvergiert eine Folge (xn)n∈N in R gegen ein x ∈ R bezuglich d genau dann,
wenn die Folge (φ(xn))n∈N in [−1, 1] gegen φ(x) ∈ [−1, 1] bezuglich der euklidischen
Metrik d2 konvergiert.
Beweis. Zunachst sei bemerkt, dass die Abbildung (a, b) 7→ |a − b| eine Metrik und φ
injektiv ist. Setze a := φ(x), b := φ(y), dann gilt
(M1): d(x, y) = |a − b| ≥ 0, und d(x, y) = 0 genau dann, wenn a = b. Da φ injektiv ist,
ist dies aquivalent zu x = y.
(M2): d(x, y) = |a − b| = |b − a| = d(y, x)
(M3): Sei zusatzlich z ∈ R und setze c := φ(z). Dann ist
d(x, z) = |a − c| ≤ |a − b| + |b − c| = d(x, y) + d(y, z) .
Die Aussage uber die Konvergenz folgt leicht aus Bemerkung 3.2.3, da
xn → x (bzgl. d)⇔ d(xn, x) = d2(φ(xn)→ 0⇔ φ(xn)→ φ(x) (bzgl. d2).
❑
Wir wissen jetzt also, was es bedeutet, dass eine Folge reeller Zahlen in 〈R, d〉gegen +∞ bzw. −∞ konvergiert. Haben wir unser Modell nun richtig in dem Sinne
gebaut, dass dieser Begriff von Konvergenz gegen ±∞ tatsachlich mit dem eingangs
eingefuhrten Begriff von Konvergenz gegen ±∞ ubereinstimmt?
3.8.4 Proposition. Sei (xn)n∈N eine Folge reeller Zahlen. Dann gilt limn→∞ xn = +∞im Sinne einer Konvergenz im metrischen Raum 〈R, d〉 genau dann, wenn (3.11) gilt.
Analog gilt limn→∞ xn = −∞ in 〈R, d〉 genau dann, wenn (3.12) gilt.
Bleibt die Folge weg von ±∞, so bleibt unser alter Konvergenzbegriff reeller Zahlen
erhalten: Sei x ∈ R, dann gilt limn→∞ xn = x in 〈R, d〉 genau dann, wenn limn→∞ xn = x
in R bezuglich der euklidischen Metrik d2.
3.9. UNENDLICHE REIHEN 89
Beweis. Angenommen xn → +∞ in 〈R, d〉. Zu gegebenem M > 0 setze ǫ := 1−φ(M) >
0 und wahle N ∈ N mit d(xn,+∞) < ǫ, n ≥ N. Dann folgt
1 − φ(xn) = |φ(xn) − 1| = d(xn,+∞) < ǫ = 1 − φ(M) ,
und daher φ(M) < φ(xn), also xn > M.
Gelte umgekehrt (3.11), und sei 0 < ǫ < 1 gegeben. Setze M := φ−1(1 − ǫ) > 0,
und wahle N ∈ N so, dass xn > M fur n ≥ N. Dann folgt
d(xn,+∞) = |φ(xn) − 1| = 1 − φ(xn) < 1 − φ(M) = ǫ, n ≥ N .
Wir sehen, dass xn → +∞ in 〈R, d〉 aquivalent zu (3.11) ist. Die Behauptung fur xn →−∞ sieht man genauso.
Sei nun x ∈ R, und xn → x in R bezuglich d2. Dann folgt, wegen unserer Rechen-
regeln fur Folgen, Satz 3.3.5, dass auch φ(xn) → φ(x). Wegen Lemma 3.8.3 erhalten
wir xn → x in 〈R, d〉.Gelte nun xn → x in 〈R, d〉, d.h. φ(xn) → φ(x) in R (Lemma 3.8.3). Die Abbildung
φ−1 ist von der gleichen Gestalt wie φ, und wir schließen wieder wegen unserer
Rechenregeln fur Folgen, dass xn = φ−1(φ(xn))→ φ−1(φ(x)) = x in R bezuglich d2.
❑
Wir haben nun unser Zahlensystem etwas erweitert, um den Begriff des”Strebens
gegen unendlich“ als Konvergenz in metrischen Raumen interpretieren zu konnen. Wir
haben dabei jedoch auch sehr viel verloren, namlich unsere algebraischen Operationen
+ und ·. Gemaß Satz 3.7.3 macht es zwar Sinn
x + (+∞) = +∞,−(+∞) = −∞, y(+∞) = +∞, 1
±∞ = 0, usw.
fur x, y ∈ R, y > 0 zu setzen, damit die Operationen mit den Grenzwertregeln ver-
traglich bleiben. Aber wie sollte man z.B. +∞ + (−∞) oder 0 · (+∞) definieren?
Als einfachstes Beispiel betrachte man xn = 2n, yn = n. Es gilt xn, yn → +∞. Es
gilt aber xn − yn = n → +∞, was auf”(+∞) − (+∞) = +∞“ deuten wurde, wogegen
yn − xn = −n→ −∞, also”(+∞) − (+∞) = −∞“.
3.9 Unendliche Reihen
Wir sind schon einmal einer Folge (S n)n∈N begegnet, die von der speziellen Gestalt
S n =∑n
k=0 ak mit gewissen Zahlen ak war. In Beispiel 3.2.9 haben wir namlich die
Folge S n = 1 + z + . . . + zn mit |z| < 1 betrachtet. Dort haben wir gezeigt, dass diese
Folge gegen den Grenzwert 11−z
konvergiert. Das heißt also, dass fur große Werte von
n die Summe∑n
k=0 zk den Wert 11−z
beliebig gut approximiert. Es ist also naheliegend
zu schreiben1
1 − z=
∞∑
k=0
zk .
3.9.1 Definition. Sei (ak)k∈N eine Folge reeller oder komplexer Zahlen13. Bezeichne
mit S n, n ∈ N die n-te Partialsumme
S n := a1 + a2 + . . . + an .
13Allgemeiner kann (ak)k∈N auch eine Folge von Elementen eines metrischen Raumes sein, auf dem man
eine Verknupfung + hat; zum Beispiel im Rp.
90 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Die Folge (S n)n∈N nennen wir auch die Reihe mit den Summanden ak.
Hat die Folge (S n)n∈N einen Grenzwert, so sagen wir die Reihe sei konvergent. In
diesem Fall nennen wir ihren Grenzwert limn→∞
S n die Summe der Reihe und benutzen
die Schreibweise∞∑
k=1
ak := limn→∞
S n .
Falls der Grenzwert limn→∞
S n nicht existiert, so heißt die Reihe divergent.
Sind die ak alle reell und gilt limn→∞
S n = +∞ bzw. limn→∞
S n = −∞ im Sinne von
Definition 3.7.1, so heißt die Reihe konvergent gegen +∞ bzw. −∞, und man schreibt
∞∑
k=1
ak = +∞ bzw.
∞∑
k=1
ak = −∞ .
Man nennt die Reihe dann auch bestimmt divergent gegen +∞ bzw. −∞.
Um die Notation zu vereinfachen, benutzt man die Schreibweise∞∑
k=1
ak auch fur die
Reihe (S n)n∈N selbst, und sagt dann∞∑
k=1
ak sei konvergent oder divergent.
Ausdrucke, wie etwa∞∑
k=6
ak haben eine sinngemaß analoge Interpretation durch
Grenzwerte von Partialsummen.
3.9.2 Bemerkung (*). Eine unendliche Reihe ist per definitionem die Folge ihrer Parti-
alsummen, d.h. die Theorie der Reihen ist ein Spezialfall jener der Folgen. Umgekehrt
kann man auch jede Folge reeller oder komplexer Zahlen als Folge der Partialsummen
einer Reihe auffassen: Ist (cn)n∈N irgendeine Folge, so setze
a1 := c1, a2 := c2 − c1, a3 := c3 − c2, . . . , ak := ck − ck−1, . . . .
Dann gilt cn =n∑
k=1
ak.
Auf Grund der Definition einer unendlichen Reihe als Limes ihrer Partialsummen
konnen wir Aussagen uber Folgen sofort auf Reihen ubertragen.
3.9.3 Korollar. Sind∞∑
k=1
ak und∞∑
k=1
bk konvergent, so ist auch∞∑
k=1
(ak + bk) konvergent.
Es gilt∞∑
k=1
(ak + bk) =
∞∑
k=1
ak
+∞∑
k=1
bk
.
Ist∑∞
k=1 ak konvergent und λ eine feste (reelle oder komplexe) Zahl, so sind auch∑∞k=1 ak und
∑∞k=1(λak) konvergent. Weiters gilt
∞∑
k=1
ak =
∞∑
k=1
ak,
∞∑
k=1
(λak) = λ ·∞∑
k=1
ak .
Beweis. Fur die entsprechenden Partialsummen S n =n∑
k=1
ak, Tn =n∑
k=1
bk und Un =
n∑k=1
(ak + bk) gilt S n + Tn = Un.
3.9. UNENDLICHE REIHEN 91
Weiters gilt fur Vn =n∑
k=1
(λak) und Wn =n∑
k=1
ak sicher Vn = λS n und Wn = S n. Also
folgen auch diese Rechenregeln aus den entsprechenden Regeln fur Folgen.
❑
Beim letzten Beweis haben wir die Rechengesetze wie Kommutativitat, Distributi-
vitat u.a. fur endliche Summen benutzt. Das Verhalten dieser Rechenregeln bei unend-
lichen Reihen ist wesentlich komplizierter, vgl. u.a. Beispiel 5.4.1.
3.9.4 Fakta.
1. Man beachte, dass man endlich viele Reihenglieder beliebig abandern kann, oh-
ne das Konvergenzverhalten zu storen. Das gilt deshalb, weil sich dabei die neue
Folge der Partialsummen ab einem gewissen Index von der alten nur um eine
additive Konstante unterscheidet. Naturlich verandert sich dabei die Summe der
Reihe.
Ahnlich konvergiert fur ein k ∈ Z \ {0} mit∑∞
n=1 an auch die Reihe∑∞
n=1 an+k,
wobei man im Falle k < 0 die Summanden ak+1, . . . , a−1, a0 alle Null setzt. In
der Tat gilt fur k > 0 immer∑N
n=1 an+k =∑N+k
n=1 an −(∑k
n=1 an
)und damit fur
N → ∞, dass mit der rechten Seite auch die linke konvergiert. Fur k < 0 gilt∑Nn=1 an+k =
∑N+kn=1 an fur alle N ∈ N, N > −k.
2. Hat man eine konvergente Reihe∑∞
j=1 a j gegeben, so durfen beliebig Klammern
gesetzt werden, ohne das Konvergenzverhalten der Reihe zu verandern. Exakt
formuliert bedeutet das, dass fur jede streng monoton wachsende Folge (k(n))n∈Nnaturlicher Zahlen
∞∑
j=1
a j =
∞∑
n=1
An ,
gilt, wobei A1 = a1 + · · · + ak(1) und An = ak(n−1)+1 + · · · + ak(n) fur n ≥ 2.
Dieser Sachverhalt folgt aus der einfachen Beobachtung, dass die Folge der Par-
tialsummen unserer neuen Reihe∑∞
n=1 An genau die Teilfolge (S k(n))n∈N der Folge
(S k)k∈N der Partialsummen von∑∞
j=1 a j ist; vgl. Satz 3.2.8, (iv).
Die Umkehrung gilt hier nicht. Es kann namlich vorkommen, dass∑∞
n=1 An kon-
vergiert, aber∑∞
k=1 ak nicht. Man betrachte nur die Reihe 1 − 1 + 1 − 1 + . . . und
klammere immer zwei aufeinanderfolgende Summanden ein.
3. Sind∞∑
k=1
ak und∞∑
k=1
bk zwei konvergente Reihen mit reellen Summanden, sodass
ak ≤ bk fur alle k ∈ N, so gilt fur die Partialsummen klarerweise auchn∑
k=1
ak ≤n∑
k=1
bk fur alle n ∈ N. Aus Lemma 3.3.1 erhalten wir dann fur die Grenzwerte
dieser zwei Folgen von Partialsummen
∞∑
k=1
ak ≤∞∑
k=1
bk .
Ist nun zusatzlich sogar al < bl fur zumindest ein l ∈ N, so folgt al + δ ≤ bl fur
ein hinreichend kleines δ > 0. Somit gilt fur n ≥ l, dass δ +n∑
k=1
ak ≤n∑
k=1
bk. Fur
92 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
n→ ∞ folgt wieder aus Lemma 3.3.1, dass
∞∑
k=1
ak < δ +
∞∑
k=1
ak ≤∞∑
k=1
bk.
3.9.5 Beispiel.
Betrachte die Reihe∞∑
k=1
1k(k+1)
. Wegen 1k(k+1)
= 1k− 1
k+1gilt
S n :=
n∑
k=1
1
k(k + 1)=
n∑
k=1
(1
k− 1
k + 1
)= 1 − 1
n + 1.
Die Reihe∞∑
k=1
1k(k+1)
konvergiert also gegen limn→∞
S n = 1. Reihen, deren Grenzwert
sich derartig berechnen lasst, nennt man auch Teleskopreihen.
Lasst man die ersten drei Terme weg, d.h. ersetzt sie durch 0, so gilt fur die
entsprechenden Partialsummen S ′n stets (n ≥ 3)
S ′n = S n −1
1 · 2 −1
2 · 3 −1
3 · 4 =(1 − 1
n + 1
)− 3
4→ 1
4.
Somit ist die Reihe∞∑
k=4
1k(k+1)
ebenfalls konvergent. Ihre Summe ist 14.
Fasst man immer zwei Summanden der Reihe∞∑
k=1
1k(k+1)
zusammen, so erhalt man
die Reihe∞∑
k=1
2(2k−1)(2k+1)
, welche nach Fakta 3.9.4, 2, ebenfalls die Summe 1 hat.
3.9.6 Bemerkung. Aus dem entsprechenden Resultat fur Folgen erhalt man, dass ei-
ne Reihe∑∞
n=1 zn bestehend aus komplexen Zahlen genau dann konvergiert, wenn die
reellen Reihen∑∞
n=1 Re zn und∑∞
n=1 Im zn beide konvergieren. In diesem Fall gilt
∞∑
n=1
zn = (
∞∑
n=1
Re zn) + i(
∞∑
n=1
Im zn) .
Folgendes Resultat liefert uns eine einfache notwendige Bedingung fur die Kon-
vergenz einer Reihe. Wie wir in Beispiel 3.9.9 sehen werden, ist diese notwendige
Bedingung bei weitem nicht hinreichend.
3.9.7 Proposition. Ist∞∑
k=1
ak konvergent, so folgt limk→∞ ak = 0.
Beweis. Betrachte die Reihe∞∑
k=1
bk, wobei b1 = 0 und bk+1 = ak fur k ∈ N. Sind (S n)n∈N
und (Tn)n∈N die Folgen der Partialsummen von∞∑
k=1
ak bzw.∞∑
k=1
bk, so folgt
S n − Tn =
n∑
k=1
ak −n∑
k=2
ak−1 = an .
3.9. UNENDLICHE REIHEN 93
Wegen Tn+1 = S n folgt aus Satz 3.2.8, dass (Tn)n∈N gegen den gleichen Grenzwert,
wie (S n)n∈N konvergiert. Somit erhalten wir S n − Tn = an → 0.
❑
3.9.8 Lemma. Sei∞∑
k=1
ak eine Reihe mit reellen nichtnegativen Summanden, d.h. ak ∈R, ak ≥ 0.
(i) Die Reihe ist genau dann konvergent, wenn die Folge (S n)n∈N der Partialsummen
beschrankt ist. In diesem Fall ist auchn∑
k=1
ak ≤∞∑
k=1
ak fur alle n ∈ N. Anderenfalls
ist sie bestimmt gegen +∞ divergent.
(ii) Ist∞∑
k=1
bk eine divergente Reihe nichtnegativer reeller Zahlen mit ak ≥ bk, k ∈ N,
so ist auch∞∑
k=1
ak divergent (Minorantenkriterium).
(iii) Ist∞∑
k=1
bk eine konvergente Reihe nichtnegativer reeller Zahlen mit ak ≤ bk, k ∈ N,
so ist auch∞∑
k=1
ak konvergent (Majorantenkriterium), und∞∑
k=1
ak ≤∞∑
k=1
bk.
Beweis. Wegen der Voraussetzung ak ≥ 0 ist (S n)n∈N monoton wachsend. Somit folgt
(i) aus Satz 3.7.3, (vi). Die behauptete Ungleichung gilt, da im Falle der Konvergenz
der monoton wachsenden Folge (S n)n∈N der Grenzwert gemaß Satz 3.4.2 nichts anderes
als sup{S n : n ∈ N} ist.
Ist nun bk ≥ 0 und (Tn)n∈N der Folge Partialsummen der Reihe∞∑
k=1
bk, so ist auch
diese monoton wachsend.
Ist diese divergent, und ak ≥ bk, so gilt sicherlich S n ≥ Tn. Also kann die Folge
(S n)n∈N nicht beschrankt sein.
Ist dagegen∞∑
k=1
bk konvergent, und ak ≤ bk, so ist S n ≤ Tn, und mit (Tn)n∈N ist auch
die Folge (S n)n∈N nach oben beschrankt. Die behauptete Ungleichung folgt aus Fakta
3.9.4, 3.
❑
3.9.9 Beispiel. Betrachte die harmonische Reihe
∞∑
k=1
1
k.
Diese Reihe ist nicht konvergent. Genauer gesagt ist sie bestimmt divergent gegen +∞.
Betrachtet man namlich die Partialsummen S n = 1 + 12+ · · · + 1
n, so ist diese monoton
wachsend. Fur die Existenz des Limes ist es also notwendig und hinreichend, dass diese
Folge beschrankt ist; vgl. Lemma 3.9.8, i. Somit ware auch jede Teilfolge beschrankt.
Nun gilt jedoch
S 2l = 1 +1
2+
1
3+
1
4+
1
5+
1
6+
1
7+
1
8+
1
9+ . . . +
1
2l≥
1 +1
2+
1
4+
1
4︸ ︷︷ ︸= 1
2
+1
8+
1
8+
1
8+
1
8︸ ︷︷ ︸= 1
2
+1
16+ . . . +
1
2l= 1 + l · 1
2,
94 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Insbesondere ist die Teilfolge (S 2l )l∈N nicht beschrankt.
3.9.10 Beispiel. Durch Vergleich mit der harmonischen Reihe ist nach dem Minoran-
tenkriterium die Reihe∞∑
k=1
1kα
fur α < 1 divergent14.
3.9.11 Lemma (Cauchysches Konvergenzkriterium). Die Reihe∞∑
k=1
ak mit reellen oder
komplexen Summanden ist genau dann konvergent, wenn gilt
∀ǫ > 0∃N ∈ N :
∣∣∣∣∣∣∣
n∑
k=m+1
ak
∣∣∣∣∣∣∣< ǫ, n > m ≥ N . (3.13)
Beweis. Da R und C vollstandig metrische Raume sind, ist die Konvergenz der
Folge der Partialsummen S n =n∑
k=1
ak mit der Tatsache gleichbedeutend, dass (S n)n∈N
eine Cauchy-Folge ist. Wegen S n−S m =∑n
k=m+1 ak ist das aber zu (3.13) aquivalent.
❑
Wir werden spater weitere Konvergenzkriterien kennenlernen. Diesen Abschnitt
beenden wir mit einer weiteren ganz wichtigen Begriffsbildung.
3.9.12 Definition. Sei (ak)k∈N eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Die Reihe∑∞k=1 ak heißt absolut konvergent, wenn die Reihe der Betrage
∑∞k=1 |ak| konvergiert.
3.9.13 Lemma. Jede absolut konvergente Reihe ist auch konvergent.
Beweis. Laut Voraussetzung und gemaß Lemma 3.9.11 gibt es zu jedem ǫ > 0 ein
N ∈ N, sodass∑n
k=m+1 |ak| =∣∣∣∑n
k=m+1 |ak|∣∣∣ < ǫ fur alle n > m ≥ N. Daraus und aus der
Dreiecksungleichung erhalt man
∣∣∣∣∣∣∣
n∑
k=m+1
ak
∣∣∣∣∣∣∣≤
n∑
k=m+1
| ak |< ǫ .
Wieder wegen Lemma 3.9.11 konvergiert damit die Reihe.
❑
Die Umkehrung von Lemma 3.9.13 gilt im Allgemeinen nicht.
3.9.14 Beispiel. Die alternierende harmonische Reihe∑∞
k=1(−1)k+1 1k
ist konvergent,
wie man aus dem Leibnizschen Konvergenzkriterium, Korollar 3.10.7, weiter unten
erkennt. Die Reihe der Betrage∑∞
k=11k
ist gemaß Beispiel 3.9.9 aber divergent.
3.10 Konvergenzkriterien
Wir wollen das Majorantenkriterium ausnutzen, um durch Vergleich mit der geometri-
schen Reihe zwei oft einsetzbare hinreichende Bedingungen fur die absolute Konver-
genz einer Reihe herzuleiten.
14Bemerke, dass wir kα erst fur rationales α definiert haben.
3.10. KONVERGENZKRITERIEN 95
3.10.1 Satz (Wurzelkriterium). Sei∞∑
n=1
an eine Reihe mit reellen oder komplexen Sum-
manden.
Gibt es eine feste Zahl q ∈ [0, 1) und ein N ∈ N, sodass
n√|an| ≤ q fur alle n ≥ N , (3.14)
oder gilt die aquivalente Bedingung, dass (n√|an|)n∈N beschrankt ist mit
lim supn→∞n√|an| < 1, so ist die Reihe
∞∑n=1
an absolut konvergent.
Gibt es dagegen eine Teilfolge (an(k))k∈N mit n(k)√|an(k)| ≥ 1, k ∈ N, so ist die Rei-
he∞∑
n=1
an divergent. Diese Teilfolgenbedingung ist sicher dann erfullt, wenn (n√|an|)n∈N
nach oben nicht beschrankt ist oder wenn lim supn→∞n√|an| > 1.
Beweis. Dass (3.14) zur Beschranktheit von (n√|an|)n∈N samt der Bedingung
lim supn→∞n√|an| < 1 aquivalent ist, folgt unmittelbar aus Fakta 3.4.5, 5.
Ausn√|an| ≤ q folgt |an| ≤ qn fur alle n ≥ N. Da die Reihe
∞∑n=N
qn konvergiert,
zeigt das Majorantenkriterium aus Lemma 3.9.8, dass auch∞∑
n=N
|an|, und damit∞∑
n=1
|an|konvergiert.
Ist (n√|an|)n∈N nach oben nicht beschrankt, so haben wir in Beispiel 3.7.6 eine Teil-
folge konstruiert, die n(k)√|an(k)| ≥ k, k ∈ N, erfullt. Ist (
n√|an|)n∈N nach oben beschrankt
und gilt lim supn→∞n√|an| > 1, so folgt aus Fakta 3.4.5, 6, und Lemma 3.3.1, (i), dass
n(k)√|an(k)| > 1, k ∈ N, fur eine gewisse Teilfolge von (
n√|an|)n∈N.
Gibt es eine Teilfolge (an(k))k∈N mit n(k)√|an(k)| ≥ 1, so folgt |an(k)| ≥ 1. Also kann
(|an(k)|)k∈N keine und damit auch (an)n∈N keine Nullfolge sein. Wegen Proposition 3.9.7
ist∞∑
n=1
an divergent.
❑
3.10.2 Beispiel.
(i) Betrachte die Reihe∑∞
n=11
(3+(−1)n)n . Die Folge der n-ten Wurzeln
n
√1
(3 + (−1)n)n=
1
(3 + (−1)n)
hat zwar keinen Grenzwert, aber ihre Glieder sind alle ≤ 12. Somit kann man
auch Satz 3.10.1 anwenden. Der Grenzwert der Reihe lasst sich mit Hilfe der
hergeleiteten Regeln fur Reihen berechnen:
∞∑
n=1
1
(3 + (−1)n)n=
∞∑
k=1
(1
22k−1+
1
42k
)=
∞∑
k=1
1
22k−1+
∞∑
k=1
1
42k=
2
∞∑
k=1
1
4k+
∞∑
k=1
1
16k= 2
1
1 − 14
− 1
+
1
1 − 116
− 1
.
96 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
(ii) Wie wir in Beispiel 3.10.8 sehen werden, ist die Reihe∞∑
n=1
1nα
fur rationales α > 1
absolut konvergent. Das Wurzelkriterium konnen wir wegen (vgl. Satz 3.3.5 und
Beispiel 3.3.7)
lim supn→∞
n√|n−α| = lim
n→∞(
n√
n)−α︸ ︷︷ ︸<1
= 1
weder dazu verwenden, um auf absolute Konvergenz noch auf Divergenz zu
schließen.
3.10.3 Satz (Quotientenkriterium). Sei∞∑
n=1
an eine Reihe mit reellen oder komplexen
Summanden.
Gibt es eine feste Zahl q ∈ [0, 1) und ein N ∈ N, sodass15
|an+1||an|
≤ q fur alle n ≥ N , (3.15)
oder gilt die aquivalente Bedingung, dass (|an+1 ||an | )n∈Z≥N
fur ein gewissen N ∈ N be-
schrankt ist mit lim supn→∞|an+1 ||an | < 1, so ist die Reihe
∞∑n=1
an absolut konvergent.
Gibt es dagegen einen Index N ∈ N, sodass an , 0 und|an+1 ||an | ≥ 1 fur n ≥ N, so ist
die Reihe∞∑
n=1
an divergent.
Beweis. Dass (3.15) zur Beschranktheit von (|an+1||an | )n∈Z≥N
samt der Bedingung
lim supn→∞|an+1 ||an | < 1 aquivalent ist, folgt unmittelbar aus Fakta 3.4.5, 5.
Unter dieser Voraussetzung gilt |an+1| ≤ q|an| fur alle n ≥ N. Durch vollstandige
Induktion erhalten wir
|an| ≤ qn |aN |qN
fur alle n ≥ N ,
worausn√|an| ≤ q · n
√|aN |qN fur n ≥ N folgt. Da der zweite Faktor mit n → ∞ gegen 1
strebt, gilt wegen Lemma 3.3.1, (i), dassn√|an| < 1+q
2fur alle n ≥ N′ mit einem N′ ≥ N.
Also konnen wir das Wurzelkriterium anwenden und erhalten die absolute Konvergenz.
Aus|an+1 ||an| ≥ 1 fur n ≥ N folgt |an+1| ≥ |an| ≥ · · · ≥ |aN | > 0. Also kann (an)n∈N keine
Nullfolge sein.
❑
3.10.4 Beispiel.
(i) Betrachte die Reihe∑∞
n=0zn
n!, wobei n! := 1 · 2 · 3 · . . . · n die Zahl n-faktorielle
bezeichnet und z ∈ C beliebig ist. Diese Reihe ist konvergent, denn es gilt
∣∣∣∣∣∣∣∣
zn+1
(n+1)!
zn
n!
∣∣∣∣∣∣∣∣=
1 · 2 · . . . · n1 · 2 · . . . · n · (n + 1)
|z| = |z|n + 1
→ 0 .
Insbesondere ist auch der Limes Superior der linken Seite gleich Null und damit
kleiner 1.
15Dies beinhaltet die Bedingung an , 0 fur n ≥ N.
3.10. KONVERGENZKRITERIEN 97
(ii) Bezeichne mit τ(n) die Anzahl der Teiler der naturlichen Zahl n. Wir betrachten
die Reihe∑∞
n=1 τ(n)xn, wobei x > 0 ist. Wegen τ(n) ≤ n gilt
n√τ(n)xn = x · n
√τ(n) ≤ x · n
√n→ x .
Ist also x < 1, so ist die Reihe konvergent. Fur x ≥ 1 ist sie sicher divergent, denn
dann bilden die Summanden keine Nullfolge.
Im Beweis von Satz 3.10.3 haben wir das Wurzelkriterium verwendet, um das
Quotientenkriterium herzuleiten. Also ist ersteres starker, wenn auch nicht immer
am praktikabelsten. Das eben betrachtete Beispiel – genauso wie Beispiel 3.10.2
– ist gerade eines, wo uns das Wurzelkriterium zum Ziel fuhrt, das Quotienten-
kriterium aber versagen wurde. Denn ist n > 2 eine Primzahl, so gilt τ(n) = 2.
Weiters ist n sicher ungerade, und damit kann n+ 1 keine Primzahl sein. Also gilt
τ(n + 1) ≥ 3. Wir erhalten damit
τ(n + 1)xn+1
τ(n)xn≥ 3
2· x .
Fur x ≥ 23
ist daher der Quotient ≥ 1. Da es unendlich viele Primzahlen gibt,
konnen wir somit das Quotientenkriterium nicht anwenden.
Die nachsten Kriterien basieren auf folgendem, auch spater verwendeten Lemma.
3.10.5 Lemma. Seien a1, . . . , am und b1, . . . , bm komplexe oder reelle Zahlen, so gilt
m∑
n=1
anbn = amβm −m−1∑
n=1
(an+1 − an)βn ,
wobei die βn die Partialsummenn∑
j=1
b j = βn bezeichnen.
Beweis.m−1∑
n=1
(an+1 − an)βn =
m−1∑
n=1
an+1βn −m−1∑
n=1
anβn =
m∑
n=2
anβn−1 −m−1∑
n=1
anβn = amβm−1 −m−1∑
n=2
an(βn − βn−1) − a1β1 =
amβm − ambm −m−1∑
n=2
anbn − a1b1 = amβm −m∑
n=1
anbn .
❑
3.10.6 Satz (Dirichletsches16Kriterium). Sei (an)n∈N eine monotone Nullfolge reeller
Zahlen und sei (bn)n∈N eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Gilt fur eine Zahl
C > 0 ∣∣∣∣∣∣∣
N∑
n=1
bn
∣∣∣∣∣∣∣≤ C, N ∈ N ,
so ist die Reihe∞∑
n=1
anbn konvergent.
16Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet. 13.2.1805 Duren (bei Aachen) - 5.5.1859 Gottingen
98 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Beweis. Sei N so groß, dass |an| < ǫ fur n ≥ N. Dann folgt fur m > k ≥ N aus Lemma
3.10.5 und der Dreiecksungleichung
∣∣∣∣∣∣∣
m∑
n=k+1
anbn
∣∣∣∣∣∣∣≤
∣∣∣∣∣∣∣am
( m∑
i=k+1
bi
)∣∣∣∣∣∣∣+
m−1∑
n=k+1
|an+1 − an|∣∣∣∣∣∣∣
n∑
i=k+1
bi
∣∣∣∣∣∣∣
.
Wegen |∑ni=k+1 bi| ≤ |
∑ki=1 bi| + |
∑ni=1 bi| ≤ 2C schatzen wir diesen Ausdruck weiter
nach oben durch
2C|am| + 2C
m−1∑
n=k+1
|an+1 − an|
ab. Voraussetzungsgemaß haben die Ausdrucke der Form (an+1 − an) niemals verschie-
denes Vorzeichen. Also gilt
2C(|am| +
m−1∑
n=k+1
|an+1 − an|)= 2C
|am| +∣∣∣∣∣∣∣
m−1∑
n=k+1
(an+1 − an)
∣∣∣∣∣∣∣
≤
2C (|am| + |am| + |ak+1|) ≤ 2C · 3ǫ .
Nach dem Cauchyschen Kriterium, Lemma 3.9.11, ist die Reihe∞∑
n=1
anbn konvergent.
❑
3.10.7 Korollar (Leibniz17Kriterium). Sei∞∑
n=1
(−1)nan eine alternierende Reihe, d.h.
an ∈ R, an ≥ 0, n ∈ N. Ist (ak)k∈N monoton fallend und gilt limn→∞
an = 0, so konvergiert
∞∑n=1
(−1)nan.
Beweis. Setze im Dirichletschen Kriterium bn = (−1)n.
❑
3.10.8 Beispiel. Fur α > 1 ist die Reihe∞∑
k=1
1kα
konvergent18.
Wegen m+1m→ 1 kann man m ∈ N so wahlen, dass m+1
m≤ α. Nach dem Majoran-
tenkriterium genugt es, die Behauptung fur den Exponenten m+1m
zu zeigen.
Betrachte die nach dem Leibnizschen Kriterium konvergente Reihe∞∑
k=1
(−1)k+1 1
k1m
.
Fassen wir immer je zwei Summanden zusammen, so konvergiert nach Fakta 3.9.4, 2,
auch die Reihe∞∑
k=1
(1
(2k − 1)1m
− 1
(2k)1m
).
Nun ist1
(2k − 1)1m
− 1
(2k)1m
=(2k)
1m − (2k − 1)
1m
(2k − 1)1m (2k)
1m
=1
(2k − 1)1m (2k)
1m
·
· (2k) − (2k − 1)
(2k)m−1
m + (2k)m−2
m (2k − 1)1m + . . . + (2k)
1m (2k − 1)
m−2m + (2k − 1)
m−1m
≥
≥ 1
(2k)2m m(2k)
m−1m
=1
m2m+1
m
· 1
km+1
m
17Gottfried Wilhelm Leibniz. 1.7.1646 Leipzig - 14.11.1716 Hannover18Bemerke, dass wir kα erst fur rationales α definiert haben.
3.10. KONVERGENZKRITERIEN 99
Nach dem Majorantenkriterium folgt somit, dass auch die Reihe∞∑
k=1
1
km+1
mkonvergiert.
3.10.9 Korollar (Abelsches19Kriterium*). Sei die reell- oder komplexwertige Reihe∞∑
n=1
bn konvergent, und sei (an)n∈N eine monotone und beschrankte Folge aus R. Dann
ist die Reihe∞∑
n=1
anbn konvergent.
Beweis. Gemaß Satz 3.4.2 konvergiert die Folge (an)n∈N gegen ein a. Fur N → ∞existiert in
N∑
n=1
anbn =
N∑
n=1
(an − a)bn + a
N∑
n=1
bn
fur jeden der beiden Summanden auf der rechten Seite der Grenzwert, denn die Reihe∑∞n=1(an − a)bn konvergiert nach dem Dirichletschen Kriterium und die Reihe
∑∞n=1 bn
nach Voraussetzung.
❑
3.10.10 Satz (Kriterium von Raabe20*). Sei (an)n∈N eine Folge reeller oder komplexer
Zahlen. Gibt es eine Zahl β > 1, sodass ab einem Index k0 alle ak , 0 sind, und
|ak+1||ak|
≤ 1 − βk, k ≥ k0 ,
so ist die Reihe∞∑
k=1
ak absolut konvergent.
Ist ab einem gewissen Index k0 jedoch |ak+1 ||ak | ≥ 1 − 1
k, so ist sie nicht absolut konver-
gent, also hochstens bedingt konvergent.
Beweis. Fur k ≥ k0 gilt wegen unserer Voraussetzung k|ak+1| ≤ k|ak| − β|ak| und daher
(β − 1)|ak| ≤ (k − 1)|ak| − k|ak+1| . (3.16)
Wegen β > 1 ist (k − 1)|ak| > k|ak+1| > 0. Somit ist die Folge ((k − 1)|ak|)k∈Z≥2monoton
und beschrankt, und daher konvergent. Daraus ergibt sich die Konvergenz der Folge (in
k)k∑
n=2
((n − 1)|an| − n|an+1|) = |a2| − k|ak+1|
von Partialsummen. Wegen (3.16) konvergiert die Reihe∑∞
n=1 |an|.Gilt nun
|ak+1 ||ak | ≥ 1− 1
kfur k ≥ k0(> 1), so folgt k|ak+1| ≥ (k− 1)|ak| ≥ (k0 − 1)|ak0
| :=α > 0. Also ist |ak+1| ≥ α
k, und nach dem Minorantenkriterium kann
∑∞n=1 |an| nicht
konvergieren.
❑
Wir wollen noch anmerken, dass man die Konvergenz von ( 1nα
)n∈N fur α ∈ N, n ≥ 2,
mit dem Kriterium von Raabe und der Bernouillschen Ungleichung zeigen kann.
19Niels Henrik Abel. 5.8.1802 Finno (Norwegen) - 6.4.1829 Froland (Norwegen)20Josef Ludwig Raabe. 1801 - 1859
100 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
3.11 Ubungsbeispiele
3.1 Welche der folgenden Paare sind metrische Raume, und warum oder warum nicht?
(i) 〈Cn, d〉, wobei (vgl. (2.17))
d((z j)nj=1, (w j)
nj=1
) =∑n
j=1 |z j − w j|, (z j)nj=1, (w j)
nj=1∈ Cn.
(ii) 〈R+, d〉, wobei d(x, y) = xy.
(iii) 〈R \ {0}, d〉, wobei d(x, y) = | 1x− 1
y|, x, y ∈ R \ {0}.
3.2 Welche der folgenden Paare sind metrische Raume, und warum oder warum nicht?
(i) 〈X, d〉, wobei X eine nichtleere Menge ist, und d : X × X → R mit
d(x, y) =
0 falls x = y,
1 falls x , y.
(ii) 〈X, d〉, wobei X eine nichtleere Menge ist, und d : X × X → R mit d(x, y) = 0 fur alle
x, y ∈ X.
3.3 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i)(2 + (−1)n 3
n
)n∈N
in R, versehen mit der euklidischen Metrik.
(ii)((−1)n + 1
n6
)n∈N
in R, versehen mit der euklidischen Metrik.
3.4 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i) (3 + (−1)n 4n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.
(ii) ((−1)n + 1
n4 )n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.
3.5 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i) ( 1
n+ 1
n2
)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.
(ii) ((−1)n
3n+1+ i
3n+1 )n∈N in C versehen mit der euklidischen Metrik.
3.6 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i)(( 1
2+ i 1
2)n)
n∈Nin C, versehen mit der euklidischen Metrik.
(ii) (S n)n∈N in R, versehen mit der euklidischen Metrik, wobei S n =∑n
j=1
(1
j( j+1)
).
Beachte: 1n(n+1)
= 1n− 1
n+1.
3.7 Man betrachte die Folge(
4n2+n
4n2+n−4
)n∈N
in R und bestimme ihren Grenzwert x. Weiters bestim-
me man zu einem gegebenen ε > 0 das kleinst mogliche N ∈ N, sodass
∣∣∣∣∣∣x −4n2 + n
4n2 + n − 4
∣∣∣∣∣∣ < ε
fur alle n ≥ N gilt.
3.8 Man betrachte die Folge ( 2n2+4n
2n2+4n−3)n∈N in R. Man bestimme ihren Grenzwert x. Weiters be-
stimme man zu einem gegebenen ǫ > 0 das kleinst mogliche N ∈ N, sodass
|x − 2n2 + 4n
2n2 + 4n − 3| < ǫ, ∀n ≥ N.
3.11. UBUNGSBEISPIELE 101
3.9 Man betrachte die Folge ( 1n+in)n∈N inC. Geben Sie ein ǫ > 0 und eine Teilfolge ( 1
n(k)+in(k))k∈N
von ( 1n+ in)n∈N an, sodass
d2(1,1
n(k)+ in(k)) ≥ ǫ,
fur alle k ∈ N.
3.10 Geben Sie eine unbeschrankte Folge in R an, die eine konvergente Teilfolge hat! Weiters
geben Sie eine unbeschrankte Folge in R an, die keine konvergente Teilfolge hat, die aber
auch nicht monoton wachsend ist! Schließlich geben Sie eine beschrankte Folge in R an, die
nicht konvergent ist, aber eine streng monoton wachsende Teilfolge besitzt.
3.11 Sei M , ∅ versehen mit der diskreten Metrik d; vgl. Beispiel 3.1.5, (iv). Zeigen Sie, dass
eine Folge in M genau dann konvergiert, wenn sie ab einem gewissen Index konstant ist.
3.12 Sei (xn)n∈N eine Folge in einem metrischen Raum. Zeigen Sie, dass (xn)n∈N genau dann gegen
ein x konvergiert, wenn (x2n)n∈N und (x2n−1)n∈N beide gegen x konvergieren.
Anmerkung: Hat man zwei Folgen (an)n∈N, (bn)n∈N, die beide gegen den selben Grenzwert
x konvergieren, so zeigt dieses Beispiel, dass die gemischte Folge (cn)n∈N auch gegen x
konvergiert, wobei c2k = ak, k ∈ N und c2k−1 = bk , k ∈ N.
3.13 Sei k ∈ N fest. Man berechne limn→∞nk
2n .
Hinweis: Man zeige mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes, dass fur p(n) :=(
n
k+1
)= n
1· n−1
2·
. . . · n−kk+1
ein Polynom in n vom Grad > k ist, sodass 2n ≥ p(n) fur n > k + 1.
3.14 Ist die Folge (xn)n∈N
xn =1
n + 1+
1
n + 2+ · · · + 1
2n,
konvergent? Wenn ja, warum?
3.15 Es sei (an)n∈N eine reelle Folge, die gegen ein a ∈ R konvergiere. Man beweise, dass dann
die Folge (bn)n∈N definiert durch
bn :=1
n
n∑
j=1
a j
ebenfalls gegen a konvergiert.
Hinweis: Zeigen Sie, dass bn − a = bn − 1n
∑nj=1 a gegen Null geht.
3.16 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i) ((1 − 1n)n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Sie durfen verwen-
den, dass die Folge ((1 + 1n)n)n∈N konvergiert, wobei der Grenzwert als Eulersche Zahl
e bezeichnet wird; vgl. Beispiel 3.4.3.
(ii) ((−1 + 2i + 1−in
)10 − 1)n∈N in C versehen mit der euklidischen Metrik.
3.17 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i) ((1− 12n
)n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Sie durfen verwen-
den, dass die Folge ((1 + 1n)n)n∈N konvergiert, wobei der Grenzwert e getauft wird.
(ii) (√
9n2 + 2n + 1 −√
3n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.
3.18 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i) ((1 + 1
n2 )n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Betrachte eins
durch die Folge, wende die Bernouillsche Ungleichung an und gehe wieder zu den
Kehrwerten uber!
(ii) (1 + 1n)n∈N in R versehen mit der DISKRETEN Metrik aus Beispiel 3.1.5, (iv).
3.19 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
102 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
(i) ((1 + 1
n2 )2n−2)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Betrachte eins
durch die Folge, wende die Bernouillsche Ungleichung an und gehe wieder zu den
Kehrwerten uber!
(ii) (√
16n2 + 2n + 1 −√
4n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.
3.20 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i) ((1 − 3n)n)n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik. Hinweis: Sie durfen verwen-
den, dass die Folge ((1 + 1n)n)n∈N konvergiert, wobei der Grenzwert als Eulersche Zahl
e bezeichnet wird; vgl. Beispiel 3.4.3.
(ii) ((3 + 4i + 1−i2n
)7 − 1)n∈N in C versehen mit der euklidischen Metrik.
3.21 Sind folgende Folgen konvergent/divergent? Begrunden Sie ihre Antwort!
(i)(3−n((−1)nn, 2n + 3, 2
n2+1))
n∈N in R versehen mit der euklidischen Metrik.
(ii)(( −1
3n+1, 1
3n+1 , (−1)n 1n))
n∈N in R3 versehen mit der euklidischen Metrik.
3.22 Untersuchen Sie folgende rekursiv definierte Folge (xn)n∈N auf Konvergenz und berechnen
Sie gegebenenfalls den Grenzwert!
xn+1 =1
2(a + x2
n), n ≥ 1, x1 = 0, 0 ≤ a ≤ 1.
Hinweis: Uberprufen Sie zuerst auf Monotonie und Beschranktheit. Beweise dafur mittels
vollstandiger Induktion! Der Grenzwert (falls existent) erfullt limn→∞ xn = limn→∞ xn+1 =
limn→∞12(a + x2
n) = . . .
3.23 Sind folgende metrische Raume vollstandig oder nicht? Begrunden Sie ihre Antwort! Hier
ist d2 die euklidische Metrik.
(i) 〈C \ {0}, d2〉.(ii) 〈[0, 1] ∪ [2, 3], d2〉.
(iii) 〈Z, d2〉 (Hier ist Z als Teilmenge von R zu sehen).
3.24 Sei (cn)n∈N eine Folge positiver reeller Zahlen, die gegen eine positive reelle Zahl c konver-
giert. Wohin konvergiert (cn)1n ? Warum ?
Hinweis: Ist b < c < d fur positive b, d, so erfullt cn ab einem Index b < cn < d.
3.25 Als Intervallschachtelung in R wird eine Folge (In)n∈N von Intervallen In = [an, bn] bezeich-
net, wobei an, bn ∈ R, an < bn, In+1 ⊆ In und limn→∞(bn − an) = 0.
Man zeige, dass unter diesen Voraussetzungen (an)n∈N und (bn)n∈N gegen den selben Grenz-
wert konvergieren.
Weiters zeige man fur feste 0 < a < b: Die rekursiv definierten Folgen (an)n∈N und (bn)n∈Nmit a1 = a, b1 = b und
an+1 =2anbn
an + bn
,
bn+1 =an + bn
2,
bilden eine Intervallschachtelung, welche gegen das geometrische Mittel√
ab von a und b
konvergiert.
Hinweis: anbn = ab fur alle n ∈ N.
3.26 Zifferndarstellung reeller Zahlen:
Sei b ∈ N, b ≥ 2. Wir betrachten Folgen (zn)n∈N∪{0} bestehend aus ganzen Zahlen, sodass
zn ∈ {0, 1, . . . , b − 1} fur n ≥ 1. Weiters fordern wir, dass die Folge nicht ab einem gewissen
Index aus lauter Zahlen b − 1 besteht, d.h. ∀N ∈ N ∃n ≥ N : zn , b − 1. Die Menge aller
solchen Folgen bezeichnen wir mit D.
3.11. UBUNGSBEISPIELE 103
Man zeige: Zu jeder reellen Zahl x gibt es eine Folge (zn)n∈N∪{0} ∈ D, sodass die durch
an = z0 +
n∑
j=1
z j
1
b j,
definierte Folge rationaler Zahlen (an)n∈N gegen x konvergiert.
Hinweis: Fur x ≥ 0 setze z0 = [x] (großte ganze Zahl ≤ z). Dann definiere zn rekursiv,
sodass an ≤ x und dass der Abstand von x zu an moglichst klein wird. Dieser Abstand ist
dann ≤ b−n.
Bemerkung: Fur b = 10 erhalt man die Dezimaldarstellung einer reellen Zahl, wenn x ≥ 0.
3.27 Mit der Notation aus dem obigen Beispiel weise man nach, dass fur jedes (zn)n∈N∪{0} ∈ D die
Folge (an)n∈N mit
an = z0 +
n∑
j=1
z j
1
b j,
eine Cauchy-Folge ist. Weiters zeige man, dass zu zwei verschiedenen
(zn)n∈N∪{0}, (wn)n∈N∪{0} ∈ D fur die entsprechenden Folgen (an)n∈N und (bn)n∈N gilt:
limn→∞ an , limn→∞ bn.
Bemerkung: Zusammen mit dem obigen Beispiel sieht man, dass es uber diese Folgen eine
bijektive Beziehung zwischen D und R gibt. Fur b = 10 und fur Zahlen ≥ 0 ist das genau
die bekannte Dezimaldarstellung der reellen Zahlen.
3.28 Mit der Notation aus den beiden vorherigen Beispielen, sei (zn)n∈N∪{0} die b-Darstellung einer
reellen Zahl x.
Eine solche Darstellung heißt periodisch ab dem Index m ∈ N, wenn es eine naturliche Zahl
p gibt, sodass zm+ j = zm+kp+ j fur j = 0, . . . , p − 1 und allen k ∈ N.
Zeigen Sie, dass die Zahl x genau dann rational ist, wenn ihre Dezimaldarstellung ab einem
gewissen Index periodisch ist.
Hinweis: Beim Dividieren einer naturlichen Zahl durch die naturliche Zahl m ist der Rest
immer in der endlichen Menge {0, . . . ,m − 1}.3.29 Sei (xn)n∈N eine reelle Folge und sei ξ ∈ R. Zeigen Sie, dass lim supn→∞ xn < ξ genau dann,
wenn es ein q < ξ gibt, sodass xn ≤ q fur alle bis auf endlich viele n ∈ N.
Zeigen Sie auch, dass lim supn→∞ xn > ξ genau dann, wenn es ein q > ξ gibt, sodass xn ≥ q
fur unendlich viele n ∈ N; vgl. Fakta 3.4.5.
3.30 Weisen Sie den in Bemerkung 3.4.6 erwahnten Sachverhalt nach.
3.31 Man betrachte die Menge C := C ∪ {∞}, wobei ∞ ein nicht in C enthaltenes Element ist.
Man sagt, dass eine komplexe Folge (zn)n∈N gegen∞ konvergiert (in Zeichen limn→∞ zn = ∞oder zn →∞), falls
∀M ∈ R, M > 0 ∃N ∈ N : |zn| > M, ∀n ≥ N.
Man zeige, dass zn → ∞ genau dann, wenn |zn| → +∞ im Sinne der Vorlesung.
Weiters zeige man: Sind p(z) und q(z) zwei Polynome mit komplexen Koeffizienten, sodass
p einen hoheren Grad als q hat, dann konvergiert die komplexe Folge (p(n)
q(n)) gegen ∞ im
obigen Sinne.
Bemerkung: Ist k der Grad von q und bk , 0 der Fuhrungskoeffizient von q, so gilt n−kq(n) →bk und daher |n−kq(n)| → |bk | > 0. Somit ist q(n) sicher nicht Null, wenn nur n ≥ K fur ein
K ∈ N. Also ist die Folge (p(n)
q(n)) ab n = K wohldefiniert.
3.32 Ist die Folge (an)n∈N konvergent, divergent, bestimmt divergent? Berechnen Sie gegebenen-
falls ihren Grenzwert!
(i) an = n(1 −√
1 − 1n),
104 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
(ii) an =√
n5+3
n2−2n+6,
(iii) an = (1 + 1n)n2
,
3.33 Ist die Folge (an)n∈N konvergent, divergent, bestimmt divergent? Berechnen Sie gegebenen-
falls ihren Grenzwert!
(i) an = (−1)n(n −√
n2 + 1),
(ii) an =3√
2n7+7n3+1
3n2−1,
(iii) an =
√n +√
n −√
n −√
n.
3.34 Ist die Folge (an)n∈N konvergent, divergent, bestimmt divergent? Berechnen Sie gegebenen-
falls ihren Grenzwert!
(i) an =1
n√n!
,
(ii) an = (1 + 1
n2 )n3,
(iii) an =n√
an + bn, wobei a, b ∈ R+.
3.35 Man zeige, dass man auch fur eine nicht notwendigerweise beschrankte reelle Folge (xn)n∈Ndie Ausdrucke lim infn→∞ xn und lim infn→∞ xn sinnvoll definieren kann, wenn man das In-
fimum (Supremum) einer nicht nach unten (nicht nach oben) beschrankten Menge als +∞(−∞) definiert. Unter welchen Umstanden gilt dann lim infn→∞ xn = limN→∞ infn≥N xn bzw.
lim supn→∞ xn = limN→∞ supn≥N xn.
Schließlich zeige man, dass auch hier (xn)n∈N genau dann gegen ein x ∈ R∪{−∞,+∞} kon-
vergiert, wenn lim infn→∞ xn = x = lim supn→∞ xn.
3.36 Man untersuche ob folgende Reihen absolut konvergieren, und berechnen gegebenenfalls
ihren Grenzwert:∞∑
n=1
1
n(n + 1)(n + 2),
∞∑
n=0
(1
2n+
(−1)n
2n).
3.37 Man untersuche ob folgende Reihen absolut konvergieren, konvergieren oder divergieren:
∞∑
n=1
(−1)n
4√n3 + n
,
∞∑
n=1
(−1)n
(n + 1)n1+(−1)n .
3.38 Man untersuche ob folgende Reihen absolut konvergieren, konvergieren oder divergieren:
∞∑
n=1
n!2n
(2n)!,
∞∑
n=1
(−1)n
√n + 1 −
√n
4√
n3
.
3.39 Man untersuche ob folgende Reihen konvergieren oder divergieren:
∞∑
n=1
n!
nn,
∞∑
n=1
(n2
n2 + 1
)n3
.
3.40 Man untersuche ob folgende Reihe konvergiert oder divergiert:
∞∑
n=1
1
n(e − (1 +
1
n)n).
Hinweis: Suchen Sie mit Hilfe von (1 + 1n)n < e < (1 + 1
n)n+1 eine konvergente Majorante.
3.41 Fur welche x ∈ R ist die Reihe∞∑
n=1
3xn
2 + x4n
konvergent und fur welche divergent?
3.11. UBUNGSBEISPIELE 105
3.42 Fur welche z ∈ C mit |z| = 1 ist die komplexe Reihe∑∞
n=1zn
nkonvergent bzw. absolut
konvergent?
3.43 Sei (an)n∈N rekursiv definiert durch a1 = 3 undan+1
an= 2
3+
(−1)n
2. Zeigen Sie, dass
∑∞n=1 an
konvergiert!
3.44 Man zeige die Cauchy-Schwarzsche und die Minkowskische Ungleichung fur komplexe
Zahlen, d.h. sind z1, . . . , zp,w1, . . . ,wp ∈ C, so gilt:
∣∣∣∣∣∣∣
p∑
j=1
z jw j
∣∣∣∣∣∣∣≤
p∑
j=1
|z jw j| ≤
√√√ p∑
j=1
|z j |2 ·
√√√ p∑
j=1
|w j|2,
√√√ p∑
j=1
|z j + w j |2 ≤
√√√ p∑
j=1
|z j|2 +
√√√ p∑
j=1
|w j|2.
Hinweis: Fuhren Sie diese Ungleichungen auf die schon bekannten reellen Versionen dieser
Ungleichungen zuruck.
3.45 Sein (zn)n∈N und (wn)n∈N zwei Folgen von komplexen Zahlen, sodass∑∞
n=1 |zn|2 und∑∞
n=1 |wn|2konvergieren.
Man zeige, dass dann∑∞
n=1 znwn absolut konvergiert und∑∞
n=1 |zn+wn|2 konvergiert, und dass
|∞∑
n=1
znwn|2 ≤ (
∞∑
n=1
|zn|2)(
∞∑
n=1
|wn|2)
und dass
(
∞∑
n=1
|zn + wn|2)12 ≤ (
∞∑
n=1
|zn|2)12 + (
∞∑
n=1
|wn|2)12 .
Bezeichne nun ℓ2(N,C) die Menge aller Folgen (zn)n∈N, sodass∑∞
n=1 |zn |2 konvergiert, dann
zeige man unter Verwendung obiger Ungleichung, dass (ℓ2, d) ein metrischer Raum ist, wo-
bei d((zn), (wn)) := (∑∞
n=1 |zn − wn|2)12 .
Hinweis: Ist ((zkn)n∈N)k∈N eine Cauchy-Folge, so auch (zk
n)k∈N fur alle n ∈ N. Warum?. Man
zeige fur zn := limk→∞ zkn die Folge (zn)n∈N in ℓ2(N,C) liegt und dass limk→∞(zk
n)n∈N = (zn)n∈Nbzgl. d.
Anmerkung: ℓ2(N,C) ist auch ein Vektorraum uber dem Korper C, und 〈ℓ2(N,C), d〉 ist ein
vollstandig metrischer Raum.
3.46 Sei (zn)n∈N eine Folge reeller oder komplexer Zahlen. Man sagt, dass∏∞
n=1 zn konvergiert,
wenn die Folge PN =∏N
n=1 zn fur N → ∞ konvergiert. In diesem Falle bezeichnet∏∞
n=1 zn
den Grenzwert dieser Folge.
Man zeige, dass dann im Fall∏∞
n=1 zn , 0 immer limn→∞ zn = 1.
106 KAPITEL 3. DER GRENZWERT
Kapitel 4
Die Konstruktion der reellen
Zahlen
Wir wollen in diesem Kapitel die am Anfang verschobene Konstruktion der reellen
Zahlen nachholen und zeigen, dass diese eindeutig dadurch charakterisiert sind, dass Rein vollstandig angeordneter Korper ist.
4.1 Existenz
4.1.1 Bemerkung. Hat man die reellen Zahlen als vollstandig angeordneten Korper zur
Verfugung – was ja noch nicht der Fall ist, so wissen wir aus Beispiel 3.3.4, dass sich
jedes x ∈ R als Grenzwert einer Folge bestehend aus rationalen Zahlen darstellen lasst.
Diese Folgen sind gemaß Proposition 3.5.4 auch Cauchy-Folgen.
Da R ein vollstandig metrischer Raum ist, konvergiert andererseits jede Cauchy-
Folge bestehend aus rationalen Zahlen gegen ein x ∈ R. Dabei konvergieren offenbar
zwei solche Folgen genau dann gegen dieselbe reelle Zahl, wenn die Differenzenfolge
eine Nullfolge ist.
Die Uberlegung in Bemerkung 4.1.1 legt es nahe, einen vollstandig angeordneten
Korper als Menge von rationalen Cauchy-Folgen zu konstruieren, wobei zwei solche
Folgen identifiziert werden, wenn ihre Differenzenfolge eine Nullfolge ist.
Ein Problem dabei ist, dass wir die Begriffe Cauchy-Folge bzw. konvergente Folge
in Definition 3.5.1 bzw. Definition 3.2.2 mit Hilfe der reellen Zahlen definiert haben,
da in (3.8) bzw. (3.3) die ǫ > 0 aus den reellen Zahlen sind. Wie wir in Bemerkung
3.5.2 gesehen haben, konnen wir diese ǫ > 0 auch aus Q wahlen, und erhalten den
selben Begriff von Cauchy-Folge bzw. von konvergenter Folge.
Eine weitere Obstruktion ist die Tatsache, dass wir Konvergenztheorie immer von
Folgen in metrischen Raumen betrieben haben. Die Metrik hat definitionsgemaß aber
Werte in R. Diesem Problem konnen wir dadurch begegnen, dass wir den Begriff des
metrischen Raumes 〈X, d〉 leicht dadurch verandern, dass wir annehmen, dass d nur
Werte in Q hat; siehe Definition 3.1.1 und Bemerkung 3.1.2. Ein solcher metrischer
Raum ist klarerweise 〈Q, d〉, wobei d(x, y) = |x − y|.Eine Folge (xn)n∈N in einem solchen metrischen Raum X heißt dann konvergent
107
108 KAPITEL 4. DIE KONSTRUKTION DER REELLEN ZAHLEN
gegen x ∈ X, wenn
∀ǫ ∈ Q, ǫ > 0∃N ∈ N : d(xn, x) < ǫ fur alle n ≥ N ,
und sie heißt Cauchy-Folge, wenn
∀ǫ ∈ Q, ǫ > 0∃N ∈ N : d(xn, xm) < ǫ fur alle m, n ≥ N .
Fasst man eine Q-wertige Metrik wieder als R-wertig auf, so wissen wir aus Bemer-
kung 3.5.2, dass diese Konvergenzbegriffe mit den schon bekannten ubereinstimmen.
Die Konstruktion eines vollstandig angeordneten Korpers erfolgt nun in einigen
Schritten.
(i) Sei X die Menge aller rationalen Cauchy-Folgen, und sei ∼⊆ X × X die Relation
(rn)n∈N ∼ (sn)n∈N :⇐⇒ limn→∞
(rn − sn) = 0.
Diese Relation ist eine Aquivalenzrelation. Dabei ist Reflexivitat und Symmetrie
klar. Um die Transitivitat nachzuweisen, seien (rn)n∈N ∼ (sn)n∈N und (sn)n∈N ∼(tn)n∈N gegeben. Es ist limn→∞(rn − sn) = limn→∞(sn − tn) = 0, und somit gilt fur
die Summe dieser Folgen limn→∞(rn − tn) = 0. Also ist (rn)n∈N ∼ (tn)n∈N.
Es sei bemerkt, dass wir die verwendeten Regeln fur Folgen in Q-wertigen metri-
schen Raumen nicht hergeleitet haben, obwohl wir sie hier und im Folgenden des
ofteren verwenden. Das zu tun ist aber nur eine Abschreibubung fur die Ergeb-
nisse aus Proposition 3.5.3, Lemma 3.3.1 und Satz 3.3.5, indem wir immer dann,
wenn von R die Rede ist, diese durch Q ersetzen.
(ii) Unser Ziel soll sein, X/∼ zu einem vollstandig angeordneten Korper zu machen.
Dazu brauchen wir Operationen, die wir zunachst auf X definieren:
(rn)n∈N + (sn)n∈N := (rn + sn)n∈N ,
−(rn)n∈N := (−rn)n∈N ,
(rn)n∈N · (sn)n∈N := (rn · sn)n∈N .
Mit (rn)n∈N, (sn)n∈N sind auch (rn)n∈N + (sn)n∈N, −(rn)n∈N und (rn)n∈N · (sn)n∈NCauchy-Folgen. Um das z.B. fur die Multiplikation zu zeigen, sei C ∈ Q,C > 0,
sodass |rn|, |sn| ≤ C, n ∈ N (siehe Proposition 3.5.3), und rechne
|rnsn − rmsm | ≤ |rnsn − rnsm | + |rnsm − rm sm| ≤ C|sn − sm | +C|rn − rm|.
Dieser Ausdruck ist kleiner als ein vorgegebenes rationales ǫ > 0, wenn man N
so groß wahlt, dass
|sn − sm|, |rn − rm | < ǫ2C
fur m, n ≥ N.
(iii) Da die Verknupfungen + und · gliedweise definiert sind, folgt aus den Rechenre-
geln auf Q, dass fur + und · das Kommutativgesetz, das Assoziativgesetz und das
Distributivgesetz gelten. Klarerweise gilt auch
(rn)n∈N + (0)n∈N = (rn)n∈N, − (rn)n∈N + (rn)n∈N = (0)n∈N,
(rn)n∈N · (1)n∈N = (rn)n∈N.
Wir konnen aber X nicht zu einem Korper machen, denn zu (rn)n∈N , (0)n∈Nkonnen wir im Allgemeinen kein multiplikativ Inverses finden.
4.1. EXISTENZ 109
(iv) Die Aquivalenzrelation ∼ lasst sich nun mit Hilfe obiger Verknupfungen charak-
terisieren:
(rn)n∈N ∼ (sn)n∈N ⇔ (rn)n∈N + (−(sn)n∈N) ist Nullfolge,
und
(rn)n∈N ist Nullfolge ⇔ (rn)n∈N ∼ (0)n∈N.
Daraus sieht man leicht, dass obige Verknupfungen mit den Operationen ver-
traglich sind. Sind namlich (rn)n∈N ∼ (r′n)n∈N und (sn)n∈N ∼ (s′n)n∈N, so folgt
(rn)n∈N + (sn)n∈N ∼ (r′n)n∈N + (s′n)n∈N, −(rn)n∈N ∼ −(r′n)n∈N sowie (rn)n∈N · (sn)n∈N ∼(r′n)n∈N · (s′n)n∈N. Letztere Relation etwa folgt aus
(rn)n∈N · (sn)n∈N + (−(r′n)n∈N · (s′n)n∈N) =
(rn(sn − s′n) + s′n(rn − r′n)
)n∈N ∼ (0)n∈N,
da mit (sn − s′n)n∈N und (rn − r′n)n∈N auch(rn(sn − s′n) + s′n(rn − r′n)
)n∈N Nullfolgen
sind.
(v) Setzt man1
P = {(rn)n∈N ∈ X : ∃δ ∈ Q, δ > 0, rn ≥ δ fur fast alle n ∈ N},
und −P = {(−rn)n∈N ∈ X : (rn)n∈N ∈ P}, so gehort jede Folge (rn)n∈N ∈ X zu
genau einer der drei Teilmengen P, [(0)n∈N]∼, − P. Ist (rn)n∈N ∼ (ρn)n∈N, so
gehort (ρn)n∈N zur selben Teilmenge.
Beweis. Da nicht gleichzeitig −rn ≥ δ und rn ≥ δ fur fast alle n ∈ N sein kann,
folgt −P∩P = ∅. Aus (rn)n∈N ∼ (0)n∈N folgt rn → 0. Also unterschreitet |rn| jedes
vorgegebene δ > 0, wenn nur n hinreichend groß ist. (rn)n∈N kann damit weder in
P noch in −P liegen.
Seien (rn)n∈N, (ρn)n∈N ∈ X aquivalent, aber beide nicht aquivalent zu (0)n∈N. Also
sind beide keine Nullfolgen. Fur (rn)n∈N bedeutet das
∃δ ∈ Q, δ > 0 : ∀N ∈ N ∃ : m(N) ≥ N : |rm(N)| ≥ δ . (4.1)
Sei N ∈ N, sodass |rn − rm | < δ4, |ρn − rn| < δ
4, m, n ≥ N. Aus der Dreiecksunglei-
chung folgt unmittelbar |ρn − rm| < δ2
und weiter
|rn| ≥ |rm| − |rn − rm| > |rm| −δ
4, |ρn| ≥ |rm| − |ρn − rm| > |rm| −
δ
2. (4.2)
Wahlt man hier m = m(N) wie in (4.1), so folgt wegen |rm| ≥ δ aus |rn − rm| < δ4
und |ρn − rm | < δ2, dass
sgn(rn) = sgn(rm) = sgn(ρn) .
Aus (4.2) folgt |rn|, |ρn| ≥ δ2. Also liegen (rn)n∈N und (ρn)n∈N gemeinsam in P
bzw. −P je nach dem Vorzeichen von rm.
❑
1Fast alle bedeutet hier”alle bis auf endlich viele“.
110 KAPITEL 4. DIE KONSTRUKTION DER REELLEN ZAHLEN
(vi) Man sieht auch ganz leicht, dass aus (rn)n∈N, (sn)n∈N ∈ P folgt, dass (rn)n∈N +(sn)n∈N, (rn)n∈N · (sn)n∈N ∈ P.
(vii) Nun betrachten wir X/∼ und definieren
[(rn)n∈N]∼ + [(sn)n∈N]∼ := [(rn)n∈N + (sn)n∈N]∼,
[(rn)n∈N]∼ · [(sn)n∈N]∼ := [(rn)n∈N · (sn)n∈N]∼,
−[(rn)n∈N]∼ = [−(rn)n∈N]∼,
P/∼ = {[(rn)n∈N]∼ : (rn)n∈N ∈ P}.
Aus (iv) wissen wir, dass die Verknupfungen damit wohldefiniert sind und aus (v),
dass P/∼, [(0)n∈N]∼, −P/∼ paarweise disjunkte Mengen sind, deren Vereinigung
X/∼ ist.
Nun ubertragen sich das Kommutativgesetz, das Assoziativgesetz und das Distri-
butivgesetz fur + und · . Die Restklasse [(0)n∈N]∼ ist das additiv neutrale Element,
und [(1)n∈N]∼ ist das multiplikativ neutrale Element. Weiters ist −[(rn)n∈N]∼ das
additiv Inverse von [(rn)n∈N]∼.
Was X/∼ noch fehlt, ein Korper zu sein, ist die Existenz einer multiplikativ Inver-
sen. Dazu sei [(rn)n∈N]∼ , [(0)n∈N]∼.
Nach (v) wissen wir, dass |rn| > δ fur ein rationales δ > 0 und alle n ∈ N, n ≥ N.
Also gilt fur m, n ≥ N ∣∣∣∣∣1
rn
− 1
rm
∣∣∣∣∣ ≤|rn − rm |
δ,
und wir sehen, dass (qn)n∈N mit qn =1rn
fur n ≥ N, und qn = 0 fur n < N, eine
Cauchy-Folge ist, und dass [(rn)n∈N]∼ · [(qn)n∈N]∼ = [(1)n∈N]∼.
Schließlich ist 〈X/∼,+, ·,P/∼〉 wegen (vi) sogar ein angeordneter Korper. Wir
bemerken noch, dass wegen (v) fur die Ordnung ≤ auf X/∼ gilt, dass
[(rn)n∈N]∼ < [(sn)n∈N]∼ ⇔ rn + δ ≤ sn, n ≥ N
fur ein δ > 0 und ein N ∈ N. Insbesondere folgt aus rn ≤ sn, n ≥ N fur ein N ∈ N,
dass [(rn)n∈N]∼ ≤ [(sn)n∈N]∼.
(viii) Die Abbildung r 7→ [(r)n∈N]∼ von Q nach X/∼ ist offenbar nicht identisch gleich
[(0)n∈N]∼ und mit der Addition und Multiplikation vertraglich. Somit ist dies die
eindeutige Abbildung φ : Q → X/∼ aus Proposition 2.7.8, die fur jeden angeord-
neten Korper existiert. Wegen Proposition 2.7.8 ist diese Abbildung auch injektiv
und mit −, < und ≤ vertraglich.
(ix) 〈X/∼,+, ·,P/∼〉 ist ein archimedisch angeordneter Korper, denn fur jedes
[(rn)n∈N]∼ ∈ X/∼, ist (rn)n∈N eine Cauchy-Folge und daher beschrankt. Da Q ar-
chimedisch angeordnet ist, gibt es ein N ∈ N, sodass rn ≤ N, n ∈ N. Das bedingt
aber [(rn)n∈N]∼ ≤ [(N)]∼ < [(N+1)]∼, womit [(rn)n∈N]∼ keine obere Schranke von
{[(k)n∈N]∼ : k ∈ N} sein kann.
(x) Nun wollen wir zeigen, dass unser Korper vollstandig angeordnet ist. Dazu sei
A ⊆ X/∼ eine nach oben beschrankte, nicht leere Menge. Wegen dem vorherigen
Punkt gilt somit A ≤ [(N+)]∼ fur ein festes N+ ∈ N. Wegen A , ∅ existiert
4.2. EINDEUTIGKEIT 111
ebenfalls nach dem vorherigen Punkt auch ein N− ∈ Z, sodass [(N−)]∼ keine
untere Schranke von A ist.
Fur j ∈ N sei 1j!Z die Menge aller rationalen Zahlen der Form
p
qmit p ∈ Z und
q = j!. Man sieht leicht, dass Z ⊆ 1j!Z ⊆ 1
( j+1)!Z ⊆ Q. Weiters sei
D j = {r ∈1
j!Z : A ≤ [(r)n∈N]∼} ,
fur die D j ⊆ D j+1 gilt.
Wegen N+ ∈ D j ist D j nicht leer und wegen N− < D j ist D j nach unten be-
schrankt. Somit ist ( j!)(D j−N−)+1 eine nicht leere Teilmenge von N und hat so-
mit ein Minimum. Also existiert auch das Minimum x j von D j. Wegen D j ⊆ D j+1
gilt x j+1 ≤ x j.
Wegen D j = {r ∈ 1j!Z : x j ≤ r} ist die Zahl y j := x j − 1
j!∈ 1
j!Z das Maximum aller
r ∈ 1j!Z, die keine obere Schranke von A sind, also das Maximum von 1
j!Z \ D j.
Aus 1j!Z \ D j ⊆ 1
( j+1)!Z \ D j+1 folgt y j+1 ≥ y j. Wegen
0 ≤ xm − xn < xm − yn ≤ xm − ym =1
m!und
0 ≤ yn − ym < xn − ym ≤ xm − ym =1
m!fur m < n ,
fur m < n gilt (xn)n∈N, (yn)n∈N ∈ X, wobei (xn)n∈N ∼ (yn)n∈N; also s :=
[(xn)n∈N]∼ = [(yn)n∈N]∼.
Nun gilt A ≤ s, denn anderenfalls gabe es ein a ∈ A mit s < a und gemaß Satz
2.8.3 weiter ein r ∈ Q mit s < [(r)n∈N] < a. Fur j0 ∈ N mit r ∈ 1j0!Z – ein solches
gibt es offenbar – gilt r ∈ 1j!Z \ D j und somit r ≤ y j fur alle j ≥ j0. Es folgt der
Widerspruch [(r)n∈N] ≤ [(yn)n∈N]∼ = s.
Nun ist s die kleinste obere Schranke von A, da aus A ≤ b < s wieder mit Satz
2.8.3 die Existenz eines r ∈ Q mit A ≤ b < [(r)n∈N] < s folgte. Fur j0 ∈ Nmit r ∈ 1
j0!Z gilt r ∈ D j und somit x j ≤ r fur alle j ≥ j0. Das ergibt aber den
Widerspruch s = [(xn)n∈N]∼ ≤ [(r)n∈N].
Also konnen wir uns nun sicher sein, dass es vollstandig angeordnete Korper gibt.
4.2 Eindeutigkeit
4.2.1 Satz. Ist 〈K,+, ·, P〉 ein vollstandig angeordneter Korper und 〈X/∼,+, ·,P/∼〉 der
soeben konstruierte Korper, dann gibt es eine eindeutige Abbildung φ : X/∼ → K, die
nicht identisch gleich 0K und mit Addition und Multiplikation vertraglich ist. Diese
Abbildung ist dann auch bijektiv, mit − sowie mit den Ordnungen < und ≤ vertraglich.
Beweis. Nach Proposition 2.7.8 gibt es eine verknupfungs- und ordnungstreue injektive
Abbildung φ : Q → K. Wegen Bemerkung 3.5.2 sind die Bilder von Nullfolgen bzw.
Cauchy-Folgen wieder Nullfolgen bzw. Cauchy-Folgen.
Ist [(rn)n∈N]∼ ∈ X/∼, so definieren wir
φ([(rn)n∈N]∼) := limn→∞
φ(rn).
112 KAPITEL 4. DIE KONSTRUKTION DER REELLEN ZAHLEN
Man beachte, dass der Grenzwert existiert, da K wegen Satz 3.5.8 ein vollstandig an-
geordneter Korper ist, und dass der Grenzwert nicht von der Wahl des Reprasentanten
(rn)n∈N der Restklasse [(rn)n∈N]∼ abhangt. Ist namlich (rn)n∈N ∼ (sn)n∈N, so folgt
limn→∞
φ(rn) = limn→∞
φ(sn) + limn→∞
φ(rn − sn) = limn→∞
φ(sn).
φ ist injektiv, da
[(rn)n∈N]∼ = [(sn)n∈N]∼ ⇔ limn→∞
(rn − sn) = 0⇔
limn→∞
φ(rn − sn) = 0⇔ limn→∞
φ(rn) = limn→∞
φ(sn).
Die Surjektivitat folgt aus der Tatsache, dass jede Zahl aus K durch eine Folge ratio-
naler Zahlen approximiert werden kann; vgl. Beispiel 3.3.4. Die Vertraglichkeit mit +
folgt aus (siehe Satz 3.3.5)
φ([(rn)n∈N]∼ + [(sn)n∈N]∼) = limn→∞
φ(rn + sn) =
limn→∞
φ(rn) + limn→∞
φ(sn) = φ([(rn)n∈N]∼) + φ([(sn)n∈N]∼),
und die fur − sowie · zeigt man genauso. Um die Vertraglichkeit mit der Ordnung zu
zeigen, sei bemerkt, dass wegen Lemma 3.3.1 und Satz 2.8.3
φ([(rn)n∈N]∼) ∈ P⇔ limn→∞
φ(rn) > 0⇔ ∃δ > 0, φ(rn) ≥ δ fur alle n ≥ N.
Da φ ordnungstreu ist, bedeutet das aber genau [(rn)n∈N]∼ ∈ P/∼.
Sei φ : X/∼ → K eine weitere, mit + und · vertragliche Abbildung mit φ . 0K .
Aus φ(x)φ([(1)n∈N]∼) = φ(x · [(1)n∈N]∼) = φ(x) fur ein x ∈ X/∼ mit φ(x) , 0K folgt
φ([(1)n∈N]∼) = 1K ; also ist insbesondere die Abbildung r 7→ φ([(r)n∈N]∼) nicht identisch
gleich 0K und offenbar mit + und · vertraglich.
Die Eindeutigkeitsaussage in Proposition 2.7.8 impliziert φ([(r)n∈N]∼) = φ(r) fur
alle r ∈ Q, woraus wegen φ(a) + φ(−a) = φ([(0)n∈N]∼) = 0K und daher φ(−a) =
−φ(a) fur jedes a ∈ X/∼ auch die Vertraglichkeit mit − folgt. Fur a , [(0)n∈N]∼ folgt
φ(a) · φ(a−1) = φ(a · a−1) = 1K , und daher φ(a) , 0K .
Fur [(rn)n∈N]∼ ∈ X/∼ folgt aus [(rn)n∈N]∼ > [(0)n∈N]∼ wegen Satz 2.9.5
∃[(sn)n∈N]∼ ∈ X/∼, [(sn)n∈N]∼ , [(0)n∈N]∼ : [(sn)n∈N]2∼ = [(rn)n∈N]∼ .
Wegen φ([(sn)n∈N]∼) , 0K ⇔ [(sn)n∈N]∼ , [(0)n∈N]∼ folgt daraus φ([(rn)n∈N]∼) =
φ([(sn)n∈N]∼)2 > 0K . Somit ist φ mit < und daher auch mit ≤ vertraglich.
Ware nun φ(x) < φ(x) fur ein x ∈ X/∼, und sind r, ρ ∈ Q gemaß Satz 2.8.3 so
gewahlt, dass φ(x) < φ(r) < φ(ρ) < φ(x), so erhielten wir
x < [(r)n∈N]∼ und [(ρ)n∈N]∼ < x , (4.3)
da aus x ≥ [(r)n∈N]∼ ( x ≤ [(ρ)n∈N]∼ ) wegen der Ordnungstreue von φ ( φ ) die
Beziehung φ(x) ≥ φ([(r)n∈N]∼) = φ(r) ( φ(x) ≤ φ([(ρ)n∈N]∼) = φ(ρ) ) folgt. (4.3)
impliziert ρ < r, wogegen φ(r) < φ(ρ) die Ungleichung r < ρ nach sich zieht.
Da man genauso aus φ(x) > φ(x) einen Widerspruch erhalt, muss φ = φ.
❑
Somit haben wir die Existenz und die Eindeutigkeit eines vollstandig angeordneten
Korpers und damit auch Satz 2.9.3 bewiesen.
4.2. EINDEUTIGKEIT 113
4.2.2 Bemerkung. Die in diesem Abschnitt angegebene Vorgangsweise aus Q die reel-
len Zahlen zu konstruieren lasst sich auch anwenden um zu zeigen, dass es zu jedem
metrischen Raum 〈X, d〉 einen vollstandigen metrischen Raum 〈X, d〉 gibt, sodass 〈X, d〉isometrisch und dicht in 〈X, d〉 enthalten ist.
In der Tat nimmt man auch hier die Menge X aller Cauchy-Folgen in 〈X, d〉, be-
trachtet genauso die Aquivalenzrelation ∼, die zwei Folgen identifiziert, falls deren
Differenz eine Nullfolge ist, und beweist, dass X/∼ versehen mit einer geeigneten Me-
trik der gesuchte metrische Raum ist.
114 KAPITEL 4. DIE KONSTRUKTION DER REELLEN ZAHLEN
Kapitel 5
Topologie metrischer Raume
5.1 ǫ-Kugeln, offene und abgeschlossene Mengen
Als erstes wollen wir uns dem anschaulich leicht verstandlichen Begriff der Kugel in
metrischen Raumen zuwenden.
5.1.1 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und x ∈ X. Dann heißt die Menge
Uǫ (x) := {y ∈ X : d(y, x) < ǫ} die offene ǫ-Kugel um den Punkt x, und die Menge
Kǫ (x) := {y ∈ X : d(y, x) ≤ ǫ} die abgeschlossene ǫ-Kugel um den Punkt x.
5.1.2 Beispiel.
(i) Man betrachte R versehen mit der euklidischen Metrik. Fur x ∈ R ist dann
Uǫ (x) = (x − ǫ, x + ǫ) und Kǫ(x) = [x − ǫ, x + ǫ].
(ii) Sei X eine Menge, und sei diese mit der diskreten Metrik aus Beispiel 3.1.5 verse-
hen. Ist ǫ ≤ 1, so gilt dann in diesem Raum Uǫ (x) = {x}. Fur ǫ > 1 gilt Uǫ(x) = X.
(iii) BetrachteR2, und versehe diese Menge mit den drei Metriken d1, d2 und d∞; siehe
Beispiel 3.1.5. Die ǫ-Kugeln U1ǫ (0) bzgl. d1 sowie U2
ǫ (0) bzgl. d2 bzw. U∞ǫ (0)
bzgl. d∞ lassen sich folgendermaßen darstellen:
ǫ
ǫ
U1ǫ (0)
ǫ
ǫ
U2ǫ (0)
ǫ
ǫ
U∞ǫ (0)
Abbildung 5.1: ǫ-Umgebungen von 0
115
116 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
5.1.3 Bemerkung. Die Konvergenz einer Folge (xn)n∈N in metrischen Raumen lasst sich
durch obige Mengen folgendermaßen formulieren:
x = limn→∞
xn ⇔ ∀ǫ > 0 ∃N ∈ N : {xn : n ≥ N} ⊆ Uǫ(x).
Wegen Uǫ (x) ⊆ Kǫ (x) ⊆ U2ǫ (x) konnen wir hier genauso Kǫ (x) anstatt Uǫ (x) schreiben.
Diese Sichtweise des Grenzwertbegriffes gewinnt zum Beispiel dann an Bedeu-
tung, wenn man den Konvergenzbegriff bezuglich verschiedener Metriken vergleichen
will.
Betrachten wir etwa die Metriken d und d∞ aus Beispiel 5.1.2, (iii), so folgt aus
(3.9), dass U2ǫ (x) ⊆ U∞ǫ (x) ⊆ U2
2ǫ(x). Nimmt man nun obiges Konvergenzkriterium
her, so sieht man unmittelbar, dass eine Folge genau dann bzgl. d konvergiert, wenn sie
es bzgl. d∞ tut; siehe Proposition 3.6.1.
5.1.4 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Eine Teilmenge O von X heißt offen,
wenn es zu jedem Punkt x ∈ O eine ǫ-Kugel gibt mit Uǫ (x) ⊆ O.
O
x
ǫ
x′
ǫ′x′′
ǫ′′
Abbildung 5.2: Offene Mengen
5.1.5 Beispiel.
In (R, d) sind z.B. die Mengen (a, b) und R \ {0} offen. Denn ist etwa x ∈ (a, b),
so folgt fur ǫ = min( x−a2, b−x
2), dass Uǫ (x) = (x − ǫ, x + ǫ) ⊆ (a, b).
Man sieht sofort, dass in jedem metrischen Raum 〈X, d〉 die Mengen ∅ und X
immer offen sind.
5.1.6 Bemerkung. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, x ∈ X und ǫ ∈ R, ǫ > 0. Ist
y ∈ Uǫ (x), dh. d(x, y) < ǫ, und ist 0 < δ ≤ ǫ − d(x, y), so folgt fur z ∈ Uδ(y) aus
d(y, z) < δ, dass
d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) < d(x, y) + δ ≤ d(x, y) + ǫ − d(x, y) = ǫ ,
und somit z ∈ Uǫ(x). Also gilt Uδ(y) ⊆ Uǫ (x). Insbesondere sind alle offenen Kugeln
in metrischen Raumen offen.
5.1. ǫ-KUGELN, OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 117
5.1.7 Proposition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Dann gilt
� Ist n ∈ N und sind O1, . . . ,On offene Teilmengen von X, so ist auch⋂n
i=1 Oi offen.
� Ist I eine beliebige Indexmenge, und sind Oi offene Teilmengen von X, so auch⋃i∈I Oi.
Beweis. Seien O1, . . . ,On offen und x ∈ O1 ∩ . . . ∩ On. Definitionsgemaß gibt es
ǫ1, . . . , ǫn > 0 mit Uǫi(x) ⊆ Oi, i = 1, . . . , n. Es folgt
Umin{ǫ1,...,ǫn}(x) = Uǫ1(x) ∩ . . . ∩ Uǫn
(x) ⊆ O1 ∩ . . . ∩On.
Damit ist O1 ∩ . . . ∩On offen.
Seien Oi, i ∈ I, offen, und x ∈ ⋃i∈I Oi. Dann existiert ein i ∈ I mit x ∈ Oi, und
daher ein ǫ > 0 mit Uǫ(x) ⊆ Oi. Insgesamt folgt Uǫ (x) ⊆ ⋃i∈I Oi.
❑
5.1.8 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, E ⊆ X und x ∈ X.
� Man nennt x einen Haufungspunkt von E, wenn jede ǫ-Kugel um x einen Punkt
aus E \ {x} enthalt, dh.
∀ǫ > 0⇒ Uǫ(x) ∩ (E \ {x}) , ∅ ,
oder anders formuliert,
∀ǫ > 0 ∃y ∈ E, x , y : d(x, y) < ǫ.
� Wenn x ∈ E kein Haufungspunkt ist, so nennen wir ihn isolierten Punkt von E.
Das ist also ein Punkt aus E, sodass
∃ǫ > 0, Uǫ(x) ∩ E = {x}.
� Wir sagen eine Menge A ⊆ X ist abgeschlossen, wenn jeder Haufungspunkt von
A schon in A enthalten ist.
5.1.9 Bemerkung. Sei E ⊆ X. Fur jedes x ∈ X tritt genau einer der folgenden Falle ein:
(i) x ist isolierter Punkt von E.
(ii) x ∈ E und x ist Haufungspunkt von E.
(iii) x < E und x ist Haufungspunkt von E.
(iv) x < E und x ist nicht Haufungspunkt von E.
5.1.10 Definition. Die Menge aller x, die eine der Bedingungen (i), (ii) oder (iii)
erfullen, wollen wir mit Abschluss der Menge E, in Zeichen c(E), bezeichnen.
Sind E ⊆ F ⊆ X derart, dass c(E) ⊇ F, so nennt man E dicht in F.
118 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
5.1.11 Fakta.
1. Man zeigt unmittelbar, dass aus E ⊆ F die Inklusion c(E) ⊆ c(F) folgt.
2. Klarerweise ist E ⊆ c(E), wobei c(E) = E genau dann, wenn E abgeschlossen
ist.
3. Fur ein x ∈ X gilt x ∈ c(E) genau dann, wenn
∀ǫ > 0 ∃y ∈ E : d(x, y) < ǫ
bzw. genau dann, wenn
∀ǫ > 0⇒ E ∩ Uǫ(x) , ∅. (5.1)
4. Ist x ∈ c(c(E)), so folgt aus dieser Bedingung angewandt auf c(c(E)), dass
c(E) ∩ U ǫ2(x) fur beliebiges ǫ > 0 ein y enthalt. Nochmals diese Bedingung
angewandt auf c(E) ergibt E ∩ U ǫ2(y) , ∅, was zusammen mit U ǫ
2(y) ⊆ Uǫ (x)
(siehe Bemerkung 5.1.6) E∩Uǫ (x) , ∅ nach sich zieht. Also gilt x ∈ c(E) und so-
mit c(c(E)) ⊆ c(E). Die umgekehrte Inklusion gilt ohnehin, dh. c(c(E)) = c(E).
Insbesondere ist c(E) immer abgeschlossen.
5. In jeder ǫ-Kugel Uǫ(x) um einen Haufungspunkt x von E liegen sogar unend-
lich viele Punkte von E \ {x}. Denn angenommen es waren nur endlich viele
x1, . . . , xn, so erhielten wir mit δ := min{ǫ, d(x, x1), . . . , d(x, xn)} > 0 den Wider-
spruch Uδ(x) ∩ E \ {x} = ∅.
5.1.12 Beispiel.
Sei E = [0, 1) ∪ {2} als Teilmenge von R. Dann ist 1 ein Haufungspunkt von
E, da jede ǫ-Kugel (1 − ǫ, 1 + ǫ) um 1 sicherlich Punkte aus E enthalt – etwa
max(1 − 12ǫ, 1
2). Da 1 nicht zu E gehort, ist E nicht abgeschlossen.
Fur x ∈ [0, 1) und jedes ǫ > 0 gilt sicher
x < y := min(x + 1
2, x +
1
2ǫ) < min(x + ǫ, 1) ,
also y ∈ E ∩ Uǫ(x) \ {x}. Somit sind auch alle Punkte aus [0, 1) Haufungspunkt
von E.
Fur x < [0, 1] folgt mit ǫ = min(|x|, |x− 1|) sicherlich E ∩Uǫ(x) \ {x} = ∅, womit
[0, 1] genau die Menge aller Haufungspunkte von E und 2 ein isolierter Punkt
ist. Also gilt schließlich c(E) = [0, 1] ∪ {2}.
Ist 〈X, d〉 ein beliebiger metrischer Raum, so sind auch ∅ und X abgeschlossen.
Erstere Menge hat offenbar keine Haufungspunkte und enthalt somit trivialer-
weise alle solchen, und X enthalt auch alle seine Haufungspunkte, da diese ja als
Punkte von X definiert sind.
Ist 〈X, d〉 ein beliebiger metrischer Raum, und E ⊆ X eine endliche Teilmenge,
so hat E keine Haufungspunkte, besteht daher nur aus isolierten Punkten und ist
daher immer abgeschlossen.
5.1. ǫ-KUGELN, OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 119
5.1.13 Lemma. Ein Punkt x ist ein Haufungspunkt einer Menge E genau dann, wenn
es eine Folge (xn)n∈N von Punkten xn ∈ E \ {x} gibt mit xn → x.
Ein Punkt x liegt genau dann in c(E), wenn es eine Folge (xn)n∈N von Punkten
xn ∈ E gibt mit xn → x.
Beweis. Ist x Haufungspunkt von E, so gibt es zu jedem n ∈ N ein xn ∈ E \ {x} mit
d(x, xn) < 1n, also xn → x.
Ist x isolierter Punkt von E, so konvergiert die identische Folge x = xn, n ∈ N gegen
x. Diese Folge ist klarerweise aus E.
Sei nun umgekehrt x = limn→∞ xn fur eine Folge aus E. Ist fur ein n ∈ N, xn = x,
so folgt trivialerweise x = xn ∈ E ⊆ c(E).
Im Fall xn , x fur alle n ∈ N ist die Folge (xn)n∈N sicher in E \ {x} enthalten, und
zu jedem ǫ > 0 gibt es ein N ∈ N, sodass ∅ , {xn : n ≥ N} ⊆ Uǫ(x). Jedes Element der
Menge auf der linken Seite ist in Uǫ(x) ∩ E \ {x} enthalten. x ist somit Haufungspunkt
von E.
❑
5.1.14 Beispiel.
Ist F ⊆ R abgeschlossen und nach oben beschrankt, so sei x := sup F. Nach
Beispiel 3.3.4 gibt es in F eine Folge, die gegen sup F konvergiert. Die Abge-
schlossenheit von F impliziert sup F ∈ F, d.h. sup F = max F.
Entsprechendes gilt fur nach unten beschrankte Mengen und deren Infimum.
Ist 〈X, d〉 ein beliebiger metrischer Raum, so ist jede abgeschlossene Kugel Kǫ (x)
abgeschlossen. Ist namlich y ∈ c(Kǫ(x)) von Kǫ(x), so gibt es gemaß Lemma
5.1.13 eine Folge (yn)n∈N aus Kǫ (x) mit limn→∞ yn = y. Wegen Lemma 3.2.10
und Lemma 3.3.1 folgt
d(x, y) = limn→∞
d(x, yn) ≤ ǫ .
Also haben wir y ∈ Kǫ (x). Somit gilt c(Kǫ(x)) = Kǫ (x), weshalb Kǫ(x) abge-
schlossen ist; vgl. Fakta 5.1.11.
Die rationalen Zahlen liegen dicht in R. In der Tat haben wir in Beispiel 3.3.4 fur
ein beliebiges x ∈ R eine Folge aus Q \ {x} konstruiert, die gegen x konvergiert.
Wegen Lemma 5.1.13 ist x somit Haufungspunkt von Q.
5.1.15 Proposition. Ist 〈X, d〉 ein metrischer Raum und A ⊆ X, so sind folgende Aus-
sagen aquivalent.
(i) Ac(= X \ A) ist offen.
(ii) A ist abgeschlossen.
(iii) Ist (xn)n∈N eine Folge von Punkten aus A und ist (xn)n∈N konvergent, so liegt auch
ihr Grenzwert in A.
Beweis.
(i)⇒ (ii): Ein Punkt x ∈ c(A) kann nicht in Ac liegen, denn anderenfalls folgt aus Ac
offen, dass Uǫ(x) ⊆ Ac fur ein ǫ > 0, und damit der Widerspruch Uǫ(x) ∩ A = ∅zu (5.1). Also muss x ∈ A und daher A = c(A).
120 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
(ii)⇒ (i): Da A abgeschlossen ist, ist jedes x ∈ Ac kein Haufungspunkt von A. Also
gibt es ein ǫ > 0 mit Uǫ (x)∩A = Uǫ (x)∩A\{x} = ∅. Das ist aber gleichbedeutend
mit Uǫ(x) ⊆ Ac. Also ist Ac offen.
(ii)⇔ (iii): Folgt unmittelbar aus der Tatsache, dass A genau dann abgeschlossen ist,
wenn c(A) = A, und aus Lemma 5.1.13.
❑
Diese einfache Charakterisierung von abgeschlossenen Mengen zusammen mit
( n⋃
i=1
Ai
)c=
n⋂
i=1
(Aci ),
(⋂
i∈IAi
)c=
⋃
i∈I(Ai)
c
und Proposition 5.1.7 liefert uns sofort das folgende
5.1.16 Korollar. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Dann gilt
� Sind n ∈ N und A1, . . . , An abgeschlossen, so auch⋃n
i=1 Ai.
� Ist I eine beliebige Indexmenge, und sind alle Mengen Ai, i ∈ I, abgeschlossen,
so folgt, dass auch⋂
i∈I Ai abgeschlossen ist.
5.1.17 Beispiel.
Korollar 5.1.16 gestattet uns z.B. die Einheitskreislinie
T := {z ∈ C : |z| = 1}
als abgeschlossene Teilmenge von C zu identifizieren. In der Tat ist T = K1(0)∩(U1(0))c, und damit Durchschnitt von abgeschlossenen Mengen.
Man betrachte M = {z ∈ C : Re z ≥ 0} als Teilmenge von C. Ist (zn)n∈N eine
Folge aus M, die gegen z ∈ C konvergiert, so muss nach Proposition 3.6.1 die
Folge (Re zn)n∈N in R gegen Re z konvergieren. Wegen Lemma 3.3.1 folgt aus
Re zn ≥ 0, n ∈ N, dass auch Re z ≥ 0 und damit z ∈ M. Nach Proposition 5.1.15
ist M abgeschlossen.
Die Teilmenge {z ∈ C : 0 ≤ Re z ≤ 1} von C lasst sich als Durchschnitt von
{z ∈ C : Re z ≥ 0} und {z ∈ C : Re z ≤ 1} schreiben. Nach dem vorhergehenden
Beispiel ist die erste Menge abgeschlossen. Entsprechendes gilt fur die zweite
Menge. Also ist {z ∈ C : 0 ≤ Re z ≤ 1} der Durchschnitt von abgeschlossenen
Mengen und damit selber abgeschlossen.
Das Quadrat {z ∈ C : Re z ∈ [0, 1], Im z ∈ [0, 1]} ist der Durchschnitt der
abgeschlossenen Mengen {z ∈ C : 0 ≤ Re z ≤ 1} und {z ∈ C : 0 ≤ Im z ≤ 1}, und
daher auch abgeschlossen.
Da die Menge {z ∈ C : Re z ≥ 0} abgeschlossen ist, folgt, dass ihr Komplement
M := {z ∈ C : Re z < 0} in C offen ist. Das kann man auch direkt nachweisen:
Ist z ∈ M beliebig, so wahle ǫ = −Re z > 0. Ist w ∈ Uǫ(z), so folgt wegen
−Re z + Re w ≤ |Re z − Re w| ≤ |z − w| und damit −Re w ≥ −Re z − |z − w| >−Re z − ǫ = 0, dass auch w ∈ M, und daher Uǫ (z) ⊆ M.
5.1. ǫ-KUGELN, OFFENE UND ABGESCHLOSSENE MENGEN 121
Das Quadrat M = {z ∈ C : Re z ∈ (0, 1), Im z ∈ (0, 1)} lasst sich als Durchschnitt
von endlich vielen offenen Mengen schreiben:
M = {z ∈ C : Re z > 0}∩{z ∈ C : Re z < 1}∩{z ∈ C : Im z > 0}∩{z ∈ C : Im z < 1} .
Sie ist daher selber offen.
Um sich c(M) fur M aus dem vorherigen Beispiel auszurechnen, sei zunachst
bemerkt, dass c(M) ⊆ c({z ∈ C : Re z ∈ [0, 1], Im z ∈ [0, 1]}) = {z ∈ C : Re z ∈[0, 1], Im z ∈ [0, 1]}; vgl. Fakta 5.1.11.
Sei nun z ∈ C mit Re z ∈ [0, 1], Im z ∈ [0, 1]. Im Fall Re z ∈ (0, 1), Im z ∈ (0, 1)
gilt offenbar z ∈ M ⊆ c(M). Anderenfalls muss Re z = 0, Re z = 1, Im z = 0 oder
Re z = 1 sein.
Im ersten Fall ist ( 1n+1+ i Im z)n∈N eine Folge aus M, die gegen z konvergiert,
dh. z ∈ c(M). In den anderen Fallen konstruiert man ahnliche Folgen und erhalt
genauso z ∈ c(M). Insgesamt gilt also
c(M) = {z ∈ C : Re z ∈ [0, 1], Im z ∈ [0, 1]} .
Betrachte die Teilmenge M von R definiert durch
M =⋃
n∈2N(
1
n + 1,
1
n) .
Diese Menge ist als Vereinigung von offenen Mengen offen.
Um alle Haufungspunkte zu ermitteln, sei zunachst x ∈ ⋃n∈2N[ 1
n+1, 1
n], also 1
n+1≤
x ≤ 1n
fur ein n ∈ 2N. Fur jedes ǫ > 0 gilt
M ∩ Uǫ(x) \ {x} ⊇ (1
n + 1,
1
n) ∩ (x − ǫ, x + ǫ) \ {x} =
(max(x − ǫ, 1
n + 1),min(x + ǫ,
1
n)) \ {x} .
Da fur 1n+1≤ x ≤ 1
nimmer max(x−ǫ, 1
n+1) < min(x+ǫ, 1
n), folgt M∩Uǫ(x)\{x} ,
∅. Somit ist x ein Haufungspunkt. Da die Folge(
12
( 12k+1+ 1
2k
))k∈N
aus M heraus
gegen 0 konvergiert, muss auch 0 ein Haufungspunkt sein; vgl. Lemma 5.1.13.
Also ist die Menge
H = {0} ∪⋃
n∈2N
[1
n + 1,
1
n
]
in der Menge aller Haufungspunkte von M enthalten.
Ist andererseits x ein Haufungspunkt von M und (x j) j∈N eine Folge aus M mit
Grenzwert x, so gibt es zwei Moglichkeiten:
Falls fur jedes n ∈ 2N nur endlich viele j ∈ Nmit x j ∈ ( 1n+1
, 1n) existieren, so gibt
es zu jedem ǫ > 0 ein K ∈ N mit 12K+2
< ǫ und in Folge nur endlich viele j ∈ Nmit x j ∈
⋃k∈{1,...,K}(
12k+1
, 12k
). Insbesondere gibt es ein J ∈ N, sodass
x j ∈ M \⋃
k∈{1,...,K}(
1
2k + 1,
1
2k) ⊆
⋃
k∈{K+1,k+2,... }(
1
2k + 1,
1
2k)
⊆ (− 1
2K + 2,
1
2K + 2) ⊆ (−ǫ, ǫ),
122 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
fur alle j ≥ J, womit x = lim j→∞ x j = 0.
Falls es ein n ∈ 2N gibt, sodass x j ∈ ( 1n+1
, 1n) fur unendlich viele j ∈ N, so liegt
eine Teilfolge von (x j) j∈N ganz in ( 1n+1
, 1n) ⊆ [ 1
n+1, 1
n]. Wegen Satz 3.2.8 ist x auch
Grenzwert dieser Teilfolge, der wegen Lemma 3.3.1 auch in [ 1n+1
, 1n] liegt.
Also haben wir gezeigt, dass jeder Haufungspunkt von M in H liegt, und damit
H genau die Menge der Haufungspunkte von M ist. Schließlich gilt noch c(M) =
M ∪ H = H.
Um zu zeigen, dass es außerhalb von H keine anderen Haufungspunkte von M
gibt, kann man alternativ auch
R \ H = (−∞, 0) ∪⋃
n∈2N(
1
n + 2,
1
n + 1) ∪ (
1
2,+∞)
nachweisen und damit R \ H als offen bzw. H als abgeschlossen identifizieren.
Als abgeschlossene Teilmenge enthalt H daher alle Haufungspunkte von H und
damit auch von M.
5.2 Kompaktheit
Wir wollen auch Haufungspunkte fur Folgen einfuhren.
5.2.1 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Dann heißt ein x ∈ X Haufungspunkt
einer Folge (xn)n∈N, falls es eine gegen x konvergente Teilfolge von (xn)n∈N gibt.
5.2.2 Lemma. Sei (xn)n∈N eine Folge in einem metrischen Raum 〈X, d〉.
(i) Konvergiert (xn)n∈N gegen x, so ist x der einzige Haufungspunkt.
(ii) Ist (xn( j)) j∈N eine Teilfolge von (xn)n∈N, so ist die Menge aller Haufungspunkte
von (xn( j)) j∈N eine Teilmenge von der Menge aller Haufungspunkte von (xn)n∈N.
(iii)* x ist Haufungspunkt der Folge (xn)n∈N genau dann, wenn fur jedes N ∈ N der
Punkt x in c({xn : n ≥ N}) liegt.
Beweis.
(i) Das folgt unmittelbar aus Satz 3.2.8, da Teilfolgen konvergenter Folgen auch
gegen den Grenzwert der Folge streben.
(ii) Da jede Teilfolge von (xn( j)) j∈N erst recht eine Teilfolge von (xn)n∈N ist, muss
jeder Haufungspunkt von (xn( j)) j∈N auch einer von (xn)n∈N sein.
(iii)* Sei zunachst x Haufungspunkt der Folge (xn)n∈N. Also x = lim j→∞ xn( j). Wir
halten N fest und wahlen J ∈ N, sodass n(J) ≥ N. Dann ist (xn( j+J)) j∈N eine
Folge in {xn : n ≥ N}, die gegen x konvergiert. Es folgt x ∈ c({xn : n ≥ N}) nach
Lemma 5.1.13.
Ist umgekehrt x ∈ c({xn : n ≥ N}) fur alle N ∈ N, so sei n(1) ∈ N, sodass
d(x, xn(1)) < 1. Haben wir n(1) < · · · < n(k) gewahlt, so sei n(k + 1) ∈ N mit
n(k + 1) > n(k) derart, dass d(x, xn(k+1)) <1
k+1. So ein n(k + 1) existiert, weil
x ∈ c({xn : n ≥ n(k) + 1}). Wir haben somit eine Teilfolge konstruiert, die gegen
x konvergiert. x ist somit Haufungspunkt der Folge (xn)n∈N.
5.2. KOMPAKTHEIT 123
❑
Bezuglich Haufungspunkte von Folgen aus R haben wir
5.2.3 Proposition. Fur eine beschrankte Folge (xn)n∈N reeller Zahlen ist lim supn→∞ xn
der großte Haufungspunkt und lim infn→∞ xn der kleinste Haufungspunkt von (xn)n∈N.
Insbesondere hat jede beschrankte Folge reeller Zahlen mindestens einen Haufungs-
punkt.
Außerdem ist eine beschrankte Folge (xn)n∈N in R genau dann konvergent, wenn ihr
Limes Inferior mit dem Limes Superior ubereinstimmt, bzw. genau dann, wenn (xn)n∈Ngenau einen Haufungspunkt hat.
Beweis. Dass lim infn→∞ xn und lim supn→∞ xn Haufungspunkte von (xn)n∈N sind, folgt
aus Lemma 3.4.4. Ist y ein weiterer Haufungspunkt samt dazugehoriger Teilfolge
(xn( j)) j∈N, so folgt
sup{xn : n ≥ n( j)} ≥ xn( j)
fur alle j ∈ N, und daher
y = limj→∞
xn( j) ≤ limj→∞
sup{xn : n ≥ n( j)} = limN→∞
sup{xn : n ≥ N} = lim supn→∞
xn .
Entsprechend zeigt man lim infn→∞ xn ≤ y.
Dass (xn)n∈N genau dann konvergiert, wenn lim infn→∞ xn = lim supn→∞ xn, haben
wir in Fakta 3.4.5 gesehen. Da lim infn→∞ xn der kleinste und lim supn→∞ xn der großte
Haufungspunkt ist, gibt es genau einen solchen, wenn der kleinste und der großte
ubereinstimmen.
❑
5.2.4 Beispiel. Man betrachte die Folge xn = (−1)n(1 + 1n), n ∈ N in R. Die Teilfolge
x2k = 1 + 12k
konvergiert fur k → ∞ gegen 1, und die Teilfolge x2k−1 = −1 − 12k−1
konvergiert fur k → ∞ gegen −1.
Also sind −1 und 1 Haufungspunkte unserer Folge. Angenommen x ∈ R ware ein
weiterer Haufungspunkt. Dann gabe es eine Teilfolge (xn( j)) j∈N, die gegen x konver-
gierte. Nun sei
J1 = { j ∈ N : n( j) ist ungerade} und J2 = { j ∈ N : n( j) ist gerade}.
Klarerweise ist N = J1∪J2, und somit ist zumindest eine dieser Mengen unendlich.
Ist J1 unendlich, so gibt es eine streng monoton wachsende Bijektion j : N → J1;
vgl. Lemma 2.3.15. Also ist (xn( j(k)))k∈N eine Teilfolge von (xn( j)) j∈N und somit ebenfalls
gegen x konvergent. Andererseits konvergiert aber
xn( j(k)) = −1 − 1
n( j(k))
wegen n( j(k)) ≥ k gegen −1. Also muss x = −1. Ist J2 unendlich, so folgt analog
x = 1. Jedenfalls haben wir gezeigt, dass −1, 1 die einzigen Haufungspunkte sind. Aus
Proposition 5.2.3 folgt schließlich
lim infn→∞
xn = −1, lim supn→∞
xn = 1.
124 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
Folgender Satz ist ein sehr wichtiges Ergebnis der Analysis.
5.2.5 Satz (Bolzano1-Weierstraß2). Sei (xn)n∈N eine beschrankte Folge in Rp (versehen
mit der euklidischen Metrik). Dann hat (xn)n∈N einen Haufungspunkt.
Beweis. Wir zeigen den Satz durch vollstandige Induktion nach p. Fur Folgen in Rfolgt der Satz aus Proposition 5.2.3.
Angenommen der Satz gilt fur p ∈ N. Sei (xn)n∈N eine beschrankte Folge in Rp+1,
wobei xn = (xn,1, . . . , xn,p+1). Aus der Definition von d2 folgt fur alle n ∈ N
|xn,p+1| ≤ d2(0, xn) und d2
(0, (xn,1, . . . , xn,p)︸ ︷︷ ︸
∈Rp
)2 ≤ d2(0, xn) .
Da (xn)n∈N in Rp+1 beschrankt ist, sind es auch (xn,p+1)n∈N in R und((xn,1, . . . , xn,p)
)n∈N
in Rp.
Da wir den Satz im Fall p = 1 schon gezeigt haben, gibt es eine in R konvergen-
te Teilfolge (xn( j),p+1) j∈N von (xn,p+1)n∈N. Laut Induktionsvoraussetzung hat dann aber
auch((xn( j),1, . . . , xn( j),p)
)j∈N eine konvergente Teilfolge
((xn( j(k)),1, . . . , xn( j(k)),p)
)k∈N in
Rp.
Man beachte, dass (xn( j(k)),p+1)k∈N als Teilfolge der konvergenten Folge (xn( j),p+1) j∈Nauch konvergiert. Nach Proposition 3.6.1 konvergiert daher auch (xn( j(k)))k∈N in Rp+1.
❑
5.2.6 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, und sei K ⊆ X mit der Eigenschaft,
dass jede Folge (xn)n∈N aus K einen Haufungspunkt in K hat. Dann heißt K kompakt.
5.2.7 Beispiel.
Man betrachte R. Die Teilmenge N von R ist nicht kompakt, da die Folge (n)n∈Nkeine konvergente Teilfolge besitzt.
Das Intervall (0, 1] ist auch nicht kompakt, da die Folge ( 1n)n∈N gegen 0 konver-
giert und somit in (0, 1] keinen Haufungspunkt besitzt.
Ist K ⊆ Rp eine abgeschlossene und beschrankte Menge, so hat nach Satz 5.2.5
jede Folge einen Haufungspunkt, der nach Proposition 5.1.15 zu K gehort.
Insbesondere sind alle abgeschlossenen Intervalle [a, b] in R und allgemeiner
alle abgeschlossenen Kugeln Kr(x) in Rp kompakt.
Wir sammeln einige elementare Eigenschaften von kompakten Teilmengen.
5.2.8 Proposition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Dann gilt:
(i) Ist K ⊆ X kompakt, dann ist K abgeschlossen.
(ii) Ist K ⊆ X kompakt, und F ⊆ X abgeschlossen, sodass F ⊆ K, dann ist auch F
kompakt.
(iii) Kompakte Teilmengen sind beschrankt.
1Bernard Bolzano. 5.10.1781 Prag - 18.12.1848 Prag2Karl Theodor Wilhelm Weierstraß. 31.10.1815 Ostenfelde (Westfalen) - 19.12.1897 Berlin
5.2. KOMPAKTHEIT 125
Beweis.
(i) Wir verwenden Proposition 5.1.15. Sei x = limn→∞ xn fur eine Folge aus K. Nun
gibt es definitionsgemaß eine gegen ein y ∈ K konvergente Teilfolge von (xn)n∈N.
Andererseits konvergieren Teilfolgen von gegen x konvergenten Folgen ebenfalls
gegen x. Nun sind aber Grenzwerte eindeutig. Also gilt x = y ∈ K.
(ii) Sei F ⊆ K abgeschlossen. Ist (xn)n∈N eine Folge aus F, so ist sie trivialerweise
auch eine Folge aus K. Also gilt x = lim j→∞ xn( j) fur eine Teilfolge (xn( j)) j∈N und
ein x ∈ K. Nun ist aber F abgeschlossen, und somit folgt aus Proposition 5.1.15,
dass x ∈ F. Also enthalt jede Folge in F eine gegen einen Punkt in F konvergente
Teilfolge.
(iii) Sei y ∈ X. Ware K nicht beschrankt, so ware auch {d(y, x) : x ∈ K} ⊆ R nicht
beschrankt. Also konnten wir zu jedem n ∈ N ein xn ∈ K finden, sodass d(y, xn) ≥n.
Aus der Kompaktheit folgt die Existenz einer konvergenten Teilfolge xn( j) →x, j → ∞. Aus Lemma 3.2.10 folgt d(y, xn( j)) → d(y, x). Das widerspricht aber
d(y, xn( j)) ≥ n( j), j ∈ N.
❑
Aus Proposition 5.2.8 und Beispiel 5.2.7 erhalten wir folgende Charakterisierung
fur die Kompaktheit einer Teilmenge vonRp. Diese Charakterisierung der Kompaktheit
gilt jedoch nicht in allen metrischen Raumen.
5.2.9 Korollar. Eine Teilmenge K von Rp ist genau dann kompakt, wenn sie abge-
schlossen und beschrankt ist.
5.2.10 Beispiel.
Das Intervall (−∞, c] mit c ∈ R ist zwar abgeschlossen, aber nicht beschrankt in
R und somit nicht kompakt.
Die Menge M = {(x, y) ∈ R2 : 2x2 + 4x + y2 − y − 3 ∈ [7, 13]} ist kompakt in R2
versehen mit d2. Wegen Korollar 5.2.9 mussen wir zeigen, dass M abgeschlossen
und beschrankt ist.
Dazu ((ξn, ηn))n∈N sei eine beliebige Folge aus M mit Grenzwert (ξ, η) ∈ R2.
Konnen wir nun zeigen, dass (ξ, η) ∈ M, so ist M gemaß Proposition 5.1.15
abgeschlossen. Wegen (ξn, ηn) ∈ M gilt fur alle n ∈ N
7 ≤ 2ξ2n + 4ξn + η
2n − ηn − 3 ≤ 13 .
Fur n→ ∞ folgt mit Proposition 3.6.1 und Lemma 3.3.1
7 ≤ 2ξ2 + 4ξ + η2 − η − 3 ≤ 13 ,
und somit tatsachlich (ξ, η) ∈ M.
Um die Beschranktheit zu zeigen, bemerken wir zunachst, dass fur (x, y) ∈ R2
2x2 + 4x + y2 − y − 3 =
2(x + 1)2 + (y − 1
2)2 − 3 − 2 − 1
4≥ (x + 1)2 + (y − 1
2)2 − 21
4.
126 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
Damit ist M in der Menge
{(x, y) ∈ R2 : (x + 1)2 + (y − 1
2)2 − 21
4≤ 13
}=
{(x, y) ∈ R2 : ds((x, y), (−1,
1
2)) ≤
√73
4
},
also in der abgeschlossenen Kugel K√ 734
((−1, 12)) in R2 bzgl. d2 enthalten.
Wir wollen diesen Abschnitt mit einem Konvergenzkriterium fur Folgen beenden.
5.2.11 Lemma. Eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum 〈X, d〉 konvergiert ge-
nau dann gegen einen Punkt x ∈ X, wenn jede Teilfolge von (xn)n∈N den Punkt x als
Haufungspunkt hat – oder aquivalent, wenn jede Teilfolge von (xn)n∈N wiederum eine
Teilfolge hat, die gegen x konvergiert.
Gilt {xn : n ∈ N} ⊆ K fur eine kompakte Teilmenge K von X, so ist die Konvergenz
von (xn)n∈N gegen x sogar dazu aquivalent, dass (xn)n∈N hochstens x als Haufungspunkt
hat.
Beweis. Falls x = limn→∞ xn, so ist x nach Lemma 5.2.2 der einzige Haufungspunkt
von (xn)n∈N und auch von allen ihren Teilfolgen.
Falls (xn)n∈N nicht gegen x konvergiert, so bedeutet das
∃ǫ > 0 : ∀N ∈ N ∃n ≥ N, d(xn, x) ≥ ǫ .
Daraus definieren wir induktiv eine Teilfolge (xn(k))k∈N. Sei n(1) ∈ N, sodass
d(xn(1), x) ≥ ǫ. Ist n(k) ∈ N definiert, so sei n(k + 1) die kleinste Zahl in N, sodass
n(k + 1) ≥ n(k) + 1 und d(xn(k+1), x) ≥ ǫ.Nun kann (xn(k))k∈N den Punkt x nicht als Haufungspunkt haben, da wir sonst fur
die entsprechende Teilfolge den Widerspruch
0 = d(x, x) = limj→∞
d(x, xn(k( j))) ≥ ǫ.
erhielten. Somit haben wir den ersten Teil des Lemmas gezeigt.
Gilt nun {xn : n ∈ N} ⊆ K fur eine kompakte Teilmenge K von X, so hat (xn(k))k∈Nimmer mindestens einen Haufungspunkt y, der auch Haufungspunkt von (xn)n∈N ist.
Falls diese nur hochstens x als Haufungspunkt hat, so muss y = x sein, und wir
erhalten wie oben einen Widerspruch.
❑
5.3 Gerichtete Mengen und Netze
Bei der Motivation des Grenzwertbegriffes fur Folgen haben wir gesagt, eine Folge
(xn)n∈N solle konvergent gegen x heißen, wenn fur alle hinreichend großen Indizes das
Folgenglied xn beliebig nahe an x herankommt.
Fur den weiteren Aufbau der Analysis verwenden wir ahnliche Grenzwertbegriffe
z.B. fur Funktionen f : (a, b) → R. Dabei soll f (t) konvergent fur t → b gegen x
heißen, wenn f (t) beliebig nahe an x herankommt, sobald t nur hinreichend nahe an b
zu liegen kommt.
5.3. GERICHTETE MENGEN UND NETZE 127
Um nicht jedes Mal eine neue Konvergenztheorie aufbauen zu mussen, wollen wir
einen allgemeinen Grenzwertbegriff einfuhren, von dem alle von uns benotigten Grenz-
wertbegriffe Spezialfalle sind. Was bei den Folgen die naturlichen Zahlen waren, ist bei
unserem allgemeinen Konzept die gerichtete Menge.
5.3.1 Definition. Sei I eine nicht leere Menge, und sei � eine Relation auf I. Dann
heißt (I,�) eine gerichtete Menge, wenn � folgender drei Bedingungen genugt.
� Reflexivitat:
∀i ∈ I : i � i
� Transitivitat:
∀i, j, k ∈ I : i � j ∧ j � k ⇒ i � k
� Richtungseigenschaft:
∀i, j ∈ I ∃k ∈ I : i � k ∧ j � k. (5.2)
An dieser Stelle sei explizit herausgehoben, dass wir hier weder Symmetrie noch
Antisymmetrie fordern. Im Allgemeinen muss (I,�) auch keine Totalordnung sein.
5.3.2 Beispiel.
(i) Neben (N,≤) ist jede Totalordnung eine gerichtete Menge. Also etwa
((0,+∞),≤), ((a, b),≥), ((a, b),≤), wobei a, b ∈ R, a < b.
Die Eigenschaft (5.2) wird bei einer Totalordnung zum Beispiel vom Maximum
zweier Elemente erfullt.
(ii) Sei a, b, c ∈ R, a < b < c. Setze I := [a, b) ∪ (b, c] und definiere eine Relation �auf I durch
x � y :⇐⇒ |y − b| ≤ |x − b| .
Dann ist � reflexiv, transitiv, und je zwei Punkte sind vergleichbar. Also ist 〈I,�〉eine gerichtete Menge. Man beachte, dass � nicht antisymmetrisch und somit
keine Halbordnung ist.
(iii) Die gerichtete Menge aus dem letzten Beispiel ist ein Spezialfall des folgenden
Konzeptes.
Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum, D ⊆ X und z ein Haufungspunkt von D. Auf
D \ {z} definieren wir � durch
x � y :⇐⇒ dX(y, z) ≤ dX(x, z)
Mit dieser Relation wird D\{z} zu einer gerichteten Menge, wobei – salopp gesagt
– ein Punkt bezuglich der Relation weiter oben als ein anderer ist, wenn er naher
an z liegt.
(iv) Ist M eine nichtleere Menge, so ist die Potenzmenge P(M) versehen mit ⊆ eine
gerichtete Menge.
Die Menge E(M) aller endlichen Teilmengen von M versehen mit ⊆ ist ebenfalls
eine gerichtete Menge.
128 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
(v) Wir nennen eine endliche TeilmengeZ eines Intervalls [a, b] eine Zerlegung die-
ses Intervalls, wenn a, b ∈ Z. Die Menge aller solchen Zerlegungen wird mit Z
bezeichnet. Versieht man Z mit der Relation ⊆, so erhalten wir eine gerichtete
Menge.
(vi) Wir nennen das Paar R = ((ξ j)n(R)
j=0; (η j)
n(R)
j=1) eine Riemann-Zerlegung eines Inter-
valls [a, b], falls
a = ξ0 < ξ1 < · · · < ξn(R) = b; η j ∈ [ξ j−1, ξ j], j = 1, . . . , n(R),
und nennen |R| := max{(ξ j − ξ j−1) : j = 1, . . . , n(R)} die Feinheit der Zerlegung.
Weiters sei R1 � R2 :⇔ |R2| ≤ |R1|. Ist R die Menge aller solcher Zerlegun-
gen, dann ist (R,�) eine gerichtete Menge. In diesem Beispiel ist � sicher nicht
antisymmetrisch.
Dieser gerichteten Menge und der aus dem letzten Beispiel werden wir bei der
Einfuhrung das Integrals wieder begegnen.
(vii) Sei I = N × N und
(n1,m1) � (n2,m2) :⇔ n1 ≤ n2 ∧ m1 ≤ m2. (5.3)
Dann ist (I,�) eine gerichtete Menge. Diese gerichtete Menge dient fur Konver-
genzbetrachtungen bei Doppelfolgen.
(viii) Sind allgemeiner I und J gerichtete Mengen versehen mit Relationen �I bzw. �J,
dann ist (I × J,�) ebenfalls eine gerichtete Menge, wenn wir
(i1, j1) � (i2, j2) :⇔ i1 �I i2 ∧ j1 �J j2 (5.4)
definieren.
5.3.3 Definition. In Analogie zu den Folgen nennen wir eine Abbildung x : I → X ein
Netz bzw. eine Moore-Smith-Folge in der Menge X uber der gerichteten Menge (I,�),
und schreiben diese als (xi)i∈I .Entsprechend Definition 3.2.2 sagen wir, dass ein Netz (xi)i∈I in einem metrischen
Raum 〈X, d〉 gegen einen Punkt x ∈ X konvergiert, falls
∀ǫ > 0 ∃i0 ∈ I : d(xi, x) < ǫ fur alle i � i0 . (5.5)
In diesem Falle schreiben wir x = limi∈I
xi.
5.3.4 Beispiel.
(i) Wie bei den Folgen sieht man, dass konstante Netze xi = x, i ∈ I, immer gegen x
konvergieren.
(ii) Als konkreteres Beispiel betrachte man die gerichtete Menge ([−1, 0)∪ (0, 1],�),
wobei x � y⇔ |y| ≤ |x|, und f (t) = t2. Dann konvergiert das Netz ( f (t))t∈[−1,0)∪(0,1]
gegen Null:
Zu gegebenem ǫ > 0 sei t0 =√
ǫ2. Aus t � t0 folgt |0− f (t)| = |t2| ≤ |t2
0| =
√ǫ2
2 < ǫ.
5.3. GERICHTETE MENGEN UND NETZE 129
(iii) Hat eine gerichtete Menge (I,�) mindestens ein maximales Element, dh. es gibt
ein j ∈ I mit j � i fur alle i ∈ I, – das ist wegen (5.2) sicher der Fall, wenn I
endlich ist –, so konvergiert ein Netz (xi)i∈I genau dann, wenn x j = xk fur alle
maximalen j, k ∈ I, und zwar gegen x j, wobei j ∈ I ein solches maximales Ele-
ment ist. Insbesondere konvergiert (xi)i∈I , wenn es genau ein maximales Element
j in I gibt, und zwar gegen x j.
(iv) Man uberzeugt sich leicht, dass eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum
〈X, d〉 genau dann eine Cauchy-Folge ist, wenn lim(m,n)∈N×N d(xm, xn) = 0, wobei
N × N wie in (5.3) gerichtet ist.
Fur Netze gelten viele der fur Folgen hergeleiteten Ergebnisse. Die Beweise sind
im Wesentlichen die selben, wie fur Folgen. Meist muss nur ≤ durch � ersetzt werden.
5.3.5 Fakta.
1. Der Grenzwert ist eindeutig – vgl. Satz 3.2.8, (i) :
Ist (xi)i∈I ein Netz, und sei angenommen, dass xi → x und xi → y mit x , y.
Setze ǫ :=d(x,y)
3> 0. Dann gibt es wegen xi → x einen Index i1, sodass fur alle
i ∈ I mit i1 � i gilt d(xi, x) < ǫ. Wegen xi → y gibt es auch i2 ∈ I, sodass fur alle
i ∈ I mit i2 � i gilt d(xi, y) < ǫ. Fur i ∈ I mit i1 � i und i2 � i – solche gibt es
gemaß (5.2) – erhalten wir den Widerspruch
d(x, y) ≤ d(x, xi) + d(xi, y) < 2d(x, y)
3.
2. Die Tatsache, dass es bei Folgen auf endlich viele Glieder nicht ankommt, hat
auch eine Verallgemeinerung fur Netze; siehe Satz 3.2.8, (ii). Ist namlich k ∈ I,
so ist auch (I�k,�) mit I�k = {i ∈ I : k � i} eine gerichtete Menge und
limi∈I
xi = limi∈I�k
xi, (5.6)
wobei der rechte Grenzwert genau dann existiert, wenn der linke existiert.
3. Im Allgemeinen sind konvergente Netze nicht beschrankt. Aber da ein gegen ein
x konvergentes Netz {xi : i � i0} ⊆ Uǫ(x) fur ein i0 ∈ I erfullt, ist zumindest das
Netz (xi)i∈I�i0beschrankt.
4. Man betrachte zwei Netze (xi)i∈I , (yi)i∈I uber derselben gerichteten Menge (I,�)
in einem metrischen Raum 〈X, d〉, die gegen x bzw. y konvergieren. Dann gilt
(siehe Lemma 3.2.10)
limi∈I
d(xi, yi) = d(x, y). (5.7)
Eine genauere Betrachtung verdient das Analogon von Teilfolgen.
5.3.6 Definition. Sind (I,�I) und (J,�J) zwei gerichtete Mengen, ist X eine Menge
und (xi)i∈I ein Netz in X, so heißt (xi( j)) j∈J ein Teilnetz von (xi)i∈I , wenn i : J → I
derart ist, dass3
∀i0 ∈ I ∃ j0 ∈ J : ∀ j �J j0 ⇒ i( j) �I i0 .
Ist (J,�J) = (N,≤), so heißt (xi( j)) j∈J = (xi(n))n∈N eine Teilfolge 4.
3Dies ist eigentlich eine Bedingung an die gerichteten Mengen (I,�I ) und (J,�J ) und nicht an das kon-
krete Netz.4Im Gegensatz zu Teilfolgen von Folgen verlangen wir hier nicht, dass i : N→ I streng monoton ist.
130 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
5.3.7 Lemma. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, (I,�) eine gerichtete Menge und (xi)i∈Iein Netz in X.
Ist (J,�J) eine weitere gerichtete Menge derart, dass (xi( j)) j∈J ein Teilnetz von (xi)i∈Iist, so folgt aus x = limi∈I xi, dass auch x = lim j∈J xi( j).
Beweis. Ist x = limi∈I xi, und ǫ > 0, so gibt es ein i0 ∈ I, sodass d(x, xi) < ǫ wenn
i � i0. Ist nun j0 ∈ J, sodass i( j) � i0 fur alle j �J j0, so folgt d(x, xi( j)) < ǫ wenn
j �J j0. Also gilt x = lim j∈J xi( j).
❑
5.3.8 Fakta. Wir zahlen einige Satze, Rechenregeln, etc. auf, die wir fur Folgen her-
geleitet haben, und die sich auf Netze mit praktisch denselben Beweisen ubertragen
lassen.
1. Sind (xi)i∈I und (yi)i∈I5 konvergente Netze in R, und gilt xi ≤ yi fur alle i, die � k
fur ein k ∈ I sind, so folgt (vgl. Lemma 3.3.1)
limi∈I
xi ≤ limi∈I
yi. (5.8)
Ist umgekehrt limi∈I xi < limi∈I yi, so gilt xi < yi fur alle i � k mit einem gewissen
k ∈ I.
2. Seien (xi)i∈I , (yi)i∈I und (ai)i∈I Netze in R uber derselben gerichteten Menge,
sodass xi ≤ ai ≤ yi fur alle i � i0 mit einem gewissen i0 ∈ I. Gilt
limi∈I
xi = limi∈I
yi,
so existiert auch der Grenzwert limi∈I ai und stimmt mit dem gemeinsamen
Grenzwert von (xi)i∈I und (yi)i∈I uberein; vgl. Satz 3.3.2.
3. Fur zwei konvergente Netze (zi)i∈I und (wi)i∈I uber derselben gerichteten Menge
(I,�) in R oder in C gilt
limi∈I
(zi + wi) = (limi∈I
zi) + (limi∈I
wi) , limi∈I
(zi · wi) = (limi∈I
zi) · (limi∈I
wi) , (5.9)
limi∈I−zi = − lim
i∈Izi , lim
i∈I|zi| =
∣∣∣∣∣ limi∈I
zi
∣∣∣∣∣ .
Da Netze i.A. nicht beschrankt sind, verlauft der Beweis fur · eine Spur anders,
als im Beweis von Satz 3.3.5:
Sei ǫ > 0 oBdA. so, dass ǫ ≤ 1. Seien i1, i2 so groß, dass i � i1 ⇒ |zi − z| < ǫ und
i � i2 ⇒ |wi − w| < ǫ. Insbesondere gilt fur solche i auch |wi| ≤ |w| + ǫ ≤ |w| + 1.
Gemaß Definition 5.3.1 gibt es ein i0 � i1, i2. Fur i � i0 folgt
|ziwi − zw| = |(zi − z)wi + z(wi − w)| ≤ |zi − z| · |wi| + |z| · |wi − w|
< ǫ|wi| + |z|ǫ ≤ (|w| + 1 + |z|)ǫ.In Analogie zu (3.4) folgt daraus ziwi → zw, i ∈ I.
4. Ist (zi)i∈I ein Netz in R oder C, sodass zi , 0, i ∈ I, und limi∈I zi = z , 0. Dann
folgt limi∈I1zi= 1
z; vgl. Satz 3.3.5.
5Klarerweise ist dabei nicht ausgeschlossen, dass eines dieser Netze konstant ist.
5.3. GERICHTETE MENGEN UND NETZE 131
5. Ist (xi)i∈I ein monoton wachsendes Netz in R, dh. i � j ⇒ xi ≤ x j und ist
{xi : i ∈ I} nach oben beschrankt, so folgt (vgl. Satz 3.4.2)
limi∈I
xi = sup{xi : i ∈ I} . (5.10)
Entsprechende Aussagen gelten fur monoton fallende Netze.
Zum Nachweis von (5.10) wollen wir hier den Beweis angeben, der fast wortlich
der selbe wie fur Satz 3.4.2 ist.
Da (xi)i∈I nach oben beschrankt ist, existiert x := sup{xi : i ∈ I}. Wir zeigen,
dass limi∈I xi = x. Sei ǫ > 0. Wegen x − ǫ < x kann x − ǫ keine obere Schranke
der Menge {xi : i ∈ I} sein. Es gibt also ein i0 ∈ I mit xi0 > x − ǫ. Wegen der
Monotonie folgt auch xi > x − ǫ fur alle i � i0. Da stets x ≥ xi gilt, erhalt man
fur i � i00 ≤ x − xi < ǫ,
und damit |xi − x| < ǫ.
6. Sei (xi)i∈I ein Netz von Punkten xi = (xi,1, . . . , xi,p) ∈ Rp, und y = (y1, . . . , yp) ∈Rp. Dann gilt limi∈I xi = y bezuglich einer der Metriken d1, d2 oder d∞ genau
dann, wenn
limi∈I
xi,k = yk fur alle k = 1, . . . , p . (5.11)
5.3.9 Bemerkung. Genauso wie fur Folgen kann man definieren, was es heißt, dass ein
reellwertiges Netz (xi)i∈I gegen ±∞ konvergiert:
∀M > 0∃i0 ∈ I : ±xi > M fur alle i � i0 .
Offenbar schließt sich die Konvergenz von (xi)i∈I gegen +∞ und gegen −∞ gegensei-
tig aus. Genauso kann (xi)i∈I nicht gleichzeitig gegen ±∞ und gegen eine reelle Zahl
konvergieren.
Ist (xi)i∈I ein Netz in R und x ∈ R oder x = ±∞, so kann man x = limi∈I xi
einheitlich folgendermaßen schreiben:
(∀ξ ∈ R, ξ < x∃i0 ∈ I : ∀i � i0 ⇒ xi > ξ) ∧(∀η ∈ R, η > x ∃i0 ∈ I : ∀i � i0 ⇒ xi < η). (5.12)
Es gelten sinngemaß die Aussagen in Satz 3.7.3 auch fur reellwertige Netze
(xi)i∈I , (yi)i∈I :
(i) Gilt yi ≥ K fur alle i � k mit festen K ∈ R, k ∈ I, so folgt aus limi∈I xi = +∞auch limi∈I(xi + yi) = +∞.
(ii) Gilt yi ≥ C fur alle i � k mit festen C > 0, k ∈ I, so folgt aus limi∈I xi = +∞ auch
limi∈I(xi · yi) = +∞.
(iii) Ist xi ≤ yi fur alle i � k mit festem k ∈ I, so folgt aus limi∈I xi = +∞ auch
limi∈I yi = +∞.
(iv) limi∈I xi = +∞ ⇔ limi∈I(−xi) = −∞.
(v) Gilt yi > 0 (yi < 0) fur alle i � k mit festem k ∈ I, so gilt limi∈I yi = +∞(limi∈I yi = −∞) genau dann, wenn limi∈I
1yi= 0.
132 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
(vi) Sei (yi)i∈I monoton wachsend (fallend). Ist (yi)i∈I nach oben (nach unten) be-
schrankt, so ist dieses Netz konvergent gegen eine reelle Zahl. Im anderen Fall
gilt limi∈I yi = +∞ (limi∈I yi = −∞).
In der Tat gibt es zu jedem M > 0 ein i0 ∈ I mit yi0 > M. Wegen der Monotonie
folgt auch yi ≥ yi0 > M fur alle i � i0.
Schließlich wollen wir das Analogon zur Cauchy-Folge betrachten.
5.3.10 Definition. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und (I,�) eine gerichtete Menge.
Dann heißt ein Netz (xi)i∈I in X Cauchy-Netz, wenn
∀ǫ > 0 ∃i0 ∈ I : d(xi, x j) < ǫ ∀i, j � i0. (5.13)
Die Bedingung (5.13) ist ahnlich wie bei Folgen zu lim(i, j)∈I×I d(xi, x j) = 0 aquiva-
lent, wenn man I × I wie in (5.4) zu einer gerichteten Menge macht.
Fur Folgen ist (5.13) genau die Cauchy-Folgen-Bedingung. Also liegt die Aussage
des nachsten Lemma nahe.
5.3.11 Lemma. In einem metrischen Raum ist jedes konvergente Netz auch ein
Cauchy-Netz.
In einem vollstandigen metrischen Raum ist ein Netz genau dann konvergent, wenn
es ein Cauchy-Netz ist.
Beweis. Ist (xi)i∈I ein Netz, und konvergiert dieses gegen x ∈ X, so gibt es zu jedem
ǫ > 0 ein i0 ∈ I, sodass d(xi, x) < ǫ2
fur i � i0. Wegen der Dreiecksungleichung folgt
d(xi, x j) < ǫ fur i, j � i0; also (5.13).
Gilt umgekehrt (5.13) in einem vollstandigen metrischen Raum, so definieren wir
induktiv eine Folge in ∈ I, n ∈ N, durch die Forderung, dass
in+1 � in und d(xi, x j) <1
n, i, j � in,
indem wir zuerst i1 ∈ I so wahlen, dass d(xi, x j) < 1 fur i, j � i1. Zu gegebenem in ∈ I
wahle dann gemaß (5.13) jn+1 ∈ I so, dass d(xi, x j) <1
n+1fur i, j � jn+1. Nun sei
in+1 ∈ I gemaß (5.2) so gewahlt, dass in+1 � in, jn+1.
Offensichtlich ist (xin )n∈N eine Cauchy-Folge und damit konvergent gegen ein x ∈X. Ist n ≤ m, so folgt aus d(xim , xin) <
1n
durch Grenzubergang m → ∞ die Tatsache,
dass d(x, xin) ≤ 1n, n ∈ N.
Ist nun ǫ > 0, so wahle n ∈ N, sodass 2n≤ ǫ. Fur i � in folgt
d(x, xi) ≤ d(x, xin) + d(xin , xi) <2
n≤ ǫ,
bzw. xi ∈ Uǫ (x), und somit konvergiert (xi)i∈I gegen x.
❑
5.4 Unbedingte Konvergenz und Umordnen von Rei-
hen
Ist M irgendeine Menge und ist jedem i ∈ M eine Zahl ai aus R oder C zugeordnet,
so eroffnet uns der Begriff des Netzes eine Moglichkeit, Ausdrucken wie∑
i∈M ai sogar
einen Sinn zu geben, wenn M nicht endlich und nicht abzahlbar unendlich ist.
5.4. UNBEDINGTE KONVERGENZ UND UMORDNEN VON REIHEN 133
Ist M abzahlbar unendlich, so konnten wir einfach eine Bijektion σ : N → M
hernehmen und∑
i∈M ai einfach als∑∞
n=1 aσ(n) definieren. Das hat aber den Schonheits-
fehler, dass diese Definition von dem σ abhangt.
5.4.1 Beispiel. Sei M = N und a j =(−1) j+1
jfur j ∈ M. Ist σ = idN so erhalten wir die
alternierende harmonische Reihe
S :=
∞∑
n=1
(−1)n+1
n,
welche nach dem Leibnizkriterium, Korollar 3.10.7, konvergiert. Ordnen wir die Sum-
manden in einer anderen Reihenfolge an, dh. betrachten wir die Bijektion σ : N → Ndefiniert durchσ(3k−2) = 2k−1, σ(3k−1) = 4k−2, σ(3k) = 4k fur k ∈ N, so erhalten
wir
∞∑
n=1
(−1)σ(n)+1
σ(n)= 1 − 1
2︸︷︷︸= 1
2
−1
4+
1
3− 1
6︸ ︷︷ ︸= 1
6
−1
8+
1
5− 1
10︸ ︷︷ ︸= 1
10
− 1
12+
1
7− 1
14︸ ︷︷ ︸= 1
14
− 1
16+ . . . =
1
2− 1
4+
1
6− 1
8+
1
10− 1
12+
1
14− 1
16+ . . . =
1
2
(1 − 1
2+
1
3− 1
4+
1
5− 1
6+ . . .
)=
S
2.
Die Summe einer Reihe kann also von der Reihenfolge der Summanden abhangen.
Tatsachlich kann man eine konvergente, aber nicht absolut konvergente Reihe stets so
umordnen, dass jede beliebige Summe einschließlich ±∞, oder gar eine divergente
Reihe, herauskommt, vgl. Satz 5.4.6.
Zu der nichtleeren Menge M sei E = E(M) die Menge aller endlichen Teilmengen
von M. Setzt man A � B :⇔ A ⊆ B, so ist (E,�) eine gerichtete Menge, denn die
Reflexivitat und die Transitivitat von � sind offenbar erfullt. Sind A, B ∈ E, so folgt
A ∪ B ∈ E und A, B ⊆ A ∪ B. Also ist auch (5.2) erfullt.
5.4.2 Definition. Sei M , ∅ und sei a j fur jedes j ∈ M eine reelle bzw. komplexe
Zahl. Falls das Netz (∑
j∈A a j)A∈E in R bzw. C konvergiert, so sagen wir, dass∑
j∈M a j
unbedingt konvergiert und setzen6
∑
j∈M
a j = limA∈E
∑
j∈Aa j .
Ist s dieser Grenzwert, so bedeutet das also
∀ǫ > 0 ∃A0 ⊆ M, A0 endlich : ∀A ⊇ A0, A endlich ⇒
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈Aa j − s
∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ. (5.14)
Der Ausdruck “unbedingte Konvergenz”
ruhrt daher, dass es bei diesem Grenz-
wertbegriff nicht darauf ankommt, in welcher Reihenfolge aufsummiert wird; siehe
Fakta 5.4.3, 4.
5.4.3 Fakta.
6Die Summe uber die leere Indexmenge sei dabei per definitionem Null.
134 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
1. Man zeigt ganz einfach, dass fur unbedingt konvergente Reihen Rechenregeln
gelten, die denen in Korollar 3.9.3 entsprechen, dh. (λ, µ, a j, b j ∈ R (C), j ∈ M)
∑
j∈M
(λa j + µb j) = λ
∑
j∈M
a j
+ µ∑
j∈M
b j
in dem Sinn, dass die linke Seite unbedingt konvergiert, wenn die Summen rechts
es tun.
2. Das Netz (∑
j∈A |a j|)A∈E ist offenbar monoton wachsend. Gemaß (5.10) ist es also
genau denn konvergent, falls es beschrankt ist, dh.∑
j∈A|a j| ≤ C fur alle A ∈ E (5.15)
mit einem festen C > 0. Dabei gilt∑
j∈M
|a j| = supA∈E
∑
j∈A|a j|.
Falls (5.15) nicht gilt, so konvergiert (∑
j∈A |a j|)A∈E im Sinne von Bemerkung
5.3.9 gegen +∞. Wir schreiben∑
j∈M |a j| = +∞ dafur.
Gilt (5.15), so konvergiert auch∑
j∈M a j unbedingt, denn ist A0 ∈ E so groß, dass∣∣∣∑ j∈A |a j| −∑
j∈B |a j|∣∣∣ < ǫ, wenn A0 ⊆ A, B ∈ E (vgl. Lemma 5.3.11), so gilt fur
A0 ⊆ A, B ∈ E und damit A0 ⊆ A ∩ B, A∪ B auch7
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈Aa j −
∑
j∈B
a j
∣∣∣∣∣∣∣∣=
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈A\Ba j −
∑
j∈B\Aa j
∣∣∣∣∣∣∣∣≤
∑
j∈A△B
|a j| =
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈A∪B
|a j| −∑
j∈A∩B
|a j|
∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ .
Als Cauchy-Netz konvergiert somit (∑
j∈A a j)A∈E.
3. Ist P ⊆ M eine nichtleere Teilmenge und konvergiert∑
j∈M a j unbedingt, so
tut es auch∑
j∈P a j, denn aus der Konvergenz von (∑
j∈A a j)A∈E(M) folgt, dass
dieses Netz auch ein Cauchy-Netz ist. Ist nun ǫ > 0 und A0 ∈ E(M), sodass aus
A0 ⊆ A, B ∈ E(M) die Ungleichung∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈Aa j −
∑
j∈B
a j
∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ,
folgt, so folgt aus A0 ∩ P ⊆ C,D ∈ E(P) zunachst A0 ⊆ C ∪ A0, B ∪ A0 ∈ E(M)
und damit
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈Ca j −
∑
j∈Da j
∣∣∣∣∣∣∣∣=
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈Ca j +
∑
j∈A0\Pa j −
∑
j∈Da j −
∑
j∈A0\Pa j
∣∣∣∣∣∣∣∣=
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈C∪A0
a j −∑
j∈D∪A0
a j
∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ.
Also ist auch (∑
j∈A a j)A∈E(P) ein Cauchy-Netz und wegen Lemma 5.3.11 konver-
gent.
7A △ B = A \ B ∪ B \ A ist die symmetrische Mengendifferenz von A und B.
5.4. UNBEDINGTE KONVERGENZ UND UMORDNEN VON REIHEN 135
4. Ist M eine weitere Menge – es kann auch M = M sein – undσ : M → M eine Bi-
jektion, so konvergiert∑
j∈M a j genau dann unbedingt gegen s, wenn∑
j∈M aσ( j)
es tut. Denn ist ǫ > 0 und A0, sodass (5.14) gilt, und ist σ−1(A0) ⊆ A ∈ E(M), so
folgt wegen A0 ⊆ σ(A) ∈ E(M)
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
j∈Aaσ( j) − s
∣∣∣∣∣∣∣∣=
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
σ( j)∈σ(A)
aσ( j) − s
∣∣∣∣∣∣∣∣=
∣∣∣∣∣∣∣∣
∑
k∈σ(A)
ak − s
∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ .
Also gilt (5.14) fur∑
j∈M aσ( j). Die Umkehrung ergibt sich durch dasselbe Argu-
ment angewendet auf σ−1.
5. Im Falle M = N folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑
j∈N a j die Konver-
genz von∑∞
n=1 an im Sinne von Definition 3.9.1 gegen den gleichen Grenzwert.
Es ist namlich (∑N
n=1 an)N∈N = (∑
j∈A(N) a j)N∈N mit A(N) := {1, . . . ,N} eine Teil-
folge des Netzes (∑
j∈A a j)A∈E(N) im Sinne von Definition 5.3.6, da es zu jedem
A ∈ E(N) ein N ∈ N gibt sodass
{1, . . . , n} ⊇ A fur alle n ≥ N.
6. Angenommen∑∞
n=1 an konvergiert absolut, dh. C :=∑∞
n=1 |an| < +∞ konvergiert
im Sinne von Definition 3.9.1, so konvergiert∑
j∈N |a j| auch unbedingt, denn fur
jedes A ∈ E(N) gibt es ein N ∈ N mit A ⊆ {1, . . . ,N}. Wegen
∑
j∈A|a j| ≤
N∑
n=1
|an| ≤ C
ist das Netz (∑
j∈A |a j|)A∈E beschrankt.
Aus 2 folgt dann auch die unbedingte Konvergenz von∑
j∈N a j. Wegen dem vor-
herigen Punkt gilt dabei∑
j∈N a j =∑∞
n=1 an.
Aus Fakta 5.4.3, 6 und 5 erkennen wir insbesondere, dass fur M = N die Konver-
genz von∑∞
n=1 |an| aquivalent zu der unbedingten Konvergenz von∑
j∈N |a j| ist. Nun
gilt sogar
5.4.4 Satz. Fur reelle oder komplexe Koeffizienten a j, j ∈ M, sind folgende Aussagen
aquivalent:
�∑
j∈M |a j| konvergiert unbedingt.
�∑
j∈M a j konvergiert unbedingt.
Fur M = N ist das zur absoluten Konvergenz von∑∞
n=1 an aquivalent.
Beweis. Wegen Fakta 5.4.3, 2, folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑
j∈M |a j|auch die von
∑j∈M a j.
Fur die Umkehrung seien die a j zunachst reell. Wir schreiben M als
M = { j ∈ M : a j ≥ 0}︸ ︷︷ ︸=:M+
∪ { j ∈ M : a j < 0}︸ ︷︷ ︸=:M−
136 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
Wegen Fakta 5.4.3, 3 und 1, folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑
j∈M a j auch
die von C1 :=∑
j∈M+a j und C2 :=
∑j∈M− (−a j). Wegen
∑
j∈A|a j| =
∑
j∈A∩M+
a j +∑
j∈A∩M−
(−a j) ≤ C1 + C2
fur jedes A ∈ E(M) folgt die unbedingte Konvergenz von∑
j∈M |a j| aus Fakta 5.4.3, 2.
Sind die a j komplex, so folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑
j∈M a j mit
(5.11) auch die von∑
j∈M Re a j und∑
j∈M Im a j. Nach dem schon Gezeigten konver-
gieren dann∑
j∈M |Re a j| und∑
j∈M | Im a j| unbedingt, was wegen |a j| ≤ |Re a j|+| Im a j|und Fakta 5.4.3, 2, auch die von
∑j∈M |a j| nach sich zieht.
Die Aquivalenz zur absoluten Konvergenz von∑∞
n=1 an haben wir schon oben
gesehen.
❑
Da fur reell- bzw. komplexwertige Reihen absolute und unbedingte Konvergenz
dasselbe bedeuten, nennen wir Reihen, die konvergent, aber nicht absolut konvergent
sind, auch bedingt konvergent.
5.4.5 Korollar. Die Reihe∑∞
k=1 bk mit reellen oder komplexen Summanden sei absolut
konvergent. Dann ist fur jede Bijektion σ : N → N auch die Umordnung∑∞
k=1 bσ(k)
absolut konvergent und hat die gleiche Summe.
Beweis. Das folgt unmittelbar aus Satz 5.4.4 und Fakta 5.4.3, 4.
❑
Nun wollen wir Korollar 5.4.5 umkehren.
5.4.6 Satz. Sei die Reihe∞∑
k=1
ak reeller Zahlen konvergent mit der Summe S , aber nicht
absolut konvergent. Dann gibt es zu jeder vorgegebenen Zahl S ′ ∈ R ∪ {±∞} eine
Umordnung (bk)k∈N, bk = aσ(k), mit∞∑
k=1
bk = S ′. Weiters gibt es Umordnungen∞∑
k=1
bk die
divergieren – aber nicht bestimmt divergieren.
Beweis. Bezeichne mit a+k
:= max(ak, 0), a−k
:= min(ak, 0), d.h. die Folgen der positiven
bzw. negativen Terme ak. Wir uberlegen zuerst, dass
∞∑
k=1
a+k = +∞,∞∑
k=1
a−k = −∞ (5.16)
gelten muss. Zunachst sind die Partialsummen dieser Reihen monotone Folgen, haben
also einen Grenzwert in R ∪ {±∞}. Angenommen einer der beiden ware endlich, z.B.∞∑
k=1
a+k= S + < ∞. Dann folgt
N∑
k=1
a−k =N∑
k=1
ak −N∑
k=1
a+kN→∞−→ S − := S − S + > −∞.
und somitN∑
k=1
| ak |=N∑
k=1
a+k −N∑
k=1
a−kN→∞−→ S + − S − < ∞,
im Widerspruch zur Voraussetzung, dass∞∑
k=1
ak nicht absolut konvergiert.
5.4. UNBEDINGTE KONVERGENZ UND UMORDNEN VON REIHEN 137
Sei nun S ′ ∈ R gegeben. Wir konstruieren eine Umordnung∑∞
k=1 bk, die gegen S ′
konvergiert. Zuerst addiert man Summanden a+1, a+
2, a+
3, . . . , a+n1
, bis man das erste Mal
> S ′ ist, dann Summanden a−1, a−
2, . . . , a−
l1bis die Gesamtsumme das erste mal wieder
< S ′ ist. Dann a+n1+1
, a+n1+2
, . . . , a+n2bis man das erste Mal wieder > S ′ ist. So verfahrt
man weiter. Wegen (5.16) ist das stets moglich.
Man erhalt in dieser Weise eine Umordnung von∞∑
k=1
ak. Ist S ′n eine Partialsumme,
so ist S ′n − S ′ beschrankt nach oben durch das letzte aufgetretene a+k
und nach unten
durch das letzte aufgetretene a−k. Wegen lim
k→∞ak = 0 gilt auch
limn→∞
(S ′n − S ′) = 0.
In analoger Weise verfahrt man, wenn man eine Umordnung konstruieren mochte, die
bestimmt divergiert gegen +∞ oder −∞, oder nicht einmal bestimmt divergiert.
❑
Obiger Beweis verwendet bei der Definition der Umordnung implizit den Rekursi-
onssatz. Die Tatsache, dass die dadurch definierte Funktion bijektiv auf N ist und dass
sie das Gewunschte leistet, bedarf eigentlich eines strengeren Beweises.
5.4.7 Bemerkung. Korollar 5.4.5 zusammen mit Satz 5.4.6 wird auch Riemannscher
Umordnungssatz genannt. Fur komplexwertige Reihen gilt Satz 5.4.6 nicht.
Fur den folgenden Satz schreiben wir unsere nichtleere Menge M als disjunkte
Vereinigung
M =⋃
i∈IMi
mit nichtleerer Indexmenge I und nichtleeren Mengen Mi, i ∈ I.
5.4.8 Proposition. Sind die a j, j ∈ M, reelle oder komplexe Zahlen, und konvergiert
s :=∑
j∈M a j unbedingt, so konvergieren alle Ausdrucke si :=∑
j∈Mia j, i ∈ I, unbe-
dingt genauso wie∑
i∈I∑
j∈Mia j – dazu sagen wir kurz, dass
∑i∈I
∑j∈Mi
a j unbedingt
konvergiert –, wobei ∑
i∈I
∑
j∈Mi
a j =∑
j∈M
a j . (5.17)
Beweis. Wegen Fakta 5.4.3, 3, konvergieren alle Ausdrucke si =∑
j∈Mia j, i ∈ I,
unbedingt. Zu ǫ > 0 sei A0 ∈ E(M), sodass aus A0 ⊆ A ∈ E(M) die Ungleichung
∣∣∣∣∣∣∣∣s −
∑
j∈Aa j
∣∣∣∣∣∣∣∣< ǫ
folgt. Dann ist K0 := {i ∈ I : Mi ∩ A0 , ∅} sicherlich auch endlich.
Fur jedes endliche K ⊇ K0 bezeichne #K seine Machtigkeit. Wahle nun fur jedes
i ∈ K ein Bi ∈ E(Mi), sodass
∣∣∣∣∣∣∣∣si −
∑
j∈B
a j
∣∣∣∣∣∣∣∣<
ǫ
#K, wenn Bi ⊆ B ∈ E(Mi) .
Da man Bi sicherlich großer machen kann, ohne diese Bedingung zu verlieren, konnen
wir annehmen, dass auch Bi ⊇ Mi ∩ A0.
138 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
Mit A :=⋃
i∈K Bi ⊇⋃
i∈K0Mi ∩ A0 = A0 folgt
∣∣∣∣∣∣∣s −
∑
i∈Ksi
∣∣∣∣∣∣∣≤
∣∣∣∣∣∣∣∣s −
∑
j∈Aa j
∣∣∣∣∣∣∣∣+
∑
i∈K
∣∣∣∣∣∣∣∣si −
∑
j∈Bi
a j
∣∣∣∣∣∣∣∣< 2ǫ .
Also gilt s = limK∈E(I)
∑i∈K si.
❑
Im Allgemeinen kann man aber nicht von der Existenz von∑
i∈I∑
j∈Mia j auf die
unbedingte Konvergenz von∑
j∈M a j schließen; vgl. Beispiel 5.4.10. Es gilt jedoch
5.4.9 Lemma. Sind die a j, j ∈ M, reelle oder komplexe Zahlen, und konvergieren
alle Ausdrucke∑
j∈Mi|a j|, i ∈ I, unbedingt genauso wie
∑i∈I
∑j∈Mi|a j| – dazu sagen
wir kurz, dass∑
i∈I∑
j∈Mi|a j| unbedingt konvergiert –, so konvergiert auch
∑j∈M |a j|
unbedingt . In dem Fall gilt∑
i∈I∑
j∈Mi|a j| =
∑j∈M |a j| und
∑i∈I
∑j∈Mi
a j =∑
j∈M a j.
Beweis. Konvergieren alle Ausdrucke∑
j∈Mi|a j|, i ∈ I, unbedingt genauso wie C :=∑
i∈I∑
j∈Mi|a j|, so folgt fur jedes A ∈ E(M) mit K = {i ∈ I : Mi ∩ A , ∅}
∑
j∈A|a j| =
∑
i∈K
∑
j∈A∩Mi
|a j| ≤∑
i∈K
∑
j∈Mi
|a j| ≤ C.
Aus Fakta 5.4.3, 2, folgt somit die unbedingte Konvergenz von∑
j∈M |a j|.Die behaupteten Gleichungen folgen aus Proposition 5.4.8.
❑
Die beiden letzten Resultate lassen sich zum Beispiel auf so genannte Doppelreihen
anwenden. Dazu sei M = N×N, und sei zu jedem (m, n) ∈ N×N eine reelle (komplexe)
Zahl am,n gegeben.
Wegen Satz 5.4.4 sind die unbedingte Konvergenz von∑
(m,n)∈N×N |am,n| und von∑(m,n)∈N×N am,n aquivalent. Wegen Proposition 5.4.8 und Lemma 5.4.9 angewandt auf
die Zerlegung N × N = ⋃i∈N{i} × N ist das auch zur unbedingten Konvergenz
von∑
i∈N∑
j∈N |ai, j| aquivalent. Wegen Fakta 5.4.3, 6, bedeutet letzteres genau, dass∑∞j=1 |ai, j| fur alle i ∈ N konvergiert genauso wie
∞∑
i=1
∞∑
j=1
|ai, j| < +∞. (5.18)
Analoges gilt fur die vertauschte Reihenfolge. Trifft eine dieser aquivalenten Bedin-
gungen zu, so konvergieren folgende Ausdrucke unbedingt und es gilt∑
i∈N
∑
j∈Nai, j =
∑
(m,n)∈N×Nam,n =
∑
j∈N
∑
j∈Nai, j . (5.19)
Zerlegt man schließlich N × N in N × N = ⋃d∈N≥2{(k, l) ∈ N × N : k + l = d} – also in
die Diagonalen {(k, l) ∈ N×N : k+ l = d} –, so erhalten wir aus Proposition 5.4.8, dass
auch folgender Ausdruck unbedingt konvergiert und (5.19) mit
∑
d∈N≥2
d−1∑
k=1
ak,d−k
(5.20)
ubereinstimmt. Dieser Ausdruck konvergiert sogar unbedingt, wenn man die Summan-
den durch ihre Betrage ersetzt.
5.4. UNBEDINGTE KONVERGENZ UND UMORDNEN VON REIHEN 139
Dass die unbedingte Konvergenz von∑
(m,n)∈N×N am,n notwendig dafur ist, dass die
Ausdrucke ganz links und ganz rechts ubereinstimmen, zeigt
5.4.10 Beispiel. Seien die Zahl ai, j der (i, j)-te Eintrag von
1 + −1 + 0 + 0 + . . . = 0
+ + + +
0 + 1 + −1 + 0 + . . . = 0
+ + + +
0 + 0 + 1 + −1 + . . . = 0
+ + + +
0 + 0 + 0 + 1 + . . . = 0
+ + + +
......
......
...
= = = = =
1 + 0 + 0 + 0 + . . . = 1 \ 0
Dann gilt∑
i∈N(∑
j∈N ai, j
)= 0 und
∑j∈N
(∑i∈N ai, j
)= 1.
5.4.11 Korollar. Sind die beiden Reihen∑∞
m=1 am und∑∞
n=1 bn absolut konvergent, so
konvergiert ∑
(m,n)∈N×Nambn
unbedingt, wobei
∑
(m,n)∈N×Nambn =
∞∑
i=2
i−1∑
k=1
akbi−k
=∞∑
m=1
am
·∞∑
n=1
bn
.
Der mittlere Ausdruck konvergiert dabei auch absolut.
Beweis. Wegen8
∞∑
m=1
∞∑
n=1
|ambn| =∞∑
m=1
|am| ·∞∑
n=1
|bn|︸ ︷︷ ︸
<+∞
=( ∞∑
m=1
|am|)·( ∞∑
n=1
|bn|)< +∞
folgt aus der Bedingung (5.18), dass S :=∑
(m,n)∈N×N am · bn unbedingt konvergent.
Nach (5.19) und Fakta 5.4.3, 1, gilt
S =∑
i∈N
∑
j∈Nai · b j = lim
A∈E(N)
∑
i∈A
limB∈E(N)
∑
j∈B
ai · b j
= limA∈E(N)
∑
i∈Aai ·
limB∈E(N)
∑
j∈B
b j
=
limA∈E(N)
∑
i∈Aai ·
∞∑
n=1
bn
= lim
A∈E(N)
∑
i∈Aai
·∞∑
n=1
bn
=∞∑
m=1
am
·∞∑
n=1
bn
.
S =∑∞
i=2
(∑i−1k=1 akbi−k
)ergibt sich sofort aus (5.20), wenn man bedenkt, dass aus der
unbedingten auch die absolute Konvergenz folgt.
❑
8Diese Gleichung ist am besten von rechts nach links zu lesen. In dieser Reihenfolge erkennt man am
besten, dass alle vorkommenden Reihen konvergieren.
140 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
5.4.12 Beispiel. Definiere eine Funktion exp : C→ C durch
exp(z) :=
∞∑
n=0
zn
n!, z ∈ C .
Zunachst mussen wir diese Definition rechtfertigen, also zeigen, dass diese Reihe kon-
vergiert. Fur jedes feste z ∈ C gilt
limn→∞
∣∣∣ zn+1
(n+1)!
∣∣∣∣∣∣ zn
n!
∣∣∣= lim
n→∞
z
(n + 1)= 0 .
Nach dem Quotientenkriterium ist die Reihe∑∞
n=0zn
n!fur jedes feste z ∈ C absolut
konvergent.
Wir wollen fur zwei Zahlen z,w ∈ C das Produkt exp(z) exp(w) ausrechnen. Da-
zu verwenden wir Summation langs der Diagonalen. Wir erhalten aus Korollar 5.4.11
unter Beachtung einer Indexverschiebung
exp(z) · exp(w) =
∞∑
k=0
( k∑
j=0
zk− j
(k − j)!
w j
j!
).
Nach dem Binomischen Lehrsatz gilt
k∑
j=0
zk− j
(k − j)!
w j
j!=
1
k!(z + w)k ,
und wir erhalten
exp(z) exp(w) =
∞∑
k=0
1
k!(z + w)k = exp(z + w) .
Die Funktion exp heißt auch die Eulersche9Exponentialfunktion. Sie ist eine der wich-
tigsten Funktionen, die es in der Mathematik gibt. Wir werden sie zum Beispiel auch
dafur benutzen, um Funktionen wie sin z oder cos z zu definieren, vgl. den Abschnitt
uber elementare Funktionen.
5.5 Grenzwerte von Funktionen
In diesem Abschnitt wollen wir vornehmlich Grenzwerte uber gerichtete Mengen be-
trachten, die folgende Eigenschaft haben:
5.5.1 Definition. Wir sagen, dass eine gerichtete Menge (I,�) Teilfolgen gestattet,
wenn es eine abzahlbare Teilmenge L von I gibt, sodass
∀i ∈ I ∃ j ∈ L : i � j . (5.21)
Es sei hier angemerkt, dass nicht alle gerichteten Mengen Teilfolgen gestatten.
Wie wir im folgenden Lemma 5.5.2 sehen werden, bedeutet die Eigenschaft”gestattet
Teilfolgen“, dass man hinreichend viele Teilfolgen konstruieren kann, damit man von
der Konvergenz von Teilfolgen auf die Konvergenz eines gegebenen Netzes schließen
kann.
9Leonhard Euler. 15.4.1707 Basel - 18.9.1783 St.Petersburg
5.5. GRENZWERTE VON FUNKTIONEN 141
5.5.2 Lemma. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, (I,�) eine gerichtete Menge und (xi)i∈Iein Netz in X.
Gestattet (I,�) Teilfolgen, so gilt x = limi∈I xi genau dann, wenn limn→∞ xi(n) = x
fur jede Teilfolge von (xi)i∈I .
Beweis. Falls x = limi∈I xi, so folgt aus Lemma 5.3.7, dass auch limn→∞ xi(n) = x fur
alle Teilfolgen von (xi)i∈I .
Konvergiert umgekehrt (xi)i∈I nicht gegen x, so gibt es ein ǫ > 0, sodass
∀i ∈ I ∃k ∈ I, k � i : d(xk, x) ≥ ǫ. (5.22)
Daraus konstruieren wir eine Teilfolge, die nicht gegen x konvergiert. Dazu sei j : N→L bijektiv, wobei L wie in Definition 5.5.1 ist.
Sei i1 ∈ I, i1 � j(1) mit d(xi1 , x) ≥ ǫ; vgl. (5.22). Sind i1 � · · · � im ∈ I definiert, so
sei i ∈ I, i � im, i � j(m + 1). Gemaß (5.22) gibt es ein im+1 � i, sodass d(xim+1, x) ≥ ǫ.
Zu jedem i ∈ I gibt es wegen (5.21) ein m0 ∈ N, sodass j(m0) � i. Wegen
im � j(m), m ∈ N, folgt im � im0� j(m0) � i fur alle m ≥ m0. Also ist (xin)n∈N eine
Teilfolge, sodass d(xin , x) ≥ ǫ. Sie kann somit nicht gegen x konvergieren.
❑
Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum, D ⊆ X, z ein Haufungspunkt von D und � auf
D \ {z} definiert als
x � y :⇐⇒ dX(x, z) ≥ dX(y, z)
wie in Beispiel 5.3.2, (iii). (D \ {z},�) ist dann eine gerichtete Menge. Weiters sei
f : D \ {z} → Y eine Funktion, wobei 〈Y, dY〉 ein weiterer metrischer Raum ist.
5.5.3 Definition. Konvergiert das Netz ( f (t))t∈D\{z}, so schreiben wir fur den Grenzwert
auch
limt→z
f (t) := limt∈D\{z}
f (t), (5.23)
und nennen ihn Grenzwert der Funktion f fur t → z.
5.5.4 Fakta.
1. Es gilt limt→z f (t) = y genau dann, wenn
∀ǫ > 0∃δ > 0 : ∀t ∈ D \ {z}, dX(t, z) < δ⇒ dY ( f (t), y) < ǫ . (5.24)
In der Tat gilt gemaß der Definition der Konvergenz eines Netzes limt∈D\{z} f (t) =
y genau dann, wenn
∀ǫ > 0∃t0 ∈ D\{z} : ∀t ∈ D\{z}, dX(t, z) ≤ dX(t0, z)⇒ dY( f (t), y) < ǫ . (5.25)
Falls (5.25) zutrifft, so setze man zu einem ǫ > 0, δ = dX(t0, z). Offenbar gilt
dann (5.24).
Gilt umgekehrt (5.24), und wahlt man dem entsprechend zu ǫ > 0 ein passendes
δ > 0, so gibt es ein t0 ∈ D \ {z} ∩ Uδ(z), da z ja Haufungspunkt von D ist. Fur
t � t0 folgt dann dX(t, z) < δ und somit dY ( f (t), y) < ǫ.
142 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
2. Die gerichtete Menge (D \ {z},�) gestattet Teilfolgen, denn setzt man
L = {tn : n ∈ N}
fur irgendeine Folge (tn)n∈N aus D \ {z} mit tn → z fur n → ∞ – nach Lemma
5.1.13 gibt es eine solche – so ist L abzahlbar und zu gegebenem t ∈ D \ {z} gibt
es wegen dX(tn, z) → 0, n → ∞ ein n ∈ N mit dX(tn, z) ≤ dX(t, z) – also tn � t.
Also hat L die Eigenschaft (5.21).
3. Fur ein Netz (ti)i∈I aus D \ {z} bedeutet die Tatsache, dass ( f (ti))i∈I ein Teilnetz
von ( f (t))t∈D\{z} ist, nichts anderes, als dass limi∈I ti = z.
Um das einzusehen, sei daran erinnert, dass gemaß Definition 5.3.6 ( f (ti))i∈Igenau dann ein Teilnetz ist, wenn
∀t0 ∈ D \ {z} ∃i0 ∈ I : dX(ti, z) ≤ dX(t0, z) fur alle i � i0. (5.26)
Setzt man limi∈I ti = z voraus, so gibt es zu t0 ∈ D \ {z} wegen ǫ := dX(t0, z) > 0
ein i0 ∈ I mit dX(ti, z) < ǫ = dX(t0, z) fur alle i � i0, also insbesondere (5.26).
Gilt umgekehrt (5.26) und ist ǫ > 0, so gibt es – da z Haufungspunkt von D
ist – ein t0 ∈ D \ {z} mit dX(t0, z) < ǫ und eben wegen (5.26) ein i0 ∈ I mit
dX(ti, z) ≤ dX(t0, z) < ǫ fur alle i � i0, also limi∈I ti = z.
4. Wegen Lemma 5.5.2 zusammen mit den vorherigen beiden Punkten gilt
limt→z
f (t) = y⇔(∀(tn)n∈N aus D \ {z}, lim
n→∞tn = z ⇒ lim
n→∞f (tn) = y
). (5.27)
5. Aus (5.24) erkennt man unmittelbar, dass fur ein C ⊆ D, das z ebenfalls als
Haufungspunkt hat, aus limt→z f (t) = y auch limt→z f |C\{z}(t) = y folgt. Dabei ist
letzterer Grenzwert als limt∈C\{z} f (t) zu verstehen, wobei fur s, t ∈ C \ {z} auch
s � t⇔ dX(s, z) ≥ dX(t, z).
Aus limt→z f |C\{z}(t) = y folgt im allgemeinen aber nicht limt→z f (t) = y, vgl.
Beispiel 5.5.7.
6. Ist ρ > 0 beliebig, so gilt wegen des vorherigen Punktes, dass aus limt→z f (t) = y
auch limt→z f |Uρ (z)∩D(t) = y folgt, da z ja auch ein Haufungspunkt von Uρ(z) ∩ D
ist.
Gelte umgekehrt limt→z f |Uρ (z)∩D\{z}(t) = y fur ein ρ > 0. Zu ǫ > 0 gibt es also ein
δ > 0, sodass aus t ∈ Uρ(z)∩D\ {z}, dX(t, z) < δ immer dY( f (t), y) < ǫ folgt. Aus
t ∈ D\ {z}mit dX(t, z) < min(δ, ρ) ergibt sich dann t ∈ Uρ(z)∩D\ {z}, dX(t, z) < δ
und damit dY( f (t), y) < ǫ. Also gilt limt→z f (t) = y.
Alternativ kann man die Aquivalenz von limt→z f |Uρ (z)∩D(t) = y und limt→z f (t) =
y auch mit Hilfe von (5.6) herleiten, da beide Aussagen wegen
(D \ {z})�s = KdX (s,z)(z) ∩ D \ {z} = (Uρ(z) ∩ D \ {z})�s
fur ein s ∈ Uρ(z) ∩ D \ {z} zu limt∈D\{z}�sf (t) = y aquivalent sind.
5.5.5 Beispiel.
Ist X = Y = D ein beliebiger metrischer Raum, z ∈ X ein Haufungspunkt davon,
so gilt fur f (t) = t sicher limt→z t = z, wie man z.B. aus (5.27) sofort erkennt.
5.5. GRENZWERTE VON FUNKTIONEN 143
Wir wollen
limt→0
1 −√
1 − t2
t2
berechnen, wobei das als der Limes limt∈(−1,1)\{0}1−√
1−t2
t2 mit der gerichteten
Menge ((−1, 1) \ {0},�) gerichtet durch s � t ⇔ |s| ≥ |t| zu verstehen ist.
Aus 1− (1− t2) = (1−√
1 − t2)(1+√
1 − t2) folgt wegen der fur Netze gultigen
Rechenregeln
limt→0
1 −√
1 − t2
t2= lim
t→0
1 − (1 − t2)
t2(1 +√
1 − t2)=
limt→0
1
1 +√
1 − t2=
1
1 + limt→0
√1 − t2
.
Nun ist aber wegen der fur Folgen gultigen Rechenregeln limn→∞√
1 − t2n =
1 fur jede gegen 0 konvergente Folge (tn)n∈N. Aus Fakta 5.5.4 folgt
limt→0
√1 − t2 = 1, und der zu berechnende Grenzwert ist 1
2.
Betrachtet man 1−√
1−t2
t2 als Funktion etwa auf (− 18, 1
8) \ {0}, so wissen wir, dass
wegen Fakta 5.5.4, 6, ebenfalls 1−√
1−t2
t2 → 0 fur t ∈ (− 18, 1
8) \ {0}, t → 0.
Die Schreibweise limt→0 f (t) = y aus Definition 5.5.3 – hier sei etwa D = (−1, 1)
mit X = R und z = 0 – besagt, dass der Funktionswert f (t) beliebig nahe an y heran-
kommt, wenn das Argument t nur hinreichend nahe an 0 ist. Oft ist man in der Situation,
dass diese Annaherung nur von einer Seite stattfindet.
5.5.6 Fakta.
1. Sei X = R und D = (a, b) fur a, b ∈ R, a < b. Ist nun f eine Funktion, die
zumindest auf D definiert ist und Werte in einem metrischen Raum Y hat, so
schreibt man fur limt∈D\{b} f (t) = y auch
limt→b−
f (t) = y .
Man spricht von dem linksseitigen Grenzwert. .
Analog definiert man fur D = (a, b) den rechtsseitigen Grenzwert limt→a+ f (t) =
y als limt∈D\{a} f (t) = y, wenn f eine Funktion auf D = (a, b) mit Werten in einem
metrischen Raum Y ist.
2. Sind a, b, c ∈ R, a < b < c, und ist f : (a, b) ∪ (b, c)→ Y eine Funktion, so gilt
y = limt→b
f (t)⇔ y = limt→b−
f (t) und y = limt→b+
f (t) . (5.28)
Dass aus y = limt→b f (t) sich die beiden anderen Grenzwerte ergeben, folgt
sofort aus Fakta 5.5.4, 5.
Gelten umgekehrt y = limt→b− f (t) und y = limt→b+ f (t), so gibt es zu einem
ǫ > 0 gemaß (5.24) Zahlen δ+, δ− > 0, sodass aus t ∈ (b, c), |t − b| < δ+ oder
t ∈ (a, b), |t − b| < δ− immer dY( f (t), y) < ǫ folgt. Mit δ := min(δ−, δ+) folgt aus
t ∈ (a, b)∪ (b, c), |t−b| < δ die Ungleichung dY ( f (t), y) < ǫ; also y = limt→b f (t).
144 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
5.5.7 Beispiel.
Sei f : R→ R definiert als f (t) = sgn(t). Dann gilt limt→0+ f (t) = 1, da f |(0,+∞) ≡1, und limt→0− f (t) = −1, da f |(−∞,0) ≡ −1; vgl. Beispiel 5.3.4, (i). Wegen (5.28)
kann dann limt→0 f (t) gar nicht existieren.
Sei f : (0,+∞)→ R definiert als f (t) = t2⌊ 1t⌋. Dabei bezeichnet fur reelles x der
Ausdruck ⌊x⌋ die großte ganze Zahl, die kleiner oder gleich x ist. Diese wird als
Gaußklammer bezeichnet.
Wegen limt→0+ t = 0 (vgl. (5.9) und Beispiel 5.5.5) und mit Fakta 5.3.8, 2, folgt
aus 0 ≤ t2⌊ 1t⌋ ≤ t fur t > 0, dass limt→0+ f (t) = 0.
5.5.8 Definition. Ist f eine auf (a,+∞) definierte Funktion mit Werten in einem me-
trischen Raum Y, und versieht man (a,+∞) mit der Relation ≤, so erhalt man ebenfalls
eine gerichtete Menge. Fur den moglichen Grenzwert limt∈(a,+∞) f (t) schreibt man auch
limt→+∞ f (t).
Entsprechend definiert man den Grenzwert fur t→ −∞.
Die hier zugrunde liegende gerichtete Menge gestattet auch Teilfolgen, wobei
( f (tn))n∈N genau dann eine solche ist, wenn tn → +∞ fur n → ∞. Also gilt (5.27)
auch wenn z = +∞. Entsprechendes gilt fur −∞.
5.5.9 Bemerkung. Sei f : (a, b) → Y eine Funktion, wobei a, b ∈ R ∪ {−∞,+∞}mit a < b. Um limt→b− f (t) – im Sinne von Definition 5.5.8 im Fall b = +∞ und im
Sinne Definition 5.5.3 im Falle b ∈ R – zu bestimmen, ist es manchmal zweckmaßig
fur eine gewisse bijektive, streng monotone Abbildung φ : (c, d) → (a, b) mit c, d ∈R ∪ {−∞,+∞}, c < d, den Grenzwert
lims→d−
f ◦ φ(s) fur monoton wachsendes φ
bzw.
lims→c+
f ◦ φ(s) fur monoton fallendes φ
zu eruieren. Dieser Grenzwert stimmt dann mit dem ursprunglich gesuchten
limt→b− f (t) uberein.
In der Tat kann man fur monoton wachsendes φ das Netz ( f (t))t∈(a,b) als das Teilnetz(f ◦φ(φ−1(t))
)t∈(a,b) des Netzes
(f ◦φ(s)
)s∈(c,d) betrachten, da zu s0 ∈ (c, d) das Element
t0 := φ(s0) ja derart ist, dass wegen der Monotonie von φ−1 aus t � t0 – hier bedeutet
das t ≥ t0 – immer φ−1(t) ≥ φ−1(t0) = s0, daher φ−1(t) � s0, folgt. Entsprechend
argumentiert man fur monoton fallendes φ.
Ahnlich kann man vorgehen, wenn limt→a+ f (t) zu bestimmen ist.
5.5.10 Beispiel. Betrachte g : (0,+∞) → R definiert als g(t) = 1t2 [t]. Um limt→+∞ g(t)
zu berechnen, betrachte die monoton fallende Bijektion φ(s) = 1s
von (0,+∞) auf sich
selbst. Aus Beispiel 5.5.7 ist bekannt, dass
lims→0+
g ◦ φ(s) = lims→0+
s2
⌊1
s
⌋= 0 .
Gemaß Bemerkung 5.5.9 gilt dann auch limt→+∞ g(t) = 0.
5.6. UBUNGSBEISPIELE 145
Schließlich wollen wir auch noch definieren, was limz→∞ f (z) = y bedeutet. Hier
ist f : D → Y mit einem nicht beschrankten D ⊆ C und einem metrischen Raum Y.
Dazu versehen wir D mit der Richtung z � w⇔ |z| ≤ |w|, und setzen
limz→∞
f (z) := limz∈D
f (z) ,
falls dieser Grenzwert existiert. Manchmal schreibt man dafur auch lim|z|→+∞ f (z).
Die gerichtete Menge (D,�) gestattet ebenfalls Teilfolgen, wobei limz→∞ f (z) = y
genau dann, wenn f (zn)→ y fur alle komplexen Folgen (zn)n∈N mit |zn| → +∞.
5.5.11 Beispiel. Man sieht leicht ein, dass limz→∞1z= 0. Mit den Rechenregeln fur
Netze aus Fakta 5.3.8 folgt (a0, . . . , an ∈ C)
limz→∞
an + an−1z−1 + . . . + a0z−n = an.
Fur an , 0 folgt daraus (siehe Bemerkung 5.3.9)
limz→∞|anzn + an−1zn−1 + . . . + a0| = lim
z→∞|zn| · |an + an−1z−1 + . . . + a0z−n| = +∞ .
5.6 Ubungsbeispiele
5.1 Sei X eine nichtleere Menge und seien d und d zwei Metriken auf X.
d und d heißen aquivalent, wenn es a, b ∈ R, a, b > 0 gibt, sodass
ad(x, y) ≤ d(x, y) ≤ bd(x, y), ∀x, y ∈ X .
Zeigen Sie, dass Uaǫ(x) ⊆ Uǫ(x) und Uǫ (x) ⊆ Ubǫ(x), wobei Uǫ(x) = {y ∈ X : d(x, y) < ǫ}und Uǫ (x) = {y ∈ X : d(x, y) < ǫ}.Zeigen Sie weiters:
xn → x bzgl. d genau dann, wenn xn → x bzgl. d.
(xn) ist Cauchy-Folge bzgl. d genau dann, wenn (xn) Cauchy-Folge bzgl. d ist.
Die Menge der Haufungspunkte von E sowie c(E) bzgl. d und d stimmen uberein.
Ein E ⊆ X ist E offen, abgeschlossen bzw. kompakt bezuglich d genau dann, wenn E offen,
abgeschlossen bzw. kompakt bezuglich d ist.
Anmerkung: Wegen (3.9) sind d1, d2, d∞ aquivalent auf Rp.
5.2 Bestimmen Sie die Menge aller Haufungspunkte sowie den Abschluss von U1(0) und von
(Q + iQ) ∩ U1(0) in dem metrischen Raum (C, d2), wobei U1(0) die offene Einheitskugel
bezuglich d2 ist.
5.3 Ist Z in R offen und/oder abgeschlossen? Man beantworte die selbe Frage auch fur die Teil-
menge (2Z) × Z × Z von R3 (versehen mit d2).
5.4 Man zeige, dass ein reelles Intervall in R genau dann abgeschlossen ist, wenn es von der
Form [a, b], [a,+∞) oder (−∞, a] fur a, b ∈ R, a ≤ b ist. Weiters zeige man die entspre-
chende Aussage fur offene Intervalle.
5.5 Zeigen Sie, dass in dem metrischen Raum 〈Rp, d2〉 fur jede Teilmenge M ⊆ Rp das or-
thogonale Komplement M⊥ := {x ∈ Rp : (x, y) = 0, y ∈ M} abgeschlossen ist, wobei
(x, y) =∑p
j=1x jy j.
Zeigen Sie damit auch, dass R als Teilmenge von C abgeschlossen ist.
146 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
5.6 Man zeige, dass die Kugeloberflache der Kugel S mit Radius 12
und Mittelpunkt (0, 0, 12) im
R3 kompakt ist.
5.7 Sei 〈X, d〉 ein vollstandiger metrischer Raum. Zeigen Sie, dass F ⊆ X genau dann abge-
schlossen ist, wenn der metrische Raum (F, d) (hier ist d die Einschrankung der Metrik d
von X × X auf die Teilmenge F × F) vollstandig ist.
5.8 Man zeige anhand eines Beispieles in R, dass der Durchschnitt von unendlich vielen offenen
Teilmengen nicht mehr offen sein muss.
Weiters gebe man ein Beispiel einer Teilmenge von R an, die nur aus isolierten Punkten
besteht, aber nicht abgeschlossen ist!
5.9 Sind folgende Mengen M offen, abgeschlossen, beschrankt? Warum?
(i) M = N, als Teilmenge von R,
(ii) M = {x + y : x, y ∈ [0, 1]}, als Teilmenge von R,
(iii) M = {x + y : x ∈ [0, 1], y ∈ (0, 1)}, als Teilmenge von R,
(iv) M = {x + iy : x ∈ [0, 1], y ∈ [−1, 1]}, als Teilmenge von C.
5.10 Sind folgende Mengen M offen, abgeschlossen, beschrankt? Warum?
(i) M = {z : −Re(z) + 1 ∈ (−1, 3)}, als Teilmenge von C,
(ii) M = {x : x2 − 3x + 2 > 0}, als Teilmenge von R,
(iii) M = {z : z2 − z − 2 , 0}, als Teilmenge von C,
(iv) M = {x : x2 − 3x + 2 ≤ 0}, als Teilmenge von R.
5.11 Sind folgende Mengen offen, abgeschlossen, beschrankt, kompakt? Warum?
(i)⋂
n∈N(−1 − 1n, 1 + 1
n) × (− 1
n, 2 + 1
n) in (R2, d2)
(ii)⋃
n∈N[n, n + 12] in (R, d2)
(iii) {0} ∪⋃n∈N[ 1
n, 1
n+ 1
n2 ] in (R, d2)
(iv)⋂
n∈N{(x, y) ∈ R2 : y ∈ (− 1
n2 ,1
n2 )} in (R2, d2)
5.12 Sind folgende Mengen M offen, abgeschlossen, beschrankt, kompakt? Warum?
(i) M = {(x, y, z) : x2 + 2y2 + 3z2 − 1 ∈ [0, 9]}, als Teilmenge von R3,
(ii) M = {x : 3x2 − 5x + 2 > 0}, als Teilmenge von R,
(iii) M = {z : z2 − 2z + 2 , 0}, als Teilmenge von C.
5.13 Man bestimme die Haufungspunkte, die Menge der isolierten Punkte, sowie den Abschluss
der Menge ⋃
n∈N
(1
2n2 ,1
2n2 +1
3n3
)
als Teilmenge von R versehen mit der euklidischen Metrik.
5.14 Man bestimme die Haufungspunkte, die Menge der isolierten Punkte, sowie den Abschluss
der Menge ⋃
n∈N(1
n,
1
n+
1
3n2)
als Teilmenge von R versehen mit der euklidischen Metrik.
5.15 Man bestimme die Menge aller Haufungspunkte der Folge
(n + i + (−1)n(n − in))n∈N
in C versehen mit der euklidischen Metrik. Weiters bestimme man die Haufungspunkte der
Menge
{n + i + (−1)n(n − in) : n ∈ N} ,als Teilmenge von C.
5.6. UBUNGSBEISPIELE 147
5.16 Man bestimme die Menge aller Haufungspunkte der Folge
((−1)⌊ n2 ⌋(1 − 1
n) − (−1)⌊ n
3 ⌋(1 − 1
n))n∈N
in R.
5.17 Bestimmen Sie alle Haufungspunkte sowie Limes Superior und Limes Inferior der Folge
((−1)n+1( 1
n2 − 2) + (−1)⌊ n
2
⌋(2 − 1
n2 )
)
n∈N
in R.
5.18 Man zeige: Sind (an)n∈N und (bn)n∈N zwei beschrankte reelle Folgen mit limn→∞ an = a < 0,
dann gilt lim infn→∞ anbn = a lim supn→∞ bn.
Hinweis: Arbeiten Sie mit der Charakterisierung von lim inf als kleinster und lim sup als
großter Haufungspunkt!
5.19 Sei (X, d) ein metrischer Raum. Ist A, B ⊆ X nichtleer, so ist der Abstand von A und B
definiert durch d(A, B) := inf{d(x, y) : x ∈ A, y ∈ B}. Fur x ∈ X, ∅ , A ⊆ X setzt man
d(x, A) := d({x}, A).
Man zeige: x ∈ A ⇔ d(x, A) = 0, d(x, A) ≤ d(x, y) + d(y, A), sowie die Tatsache, dass
x 7→ d(x, A) eine stetige Abbildung von X nach R ist.
5.20 Seien K, A ⊆ Rp nichtleere Teilmengen, wobei K kompakt und A abgeschlossen ist. Man
zeige, dass es x ∈ K, y ∈ A gibt mit d(x, y) = d(A,K). Weiters zeige man, dass A∩ K = ∅ ⇔d(A,K) = 0
Hinweis: Ist xn ∈ K, yn ∈ A, sodass lim d(xn, yn) = d(A,K), so zeige man zuerst, dass dann
d(0, yn) ≤ C fur alle n und ein geeignetes C > 0. Also yn ∈ KC(0) ∩ A. Nun verwende man
die Kompaktheit von K bzw. KC(0) ∩ A (warum?) um geeignete x ∈ K und y ∈ A zu finden.
5.21 Man finde in R2 zwei abgeschlossene Teilmengen A, B mit d(A, B) = 0.
5.22 Sind I und J gerichtete Mengen versehen mit Relationen �I bzw. �J , so zeige man dass
(I × J,�) ebenfalls eine gerichtete Menge ist, wenn man
(i1, j1) � (i2, j2) :⇔ i1 �I i2 ∧ j1 �J j2
definiert; vgl. Beispiel 5.3.2.
5.23 Zeigen Sie: Hat eine gerichtete Menge (I,�) mindestens ein maximales Element, dh. es gibt
ein j ∈ I mit j � i fur alle i ∈ I, so konvergiert ein Netz (xi)i∈I genau dann, wenn x j = xk fur
alle maximalen j, k ∈ I, und zwar gegen x j, wobei j ∈ I ein solches maximales Element ist.
Fuhren sie auch aus, warum I mindestens ein maximales Element hat, wenn I endlich ist.
5.24 Weisen Sie nach, dass eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum 〈X, d〉 genau dann eine
Cauchy-Folge ist, wenn lim(m,n)∈N×N d(xm, xn) = 0, wobei N × N wie in (5.3) gerichtet ist;
vgl. Beispiel 5.3.4.
5.25 Weisen Sie alle in (5.9) erwahnten und noch nicht verifizierten Rechenregeln fur konvergen-
te Netze nach.
5.26 Seien (xi)i∈I , (yi)i∈I zwei reellwertige Netze uber der selben gereichteten Menge (I,�). Gilt
yi ≥ K fur alle i � k mit festen K ∈ R, k ∈ I, so folgere man daraus limi∈I xi = +∞ auch
limi∈I(xi + yi) = +∞.
5.27 Man berechne limx→+∞(−1)⌊x⌋
xund limx→+∞(1 + 1
x)⌊x⌋, wobei limx→+∞ fur den Grenzwert des
jeweiligen Netzes uber die gerichtete Menge I = (c,+∞) mit s � t ⇔ s ≤ t und einem
hinreichend großen c ∈ R steht.
Hinweis (1 + 1⌊x⌋ )⌊x⌋ ≥ (1 + 1
x)⌊x⌋ ≥ (1 + 1
⌊x⌋+1)⌊x⌋.
5.28 Zeigen Sie, dass ein Netz (xi)i∈I in einem metrischen Raum 〈X, d〉 genau dann ein Cauchy-
Netz ist, wenn lim(i, j)∈I×I d(xi, x j) = 0, wobei I × I wie in (5.4) zu einer gerichteten Menge
gemacht wird.
148 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
5.29 Zeigen Sie, dass fur unbedingt konvergente Reihen folgende Rechenregeln gelten
(λ, µ, a j, b j ∈ R (C), j ∈ M):
∑
j∈M
(λa j + µb j) = λ
∑
j∈M
a j
+ µ∑
j∈M
b j
in dem Sinn, dass die linke Seite unbedingt konvergiert, wenn die Summen rechts es tun;
vgl. Fakta 5.4.3.
5.30 Zeigen Sie, dass die Ausdrucke
∑
( j,k)∈N≥2×N≥2
1
jkund
∞∑
n=2
( ∞∑
m=2
1
mn
)
unbedingt konvergieren und berechnen Sie den jeweiligen Grenzwert. Ist die erste Summe
auch unbedingt konvergent, wenn man uber N × N summiert?
5.31 Betrachten Sie nichtleere Mengen M, M1, M2 , ∅ mit M = M1∪M2. Zeigen Sie, dass∑j∈M a j genau dann unbedingt konvergiert, wenn
∑j∈M1
a j und∑
j∈M2a j beide unbedingt
konvergieren. Zeigen Sie auch, dass dann∑
i∈{1,2}∑
j∈Mia j =
∑j∈M a j.
Anmerkung: Das Ergebnis widerspricht nicht der Tatsache, dass sich Proposition 5.4.8 nicht
umkehren lasst, da hier die Menge I = {1, 2} als endliche Menge von spezieller Gestalt ist.
5.32 Man zeige mit Hilfe der Resultate uber die Multiplikation von absolut konvergenten Reihen,
dass fur |z| < 1∞∑
n=0
(n + 1)zn = (1 − z)−2 .
5.33 Fur α ∈ R sei(α
0
)= 1, und fur k ∈ N sei
(α
k
):=
α(α − 1) · · · (α − k + 1)
k!.
Man zeige, dass die Reihe (|z| < 1)
B(z, α) =
∞∑
k=0
(α
k
)zk
konvergiert. Wie ist das Konvergenzverhalten, wenn |z| > 1?
Hinweis: Unterscheiden Sie α ∈ N ∪ {0} und α < N ∪ {0}, und betrachten Sie fur die letzte
Frage jeweils die Folge der Summanden. Ist diese eine Nullfolge?
5.34 Man verwende (α + β
k
)=
k∑
j=0
(α
j
)(β
k − j
), (5.29)
um zu zeigen, dass die obige Reihe (|z| < 1) der Gleichung
B(z, α)B(z, β) = B(z, α + β)
genugt.
Anmerkung: Um (5.29) nachzuweisen, zeigt man diese Gleichung zunachst fur α, β ∈ Nund k = 0, . . . , α + β.
Dazu betrachte man das Polynom∑α+β
k=0bk xk = (1 + x)α(1 + x)β − (1 + x)α+β, welches kla-
rerweise identisch gleich Null fur alle x ∈ R ist. Somit mussen auch alle Koeffizienten bk
verschwinden.
5.6. UBUNGSBEISPIELE 149
Multipliziert man dieses Polynom mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes aus, so erhalt man
0 = bk =
k∑
j=0
(α
j
)(β
k − j
)−
(α + β
k
).
Fur α, β ∈ N und k ∈ Z \ {0, . . . , α + β} sind beide Seiten von (5.29) Null.
Nun sei
F(α, β) =
(α + β
k
)−
k∑
j=0
(α
j
)(β
k − j
).
Man halte α ∈ N fest, und betrachte das Polynom F(α, x), welches einen Grad kleiner
oder gleich k hat. Weiters wissen wir, dass dieses Polynom Nullstellen bei x = 1, 2, 3, . . .
hat, denn fur α, β ∈ N haben wir (5.29) schon gezeigt. Nun kann ein Polynom, das nicht
das Nullpolynom ist, hochstens Grad viele Nullstellen haben. Also ist F(α, x) = 0 fur alle
x ∈ R.
Nun halte man β ∈ R fest, und schließe wie eben von F(x, β) = 0 fur x = 1, 2, 3, . . . auf
F(x, β) = 0 fur alle x ∈ R. Also gilt (5.29).
5.35 Zeigen Sie fur z ∈ C, |z| < 1, dass B(z, α) = (1 + z)α, zuerst fur α ∈ N ∪ {0} und dann auch
fur α ∈ −N.
Fur x ∈ R, |x| < 1 zeige man B(x, α) = (1 + x)α auch fur α = 1p, p ∈ N, und schließlich fur
α ∈ Q.
Anmerkung: Dies Resultat legt nahe Ausdrucke wie wα fur w ∈ UC1
(1) und α ∈ R durch
B(w − 1, α) zu definieren.
5.36 Sei f (r) = ar , wobei a > 0 eine feste reelle Zahl ist. Man zeige, dass limr→0 f (r) = 1.
Hinweis: Nehmen Sie zunachst an, dass a ≥ 1. Zeigen Sie, dass es zu ǫ > 0 ein n ∈ N gibt,
sodass |a ±1n − 1| < ǫ. Verwenden Sie dann die Monotonie von r 7→ ar .
5.37 Man bestimme limx→+∞√
x(√
x + 1 −√
x) und limx→0x2
|x|+x2 . Weiters zeige man
limx→ξxk−ξk
x−ξ = kξk−1 fur feste ξ ∈ R und k ∈ N.
5.38 Berechnen Sie
limx→+∞
p(x)
q(x)
fur reelle Polynome p(x) = an xn + · · · + a0, q(x) = bm xm + · · · + b0.
5.39 Seien f : (0,+∞) → Y und g : (0, 1) → Y mit einem metrischen Raum 〈Y, d〉. Es gelte
limt→+∞ f (t) = y1 und limt→0+ g(t) = y2. Mann zeige, dass dann limt→+∞ f (t4) = y1 und
limt→0+ g(t2) = y2.
150 KAPITEL 5. TOPOLOGIE METRISCHER RAUME
Kapitel 6
Reelle und komplexe
Funktionen
6.1 Stetigkeit
Sei f eine Funktion und sei x ein Punkt ihres Definitionsbereiches. Sagen wir, dass
diese Funktion stetig an der Stelle x ist, so verstehen wir darunter anschaulich, dass der
Funktionswert f (t) sich beliebig wenig von f (x) unterscheidet, wenn nur t hinreichend
nahe bei x ist. Wir sehen, dass man diesem Begriff Sinn geben kann, wenn man ver-
langt, dass Definitionsbereich und Wertebereich der betrachteten Funktion metrische
Raume sind.
6.1.1 Definition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume und D ⊆ X, und sei f :
D → Y eine Funktion. Weiters sei x ∈ D. Dann heißt f stetig an der Stelle x, wenn gilt
∀ǫ > 0∃δ > 0 : dY ( f (t), f (x)) < ǫ wenn t ∈ D mit dX(t, x) < δ ,
oder aquivalent
∀ǫ > 0∃δ > 0 : f (UXδ (x) ∩ D) ⊆ UY
ǫ ( f (x)) ,
Ist f an jeder Stelle x ihres Definitionsbereiches D stetig, so heißt f stetig auf D. Die
Menge aller stetigen Funktionen von X nach Y wird mit C(X, Y) bezeichnet.
6.1.2 Beispiel.
Sei f : X → Y eine konstante Funktion, d.h. f (x) := y0, x ∈ X. Dann ist f stetig,
denn ist x ∈ X und ǫ > 0, so wahle etwa δ = 1. Fur alle t ∈ X mit dX(t, x) < δ gilt
sicher
dY( f (t), f (x)) = dY(y0, y0) = 0 < ǫ .
Die identische Abbildung, f (x) := idX(x) = x, x ∈ X, ist stetig. Um das einzuse-
hen seien x ∈ X und ǫ > 0 gegeben. Mit δ = ǫ folgt fur alle t ∈ X, dX(t, x) < δ,
dass
dX( f (t), f (x)) = dX(t, x) < δ = ǫ .
Allgemeiner gilt, dass jede isometrische Abbildung 1 f : X → Y stetig ist, da zu
x ∈ X und ǫ > 0 mit δ = ǫ wieder fur alle t ∈ X, dX(t, x) < δ
dY ( f (t), f (x)) = dX(t, x) < δ = ǫ .
1Isometrisch bedeutet dY ( f (x), f (y)) = dX (x, y).
151
152 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
f (x)
x
f (x) + ǫ
f (x) − ǫ
x − δ x + δ
Abbildung 6.1: ǫ-δ-Kriterium fur f : I (⊆ R)→ R
Die Einbettungsabbildungen ιy
j: R → Rp fur j = 1, . . . , p und fur y ∈ Rp
definiert durch
ξ 7→ (0, . . . , ξ − y j︸︷︷︸j−te Stelle
, 0 . . . , 0) + y
sind isometrisch und daher stetig, wenn man R und Rp mit d2 versieht. Insbeson-
dere sind die Abbildungen ι1 : R → C, x 7→ x + i0 und ι2 : R → C, y 7→ 0 + iy
stetig.
Die Abbildung z 7→ z als Funktion auf C ist isometrisch und daher stetig.
Sei f : C → R die Funktion z 7→ |z|. Dann ist f stetig. Denn bei gegebenen
z ∈ C und ǫ > 0 wahle δ := ǫ. Fur alle w ∈ C mit |w − z| < δ gilt wegen der
Dreiecksungleichung nach unten
| f (w) − f (z)| =∣∣∣|w| − |z|
∣∣∣ ≤ |w − z| < δ = ǫ .
Sei π j : Rp → R, j = 1, . . . , p, die Funktion x = (xi)p
i=17→ x j. Diese ist
uberall stetig, denn bei gegebenen (xi)p
i=1∈ Rp und ǫ > 0 wahle δ = ǫ. Fur alle
(ti)p
i=1∈ Rp mit d2((xi)
p
i=1, (ti)
p
i=1) < δ gilt
|x j − t j| ≤ d2((xi)p
i=1, (ti)
p
i=1) < ǫ.
Genauso zeigt man, dass auch die Abbildungen π j : Cp → C, j = 1, . . . , p,
definiert durch z = (zi)p
i=17→ z j stetig sind, wobei Cp und Cmit d2 versehen sind;
vgl. Beispiel 3.1.5, (iii).
Sei f : R → R die Funktion f (x) := [x]. Dabei bezeichnet [x] wieder die
Gaußklammer. Diese Funktion ist stetig an jeder Stelle x ∈ R \ Z, und nicht
stetig an jeder Stelle x ∈ Z:
Ist x ∈ R \ Z, und ist ǫ > 0 gegeben, so wahle δ > 0, sodass das Intervall
(x − δ, x+ δ) keine ganze Zahl enthalt. Dann ist f auf (x− δ, x+ δ) konstant, und
somit gilt
| f (t) − f (x)| = 0 < ǫ, falls |t − x| < δ .
Ist dagegen x ∈ Z, so enthalt das Intervall (x − δ, x + δ) fur jedes δ > 0 sowohl
Zahlen t, die großer als x sind, als auch Zahlen t, die kleiner als x sind. Nun ist
6.1. STETIGKEIT 153
aber fur t− < x sicher f (t−) < f (x) und – da ja beide Werte ganze Zahlen sind –
| f (t−) − f (x)| ≥ 1. Wir konnen also fur kein ǫ mit 0 < ǫ ≤ 1 ein δ finden, das der
geforderten Bedingung genugt.
6.1.3 Fakta. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉metrische Raume, x ∈ D ⊆ X, und sei f : D→ Y
eine Funktion.
1. Unmittelbar aus der Definition der Stetigkeit folgt, dass die Stetigkeit bei x eine
lokale Eigenschaft ist, d.h. f ist bei x stetig genau dann, wenn es ein ρ > 0 gibt,
sodass f |Uρ(x)∩D stetig bei x ist.
2. Ist x ein isolierter Punkt von D, dann ist f immer stetig bei x. Ist namlich δ > 0
so, dass Uδ(x)∩D = {x}, so folgt f (Uδ(x)∩D) = { f (x)} ⊆ Uǫ( f (x)) fur beliebiges
ǫ > 0.
3. Ist f : D → Y stetig auf D, so sicherlich auch f |C auf jeder Teilmenge C ⊆ D.
Also sind Einschrankungen stetiger Abbildungen wieder stetig.
Nun wollen wir die Stetigkeit an einer Stelle mit Hilfe verschiedener Grenzwertbe-
griffe charakterisieren.
6.1.4 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉metrische Raume, D ⊆ X, und sei f : D→Y eine Funktion. Ist x ∈ D ein fester Punkt, dann sind aquivalent:
(i) f ist stetig an der Stelle x.
(ii) Ist x kein isolierter Punkt, so gilt limt→x f (t) = f (x), wobei wir diesen Limes
verstehen als Limes des Netzes ( f (t))t∈D\{x}, wo D \ {x} mit der Relation
t � u :⇐⇒ dX(u, x) ≤ dX(t, x)
zu einer gerichteten Menge wird, vgl. Definition 5.5.3.
(iii) Fur jede Folge (tn)n∈N aus D \ {x} mit limn→∞ tn = x gilt limn→∞ f (tn) = f (x).
(iv) Fur jede Folge (tn)n∈N aus D mit limn→∞ tn = x gilt limn→∞ f (tn) = f (x).
(v) Fur jedes Netz (ti)i∈I aus D mit limi∈I ti = x gilt limi∈I f (ti) = f (x).
Beweis.
(i) ⇐⇒ (ii): Im Falle, dass x ein isolierter Punkt von D ist, wissen wir schon, dass f
bei x stetig ist.
Sei also x nicht isolierter Punkt von D. Die Stetigkeit von f an der Stelle x
bedeutet nach Definition
∀ǫ > 0∃δ > 0 : dY( f (t), f (x)) < ǫ wenn t ∈ D mit dX(t, x) < δ .
Die Beziehung limt→x f (t) = f (x) bedeutet gemaß Definition 5.5.3,
∀ǫ > 0∃δ > 0 : dY( f (t), f (x)) < ǫ wenn t ∈ D \ {x} mit dX(t, x) < δ . (6.1)
Also sind diese beiden Aussagen aquivalent.
(ii) ⇐⇒ (iii): Das haben wir schon in Fakta 5.5.4 gesehen.
154 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
(v)⇒ (iv)⇒ (iii): (iv) ist Spezialfall von (v) und genauso (iii) von (iv).
(i)⇒ (v): Sei ǫ > 0, dann gibt es ein δ > 0 mit f (Uδ(x)) ⊆ Uǫ( f (x)). Sei nun i0 ∈ I mit
xi ∈ Uδ(x), i � i0. Fur diese i folgt f (xi) ∈ Uǫ( f (x)), und daraus die behauptete
Grenzwertbeziehung.
❑
Eine immer wieder verwendete Eigenschaft der Stetigkeit folgt unmittelbar aus
Proposition 6.1.4, (iv):
6.1.5 Korollar. Sind f , g : D → Y beide stetig und gilt f (x) = g(x) fur alle x in einer
Teilmenge E ⊆ D, so gilt auch f (x) = g(x) fur alle x ∈ c(E) ∩ D.
Insbesondere stimmen zwei stetige f und g auf D uberein, wenn sie das nur auf
einer dichten Teilmenge E von D tun.
Beweis. Zu x ∈ D ∩ c(E) gibt es eine Folge (xn)n∈N in E ⊆ D, sodass xn → x. Wegen
f (xn) = g(xn) und aus der Stetigkeit beider Funktionen folgt
f (x) = limn→∞
f (xn) = limn→∞
g(xn) = g(x).
❑
Viele stetige Funktionen lassen sich mit Hilfe des nachsten Lemmas als solche
identifizieren.
6.1.6 Lemma. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, D ⊆ X, E ⊆ Y und f :
D → Y und g : E → Z mit f (D) ⊆ E. Ist f bei x ∈ D und g bei f (x) stetig ist, so ist
g ◦ f : D→ Z bei x stetig.
Beweis. Zu ǫ > 0 gibt es wegen der Stetigkeit von g ein δ′ > 0, sodass g(Uδ′( f (x)) ∩E) ⊆ Uǫ (g( f (x))), und wegen der Stetigkeit von f ein δ > 0, sodass f (Uδ(x) ∩ D) ⊆Uδ′ ( f (x)). Setzt man das zusammen und beachtet, dass auch f (Uδ(x)∩D) ⊆ f (D) ⊆ E,
so erhalt man
(g ◦ f )(Uδ(x) ∩ D) ⊆ g(Uδ′( f (x)) ∩ E) ⊆ Uǫ(g( f (x))).
❑
6.1.7 Beispiel. Aus unseren Rechenregeln fur Folgen (Satz 3.3.5) folgern wir mit Hilfe
der Folgencharakterisierung der Stetigkeit (Proposition 6.1.4, (iv)), dass die algebrai-
schen Operationen
+ :
{R2 → R
(x, y) 7→ x + y− :
{R → Rx 7→ −x
· :{
R2 → R(x, y) 7→ x · y .−1 :
{R \ {0} → R \ {0}
x 7→ 1x
stetig sind. Genauso sind die algebraischen Operationen auf C stetig. Hier sind
R,R2,C,C2 alle mit der euklidischen Metrik d2 versehen, wobei C und C2 als me-
trische Raume mit R2 bzw. R4 indentifiziert werden; vgl Beispiel 3.1.5, (iii). 2.
2Diese Feststellung gilt fur den reellen Fall auch, wenn man d1 oder d∞ hernimmt; vgl. Proposition 3.6.1.
6.1. STETIGKEIT 155
6.1.8 Korollar. Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum, x ∈ D ⊆ X, λ ∈ R, und seien f , g :
D → R Funktionen.
� Dann ist die Abbildung t 7→ ( f (t), g(t)) von D nach R2 genau dann bei x stetig,
wenn f und g es sind.
� Sind f und g stetig bei x, so auch die Abbildungen
t 7→ λ · f (t), t 7→ f (t) + g(t), t 7→ f (t)g(t)
von D nach R.
� Ist f stetig bei x und gilt f (t) , 0, t ∈ D, so ist auch t 7→ 1f (t)
von D nach R bei
x stetig.
Die selben Aussagen sind wahr, wenn wir R durch C ersetzen.
Beweis. Fur eine beliebige Folge (xn)n∈N aus D mit limn→∞ xn = x gilt gemaß Proposi-
tion 3.6.1, dass limn→∞ f (xn) = f (x) gemeinsam mit limn→∞ g(xn) = g(x) genau dann,
wenn limn→∞( f (xn), g(xn)) = ( f (x), g(x)). Wegen Proposition 6.1.4, (iv), folgt daher
die erste Behauptung.
Fur bei x stetige f und g sind t 7→ f (t)+g(t), t 7→ f (t) ·g(t) und t 7→ 1f (t)
Zusammen-
setzungen von einer bei x stetigen und einer uberall stetigen Funktion. Zum Beispiel
ist t 7→ f (t)g(t) die Zusammensetzung von t 7→ ( f (t), g(t)) und (u, v) 7→ uv; siehe
Beispiel 6.1.7. Fur g(t) = λ ist das konstante g stetig. Also ist auch t 7→ λ · f (t) stetig.
❑
6.1.9 Bemerkung. Mit fast identer Argumentation sieht man, dass fur Abbildungen
f1, . . . , fp : D → R mit x ∈ D ⊆ X fur einen metrischen Raum X genau dann alle
diese Abbildungen stetig in x sind, wenn die Abbildung t 7→ ( f1(t), . . . , fp(t)) von D
nach Rp stetig in x ist. Diese Feststellung konnen wir auch so formulieren, dass eine
Abbildung φ : D → Rp genau dann stetig ist, wenn alle Abbildungen π j ◦ φ : D → Rfur j = 1, . . . , p stetig sind.
Entsprechendes gilt fur Abbildungen f1, . . . , fp : D→ C.
6.1.10 Beispiel.
Weil x 7→ x als Abbildung von R nach R stetig ist, folgt mit Korollar 6.1.8
nacheinander auch die Stetigkeit der Abbildungen x 7→ x · x, x 7→ x · x · x usw..
Also sind die Abbildungen x 7→ xm von R nach R fur jedes m ∈ N stetig genauso
wie die konstante Abbildung x 7→ x0 := 1.
Wieder mit einigen Anwendungen von Korollar 6.1.8 folgt, dass fur jedes Poly-
nom p mit reellen Koeffizienten an, . . . , a0 ∈ R die Abbildung
x 7→ p(x) = anxn + · · · + a0, R→ R
stetig ist. Fur zwei Polynome p und q mit reellen Koeffizienten betrachten wir
die rationale Funktion f : D → R definiert durch f (x) =p(x)
q(x)mit D = {x ∈
156 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
R : q(x) , 0}. Wegen Fakta 6.1.3, 3, sind p|D und q|D stetig und wegen Korollar
6.1.8 auch 3 f .
Fur ein Polynom p mit komplexen Koeffizienten an, . . . , a0 ∈ C konnen wir auch
die Abbildung z 7→ anzn+ · · ·+a0 = p(z) als Abbildung vonC nachC betrachten.
Man zeigt wie im vorherigen Beispiel, dass auch diese Abbildung stetig ist.
Fur zwei Polynome p und q mit komplexen Koeffizienten ist auch die rationale
Funktion f : D → C definiert durch f (z) =p(z)
q(z)mit D = {z ∈ C : q(z) , 0}
stetig.
Fur zwei Polynome p und q mit komplexen Koeffizienten sind auch die Funktio-
nen x 7→ p(x) und x 7→ q(x) als Abbildungen von R nach C sowie x 7→ p(x)
q(x)als
Abbildungen von {x ∈ R : q(x) , 0} von R nach C stetig, denn sie lassen sich
schreiben als Zusammensetzung der stetigen Abbildung ι1 : x 7→ x + i0 und der
entsprechenden Funktion aus dem letzten Punkt.
Da fur ein lineares Funktional f : Rp → R der Ausdruck f (x) als Linearkombi-
nation der Eintrage von x ∈ Rp geschrieben werden kann, folgt leicht mit Hilfe
von Proposition 6.1.4, (iv), dass ein jedes solches f stetig ist.
Daraus und mit Hilfe von Bemerkung 6.1.9 sieht man allgemeiner, dass auch alle
linearen Abbildungen A : Rp → Rq stetig sind. Entsprechendes gilt fur C-lineare
Abbildungen A : Cp → Cq.
Aus dem letzten Beispiel oder direkt mit Hilfe von Proposition 6.1.4, (iv), zusam-
men mit Bemerkung 6.1.9 erkennt man auch, dass (x, y) 7→ x + y als Abbildung
von R2p� Rp ×Rp nach Rp sowie (λ, x) 7→ λx als Abbildung von Rp+1
� R×Rp
nach Rp stetig sind. Entsprechendes gilt im komplexen Fall.
6.1.11 Beispiel. Ist D ⊆ Rp, Y ein metrischer Raum und f : D→ Y stetig, so folgt aus
Beispiel 6.1.2, Fakta 6.1.3, 3 und Lemma 6.1.6 fur alle j = 1, . . . , p und alle y ∈ Rp die
Stetigkeit von f ◦ ιyj
: {t ∈ R : ιy
j(t) ∈ D} → Y.
Umgekehrt kann man aber nicht von der Stetigkeit aller f ◦ ιyjauf die von f schlie-
ßen, wie die Funktion f : R2 → R definiert durch
f (ξ, η) :=
ξη
ξ2+η2 , (ξ, η) , (0, 0)
0 , (ξ, η) = (0, 0)
zeigt. Diese Funktion ist bei (0, 0) nicht stetig, da etwa f ( 1n, 1
n) = 1
2fur alle n ∈ N.
Die folgende mengentheoretisch orientierte Charakterisierung der Stetigkeit einer
Funktion spielt eine wichtige Rolle. Man beachte, dass dabei fur die Funktion f der
Definitionsbereich gleich dem ganzen metrischen Raum X ist.
6.1.12 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, und sei f : X → Y
eine Funktion. Dann sind aquivalent:
3Wem diese Tatsache trivial vorkommt, der versuche”zu Fuß“, d.h. durch explizite Angabe einer Zahl δ
zu vorgegebenen ǫ und x, zu uberprufen, dass etwa die Funktion f (x) = x3+x+1
x2+1auf ihrem Definitionsbereich
R stetig ist.
6.1. STETIGKEIT 157
(i) f ist stetig.
(ii) Fur jede in 〈Y, dY〉 offene Teilmenge B von Y ist f −1(B) = {x ∈ X : f (x) ∈ B}offen in 〈X, dX〉.
(iii) Fur jede in 〈Y, dY〉 abgeschlossene Teilmenge F von Y ist das Urbild f −1(F) =
{x ∈ X : f (x) ∈ F} abgeschlossen in 〈X, dX〉.
Beweis.
(i)⇒ (ii): Sei B ⊆ Y offen, und sei x ∈ f −1(B). Da B offen ist und f (x) ∈ B, folgt
Uǫ( f (x)) ⊆ B fur ein ǫ > 0. Wegen der Stetigkeit existiert δ > 0 mit f (Uδ(x)) ⊆Uǫ( f (x)) ⊆ B, d.h. mit Uδ(x) ⊆ f −1(B). Also enthalt f −1(B) mit jedem Punkt
eine ganze δ-Kugel, d.h. f −1(B) ist offen.
(ii)⇒ (i): Sei ǫ > 0 und x ∈ X gegeben. Die Menge Uǫ( f (x)) ist offen, also ist
auch f −1(Uǫ( f (x))) offen. Wegen x ∈ f −1(Uǫ( f (x))) existiert ein δ > 0, sodass
Uδ(x) ⊆ f −1(Uǫ( f (x))). Das heißt aber gerade f (Uδ(x)) ⊆ Uǫ( f (x)).
(ii)⇔ (iii): Das folgt sofort aus Proposition 5.1.15 und der Tatsache, dass f −1(Mc) =
f −1(M)c.
❑
6.1.13 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, und sei f : D → Y
eine stetige Funktion. Ist K ⊆ D kompakt, so ist auch f (K) ⊆ Y kompakt und damit
auch beschrankt.
Beweis. Sei (yn)n∈N eine Folge in f (K), und sei xn ∈ K, sodass f (xn) = yn. Wegen der
Kompaktheit von K gibt es eine gegen ein x ∈ K konvergente Teilfolge (xn(k))k∈N von
(xn)n∈N. Aus der Stetigkeit folgt
f (x) = limk→∞
f (xn(k)) = limk→∞
yn(k).
Also hat (yn)n∈N eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert aus f (K). Also ist f (K)
kompakt und wegen Proposition 5.2.8 beschrankt.
❑
6.1.14 Korollar. Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum, D ⊆ X, f : D → R stetig, und
sei K ⊆ D kompakt. Dann ist f auf K beschrankt und nimmt ein Maximum und ein
Minimum an, d.h. es gibt Punkte xmax, xmin ∈ K mit
f (xmax) = maxx∈K
f (x), f (xmin) = minx∈K
f (x) .
Insbesondere nimmt jede auf einem reellen Intervall [a, b] definierte und stetige reell-
wertige Funktion ein Maximum und ein Minimum an.
Beweis. Nach Proposition 6.1.13 ist f (K) ⊆ R kompakt, und wegen Propo-
sition 5.2.8 damit beschrankt und abgeschlossen. Wegen Beispiel 5.1.14 ist
sup f (K) = max f (K) = f (xmax) fur ein xmax ∈ K. Entsprechend zeigt man die
Aussage fur das Minimum.
❑
158 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
6.1.15 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume und D ⊆ X kompakt.
Ist f : D→ Y stetig und injektiv, so ist es auch f −1 : ran( f )→ D ⊆ X.
Beweis. Sei (yn)n∈N eine Folge in ran f mit yn → y, und setze xn = f −1(yn), n ∈N. Wegen der Kompaktheit von D hat jede beliebige Teilfolge (xn(m))m∈N von (xn)n∈Nihrerseits eine Teilfolge (xn(m(l)))l∈N mit xn(m(l)) → x, l→ ∞ fur ein x in D.
Aus der Stetigkeit folgt yn(m(l)) = f (xn(m(l))) → f (x) fur l → ∞. Da (yn(m(l)))l∈N als
Teilfolge auch gegen y konvergiert, folgt f (x) = y und mit der Injektivitat x = f −1(y).
Gemaß Lemma 5.2.11 konvergiert daher ( f −1(yn))n∈N gegen f −1(y). Also ist f −1 in y
stetig.
❑
6.1.16 Beispiel. Sei n ∈ N. Fur ein festes c > 0 sei f : [0, c] → R definiert durch die
Vorschrift f (t) = tn. Wegen Beispiel 6.1.10 und Fakta 6.1.3, 3, ist f stetig. Zudem gilt
f ([0, c]) = [0, cn], vgl. Bemerkung 2.9.7.
Die Umkehrfunktion f −1 : [0, cn] → [0, c] ⊆ R, t 7→ n√
t, ist gemaß Proposition
6.1.15 stetig. Wegen cn → +∞ fur c→ +∞ und da die Stetigkeit wegen Fakta 6.1.3, 1,
eine lokale Eigenschaft ist, folgt sogar die Stetigkeit von n√. : [0,+∞)→ R.
Die Stetigkeit der Wurzelfunktion kann man auch mit Hilfe von Satz 3.3.5, (vii),
leicht zeigen.
6.2 Der Zwischenwertsatz
Sei I ⊆ R ein Intervall. Die Anschauung von Stetigkeit legt nahe, dass mit I auch f (I)
ein Intervall ist.
6.2.1 Bemerkung. Man uberlegt sich leicht, dass I ⊆ R genau dann ein Intervall ist,
d.h. genau dann eine der Formen (a, b ∈ R, a < b,)
∅, (a, b), [a, b], [a, a], (a, b], [a, b), (a,+∞), (−∞, a), [a,+∞), (−∞, a],R ,
hat, wenn fur I gilt
∀x, y ∈ I, x < y⇒ [x, y] ⊆ I .
Um zu rechtfertigen, dass f (I) wieder ein Intervall ist, werden wir eine weitere
charakteristische Eigenschaft von Intervallen herleiten.
6.2.2 Definition. Dazu nennen wir eine Teilmenge E eines metrischen Raumes zusam-
menhangend, wenn man E nicht als Vereinigung zweier nichtleerer getrennter Mengen
schreiben kann. Dabei heißen A und B getrennt, wenn c(A) ∩ B = A ∩ c(B) = ∅.
6.2.3 Proposition. Sei I ⊆ R. Dann ist I genau dann ein Intervall, wenn I zusam-
menhangend ist.
Beweis. Im Falle, dass I nur ein oder gar kein Element enthalt – also I = {x} oder
I = ∅ –, erkennt man sofort mit Bemerkung 6.2.1 und Definition 6.2.2, dass I ein
Intervall und I auch zusammenhangend ist. Wir konnen also fur den Rest des Beweises
annehmen, dass I zumindest zwei verschiedene Elemente enthalt.
Angenommen es existieren x, y ∈ I, x < y, sodass [x, y] * I. Wahle z ∈ [x, y] \ I
und setze
A := (−∞, z] ∩ I, B := [z,+∞) ∩ I .
6.2. DER ZWISCHENWERTSATZ 159
Dann sind A und B disjunkt, und jeder Haufungspunkt t von A ist in (−∞, z], da diese
Menge ja abgeschlossen ist. Wegen z < I folgt z < B und damit c(A) ∩ B = ∅. Genauso
sieht man A ∩ c(B) = ∅. Also ist I nicht zusammenhangend.
Sei umgekehrt I nicht zusammenhangend. Dann konnen wir I als A ∪ B mit nicht-
leeren A, B schreiben, wobei c(A) ∩ B = A ∩ c(B) = ∅. Wahle x ∈ A und y ∈ B, und sei
o.B.d.A. angenommen, dass x < y.
Man betrachte t = sup(A ∩ [x, y]). Insbesondere ist x ≤ t ≤ y. Weiters folgt aus
t ∈ c(A ∩ [x, y]) ⊆ c(A) (siehe Beispiel 3.3.4), dass t < B, und somit x ≤ t < y.
Wir wollen nun [x, y] * I zeigen, was im Fall t < A, sofort aus t ∈ [x, y] \ (A∪ B) =
[x, y] \ I folgt.
Im Fall t ∈ A folgt aus t < c(B) die Existenz einer ǫ-Kugel (t − ǫ, t + ǫ), sodass
(t − ǫ, t + ǫ) ∩ B = ∅ .
Also ist t + ǫ2< B, und weil y ∈ B, gilt x < t + ǫ
2< t + ǫ ≤ y bzw. t + ǫ
2∈ (x, y). Wegen
t = sup(A∩[x, y]) kann t+ ǫ2
aber nicht in A liegen. Also t+ ǫ2∈ [x, y]\(A∪B) = [x, y]\ I
und daher [x, y] * I.
❑
6.2.4 Proposition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉metrische Raume, D ⊆ X, und sei f : D→Y eine stetige Funktion. Ist E ⊆ D zusammenhangend, so auch f (E).
Beweis. Angenommen f (E) ware nicht zusammenhangend. Dann gilt f (E) = A∪B mit
A, B , ∅ und c(A)∩B = A∩c(B) = ∅. Fur die nichtleeren Mengen E∩ f −1(A), E∩ f −1(B)
folgt
E =(E ∩ f −1(A)
) ∪ (E ∩ f −1(B)
),
(E ∩ f −1(A)
) ∩ (E ∩ f −1(B)
)= ∅ .
Zu jedem x ∈ c(E ∩ f −1(A)
) ∩ E ∩ f −1(B) gibt es wegen Lemma 5.1.13 eine gegen
x konvergente Folge (xn)n∈N aus E ∩ f −1(A). Es folgt limn→∞ f (xn) = f (x), und somit
f (x) ∈ c(f (E ∩ f −1(A))
) ⊆ c(A). Andererseits ist f (x) ∈ f(E ∩ f −1(B)
) ⊆ B im
Widerspruch zu c(A) ∩ B = ∅.Also kann nur c
(E ∩ f −1(A)
) ∩ E ∩ f −1(B) = ∅. Entsprechend gilt
c(E ∩ f −1(B)
) ∩ E ∩ f −1(A) = ∅, und E ware somit nicht zusammenhangend,
was unserer Annahme widerspricht.
❑
6.2.5 Beispiel. Wir werden spater sehen, dass die Einheitskreislinie T = {z ∈ C :
|z| = 1} als das Bild von [0, 2π) unter der stetigen Abbildung x 7→ exp(ix) geschrieben
werden kann. Nach Proposition 6.2.4 identifizieren wir damit T als zusammenhangend.
6.2.6 Korollar (Zwischenwertsatz). Sei I ⊆ D ein Intervall und f : I → R stetig. Dann
ist auch f (I) ein Intervall. Ist insbesondere c ∈ R mit
(−∞ ≤) inf f (I) < c < sup f (I) (≤ +∞) ,
so existiert ein Punkt x ∈ I mit f (x) = c.
Insbesondere gilt: Ist f stetig auf [a, b] und c eine Zahl zwischen f (a) und f (b), dh.
f (a) < c < f (b) oder f (b) < c < f (a), so existiert ein Punkt x ∈ (a, b) mit f (x) = c.
160 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
Beweis. Mit I ist nach Proposition 6.2.4 auch f (I) ⊆ R zusammenhangend,
und somit nach Proposition 6.2.3 ein Intervall. Wahlt man α, β ∈ f (I) mit
infx∈I f (x) < α < c < β < supx∈I f (x), dann enthalt f (I) das ganze Intervall
[α, β] (siehe Bemerkung 6.2.1). Also gibt es ein x ∈ I mit f (x) = c.
❑
I
inf f (I)
f (I)
sup f (I)
f (x) = c
x
Abbildung 6.2: Veranschaulichung des Zwischenwertsatzes
6.2.7 Beispiel. Die Funktion f : [0,+∞) → R definiert durch f (t) = tn fur ein festes
n ∈ N ist stetig. In Bemerkung 2.9.7 hatten wir in Folge der Existenz von n-ten Wurzeln
– vgl. Satz 2.9.5 – schon festgestellt, dass f ([0,+∞)) = [0,+∞).
Ohne Satz 2.9.5 zu verwenden, konnen wir das auch aus Korollar 6.2.6 herleiten.
In der Tat folgt aus Korollar 6.2.6, dass f ([0,+∞)) ein Intervall ist. Wegen f (t) ≥ 0
fur t ∈ [0,+∞) folgt f ([0,+∞)) ⊆ [0,+∞). Aus limt→∞ f (t) = +∞ schließen wir, dass
das Intervall f ([0,+∞)) beliebig große Zahlen enthalt, also nicht beschrankt sein kann.
Zusammen mit f (0) = 0 folgt daraus, dass f ([0,+∞)) nur von der Form [0,+∞) sein
kann.
Da f streng monoton wachsend und somit f : [0,+∞)→ [0,+∞) bijektiv ist, folgt
somit auch ohne Satz 2.9.5, dass tn = x fur jedes reelle x ≥ 0 eine eindeutige Losung
in [0,+∞) hat – also dass es eindeutige n-te Wurzeln von Zahl aus [0,+∞) in [0,+∞)
gibt.
6.3 Gleichmaßige Stetigkeit
Die Definition der Stetigkeit einer Funktion f : D → Y lautet, in logischen Formeln
angeschrieben,
∀x ∈ D∀ǫ > 0∃δ > 0 : ∀t ∈ D : dX(t, x) < δ⇒ dY ( f (t), f (x)) < ǫ . (6.2)
Die Zahl δ, die es zu jedem ǫ geben muss, hangt im Allgemeinen nicht nur von ǫ,
sondern auch von der Stelle x ab.
6.3. GLEICHMASSIGE STETIGKEIT 161
6.3.1 Beispiel. Betrachte die Funktion f (x) = x−1 : R+ → R+. Ist x ∈ R+ und ǫ > 0
gegeben, so berechnet man:
1
x− 1
x + δ=
δ
(x + δ)x.
Damit dieser Ausdruck ≤ ǫ ist, darf δ hochstens ǫx2
1−ǫxsein. Man sieht, dass diese
großtmogliche Wahl von δ immer kleiner wird, je kleiner x wird, und tatsachlich fur
x → 0 ebenfalls gegen 0 strebt. Man kann in diesem Beispiel also tatsachlich zu gege-
benem ǫ kein δ finden, das von x unabhangig ist.
Sollte eine Funktion nun so beschaffen sein, dass dieses Phanomen nicht auftritt,
sollte also zu gegebenem ǫ stets ein δ existieren, welches fur alle x funktioniert, so
nennt man die Funktion gleichmaßig stetig.
6.3.2 Definition. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, und sei f : D → Y eine
Funktion. Dann heißt f gleichmaßig stetig, wenn gilt
∀ǫ > 0∃δ > 0∀x, t ∈ D : dX(t, x) < δ⇒ dY( f (t), f (x)) < ǫ .
Vergleicht man diese Definition mit der Formel (6.2), so sieht man, dass man hier
den Allquantor ∀x ∈ D und den Existenzquantor ∃δ > 0 vertauscht hat. Dies wird also
nicht den gleichen, sondern einen starkeren Begriff liefern.
Ist f gleichmaßig stetig, so ist f auch stetig. Wie wir am obigen Beispiel sehen, gilt
die Umkehrung nicht. Interessant in diesem Zusammenhang ist nun der folgende Satz:
6.3.3 Satz. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume und D ⊆ X kompakt. Dann ist
jede stetige Funktion f : D→ Y sogar gleichmaßig stetig.
Beweis. Nehme man das Gegenteil an. Dann gibt es ein ǫ > 0, sodass es fur alle n ∈ NPunkte xn, yn ∈ D gibt, sodass dX(xn, yn) < 1
nund dY( f (xn), f (yn)) ≥ ǫ.
Die Folgen (xn)n∈N (yn)n∈N haben wegen der Kompaktheit von D Haufungspunkte
x bzw. y. Somit gilt
x = limk→∞
xn(k), y = limk→∞
yn(k)
fur Teilfolgen (xn(k))k∈N und (yn(k))k∈N. Aus dX(xn(k), yn(k)) < 1n(k)
folgt mit Lemma
3.2.10, dass
dX(x, y) = limk→∞
dX(xn(k), yn(k)) = 0 ,
also x = y und somit f (x) = f (y). Andererseits folgt aus der Stetigkeit zusammen mit
Lemma 3.3.1 der offensichtliche Widerspruch
dY ( f (x), f (y)) = dY ( limk→∞
f (xn(k)), limk→∞
f (yn(k))) = limk→∞
dY( f (xn(k)), f (yn(k))) ≥ ǫ .
❑
6.3.4 Beispiel. Fur nicht kompaktes E ⊆ R gilt:
(i) Es gibt eine auf E stetige Funktion, die nicht beschrankt ist.
(ii) Es gibt eine auf E stetige und beschrankte Funktion, die kein Maximum hat.
(iii) Ist E beschrankt, so gibt es eine auf E stetige, aber nicht gleichmaßig stetige
Funktion.
162 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
Wir betrachten zuerst den Fall, dass E einen Haufungspunkt x0 hat, der nicht zu E
gehort (dieser Fall tritt sicher immer dann ein, wenn E beschrankt ist, denn dann wurde
aus abgeschlossen kompakt folgen). Die Funktion x 7→ 1x−x0
ist stetig auf E, aber nicht
beschrankt. Sie ist auch nicht gleichmaßig stetig. Die Funktion f (x) = 11+(x−x0)2 ist
stetig auf E und beschrankt (0 < f (x) < 1). Offenbar gilt limx→x0f (x0) = 1, also
supx∈E f (x) = 1.
Betrachte nun den Fall, dass E nicht beschrankt ist. (i) folgt mit f (x) = x, (ii) mit
f (x) = x2
1+x2 .
In (iii) kann man die Forderung, dass E beschrankt ist, nicht ganz weglassen. Zum
Beispiel betrachte E = Z. Dann ist jede Funktion auf E gleichmaßig stetig, denn man
kann stets irgendein δ < 1 wahlen, z.B. also δ = 12).
6.3.5 Satz (*). Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume, wobei 〈Y, dY〉 sogar
vollstandig ist. Weiters sei D ⊆ X und f : D→ Y gleichmaßig stetig.
Dann existiert eine eindeutige gleichmaßig stetige Fortsetzung F : c(D)→ Y.
Beweis.
Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge von Punkten aus D. Zu ǫ > 0 wahle δ > 0 so, dass
dY
(f (y), f (z)
)< ǫ fur dX(y, z) < δ . (6.3)
Weiters wahle N ∈ N so, dass dX(xn, xm) < δ fur alle n,m ≥ N. Dann folgt
dY
(f (xn), f (xm)
)< ǫ, n,m ≥ N,
d.h. ( f (xn))n∈N ist eine Cauchy-Folge in Y. Somit existiert der Limes
limn→∞ f (xn).
Sei x ∈ X, und seien (xn)n∈N und (yn)n∈N zwei Folgen von Punkten in D mit
xn → x sowie yn → x. Ist ǫ > 0 gegeben und δ > 0 wie in (6.3), so wahle N ∈ Nmit
dX(xn, x) <δ
2, dX(yn, x) <
δ
2, n ≥ N.
Insbesondere gilt dX(xn, yn) ≤ dX(xn, x) + dX(yn, x) < δ fur alle n ≥ N. Es folgt
dY ( f (xn), f (yn)) < ǫ, n ≥ N, und daher
dY
(limn→∞
f (xn), limn→∞
f (yn)) ≤ ǫ.
Da ǫ > 0 beliebig war, folgt limn→∞ f (xn) = limn→∞ f (yn).
Zu jedem x ∈ c(D) gibt es definitionsgemaß eine Folge (xn)n∈N mit xn → x.
Definiere
F(x) := limn→∞
f (xn).
Wegen der obigen Punkte ist F eine wohldefinierte Funktion von X nach Y.
Ist x ∈ D, so betrachte die konstante Folge xn := x. Dann gilt sicher xn → x und
f (xn)→ f (x), also F(x) = f (x). Somit ist F eine Fortsetzung von f .
Es bleibt zu zeigen, dass F gleichmaßig stetig ist. Sei dazu ǫ > 0 gegeben. Wahle
δ > 0 so, dass dY ( f (x), f (y)) < ǫ3
fur x, y ∈ D mit dX(x, y) < δ.
6.4. UNSTETIGKEITSSTELLEN 163
Seien nun x, y ∈ c(D) mit dX(x, y) < δ3. Wahle xn, yn ∈ D mit xn → x, yn → y
und N ∈ N mit
dX(xn, x) <δ
3, dX(yn, y) <
δ
3, dY (F(x), f (xn)) <
ǫ
3, dY(F(y), f (yn)) <
ǫ
3, n ≥ N .
Dann gilt dX(xn, yn) < δ und daher dY ( f (xn), f (yn)) < ǫ3. Somit erhalten wir
dY(F(x), F(y)) < ǫ.
Die Eindeutigkeit folgt sofort aus Korollar 6.1.5.
❑
6.4 Unstetigkeitsstellen
Sei 〈Y, dY〉 ein metrischer Raum, und sei f : (a, b)→ Y mit a, b ∈ R, a < b. Weiters sei
x ∈ (a, b).
f ist gemaß Proposition 6.1.4 genau dann bei x stetig, wenn f (x) = limt→x f (t).
In (5.28) haben wir gesehen, dass f (x) = limt→x f (t) genau dann, wenn die Grenz-
werte f (x−) := limt→x− f (t) und f (x+) := limt→x+ f (t) existieren und beide mit f (x)
ubereinstimmen.
6.4.1 Bemerkung. Gilt zumindest f (x) = f (x−) ( f (x) = f (x+)), so spricht man von
Linksstetigkeit bzw. linksseitiger Stetigkeit (Rechtsstetigkeit bzw. rechtsseitiger Stetig-
keit) der Funktion f bei x. Klarerweise ist f bei x stetig, wenn f bei x sowohl links- als
auch rechtsstetig ist.
Ist f nicht stetig, so unterscheidet man folgende Falle.
6.4.2 Definition. Sei f unstetig bei x.
� Man sagt, f habe eine Unstetigkeit 1. Art bei x, falls f (x−) := limt→x− f (t) und
f (x+) := limt→x+ f (t) existieren, aber nicht beide gleich f (x) sind.
Fur Unstetigkeiten 1. Art gibt es zwei Moglichkeiten. Entweder f (x−) , f (x+),
in welchem Fall man von einer Sprungstelle spricht, oder f (x−) = f (x+) , f (x).
Dann spricht man von einer hebbaren Unstetigkeit.
� Liegt keine Unstetigkeit 1. Art vor, so spricht man von einer Unstetigkeit 2. Art.
Den Begriff”hebbar“hat man deswegen gewahlt, weil man dann f an der Stelle x
so abandern kann, dass die neue Funktion bei x stetig ist.
6.4.3 Beispiel.
Betrachte die Funktion
f (x) =
1 , falls x rational
0 , falls x irrational
Diese Funktion hat an jeder Stelle x eine Unstetigkeit 2.Art.
164 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
Sei
g(x) =
x , falls x rational
0 , falls x irrational
g ist stetig bei 0, hat aber an jeder Stelle x , 0 eine Unstetigkeit 2.Art. Es
gibt namlich eine Folge (rn)n∈N aus Q ∩ (x,+∞) und eine Folge (xn)n∈N aus
R \ Q ∩ (x,+∞), die beide gegen x konvergieren (vgl. Beispiel 3.3.4). Nun ist
aber f (xn) = 0 → 0 und f (rn) = rn → x fur n → ∞. Nach (5.28) kann so-
mit limt→x+ f (t) nicht existieren. Ahnlich zeigt man, dass auch limt→x− f (t) nicht
existiert.
Sei
0 1−1−2−3
2
1
−2
−1
h
h(x) =
x + 2 , falls x ∈ (−3,−2)
−x − 2 , falls x ∈ [−2, 0)
x + 2 , falls x ∈ [0, 1)
Dann ist h stetig auf (−3, 1) \ {0} und hat bei 0 eine Sprungstelle.
Wir setzen den Begriff der Sinusfunktion (aus der Schule) voraus. Sei
0 1π
f
f (x) =
sin 1
x, x > 0
0 , x ≤ 0
Dann ist f stetig auf R \ {0} und hat eine Unstetigkeit 2.Art bei 0.
Es konnen also im Allgemeinen alle moglichen Varianten von Unstetigkeiten auftreten.
Thematisch dazu passend wollen wir uns der Fortsetzbarkeit von stetigen Funktio-
nen auf um einen Punkt großere Mengen zuwenden.
6.4.4 Bemerkung. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 metrische Raume und D ⊆ X, und sei
f : D→ Y eine stetige Funktion. Sei weiters x ∈ X \ D.
Wir fragen uns, ob wir eine Fortsetzung f : D ∪ {x} → Y von f finden konnen, die
die Eigenschaft stetig zu sein beibehalt.
6.4. UNSTETIGKEITSSTELLEN 165
Wenn x kein Haufungspunkt von D ist, so sieht man leicht, dass x ein isolierter
Punkt von D ∪ {x} ist, und daher jede Fortsetzung f stetig ist.
Sei also x ein Haufungspunkt von D. Gibt es eine stetige Fortsetzung f , so muss
nach Proposition 6.1.4 f (x) = limt→x f (t). Existiert umgekehrt limt→x f (t), so setze
man
f (s) =
limt→x f (t) , falls s = x
f (s) , falls s ∈ D
Klarerweise ist f eine Fortsetzung von f . Wegen Proposition 6.1.4, (ii), ist f bei x
stetig. Andererseits ist wegen Fakta 6.1.3 mit f auch f bei allen t ∈ D stetig. Also ist f
eine auf D ∪ {x} stetige Fortsetzung.
6.4.5 Beispiel.
Seien a, b, c ∈ R, c ≤ 0, D = (−∞, 0) ∪ (0,+∞) und f : D → R definiert durch
f (x) = a fur x < 0 und f (x) = bx−c
fur x > 0. Dann gilt limt→0− f (t) = a und
limt→0+
f (t) =
− bc
, falls b , 0, c < 0
sgn(b) · ∞ , falls b , 0, c = 0
0 , falls b = 0
Aus Bemerkung 6.4.4 wissen wir, dass sich f genau dann zu einer Funktion
f : R → R fortsetzen lasst, wenn limt→0 f (t) existiert. Nach (5.28) existiert
dieser Grenzwert genau dann, wenn a = b = 0 oder b , 0, c , 0, a = − bc. Dabei
muss f (0) = 0 bzw. f (0) = a = − bc.
Die komplexwertige Funktion
f (z) =iz + 1
z3 + z
ist zunachst definiert auf D = {z ∈ C : z3 + z , 0} = C \ {0, i,−i}, dh. f :
D → C. Das zu Beispiel 6.1.10 analoge Beispiel fur komplexe Polynome zeigt
die Stetigkeit von f auf D. Zudem gilt wegen Fakta 5.3.8
limz→i
f (z) = limz→i
i(z − i)
z(z + i)(z − i)= lim
z→i
i
z(z + i)=
i
limz→i z(z + i)=
i
2i2= − i
2.
Somit lasst sich f stetig auf D = D ∪ {i} durch f (i) = − i2
fortsetzen.
Eine Fortsetzung auf eine noch großere Menge – etwa auf D ∪ {−i} – ist nicht
moglich, da dann auch limz→−i f (z) und wegen (5.9) auch limz→−i | f (z)| existieren
musste. Nun gilt aber ( vgl. Bemerkung 5.3.9)
limz→−i| f (z)| = lim
z→−i
1
|z| · |z + i| = +∞ ,
da fur den Nenner rechts limz→−i |z| · |z+ i| = (limz→−i |z|) · (limz→−i |z+ i|) = 0 gilt.
166 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
6.5 Monotone Funktionen
6.5.1 Definition. Man sagt, dass fur ein Intervall I ⊆ R, eine Funktion f : I → Rmonoton wachsend ist, falls
x < y⇒ f (x) ≤ f (y) .
Gilt sogar x < y⇒ f (x) < f (y), so sagt man f sei streng monoton wachsend.
Analog sagt man, f sei monoton fallend, falls x < y ⇒ f (x) ≥ f (y). Sollte x < y
sogar f (x) > f (y) implizieren, so spricht von einer streng monoton fallenden Funktion.
Klarerweise ist eine streng monotone Funktion stets injektiv. Nun kommen wir zur
Diskussion der Unstetigkeitsstellen monotoner Funktionen.
6.5.2 Proposition. Sei f monoton wachsend auf einem reellen Intervall I, wobei a, b ∈R ∪ {−∞,+∞}, a < b die Intervallrander bezeichnet.
Dann existieren fur jeden Punkt x ∈ (a, b) sowohl f (x−) := lims→x− f (s) als auch
f (x+) := limt→x+ f (t), wobei4
supa<s<x
f (s) = f (x−) ≤ f (x) ≤ f (x+) = infx<t<b
f (t). (6.4)
Ist x = a ∈ I (x = b ∈ I), so gilt die rechte (linke) Seite von (6.4). Weiters gilt fur x < y
immer f (x+) < f (y−).
Analoge Aussagen gelten fur monoton fallende Funktionen.
Beweis. Wir beschranken uns auf x ∈ (a, b). Den Fall der Intervallrander betrachtet
man in analoger Weise.
Der Beweis folgt unmittelbar aus (5.10), da die Grenzwerte in (6.4) ja Grenzwerte
monotoner und beschrankter Netze sind.
Die Ungleichung in (6.4) folgt leicht aus der Tatsache, dass jeder Punkt aus { f (s) :
s ∈ (a, x)} kleiner oder gleich f (x) und f (x) kleiner oder gleich jedem Punkt aus { f (t) :
t ∈ (x, b)} ist.
Der zweite Teil der Behauptung folgt aus
limt→x+
f (t) = infx<t<b
f (t) = infx<t<y
f (t), lims→y−
f (s) = supa<s<y
f (s) = supx<s<y
f (s).
❑
6.5.3 Korollar. Sei I ⊆ R ein Intervall, f : I → R eine monoton wachsende Funktion
und J = f (I).
� Das Bild ist genau dann ein Intervall, wenn f stetig ist.
� Ist f streng monoton wachsend, so ist f −1 : J → I auch streng monoton wach-
send. Dabei enthalt I genau dann seinen linken (rechten) Intervallrand, wenn J
sein Infimum (Supremum) enthalt – also J ein Minimum (Maximum) hat.
� Ist f streng monoton wachsend und stetig, so ist auch f −1 : J → I streng mono-
ton wachsend und stetig.
Entsprechende Aussagen gelten fur (streng) monoton fallende Funktionen.
4Insbesondere konnen in (a, b) nur Unstetigkeitsstellen 1.Art auftreten.
6.5. MONOTONE FUNKTIONEN 167
x1
f (x1) = f (x1−)
f (x1+)
x2
= f (x2−)
f (x2)
= f (x2+)
f (x3−)
f
x3
f (x3+)
f (x3)
Abbildung 6.3: Veranschaulichung monotoner Funktionen
Beweis.
� Ist f stetig, so ist wegen Korollar 6.2.6 auch f (I) ein Intervall.
Angenommen f ist nicht stetig an einem x ∈ I, das zunachst nicht ein Intervall-
rand von I sei. Wegen (6.4) muss lims→x− f (s) < limt→x+ f (t). Es folgt
f (τ) ≤ lims→x−
f (s) = f (x−), τ < x und f (τ) ≥ limt→x+
f (t) = f (x+), τ > x .
f (x)
f (x−)
f (x+)
Also kann f keine Werte im Inter-
vall(f (x−), f (x+)
)bis auf unter
Umstanden einen - namlich f (x) -
annehmen.
Ist x der linke Intervallrand von I, so muss nach (6.4) f (x) < limt→x+ f (t). Somit
folgt ( f (x), limt→x+ f (t)) ∩ J = ∅. Entsprechend argumentiert man im Fall des
rechten Randes. Jedenfalls ist J kein Intervall.
� Wegen der strengen Monotonie ist f injektiv. Ist x, y ∈ J, x < y, und gilt f −1(x) ≥f −1(y), so folgt wegen der vorausgesetzten Monotonie von f der Widerspruch
x = f ( f −1(x)) ≥ f ( f −1(y)) = y; also gilt f (x) < f (y), womit f −1 : J → I streng
monoton wachsend ist.
Enthalt I seinen linken Rand5 a, so folgt aus der Monotonie, dass f (a) ≤ f (t), t ∈I, und somit dass f (a) Minimum von J ist.
Hat J = f (I) das Minimum y, so folgt aus der Monotonie von f −1, dass f −1(y) ≤f −1(x), x ∈ J, und somit dass f −1(y) Minimum von I ist; also a = f −1(y) ∈ I.
5I ist daher von der Form [a, a], [a, b], [a, b), [a,+∞) mit b ∈ R, b > a.
168 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
� Ist f stetig, so ist J ein Intervall und die streng monoton wachsende Funktion
f −1 : J → I hat als Bild genau das Intervall I. Nach dem ersten Punkt muss
daher auch f −1 stetig sein.
❑
Wir werden spater dieses Korollar verwenden, um z.B. zu zeigen, dass der Loga-
rithmus eine stetige Funktion ist.
6.5.4 Beispiel. Die Funktion f : [0,+∞) → R definiert durch f (t) = tn fur ein fes-
tes n ∈ N ist stetig und streng monoton wachsend. Korollar 6.5.3 bietet uns nun ei-
ne weitere Moglichkeit, einzusehen, dass f −1 =√. von f ([0,+∞)) = [0,+∞) nach
[0,+∞) (⊆ R) stetig ist; vgl. Beispiel 6.1.16 und Beispiel 6.2.7.
Thematisch zu obigem Ergebnis passt das nachste Lemma, das aus dem Zwischen-
wertsatz folgt.
6.5.5 Lemma. Seien I, J ⊆ R zwei Intervalle und f : I → J stetig und bijektiv. Dann
ist f streng monoton wachsend oder fallend.
Beweis. Ware f weder streng monoton wachsend noch streng monoton fallend, so gibt
es x1 < x2 aus I mit f (x1) ≥ f (x2) und x3 < x4 aus I mit f (x3) ≤ f (x4). Weil f injektiv
ist, muss sogar f (x1) > f (x2) und f (x3) < f (x4). Daraus folgt, dass {x1, x2, x3, x4}zumindest drei Elemente hat.
Durch Fallunterscheidungen je nachdem, wie diese Punkte angeordnet sind, findet
man immer a < b < c aus {x1, x2, x3, x4}, sodass entweder f (a) < f (b), f (b) > f (c)
oder f (a) > f (b), f (b) < f (c). Man beachte, dass dabei wegen der Injektivitat alle drei
Werte f (a), f (b), f (c) untereinander verschieden sein mussen.
Im ersten Fall ist entweder f (a) ∈ ( f (c), f (b)) oder f (c) ∈ ( f (a), f (b)). Aus Korol-
lar 6.2.6 folgt daher f (a) = f (t) fur ein t ∈ (b, c) bzw. f (c) = f (t) fur ein t ∈ (a, b), was
jedenfalls der Injektivitat widerspricht.
Im zweiten Fall argumentiert man entsprechend.
❑
6.6 Gleichmaßige Konvergenz
Wir haben schon gesehen, dass z.B. die geometrische Reihe∑∞
n=0 zn fur jedes z ∈ C,
|z| < 1, konvergiert. Betrachtet man diese Reihe nicht nur fur ein festes vorgegebenes
z, sondern fur alle z, so hat man eine Reihe, deren Summanden Funktionen von z sind,
und deren Summe ebenfalls eine Funktion von z, namlich 11−z
ist.
Betrachten wir also eine Folge ( fn)n∈N von Funktionen, die definiert ist, zum Bei-
spiel, auf einer Menge E ⊆ R und die, zum Beispiel, reelle Werte annimmt. Wir wurden
gerne erklaren, was es bedeutet, dass diese Folge gegen eine Funktion f konvergiert.
Um einen vernunftigen Grenzwertbegriff zu bekommen, definieren wir eine Metrik,
und zwar eine Metrik auf einer Menge von Funktionen f : E → R. Aber man kann in
diesem konkreten Fall auch naiver an die Sache herangehen. Ist ( fn)n∈N, fn : E → R,
eine Folge von Funktionen, dann ist fur jedes feste x ∈ E sicher ( fn(x))n∈N eine Folge
von Zahlen, und fur diese wissen wir, was es bedeutet zu konvergieren.
6.6. GLEICHMASSIGE KONVERGENZ 169
6.6.1 Definition. Sei ∅ , E eine Menge und 〈Y, dY〉 ein metrischer Raum. Eine Folge
( fn)n∈N, fn : E → Y, heißt punktweise konvergent gegen die Funktion f : E → Y, wenn
fur jedes feste x ∈ E gilt limn→∞ fn(x) = f (x).
Entsprechend definiert man die punktweise Konvergenz von Netzen von Funktio-
nen.
Es entsteht die Frage, ob sich Eigenschaften wie etwa die fundamentale Eigenschaft
der Stetigkeit der Funktionen fn auf die Grenzfunktion f ubertragen. Die folgenden
Beispiele illustrieren, dass in dieser Angelegenheit etwas schiefgehen kann.
6.6.2 Beispiel.
Betrachte die Funktionen gn : [0, 1] → R, definiert durch gn(x) := xn, n ∈ N.
Bekannterweise gilt
limn→∞
gn(x) =
{0 , falls x ∈ [0, 1)
1 , falls x = 1
Jede der Funktionen gn ist eine stetige Funktionen auf [0, 1], nicht jedoch die
Grenzfunktion.
Betrachte die Funktionen fn : R → R, definiert durch fn(x) := x2
(1+x2)n . Dann ist
fur jedes x , 0∞∑
n=0
x2
(1 + x2)n
eine konvergente geometrische Reihe. Ihre Summe ist 1 + x2, x , 0.
Fur x = 0 sind alle Summanden = 0, also auch ihre Summe. Man erhalt
∞∑
n=0
fn(x) =
{1 + x2 , falls x , 0
0 , falls x = 0
Alle Funktionen fn, und damit auch alle Partialsummen obiger Reihe sind stetige
Funktionen von x ∈ R, nicht jedoch die Grenzfunktion.
Die punktweise Konvergenz von Funktionen ist also nicht stark genug, um etwa die
Eigenschaft der Stetigkeit zu erhalten.
6.6.3 Definition. Sei ∅ , E eine Menge und 〈Y, dY〉 ein metrischer Raum. Wir bezeich-
nen mit B(E, Y) die Menge aller beschrankten Funktionen f : E → Y, d.h.
B(E, Y) :={f : E → Y : ∃R > 0, y ∈ Y : ∀x ∈ E ⇒ dY ( f (x), y) ≤ R
}.
Man definiert nun die Abbildung
d∞ :
{B(E, Y) × B(E, Y) → R
( f , g) 7→ sup{dY ( f (x), g(x)) : x ∈ E}
und spricht von der Supremumsmetrik6.
6Identifiziert man Rp mit der Menge aller Funktionen von {1, . . . , p} nach R, so stimmt auf Rp die Supre-
mumsmetrik hier mit der aus Beispiel 3.1.5, (ii), uberein.
170 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
d∞( f , g) ist in der Tat eine reelle Zahl, da es wegen f , g ∈ B(E, Y) reelle R1,R2 > 0
und y1, y2 ∈ Y gibt, sodass dY( f (x), y1) ≤ R1 und dY(g(x), y2) ≤ R2 und somit
dY ( f (x), g(x)) ≤ dY( f (x), y1) + dY (y1, y2) + dY (y2, g(x)) ≤ R1 + dY (y1, y2) + R2
fur alle x ∈ E gilt. Also ist die nichtleere Teilmenge {dY( f (x), g(x)) : x ∈ E} von Rnach oben beschrankt.
d∞( f , g)
E
f
g
| f − g|
Fur reellwertige Funktionen
f , g : E → R = Y
ist dY(x, y) = |x − y|und daher
d∞( f , g) = supx∈E | f (x) − g(x)|.
6.6.4 Lemma. Die Supremumsmetrik d∞ ist eine Metrik auf der Menge B(E, Y).
Beweis. Fur f , g ∈ B(E, Y) ist {dY ( f (x), g(x)) : x ∈ E} eine nichtleere Teilmenge von
[0,+∞), wodurch d∞( f , g) ≥ 0. Dabei gilt offenbar d∞( f , g) = sup{dY ( f (x), g(x)) : x ∈E} = 0 genau dann, wenn {dY( f (x), g(x)) : x ∈ E} = {0} – also genau dann, wenn
dY( f (x), g(x)) = 0 fur jedes x ∈ E. Letzteres ist aber zu f (x) = g(x), x ∈ E – also f = g
aquivalent.
Aus dY( f (x), g(x)) = dY (g(x), f (x)) folgt d∞( f , g) = d∞(g, f ). Ist h eine weitere
Funktion, so gilt fur festes x ∈ E
dY( f (x), g(x)) ≤ dY ( f (x), h(x)) + dY (h(x), g(x)) ,
und daher auch
dY( f (x), g(x)) ≤ supt∈E
dY ( f (t), h(t)) + supt∈E
dY (h(t), g(t)) = d∞( f , h) + d∞(h, g) .
Da diese Beziehung fur jedes x ∈ E gilt, folgt auch d∞( f , g) = supx∈E dY ( f (x), g(x)) ≤d∞( f , h) + d∞(h, g).
❑
6.6.5 Definition. Eine Folge ( fn)n∈N von Funktionen aus B(E, Y) heißt gleichmaßig
konvergent gegen f , wenn limn→∞ fn = f bezuglich d∞, d.h. wenn
∀ǫ > 0 ∃N ∈ N : d∞( fn, f ) ≤ ǫ, n ≥ N, (6.5)
oder aquivalent dazu ∀ǫ > 0 ∃N ∈ N : d∞( fn, f ) < ǫ, n ≥ N.
Entsprechend definiert man die gleichmaßige Konvergenz von Netzen von Funk-
tionen.
6.6. GLEICHMASSIGE KONVERGENZ 171
E
fn, n ≥ N
f
f + ǫ
f − ǫ
Abbildung 6.4: Veranschaulichung der gleichmaßigen Konvergenz
6.6.6 Bemerkung. Ist f ∈ B(E, Y) und g irgendeine Funktion von E → Y mit der
Eigenschaft, dass supt∈E dY ( f (t), g(t)) < ∞, so folgt aus der Dreiecksungleichung, dass
auch g eine beschrankte Funktion ist.
Ist daher ( fn)n∈N eine Folge aus B(E, Y), und gilt supt∈E dY( fn(t), g(t))→ 0, so folgt
g ∈ B(E, Y) und fn → g gleichmaßig.
Der Unterschied zwischen punktweiser und gleichmaßiger Konvergenz liegt darin
begrundet, dass man ein N finden muss, das fur alle x ∈ E funktioniert.
In der Tat gilt d∞( fn, f ) ≤ ǫ ⇔ ∀x ∈ E ⇒ dY( fn(x), f (x)) ≤ ǫ, und somit ist (6.5)
aquivalent zu
∀ǫ > 0∃N ∈ N∀x ∈ E : dY( fn(x), f (x)) ≤ ǫ, n ≥ N ,
wogegen punktweise Konvergenz bedeutet
∀x ∈ E ∀ǫ > 0∃N ∈ N : dY( fn(x), f (x)) ≤ ǫ, n ≥ N .
Insbesondere sehen wir, dass jede gleichmaßig konvergente Folge auch punktweise
konvergiert, und zwar zur gleichen Grenzfunktion.
6.6.7 Beispiel. Betrachte nochmals die reellwertigen Funktionen gn(x) := xn, n ∈ N,nun definiert fur x ∈ [0, 1), vgl. Beispiel 6.6.2. Wir wissen schon, dass gn punkt-
weise gegen die Nullfunktion auf [0, 1) konvergiert. Dabei gilt wegen xn < 1 fur
x ∈ [0, 1), n ∈ N, und wegen limx→1− xn = 1, dass
d∞(gn, 0) = supx∈[0,1)
dR(gn(x), 0) = supx∈[0,1)
|xn| = 1.
Also d∞(gn, 0) 6→ 0 fur n → ∞, d.h. (gn)n∈N konvergiert nicht gleichmaßig gegen die
Nullfunktion.
6.6.8 Beispiel. Sei η ∈ (0, 1) fest, und betrachte die Funktionenfolge gn(x) = xn, n ∈ N,
auf dem Intervall [0, η]. Klarerweise konvergiert auch diese eingeschrankte Funktio-
nenfolge punktweise gegen die Nullfunktion auf [0, η]. Nun folgt aber wegen
d∞(gn, 0) = supx∈[0,η]
dR(gn(x), 0) = supx∈[0,η]
|xn| = ηn,
172 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
x
gn(x)
0 12
η 1
12
1 n = 1
n = 3
n = 7
n = 13
Abbildung 6.5: Graph der Funktionen gn fur ausgewahlte n ∈ N
dass d∞(gn, 0) → 0 fur n → ∞. Also konvergiert gn sogar gleichmaßig gegen die
Nullfunktion.
6.6.9 Beispiel. Man untersuche die Funktionenfolge fn(x) := nxe−12
nx2
, x ∈ [0,∞),
n ∈ N, auf gleichmaßige Konvergenz. Dabei greifen wir der Definition der Funktion
x 7→ ex fur x ∈ R weiter hinten vor. Wir verwenden auch die Tatsache, dass ye−y → 0
fur y → +∞. Weiters verwenden wir die Differentialrechnung zur Bestimmung
von Extrema. Da dieses Beispiel nur zum besseren Verstandnis des Begriffes der
gleichmaßigen Konvergenz dient und spater nicht verwendet wird, sind diese Vorgriffe
gerechtfertigt.
Zunachst sei bemerkt, dass fur alle n ∈ N die Funktion fn(x) stetig ist und fn(x) ≥ 0
fur x ∈ [0,∞). Eine getrennte Untersuchung der Falle x , 0 und x = 0 liefert punktwei-
se Konvergenz fn(x)→ f (x) ≡ 0 fur n→ ∞. Um ( fn)n∈N auf gleichmaßige Konvergenz
gegen die Funktion f (x) ≡ 0 zu untersuchen, betrachtet man die Supremumsmetrik
d∞( fn, 0) = supx∈[0,∞)
dR( fn(x), 0) = supx∈[0,∞)
| fn(x)|.
Da fur jedes n ∈ N die Funktion fn(x) nicht negativ ist, fn(0) = 0 und limx→∞ fn(x) = 0
gilt, folgt, dass fn(x) sogar ein Maximum in [0,∞) annimmt. Um das Maximum zu
berechnen, ist Satz 7.2.2 hilfreich. Fur jedes n ∈ N ist fn(x) beliebig oft differenzierbar,
und setzt man die erste Ableitung gleich Null, so erhalt man
f ′n(x) = ne−12
nx2 − n2x2e−12
nx2
= e−12
nx2
(n − n2x2) = 0 ⇔ x =±1√
n.
Also ist x = 1√n
die einzige Nullstelle der ersten Ableitung, die in [0,∞) enthalten ist.
Wegen limx→∞ fn(x) = 0 folgt daher, dass das Maximum der Funktion fn(x) an der
Stelle x = 1√n
liegt. Somit ergibt sich fur die Supremumsmetrik
d∞( fn, 0) = supx∈[0,∞)
| fn(x)| = maxx∈[0,∞)
| fn(x)| = fn( 1√
n
)=
n√
ne−
12 .
Daraus folgt d∞( fn, 0) 6→ 0 fur n → ∞, d.h. ( fn)n∈N konvergiert nicht gleichmaßig
gegen die Nullfunktion.
6.6. GLEICHMASSIGE KONVERGENZ 173
x
fn(x)
0 1 2 312
32
52
72
1
2
3
4
5
6
7 n = 1
n = 5
n = 20
n = 120
Abbildung 6.6: Graph der Funktionen fn fur ausgewahlte n ∈ N
6.6.10 Beispiel. Sei η > 0 und betrachtet man die Funktionenfolge fn(x) := nxe−12
nx2
,
n ∈ N, auf dem Intervall [η,∞). Aus dem vorigen Beispiel wissen wir bereits, dass die
Funktion fn(x) fur x > 1√n
monoton fallend ist. Wegen
∀δ > 0 ∃n0 ∈ N : δ >1√
n∀n ≥ n0
gibt es ein n0 ∈ N, sodass 1√n< [η,∞) fur alle n ≥ n0. Daher ergibt sich fur n ≥ n0 in
diesem Fall fur die Supremumsmetrik
d∞( fn, 0) = supx∈[η,∞)
| fn(x)| = maxx∈[η,∞)
| fn(x)| = fn(η) = nηe−12
nη2
.
Also folgt d∞( fn, 0) → 0 fur n → ∞, d.h. ( fn)n∈N konvergiert gleichmaßig gegen die
Nullfunktion.
Gleichmaßige Konvergenz sichert nun – wie wir auch spater immer wieder feststel-
len werden – , dass sich Grenzubergange gutmutig verhalten.
6.6.11 Lemma. Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum und 〈Y, dY〉 ein vollstandig metrischer
Raum, ∅ , E ⊆ X, und seien f , fn ∈ B(E, Y), n ∈ N. Weiters sei (xk)k∈N eine Folge in
E.
Ist die Folge ( fn)n∈N auf E gleichmaßig konvergent gegen f , und existiert fur jedes
n ∈ N der Grenzwert
limk→∞
fn(xk) = An ,
dann konvergieren die Folgen (An)n∈N und ( f (xk))k∈N in Y und zwar gegen denselben
Grenzwert. Also gilt
limk→∞
limn→∞
fn(xk) = limn→∞
limk→∞
fn(xk).
Beweis. Sei ǫ > 0 gegeben. Da ( fn)n∈N → f bezuglich d∞, ist ( fn)n∈N in B(E, Y) eine
Cauchy-Folge. Es existiert also ein N ∈ N, sodass fur n,m ≥ N und alle t ∈ E gilt
dY( fn(t), fm(t)) ≤ ǫ.
174 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
Halt man n und m fest und lasst man t die Folge (xk)k∈N durchlaufen, so folgt mit
Lemma 3.2.10 und Lemma 3.3.1 die Beziehung dY (An, Am) ≤ ǫ. Damit ist (An)n∈N eine
Cauchy-Folge in Y und daher konvergent, limn→∞ An =: A. Nun gilt
dY ( f (xk), A) ≤ dY ( f (xk), fn(xk)) + dY( fn(xk), An) + dY(An, A).
Wahle n so groß, dass fur alle t ∈ E und insbesondere fur alle t = xk
dY ( f (t), fn(t)) < ǫ und dY(An, A) < ǫ.
Fur dieses n existiert ein k0 ∈ N, sodass aus k ≥ k0 die Ungleichung dY( fn(xk), An) < ǫ
folgt. Insgesamt erhalten wir
dY ( f (xk), A) < 3ǫ, k ≥ k0.
❑
6.6.12 Bemerkung. Wir werden spater eine Verallgemeinerung dieses Lemmas fur Net-
ze zeigen. Der Beweis davon wird im Wesentlichen derselbe sein.
6.6.13 Korollar. Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum und 〈Y, dY〉 ein vollstandig metrischer
Raum, ∅ , E ⊆ X, und seien f , fn ∈ B(E, Y), n ∈ N, sodass ( fn)n∈N auf E gleichmaßig
gegen f konvergiert.
Sind die Funktionen fn alle stetig bei einem x ∈ E, so ist es auch f . Sind alle fn auf
ganz E stetig, so ist es auch f .
Beweis. Sei x ∈ E und sei (xk)k∈N eine Folge mit xk
k→∞−→ x. Aus Lemma 6.6.11 folgt
limk→∞
f (xk) = limk→∞
limn→∞
fn(xk) = limn→∞
limk→∞
fn(xk) = limn→∞
fn(x) = f (x).
Nach Proposition 6.1.4 ist f bei x stetig.
❑
6.6.14 Bemerkung. Nach Lemma 5.1.13 erhalt man, dass die Menge Cb(E, Y) aller
beschrankten und stetigen Funktionen von E → Y eine abgeschlossene Teilmenge
von B(E, Y) versehen mit der Metrik d∞ ist. Dabei ist E Teilmenge eines metrischen
Raumes.
6.6.15 Satz. Ist ∅ , E eine Menge und 〈Y, dY〉 ein vollstandig metrischer Raum, so ist
〈B(E, Y), d∞〉 ebenfalls ein vollstandig metrischer Raum.
Somit konvergiert eine Folge ( fn)n∈N von Funktionen aus B(E, Y) genau dann
gleichmaßig, wenn es zu jedem ǫ > 0 ein N ∈ N gibt, sodass fur alle n,m ≥ N und
beliebiges x ∈ E gilt
dY( fn(x), fm(x)) ≤ ǫ. (6.6)
Beweis. Klarerweise ist eine konvergente Folge ( fn)n∈N von Funktionen aus B(E, Y)
eine Cauchy-Folge. Diese Tatsache gilt ja in allen metrischen Raumen.
Sei nun umgekehrt die Cauchy-Bedingung erfullt. Man beachte, dass (6.6) fur alle
x ∈ E zu d∞( fn, fm) ≤ ǫ aquivalent ist.
6.7. REELL- UND KOMPLEXWERTIGE FOLGEN UND REIHEN 175
Es folgt, dass insbesondere fur jedes einzelne x die Folge ( fn(x))n∈N eine Cauchy-
Folge in Y und daher konvergent ist. Also existiert der Grenzwert limn→∞ fn(x) punkt-
weise auf E. Wir setzen
f (x) := limn→∞
fn(x).
Wir mussen nun noch zeigen, dass f beschrankt ist und dass die Konvergenz sogar
gleichmaßig stattfindet.
Sei ǫ > 0 gegeben und wahle N ∈ N so, dass dY ( fn(x), fm(x)) ≤ ǫ fur alle n,m ≥ N
und alle x ∈ E. Halt man x fest und lasst m→ ∞ streben, so folgt fur n ≥ N
dY ( fn(x), f (x)) ≤ ǫ.
Da x beliebig war, folgt d∞( fn, f ) ≤ ǫ, n ≥ N, d.h. fn → f gleichmaßig und mit
Bemerkung 6.6.6 ist f beschrankt.
❑
6.7 Reell- und komplexwertige Folgen und Reihen
6.7.1 Definition. Ist Y = R oder Y = C und ∅ , E eine Menge, dann setzt man fur
f : E → Y
‖ f ‖∞ := supx∈E| f (x)| (∈ [0,+∞])
und spricht von der Supremumsnorm.
Unmittelbar uberpruft man, dass fur f , g : E → Y
� ‖ f ‖∞ < +∞⇔ f ∈ B(E,R) bzw. f ∈ B(E,C)
� ‖ f ‖∞ ≥ 0 und ‖ f ‖∞ = 0⇔ f = 0.
Fur f , g ∈ B(E,R) bzw. f , g ∈ B(E,C) gilt zudem
� d∞( f , g) = ‖ f − g‖∞ und ‖ f ‖∞ = d∞( f , 0), wobei 0 hier die konstante Nullfunk-
tion ist.
� ‖λ · f ‖∞ = |λ| · ‖ f ‖∞ fur λ ∈ R bzw. λ ∈ C,
� ‖ f + g‖∞ ≤ ‖ f ‖∞ + ‖g‖∞,
� ‖ f · g‖∞ ≤ ‖ f ‖∞ · ‖g‖∞.
6.7.2 Korollar. Sind ( fn)n∈N, (gn)n∈N Folgen von Funktionen ausB(E,R) bzw. B(E,C),
die gleichmaßig gegen f bzw. g konvergieren, so gilt
limn→∞
fn + gn = f + g, limn→∞
fn · gn = f · g ,
und zwar gleichmaßig. Insbesondere gilt limn→∞ λ · fn = λ · f fur alle λ ∈ R bzw. λ ∈ C.
Beweis. Wir beweisen exemplarisch nur die zweite Aussage. Es gilt
d∞( fngn, f g) = ‖ fngn − f g‖∞ ≤ ‖gn‖∞ · ‖ fn − f ‖∞ + ‖ f ‖∞ · ‖gn − g‖∞ .
Als konvergente Folge ist (gn)n∈N beschrankt, d.h. ‖gn‖∞ = d∞(gn, 0) ≤ C, n ∈ N.
Somit konvergiert d∞( fngn, f g) gegen Null.
❑
176 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
6.7.3 Definition. Fur n ∈ N sei fn : E → R (C).
� Man sagt, die Reihe∑∞
n=1 fn konvergiert punktweise, wenn fur jedes x ∈ E die
Reihe∑∞
n=1 fn(x) in R (C) konvergiert.
� Ist fn ∈ B(E,R) (∈ B(E,C)), n ∈ N, so heißt∑∞
n=1 fn gleichmaßig konvergent,
wenn die Folge(∑N
n=1 fn(.))
N∈Nvon Partialsummen gleichmaßig konvergiert.
� Die Reihe∑∞
n=1 fn konvergiert absolut als Funktionenreihe, wenn die Reihe∑∞n=1 ‖ fn‖∞ konvergiert.
Klarerweise impliziert die absolute Konvergenz von∑∞
n=1 fn als Funktionenreihe
die absolute Konvergenz von∑∞
n=1 fn(x) fur jedes x ∈ E. Wir haben aber auch folgendes
Ergebnis:
6.7.4 Korollar (Weierstraß-Kriterium). Sei ( fn)n∈N eine Folge von beschrankten reell-
bzw. komplexwertigen Funktionen auf einer Menge E , ∅. Ist∑∞
n=1 fn absolut konver-
gent als Funktionenreihe, so ist diese Funktionenreihe auch gleichmaßig konvergent.∑∞n=1 fn ist sicher dann absolut konvergent, und somit auch gleichmaßig konvergent,
wenn es Mn ∈ R, Mn ≥ 0, n ∈ N gibt, fur die∑∞
n=1 Mn konvergiert, sodass
‖ fn‖∞ ≤ Mn, n ∈ N .
Beweis. Nach dem Majorantenkriterium in Lemma 3.9.8 folgt aus der Konvergenz von∑∞n=1 Mn die von
∑∞n=1 ‖ fn‖∞.
Ist nun letztere Reihe konvergent, so ist die Folge(∑N
n=1 ‖ fn‖∞)
N∈Nvon Partialsum-
men eine Cauchy-Folge in R. Es gibt somit zu ǫ > 0 ein N ∈ N, sodass fur k,m ≥ N
gilt∑m
n=k+1 ‖ fn‖∞ ≤ ǫ. Fur solche m, k folgt auch∥∥∥∥∥∥∥
m∑
n=k+1
fn
∥∥∥∥∥∥∥∞
≤m∑
n=k+1
‖ fn‖∞ ≤ ǫ .
Also ist(∑N
n=1 fn)
N∈Neine Cauchy-Folge in B(E,R) (B(E,C)), und nach Satz 6.6.15
konvergent. Somit ist∑∞
n=1 fn gleichmaßig konvergent.
❑
Die meisten Konvergenzkriterien fur Reihen kann man so anpassen, dass sie auch
fur Reihen von Funktionen anwendbar sind. Wir wollen das hier aber nicht weiter
ausfuhren.
Ein bedeutendes Beispiel fur Reihen von Funktionen sind die sogenannten Potenz-
reihen.
6.7.5 Definition. Sind an ∈ C oder auch nur an ∈ R fur n ∈ N ∪ {0}, und ist z ∈ C, so
nennt man die komplexwertige Reihe – ob konvergent oder nicht –
∞∑
n=0
anzn
eine Potenzreihe7. Als Konvergenzradius wollen wir die Zahl R ∈ [0,+∞] mit
R = sup
|z| : z ∈ C,∞∑
n=0
anzn ist konvergent
(6.7)
7Praktischerweise ist hier bei den Potenzreihen in Analogie zu den Polynomen z0 als 1 definiert auch
wenn z Null sein sollte.
6.7. REELL- UND KOMPLEXWERTIGE FOLGEN UND REIHEN 177
bezeichnen8.
6.7.6 Beispiel. Wir sind solchen Reihen schon begegnet, z.B. sind die geometrische
Reihe∑∞
n=0 zn und die Exponentialreihe∑∞
n=0zn
n!Potenzreihen.
Erstere konvergiert genau fur |z| < 1 und hat somit Konvergenzradius 1. Die Expo-
nentialreihe konvergiert fur alle z ∈ C und hat somit Konvergenzradius+∞.
6.7.7 Satz. Sei∑∞
n=0 anzn eine Potenzreihe und R ihr Konvergenzradius.
(i) Fur jedes z ∈ C mit |z| > R ist∑∞
n=0 anzn divergent.
(ii) Fur jedes z ∈ C mit |z| < R ist∑∞
n=0 anzn sogar absolut konvergent. Insbesondere
ist
R = sup
|z| : z ∈ C,∞∑
n=0
anzn ist absolut konvergent
. (6.8)
(iii) Fur jedes r ∈ [0,R) ist∑∞
n=0 anzn auf dem abgeschlossenen Kreis Kr(0) = {z ∈ C :
|z| ≤ r} absolut konvergent als Funktionenreihe. Die Funktion
z 7→∞∑
n=0
anzn, z ∈ Kr(0) ,
ist dabei eine stetige und beschrankte Funktion auf Kr(0).
Re
Im
C
r
R−R
Abbildung 6.7: Konvergenzradius
(iv) Auf UR(0) = {z ∈ C : |z| < R} ist z 7→ ∑∞n=0 anzn eine stetige Funktion9.
8Da fur z = 0 die Reihe immer absolut konvergiert, ist diese Menge nicht leer.9Im Allgemeinen ist sie aber nicht mehr beschrankt
178 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
(v) Der Konvergenzradius lasst sich durch die Koeffizienten an unmittelbar bestim-
men durch10
R =1
lim supn→∞n√|an|
.
Gilt dabei an , 0 fur alle hinreichend großen n, so gilt auch
1
lim supn→∞ | an+1
an| ≤ R ≤ 1
lim infn→∞ | an+1
an| . (6.9)
Beweis.
(i) Folgt sofort aus (6.7).
(ii) Folgt aus dem nachsten Punkt.
(iii) Nach (6.7) gibt es ein komplexes z0 mit r < |z0| ≤ R, sodass∑∞
n=0 anzn0
konvergiert.
Somit ist die Summandenfolge eine Nullfolge; insbesondere gilt |anzn0| ≤ C, n ∈ N
fur ein C > 0. Fur |z| ≤ r < |z0| rechnet man
|anzn| = |anzn0| ·
∣∣∣∣∣z
z0
∣∣∣∣∣n
≤ C ·∣∣∣∣∣
r
z0
∣∣∣∣∣n
.
Wegen∣∣∣∣ rz0
∣∣∣∣ < 1 konvergiert∑∞
n=0 C∣∣∣∣ rz0
∣∣∣∣n
.
Die Partialsummen∑N
n=0 anzn, N ∈ N, sind Polynome und damit stetig. Da Kr(0)
kompakt ist (vgl. Beispiel 5.2.7), sind diese Partialsummen auf Kr(0) beschrankt.
Aus dem Weierstraßschen Kriterium (Korollar 6.7.4) angewandt auf E = Kr(0)
folgt die absolute Konvergenz als Funktionenreihe und somit die gleichmaßige
Konvergenz der entsprechenden Funktionenfolge von Partialsummen auf Kr(0)
gegen eine beschrankte Funktion. Nach Korollar 6.6.13 ist die Grenzfunktion so-
gar stetig auf E = Kr(0).
(iv) Betrachtet man z 7→ ∑∞n=0 anzn auf UR(0), so ist auch dies eine stetige Funktion.
In der Tat ist die Stetigkeit eine lokale Eigenschaft (siehe Fakta 6.1.3), und man
kann zu jedem komplexen z mit |z| < R ein δ > 0 und ein r ∈ [0,R) finden, sodass
Uδ(z) ⊆ Kr(0).
(v) Fur jedes z ∈ C mit |z| < 1
lim supn→∞n√|an |
gilt lim supn→∞n√|anzn| = |z| ·
lim supn→∞n√|an| < 1. Nach dem Wurzelkriterium, Satz 3.10.1, ist
∑∞n=0 anzn kon-
vergent. Gemaß (6.7) folgt
1
lim supn→∞n√|an|≤ R .
Ware 1
lim supn→∞n√|an|
< R, so wahle z ∈ C mit 1
lim supn→∞n√|an|
< |z| < R. Wegen
(ii) konvergiert die Potenzreihe. Andererseits sieht man ahnlich wie oben, dass
lim supn→∞n√|anzn| > 1, und mit dem Wurzelkriterium, Satz 3.10.1, folgt die Di-
vergenz der Potenzreihe. Also muss auch
1
lim supn→∞n√|an|≥ R .
Analog beweist man (6.9) mit Hilfe des Quotientenkriteriums.
10Ist die Folge (n√|an |)n∈N nicht nach oben beschrankt, so sei 1
lim supn→∞n√|an |= 0.
6.7. REELL- UND KOMPLEXWERTIGE FOLGEN UND REIHEN 179
❑
6.7.8 Beispiel. Das Konvergenzverhalten einer Potenzreihe ist durch den obigen Satz
relativ gut abgeklart. Einzig uber die Punkte mit |z| = R, wo R der Konvergenzradius ist,
hat man keine Aussage. Es konnen hier tatsachlich auch alle Falle eintreten. Betrachte
dazu die Potenzreihen∞∑
n=0
zn,
∞∑
n=0
zn
nund
∞∑
n=0
zn
n2.
Alle haben Konvergenzradius 1. Jedoch ist∑∞
n=0 zn fur |z| = 1 divergent,∑∞
n=0zn
n2 absolut
konvergent und∑∞
n=0zn
n(nicht absolut) konvergent, außer bei z = 1, wo sie divergiert.
6.7.9 Korollar. Sei f (z) :=∑∞
n=0 anzn eine Potenzreihe und ihr Konvergenzradius sei
R > 0.
� Verschwinden nicht alle an, so gibt es ein δ ∈ (0,R), sodass f (z) , 0 fur z ∈Uδ(0) \ {0}.
� Sei∑∞
n=0 bnzn eine weitere Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Gibt es eine
Menge E ⊆ Umin(R,R)(0), die Null als Haufungspunkt hat und sodass∑∞
n=0 anzn =∑∞n=0 bnzn fur alle z ∈ E, so folgt an = bn, n ∈ N ∪ {0} und damit R = R.
Beweis. Sei n0 ∈ N ∪ {0} der erste Index, sodass an0, 0. Wegen den Rechenregeln
fur Reihen konvergiert∑∞
n=0 anzn genau dann, wenn g(z) =∑∞
n=0 an+n0zn es tut, wobei
im Fall der Konvergenz zn0 g(z) = f (z). Letztere ist also auch eine Potenzreihe mit
Konvergenzradius R.
Wegen g(0) = an0, 0 und wegen der Stetigkeit von g auf UR(0) gibt es ein δ ∈
(0,R), sodass |g(z) − g(0)| < |an0| und somit g(z) , 0 fur z ∈ Uδ(0). Also ist auch
f (z) , 0 fur z ∈ Uδ(0) \ {0}.Um die zweite Aussage zu zeigen, betrachte man die Potenzreihe
h(z) =∑∞
n=0(an − bn)zn, die zumindest fur |z| < min(R, R) konvergiert und damit
einen Konvergenzradius ≥ min(R, R) hat. Nach Voraussetzung und den Rechenregeln
fur Reihen folgt h(z) = 0, z ∈ E. Da 0 ein Haufungspunkt von E ist, widerspricht das
aber der ersten Aussage, außer an − bn = 0, n ∈ N.
❑
6.7.10 Bemerkung. Ist |z| < R, so folgt aus Korollar 3.9.3
∞∑
n=0
an(z)n =
∞∑
n=0
anzn . (6.10)
Insbesondere folgt aus an ∈ R, n ∈ N, und z = x ∈ R, dass auch∑∞
n=0 anxn ∈ R.
Ist umgekehrt∑∞
n=0 anxn ∈ R fur alle x ∈ R, |x| < R, so folgt aus (6.10), dass die
Potenzreihen (beide mit Konvergenzradius R)
∞∑
n=0
anzn,
∞∑
n=0
anzn
fur z ∈ R ∩ UR(0) ubereinstimmen. Aus Korollar 6.7.9 folgt an = an, also an ∈ R.
180 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
6.7.11 Bemerkung. Ublicherweise werden auch Reihen der Form
∞∑
n=0
an(z − z0)n (6.11)
fur ein festes z0 als Potenzreihen bezeichnet. Die hergeleiteten Aussagen fur Potenz-
reihen stimmen sinngemaß offensichtlich auch fur solche Reihen. Dabei ist z.B. der
Bereich der Konvergenz UR(z0) mit entsprechend definiertem Konvergenzradius.
Funktionen f : D → C mit offenem D ⊆ C heißen analytisch in einem Punkt
z0 ∈ D, falls es eine offene Kugel Ur(z0) ⊆ D mit r > 0 und eine Potenzreihe der
Form (6.11) gibt, sodass r kleiner oder gleich dem Konvergenzradius der Reihe ist und
sodass f (z) fur alle z ∈ Ur(z0) mit dem Grenzwert der Reihe (6.11) ubereinstimmt, f
also lokal um z0 als Grenzwert einer Potenzreihe dargestellt werden kann.
Ist f um jedes z0 ∈ D analytisch, so heißt f analytisch.
6.8 Die Exponentialfunktion
Wir wollen jetzt einige der sogenannten elementaren Funktionen betrachten. Grundlage
fur alle diese ist die Exponentialfunktion
exp(z) =
∞∑
n=0
zn
n!, z ∈ C . (6.12)
Wir haben schon gesehen, dass diese Reihe fur alle z ∈ C konvergiert. Sie ist also eine
Potenzreihe mit Konvergenzradius+∞. Insbesondere ist exp : C→ C stetig.
Weitere wichtige elementare Funktionen sind sin und cos.
6.8.1 Definition. Fur z ∈ C seien
cos z =exp(iz) + exp(−iz)
2, sin z =
exp(iz) − exp(−iz)
2i,
die sogenannten trigonometrischen Funktionen Cosinus und Sinus.
Als Zusammensetzung von stetigen Funktionen sind cos : C→ C und sin : C→ Cauf C stetig (siehe Lemma 6.1.6 und Korollar 6.1.8).
6.8.2 Lemma. Fur alle z ∈ C gilt
cos z =
∞∑
k=0
(−1)k z2k
(2k)!, sin z =
∞∑
k=0
(−1)k z2k+1
(2k + 1)!.
Also sind cos und sin Grenzfunktionen von Potenzreihen11 mit Konvergenzradius +∞.
11Ganz genau genommen ist eine Reihe der Bauart∑∞
k=0 ckz2k keine Potenzreihe, da sie nicht von der
Form∑∞
n=0 anzn ist. Setzt man aber a2k = ck fur k ∈ N ∪ {0} und an = 0 fur ungerade n, so uberzeugt man
sich leicht davon, dass∑∞
k=0 ckz2k genau dann konvergiert, wenn∑∞
n=0 anzn es tut, wobei die Grenzwerte
dieser Reihen dann ubereinstimmen. Entsprechendes gilt fur Reihen der Bauart∑∞
k=0 ckz2k+1
6.8. DIE EXPONENTIALFUNKTION 181
Beweis. Fur gerade n = 2k gilt in + (−i)n = 2i2k = 2(−1)k, und fur ungerade n = 2k + 1
gilt in + (−i)n = 0. Aus den Rechenregeln fur Reihen folgt somit
exp(iz) + exp(−iz)
2=
∞∑
n=0
in + (−i)n
2
zn
n!=
∞∑
k=0
(−1)k z2k
(2k)!.
Analog leitet man die Potenzreihenentwicklung fur sin her.
❑
6.8.3 Satz. Sei z,w ∈ C und x, y ∈ R. Dann gilt
(i) exp(z) , 0, exp(z + w) = exp(z) exp(w) und exp(−z) = 1exp(z)
. Schließlich ist
(exp z)n = exp(zn), n ∈ Z.
(ii) exp(iz) = cos z + i sin z. Allgemeiner gilt die Formel von de Moivre:
(cos z + i sin z)n = cos(nz) + i sin(nz), n ∈ Z.
(iii) exp(z) = exp(z), cos(z) = cos(z), sin(z) = sin(z).
Insbesondere sind exp |R, cos |R, sin |R Funktionen, die R nach R abbilden.
(iv) cos y = Re exp(iy), sin y = Im exp(iy) und exp(x + iy) = exp(x)(cos y + i sin y),
wobei exp(x) ∈ R.
Re
Im
−1 1
−i
i
i sin y
cos y
exp(iy) =
cos y + i sin y
0
exp(x)
exp(x + iy) =
exp(x)(cos y + i sin y)
exp(x) cos y
i exp(x) sin y
Abbildung 6.8: Darstellung der Lage von exp(x + iy)
(v) Die Funktion exp eingeschrankt auf die reelle Achse ist eine streng monoton
wachsende, bijektive Funktion von R auf R+ mit exp(0) = 1. Insbesondere gilt
limx→+∞
exp(x) = +∞, limx→−∞
exp(x) = 0. (6.13)
(vi) | exp(z)| = exp(Re z). Insbesondere gilt | exp(z)| = 1⇔ Re z = 0 und
(cos y)2 + (sin y)2 = 1.
(vii) cos(−z) = cos z und sin(−z) = − sin z.
182 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
(viii) Es gelten die Summensatze fur Sinus und Cosinus
cos(z + w) = cos z cos w − sin z sin w, sin(z + w) = sin z cos w + cos z sin w .
Beweis.
(i) exp(z + w) = exp(z) exp(w) haben wir in Beispiel 5.4.12 gesehen. Die beiden
nachsten Aussagen folgen aus exp(−z) · exp(z) = exp(0) = 1. Schließlich folgt
(exp z)n = exp(zn), n ∈ N, durch vollstandige Induktion, und fur n ∈ Z wegen
exp(−zn) = 1exp(zn)
.
(ii) exp(iz) = cos z + i sin z folgt leicht durch Nachrechnen, und daraus
(cos z + i sin z)n = (exp iz)n = exp(inz) = cos(nz) + i sin(nz).
(iii) Da die Koeffizienten in den Potenzreihenentwicklungen reell sind, folgt die Aus-
sage sofort aus Bemerkung 6.7.10.
(iv) Folgt aus (i) und (ii), da nach dem letzten Punkt exp(x), cos y, sin y ∈ R.
(v) Fur x > 0 folgt aus der Tatsache, dass alle Koeffizienten in der Potenzreihe (6.12)
von exp strikt positiv sind, immer exp(x) > 1+ x > 1. Klarerweise ist exp(0) = 1.
Fur x < 0 folgt aus (i), dass 1exp(x)
= exp(−x) > 1 − x > 1 und somit exp(x) ∈(0, 1), exp(x) < 1
1−x.
Aus diesen Abschatzungen schließen wir sofort auf (6.13). Aus x < y ergibt sich
wegen
exp(y) = exp(x + (y − x)) = exp(x) · exp(y − x) > exp(x)
die Tatsache, dass exp(x) streng monoton wachsend ist.
Nun ist exp(x) : R → R+ stetig. Somit muss wegen Korollar 6.5.3 exp(R) ein
offenes Intervall sein, das wegen (6.13) aber nur (0,+∞) = R+ sein kann.
(vi) Aus
| exp(z)|2 = exp(z) exp(z) = exp(z) exp(z) = exp(z+ z) = exp(2 Re z) = exp(Re z)2
und aus der Tatsache, dass | exp(z)| und exp(Re z) positive reelle Zahlen sind,
folgt | exp(z)| = exp(Re z). Weiters gilt (cos y)2 + (sin y)2 = | cos y + i sin y|2 =| exp(iy)|2 = exp(0) = 1.
(vii) Folgt aus der jeweiligen Potenzreihenentwicklung, da nur gerade bzw. nur unge-
rade Potenzen vorkommen.
(viii) Man setze die Definition von sin und cos ein und rechne die Gleichheit nach.
❑
Wie wir unter anderem gerade gesehen haben, ist exp : R→ R+ eine Bijektion.
6.8.4 Definition. Mit ln : R+ → R wollen wir die Inverse von exp : R → R+ bezeich-
nen und sprechen vom naturlichen Logarithmus bzw. vom Logarithmus naturalis.
Aus Satz 6.8.3, Korollar 6.5.3 und durch elementares Nachrechnen folgt sofort
6.8. DIE EXPONENTIALFUNKTION 183
x
y
−3 −2 −1 1 2 30
1
4
3
2
−1
y = exp(x)
Abbildung 6.9: Funktionsgraph der reellen Exponentialfunktion
x
y
−1 1 2 3 4 5 60
3
2
1
−1
−2
−3
y = ln(x)
Abbildung 6.10: Logarithmus naturalis
6.8.5 Korollar. Die Funktion ln : R+ → R ist eine stetige und streng monoton wach-
sende Bijektion. Es gilt
limx→0+
ln x = −∞, limx→+∞
ln x = +∞ ,
sowie
ln(xy) = ln x + ln y, x, y > 0, ln(xn) = n ln x, x > 0, n ∈ Z .
Beachte, dass wir den Logarithmus nur fur reelle Werte definiert haben. Dies ist
kein Zufall; will man den Logarithmus auch fur komplexe Werte definieren, trifft man
auf Schwierigkeiten ganz essentieller Natur (vgl. Vorlesung zur Komplexen Analysis).
Wir konnen nun mit Hilfe der Exponentialfunktion die bisher nur fur rationale b
definierten Ausdrucke ab auch fur beliebige b ∈ R einen Sinn geben.
184 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
6.8.6 Korollar. Fur a ∈ R+ und b ∈ Q gilt ab = exp(b ln a).
Setzen wir ab durch exp(b ln a) auf ganz (a, b) ∈ R+ × R fort, so gilt (a, a1, a2 ∈R+, b, b1, b2 ∈ R)
ab1+b2 = ab1 · ab2 , (a1a2)b = ab1 · ab
2 .
Beweis. Ist b =p
q∈ Q mit p ∈ Z, q ∈ N, so ist exp(b ln a) nach Satz 6.8.3 eine positive
reelle Zahl mit der Eigenschaft, dass
(exp(b ln a))q = exp(bq ln a) = exp(p ln a) = exp(ln ap) = ap .
Also ist exp(b ln a) =q√
ap.
Die Funktionalgleichungen folgen aus denen von exp und ln.
❑
6.8.7 Bemerkung.
Als Zusammensetzung der stetigen Funktionen exp, ln und · ist (a, b) 7→ ab auf
(a, b) ∈ R+ × R stetig (vgl. Beispiel 6.1.7).
Die Funktion exp kann nun selbst mit dieser Notation als allgemeine Potenz
angeschrieben werden. Sei dazu e := exp(1), die Eulersche Zahl. Dann gilt nach
der Definition der allgemeinen Potenz
ex = exp(x ln e) = exp(x ln exp(1)︸ ︷︷ ︸
=1
)= exp(x) .
6.8.8 Bemerkung. Wir haben schon festgestellt, dass die Eulersche Exponentialfunkti-
on eine ganz zentrale Rolle spielt. Daher wird auch die reelle Zahl e ein interessantes
Objekt sein. Dazu wollen wir hier bemerken, dass man die Eulersche Zahl e, neben
ihrer Definition als e := exp(1) =∑∞
n=01n!
auch in vielfacher Weise anders charakteri-
sieren kann. Zum Beispiel kann man zeigen, dass
e = limn→∞
(1 +
1
n
)nbzw. ez = lim
n→∞
(1 +
z
n
)n,
gilt.
Diese Formel gibt auch Anlass zu alternativen Definitionen der Funktion exp(x),
namlich als ex. Dafur muss man allerdings die allgemeine Potenz zuerst – ohne Ver-
wendung von exp – definieren. Dies kann so geschehen, dass man von der Funktionq√
ap : R+ × Q → R+ ausgeht und diese mittels stetiger Fortsetzung zu einer Funktion
R+ × R→ R+ macht.
Wie aus der Schule bekannt, ist eine der wichtigsten Naturkonstanten die Zahl π.
Mit Hilfe der Funktion cos kann man nun die Existenz dieser Zahl mit all ihren wich-
tigen Eigenschaften herleiten.
6.8.9 Lemma.
Fur t ∈ [0, 2] und n ∈ N gilt tn
n!≥ tn+2
(n+2)!.
Die Funktion cos : R→ R hat eine kleinste positive Nullstelle x0, die im Intervall
(0, 2) liegt.
Fur x0 gilt sin x0 = 1.
6.8. DIE EXPONENTIALFUNKTION 185
Beweis.
Durch Umformen ist die zu beweisende Ungleichung aquivalent zu
(n + 2)(n + 1) ≥ t2, und somit richtig.
Wir betrachten die Potenzreihenentwicklung von cos in Lemma 6.8.2 und stellen
sofort cos 0 = 1 fest. Da man in Reihen Klammern setzen darf, folgt aus dem
letzten Punkt
cos 2 = 1 − 22
2+
24
4!−∞∑
l=1
(24l+2
(4l + 2)!− 24l+4
(4l + 4)!
)≤ 1 − 22
2+
24
4!= −1
3.
Nach dem Zwischenwertsatz Korollar 6.2.6 hat t 7→ cos t im Intervall (0, 2) si-
cher eine Nullstelle x.
Nach Proposition 6.1.12 ist die Menge N = {t ∈ R : cos t = 0} = (cos |R)−1({0})und daher auch N∩[0,+∞) abgeschlossen. In Beispiel 5.1.14 haben wir gesehen,
dass N ∩ [0,+∞) ein Minimum hat, welches wegen cos 0 = 1 sicher nicht 0 ist.
Also gibt es eine kleinste positive Nullstelle x0 von t 7→ cos t.
(sin x0)2 = 1 folgt aus (cos x0)2 + (sin x0)2 = 1; vgl. Satz 6.8.3. Nun ist aber
wegen des ersten Punktes
sin x0 =
∞∑
l=0
x4l+1
0
(4l + 1)!−
x4l+30
(4l + 3)!
≥ 0,
und somit sin x0 = 1.
❑
6.8.10 Definition. Die Zahl π sei jene positive reelle Zahl, sodass π2
die kleinste posi-
tive Nullstelle von cos : R→ R ist.
x
y
− π2
π2− 3π
23π2
−π π−2π 2π0
−1
1
y = sin(x)
y = cos(x)
Abbildung 6.11: Funktionsgraphen des reellen Sinus und Cosinus
6.8.11 Satz.
(i) exp(±i π2) = ±i, exp(±iπ) = −1, exp(±2iπ) = 1.
186 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
(ii) cos(± π2) = 0, cos(±π) = −1, cos(±2π) = 1,
sin(± π2) = ±1, sin(±π) = 0, sin(±2π) = 0.
(iii) exp(z+ 2kπi) = exp(z), sin(z+ 2kπ) = sin(z), cos(z+ 2kπ) = cos(z), z ∈ C, k ∈ Z. .
(iv) exp(z) = 1 ⇐⇒ ∃k ∈ Z : z = 2kπi (⇔ z ∈ 2πiZ).
(v) cos z = 0⇔ ∃k ∈ Z : z = π2+ πk, und sin z = 0⇔ ∃k ∈ Z : z = πk.
(vi) Es gilt exp(C) = C \ {0}, wobei exp(z) = exp(ζ)⇔ z − ζ ∈ 2πiZ.
Beweis.
(i) Wegen Satz 6.8.3 und Lemma 6.8.9 gilt exp(i π2) = cos π
2+ i sin π
2= i. Der Rest
folgt aus Satz 6.8.3, (i).
(ii) Folgt aus (i), indem man Real- und Imaginarteil betrachtet.
(iii) exp(z + 2kπi) = exp(z) · exp(2πi)k = exp(z). Daraus folgen durch Einsetzen von
Definition 6.8.1 die restlichen Aussagen.
(iv) Sei exp(z) = 1 gegeben. Aus Satz 6.8.3 wissen wir, dass damit Re z = 0 und damit
z = 0 + iy fur ein y ∈ R. Klarerweise ist y = η + 2lπ fur ein eindeutiges l ∈ Z und
η ∈ [0, 2π)12. Aus (iii) folgt exp(iη) = exp(iy) = 1.
Angenommen η , 0. Schreibe
exp(iη
4) = cos
η
4+ i sin
η
4=: u + iv mit u, v ∈ R .
Dabei ist wegen 0 <η
4< π
2, und der Definition von π
2, sicherlich u , 0. Im Fall
v = 0 ware exp(iη
4) = u = ±1 und somit
exp(i(π
2− η
4))=
exp(i π2)
exp(iη
4)=
i
±1= ±i .
Also ist α = π2− η
4eine reelle Nullstelle von cos mit α ∈ (0, π
2) im Widerspruch
zur Definition von π2. Also muss v , 0. Klarerweise gilt auch
1 = exp(iη) = (u + iv)4 =[u4 − 6u2v2 + v4] + i
[4uv(u2 − v2)
].
Die rechte Zahl ist genau dann reell, wenn u2 − v2 = 0. Wegen u2 + v2 = 1 ist das
aquivalent zu u2 = v2 = 12. Dann ist aber u4 − 6u2v2 + v4 = −1 , 1.
(v) Es ist cos z = 0 genau dann, wenn exp(iz) = − exp(−iz) = exp(iπ − iz), also
wenn exp(2iz − iπ) = 1. Dieses tritt genau dann ein, wenn 2iz−iπ2πi∈ Z, d.h. wenn
z ∈ π2+ πZ. Analog bestimmt man die Nullstellen des Sinus.
(vi) Sei w ∈ C, w , 0, gegeben. Da exp(x) eine Bijektion von R auf R+ ist, gibt es ein
x ∈ R mit exp(x) = |w|. Schreibe wexp x= u + iv mit u, v ∈ R.
Klarerweise ist u2 + v2 = 1. Insbesondere gilt u ∈ [−1, 1]. Wegen cos 0 = 1 und
cosπ = −1 gibt es nach dem Zwischenwertsatz (Korollar 6.2.6) ein t ∈ [0, π] mit
u = cos t.
12Fur l nehme man das Maximum von {k ∈ Z : 2kπ ≤ y}.
6.8. DIE EXPONENTIALFUNKTION 187
Aus u2 + v2 = 1 = (cos t)2 + (sin t)2 folgt v2 = (sin t)2. Ist v = sin t, so setze y = t.
Sonst muss v = − sin t, und dann setze man y = −t. In jedem Falle ist cos y = u
und sin y = v und somit
w = exp(x)(cos y + i sin y) = exp(x + iy) .
Ist exp(z) = exp(ζ), so folgt 1 = exp(z − ζ), also z − ζ ∈ 2πiZ.
❑
Jede komplexe Zahl w , 0 lasst sich gemaß Satz 6.8.11 als exp(z) schreiben. Wahlt
man z so, dass 0 ≤ Im z < 2π, so ist nach Satz 6.8.11, (v), z eindeutig bestimmt. Also
ist exp : R × [0, 2π)→ C \ {0} bijektiv.
−1 1
Im z
0
12πi−1 +1
2πi 1 +1
2πi
πi−1 +πi 1 +πi
32πi−1 +3
2πi 1 +3
2πi
2πi−1 +2πi 1 +2πi
Re z
14πi
exp(z) = w
Re w
Im w
1 = exp(0) = exp(2πi)
exp(πi) = −1
exp( 12πi) = i
exp( 32πi) = −i
1√2(1 + i) = exp( 1
4πi)
e = exp(1)exp(1 + πi) = −e
exp(1 + 12πi) = ie
exp(1 + 32πi) = −ie
0
Abbildung 6.12: Exponentialfunktion als Abbildung von C auf C \ {0}
6.8.12 Definition. Ist zu einem gegebenen w ∈ C \ {0} das komplexe z ∈ R ×[0, 2π) ⊆ (C) die eindeutige Losung von exp(z) = w, und setzt man r = exp(Re z)
und t = Im z, so erhalt man
w = exp(Re z) exp(i Im z) = r(cos t + i sin t) .
Somit ist (r, t) 7→ r(cos t + i sin t) eine Bijektion T : R+ × [0, 2π) → C \ {0}. Das Paar
(r, t) nennt man dabei die Polarkoordinaten von w.
Betrachtet man (r, t) 7→ r(cos t + i sin t) als Abbildung von [0,+∞) × [0, 2π), so
erreicht man alle komplexen w – auch w = 0 – zu dem Preis, dass diese Abbildung
dann nicht mehr injektiv ist.
6.8.13 Bemerkung.
Wegen Satz 6.8.11, (iii), kann dabei auch das Intervall [0, 2π) durch irgendein
halboffenes Intervall der Lange 2π, z.B. (−π, π], ersetzen.
Offensichtlich ist T : R+ × [0, 2π) → C \ {0} als Zusammensetzung von
stetigen Funktionen selbst stetig. Die Umkehrung ist nicht stetig: Es gilt
188 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
limn→∞ exp(−i 1n) = 1, aber
limn→∞
T−1(exp(−i1
n)) = lim
n→∞(1, 2π − 1
n) = (1, 2π) , (1, 0) = T−1(1) .
Nimmt man statt [0, 2π) z.B. das Intervall [a, a + 2π), so treten entsprechende
Probleme beim Winkel a auf.
Nimmt man den kritischen Winkel aus, so sind die Polarkoordinaten in beide Rich-
tungen stetig.
6.8.14 Proposition (*). Die Abbildung
T : R+ × (a, a + 2π)→ C \ {r exp(ia) : r ∈ [0,+∞)}
ist bijektiv, und T und T−1 sind stetig.
Beweis. Es bleibt die Stetigkeit von T−1 : D := C \ {r exp(ia) : r ∈ [0,+∞)} →R+ × (a, a + 2π) zu zeigen. Dazu sei limn→∞ zn = z ∈ D fur eine Folge aus D. Somit
konnen wir
zn = rn exp(iαn), n ∈ N, z = r exp(iα) ,
mit rn, r ∈ (0,+∞) und αn, α ∈ (a, a + 2π) schreiben. Wegen rn = |zn|, r = |z| folgt
rn → r.
Ist (αn(k))k∈N eine Teilfolge, so hat diese wegen der Kompaktheit von [a, a + 2π]
eine gegen ein β ∈ [a, a+ 2π] konvergente Teilfolge (αn(k(l)))l∈N. Somit ware wegen der
Stetigkeit von T
exp(iβ) = liml→∞
exp(iαn(k(l))) = liml→∞
zn(k(l))
rn(k(l))
=z
r= exp(iα) ,
und nach Satz 6.8.11 β − α ∈ 2πZ. Also folgt α = β und nach Lemma 5.2.11 gilt
αn → α.
❑
6.8.15 Bemerkung. Wir sehen nun auch, dass es fur n ∈ N immer n viele n-te Wurzeln
einer jeden Zahl w ∈ C \ {0} in C gibt:
Schreiben wir w in Polarkoordinaten w = r(cos t + i sin t), (r, t) ∈ R+ × [0, 2π), so
gilt fur ein ζ ∈ C
exp(ζ)n = w⇔ exp(nζ) = r(cos t + i sin t) = exp(ln(r) + it) .
Wegen Satz 6.8.11 ist das genau dann der Fall, wenn nζ = ln(r) + i(t + 2 jπ) fur ein
j ∈ Z. Da die Losungen der Gleichung zn = w nur in C \ {0} = exp(C) zu suchen sind,
erhalten wir mit
η j = exp
(ln(r) + i(t + 2 jπ)
n
)=
n√
r ·(cos
t + 2 jπ
n+ i sin
t + 2 jπ
n
)∈ C, j ∈ Z ,
genau alle Losungen dieser Gleichung. Wieder wegen Satz 6.8.11 sind aber nur
η0, . . . , ηn−1 paarweise verschieden, und fur j < {0, . . . , n − 1} stimmt η j mit einem
der η0, . . . , ηn−1 uberein.
6.9. FUNDAMENTALSATZ DER ALGEBRA 189
6.9 Fundamentalsatz der Algebra
Als Anwendung der bisher entwickelten Stetigkeitstheorie wollen wir den Fundamen-
talsatz der Algebra beweisen. Zunachst benotigen wir ein Lemma.
6.9.1 Lemma. Ist p(z) ∈ C[z] vom Grad n, dh. p(z) = anzn + . . . + a0, an , 0,
ein komplexes Polynom, so hat |p(z)| ein Minimum, d.h. es gibt eine Zahl c ∈ C mit
|p(c)| ≤ |p(z)| fur alle z ∈ C.
Beweis. Wir haben in Beispiel 5.5.11 gesehen, dass limz→∞ |anzn + . . . + a0| = +∞.
Insbesondere gibt es eine Zahl R > 0, sodass |p(z)| ≥ |a0| = |p(0)|, z ∈ C mit |z| > R.
Die Kreisscheibe K := {z ∈ C : |z| ≤ R} ist kompakt, und |p(z)| ist, als Zusam-
mensetzung der stetigen Funktionen p und |.|, stetig auf K. Daher wird ein Minimum
angenommen, minz∈K |p(z)| = |p(c)| ≤ |p(0)|. Unsere Wahl von R sichert, dass
|p(c)| = minz∈C |p(z)|.❑
6.9.2 Satz (Fundamentalsatz der Algebra). Sei p(z) = a0 + · · · + anzn ein komplexes
Polynom vom Grad n. Dann existieren n nicht notwendigerweise verschiedene Zahlen
z1, . . . , zn ∈ C, sodass
p(z) = an
n∏
k=1
(z − zk) . (6.14)
Beweis.
Sei h(z) ein Polynom der Form h(z) = 1 + bzk + zkg(z) mit k ∈ N, b ∈ C \ {0}und einem Polynom g, wobei g(0) = 0. Wir zeigen die Existenz eines u ∈ C mit
|h(u)| < 1.
Dazu wahlen wir eine k-te Wurzel von − 1b
(vgl. Bemerkung 6.8.15), d.h. eine
Zahl d ∈ C mit bdk = −1. Fur t ∈ (0, 1] gilt
|h(td)| ≤ |1 − tk | + |tkdkg(td)| = 1 − tk + tk |dkg(td)| = 1 − tk(1 − |dkg(td)|) .
Wegen |dkg(td)| = 0 fur t = 0 folgt aus der Stetigkeit dieses Ausdruckes bei
0, dass |dkg(td)| ≤ 12
fur t ∈ (0, δ) mit einem δ > 0. Fur jedes solche t gilt
|h(td)| ≤ 1 − tk 12< 1.
Nun zeigen wir, dass jedes nichtkonstante Polynom f (z) eine Nullstelle in C hat.
Nach Lemma 6.9.1 gibt es ein c ∈ C, sodass | f (c)| = minz∈C | f (z)|. Ware f (c) , 0,
so betrachte
h(z) :=f (z + c)
f (c)= 1 + bkzk + bk+1zk+1 + . . . + bnzn, bk , 0 .
Nach dem ersten Beweisschritt existiert ein u ∈ C mit |h(u)| < 1 und daher
| f (u + c)| = |h(u)| · | f (c)| < | f (c)|
im Widerspruch zu | f (c)| = minz∈C | f (z)|.
Wir zeigen nun (6.14) durch Induktion nach dem Grad von p(z). Ist der Grad
eins, also p(z) = a1z + a0 mit a1 , 0, so ist p(z) = a1(z − (− a0
a1)).
190 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
Stimme nun (6.14) fur alle Polynome vom Grad kleiner als n, sei p(z) vom Grad
n. Nach dem vorigen Beweisschritt hat p eine Nullstelle z1. Mittels Polynomdi-
vision und Einsetzen von z = z1 erhalt man p(z) = s(z)(z − z1). Das Polynom s
hat den gleichen Fuhrungskoeffizienten wie p und lasst sich nach Induktionsvor-
aussetzung in der angegebenen Weise faktorisieren.
❑
6.9.3 Bemerkung. Funktionen f : R→ C der Bauart
f (t) =
N∑
n=−N
cn exp(itn) ,
fur ein N ∈ N und cn ∈ C, n = 0, . . . ,N nennt man trigonometrische Polynome.
Man sieht sofort, dass f (t) = exp(−iNt) · p(exp(it)), wobei p : C \ {0} → C
p(z) =
2N∑
n=0
cn−Nzn .
f ist stetig und 2π-periodisch. Weiters stimmen zwei trigonometrische Polynome ube-
rein, wenn das ihre Koeffizienten tun. Ist namlich
N∑
n=−N
cn exp(itn) =
M∑
n=−M
dn exp(itn) ,
wobei o.B.d.A. N ≥ M, so folgt∑N
n=−N(cn − dn) exp(itn) = 0, wobei wir d j = 0, M <
j ≤ N setzten. Es folgt q(exp(it)) = 0, t ∈ R, mit q(z) =∑2N
n=0(cn−N − dn−N)zn. Also
hat das Polynom q(z) unendlich viele Nullstellen und ist damit das Nullpolynom, d.h.
cn = dn, n = −N, . . . ,N.
Schließlich lasst sich jedes trigonometrische Polynom wegen
N∑
n=−N
cn exp(itn) =
N∑
n=−N
cn(cos nt+i sin nt) = c0+
N∑
n=1
(cn+c−n) cos nt+
N∑
n=1
(cn−ic−n) sin nt ,
in der Form
a0 +
N∑
n=1
an cos nt +
N∑
n=1
bn sin nt , (6.15)
schreiben. Umgekehrt lasst sich jede Funktion der Bauart (6.15) schreiben als
a0 +
N∑
n=1
an
exp(int) + exp(−int)
2+
N∑
n=1
bn
exp(int) − exp(−int)
2i=
−1∑
n=−N
a−n + ib−n
2exp(itn) + a0 +
N∑
n=1
an − ibn
2exp(itn) .
Somit ist (6.15) eine zweite Art trigonometrische Polynome darzustellen, wobei die
Koeffizienten in (6.15) ebenfalls eindeutig sind.
6.10. WEITERE WICHTIGE ELEMENTARE FUNKTIONEN 191
6.10 Weitere wichtige elementare Funktionen
Die Funktion
tan : R \ {π2+ πn : n ∈ Z} → R, tan(x) =
sin x
cos x,
wird als Tangens und
cot : R \ {πn : n ∈ Z} → R, cot(x) =cos x
sin x,
als Cotangens bezeichnet.
x
y
− π2
− 3π2
−π−2π
π2
3π2
π 2π0
y = tan(x)
y = cot(x)
Abbildung 6.13: Tangens und Cotangens
192 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
Betrachtet man tan eingeschrankt auf (− π2, π
2), so zeigt man elementar, dass tan die-
ses Intervall bijektiv auf R abbildet. Entsprechend bildet cot das Intervall (0, π) bijektiv
auf R ab. Die jeweiligen Umkehrfunktionen heißen arctan (Arcustangens) bzw. arccot
(Arcuscotangens).
x
y
−π π−2π 2π0
π2
− π2
y = arctan(x)
y = arccot(x)π
Abbildung 6.14: Arcustangens und Arcuscotangens
Man kann auch sin auf das Intervall [− π2, π
2] einschranken, und erhalt eine Bijektion
von [− π2, π
2] auf [−1, 1]. Die Umkehrfunktion davon heißt arcsin (Arcussinus). Entspre-
chend bildet cos das Intervall [0, π] bijektiv auf [−1, 1] ab. Die Umkehrfunktion davon
heißt arccos (Arcuscosinus).
x
y
−2 −1 1 20
π
π2
− π2
y = arcsin(x)
y = arccos(x)
Abbildung 6.15: Arcussinus und Arcuscosinus
Ahnlich wie sin und cos sind Sinus Hyperbolicus sinh und Cosinus Hyperbolicus
cosh definiert:
cosh z :=exp(z) + exp(−z)
2, sinh z :=
exp(z) − exp(−z)
2, z ∈ C .
6.10. WEITERE WICHTIGE ELEMENTARE FUNKTIONEN 193
Die Werte von cosh z und sinh z liegen im allgemeinen in C. Fur reelle z = x liegen
cosh x und sinh x offensichtlich in R.
x
y
−3 −2 −1 1 2 30
1
4
3
2
−1
−2
−3
−4
y = sinh(x)
y = cosh(x)
Abbildung 6.16: Sinus Hyperbolicus und Cosinus Hyperbolicus
Da sinh : R → R bijektiv ist, hat er eine Inverse, die mit areasinh (Areasinus Hy-
perbolicus) bezeichnet wird. Die Funktion cosh eingeschrankt auf [0,+∞) bildet dieses
Intervall bijektiv auf [1,+∞) ab. Die entsprechende Umkehrfunktion von [1,+∞) auf
[0,+∞) heißt areacosh (Areacosinus Hyperbolicus).
194 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
x
y
−6 −5 −4 −3 −2 −1 1 2 3 4 5 60
3
2
1
−1
−2
−3
y = areasinh(x)
y = areacosh(x)
Abbildung 6.17: Areasinus Hyperbolicus und Areacosinus Hyperbolicus
x
y
−2 −1 1 20
1
−1
y = tanh(x)
y = coth(x)
Abbildung 6.18: Tangens Hyperbolicus und Cotangens Hyperbolicus
Schließlich ist tanh : R→ R definiert durch tanh x = sinh xcosh x
, und coth : R \ {0} → Rdurch coth x = cosh x
sinh x.
Dabei bildet tanh die reellen Zahlen bijektiv auf (−1, 1) und coth die Menge R \ {0}bijektiv auf R \ [−1, 1]. Die entsprechenden Umkehrfunktion heißen areatanh (Area-
tangens Hyperbolicus) und areacoth (Areacotangens Hyperbolicus).
6.11. ABELSCHER GRENZWERTSATZ* 195
x
y
2 4 6
−6 −4 −2
0
2
1
−1
−2
y = areatanh(x)
y = areacoth(x)
Abbildung 6.19: Areatangens Hyperbolicus und Areacotangens Hyperbolicus
6.11 Abelscher Grenzwertsatz*
Thematisch passt zu diesem Kapitel – insbesondere zum Begriff der Potenzreihe – der
sogenannte Abelsche Grenzwertsatz.
6.11.1 Satz. Sei P(z) =∑∞
j=0 a jzj eine Potenzreihe, R ihr Konvergenzradius mit 0 <
R < ∞. Weiters sei z0 ∈ C mit |z0| = R. Ist die Zahlenreihe s :=∑∞
j=0 a jzj
0konvergent,
so gilt
limt→1−
P(tz0) = s . (6.16)
Beweis. Sei |z| < R und
sn :=
n∑
j=0
a jzj
0, s := lim
n→∞sn .
Laut Voraussetzung existiert der Grenzwert s. Aus Lemma 3.10.5 folgt
n∑
j=0
a jzj =
n∑
j=0
(a jzj
0)
(z
z0
) j
=
(z
z0
)n
sn −n−1∑
j=0
s j(
(z
z0
) j+1
−(
z
z0
) j
) =
(z
z0
)n
sn +
(1 − z
z0
) n−1∑
j=0
s j
(z
z0
) j
.
Wegen(
zz0
)nsn → 0 konvergiert die Reihe auf der rechten Seite, und wir erhalten
P(z) =
∞∑
j=0
a jzj =
(1 − z
z0
) ∞∑
j=0
s j
(z
z0
) j
, |z| < R .
Andererseits folgt aus∑∞
j=0 ζj = 1
1−ζ fur |ζ | < 1, dass
s =
(1 − z
z0
) ∞∑
j=0
s
(z
z0
) j
.
Fur |z| < R und N ∈ N folgt
|P(z) − s| ≤∣∣∣∣∣1 −
z
z0
∣∣∣∣∣N∑
j=0
|s − s j|(
z
z0
) j
+
∣∣∣∣∣1 −z
z0
∣∣∣∣∣∞∑
j=N+1
|s − s j|(
z
z0
) j
196 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
Ist nun ǫ > 0 und N fest und so groß, dass |s − s j| < ǫ, j > N, so ist das kleiner oder
gleich
∣∣∣∣∣1 −z
z0
∣∣∣∣∣N∑
j=0
|s − s j|(
z
z0
) j
+ ǫ
∣∣∣∣1 − zz0
∣∣∣∣
1 −∣∣∣∣ z
z0
∣∣∣∣. (6.17)
Ist z = tz0, t ∈ (0, 1), so sieht man, dass es ein t0 ∈ (0, 1) gibt, sodass fur t > t0 dieser
Ausdruck kleiner oder gleich 2ǫ ist. Da ǫ > 0 beliebig war, gilt (6.16).
❑
6.11.2 Bemerkung. Mit einer etwas feineren Argumentationsweise lasst sich (6.16)
folgendermaßen verallgemeinern:
Nahert sich z nichttangentiell dem Punkt z0 an, so konvergiert P(z) gegen s. Das
bedeutet: Ist Nα, 0 < α < π der Winkelraum
Nα = {reiβ ∈ C : r > 0, β ∈ [−α, α]} ,
C
Re
Im
α
α
Abbildung 6.20: Winkelraum Nα
so gilt
limτ∈Nα, τ→0
P((1 − τ)z0
)= s . (6.18)
Um das einzusehen, bemerke man zunachst, dass fur τ = reiβ ∈ Nα mit r = |τ| ≤ cosα
|τ|1 − |1 − τ| =
|τ|(1 + |1 − τ|)1 − |(1 − τ)|2 ≤
2
2 cos β − r≤ 2
2 cosα − r≤ 2
cosα.
Nun folgt man dem Beweis von Satz 6.11.1 bis (6.17). Dann folgt mit z = (1−τ)z0, |τ| ≤cosα, τ ∈ Nα
|P(z) − s| ≤∣∣∣∣∣1 −
z
z0
∣∣∣∣∣N∑
j=0
|s − s j|(
z
z0
) j
+ ǫ2
cosα.
Fur |τ| → 0 konvergiert der erste Summand gegen Null. Also gibt es ein t0 ∈ (0, cosα),
sodass |P(z) − s| ≤ ǫ 3cos α
, wenn nur |τ| ≤ t0, τ ∈ Nα.
Da ǫ beliebig war, folgt (6.18).
6.12. UBUNGSBEISPIELE 197
6.12 Ubungsbeispiele
6.1 Seien Rn, Rn × Rn� R2n und Rm versehen mit der euklidischen Metrik.
Zeigen Sie: Ist A eine m × n-Matrix, so ist die lineare Abbildung Rn → Rm, x 7→ Ax (hier
betrachte man x als ’stehenden’ und nicht als ’liegenden’ Vektor) stetig. Man zeige auch,
dass (Rn×Rn)→ Rn, (x, y) 7→ x+y und (R×Rn)→ Rn, (λ, x) 7→ λx (skalare Multiplikation)
stetig sind.
6.2 Sei f : R→ R definiert als
f (x) :=
0 , x irrational1n
, x rational, x = mn
mit ggT{m, n} = 1.
Zeige, dass f in jedem irrationalen Punkt stetig ist.
Hinweis: Zeigen Sie, dass es zu jeder irrationalen Zahl x und vorgegebenen ǫ > 0 ein
Intervall (x − δ, x + δ) gibt, sodass wennp
q∈ (x − δ, x + δ) ∩Q sicher 1
|q| < ǫ.
6.3 Seien f , g : X → Y zwei stetige Funktionen, wobei X,Y zwei metrische Raume sind. Man
zeige, dass, wenn f (t) = g(t) fur alle t ∈ D, wobei D dicht in X ist, sogar f (x) = g(x) fur
alle x ∈ X.
6.4 Betrachte die Funktion f : R2 → R, die definiert ist als f (x, y) := max{x, y}. Hierbei ist R2
versehen mit der euklidischen Metrik. Man zeige: f ist stetig.
Hinweis: Ein Moglichkeit ist, zunachst zu zeigen, dass max(x, y) =x+y+|x−y|
2.
6.5 An welchen Punkten ist die folgende Funktion stetig und welche Art von Unstetigkeit liegt
an den Unstetigkeitsstellen vor?
f (x) =
x2 , x ∈ [−1, 1],
x + 1 , x < −1,
x − 1 , x > 1.
Weiters bestimme man, fur welche Wahl von a, b ∈ R die folgende Funktion f : R → Rstetig ist:
f (x) =
(x − a)2 , x < −1,
1 − x2 , x ∈ [−1, 2],
bx3 + x , x > 2.
6.6 An welchen Punkten ist die folgende Funktion stetig und welche Art von Unstetigkeit liegt
an den Unstetigkeitsstellen vor?
f (x) =
x2 + 2x + 1 , − 1 ≤ x ≤ 0,
1 − x , sonst.
Weiters bestimme man, fur welche Wahl von a, b ∈ R die folgende Funktion f : R → Rstetig ist:
f (x) =
1 + x2 , x ≤ 1,
ax − x3 , 1 < x ≤ 2,
bx2 , x > 2.
6.7 Man betrachte folgende Funktion als Funktion von C\N nach C (beide mit der euklidischen
Metrik versehen), wobei N die Menge der Nullstellen des Nenners ist.
f (z) =z3 − 13z − 12
z3 + z2 + z + 1.
Man zeige, dass f stetig ist, und man gebe die maximale Teilmenge von C an, auf die sich
f stetig fortsetzen lasst.
198 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
6.8 Man betrachte folgende Funktion als Funktion von C\N nach C (beide mit der euklidischen
Metrik versehen), wobei N die Menge der Nullstellen des Nenners ist.
f (z) =z3 + 2z2 − 13z + 10
z4 + 5z3 − z2 − 5z.
Man zeige, dass f stetig ist, und man gebe die maximale Teilmenge von C an, auf die sich
f stetig fortsetzen lasst.
6.9 Weisen Sie nach, dass eine Teilmenge I von R genau dann
∀x, y ∈ I, x < y⇒ [x, y] ⊆ I.
erfullt, wenn I eine der folgenden Formen hat
∅, (a, b), [a, b], (a, b], [a, b), (a,+∞), (−∞, a), [a,+∞), (−∞, a],R.
Hinweis: Fur die⇒ Richtung unterscheiden Sie, ob I nach oben (unten) beschrankt ist, und
ob in diesem Fall die Menge ihr Supremum (Infimum) enthalt oder nicht.
6.10 Gegeben sei ein Polynom p(x) = a0 + a1 x + . . . + an xn mit reellen Koeffizienten und an , 0.
Zeigen Sie:
Ist n ungerade, so hat p mindestens eine reelle Nullstelle.
Ist n gerade und a0an < 0, so hat p mindestens zwei verschiedene reelle Nullstellen.
6.11 Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum und x in X. Zeigen Sie mit Hilfe der Folgen-
Charakterisierung der Stetigkeit, dass eine Abbildung f = ( f1, . . . , fp) : X → Rp genau
dann in x stetig ist, wenn alle Komponentenfunktionen f j : X → R, j = 1, . . . , p, im Punkt
x stetig sind.
Anmerkung: f j kann man auch als π j ◦ f anschreiben; vgl. Beispiel 6.1.2.
6.12 Betrachten Sie die Funktion f : R2 → R definiert durch
f (x, y) =xy2
x2 + y4, (x, y) , (0, 0), f (0, 0) = 0.
Zeigen Sie, dass fur jeden eindimensionalen Unterraum D := {λ(x0, y0) : λ ∈ R} die Funkti-
on f |D stetig ist.
Hinweis: Es konnte hilfreich sein, zuerst zu zeigen, dass eine Folge (λn(x0, y0))n∈N in D
genau dann bzgl. d2 konvergiert, wenn (λn) in R konvergiert!
6.13 Mit der Notation aus dem vorherigen Beispiel zeige man, dass f : R2 → R nicht stetig ist.
Hinweis: Suchen spezielle, gegen (0, 0) konvergente Folge aus R2 \ {0}, fur die die Bildfolge
nicht gegen f (0, 0) konvergiert!
6.14 An welchen Punkten des Definitionsbereiches sind die Funktionen f : R2 → R3 und g :
R2 → R stetig, und warum bzw. warum nicht?
f (u, v) =
e−u
ev
sin(uv)
,
g(x, y) =x2y
x2 + y4, (x, y) , (0, 0), f (0, 0) = 0.
6.15 Fur n ∈ N, n ≥ 1 seien die Funktionen fn(x) auf (0, 1) definiert wie folgt:
fn(x) =
−n3 x + 2n2 , 0 < x < 1
2n,
nn+1
, 12n≤ x < 1.
.
Skizzieren Sie diese Funktionenfolge! Konvergiert diese Folge von Funktionen punktweise
oder sogar gleichmaßig? Wenn ja, wogegen? Berechnen Sie weiters die Flache an zwischen
der Funktion fn und der x-Achse! Wohin konvergiert die Folge dieser Flachen?
6.12. UBUNGSBEISPIELE 199
6.16 Bestimmen Sie fur die folgenden Funktionenfolgen ( fn) die jeweilige Grenzfunktion f (x) =
limn→∞
fn(x). Konvergieren die Funktionenfolgen gleichmaßig auf D?
a) fn(x) =n
n2 + x2, D = R b) fn(x) =
xn
1 + xn, D = [0,∞)
6.17 Man zeige mit Hilfe der Potenzreihendarstellung von cos und sin, dass limt→0sin t−t
t2= 0,
limt→0cos t−1
t2= − 1
2. Weiters berechne man limt→0+ t(cos 1
t+ 1). Hier ist t immer so zu ver-
stehen, dass es in R lauft.
Hinweis: Hat eine Potenzreihe f (z) bei Null eine Nullstelle, so ist auchf (z)
zeine Potenzreihe
und daher (bei Null) stetig.
6.18 Zeigen Sie fur E , ∅ und fur beschrankte Abbildungen f , g : E → C, dass ‖ f + g‖∞ ≤‖ f ‖∞ + ‖g‖∞ sowie ‖ f · g‖∞ ≤ ‖ f ‖∞ · ‖g‖∞.
6.19 Ist die Funktionenreihe∑∞
n=1 fn auf E mit Werten in Y ∈ {R,C} nur punktweise, gleichmaßig
oder absolut als Funktionenreihe konvergent? Dabei ist
(i) E = R,Y = R, fn =cos nx+sin nx
n2
(ii) E = [−1, 1], Y = R, fn = (−1)n xn
(iii) E = [0, 1),Y = R, fn = xn
6.20 Ist die Funktionenreihe∑∞
n=1 fn auf E = {z ∈ C : |z − 2| > 2} mit Werten in Y = C nur
punktweise, gleichmaßig oder absolut als Funktionenreihe konvergent.
Hinweis: Um ‖ fn‖∞ nach unten abzuschatzen, setze man z = − 1n
ein.
6.21 Man beweise aus den aus der Vorlesung bekannten Tatsachen folgende Gleichungen (z,w ∈C):
cos(z + kπ) = (−1)k cos z, k ∈ Z,sin(z + kπ) = (−1)k sin z, k ∈ Z,cos( π
2− z) = sin z, sin( π
2− z) = cos z,
sin(−z) = − sin z, cos(−z) = cos z,
cos 2z = (cos z)2 − (sin z)2, sin 2z = 2 sin z cos z
6.22 Fur z ∈ C seien cosh z :=exp(z)+exp(−z)
2und sinh z :=
exp(z)−exp(−z)
2. Man gebe die Potenzreihen-
darstellung dieser Funktionen und ihren Konvergenzradius an.
Fur x ∈ R berechne man limx→+∞ sinh x, limx→−∞ sinh x, limx→+∞ cosh x, limx→−∞ cosh x,
und skizziere die Funktionsgraphen von cosh |R : R→ R, sinh |R : R→ R.
Man stelle auch cosh z mit Hilfe der cos Funktion und sinh z mit Hilfe der sin Funktion dar
(z ∈ C). Weiters bestimme man die z ∈ C, sodass cosh z = 0 und die z mit sinh z = 0.
6.23 Man zeige, dass sinh |R : R → R streng monoton wachsend ist, dass sinh |R(R) = R, und
dass die Inverse areasinh : R→ R mit ln(x +√
x2 + 1)
ubereinstimmt und stetig ist.
Hinweis: Um areasinh(x) = ln(x +√
x2 + 1)
zu zeigen, setzen Sie unbestimmt sinh t = x
und losen sie diese Gleichung.
Anmerkung: cosh |R : R → R hat nicht diese Eigenschaft. Schrankt man diese Funktion
auf [0,+∞) ein, dann gilt aber schon, dass cosh |[0,+∞) : [0,+∞)→ [1,+∞) streng monoton
wachsend und bijektiv ist. Ihre Inverse ist gegeben durch areacosh(x) := ln(x +√
x2 − 1).
6.24 Man rechne nach, dass sin s− sin t = 2 cos( s+t
2) sin( s−t
2). Weiters verwende man diese Tatsa-
che um zu zeigen, dass sin : [− π2, π
2] → [−1, 1] streng monoton wachsend und bijektiv ist.
Man zeichne eine Skizze der Umkehrfunktion arcsin : [−1, 1]→ [− π2, π
2] (Arcussinus).
6.25 Man bestimme alle sechsten Wurzeln von 1 in C auf zwei Arten: In Polarkoordinaten und in
der Real- und Imaginarteil Schreibweise.
Man berechne daraus cos( π3), sin( π
3).
200 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
6.26 Sei f : [0, 2π)→ C gegeben durch f (t) = exp(it). Ist f stetig?
Zeigen Sie mit den Resultaten aus der Vorlesung: Betrachtet als Abbildung von [0, 2π) nach
T ist f bijektiv. Zeigen Sie auch, dass fur jedes β ∈ (0, 2π) die Abbildung f |−1[0,β]
: f ([0, β])→[0, β] ⊆ R stetig ist! Ist auch f −1 : T→ [0, 2π) ⊆ R stetig? Begrundung!
6.27 Sei E = N ∪ {0} und z ∈ C fest! Betrachte fn : E → C fur n ∈ N ∪ {0} definiert durch
fn(k) =1
kn
(k
n
)zn .
Zeigen Sie, dass∑∞
n=0 fn als Funktionenreihe absolut konvergiert! Berechnen Sie die Grenz-
funktion∑∞
n=0 fn.
Wenn Sie Lemma 6.6.11 (Vertauschung von Grenzwerten) auf die Funktionenfolge (mit
Folgenindex N ∈ N) der Partialsummen sN =∑N
n=0 fn und die Folge xk = k anwenden,
welche Gleichheit erhalten Sie dann?
6.28 Man betrachte fur x ∈ R \ Z,
f (x) =
∞∑
k=1
1
(x − k)2+
∞∑
k=1
1
(x + k)2+
1
x2,
und zeige, dass diese Funktion auf R \ Z wohldefiniert und stetig ist.
Hinweis: Fur die Stetigkeit betrachte man zunachst x ∈ [−K,K] fur ein K ∈ N und schreibe
f (x) =∑∞
k=K+11
(x−k)2 +∑∞
k=K+11
(x+k)2 +∑K
k=−K1
(x−k)2 . Man zeige, dass man auf die beiden
Reihen das Weierstraß Kriterium anwenden kann.
6.29 Sei f (x), x ∈ R \ Z die Funktion aus dem vorherigen Beispiel. Man betrachte fur x ∈ R \ Z,
g(x) =π2
sin2(πx)− f (x),
und zeige, dass diese Funktion auf R \ Z wohldefiniert und stetig ist. Weiters zeige man,
dass g eine stetige Fortsetzung auf R hat, welche 1-periodisch ist. Man bezeichne auch die
Fortsetzung mit g.
Weiters zeige man, dass g folgende Gleichung erfullt:
g
(x
2
)+ g
(x + 1
2
)= 4g(x),
und leite daraus ab, dass g(x) = 0, x ∈ R bzw. f (x) = π2
sin2(πx), x ∈ R \ Z.
Hinweis zu g = 0: Wende diese Funktionalgleichung auf xmax an, wobei xmax Maximum von
|g| ist.
6.30 Man zeige mit Hilfe der Potenzreihendarstellung von exp, dass limx→+∞exp(x)
xn = +∞ fur
beliebiges n ∈ N ∪ {0}. Man berechne daraus limx→−∞ xn exp(x), sowie limy→0+ y(ln y)n.
6.31 Man zeige: limn→∞(∑n
j=0z j
j!− (1 + z
n)n) = 0 gleichmaßig auf jeder beschrankten Teilmenge
der Form {z : |z| ≤ R} von C. Man leite daraus exp(z) = limn→∞(1 + zn)n (gleichmaßig auf
{z : |z| ≤ R}) ab.
Hinweis: Zuerst zeige man, dass die Differenz gleich∑n
j=2z j
j!a j,n mit a j,n = (1−∏ j−1
l=0(1− l
n))
ist, und beachte, dass |a j,n | ≤ 1 und somit∑n
j=mz j
j!a j,n < ǫ fur N(ǫ) ≤ m < n, |z| ≤ R fur N(ǫ)
hinreichend groß. Beachte auch, dass a j,n → 0 fur n→∞ und festes j.
6.32 Man betrachte P := { f ∈ C(R,C) : g(x + 2πk) = g(x), ∀x ∈ R, k ∈ Z}, also alle 2π-
periodischen, stetigen und komplexwertigen Funktionen. Weiters sei C(T,C) die Menge al-
ler stetigen und komplexwertigen Funktionen auf T = {z ∈ C : |z| = 1}. Seien + und die
Skalarmultiplikation punktweise auf diesen Raumen definiert.
Dann zeige man, dass P und C(T,C) Vektorraume sind. Weiters zeige man, dass genau dann
g ∈ P, wenn g(x) = f (exp(ix)) fur eine Funktion f ∈ C(T,C). Schließlich weise man nach,
dass Φ : C(T,C) → P mit Φ( f ) = g, wobei g(t) = f (exp(it)), ein Vektorraumisomorphis-
mus, also eine lineare Bijektion, ist.
6.12. UBUNGSBEISPIELE 201
6.33 Fur n ∈ Z sei gn : R → C definiert durch gn(x) = exp(nix). Man zeige, dass gn ∈ P (No-
tation wie im vorherigen Beispiel). Weiters bestimme man fn ∈ C(T,C), sodass gn(x) =
fn(exp(ix)). Schließlich zeige man, dass die Funktionen fn, n ∈ Z in C(T,C) und die Funk-
tionen gn, n ∈ Z in P linear unabhangig sind.
6.34 Seien f (z) =∑∞
n=0 anzn, g(z) =∑∞
n=0 bnzn zwei Potenzreihen mit Konvergenzradius Ra ∈(0,+∞] bzw. Rb ∈ (0,+∞] mit o.B.d.A. Ra ≤ Rb und λ ∈ C, N ∈ N∪ {0}. Man betrachte die
Funktionen
f (z) + g(z), f (z) − g(z), λ f (z), f (z) · g(z), z f (z),f (z) − a0
z
auf {z ∈ C : |z| < Ra}. Man zeige, dass es zu jeder dieser Funktionen eine Potenzreihe
gibt, die die jeweilige Funktion als Grenzfunktion hat. Wie schauen die Koeffizienten dieser
Potenzreihen aus, und was kann man uber die jeweiligen Konvergenzradien sagen?
6.35 Sei f (z) =∑∞
n=0 anzn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R ∈ (0,+∞]. Weiters sei w ∈ Cmit |w| < R. Zeigen Sie, dass es eine Potenzreihe
∑∞n=0 bnζ
n mit Konvergenzradius ≥ R − |w|gibt, sodass
f (z) =
∞∑
n=0
bn(z − w)n
fur alle z ∈ UR−|w|(w).
Hinweis: Fur z ∈ UR−|w|(w) fest betrachten Sie
∑
(n,k)∈(N∪{0})2
an
(n
k
)(z − w)kwn−k .
Zeigen Sie, dass∑
n
∑(n,k)∈{n}×N |an
(n
k
)(z − w)kwn−k| unbedingt konvergiert und wenden Sie
Lemma 5.4.9 und dann Proposition 5.4.8 an!
Anmerkung: Dieses Beispiel zeigt, dass Grenzfunktionen von Potenzreihen analytisch sind;
vgl. Bemerkung 6.7.11.
6.36 Die stereographische σ Projektion entsteht folgendermaßen: Man lege im R3 eine Kugel mit
Durchmesser 1 so auf die xy-Ebene R2 × {0} � R2 (� C), dass Ihr Sudpol am Nullpunkt zu
liegen kommt. Die Oberflache der Kugel heiße S . Hat man einen Punkt P auf der Kugel
gegeben, der verschieden vom Nordpol N = (0, 0, 1) ist, so bilde man diesen auf einen
Punkt der Ebene ab, indem man die Gerade, welche P und N verbindet, mit der xy-Ebene
schneidet.
Zeige, dass die Abbildungsformeln von σ lauten:
σ(ξ, η, ζ) = (x, y), x =ξ
1 − ζ , y =η
1 − ζ ,
Zeige auch, dass die so erhaltene Abbildung σ die Menge S \ {N} bijektiv auf R2 abbildet,
und dass ihre Inverse σ−1 mit τ ubereinstimmt, wobei
τ(x, y) = (ξ, η, ζ), ξ =x
1 + x2 + y2, η =
y
1 + x2 + y2, ζ =
x2 + y2
1 + x2 + y2.
Hinweis: Fur τ = σ−1 zeigen Sie, dass tatsachlich τ(R2) ⊆ S \ {N}, und dass τ ◦ σ = idS \{N}sowie σ ◦ τ = idR2 (verwenden Sie gegebenenfalls, dass fur (ξ, η, ζ) ∈ S \ {N} immer
ξ2 + η2 + (ζ − 12)2 = 1
4)!
6.37 Mit der Notation aus dem letzten Beispiel zeige man, dass σ : S \ {N} → R2 und τ : R2 →S \ {N} ⊆ R3 stetig sind, wobei R2 und R3 mit d2 versehen sind. Zeigen Sie auch, dass
(|(x, y)| := |x + iy| =√
x2 + y2)
lim(ξ,η,ζ)→N
|σ(ξ, η, ζ)| = +∞
202 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
sowie
lim|(x,y)|→+∞
τ(x, y) = N .
Hier ist lim(x,y)∈R2 τ(x, y) gemeint, wobei R2 durch (x, y) � (u, v)⇔ |(x, y)| ≤ |(u, v)| gerichtet
ist.
6.38 Sei C = C ∪ {∞} (∞ ist ein Element, das nicht in C enthalten ist), wobei wir C als Ebene R2
auffassen. Weiters sei σ die auf ganz S durch σ(N) = ∞ fortgesetzte Abbildung aus dem 3.
Beispiel der siebten Ubung. Offensichtlicherweise ist σ : S → C bijektiv.
Wir definieren eine Abbildung χ : C × C→ R durch
χ(z,w) := d2
(σ−1(z), σ−1(w)
), z,w ∈ C ,
wobei d2 fur die euklidische Metrik auf S ⊆ R3 steht.
Man zeige, dass χ eine Metrik auf C ist, sodass zn → z in C bezuglich χ genau dann wenn
σ−1(zn)→ σ−1(z) in R3 bzgl. d2. χ wird als chordale Metrik bezeichnet.
Zeigen Sie schließlich, dass C versehen mit χ kompakt ist.
6.39 Mit der Notation aus dem vorherigen Beispiel zeige man:
Ist (zn)n∈N eine Folge komplexer Zahlen, so zeige man, dass zn → ∞, dh. |zn| → +∞, genau
dann, wenn zn → ∞ in C bezuglich χ.
Ist z ∈ C, so zeige man weiters, dass zn → z bzgl. d2 genau dann, wenn zn → z bzgl. χ.
Schließlich zeige man, dass
χ(a, b) =|a − b|√
1 + |a|2 ·√
1 + |b|2, a, b ∈ C .
6.40 Eine reellwertige Funktion f , die auf einem Intervall I definiert ist, heißt konvex, wenn sie
fur beliebige Punkte x1, x2 ∈ I und beliebige λ ∈ [0, 1] immer folgende Ungleichung erfullt:
f (λx1 + (1 − λ)x2) ≤ λ f (x1) + (1 − λ) f (x2).
Beweisen Sie, dass diese Bedingung zur folgenden aquivalent ist:
Fur alle Punkte x1, x2, x ∈ I mit x1 < x < x2 gilt:
f (x) ≤ x2 − x
x2 − x1
f (x1) +x − x1
x2 − x1
f (x2).
Weiters zeigen Sie, dass diese Gleichung wiederum aquivalent zur folgenden fur x1 < x < x2
ist:f (x) − f (x1)
x − x1
≤ f (x2) − f (x)
x2 − x.
Was bedeutet die Bedingung konvex zu sein geometrisch?
Bemerkung: Eine Funktion f heißt konkav, wenn − f konvex ist.
6.41 Mit der Notation aus dem letzten Beispiel zeigen Sie fur ein konvexes f , dass
f (x) − f (x1)
x − x1
≤ f (x2) − f (x)
x2 − x
wenn x, x1, x2 ∈ I nur drei paarweise verschiedene Punkte mit x1 < x2 sind. Leiten Sie
daraus dann die Stetigkeit einer jeden konvexen Funktion her!
6.42 Sind z1, . . . , zN ∈ C, so zeige man
N∏
j=1
(1 + |z j |) ≤ exp(
N∑
j=1
|z j|)
und
|N∏
j=1
(1 + z j) − 1| ≤N∏
j=1
(1 + |z j|) − 1 .
Hinweis fur die zweite Ungleichung: Vollstandige Induktion
6.12. UBUNGSBEISPIELE 203
6.43 Sei M eine Menge und fn : M → C, sodass∑∞
n=1 fn absolut auf M konvergiert. Man zeige,
dass dann auch
f (m) :=
∞∏
n=1
(1 + fn(m))
gleichmaßig auf M konvergiert. Weiters zeige man, dass f (m) = 0⇔ ∃n ∈ N : 1+ fn(m) = 0.
Hinweis: Cauchykriterium.
6.44 Man zeige, dass f (z) = z∏∞
k=1(1 − z2
k2 ) gleichmaßig auf jeder beliebigen Kugel KR(0) ⊆ Ckonvergiert. Man bestimme die Nullstellen von f und zeige, dass f (z + 1) = − f (z).
Anmerkung: Man kann zeigen, dass f (z) = sinπz.
204 KAPITEL 6. REELLE UND KOMPLEXE FUNKTIONEN
Kapitel 7
Differentialrechnung
Bewegt sich etwa ein Punkt, und bezeichnet s(t) den zum Zeitpunkt t zuruckgelegten
Weg, so erhalt man die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t, indem man
s(t + h) − s(t)
h
betrachtet, und h immer kleiner macht. Um derlei Betrachtungen, die in den Naturwis-
senschaften eine wichtige Rolle spielen, einen mathematisch exakten Hintergrund zu
geben, wollen wir den Begriff der Ableitung einfuhren.
7.1 Begriff der Ableitung
7.1.1 Definition. Sei f : (a, b)→ R (C) und sei x ∈ (a, b). Dann heißt f differenzierbar
im Punkt x, falls der Grenzwert
limt→x
f (t) − f (x)
t − x∈ R (C)
existiert. Dieser heißt dann die Ableitung von f an der Stelle x, und man schreibt dafur
f ′(x) oderd f
dt(x).
Ist f zumindest auf [a, b) definiert1, und existiert
limt→a+
f (t) − f (a)
t − a∈ R (C) ,
so spricht man von rechtsseitiger Differenzierbarkeit im Punkt a und schreibt f ′(a)+
dafur.
Entsprechend definiert man die linksseitige Differenzierbarkeit im Punkt b und die
linksseitige Ableitung f ′(b)−.
Anschaulich ist die Ableitung f ′(x) gerade die Steigung der Tangente (in der fol-
genden Grafik als durchgehende Gerade gezeichnet) am Punkt (x, f (x)). Diese Stei-
gung der Tangente erhalt man als Grenzwert der Steigungen der Verbindungsgeraden
von (x, f (x)) und (t, f (t)) (als strichlierte Gerade gezeichnet) fur t → x.
1Klarerweise konnte f sogar auf einer noch großeren Menge definiert sein.
205
206 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
f
x
Steigung = f ′(x)
t′′ t′ t
Steigung =f (t)− f (x)
t−x
Abbildung 7.1: Ableitung als Grenzwert der Differenzenquotienten
7.1.2 Fakta.
1. Wie in Fakta 5.5.6 bemerkt, existiert ein Grenzwert limt→x h(t) genau dann, wenn
die beiden einseitigen Grenzwerte limt→x− h(t) und limt→x+ h(t) existieren und
ubereinstimmen.
Also ist f bei x ∈ (a, b) genau dann differenzierbar, wenn f bei x links- und
rechtsseitig differenzierbar ist und f ′(x)− und f ′(x)+ ubereinstimmen. In diesem
Fall ist f ′(x)− = f ′(x) = f ′(x)+.
2. Da nach Lemma 5.3.7 genau dann y = limt→x h(t), wenn fur jede gegen x kon-
vergente Folge (tn)n∈N mit tn , x, n ∈ N, folgt, dass h(tn) → y, ist f bei x genau
dann differenzierbar mit Ableitung f ′(x), wenn fur jede solche Folge
f ′(x) = limn→∞
f (tn) − f (x)
tn − x.
Entsprechend lassen sich die einseitigen Ableitungen charakterisieren.
3. Entweder aus der letzten Behauptung oder aus (5.6) folgt, dass die Ableitung
f ′(x) im Falle ihrer Existenz nur vom Aussehen von f lokal bei x, also von
f |(x−δ,x+δ) fur jedes δ > 0, abhangt. Entsprechendes gilt fur einseitige Ableitun-
gen.
4. Wegen (5.11) ist eine Funktion f : (a, b) → C genau dann differenzierbar bei
x ∈ (a, b), wenn Re f , Im f : (a, b)→ R es sind, wobei
f ′(x) = (Re f )′(x) + i(Im f )′(x) . (7.1)
7.1. BEGRIFF DER ABLEITUNG 207
Entsprechendes gilt fur einseitige Ableitungen.
Man kann auch die Differenzierbarkeit von Rp-wertigen Funktionen f definieren.
Dabei wird sich herausstellen, dass solche Funktionen genau dann differenzierbar sind,
wenn alle Komponentenfunktionen π j ◦ f differenzierbar sind. Siehe die Analysis 2
Vorlesung.
7.1.3 Bemerkung. Ist f definiert auf einer offenen Teilmenge der komplexen Zahlen
und bildet wieder in C hinein ab, so kann man analog f ′(w) := limz→wf (z)− f (w)
z−wbe-
trachten. Existiert dieser Grenzwert, so heißt f in w komplex differenzierbar. Wir wol-
len das hier aber nicht weiter verfolgen, denn dies fuhrt zur Theorie der komplexen
Analysis, die in einer eigenen Vorlesung behandelt wird.
7.1.4 Beispiel.
(i) Fur jedes λ ∈ R (C) ist die konstante Funktion f (t) = λ, t ∈ (−∞,+∞), an jeder
Stelle x differenzierbar, und ihre Ableitung im Punkt x ist gleich 0.
(ii) Die reellwertige Funktion t 7→ f (t) = tn, n ∈ N fur t ∈ (−∞,+∞) ist auch an
jedem Punkt x differenzierbar mit der Ableitung
limt→x
tn − xn
t − x= lim
t→x
(t − x)(tn−1 + tn−2 x + . . . + txn−2 + xn−1)
t − x= nxn−1 .
(iii) Die stetige Funktion
f (t) =
t sin 1
t, falls t , 0
0 , falls t = 0(7.2)
ist im Punkt x = 0 nicht differenzierbar. Denn es gilt
f (t) − f (0)
t − 0=
t sin 1t− 0
t − 0= sin
1
t.
(iv) Sei f (z) =∑∞
n=0 anzn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Fur die
Einschrankung f |(−R,R) : (−R,R)→ C gilt
limt→0
f (t) − f (0)
t= lim
t→0
∞∑
n=1
antn−1 .
Diese Potenzreihe rechts konvergiert genau dann, wenn∑∞
n=0 antn es tut und hat
somit auch Konvergenzradius R. Sie ist daher stetig in t. Also ist obiger Limes
gleich a1. Spater werden wir f ′(x) fur alle x ∈ (−R,R) berechnen.
(v) Fur ein festes w ∈ C gilt
limt→x
exp(wt) − exp(wx)
t − x= exp(wx) lim
t→x
exp(w(t − x)) − 1
t − x=
exp(wx) limτ→0
exp(wτ) − 1
τ= w exp(wx) ,
wobei die letzte Gleichheit aus (iv) folgt, da der Koeffizient a1 in der Potenzreihe
exp(wτ) =∑∞
n=0wn
n!τn eben w ist.
Setzt man w = 1, so folgt exp′(x) = exp(x).
208 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
(vi) Als weitere Anwendung der Rechnung im letzten Beispiel berechnen wir
sin′(x) = limt→x
sin(it) − sin(ix)
t − x= lim
t→x
Im exp(it) − Im exp(ix)
t − x=
Im
(limt→x
exp(it) − exp(ix)
t − x
)= Im(i exp(ix)) = Re(exp(ix)) = cos(x) .
Dabei haben wir die Stetigkeit von z 7→ Im z verwendet. Genauso erhalt man
cos′(x) = − sin(x).
(vii) Fur t ∈ R betrachte die Funktion f
f (t)
t2
−t2
f (t) =
t2 sin 1
t, falls t , 0
0 , falls t = 0
Die Funktion f ist an der Stelle x = 0 differenzierbar mit Ableitung 0, denn es
giltf (t) − f (0)
t − 0= t sin
1
t→ 0 fur t → 0 .
An einer Stelle x , 0 ist f differenzierbar und es gilt wie wir spater sehen werden
f ′(x) = 2x sin1
x− cos
1
x.
7.1.5 Lemma. Ist f im Punkt x differenzierbar, so ist sie dort stetig.
Beweis. Aus limt→xf (t)− f (x)
t−x= α folgt
limt→x
[f (t) − f (x)
]= lim
t→x
[f (t) − f (x)
t − x(t − x)
]= α · 0 = 0 .
❑
7.1.6 Bemerkung. Wie man am Beispiel der Funktion f aus (7.2) sieht, gilt die Um-
kehrung von Lemma 7.1.5 nicht.
7.1.7 Satz. Seien f , g : (a, b) → R (C) beide differenzierbar im Punkt x ∈ (a, b),
und α, β ∈ R (C). Dann sind auch α f + βg, f g und (falls g(x) , 0)f
gan der Stelle x
differenzierbar, und es gilt
� (α f + βg)′(x) = α f ′(x) + βg′(x),
� ( f g)′(x) = f ′(x)g(x) + f (x)g′(x) (Produktregel),
�
(f
g
)′(x) =
f ′(x)g(x)− f (x)g′ (x)
g(x)2 (Quotientenregel).
7.1. BEGRIFF DER ABLEITUNG 209
Entsprechende Regeln gelten auch fur einseitige Ableitungen.
Beweis.
limt→x
(α f + βg)(t) − (α f + βg)(x)
t − x= α lim
t→x
f (t) − f (x)
t − x+ β lim
t→x
g(t) − g(x)
t − x.
Da f nach Lemma 7.1.5 bei x stetig ist, folgt aus den Rechenregeln fur Grenzwerte
(vgl. Abschnitt 5.3)
limt→x
f (t)g(t) − f (x)g(x)
t − x= lim
t→x
(f (t)
g(t) − g(x)
t − x
)+ lim
t→x
(f (t) − f (x)
t − xg(x)
)=
limt→x
f (t) · limt→x
g(t) − g(x)
t − x+ g(x) lim
t→x
f (t) − f (x)
t − x= f (x)g′(x) + f ′(x)g(x) .
Die letzte Quotientenregel folgt ebenfalls aus der Stetigkeit und den Rechenregeln fur
Grenzwerte, indem man in
f (t)
g(t)− f (x)
g(x)
t − x=
1
g(t)g(x)
[g(x)
f (t) − f (x)
t − x− f (x)
g(t) − g(x)
t − x
].
t → x streben lasst.
❑
7.1.8 Beispiel. Wir haben schon gesehen, dass f (t) = tn fur alle n ∈ N differenzierbar
ist mit f ′(x) = nxn−1. Um das auch fur n ∈ −N zu zeigen, verwende man die Quotien-
tenregel:
(xn)′ =
(1
x|n|
)′= − (x|n|)′
x2|n| = nx|n|−1−2|n| = nxn−1 .
Weiters ist eine rationale Funktion in jedem Punkt, wo der Nenner nicht verschwindet,
differenzierbar.
7.1.9 Satz (Kettenregel). Sei f : (a, b)→ R reellwertig und g : (c, d)→ R (C), sodass
f (a, b) ⊆ (c, d), und x ∈ (a, b).
Ist f bei x und g bei f (x) differenzierbar, so ist g ◦ f bei x differenzierbar, wobei
(g ◦ f )′(x) = g′( f (x)) · f ′(x) .
Beweis. Die vorausgesetzte Differenzierbarkeit von f bei x lasst sich dadurch charak-
terisieren, dass die reellwertige Funktion definiert auf (a, b) durch
φ(t) =
f (t)− f (x)
t−x, falls t , x
f ′(x) , falls t = x
bei x stetig ist; vgl. Proposition 6.1.4. Genauso ist ψ : (c, d)→ R (C) definiert durch
ψ(s) =
g(s)−g( f (x))
s− f (x), falls s , f (x)
g′( f (x)) , falls s = f (x)
bei f (x) stetig. Somit gilt fur alle t ∈ (a, b) \ {x} – auch fur die t mit f (x) = f (t) –
(g ◦ f )(t) − (g ◦ f )(x)
t − x= ψ( f (t)) · φ(t) .
Wegen Lemma 7.1.5, Lemma 6.1.6 und Korollar 6.1.8 ist dieser Ausdruck in x stetig.
Also gilt (g ◦ f )′(x) = limt→x ψ( f (t)) · φ(t) = ψ( f (x)) · φ(x) = g′( f (x)) · f ′(x).
❑
210 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
7.1.10 Bemerkung. Es gelten diverse einseitige Varianten von Satz 7.1.9, deren
Beweise fast gleich verlaufen:
Ist f : (a, b)→ (c, d], g : (c, d]→ R (C), x ∈ (a, b), f (x) = d sowie f bei x differenzier-
bar und g bei f (x) = d linksseitig differenzierbar, so folgt (g◦ f )′(x) = g′( f (x))− · f ′(x).
Ist f : [a, b)→ (c, d), g : (c, d)→ R (C), sowie f bei a rechtsseitig differenzierbar und
g bei f (a) differenzierbar, so folgt (g ◦ f )′(a)+ = g′( f (a)) · f ′(a)+.
usw..
7.1.11 Beispiel. Sei f (x) = x2 sin 1x, x , 0 wie in Beispiel 7.1.4, (vii). Durch Anwen-
dung der Produkt- und der Kettenregel ergibt sich (x , 0)
f ′(x) = (x2)′ sin1
x+ x2
(sin
1
x
)′= 2x · sin
1
x+ x2 ·
(cos
1
x
)·(
1
x
)′= 2x · sin
1
x− cos
1
x.
7.1.12 Satz. Sei f : (a, b) → (c, d) bijektiv und streng monoton, und bezeichne mit
g : (c, d) → (a, b) ihre Umkehrfunktion. Ist f an einer Stelle x differenzierbar und gilt
f ′(x) , 0, so ist g an der Stelle f (x) differenzierbar, und es gilt
g′( f (x)) =1
f ′(x).
Beweis. Wegen Korollar 6.5.3 sind f und g beide stetig. Ist daher (tn)n∈N eine gegen
f (x) konvergente Folge aus (c, d) \ { f (x)}, so ist(g(tn)
)n∈N eine gegen x = g( f (x))
konvergente Folge aus (a, b) \ {x}. Mit τn := g(tn) folgt
limn→∞
g(tn) − g( f (x))
tn − f (x)= lim
n→∞
g(tn) − x
f(g(tn)
) − f (x)=
1
limn→∞f (τn)− f (x)
τn−x
=1
f ′(x).
❑
Auch bei obigem Satz gelten entsprechende Aussagen fur einseitige Ableitungen,
wenn f und damit auch g an einem/beiden der Rander definiert ist.
7.1.13 Beispiel. Betrachte die reelle Exponentialfunktion exp : R → R+. Diese ist
stetig und bijektiv. Ihre Umkehrfunktion ist ln : R+ → R. Fur ein festes y ∈ R+ und das
entsprechende x ∈ R mit y = exp(x) folgt
ln′(y) = ln′(f exp(x)
)=
1
exp′(x)=
1
exp(x)=
1
exp(ln(y))=
1
y.
7.1.14 Definition. Sei f eine reell- oder komplexwertige Funktion definiert auf einem
Intervall I ⊆ R. Ist f an allen x ∈ I differenzierbar, wobei im Falle, dass x der linke
bzw. rechte Intervallrand von I ist und dieser in I liegt, die rechts- bzw. linksseitige
Differenzierbarkeit gemeint ist, so nennt man die Funktion
f ′ :
{I → R (C)
x 7→ f ′(x)
Ableitung von f auf I. Ist x der linke bzw. rechte Intervallrand von I und liegt dieser in
I, so ist unter f ′(x) die rechts- bzw. linksseitige Ableitung an der Stelle x zu verstehen.
7.1. BEGRIFF DER ABLEITUNG 211
Einer Funktion f wird also eine weitere Funktion zugeordnet, die die aus f ab-
geleitete Funktion f ′ genannt wird. Ihr Wert an einer Stelle x ist gerade der Limes
des Differenzenquotienten von f bei x. Diese Sichtweise erklart auch die Schreibweise
f ′(x) aus Definition 7.1.1. Die Schreibweised f
dt(x) erklart sich aus der Interpretation
der Ableitung als Grenzfall des Zuwachses von f dividiert durch den Zuwachs von t.
Es ist also sinnvoll, von Eigenschaften der Funktion f ′, wie zum Beispiel Stetig-
keit oder auch wieder Differenzierbarkeit zu sprechen. Wie wir in Beispiel 7.1.4, (vii),
gesehen haben, muss die Ableitung f ′ nicht notwendigerweise stetig sein.
7.1.15 Definition.
� Sei f eine reell- oder komplexwertige Funktion definiert auf einem Intervall I ⊆R, sodass die Ableitung f ′ von f auf ganz I existiert. Ist die Ableitung f ′ an
einer Stelle x differenzierbar, so bezeichnet man ( f ′)′(x) mit f ′′(x) und spricht
von der zweiten Ableitung von f an der Stelle x. Im Falle, dass x Intervallrand
ist, sei wieder die entsprechende einseitige Ableitung gemeint.
� Allgemeiner definiert man hohere Ableitungen rekursiv durch
f (n)(x) := ( f (n−1))′(x), n ∈ N ,
wann immer f (n−1) auf I definiert ist und bei x differenzierbar ist. Die Funktion
f heißt bei x dann n-mal differenzierbar.
� Existiert f (n) an allen Stellen x ∈ I und ist f (n) stetig auf I, so spricht man von
einer n-mal stetig differenzierbaren Funktion. Die Menge aller n-mal stetig dif-
ferenzierbaren Funktionen auf I wird mit Cn(I) bezeichnet.
� Fur n = 0 steht C0(I) oder auch C(I) fur die Menge aller stetigen reell- oder
komplexwertigen Funktion definiert auf dem Intervall I.
� Mit f ∈ C∞(I) wollen wir zum Ausdruck bringen, dass f auf I beliebig oft
differenzierbar ist.
Aus der Produktregel erhalt man mittels vollstandiger Induktion die oft nutzliche
Formel
( f g)(n) =
n∑
k=0
(n
k
)f (k)g(n−k) .
7.1.16 Beispiel.
Sei f (x) = x3 − 2x. Dann gilt
f ′(x) = 3x2 − 2, f ′′(x) = 6x, f ′′′(x) = 6, f ′′′′(x) = 0, f (5)(x) = 0, . . .
Man sieht genauso, dass jedes Polynom p beliebig oft differenzierbar ist und
wenn n der Grad von p ist, p(n+1)(x) = p(n+2)(x) = . . . = 0 gilt.
Sei f die Funktion
f (x) =
x2 , falls x ≥ 0
−x2 , falls x < 0
Die Ableitung von f ist f ′(x) = 2|x|. Die zweite Ableitung existiert also an der
Stelle x = 0 nicht.
212 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
7.2 Mittelwertsatze
7.2.1 Definition. Sei 〈X, dX〉 ein metrischer Raum, E ⊆ X und sei f : E → R. Man
sagt, f hat ein lokales Maximum in einem Punkt x ∈ E, falls
∃ δ > 0 : f (x) ≥ f (t) fur t ∈ E ∩Uδ(x) .
Analog definiert man ein lokales Minimum. Will man sich nicht festlegen, ob x ein
Minimum oder Maximum ist, so spricht man zusammenfassend von einem lokalen
Extremum.
Man beachte den Unterschied zum Begriff des Maximums. Das ist eine Stelle x ∈E, sodass fur jedes t ∈ E gilt f (x) ≥ f (t), also nicht nur lokal bei x, sondern global.
Man spricht dann von einem absoluten Maximum. Analog fur absolute Minima bzw.
zusammenfassend absolute Extrema. Naturlich ist ein absolutes Extremum stets auch
ein lokales.
7.2.2 Satz. Hat f : (a, b) → R an einer Stelle x ∈ (a, b) ein lokales Extremum und ist
f bei x differenzierbar, so muss f ′(x) = 0.
Beweis. Wir nehmen an, dass x ein lokales Maximum ist. Den Fall eines lokalen Mi-
nimums behandelt man analog.
Wahle δ > 0 wie in Definition 7.2.1. Es gilt also f (x) ≥ f (t) fur alle |t − x| < δ. Im
Falle t > x gilt somitf (t) − f (x)
t − x≤ 0 ,
und daher f ′(x) = limt→x+f (t)− f (x)
t−x≤ 0. Ist jedoch t < x, so impliziert f (x) ≥ f (t)
f (t) − f (x)
t − x≥ 0 .
Also muss auch f ′(x) = limt→x−f (t)− f (x)
t−x≥ 0.
❑
Geometrisch bedeutet Satz 7.2.2, dass an
einem lokalen Extremum die Tangente
an die Kurve y = f (x), falls eine solche
existiert, waagrecht liegen muss.
7.2.3 Korollar (Satz von Rolle). Sei f : [a, b]→ R stetig und auf (a, b) differenzierbar.
Gilt f (a) = f (b) = 0, so gibt es ein ζ ∈ (a, b), sodass f ′(ζ) = 0.
Beweis. Aus Korollar 6.1.14 wissen wir, dass f auf [a, b] ein Maximum und ein Mini-
mum besitzt. Also gibt es x−, x+ ∈ [a, b], sodass
f (x−) ≤ f (t) ≤ f (x+), fur alle t ∈ [a, b] .
7.2. MITTELWERTSATZE 213
Sind beide x− und x+ Randpunkte, d.h. x−, x+ ∈ {a, b}, so muss f (t) = 0 fur alle
t ∈ [a, b] und daher f ′(t) = 0 fur alle t ∈ (a, b) sein.
Ist x− in (a, b) enthalten, so muss nach Satz 7.2.2 f ′(x−) = 0. Im Falle x+ ∈ (a, b)
schließt man genauso.
❑
a bζ
Abbildung 7.2: Satz von Rolle
7.2.4 Korollar. Sei f : [a, b] → R stetig und n-mal differenzierbar auf (a, b). Weiters
habe f mindestens n + 1 Nullstellen in [a, b]. Dann existiert ξ ∈ (a, b) mit f (n)(ξ) = 0.
Beweis. Der Fall n = 1 folgt sofort aus Korollar 7.2.3. Angenommen der Satz gelte fur
n − 1. Wir zeigen ihn fur n.
Nach Korollar 7.2.3 liegt zwischen je zwei Nullstellen von f mindestens eine
Nullstelle von f ′. Also hat f ′ mindestens n Nullstellen. Nach Induktionsvoraussetzung
existiert ein ξ mit f (n)(ξ) = ( f ′)(n−1)(ξ) = 0.
❑
7.2.5 Beispiel. Wir wollen zeigen, dass die Gleichung
(1 − ln x)2 = x(3 − 2 ln x)
in (0,+∞) genau zwei Losungen hat. Dazu betrachten wir die Funktion
f : (0,+∞)→ R,
f (x) = (1 − ln x)2 − x(3 − 2 ln x) .
Fur diese gilt es zu zeigen, dass f genau zwei Nullstellen hat. Setzt man x = 1, so folgt
f (1) = −2 < 0. Andererseits folgt wegen limx→0+ x(3 − 2 ln x) = 0
limx→0+
f (x) = +∞ .
Wegen f (x) ≥ x(2 ln x − 3) ≥ x fur x ≥ exp(2) folgt auch
limx→+∞
f (x) = +∞ .
Insbesondere gibt es ξ, η ∈ R mit 0 < ξ < 1 < η < +∞, sodass f (ξ) > 0, f (η) > 0.
Nach dem Zwischenwertsatz muss es einen Punkt α ∈ (ξ, 1) und einen Punkt β ∈ (1, η)
geben, sodass f (α) = 0 = f (β). Also hat f mindestens zwei Nullstellen.
Um zu zeigen, dass es nicht mehr sein konnen, berechnen wir
f ′(x) = 2(ln x − 1)1
x+ 2 ln x − 1, f ′′(x) = 2
1
x2− 2
ln x − 1
x2+
2
x=
4 − 2 ln x + 2x
x2.
Fur x ∈ (0, 1] ist ln x ≤ 0 und somit f ′′(x) > 0. Fur x ∈ (1,+∞) gilt wegen x > ln x auch
f ′′(x) > 0. Also hat f ′′ keine Nullstelle. Nach dem Satz von Rolle kann f ′ hochstens
eine und weiter f hochstens zwei Nullstellen haben (vgl. Korollar 7.2.4).
214 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
7.2.6 Satz (Mittelwertsatz). Sei f : [a, b] → R stetig und auf (a, b) differenzierbar.
Dann existiert ein Punkt ζ ∈ (a, b) mit
f (b) − f (a)
b − a= f ′(ζ) .
Beweis. Betrachte die Funktion F : [a, b]→ R
F(t) := f (t) − f (a) − f (b) − f (a)
b − a(t − a) .
Dann ist F auf [a, b] stetig (vgl. Korollar 6.1.8) und auf (a, b) differenzierbar (vgl.
Beispiel 7.1.4, (i), (ii) und Satz 7.1.7), wobei F(a) = F(b) = 0 und fur x ∈ (a, b)
F′(x) = f ′(x) − f (b) − f (a)
b − a.
Wenden wir Korollar 7.2.3 an, so folgt sofort die Behauptung.
❑
Fur g(t) = t ist Satz 7.2.6 ein Spezialfall folgender Verallgemeinerung.
7.2.7 Satz (Verallgemeinerter Mittelwertsatz). Seien f , g : [a, b]→ R stetig und diffe-
renzierbar auf (a, b). Weiters gelte g′(t) , 0 fur alle t ∈ (a, b). Dann existiert eine Stelle
ζ ∈ (a, b) mitf (b) − f (a)
g(b) − g(a)=
f ′(ζ)
g′(ζ). (7.3)
Beweis. Zunachst existiert nach Satz 7.2.6 ein x ∈ (a, b) mit g(b)− g(a) = g′(x)(b− a),
woraus wir g(b) − g(a) , 0 schließen. Somit ist die Funktion F : [a, b]→ R,
F(t) = f (t) − f (a) − f (b) − f (a)
g(b) − g(a)(g(t) − g(a)) ,
wohldefiniert, stetig und auf (a, b) differenzierbar, wobei
F′(t) = f ′(t) − f (b) − f (a)
g(b) − g(a)g′(t) .
Weiters gilt F(a) = F(b) = 0. Somit gibt es nach Korollar 7.2.3 ein ζ ∈ (a, b) mit
F′(ζ) = 0, und daher (7.3).
❑
7.2.8 Bemerkung. Satz 7.2.6, welcher auch 1. Mittelwertsatz der Differentialrechnung
genannt wird, besagt, dass man – falls durchwegs Tangenten existieren – stets eine
Tangente findet, welche parallel zur Sekante durch die Punkte (a, f (a)) und (b, f (b))
liegt.
Die Stelle ζ aus Satz 7.2.6, an der die Steigung der Kurve gleich der mittleren
Steigung im Intervall [a, b] ist, ist nicht eindeutig bestimmt.
Satz 7.2.7 heißt auch 2. Mittelwertsatz der Differentialrechnung.
Obwohl man es auf den ersten Blick nicht sieht, so hat der Mittelwertsatz doch
weitreichende Folgerungen.
7.2. MITTELWERTSATZE 215
a
f (a)
b
f (b)
ζ
Abbildung 7.3: Mittelwertsatz
7.2.9 Korollar. Sei I ⊆ R ein Intervall und f : I → R stetig. Sind a, b die Inter-
vallrander von I, so sei f auf (a, b) differenzierbar. Dann gilt:
� Ist f ′(x) ≥ 0 (> 0), fur alle x ∈ (a, b), so ist f (streng) monoton wachsend.
� Ist f ′(x) ≤ 0 (< 0), fur alle x ∈ (a, b), so ist f (streng) monoton fallend.
� Ist f ′(x) = 0, fur alle x ∈ (a, b), so ist f konstant.
Bezuglich der Umkehrung gilt nur, dass, wenn f monoton wachsend (fallend) ist,
fur ihre Ableitung immer f ′(x) ≥ 0 (≤ 0) gilt.
Beweis. Seien x1, x2 ∈ I, x1 < x2. Dann existiert eine Stelle x ∈ (x1, x2) mit
f (x2) − f (x1) = (x2 − x1) f ′(x) .
Daraus folgt unmittelbar das behauptete Monotonieverhalten.
Ist umgekehrt f monoton wachsend (fallend), so gilt fur den Differenzenquotient
fur alle x, t ∈ (a, b)f (t) − f (x)
t − x≥ 0 (≤ 0) .
Fur t→ x folgt f ′(x) ≥ 0 (≤ 0).
❑
7.2.10 Beispiel. Dass aus der strengen Monotonie einer Funktion f nicht notwendi-
gerweise f ′(x) > 0 bzw. f ′(x) < 0 fur alle x folgt, sieht man anhand eines einfachen
Beispiels.
Die Funktion f (x) = x3 ist auf R streng monoton wachsend. Ihre Ableitung f ′(x) =
3x2 ist nur ≥ 0, aber nicht > 0 fur alle x ∈ R.
7.2.11 Bemerkung. Der Schluss f ′(x) ≡ 0 ⇒ f ≡ c fur ein festes c gilt auch fur kom-
plexwertige Funktionen. Das sieht man leicht, indem man f in Real- und Imaginarteil
aufspaltet; vgl. (7.1).
216 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
Obwohl die Ableitung f ′ einer auf einem Intervall (a, b) differenzierbaren Funktion
nicht notwendig stetig sein muss, so gilt trotzdem stets die Zwischenwerteigenschaft.
7.2.12 Korollar. Sei I ⊆ R ein Intervall mit den Randpunkten a, b, a < b und f : I →R differenzierbar. Sind x1, x2 ∈ I und c ∈ R mit f ′(x1) < c < f ′(x2), dann existiert eine
Stelle x ∈ (min(x1, x2),max(x1, x2)) mit f ′(x) = c.
Ist f ′(x) , 0 fur alle x ∈ I, so gilt entweder immer f ′(x) > 0, x ∈ I, oder immer
f ′(x) < 0, x ∈ I. f ist daher entweder streng monoton wachsend oder streng monoton
fallend.
Beweis. Wir nehmen zunachst x1 < x2 an. Betrachte die Funktion g : I → R, g(t) =
f (t) − ct. Fur ihre Ableitung gilt
g′(x1) = f ′(x1) − c < 0, g′(x2) = f ′(x2) − c > 0 .
Sei x ∈ [x1, x2] eine Stelle, an der g ihr Minimum annimmt. Wegen Satz 7.2.2 und
g′(x) = f ′(x) − c, genugt es x , x1, x2 zu zeigen. Wegen g′(x1) < 0 existiert ein δ > 0
mitg(t) − g(x1)
t − x1
< 0, x1 < t < x1 + δ .
Also muss g(t) < g(x1) fur solche Werte von t. Der Punkt x1 scheidet als Kandidat fur
das Minimum also aus. Wegen g′(x2) > 0 folgt die Existenz eines δ > 0, sodass
g(t) − g(x2)
t − x2
> 0, x2 − δ < t < x2 .
Also ist g(t) < g(x2) fur solche t, und der Punkt x2 kommt daher auch nicht in Frage.
Den Fall x1 > x2 fuhrt man durch die Betrachtung von − f auf obigen Fall zuruck.
Die letzte Aussage folgt sofort aus der eben bewiesenen Zwischenwerteigenschaft.
❑
7.2.13 Korollar (*). Sei f differenzierbar auf (a, b). Dann hat f ′ keine Sprungstelle in
(a, b).
Beweis. An einer Sprungstelle existieren f ′(x+) := limt→x+ f ′(t) und f ′(x−) :=
limt→x− f ′(t), es sind jedoch nicht beide gleich f ′(x). Angenommen es ist f ′(x+) <
f ′(x), also f ′(x+) + ǫ ≤ f ′(x) fur ein ǫ > 0. Also gilt
f ′(t) +ǫ
2≤ f ′(x), fur alle t ∈ (x, t0] ,
fur ein t0 > x. Also nimmt f ′(t) fur x < t < t0 keine Werte in
( f ′(x) − ǫ2, f ′(x))
( ⊆ ( f ′(t0), f ′(x)))
an. Das widerspricht obiger Zwischenwert-
eigenschaft.
❑
Wir werden nun Satz 7.2.7 verwenden, um eine sehr nutzliche Methode herzuleiten,
Limiten zu berechnen.
2Guillaume Francois L’Hospital, Marquis de Saint-Mesme, geb.1661 Paris, gest.3.2.1704 Paris
7.2. MITTELWERTSATZE 217
7.2.14 Satz (Regel von de L’Hospital2). Seien f , g : (a, b) → R differenzierbar auf
(a, b), wobei a, b, ∈ R ∪ {±∞},−∞ ≤ a < b ≤ +∞. Fur x ∈ (a, b) hinreichend nahe bei
a gelte g′(x) , 0, und
limx→a+
f (x) = limx→a+
g(x) = 0 , (7.4)
oder
limx→a+
g(x) = +∞ . (7.5)
Dann gilt
limx→a+
f ′(x)
g′(x)= A ⇒ lim
x→a+
f (x)
g(x)= A , (7.6)
mit A ∈ R ∪ {±∞}.Die analoge Aussage ist richtig, wenn man uberall x → a+ durch x → b− oder in
(7.5) +∞ durch −∞ ersetzt.
Beweis.
Da die Grenzwerte in (7.6) nur von den Funktionswerten lokal bei x abhangen
(vgl. (5.6)), konnen wir b notigenfalls kleiner machen, sodass g′(x) , 0 auf ganz
(a, b). Damit kann g auf (a, b) hochstens eine Nullstelle haben, da sonst nach
Korollar 7.2.3 g′(ζ) = 0 fur ein ζ ∈ (a, b). Machen wir b notigenfalls nochmals
kleiner, so konnen wir auch g(x) , 0 auf ganz (a, b) annehmen.
Gilt (7.5), so muss wegen des Zwischenwertsatzes, Korollar 6.2.6, g(x) > 0 fur
alle x ∈ (a, b) gelten. Außerdem hat nach Korollar 7.2.12 g′(x) immer das selbe
Vorzeichen. Wegen (7.5) gibt es aber sicher a < s < t < b mit g(s) > g(t). Mit
dem Mittelwertsatz Satz 7.2.6 folgt daraus g′(x) < 0 fur ein und daher fur alle
x ∈ (a, b). Also ist g unter der Voraussetzung (7.5) auf ganz (a, b) streng monoton
fallend.
Sei α ∈ R, α > A, und wahle r ∈ R mit A < r < α. Wegen limt→a+f ′(t)g′(t) = A
existiert ein c ∈ (a, b) mit
f ′(t)
g′(t)< r fur t ∈ (a, c) .
Sind dann x, y ∈ (a, c), x < y beliebig, so folgt aus Satz 7.2.7
f (x) − f (y)
g(x) − g(y)=
f ′(t)
g′(t)< r , (7.7)
fur ein t ∈ (x, y) ⊆ (a, c).
Ist die Bedingung (7.4) erfullt, so lasst man in obiger Beziehung x gegen a stre-
ben und erhaltf (y)
g(y)≤ r < α fur y ∈ (a, c) .
Ist nun Bedingung (7.5) erfullt, so halte man y in (7.7) fest. Da g auf (a, b) streng
monoton fallt und g(x) > 0, folgt
f (x)
g(x)=
f ′(t)
g′(t)
g(x) − g(y)
g(x)+
f (y)
g(x)< r
(1 − g(y)
g(x)
)+
f (y)
g(x), x ∈ (a, c) .
218 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
Lasst man hier x → a+ streben, so konvergiert die rechte Seite gegen r (> α).
Also folgt die Existenz eines d ∈ (a, c), sodass
f (x)
g(x)< α, a < x < d .
Wir haben also unter jeder der Voraussetzungen (7.4) und (7.5) nachgewiesen,
dass fur ein gewisses ρ ∈ (a, b)
f (t)
g(t)< α, wenn nur t ∈ (a, ρ) .
Wendet man das auf − f und −A statt f und A an, so sieht man, dass es auch zu
jedem β ∈ R, β < A ein ρ ∈ (a, b) gibt, sodass
f (t)
g(t)> β, wenn nur t ∈ (a, ρ) .
Somit folgt limx→a+f (x)
g(x)= A (vgl. (5.12)).
❑
7.2.15 Bemerkung. Indem man eine Funktion f : [a, b]→ C in Real- und Imaginarteil
zerlegt, folgt sofort die Gultigkeit der Regel von de L’Hospital auch wenn f komplex-
wertig ist (vgl. (7.1)). Die Funktion g muss aber reellwertig sein.
7.2.16 Beispiel.
(i)
limx→0+
x ln x = limx→0+
1x
− 1x2
= 0 .
(ii) Um limx→0+ xx zu bestimmen, sei zunachst bemerkt, dass xx = exp(x ln x) fur
x > 0. Aus dem vorherigen Beispiel und wegen der Stetigkeit von exp gilt nun
limx→0+
xx = limx→0+
exp(x ln x) = exp( limx→0+
x ln x) = exp(0) = 1 .
(iii) Weil ((
1n
) 1n)n∈N eine Teilfolge3 des Netzes (xx)x∈(0,+∞) ist, wobei (0,+∞) so ge-
richtet ist, dass x1 � x2 ⇔ x1 ≥ x2, folgt aus dem letzten Beispiel, dass
limn→∞
(1
n
) 1n
= 1 .
Diese Tatsache folgt offenbar auch aus limn→∞n√
n = 1; vgl. Beispiel 3.3.7.
(iv)
limx→0+
sin x
x= lim
x→0+
(sin x)′
x′= lim
x→0+
cos x
1= 1 .
Genauso sieht man limx→0−sin x
x= 1.
3Siehe Definition 5.3.6!
7.2. MITTELWERTSATZE 219
(v) Man betrachte den Grenzwert
limx→0
(1
(sin x)2− 1
x2
)(7.8)
Dieser Ausdruck ist von der Form∞ −∞. Wir rechnen(
1
(sin x)2− 1
x2
)=
x2 − (sin x)2
(x sin x)2.
Fur x → 0 ist dieser Ausdruck von der Form 00. Also stimmt der Grenzwert in
(7.8) nach der Regel von de L’Hospital angewandt auf den rechtsseitigen Grenz-
wert und den linksseitigen Grenzwert mit
limx→0
2x − 2 sin x cos x
2x(sin x)2 + 2x2 sin x cos x= lim
x→0
2x − sin(2x)
2x(sin x)2 + x2 sin(2x)
uberein, falls letzterer existiert. Wenden wir die Regel von de L’Hospital noch-
mals beidseitig an, so erhalten wir (wieder falls der rechte Limes existiert)
limx→0
2 − 2 cos(2x)
2(sin x)2 + 4x sin(2x) + 2x2 cos(2x)= lim
x→0
1 − cos(2x)
(sin x)2 + 2x sin(2x) + x2 cos(2x).
Dieser Ausdruck ist wieder von der Form 00. Wir mussten die Regel von de
L’Hospital noch zweimal anwenden, um zu einem Ergebnis zu kommen. Etwas
einfacher ist es, diesen Grenzwert als
limx→0
1 − cos(2x)
x2· lim
x→0
x2
(sin x)2 + 2x sin(2x) + x2 cos(2x)=
limx→0
1 − cos(2x)
x2· lim
x→0
1(
sin xx
)2+ 4
sin(2x)
2x+ cos(2x)
zu schreiben. Zweimal de L’Hospital (jeweils fur den links- und rechtsseitigen
Grenzwert) liefert limx→01−cos(2x)
x2 = 2, und wegen limx→0sin x
x= 1 gilt
limx→0
1(
sin xx
)2+ 4
sin(2x)
2x+ cos(2x)
=1
1 + 4 + 1=
1
6.
Also ist (7.8) genau 13.
(vi) Eine andere Moglichkeit den Grenzwert (7.8) zu berechnen, besteht darin, die
Potenzreihenentwicklung von sin x um 0 zu verwenden:
(1
(sin x)2− 1
x2
)=
1 − ( sin xx
)2
(sin x)2=
(1 +
sin x
x
)·
1 − sin xx
(sin x)2=
(1 +
sin x
x
)·
1 −∑∞n=0
(−1)n x2n
(2n+1)!(∑∞
n=0(−1)n x2n+1
(2n+1)!
)2=
(1 +
sin x
x
)·
∑∞n=1
(−1)n−1 x2n
(2n+1)!(∑∞
n=0(−1)n x2n+1
(2n+1)!
)2.
Oben und unten durch x2 dividieren ergibt
(1 +
sin x
x
)·
∑∞n=0
(−1)n x2n
(2n+3)!
(∑∞n=0
(−1)n x2n
(2n+1)!
)2.
220 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
Man beachte, dass alle hier auftretenden Potenzreihen Konvergenzradius+∞ ha-
ben. Somit stehen in Zahler und Nenner stetige Funktionen in x (vgl. Satz 6.7.7).
Fur x → 0 konvergiert die Potenzreihen gegen den nullten Summanden. Also
erhalten wir fur den Grenzwert (7.8) abermals 213!
1= 1
3.
(vii) Sei w ∈ C mit einem Realteil, der kleiner als Null ist. Wir wollen zeigen, dass der
Grenzwert limt→+∞ t exp(wt) in C die komplexe Zahl 0 ist. Entweder wir betrach-
ten dazu Real- und Imaginarteil des Grenzwertes gesondert, oder – was einfacher
ist – wir betrachten den Betrag von t exp(wt) fur t > 0 (vgl. Satz 6.8.3):
|t exp(wt)| = t exp(t Re w) =t
exp(t(−Re w)
) .
Wegen −Re w > 0 ist der Grenzwert davon fur t → +∞ von der Form +∞+∞ . Somit
stimmt nach Satz 7.2.14 dieser Grenzwert uberein mit (siehe (6.13))
limt→+∞
t′
exp(t(−Re w)
)′ = limt→+∞
1
−Re w · exp(t(−Re w)
) = limt→+∞
exp(t Re w)
−Re w= 0 .
7.2.17 Korollar. Sei I ⊆ R ein Intervall mit den Randpunkten a, b, a < b und f : I →R (C) eine Abbildung, die auf (a, b) differenzierbar ist.
Ist a ∈ I, f dort stetig und existiert limt→a+ f ′(t) in R (C), so ist f bei a rechtsseitig
differenzierbar, wobei limt→a+ f ′(t) = f ′(a)+. Entsprechendes gilt fur t → b−, wenn
b ∈ I.
Beweis. Wegen der Stetigkeit von f bei a konnen wir Satz 7.2.14 im reellwertigen Fall
bzw. Bemerkung 7.2.15 im komplexwertigen Fall anwenden und erhalten
f ′(a)+ = limt→a+
f (t) − f (a)
t − a= lim
t→a+
f ′(t)
1.
❑
7.2.18 Bemerkung. Ist mit der Notation aus Korollar 7.2.17 f reellwertig und gilt a ∈ I
sowie limt→a+ f ′(t) = +∞ (= −∞), so lasst sich Satz 7.2.14 genauso wie im Beweis
von Korollar 7.2.17 anwenden, und man erhalt, dass f bei a nicht rechtsseitig differen-
zierbar ist. Entsprechendes gilt fur t → b−, wenn b ∈ I.
7.2.19 Bemerkung. Wegen Korollar 7.2.17 gilt f ∈ C1(I) genau dann, wenn f ∈ C(I),
f |(a,b) ∈ C1(a, b) und sich ( f |(a,b))′ auf ganz I stetig fortsetzen lasst. Dabei bezeichnen
a und b wieder die Randpunkte des Intervalls I.
7.2.20 Beispiel. Sei
0 1 2 3 4
12
1
f
f (x) =
e−
1x , falls x > 0
0 , falls x ≤ 0
7.3. MOTIVATION ZUM TAYLORSCHEN LEHRSATZ* 221
Klarerweise ist f auf (−∞, 0] beliebig oft ableitbar mit f (n)(x) = 0, x ≤ 0.
Auf (0,+∞) gilt f ′(x) = 1x2 e−
1x , und durch vollstandige Induktion sieht man, dass
(n ∈ N ∪ {0})f (n)(x) = pn
(1
x
)e−
1x , x > 0 .
fur Polynome pn(x) vom Grad 2n. Nun gilt mit Hilfe der Regel von de L’Hospital Satz
7.2.14
limx→0+
f (n)(x) = limy→+∞
pn(y)
ey= lim
y→+∞
p′n(y)
ey= · · · = lim
y→+∞
p(2n)n (y)
ey= 0 ,
da p(2n)n (y) eine Konstante ist.
Wir sehen insbesondere, dass f auf [0,+∞) stetig ist, und dass wegen
limt→0+ f ′(t) = 0 nach Korollar 7.2.17 f ′(0)+ = 0. Wegen f ′(0)− = 0 ist f auch bei 0
differenzierbar mit f ′(0), und somit f ∈ C1(R).
Wiederholte Anwendung dieses Argumentes auf f ′, f ′′ usw. zeigt, dass f auf Rbeliebig oft differenzierbar ist, wobei f (n)(0) = 0, n ≥ 0.
7.3 Motivation zum Taylorschen Lehrsatz*
Eine Motivation des Taylorschen Lehrsatz ergibt sich aus folgenden Interpolationsuber-
legungen. Die Gerade, die eine Kurve in einem Punkt am besten approximiert, ist die
Tangente (falls sie existiert). Approximiert man die Kurve mit einem Polynom hoheren
Grades, so kann man hoffen, dass die Approximation genauer wird.
Wir haben die Tangente gefunden (eigentlich definiert) als die Grenzlage von Se-
kanten durch die Punkte (x, f (x)) und (x + △x, f (x + △x)). Da eine Gerade durch zwei
Punkte eindeutig bestimmt ist, sind diese Sekanten wohldefinierte Objekte.
Ein Polynom vom Grade ≤ n ist eindeutig festgelegt durch die Vorgabe der Werte
y0, . . . , yn an n + 1 verschiedenen Stellen x0, . . . , xn:
p(x) =
n∑
k=0
yk ·∏
j∈{0,...,n}\{k}
x − x j
xk − x j
.
Die Eindeutigkeit folgt aus der Tatsache, dass ein Polynom vom Grad ≤ n hochstens n
Nullstellen hat.
Betrachten wir nun n+1 Punkte der Kurve f mit den x-Koordinaten x, x+△x, . . . , x+
n△x, und legen ein Polynom p durch diese Punkte.
Fur große Schrittweiten △x wird das erhaltene Polynom nicht viel mit der Kurve zu
tun haben, lasst man jedoch△x→ 0 streben, so hofft man auf eine gute Approximation.
7.3.1 Satz (Newtonsche Interpolationsformel). Seien x,△x und Werte y0, . . . , yn gege-
ben. Das Polynom, welches durch die Punkte (x, y0), (x+△x, y1), . . . , (x+n△x, yn) geht,
ist gleich
p(x) = y0 +(x − x0)
1!
△y0
△x+
(x − x0)(x − x1)
2!
△2y0
△x2+ · · ·
. . . +(x − x0)(x − x1) . . . (x − xn−1)
n!
△ny0
△xn,
wobei wir x j = x + j△x gesetzt haben und △ jy0 die j-te Differenz bezeichnet. Diese ist
rekursiv definiert als
△yi = yi+1 − yi, △2yi = △yi+1 − △yi, . . . .
222 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
Beweis. Offenbar gilt p(x0) = y0. Man erhalt p(x1) = y0 + (x1 − x0)△y0
△x= y0 + △x
△y0
△x=
y0 + (y1 − y0) = y1. Allgemein gilt
p(x j) = y0 + (x j − x0)△y0
△x+
(x j − x0)(x j − x1)
2
△2y0
△x2+ . . .
. . . +(x j − x0) · · · (x j − x j−1)
j!
△ jy0
△x j=
= y0 + j△x△y0
△x+
j△x( j − 1)△x
2
△2y0
△x2+ · · · + j!△x j
j!
△ jy0
△x j=
=
(j
0
)y0 +
(j
1
)△y0 +
(j
2
)△2y0 + · · · +
(j
j
)△ jy0 .
Wir zeigen nun mittels Induktion die folgende Behauptung: Fur je j+1 Werte y0, . . . , y j
gilt die Formel
y j =
j∑
l=0
(j
l
)△ly0 .
Der Induktionsanfang j = 0 ist offensichtlich richtig. Sei die Formel also bereits gezeigt
fur je j Werte. Dann folgt
j∑
l=0
(j
l
)△ly0 = y0 +
j−1∑
l=1
(j
l
)△ly0 + △ jy0 =
= y0 +
j−1∑
l=1
[(j − 1
l − 1
)+
(j − 1
l
)]△ly0 + (△ j−1y1 − △ j−1y0) =
= y0 +
j−1∑
l=1
(j − 1
l − 1
)(△l−1y1 − △l−1y0) +
j−1∑
l=1
(j − 1
l
)△ly0 + (△ j−1y1 − △ j−1y0) =
=
j−2∑
l=0
(j − 1
l
)△ly1 + △ j−1y1
︸ ︷︷ ︸
=y j
−
−
j−2∑
l=0
(j − 1
l
)△ly0 + △ j−1y0
+y0 +
j−1∑
l=1
(j − 1
l
)△ly0
= y j
❑
Ist f an der Stelle x differenzierbar, so gilt lim△x→0△y0
△x= lim△x→0
f (x+△x)− f (x)
△x=
f ′(x). Allgemein gilt:
7.3.2 Lemma. Sei f : [a, b] → R stetig und n-mal stetig differenzierbar auf (a, b). Ist
x ∈ (a, b), so gilt (y j = f (x + j△x))
lim△x→0
△ny0
△xn= f (n)(x) .
7.4. DER TAYLORSCHE LEHRSATZ 223
Beweis. Sei p(x) = y0 +(x−x0)
1!
△y0
△x+ . . . +
(x−x0)···(x−xn−1)
n!
△ny0
△xn . Die Funktion h(x) :=
f (x) − p(x) hat die n + 1 Nullstellen x0, · · · , xn (∈ (a, b) fur △x hinreichend klein). Mit
Korollar 7.2.4 folgt die Existenz von ξ ∈ (x0, xn) mit h(n)(ξ) = 0. Nun gilt
0 = h(n)(ξ) = f (n)(ξ) − p(n)(ξ) = f (n)(ξ) − △ny0
△xn.
Fur △x→ 0 folgt wegen der Stetigkeit von f (n) auch△ny0
△xn → f (n)(x).
❑
Man erhalt also als Grenzfall des in einem Punkt x0 approximierenden Polynoms
gerade
p(x) = f (x0) + (x − x0) f ′(x0) +(x − x0)2
2f ′′(x0) + · · · + (x − x0)
n!f (n)(x0) .
Wahlt man den Grad von p immer großer, so wird (hoffentlich) p(x) die Kurve f (x)
immer besser annahern.
7.4 Der Taylorsche Lehrsatz
Wir wollen im folgenden eine gegebene Funktion f auf einem reellen Intervall I durch
Polynome approximieren. Fur hinreichend oft differenzierbare f werden wir das durch
das sogenannte Taylorpolynom zu bewerkstelligen suchen.
7.4.1 Definition. Sei n ∈ N, I ⊆ R ein Intervall, y ∈ I fest und f : I → R (C). Weiters
sei f mindestens n-mal differenzierbar bei y; vgl. Definition 7.1.15. Das Polynom (in
der Variablen x)
Tn(x) =
n∑
k=0
(x − y)k
k!f (k)(y) ,
nennt man dann das n-te Taylorsche Polynom an der Anschlussstelle y. Die Fehlerfunk-
tion Rn(x) := f (x) − Tn(x) nennt man das n-te Restglied.
Dass Tn(x) eine gute Wahl ist, um ein reellwertiges f zu approximieren, folgt aus
dem nun folgenden Satz, welcher eine Art Verfeinerung des Mittelwertsatzes ist.
7.4.2 Satz (Taylorscher Lehrsatz). Sei I ⊆ R ein Intervall, und sei n ∈ N∪ {0}. Weiters
sei f : I → R mit f ∈ Cn(I) und so, dass f (n) am Inneren von I – also auf I ohne seine
Randpunkte – differenzierbar ist, bzw. aquivalent dazu, dass f auf dem Inneren von I
sicher n + 1-mal differenzierbar ist.
Zu x, y ∈ I, x , y, gibt es immer ein ξ ∈ (min(x, y),max(x, y)), sodass sich das n-te
Restglied Rn(x) = f (x) − Tn(x) schreiben lasst als (Lagrange-Form des Restgliedes)
Rn(x) =(x − y)n+1
(n + 1)!f (n+1)(ξ) .
Beweis. Seien F,G : [min(x, y),max(x, y)]→ R definiert durch
F(t) = f (x) −n∑
k=0
(x − t)k
k!· f (k)(t), G(t) = (x − t)n+1 .
224 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
Voraussetzungsgemaß sind beide stetig auf [min(x, y),max(x, y)] und differenzier-
bar auf (min(x, y),max(x, y)), wobei G′(t) = −(n + 1)(x − t)n, 0 fur t ∈
(min(x, y),max(x, y)) und
F′(t) = −n∑
k=0
(x − t)k
k!f (k+1)(t) +
n∑
k=1
k(x − t)k−1
k!f (k)(t) = − (x − t)n
n!f (n+1)(t) .
Nach dem verallgemeinerten Mittelwertsatz, Satz 7.2.7, gibt es ein ξ ∈(min(x, y),max(x, y)), sodass
Rn(x)
(x − y)n+1=
F(y) − F(x)
G(y) −G(x)=
F′(ξ)
G′(ξ)=− (x−ξ)n
n!f (n+1)(ξ)
−(n + 1)(x − ξ)n=
f (n+1)(ξ)
(n + 1)!.
❑
7.4.3 Bemerkung. Wahlt man im obigen Beweis G(t) = (x−t)p fur ein festes aber belie-
biges p ∈ N, so erhalt man mit derselben Argumentation ein ξ ∈ (min(x, y),max(x, y)),
sodass
Rn(x) =f (n+1)(ξ)
n!p(x − y)p(x − ξ)n−p+1 .
Stellt man ξ durch ξ = θx+ (1− θ)y fur ein θ ∈ (0, 1) dar, so erhalt man die Schlomilch-
sche Form
Rn(x) =f (n+1)(ξ)
n!p(x − y)n+1(1 − θ)n−p+1 .
des Restgliedes. Fur p = n + 1 erhalt man die Lagrange Form und fur p = 1 die
sogenannte Cauchysche Form des Restgliedes.
7.4.4 Fakta. Sei f : I → R (C) wie in Definition 7.4.1.
1. Man sieht unmittelbar durch Nachrechnen, dass Tn(x) ein Polynom hochstens
n-ten Grades ist, sodass
Tn(y) = f (y), T ′n(y) = f ′(y), . . . , T (n)n (y) = f (n)(y) . (7.9)
Die hoheren Ableitungen von Tn verschwinden identisch, da es ein Polynom
hochstens n-ten Grades ist.
2. Ist p(x) ein weiteres Polynom hochstens n-ten Grades mit (7.9) (Tn ersetzt durch
p), so verschwinden die Ableitungen 0-ten bis n-ten Grades von q(x) = p(x) −Tn(x) an der Stelle y.
Wenden wir Satz 7.4.2 auf die reellen Funktionen Re q(x) und Im q(x) oder auch
nur q(x), falls diese reell ist, an, so folgt wegen q(n+1) ≡ 0, dass q(x) = 0. Also
definiert die Eigenschaft (7.9) das Polynom Tn(x) eindeutig.
3. Ist f selber ein Polynom vom Grad m, so muss insbesondere f (x) = Tn(x) fur
n ≥ m.
4. Fur reellwertige Funktionen f gibt Satz 7.4.2 im Falle der Differenzierbar-
keit von f (n) am Inneren von I eine Moglichkeit, das Restglied Rn(x) durch(x−y)n+1
(n+1)!f (n+1)(ξ) auszudrucken. Das Problem dabei ist, dass man von ξ nur weiß,
dass es zwischen x und y liegt. Nichtsdestotrotz kann man manchmal f (n+1) so
gut abschatzen, dass man sicher sagen kann, dass Rn(x) klein wird; vgl. auch
Bemerkung 7.4.3.
7.4. DER TAYLORSCHE LEHRSATZ 225
5. Ist f beliebig oft differenzierbar, so kann man fur jedes n ∈ N ∪ {0} das Taylor-
polynom Tn(x) an der Anschlussstelle y betrachten. Man erhalt schließlich die
Taylorreihe von f an der Anschlussstelle y:
T (x) :=
∞∑
n=0
f (n)(y)
n!(x − y)n .
Das ist eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R ∈ [0,+∞]. Hier konnen alle
Falle auftreten.
6. Ist R > 0, so konvergiert die Potenzreihe insbesondere auf (y − R, y + R). Nun
kann T (x) auf (y−R, y+R)∩ I mit der Ausgangsfunktion f (x) ubereinstimmen;
sie muss es aber nicht.
Klarerweise ist T (x) = f (x), x ∈ (y − R, y + R) ∩ I genau dann, wenn Rn(x)→ 0
fur x ∈ (y − R, y + R) ∩ I.
7. Sei∑∞
n=0 anzn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0, und betrachte die
Funktion
f : (y − R, y + R)→ C, f (t) =
∞∑
n=0
an(t − y)n .
Wir werden in Proposition 8.7.5 sehen, dass f (l)(y) = l! · al, l ∈ N ∪ {0}. Die
Taylorreihe von f an der Anschlussstelle y ist somit genau∑∞
n=0 an(t − y)n, und
konvergiert daher auf (y − r, y + R).
Das Restglied Rn(x) konvergiert dann klarerweise gegen 0.
7.4.5 Beispiel. Sei n ∈ N ∪ {0}, I ⊆ R ein Intervall, und f : I → R so, dass f ∈ Cn(I)
und dass f auf dem Inneren des Intervalls I sogar (n + 1)-mal differenzierbar ist. Gilt
nun f (n+1)(ξ) = 0 fur alle ξ im Inneren von I, so folgt Rn(x) = 0 und daher f (x) = Tn(x)
fur alle x ∈ I. Kurz zusammengefasst bedeutet das, dass genau die Polynome vom Grad
≤ n alle moglichen Losungen der Differentialgleichung
f (n+1)(ξ) = 0 ,
sind. Indem man f in Real- und Imaginarteil zerlegt, folgt diese Tatsache auch fur
komplexwertige f .
7.4.6 Beispiel.
Sei f (t) = et. Dann gilt f (n)(t) = et, also f (n)(0) = 1. Wir erhalten
ex =
n∑
k=0
xk
k!+ Rn(x) ,
wobei Rn(x) = xn+1
(n+1)!eξ mit ξ ∈ (0, x).
Da ex die Grenzfunktion einer Potenzreihe ist, – so wurde sie ja eingefuhrt –
muss Rn(x)→ 0, vgl. Fakta 7.4.4, 7. Man kann dieses Grenzverhalten aber auch
unschwer durch eine elementare Abschatzung von Rn(x) erhalten.
226 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
Betrachte die Funktion
f (t) =
∞∑
k=1
cos(2kt)
k!.
Differenziert man diese Reihe gliedweise, so erhalt man
∞∑
k=1
−2k sin(2kt)
k!,
∞∑
k=1
−22k cos(2kt)
k!, . . .
Da∑∞
k=1(2k)l
k!fur jedes l ∈ N konvergiert, sind samtliche dieser Reihen
gleichmaßig konvergent auf R. Wie wir spater in Korollar 8.7.4 sehen werden,
ist die Funktion f daher in jedem Punkt beliebig oft differenzierbar, und ihre
Ableitungen werden durch obige Reihen dargestellt. Es gilt daher
f ′(0) = f ′′′(0) = . . . = f (2k+1)(0) = . . . = 0 ,
und
f (2n)(0) = (−1)n
∞∑
k=1
22nk
k!= (−1)n(e4n − 1) .
Die Taylorreihe von f bei 0 ist also gleich
∞∑
n=0
(−1)n(e4n − 1)
(2n)!x2n .
Wendet man das Quotientenkriterium an, so erhalt man (an =(−1)n(e4n−1)
(2n)!x2n) .
∣∣∣an+1
an
∣∣∣ = (e4n2 + 1)(e4n
+ 1)
(2n + 2)(2n + 1)x2 −→ ∞, x , 0 .
Diese Reihe ist fur kein x (außer im Trivialfall x = 0) konvergent.
Das Taylorpolynom Tn(x) der Funktion f aus Beispiel 7.2.20 ist stets identisch
Null. Also ist f ein Beispiel fur eine C∞-Funktion, deren Taylorreihe bei der
Anschlussstelle 0 auf ganz R konvergiert, aber nicht mit f ubereinstimmt.
Wir haben gesehen, dass fur eine differenzierbare Funktion f , welche an einer Stel-
le x ein lokales Extremum besitzt, f ′(x) = 0 gelten muss. Wie das Beispiel f (t) = t3
zeigt, gilt die Umkehrung im Allgemeinen nicht. Aus dem Taylorschen Satz erhalt man
unmittelbar eine hinreichende Bedingung fur ein lokales Extremum.
7.4.7 Korollar. Fur m ∈ N, m > 1 sei f : (c, d) → R eine zumindest m-mal differen-
zierbare Funktion, x ∈ (c, d), f (m) bei x stetig, und gelte
f ′(x) = f ′′(x) = . . . = f (m−1)(x) = 0, f (m)(x) , 0 .
Ist m gerade, so ist x ein lokales Extremum von f , und zwar ein lokales Minimum falls
f (m)(x) > 0 und ein lokales Maximum falls f (m)(x) < 0. Ist dagegen m ungerade, so ist
x sicher kein lokales Extremum von f .
Beweis. Gemaß Satz 7.4.2 mit Anschlussstelle x und n + 1 = m gilt fur t ∈ (c, d) mit
einer geeigneten Zwischenstelle ξ zwischen t und x
f (t) = f (x) +(t − x)m
m!f (m)(ξ) .
7.4. DER TAYLORSCHE LEHRSATZ 227
Ist f (m)(x) > 0, so gilt fur ξ in einer hinreichend kleinen Umgebung (x− δ, x+ δ) von x
ebenfalls f (m)(ξ) > 0. Da ξ zwischen t und x liegt, folgt aus t ∈ (x − δ, x + δ), dass fur
gerades m(t − x)m
m!f (m)(ξ) > 0 .
Somit folgt f (t) > f (x), und x ist ein lokales Minimum. Ist m ungerade, so hat (t − x)m
fur t < x ein anderes Vorzeichen als fur t > x. Also ist x kein lokales Extremum. Ganz
analog verlauft die Argumentation fur f (m)(x) < 0.
❑
7.4.8 Beispiel. Mit den bisher gesammelten Ergebnissen lassen sich sogenannte
Kurvendiskussionen von Funktionen durchfuhren.
0 11e
2
1
2
3
4
f
Man betrachte z.B. die
Funktion f (x) = xx auf
(0,+∞).
Zunachst ist diese Funktion stetig und beliebig oft differenzierbar.
Klarerweise ist sie immer positiv, hat also keine Nullstellen.
Um die lokalen Extrema zu finden, betrachte
f ′(x) = xx(1 + ln x), f ′′(x) = xx−1 + xx(1 + ln x) .
Die einzige Nullstelle von f ′(x) ist 1e. Da f ′′( 1
e) > 0 folgt aus Korollar 7.4.7,
dass diese Stelle ein lokales Minimum ist.
Fur 0 < x < 1e
ist f ′(x) < 0, also dort monoton fallend, und fur 1e< x ist
f ′(x) > 0, also dort monoton wachsend, vgl. Korollar 7.2.9. Insbesondere ist 1e
ein absolutes Minimum von f auf (0,+∞).
Schließlich haben wir in Beispiel 7.2.16 gesehen, dass limx→0+ f (x) = 1. Wegen
xx ≥ ex, x ≥ e gilt auch die Beziehung limx→+∞ f (x) = +∞.
7.4.9 Beispiel. Wir wollen die Funktion f : (0,+∞)→ R
f (x) = (1 − ln x)2 − x(3 − 2 ln x) .
aus Beispiel 7.2.5 weiter diskutieren, fur die wir schon berechnet haben, dass
f ′(x) = 2(ln x − 1)1
x+ 2 ln x − 1, f ′′(x) = 2
1
x2− 2
ln x − 1
x2+
2
x=
4 − 2 ln x + 2x
x2.
Zudem haben wir festgestellt, dass f ′′(x) > 0 fur x ∈ (0,+∞) und dass f genau zwei
Nullstellen ξ, η hat, wobei 0 < ξ < 1 < η < +∞.
228 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
Nach dem Satz von Rolle hat dann auch f ′ mindestens eine Nullstelle x0 mit ξ <
x0 < η. Wegen f ′′(x) > 0 und dem Satz von Rolle kann es davon aber nur eine geben,
und mit Korollar 7.4.7 erkennen wir aus f ′′(x0) > 0, dass x0 ein lokales Minimum von
f ist.
In der Tat muss f ′ wegen f ′′(x) > 0 streng monoton wachsen. Außerdem gilt wegen
f ′(x) ≤ − 1x
fur x ∈ (0, 1)
limx→0+
f ′(x) = −∞ ,
und wegen f ′(x) ≥ 2 ln x − 1 fur x > e
limx→+∞
f ′(x) = +∞ .
Daraus erkennen wir auch, dass f eine eindeutige Nullstelle haben muss.
Wegen der Monotonie von f ′ gilt
f ′(s) < f ′(x0) = 0 < f ′(t) fur 0 < s < x0 < t < +∞ .
Also ist f auf (0, x0) monoton fallend und auf (x0,+∞) monoton wachsend, weshalb
x0 sogar ein globales Minimum von f sein muss.
7.5 Stammfunktion
Bei der Integration von Funktionen wird es wichtig sein, zu einer gegebenen Funktion
f : [a, b]→ R (C) – falls moglich – eine Funktion F : [a, b]→ R (C) zu finden, sodass
F′ = f .
7.5.1 Definition. Sei I ⊆ R ein Intervall und f : I → R (C). Wir nennen eine Funktion
F : I → R (C) eine Stammfunktion von f , wenn F′(x) = f (x) fur alle x ∈ I.
Hat ein f mindestens eine Stammfunktion, so heißt die Gesamtheit aller Stamm-
funktionen von f das unbestimmte Integral von f und wird durch∫
f bezeichnet.
7.5.2 Bemerkung. Mit F ist offensichtlicherweise auch F + c fur jedes c ∈ R (C) eine
Stammfunktion von f .
Sind umgekehrt F1, F2 zwei Stammfunktionen der selben Funktion f , so gilt (F1 −F2)′ ≡ 0 auf I. Nach Korollar 7.2.9 bzw. Bemerkung 7.2.11 ist F1 −F2 eine Konstante.
Somit gibt es bis auf additive Konstanten eine eindeutige Stammfunktion F, und
∫f = {F + c : c ∈ R (C)} .
7.5.3 Beispiel. Ist f : R \ {0} → R gegeben durch f (x) = 1x, so uberzeugt man sich
sofort, dass F : R \ {0} → R, F(x) = ln |x| die Gleichung F′(x) = f (x) fur alle
x ∈ R\{0} erfullt. Fur die Funktion G : R\{0} → R, G(x) = sgn(x)+ ln |x| gilt ebenfalls
G′(x) = f (x) fur alle x ∈ R \ {0}. Dieser scheinbare Widerspruch zu Bemerkung 7.5.2
lasst sich dadurch erklaren, dass R \ {0} ja kein Intervall ist – Korollar 7.2.9 lasst sich
darauf also nicht anwenden.
Zum Aufsuchen von Stammfunktionen gegebener Funktionen ist folgendes Resul-
tat sehr hilfreich.
7.5.4 Lemma. Seien I, J ⊆ R Intervalle und f , g : I → R (C), sowie α, β ∈ R (C).
Weiters sei h : J → I differenzierbar.
7.5. STAMMFUNKTION 229
(i) Haben f und g Stammfunktionen, so auch α f + βg, wobei
∫(α f + βg) = α
∫f + β
∫g
.
(ii) Sind f und g differenzierbar auf I, sodass f ′g eine Stammfunktion hat, dann hat
auch f g′ eine solche, und
∫f ′g = f g −
∫f g′, Regel von der Partiellen Integration. (7.10)
(iii) Mit f hat auch ( f ◦ h) · h′ : J → R (C) eine Stammfunktion, wobei
∫(( f ◦ h) · h′) =
(∫f
)◦ h, (Substitutionsregel)
Diese drei Beziehungen sind so zu verstehen, dass wenn∫· · · fur jeweils eine Stamm-
funktion steht, die Gleichheit bis auf eine Konstante gilt.
Beweis.
(i) Sind F und G Stammfunktionen von f und g, so folgt (αF + βG)′ = αF′ + βG′ =α f + βg. Also ist αF + βG eine Stammfunktion von α f + βg.
(ii) Ist H Stammfunktion von f ′g, so folgt aus der Produktregel ( f g − H)′ = ( f ′g +f g′) − f ′g = f g′. Somit ist f g − H Stammfunktion von f g′, und es gilt (7.10).
(iii) Ist F Stammfunktion von f , so folgt aus der Kettenregel in Satz 7.1.9 bzw. Be-
merkung 7.1.10, dass (F ◦ h)′ = ( f ◦ h) · h′. Also ist F ◦ h Stammfunktion von
( f ◦ h) · h′.
❑
7.5.5 Bemerkung. Zur Substitutionsregel gibt es folgende Merkregel:
Seien I, J ⊆ R wieder Intervalle, f : I → R (C), und h : J → I differenzierbar.
Schreiben wir x = h(t) mit t ∈ J und formal dx = h′(t) dt, so erhalt man aus
(∫f
)(x) =:
∫f (x)dx
durch Ersetzen von x durch h(t) und dx durch h′(t) dt
∫f (h(t)) · h′(t) dt :=
∫(( f ◦ h) · h′) .
Wie gesagt ist das eine Merkregel, die sich beim Bestimmen konkreter Stammfunk-
tionen aber als durchaus praktikabel und ubersichtlich herausgestellt hat, siehe etwa
Beispiel 7.5.9.
230 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
7.5.6 Beispiel. Man kann die Substitutionsregel verwenden, um einfache Differential-
gleichungen der Form
y′(t) · f (y(t)) = g(t), t ∈ I , (7.11)
zu losen. Hier sind I, J ⊆ R Intervalle und f : J → R sowie g : I → R stetige
Funktionen.
Angenommen man hat eine Funktion y : I → J ⊆ R, welche (7.11) erfullt. Hat
f eine Stammfunktion F, so ist nach der Substitutionsregel die Funktion F ◦ y eine
Stammfunktion von t 7→ y′(t) · f (y(t)) und daher auch von g.
Kennt man andererseits eine Stammfunktion G von g explizit, so folgt F ◦ y =
G + c fur eine Konstante c ∈ R. Also hat man eine implizite Beschreibung von y(t). In
manchen Fallen lasst sich diese Gleichung nach y auflosen, wodurch man y(t) explizite
beschreiben kann.
Diese hier beschriebene Methode nennt man auch Trennung der Variablen .
7.5.7 Beispiel. Man betrachte die Differentialgleichung
y′(t) = y(t), t ∈ R .
Eine reellwertige Losung y dieser Differentialgleichung ist y ≡ 0. Angenommen y ist
eine weitere reellwertige Losung mit y(t0) < 0 fur ein t0 ∈ R. Wegen der Stetigkeit gilt
y(t) < 0 fur alle t ∈ (t0 − ǫ, t0 + ǫ) =: I.
Ist f : I → (−∞, 0) die Funktion f (η) = 1η, so gilt fur t ∈ I,
y′(t) · 1
y(t)= y′(t) · f (y(t)) = 1 .
Eine Stammfunktion von f ist F(η) = ln(−η), also ist t 7→ ln(−y(t)) eine Stammfunkti-
on von y′(t)· 1y(t)
auf I. Von 1 ist t 7→ t eine Stammfunktion. Es folgt ln(−y(t)) = t+c, t ∈I, und weiter y(t) = −ec · et. Also muss y(t) = d · et, t ∈ I fur ein reelles d ∈ (−∞, 0).
Man beachte, dass wir von der Gultigkeit von y′(t) = y(t) auf y(t) = d · et, t ∈ I,
geschlossen haben, wir uns also zunachst nicht sicher sein konnen, dass diese Funktion
tatsachlich y′(t) = y(t) lost. Durch Einsetzen zeigt man aber sofort, dass tatsachlich
y(t) = d · et, t ∈ R, eine Losung ist.
Wir werden nun einige Funktionstypen auflisten und angeben, wie man die unbe-
stimmten Integrale von diesen bestimmt.
(i) Ist f (x) = xn, n ∈ N∪ {0} auf R, so ist F(x) = 1n+1
xn+1 eine Stammfunktion. Also
ist∫
xn = 1n+1
xn+1 + c.
(ii) Ist f (x) = x−n, n ∈ N, n > 1 auf (−∞, 0) oder (0,+∞), so ist F(x) = 1−n+1
x−n+1
eine Stammfunktion.
(iii) Ist f (x) = x−1, auf (−∞, 0) oder (0,+∞), so ist F(x) = ln |x|, x , 0 eine Stamm-
funktion.
(iv) Um die Stammfunktion von ln x, x > 0 zu ermitteln, wenden wir die Partielle
Integration an:
∫ln(x) =
∫(x′) ln(x) = x ln(x) −
∫x
1
x= x(ln(x) − 1) + c .
7.5. STAMMFUNKTION 231
(v)∫
ex = ex + c,∫
sinh x = cosh x + c,∫
cosh x = sinh x + c.
(vi)∫
sin x = − cos x + c,∫
cos x = sin x + c.
(vii) Sei n ∈ N, n ≥ 2. Mit partieller Integration sieht man∫
cosn t =
∫(cosn−1 t) · (cos t) = (cosn−1 t)(sin t) + (n − 1)
∫(cosn−2 t)(sin t)2 =
(cosn−1 t)(sin t) + (n − 1)
∫(cosn−2 t) − (n − 1)
∫(cosn t) .
Also erhalt man die Rekursionsgleichung∫
cosn t =1
n(cosn−1 t)(sin t) +
n − 1
n
∫(cosn−2 t) .
(viii) Mit Hilfe von (i) und der Substitutionsregel folgt (k ∈ N, k > 1)∫
a
(x − b)= a ln |x − b| + c,
∫a
(x − b)k=
a
(−k + 1)(x − b)k−1+ c ,
wobei man diese Funktionen auf einem Intervall betrachtet, das b nicht enthalt.
(ix)∫
11+x2 = arctan x + c. (Umkehrfunktion von tan = sin
cos: (− π
2, π
2)→ R).
(x) Um∫
x1+x2 zu ermitteln, wende man die Substitutionsregel auf h(x) = x2, h′(x) =
2x und f (y) = 11+y
an:
∫x
1 + x2=
1
2
∫2x
1 + x2=
1
2
(∫1
1 + y
)
y=x2
=1
2(ln |1 + y|)y=x2 =
1
2ln |1 + x2| .
(xi) Ganz ahnlich sieht man∫
x(1+x2)k =
12(1−k)
1(1+x2)k−1 fur k ∈ N, k > 1.
(xii)∫
1(1+x2)k , k ∈ N, k > 1 lasst sich rekursiv berechnen, indem man
t = arctan x ∈ (− π2, π
2) substituiert
∫1
(1 + x2)k=
∫1
(1 + x2)k−1· 1
(1 + x2)=
∫1
(tan2 t + 1)k−1=
∫cos2k−2 t =
1
2k − 2(cos2k−2 t) · (tan t) +
2k − 3
2k − 2
∫(cos2k−4 t) =
1
2k − 2· x
(1 + x2)k−1+
2k − 3
2k − 2
∫1
(1 + x2)k−1.
(xiii) Ist nun allgemein f (x) = x+d(x2+px+q)k , und hat x2 + px + q keine reellen Nullstellen
(D := q − p2
4> 0), so schreibe
f (x) =(x +
p
2) + (d − p
2)
((x +p
2)2 + q − p2
4)k.
Um∫
f (x) zu berechnen, substituiere√
Dy − p
2= x(y):
∫f (x) =
1
Dk
∫Dy +
√D(d − p
2)
(1 + y2)k.
Dieses Integral lasst sich mit Hilfe der oben behandelten Funktionen losen.
232 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
(xiv) Zu guter Letzt noch Stammfunktionen von C-wertigen Funktionen (w ∈ C):
∫eix = −ieix + c,
∫ewx =
1
wewx + c,
∫xewx =
x
wewx −
∫1
wewx =
x
wewx − 1
w2ewx + c .
Um die Stammfunktion einer beliebigen rationalen Funktion R(x) =P(x)
Q(x), wobei
P(x) und Q(x) zwei reelle Polynome sind, zu ermitteln, werden wir diese in eine Sum-
me von Funktionen entwickeln, deren Stammfunktionen wir eben kennengelernt haben.
Als erstes folgt aus dem Euklidischen Algorithmus, dass
P(x) = S (x)Q(x) + T (x) ,
wobei S (x) und T (x) reelle Polynome sind, und wobei der Grad von T (x) kleiner als
der von Q(x) ist.
Das Integral von R(x) = S (x) +T (x)
Q(x)ist daher
∫S (x) +
∫T (x)
Q(x). Das erste Integral
errechnet man leicht mit Hilfe von (i). Fur das zweite mussen wirT (x)
Q(x)weiter zerlegen.
Dazu betrachten wir zuerst die auftretenden Polynome als komplexe Polynome.
Das hat den Vorteil, dass sich jedes komplexe Polynom bis auf eine Konstante als
Produkt von Faktoren (z − z j) schreiben lasst.
7.5.8 Satz. Seien T (z),Q(z) zwei komplexe Polynome, sodass der Grad n von Q(z)
großer als der von T (z) ist. Schreiben wir Q(z) = anzn + · · · + a0 mit an ∈ C \ {0} als
Q(z) = an(z − z1)ν1 · · · · · (z − zm)νm ,
wobei zi , z j wenn i , j und wobei ν1, . . . , νm ∈ N, ν1 + · · · + νm = n, so gibt es
eindeutige Zahlen a jk ∈ C, sodass (z ∈ C \ {z1, . . . , zm})
T (z)
Q(z)=
m∑
j=1
ν j∑
k=1
a jk
(z − z j)k.
Beweis. Unser Problem ist aquivalent zur Existenz und Eindeutigkeit von Zahlen a jk,
sodass fur z ∈ C
1
an
T (z) =
m∑
j=1
ν j∑
k=1
a jk(z − z j)ν j−k
m∏
l=1,l, j
(z − zl)νl . (7.12)
Betrachte den VektorraumCn−1[z] aller komplexen Polynome vom Grad kleiner n. Die-
ser hat Dimension n. Kann man nun zeigen, dass die n Stuck Polynome
(z − z j)ν j−k
m∏
l=1,l, j
(z − zl)νl , j = 1, . . . ,m, k = 1, . . . , ν j ,
linear unabhangig in Cn−1[z] sind, so bilden sie sogar eine Basis, und unser Satz folgt
sofort aus der Linearen Algebra.
Ware ∑
j=1,...,m,k=1,...,ν j
λ jk(z − z j)ν j−k
m∏
l=1,l, j
(z − zl)νl = 0 ,
7.5. STAMMFUNKTION 233
und setzt man z = z1, . . . , zm, so erhalt man λ1ν1= · · · = λmνm
= 0. Nun kann man∏mj=1(z − z j) durchdividieren und erhalt
∑
j=1,...,m;k=1,...,ν j−1
λ jk(z − z j)ν j−1−k
m∏
l=1,l, j
(z − zl)νl−1 = 0 .
Wiederholt man obige Argumentation, so folgt λ j(ν j−1) = 0 fur alle j ∈ {1, . . . ,m}, ν j >
1, usw. bis man schließlich λ jk = 0 fur alle j = 1, . . . ,m, k = 1, . . . , ν j erhalt.
❑
Aus (7.12) sehen wir auch, wie man die Zahlen a jk gewinnen kann. In der Tat kann
man alle auftretenden Polynome ausmultiplizieren und vergleicht dann die Koeffizien-
ten, die bei jedem zk links und rechts vom Gleichheitszeichen stehen. Diese mussen
ubereinstimmen, und so erhalt man n Gleichungen fur n Unbekannte.
Etwas weniger Arbeit hat man, wenn man den eben gebrachten Beweisgedanken
einfließen lasst. Man kann namlich in (7.12) nacheinander z = z1, . . . , zm setzen und
erhalt so a jν jganz leicht.
Wir kehren zu unseren reellen Polynomen T (x) und Q(x) zuruck. Wenn wir auf
diese Satz 7.5.8 anwenden, hat das den Nachteil, dass man eine Partialbruchzerlegung
mit moglicherweise nicht nur reellen Komponenten erhalt.
Um das wieder zu reparieren, schließt man zuerst aus Q(z) = Q(z) – Q(z) hat ja
reelle Koeffizienten –, dass mit z j auch z j eine Nullstelle von Q(z) ist, und dass diese
die gleiche Vielfachheit ν j haben.
Somit sind die Nullstellen von Q(z) von der Form x1, . . . , xp, z1, . . . zq, z1, . . . zq, wo-
bei x j ∈ R und z j ∈ C+ := {z ∈ C : Im z > 0}. Die Partialbruchzerlegung aus Satz 7.5.8
lasst sich nun schreiben als
T (z)
Q(z)=
p∑
j=1
ν j∑
k=1
a jk
(z − x j)k+
q∑
j=1
µ j∑
k=1
(b jk
(z − z j)k+
c jk
(z − z j)k
).
Da aber auchT (z)
Q(z)=
T (z)
Q(z), folgt aus der Eindeutigkeit der komplexen Partialbruchzerle-
gung a jk ∈ R und c jk = b jk, und man erhalt
(b jk
(z − z j)k+
c jk
(z − z j)k
)=
(b j(z − z j)
k + b j(z − z j)k
(z2 − 2z Re(z j) + |z j|2)k
),
wobei die Polynome in Zahler und Nenner reell sind. Summiert man nun uber k auf und
bringt die Summe auf gemeinsamen Nenner, so erhalt man eine Funktion der Form
T j(z)
(z2 + B jz +C j)µ j,
wobei T j(z) ein reelles Polynom mit Grad kleiner 2µ j ist, und B j = −2 Re(z j), C j =
|z j|2. Durch wiederholte Anwendung des Euklidischen Algorithmus kann man dieses
Polynom als
T j(z) =
µ j∑
k=1
(d jkz + e jk)(z2 + B jz + C j)µ j−k
anschreiben. Somit folgt die Zerlegung
T (z)
Q(z)=
p∑
j=1
ν j∑
k=1
a jk
(z − x j)k+
q∑
j=1
µ j∑
k=1
d jkz + e jk
(z2 + B jz + C j)k, (7.13)
234 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
welche nur reelle Zahlen beinhaltet. Dabei haben die z2 + B jz + C j klarerweise keine
reellen Nullstellen.
Zur praktischen Berechnung der Koeffizienten a jk in (7.13) multipliziert man Q(z)
links und rechts und fuhrt einen Koeffizientenvergleich durch. Durch Einsetzen von
z = x j lassen sich die a jν jauch schneller berechnen.
Um∫
T (x)
Q(x)zu berechnen, genugt es nun die einzelnen Summanden in der Partial-
bruchzerlegung zu integrieren und diese dann zu summieren.
7.5.9 Beispiel. Wir wollen das Integral∫
tan x dx auf einem Intervall I berechnen, wo-
bei keine Nullstelle von cos x enthalten darf:∫
tan x dx =
∫sin x
cos xdx =[
t=cos xdt=− sin xdx
] −∫
1
tdt =
= − ln |t| +C = − ln | cos x| +C .
Diese Methode beruht darauf, dass unser Integrand von der Gestalt f (t(x)) t′(x) ist, und
noch dazu mit einer sehr einfachen Funktion f . Daher konnen wir die Substitutionsre-
gel unmittelbar anwenden und die entstehende Funktion leicht integrieren.
7.5.10 Beispiel. Wir wollen das Integral∫
x2 sin x dx auf einem beliebigen Intervall
berechnen. Wir verwenden partielle Integration:∫
x2 sin x dx = x2(− cos x) −∫
2x(− cos x) dx = −x2 cos x + 2
∫x cos x dx =
= −x2 cos x + 2(x sin x −
∫sin x dx
)= −x2 cos x + 2x sin x + 2 cos x +C
Mit dieser Methode kann man zum Beispiel alle Integrale von der Form∫
P(x)ex dx,
∫P(x) sin x dx,
∫P(x) cos x dx ,
mit einem Polynom P berechnen.
7.5.11 Beispiel (Integration von R(ex)). Hat man eine Funktion f der Gestalt f (x) =
R(ex), wobei R eine rationale Funktion ist, so kann man deren Integral stets mit Hilfe
der Substitution t = ex auf das Integral einer rationalen Funktion bringen. Denn es gilt,
mit t = ex, ∫R(ex) dx =[ t=ex
dt=exdxdx= 1
tdt
]∫
R(t)1
tdt
7.5.12 Beispiel. Wir wollen das Integral∫
e2x−1ex+2
dx auf R berechnen. Zunachst gilt
∫e2x − 1
ex + 2dx =
∫(ex)2 − 1
ex + 2dx =[
t=ex
dx= 1tdt
]∫
t2 − 1
t + 2· 1
tdt
Man beachte, dass nach der Substitution t(x) = t in (0,+∞) liegt; also immer positiv ist.
Nun haben wir ein Integral einer rationalen Funktion auf (0,+∞) zu berechnen. Dazu
schreiben wir
t2 − 1
t + 2· 1
t=
t2 − 1
t2 + 2t=
t2 + 2t − 2t − 1
t2 + 2t= 1 − 2t + 1
t(t + 2)
7.6. UBUNGSBEISPIELE 235
und versuchen nun den zweiten Summanden in Partialbruche zu zerlegen:
2t + 1
t(t + 2)=
A
t+
B
t + 2=
(A + B)t + 2A
t(t + 2)
Koeffizientenvergleich fuhrt auf A = 12
und B = 32. Also haben wir
t2 − 1
t + 2· 1
t= 1 − 1
2t− 3
2(t + 2)
und daher ∫t2 − 1
t + 2· 1
tdt = t − 1
2ln t − 3
2ln(t + 2) =
= ex − x
2− 3
2ln(ex + 2)
7.5.13 Beispiel (Integration von R(sin x, cos x)). Hat man eine Funktion f der Gestalt
f (x) = R(sin x, cos x), wobei R eine rationale Funktion ist, so kann man deren Integral
stets mit Hilfe der Substitution t = tan x2
auf das Integral einer rationalen Funktion
bringen. Denn es gilt, mit t = tan x2,
sin x = 2 sinx
2cos
x
2=
2 tan x2
1 + tan2 x2
=2t
1 + t2
cos x = cos2 x
2− sin2 x
2=
1 − tan2 x2
1 + tan2 x2
=1 − t2
1 + t2
dt
dx=
1
2(1 + tan2 x
2) also dx =
2
1 + t2dt
7.6 Ubungsbeispiele
7.1 Geben Sie den jeweils maximalen Definitionsbereich D ⊆ R folgender Funktionen
cos(3x), tan2(5x3), ln | cos x| , sinh(x), cosh(x) .
an, und bestimmen Sie fur ein beliebiges x ∈ D jeweils die Ableitung der Funktion bei x.
Hinweis: Fur komplexwertige Funktionen gelten auch die Ableitungsregeln wie Summen-
regel und Produktregel. Die Aufspaltung in Real- und Imaginarteil bedeutet daher oft einen
unnotigen Aufwand!
7.2 Geben Sie an, fur welche x ∈ R die Funktion f (x) =√
4 − x2 + 2 als reellwertige Funktion
definiert ist; dh. es ist der Maximale Definitionsbereich D dieser Funktion zu bestimmen.
Fur welche x ∈ D ist f differenzierbar? Geben Sie die Ableitung von f an diesen Stellen an!
7.3 Sei f : R→ R gegeben durch f (t) = at fur t < 2 und durch f (t) = b + t32 fur t ≥ 2.
Bestimmen Sie a, b ∈ R so, dass f auf ganz R differenzierbar ist! Bestimmen Sie fur diese
Wahl von a, b auch f ′ : R → R und geben Sie an, ob f stetig differenzierbar bzw. auf Rsogar zwei mal differenzierbar ist.
7.4 Man berechne die Ableitung der Umkehrfunktion arcsin : (−1, 1) → (− π2, π
2) von sin :
(− π2, π
2) → (−1, 1) sowie die Ableitung der Umkehrfunktion areasinh : R → R von sinh :
R→ R; vgl. Ubungsbeispiele 6.23 und 6.24.
236 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
7.5 Zeigen Sie, dass cos : [0, π] → [−1, 1] streng monoton fallend und bijektiv ist. Berechnen
Sie die Ableitung der Umkehrfunktion arccos : (−1, 1)→ (0, π) der Funktion cos : (0, π)→(−1, 1).
7.6 Man zeige, dass tanh : R → [−1, 1], tanh x = sinh xcosh x
bijektiv und streng monoton wachsend
ist. Skizze!
Weiters berechne man die Ableitung der entsprechenden Umkehrfunktion areatanh.
7.7 Man berechne die Ableitung folgender Funktionen auf R+ mit α ∈ R:
xα, xx, (xx)x, xxx
, ln(x + cos2(1
x2)) .
7.8 Berechnen Sie fur f : R→ R, g : R→ R, h : R→ C mit
f (x) = x3ex , g(x) = exp(x999
), h(x) =
1
2 + exp(i4x)
f (1000)(x), g(1000)(0) und h′(x).
7.9 Berechnen Sie (n ∈ N)
limx→0
1
xne− 1
x2 , limx→+∞
x ln x
x2 − 1, lim
x→0
1 − cos nx
sin(n2 x2).
7.10 Die Exponentialfunktion hat eine in der Theorie der Differentialgleichungen wichtige Ei-
genschaft: (eax)′ = aeax.
Nun sei f : (α, β)→ R eine differenzierbare Funktion, die f ′(x) = a f (x) erfullt. Man zeige:
f (x) = ceax fur eine reelle Konstante c.
Hinweis: Leiten Sie f (x)e−ax ab!
7.11 Die Funktion tan x ist fur alle x ∈ R \ ( π2+ πZ) definiert als sin x
cos x. Man berechne die erste und
die zweite Ableitung dieser Funktion. Weiters bestimme man die Nullstellen der Funktion,
und zeige, dass sie streng monoton wachsend auf jedem in R\( π2+πZ) enthaltenem Intervall
ist. Skizze!
Schließlich zeige man limt→± π2
tan t = ±∞ und damit, dass tan das Intervall (− π2, π
2) bijektiv
auf R abbildet, und berechne man die Ableitung der Umkehrfunktion arctan : R → (− π2, π
2)
(Arcustangens).
7.12 Ist f : [1,+∞)→ R definiert durch f (x) = (x − 1)x−1, x > 1 und f (1) = 1 bei 1 stetig? Ist f
bei 1 rechtsseitig differenzierbar?
7.13 Sei f : (−∞, 2]→ R definiert durch f (x) = (x−1)x−1 fur x ∈ (1, 2] und durch f (x) = c+ xe−x
fur x ≤ 1 und fur ein c ∈ R so, dass f stetig ist.
Skizzieren Sie die Funktion! Wo ist f differenzierbar? Suchen Sie die Nullstellen der Ab-
leitung dort, wo die Funktion ableitbar ist! Geben Sie an, auf welchen Teilintervallen von
(−∞, 2] die Funktion (streng) monoton wachst und wo sie (streng) monoton fallt. Bestim-
men Sie auch alle lokalen Extrema, sowie das globale Maximum und Minimum (falls vor-
handen)!
7.14 Fur welchen Punkt (a, b) ∈ R2 im ersten Quadranten (⇔ a, b > 0) auf der Parabel y = 4− x2
besitzt das Dreieck, das von der Tangente in (a, b) an die Parabel und den Koordinatenachsen
begrenzt wird, minimalen Flacheninhalt?
Hinweis: Vergessen Sie nicht zu zeigen, dass der Kandidat furs lokale Extremum tatsachlich
ein Minimum ist!
7.15 Sei α > 0. Man zeige mit Hilfe des Mittelwertsatzes
α
(1 + x)α+1<
1
xα− 1
(1 + x)α, ∀x > 0,
und mit Hilfe dieser Ungleichung die Konvergenz der Reihe∞∑
n=1
1
nα+1 .
7.6. UBUNGSBEISPIELE 237
7.16 Sei Pn(x) := 2−n(n!)−1((x2 − 1)n
)(n)das n-te Legendre-Polynom fur n ≥ 0.
(i) Bestimme P0(x), P1(x), P2(x).
(ii) Bestimme Pn(0).
(iii) Bestatige (x f (x))(n) = x f (n)(x) + n f (n−1)(x) fur eine n-fach differenzierbare Funktion f .
(iv) Bestatige P′n+1
(x) = xP′n(x) + (n + 1)Pn(x).
Anmerkung: Mit (ii) und (iv) lassen sich die Legendrepolynome rekursiv berechnen.
7.17 Bekannterweise ist sin x als Potenzreihe∑∞
n=0 an xn entwickelbar. Man verwende das Taylor-
sche Restglied um folgende Fragestellung zu beantworten:
Wie groß muss man n wahlen, sodass die Differenz des n-ten Taylorpolynomes von sin x zur
Funktion sin x auf [−3, 3] hochstens 10−6 betragt?
7.18 Man zeige, dass (α ∈ R)
(1 + x)α = 1 +
∞∑
n=1
(α
n
)xn
fur 0 ≤ x < 1, indem man zeigt, dass das Taylorsche Restglied gegen Null konvergiert.
Anmerkung: Die Gleichheit gilt auch fur −1 < x < 0, denn die Potenzreihe 1 +∑∞
n=1
(α
n
)xn
hat Konvergenzradius 1 und stimmt fur α ∈ Q mit (1 + x)α uberein. Nun kann man mit
Hilfe des Weierstrasskriterium zeigen, dass 1 +∑∞
n=1
(α
n
)xn bei festem x ∈ (−1, 1) stetig in
α ist, wenn α in einer beliebigen kompakten Menge der Form [−K,K] lauft. Da (1 + x)α
und 1 +∑∞
n=1
(α
n
)xn stetige Funktionen in α sind und auf der dichten Menge [−K,K] ∩ Q
ubereinstimmen, mussen sie auf ganz [−K,K] ubereinstimmen.
7.19 Sei f eine reellwertige stetige Funktion, die auf einem Intervall I definiert ist und die im
Inneren von I ableitbar ist. Man beweise, dass f genau dann konvex ist, wenn ihre Ableitung
f ′ wachsend ist (x ≤ y⇒ f ′(x) ≤ f ′(y)).
Wenn fur f noch zusatzlich die zweite Ableitung im Inneren von I existiert, wie lasst sich
dann die Konvexitat durch f ′′ charakterisieren?
Hinweis: Fur die ⇒ Richtung verwende man die Gleichung aus dem Ubungsbeispiel 6.41
dem letzten Beispiel. Fur die andere Richtung verwende man den Mittelwertsatz.
7.20 Man beweise, dass die Funktionen f (x) = ex, g(x) = x2 auf ganz R konvex sind. Weiters
zeige man, dass ln x auf R+ konkav ist.
7.21 Sei f eine konvexe Funktion auf einem Intervall I. Man beweise mit vollstandiger Induktion
nach n ∈ N, n ≥ 2, dass folgende Ungleichungen gelten (Jensensche Ungleichung): Fur
beliebige x1, . . . , xn ∈ I und λ1, . . . , λn ∈ [0, 1] mit∑n
j=1 λ j = 1 gilt
f (
n∑
j=1
λ j x j) ≤n∑
j=1
λ j f (x j).
Fur beliebige x1, . . . , xn ∈ I und µ1, . . . , µn ∈ [0,+∞), wobei nicht alle Null sein durfen, gilt
f
(∑nj=1 µ j x j∑n
j=1 µ j
)≤
∑nj=1 µ j f (x j)∑n
j=1 µ j
.
Man zeige damit: Fur n ∈ N, n ≥ 2 und a1, . . . , an, λ1, . . . , λn > 0 mit∑n
j=1 λ j = 1 gilt
aλ1
1aλ2
2. . . aλn
n ≤ a1λ1 + a2λ2 + · · · + anλn.
Hinweis: f (x) = ex!
7.22 Fuhren Sie bei der Funktion f (x) = x2e− 1
x2 mit f (0) = 0 eine Kurvendiskussion durch.
Bestimmen Sie also Nullstellen, lokale (globale Extrema), auf welchen Teilintervallen die
Funktion (streng) monoton wachsend bzw. fallend ist, Wendepunkte, also Stellen, wo die
erste Ableitung der Funktion ein lokales Extremum hat. Bestimmen Sie auch auf welchen
Teilintervallen die Funktion konvex bzw. konkav ist!
238 KAPITEL 7. DIFFERENTIALRECHNUNG
7.23 Fuhren Sie bei der Funktion f2(x) = x3 − 48x, x , 0 eine Kurvendiskussion durch.
Bestimmen Sie also Nullstellen, lokale (globale Extrema), auf welchen Teilintervallen die
Funktion (streng) monoton wachsend bzw. fallend ist, Wendepunkte, also Stellen, wo die
erste Ableitung der Funktion ein lokales Extremum hat. Bestimmen Sie auch auf welchen
Teilintervallen die Funktion konvex bzw. konkav ist!
7.24 Man berechne die Stammfunktion von xα auf (0,∞), wenn α ∈ R, und von ax , wobei a ∈R, a > 0.
7.25 Man bestimme die unbestimmten Integrale
∫(x3 + 2x2 − 3)e2x−4 und
∫x3 exp(wx),
wobei w ∈ C beliebig aber fest ist.
7.26 Man berechne die unbestimmten Integrale
∫e2x − 1
ex + 2und
∫x2 sin x.
Hinweis: Hat man eine Funktion f der Gestalt f (x) = R(ex) wobei R eine rationale Funktion
ist, so kann man deren Integral stets mit Hilfe der Substitution t = ex auf das Integral einer
rationalen Funktion bringen.
Literaturverzeichnis
[EL] K.Endl,W.Luh: Analysis I-III, Aula Verlag, Wiesbaden 1986.
[F] G.M.Fichtenholz: Differential- und Integralrechnung I-III, Deutscher Verlag der
Wissenschaften, Berlin 1964.
[H] H.Heuser: Lehrbuch der Analysis 1,2, Teubner Verlag, Stuttgart 1989.
[L] S.Lang: A first course in calculus, Springer Verlag, Heidelberg 1986.
[R] W.Rudin: Principles of Mathematical Analysis, McGraw-Hill, New York 1953,
third edition 1976.
[W] W.Walter: Analysis 1, Springer Verlag, Heidelberg, New York, Tokio 2004 (7.
Auflage).
239
Index
C(I), 211
C(X, Y), 151
C0(I), 211
C∞(I), 211
Cn(I), 211
Cb(E, Y), 174
C[z], 189
R, 45
Z, 28
ℓ2(N,C), 105
ǫ-Kugel, 115
⌊.⌋, 144
limi∈I xi, 128
limt→+∞ f (t), 144
limt→−∞ f (t), 144
limt→z f (t), 141
limz→∞ f (z), 145
P, 36
B(E, Y), 169
d(x, y), 62
d1(x, y), 64
d2(x, y), 62
d∞( f , g), 169
d∞(x, y), 65
C+, 233
N, 3, 18
Q, 38
R[x], 86
Z, 2
C, 52
Cn−1[z], 232
uberall definiert, 4
Abbildung, 4
identische, 4
isometrische, 151
Abel Kriterium, 99
Abelscher Grenzwertsatz, 195
Ableitung
einer Funktion, 210
hohere, 211
im Punkt x, 205
linksseitige, 205
rechtsseitige, 205
Abschluss, 117
absolut konvergent, 94
Abstand zweier Mengen, 147
Addition, 11, 22
alternierende harmonische Reihe, 94
analytisch, 180
analytisch in einem Punkt, 180
Anschlussstelle, 223
Antisymmetrie, 14
Arcuscosinus, 192
Funktionsgraph, 192
Arcuscotangens, 192
Funktionsgraph, 192
Arcussinus, 192
Funktionsgraph, 192
Arcustangens, 192
Funktionsgraph, 192
Areacosinus Hyperbolicus, 193
Funktionsgraph, 194
Areacotangens Hyperbolicus, 194
Funktionsgraph, 195
Areasinus Hyperbolicus, 193
Funktionsgraph, 194
Areatangens Hyperbolicus, 194
Funktionsgraph, 195
Assoziativitat, 7, 22
Auswahlaxiom, 72
Axiome, 11
Bernoullische Ungleichung, 21
beschrankt, 15
nach oben, 15
nach unten, 15
beschrankte
Folge, 70
Menge, 70
Betrag
komplexer Zahlen, 54
240
INDEX 241
bijektiv, 6
Bildmenge, 5
Binomialkoeffizient, 57
Cauchy-Folge, 79
Cauchy-Netz, 132
Cauchy-Schwarzsche Ungleichung, 63
Cauchysches Konvergenzkriterium
Folgen, 81
Reihen, 94
Cauchysches Restglied, 224
Charakteristik, 43
chordale Metrik, 202
Cosinus, 180
Funktionsgraph, 185
Cosinus Hyperbolicus, 192
Funktionsgraph, 193
Cotangens, 191
Funktionsgraph, 191
Cotangens Hyperbolicus
Funktionsgraph, 194
Dedekindscher Schnitt, 48
Definitionsbereich, 5
Definitionsmenge, 4
dicht, 117
Dichteeigenschaft, 44
Differentialgleichung, 225, 230
Differentialgleichungen
Trennung der Variablen, 230
Differenz, 2
differenzierbar
n-mal, 211
im Punkt x, 205
rechtsseitig, 205
stetig, 211
Dirichlet Kriterium, 97
diskrete Metrik, 65
Distributivgesetz, 3
Distributivitat, 22
divergent, 67, 90
bestimmt, 84
Dividieren mit Rest, 36
domain, 5
Doppelreihen, 138
Dreiecksungleichung, 18, 62
Dreiecksungleichung nach unten, 18
Einheitskreislinie, 120, 159
Einschrankung, 5
Elemente, 1
endlich, 27
Euklidischer Algorithmus, 232, 233
Eulersche Exponentialfunktion, 140
Eulersche Zahl, 77, 184
Existenz des neutralen Elementes, 22
Exponentialfunktion, 140, 180
Funktionsgraph, 183
Extremum
absolutes, 212
lokales, 212
faktorielle, 96
Folge, 66
Cauchy-Folge, 79
monoton fallende, 76
monoton wachsende, 76
monotone, 76
Rechenregeln fur, 73
streng monoton fallend, 72
Formel von de Moivre, 181
Fortsetzung, 5
Funktion, 4
beschrankte, 70, 169
bijektive, 6
Einschrankung, 5
Fortsetzung, 5
injektive, 6
konkave, 202
konvexe, 202
monoton fallende, 166
monoton wachsende, 166
stetige, 151
streng monoton fallende, 31, 166
streng monoton wachsende, 31, 166
surjektive, 6
unstetige, 163
zusammengesetzte, 7
Funktionen
trigonometrische, 180
Funktionswert, 4
Gaußklammer, 144
Gaußsche Zahlenebene, 54
gerichtete Menge, 127
Graph, 4
Grenzwert
einer Funktion, 141
einseitige, 143
linksseitiger, 143
242 INDEX
rechtsseitiger, 143
Haufungspunkt
einer Folge, 122
einer Menge, 117
harmonische Reihe, 93
hebbare Unstetigkeit, 163
Hintereinanderausfuhrung, 7
imaginare Einheit, 52
Imaginarteil, 52
Induktions
-anfang, 21
-prinzip, 21
-schritt, 21
Varianten d., 26
Infimum, 15
injektiv, 6
Integral
unbestimmtes, 228
Intervall, 158
Involution, 29
isolierter Punkt, 117
isometrische Abbildung, 151
Jensensche Ungleichung, 237
Korper
angeordneter, 14
archimedisch angeordneter, 43
vollstandig angeordneter, 44
Kurzungsregel, 22
kartesisches Produkt, 2
Kommutativitat, 22
kompakt, 124
Komplement, 2
komplex differenzierbar, 207
konjugiert komplexen, 54
konkav, 202
konvergent, 67, 90
absolut, 94
bedingt, 136
gegen ±∞, 84
gegen x, 66
gleichmaßig, 170
punktweise, 169
Konvergenz
gleichmaßige einer Funktionenfolge,
170
absolute einer Funktionenreihe, 176
einer Folge, 66
eines Netzes, 128
gleichmaßige einer Funktionenreihe,
176
komponentenweise, 81
punktweise einer Funktionenfolge,
169
punktweise einer Funktionenreihe,
176
unbedingte, 133
Konvergenzradius, 176
konvex, 202
Kurvendiskussionen, 227
Lagranges Restglied, 223
leere Menge, 1
Leibniz Kriterium, 98
Lemma vom iterierten Supremum, 47
Limes Inferior, 78
Limes Superior, 78
linksstetig, 163
Logarithmus
naturlicher, 182
naturalis, 182
Logarithmus naturalis
Funktionsgraph, 183
lokale Eigenschaft, 153
Machtigkeit, 27
Majorantenkriterium, 93
Maximum, 15
absolutes, 212
lokales, 212
Menge, 1
abgeschlossene, 117
Bild, 5
Differenz-, 2
Distributivgesetz-, 3
leere, 1
Ober-, 1
offene, 116
Potenz-, 3
Schnitt-, 2
Teil-, 1
Vereinigungs-, 2
zusammenhangende, 158
Mengen
getrennte, 158
Mengengleichheit, 1
Metrik, 62
INDEX 243
chordale, 202
euklidische, 62
Supremums-, 169
metrischer Raum
vollstandiger, 80
Minimum, 15
absolutes, 212
lokales, 212
Minkowskische Ungleichung, 63
Minorantenkriterium, 93
Mittel
arithmetisches, 14
Mittelwertsatz, 214
monoton fallend, 76, 166
monoton wachsend, 76, 166
Moore-Smith-Folge, 128
Multiplikation, 11, 22
Nachfolgerabbildung, 18
naturliche Zahlen, 18
Netz, 128
Cauchy-, 132
Teilfolge, 129
Teilnetz, 129
Norm, 66
obere Schranke, 15
Obermenge, 1
Partialbruchzerlegung
komplexe, 232
reelle, 233
Partialsumme, 89
Pi, 185
Polarkoordinaten, 187
Polynom
trigonometrisches, 190
Potenzmenge, 3
Potenzreihe, 176, 180
Primfaktorzerlegung, 37
Primzahl, 36
Produktregel, 208
Quotientenkorper, 43
Quotientenkriterium, 96
Quotientenregel, 208
Raabe Kriterium, 99
range, 5
Raum
metrischer, 62
Realteil, 52
rechtsstetig, 163
Reflexivitat, 14
Regel von de L’Hospital, 216
Regel von der Partiellen Integration, 229
Reihe, 90
alternierende harmonische, 94
bestimmt divergente, 90
divergente, 90
geometrische, 69
harmonische, 93
konvergent gegen ±∞, 90
konvergente, 90
Potenzreihe, 176
Rechenregeln fur, 90
Summe der, 90
Teleskop-, 92
Relationen, 7
Relationenprodukt, 7
Riemann-Zerlegung, 128
Riemannscher Umordnungssatz, 137
Satz
1. Mittelwertsatz der Differenzial-
rechnung, 214
2. Mittelwertsatz der Differenzial-
rechnung, 214
Cauchysches Konvergenzkriterium,
81, 94
Einschluss-, 72
Fundamentalsatz der Algebra, 189
Grenzwert- Abelscher, 195
Leibniz Kriterium, 98
Rekursions-, 19
Riemannscher Umordnungs-, 137
Taylorscher Lehrsatz, 223
von Bolzano-Weierstraß, 124
von Rolle, 212
Zwischenwertsatz, 159
Schlomilchsches Restglied, 224
Schnittmenge, 2
Sinus, 180
Funktionsgraph, 185
Sinus Hyperbolicus, 192
Funktionsgraph, 193
Sprungstelle, 163
Stammfunktion, 228
stetig, 151
an der Stelle x, 151
gleichmaßig, 161
244 INDEX
linksseitig, 163
rechtsseitig, 163
streng monoton fallend, 166
streng monoton wachsend, 166
Substitutionsregel, 229
Summensatze, 182
Supremum, 15
Supremumsnorm, 175
surjektiv, 6
symmetrische Mengendifferenz, 134
Tangens, 191
Funktionsgraph, 191
Tangens Hyperbolicus
Funktionsgraph, 194
Taylorreihe, 225
Taylorsche Polynom, 223
Teilfolge, 68
Teilfolge eines Netzes, 129
Teilfolgen
gestattet, 140
Teilmenge, 1
Teilnetz, 129
teilt, 36
Totalitat, 14
Transitivitat, 14
Trennung der Variablen, 230
Ungleichung
Bernoullische, 21
Cauchy-Schwarzsche, 63
Jensensche, 237
Minkowskische, 63
Unstetigkeit
1. Art, 163
2. Art, 163
hebbare, 163
Sprungstelle, 163
untere Schranke, 15
Urbild, 5
vollstandiges, 5
Vereinigungsmenge, 2
Verknupfung, 11
vollstandige Induktion, 21
Weierstraß Kriterium, 176
Wertebereich, 5
Wertevorrat, 4
wohldefiniert, 4
Wurzel
einer komplexen Zahl, 188
einer reellen Zahl ≥ 0, 46
Wurzelkriterium, 95
Zahl
komplexe, 52
rationale, 38
Zahlen
naturliche, 18
positive, 14
Zerlegung, 128
Zielmenge, 4