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Apothekenwesen des 18. Jahrhunderts am Beispiel des Herzogtums Braunschweig Wahlpflichtarbeit im WS 2008/2009 von Birgit Ferling, Alice Kiefer und Veronika Litterst, betreut von Prof. Dr. Bettina Wahrig 1

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Apothekenwesen des 18. Jahrhunderts am Beispiel des

Herzogtums BraunschweigWahlpflichtarbeit im WS 2008/2009 von Birgit Ferling, Alice Kiefer und Veronika Litterst, betreut von Prof. Dr. Bettina Wahrig

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis..............................................................................................................................1

1. Aufgaben der Apotheken im 18. Jahrhundert.................................................................................2

2. Die Medicinal-Ordnung in Braunschweig.......................................................................................5

3. Die Medikalisierung in Braunschweig............................................................................................6

4. Das Collegium Medicum (1747).....................................................................................................7

5. Die Verstaatlichung der Apotheken (1750 – 1771)........................................................................8

6. Fazit.............................................................................................................................................10

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1.Aufgaben der Apotheken im 18. Jahrhundert

Um die Aufgaben der Apotheken und der anderen Berufsgruppen im Bereich der

Arzneimittelversorgung zu verstehen, ist ein Rekurs auf die historische Situation der Apotheken in

der Kultur des 18. Jahrhunderts notwendig.

Im 18. Jahrhundert änderte sich viel im Bereich der Apotheken. Zum einen waren in Braunschweig

die Apotheken zeitweise verstaatlicht und zum anderen änderte sich das Bild der

Arzneimittelversorgung. Beide Bereiche werden in weiteren Teilen dieser Arbeit behandelt.

Eine Apotheke in dieser Zeit hatte nicht nur die Aufgabe die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu

versorgen, sondern war „Anlaufpunkt in sämtlichen medizinischen Fragen“ [ 1, 42]. Dadurch gab

es allerdings viele Konfliktmöglichkeiten mit Ärzten, denn diese sahen es nicht gerne, wenn

Apotheker die Patienten zur Ader ließen oder Diagnosen stellten. Auch die Apotheker sahen es

nicht gerne, wenn Arzneimittel von anderen Berufsgruppen abgegeben wurden. Zu diesen zählten

nicht nur die Ärzte und Chirurgen, sondern auch Materialisten, fahrende Arzneimittelhändler,

Hebammen sowie Gewürz- und Materialienkrämer. Diese Personengruppen und ihre Rolle bei der

Arzneimittelabgabe werden im späteren Teil dieser Arbeit erläutert.

Diese Konkurrenz bei der Abgabe der Arzneimittel war eine Folge der schwierigen wirtschaftlichen

Lage weiter Teile der Bevölkerung. Damit auch auf dem Land eine Apotheke wirtschaftlich

überleben konnte, verkauften sie „andere Waren, wie z. B: Zucker oder Branntwein“ [1,1] .

In Braunschweig gab es als Folge von Missernten und Kriegen im 18. Jahrhundert zwei

unterschiedliche Apothekenarten: zum einen die privilegierten Apotheken und zum anderen die

wilden, kleinen Apotheken.

Zu den privilegierten Apotheken – die mit denen anderer Städte der Frühen Neuzeit verglichen

werden können – gehörten drei Apotheken: die 1479 gegründete Ratsapotheke am Eiermarkt, die

Apotheke am Hagenmarkt,1677 gegründet, und die Apotheke in der Schuhstraße, 1720 gegründet.

„Der Apothekenbetrieb [wurde] (...) durch landesherrliche Privilegien geregelt“ [1, 26] Diese

„verpflichteten (…) die Apotheker auf eine ordentliche Arzneimittelherstellung und die Einhaltung

bestimmter Verkaufspreise“ [1, 26], aber sie „gewährten (…) den Apothekern zum Ausgleich für

diese Bestimmungen einige Sonderrechte wie z.B: Alleinverkaufsrecht für bestimmte Arzneimittel

oder Steuernachlässe“ [1, 26]. Der Inhaber einer privilegierten Apotheke war im Besitz eines

Examens und einer Approbation. Allerdings war die „Ausbildung (…) oft mangelhaft, schloss mit

einem dürftigen Examen vor dem Physikus ab und der junge Mann trat unfertig in die

verantwortliche Stelle eines Gesellen“ [3, 191]. Die Auswahl der „Lehrlinge, meist nicht die Söhne

besserer Familien, wurde ohne jede obrigkeitliche Kontrolle angenommen“ [3, 191]. Auch durften in

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diesen Apotheken „Gesellen, die in „kleinen Apotheken“ gelernt haben (...) nicht angestellt werden“

[4, 5].

Von den wilden, kleinen Apotheken gab es im frühen 18. Jahrhundert immerhin zwölf in

Braunschweig. Diese Apotheken wurden von gelernten Apothekern, die ihre Lehrzeit in großen

Apotheken in Deutschland absolviert hatten und oft gute Zeugnisse besaßen, geführt. Allerdings

hatten sie kein herzogliches Privileg und kein abgelegtes Examen. Sie arbeiteten aber mit

Genehmigung des Stadtmagistrates als Apotheker oder Gewürzhändler. Zum Teil arbeiteten in

ihnen selbst Provisoren und Gehilfen. Diese wilden Apotheken stellten eine große Konkurrenz für

die privilegierten Apotheken dar und so wurde „im Jahr 1733 (vom) Bürgermeister: „jedem Besitzer

einer kleinen Apotheke 10 Thlr Strafe auferlegt, und die Auflösung der Apotheke anbefohlen“ [4,5].

Dieses war jedoch erfolgslos und so gab es im Jahr 1747 noch acht wilde Apotheken.

In den Apotheken wurden „die meisten Arzneimittel (…) selbst hergestellt“ [1, 40]. Die Rohstoffe

zur Arzneimittelherstellung wurden durch die Apotheken selbst gesammelt, aber es war „durchaus

üblich, dass Apotheker einzelne Composita auf Messen oder von fahrenden Arzneimittelhändlern

einkauften“ [1, 40]. Zu der Zeit gab es allerdings viele Streitigkeiten zwischen den einzelnen

Arzneimittelverkäufern. Dies ist unter anderem eine Folge des nicht geklärten Arzneimittelbegriffs.

Am Anfang des Jahrhunderts wurde nur allgemein „von Apotheker-Waren oder Medikamenten“ [1,

37] gesprochen. Allerdings war nicht definiert, was das im einzelnen bedeutete. Nach der

Einführung der Medizinalordnung 1721 unterschied man zwischen Composita und Simplicia.

Composita durften nicht mehr in den kleinen, wilden Apotheken verkauft werden. Simplicia galten

allerdings auch als Material und durften weiterhin von ihnen verkauft werden sowie auch von

Materialisten. Dies macht deutlich, dass es damals einen undurchsichtigen Markt gegeben hat und

keiner wirklich wusste, was er verkaufen durfte und was nicht. Und zum anderen konnten viele

Apotheken allein durch den Verkauf von Arzneimitteln nicht überleben und daher waren sie darauf

angewiesen, auch Waren zu verkaufen, die einst als Arzneimittel eingeführt worden waren, aber

nun als Nahrungs- und Genussmittel genutzt wurden. Zu diesen Waren zählten „Branntwein,

Zuckerwaren, Gewürze, Kaffee, Tee und Tabak“ [1, 38].

Die größten Konkurrenten bei der Arzneimittelabgabe waren die Materialisten. Sie „(...) sollten sich

ursprünglich nur als Groß- oder Zwischenhändler betätigen, also nicht kleine Mengen an einzelne

Kunden abgeben.“ [1, 37]. Ab der Einführung der Medizinalordnung war es den Materialisten

verboten Arzneimittel zu verkaufen. Allerdings war bis ins Jahr 1747 nicht definiert, was ein

Materialist war. Erst dann wurde vom Collegium medicum eine Definition aufgestellt. „Als

Materialisten bezeichnete das Collegium die Großhändler, die aus Holland, Hamburg, Bremen und

Lübeck nach Braunschweig zur Messe kamen und dort ihre Materialien an die Apotheken

verkauften.“ [1, 45] Diese durften weiterhin ihren Geschäften nachgehen, nicht hingegen die

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Gewürz- und Materialienkrämer, d.h. in Braunschweig dauerhaft ansässige Händler. Allerdings

hielten sich viele von ihnen nicht an diese Regeln, sondern es wurde der „Arzneimittelverkauf (…)

so weit ausgeweitet, dass sie zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Apotheker wurden.“ [1, 37].

Als weitere Konkurrenten für die Apotheken waren die Ärzte anzusehen. Allerdings sahen diese

ebenfalls die Apotheker als Konkurrenten, so dass beide Berufsgruppen auf eine deutliche

Trennung der beiden Bereiche drängten, damit klar war, was wer im Einzelnen tun durfte.

Andererseits wollte aber keine der beiden Gruppen auf die lukrativen Seiten des anderen Berufs

verzichten und daraus ergaben sich weitere Konflikte. Für die Bevölkerung war es leichter, nur den

Lohn für die Einlösung eines Rezeptes bezahlen, der „(...) durchschnittliche Preis für ein Rezept

[lag] bei 18 Mariengroschen (Mgr). Dies entsprach 18 Grobbroten zu etwa 400g, 90 Eiern oder

zwei Tagesverdiensten eines Tagelöhners im Sommer“[1, 39-40], als vorher noch einen Arzt

aufsuchen und ihm ebenfalls noch etwas (12-15 Mgr) [1, 40] zu bezahlen, denn in der Apotheke

war es nicht unbedingt nötig ein Rezept vorzulegen, um die Arzneimittel zu bekommen.

Bei den Ärzten muss man zwischen den Ärzten und den Wundärzten unterscheiden. Die Ärzte

hatten eine universitäre Ausbildung absolviert und behandelten hauptsächlich innere Krankheiten.

Die Wundärzte besaßen eine handwerkliche Ausbildung, waren in Zünften organisiert und

behandelten die äußeren Erkrankungen, zu denen auch die Knochenbrüche zählten. Zu den

Wundärzten gehörten die Bader, die Barbiere und die Chirurgen. Auch zwischen diesen beiden

Berufsgruppen sollte ein strikte Trennung der Aufgabengebiete vorliegen, aber dies war nicht

möglich, da es auf dem Land wesentlich mehr Wundärzte gab als Ärzte und auch die Bezahlung

der Wundärzte erschwinglicher für die Bevölkerung war. Ein Besuch eines Wundarztes kostete im

Durchschnitt etwa 3 bis 6 Mgr und der eines Arztes zwischen 12 bis 24 Mgr.

Als letzte Gruppe der Konkurrenten bei der Arzneimittelabgabe sind die Hebammen zu nennen.

Sie setzten die Arzneimittel bei Krämpfen, zum Auslösen von Wehen und weiteren Frauenleiden

ein. Ihnen wurde der Arzneimitteleinsatz auch deshalb verboten, weil man das bestehende

Abtreibungsverbot durchsetzen wollte. Zusätzlich reklamierten die Ärzte komplizierte Geburten für

sich.

Arzneimittel wurden noch von weiteren Berufsgruppen eingesetzt. Dazu zählen die Operateure, die

„billich geduldet und geschützet“ [1, 69] wurden, die Oculisten, Stein- und Bruchschneider,

Marktschreier, Schäfer, Kuhhirten, Schulmeister, und Schafrichter. Auch zählten die fahrenden

Arzneimittelhändler dazu. „ Da (…) [sie] ihren Verdienst mit außer Landes nahmen, waren sie

Apothekern, Ärzten und der Obrigkeit gleichermaßen ein Dorn im Auge“ [1, 73].

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2. Die Medicinal-Ordnung in Braunschweig

Die „Hoch-Fürstliche Braunschweig-Wolffenbüttelsche Medicinal-Ordnung nebst beygefügter

Apotheker-Taxa, auf hoch-fürstliche gnädigste Verordnung und Befehl publiciret" wurde am 21.

Februar 1721 von Herzog August Wilhelm erlassen. Dieses Vorgehen war für die erste Hälfte des

18. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches, da auch viele andere deutsche Länder wie Frankfurt,

Straßburg und Württemberg in diesem Zeitraum solche Verordnungen erließen. [3,185]

Im ersten Teil der Medicinal-Ordnung für Braunschweig und Wolfenbüttel werden die Rechte und

Pflichten aller medizinischen Berufe aufgeführt und die Aufgabengebiete dieser Berufe genau

gegeneinander abgegrenzt. Der zweite Teil enthält eine Taxe, in der alle Arzneimittel- und

Arbeitspreise aufgelistet sind („Taxa Medicamentorum & Laborum" [6, 12]).

Das Werk umfasst acht Kapitel und eine Taxe, wobei sich das erste Kapitel den „Medici" (Ärzten)

und ihren Aufgaben widmet, das zweite dem Verhalten des Patienten gegenüber den Medici. Die

Kapitel drei und vier regeln die Aufgaben der Apotheker und der verwandten Berufe. Die übrigen

Kapitel handeln von weiteren medizinischen Berufen und sind wesentlich kürzer gefasst als die

vorangehenden. Dies macht auch deutlich, wie sehr die heilberufliche Verantwortung in die Hände

von Medizinern und privilegierten Apothekern gelegt wurde. Den Hebammen, Wundärzten und

Barbieren hingegen werden sehr viele Rechte abgesprochen.

Wie bereits oben erwähnt, werden im dritten Kapitel die Pflichten der „ordinairen und privilegirten

Apothecker" aufgeführt [6, 9]. Die Paragraphen befassen sich damit, dass die Apotheker ein

Examen ablegen und zugelassen werden müssen [6, 9], dass nur sie berechtigt sind die Rezepte

der Medici herzustellen und dies den kleinen Apothekern von nun an untersagt ist [6, 9], sowie

dass alle Simplicia selbst zu sammeln und Composita selbst herzustellen sind [6, 9].

In einigen Teilen wird deutlich, dass die Ärzte von nun an eine starke Kontrollfunktion über die

Apotheker einnehmen sollten. So lautet §17: „Und damit man der tüchtigen Bestellung und

Providirung gedachter Apothecken zur Gnüge versichert seyn möge / so soll von denen Leib= und

Stadt= Physicis auch Deputatis Magistratus jährlich nach Michaelis eine general Visitation

angestellet werden / damit / was mangelhaft / erinnert / corrigiret oder weggeschaffet [...]" [6, 13].

Außerdem steht es dem Apotheker nicht zu, Rezepte ohne Rücksprache zu ändern oder das

Rezept eines der Stadt nicht bekannten Medicus anzufertigen [6, 12]. Das scheinbar nicht allzu

große Vertrauen gegenüber den Apothekern spiegelt auch §7 wider, nach dem Rezepte, die mit

kostbaren Bestandteilen gefertigt werden sollten, nur unter Aufsicht des Medicus hergestellt

werden durften. Dieses Gesetz war allerdings nicht neu in der Medicinal-Ordnung, sondern wurde

vorher nur nicht eingehalten [1, 19].

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In Kapitel vier wird festgelegt, dass außer der „Hof=Apothecke in den Hagen", der

„Raths=Apothecke in der Alten=Stadt" und der neuen Apotheke auf der Schuhstraße keine

anderen Apotheken mehr geduldet werden sollen [6, 14]. Außerdem „sollen von nun an solche

aufgeworffene Apothecker keine Medicamenta Composita mehr verkauffen / vielweniger Recepte

verfertigen / am allerwenigsten aber innerliche Curen zu führen sich unterstehen." [6, 14].

Nun stellt sich die Frage, in wie weit dieser Gesetzestext Einzug in die Praxis erhielt. Dazu ist

zunächst anzumerken, dass die Auffassung eines Gesetzes im 18. Jahrhundert eine grundlegend

andere war als heute. So wurde in dieser Zeit ein Gesetz eher als Richtlinie gesehen, aber nicht

unbedingt als Verbot oder Befehl [1, 22].

Hinzu kommt, dass weder die Medicinal-Ordnung noch die beigefügte Taxe in den meisten

braunschweigischen und wolfenbüttelschen Apotheken vorhanden waren [1, 22]. So kann man

nicht davon ausgehen, dass sich der Großteil der Apotheker an diese Richtlinien gehalten hat und

dass alle Apotheker Kenntnis davon hatten, was in der Medicinal-Ordnung festgelegt war.

3.Die Medikalisierung in Braunschweig

Der Begriff der Medikalisierung ist in seiner Bedeutung und seinem Umfang umstritten. Als

allgemeine Definition kann aber angesehen werden, dass die Medikalisierung ein

Entwicklungsprozess ist, bei dem nach und nach immer mehr Bevölkerungskreise in die

medizinische Versorgung des Staates mit einbezogen werden und die Ärzte das Monopol für die

medizinischen Dienstleistungen erhalten [1, 5].

In den verschiedenen europäischen Staaten herrschen jeweils eigene Ansichten zu diesem

Prozess vor. So sieht man in Frankreich darin einen Vorgang, der in der zweiten Hälfte des 18.

Jahrhunderts voranschritt und bei dem die Ärzte mit staatlicher Unterstützung eine

Monopolstellung erlangten, die sie der Bevölkerung aufdrängten. Dabei soll ein „kultureller Konflikt

zwischen ärztlicher 'Elite' und laienmedizinischer 'Volksmedizin'" entstanden sein [7, 124].

Die deutsche Historikerin Ute Frevert hingegen sieht darin einen Prozess, in dem der

absolutistische Staat seine Untertanen und Kranken gegen ihren Willen mit einem

Gesundheitssystem versorgt haben soll. Dazu schreibt sie: „Der Umgang mit dem eigenen Körper

wurde gesellschaftlich normiert und kontrolliert und die Einhaltung der Normen konnte als

Gradmesser sozialer Integration und 'Zivilisation' gelten." [7, 124/125]. Diese Aussage sollte jedoch

kritisch betrachtet werden, da Forschungen zu verschiedenen Einrichtungen, die im Zuge der

Medikalisierung gegründet wurden, ein anderes Bild liefern.

Als Beispiel soll hier das Accouchierhospital in Braunschweig dienen.

1767 wurde diese Entbindungsstation, die im Armenkrankenhaus untergebracht war, in Betrieb

genommen. Solche Einrichtungen wurden zu dieser Zeit in vielen deutschen Städten geschaffen,

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da sie vielen Frauen eine Alternative zu Abtreibung oder Kindstötung boten. Die Regeln zu dieser

Entbindungseinrichtung besagten nämlich, dass den Gebärenden die Strafe für die uneheliche

Schwangerschaft erlassen wurde und sowohl Taufen als auch Begräbnisse bezahlt wurden.

Außerdem wurde freie Kost und Unterkunft angeboten und zu Beginn des Projektes wurden die

Schwangeren sogar für ihre Entbindungen bezahlt [2, 134]. Diese Regelungen führten folglich

dazu, dass sehr viele Frauen, die außer der Ehe schwanger wurden, in diesem Hospital

entbanden.

Anfangs blieben die Frauen oft über viele Wochen vor und nach der Geburt im Hospital, was die

soziale Notwendigkeit der Einrichtung widerspiegelt [2, 135] und außerdem verdeutlicht, dass die

Frauen dieses Angebot schätzten und es hilfreich war. Später allerdings, nach dem über

Jahrzehnte nichts mehr in die Einrichtung investiert worden war und sich dadurch die hygienischen

Bedingungen drastisch verschlechtert hatten, kamen die Frauen nur noch direkt zur Entbindung

und hielten sich nicht länger als nötig in dem Haus auf [2, 140 vgl. auch [8]].

An diesem Beispiel lässt sich verdeutlichen, dass die Medikalisierung nicht prinzipiell als Zwang

des Staates auf die Bevölkerung verstanden werden kann. Die Schwangeren kamen freiwillig

zahlreich zu dieser sozialen Einrichtung, was verdeutlicht, dass zum einen ein hoher Bedarf an

diesen Entbindungseinrichtungen bestand und zum anderen die schon vorher dagewesenen

gesellschaftlichen Vorschriften und Denkweisen die Notleidenden von dieser abhängig machten.

So kann man die Medikalisierung als einen Prozess betrachten, bei dem ab Mitte des 18.

Jahrhunderts der Staat den Armen und sozial Benachteiligten einerseits Hilfestellungen anbot.

Selbstverständlich nutzen andererseits viele Herrscher den Bau von Armenkrankenhäusern oder

Waisenhäusern für die Festigung ihrer politischen Macht und kümmerten sich später nicht mehr

ausreichend um diese Einrichtungen. Aber für viele Menschen aus der unteren

Bevölkerungsschicht boten sich dadurch dennoch Vorteile.

4. Das Collegium Medicum (1747)

Mit dem Ziele der Überwachung des Apotheken- und Medizinalwesens wurde im Jahre 1747 eine

staatliche Behörde gegründet, die den Namen Collegium medicum trug. Im Jahre 1772 wurde das

Collegium medicum in Obersanitätskollegium umbenannt [5, 15].

Die im Jahre 1727 erlassene Medizinalordnung „spiegelte (…) bereits deutlich die Interessen der

Ärzte und Apotheker wider“ [1, 23], wohingegen das Collegium medicum für eine stärkere

Kontrolle des Staates stehen sollte. Dieses zeigte sich dahingehend, dass das Collegium medicum

„direkt dem Herzog unterstellt“ [1, 23] war und „unter Umgehung der Gerichte Verfügungen selbst

erlassen“ [1, 23] durfte.

Nach Gerbert setzte sich das Collegium medicum „aus einem Präsidenten, vier Ärzten, einem

Pharmazeuten und einem Tierarzt“ [5, 16] zusammen. Diese Zusammensetzung legt nahe, dass

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auch in diesem Gremium durch die überwiegende Anzahl der Mediziner „zwangsläufig die

Interessen der Ärzte im Vordergrund standen“ [1, 24].

Die Aufgaben des Überwachungsorgans waren sehr vielfältig, u. a. beinhalteten sie die Kontrolle

über das gesamte Apothekenwesen, dies „beinhaltete Visitationen, Änderungen von Privilegien

und die Aufgabe, ein Dispensatorium zu entwerfen“ [1, 23/24]. Zum Erscheinen eines Arzneibuchs

kam es jedoch erst im Jahre 1777. Weitere Aufgaben ergaben sich aus den damals

unterschiedlichen Vertriebswegen für Arzneien auch außerhalb der Apotheken, so z. B.

Begutachtung der Arzneimittel auf Marktständen und der Arzneimittelwerbungen in Zeitungen.

Ärzte und Wundärzte mussten sich für die Erlaubnis zur Ausübung ihres Berufes einer Prüfung

durch das Collegium medicum unterziehen. Es führte „die oberste Aufsicht über die Erhaltung

eines guten Gesundheitszustandes der Bevölkerung und (…) öffentlichen Anstalten“ [3, 15].

5. Die Verstaatlichung der Apotheken (1750 – 1771)

Herzog Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel, der ab dem Jahre 1735 das Herzogtum

Braunschweig regierte, wird von Berendes als reformsüchtig und stets geldbedürftig [3, 193]

beschrieben.

Das Herzogtum war „durch die glänzende Lebensweise einiger Vorgänger und die starke

Militärmacht des Landes stark verschuldet“ [4, 3]. Auch die Lebensführung Herzog Carls I.

trug durch „glänzende Hofhaltung“ [4, 3] nicht zur Aufbesserung der Finanzen bei. Ferner belastete

die Errichtung des Collegium Carolinum zu Braunschweig, der jetzigen technischen Hochschule,

und anderer Einrichtungen wie der Landes-Bibliothek zu Wolfenbüttel und des Museums zu

Braunschweig den Haushalt zusätzlich.

In den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts hatte die Stadt Braunschweig „8 privilegierte wirkliche

und 12 kleine (wilde) Apotheken“ [3, 193], die sich gegenseitig Konkurrenz machten. In der

Medizinalordnung von 1721 [8 ,14] waren die kleinen Apotheken zwar verboten worden, blieben

aber „trotz des Verbotes (…) weiterhin bestehen“ [1, 27]. 1744, als eine der privilegierten

Apotheken Konkurs anmelden musste, wurden konkrete Pläne zur Verstaatlichung der Apotheken

gemacht.

„Indem wir unsere landesväterliche Sorgfalt auch dahin richten, wie die bisherigen Mängel bei den

Apotheken in unseren Landen abzustellen, und die Verfassung dergestalt zu machen, dass

diejenigen, welche Arzneien bedürfen, selbige tauglich und um billigen Preis, Arme auch wohl ohne

Entgeld bekommen mögen …“ [zt. in 4, 6] heißt es in einem Schreiben Carls I. an den

Stadtphysikus. Ziel der Verstaatlichung sollte es also sein, eine Strukturierung des Braunschweiger

Apothekenwesens zu schaffen, mit der die Bevölkerung besser und kostengünstiger mit

Arzneimitteln gleich bleibender Qualität versorgt wurde. Zusätzlich wurde ein Gewinn für den

herzoglichen Haushalt erwartet. Der Vorsitzende des Collegium medicum wurde mit dem Plan

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beauftragt, den Prozess der Verstaatlichung einzuleiten. Auslaufende Privilegien wurden zu

diesem Zweck nicht verlängert. Allerdings „wurden die Apotheker keineswegs enteignet, sondern

ihnen die Apotheke zu einem angemessenen Preis abgekauft“ [1, 28]. Die aufgekauften Apotheken

wurden dann an Apotheker verpachtet, die diese unter Aufsicht des Collegium medicum führen

durften.

Den Apothekern der kleinen Apotheken wurde die Möglichkeit gegeben, ein Examen vor dem

Collegium medicum abzulegen. Bei Bestehen erhielten sie ein Privileg für die Dauer von drei

Jahren mit der Option, die Apotheke nicht schließen zu müssen, sondern diese nach Ablauf der

drei Jahre an einen weniger mit Arzneimitteln versorgten Ort zu verlegen. Apotheker, „die auf das

Examen verzichteten oder dasselbe nicht bestanden, mussten sich auf den Gewürzhandel

beschränken. (…) Im Jahre 1753 war die Reform durchgeführt, elf Apotheken waren

Staatseigentum geworden, die wilden Apotheken beseitigt.“ [3, 194].

Um die Arzneimittelqualität und die Abgabepreise gleich bleibend zu halten kam es zur Errichtung

einer „zentralen Stätte zur Arzneimittelproduktion und einer Großhandlung für Materialien, die als

Chemisches Laboratorium und Material-Handlung bezeichnet wurden“ [1, 29]. Schnell wurden

kritische Stimmen laut, Ärzte und Teile der Bevölkerung beschwerten sich, „über schlechte und

teure Medikamente, sowie über das arrogante Benehmen der Angestellten“ [3, 194]. Dies lässt

sich auf die fehlende Motivation der angestellten Apotheker zurückführen, die nicht mehr auf

eigene Rechnung wirtschaften mussten. Die Materialhandlung, die durch zentralen Einkauf

größerer Mengen preisliche Vorteile liefern sollte, erfüllte die in sie gesetzten Erwartungen nicht.

Die Preise lagen „teilweise 30-50% über den Messepreisen“ [1, 30].

Auch die Gewinne der Staatsapotheken blieben hinter den Erwartungen zurück. „Die kleineren

Staatsapotheken arbeiteten alle mit Verlust, der Gewinn der großen fiel geringer als erwartet“ [1,

30] aus.

„Kurzum, das Ende vom Liede war, dass die Staatsapotheken wieder an Private verkauft wurden.“

[3, 194]. Die Apotheker erhielten die Möglichkeit gegen Barzahlung unter Erhalt eines Exklusiv-

Privilegs eine Apotheke zu erwerben.

Die Reprivatisierung der Apotheken ist jedoch nicht ausschließlich auf finanzielle Gründe

reduzierbar, sondern auch auf den „heftigsten Widerstand aller Beteiligten, vor allem der

Apotheker“ [1, 32] zurückzuführen.

Die Kontrolle des Collegium medicum durch Visitation alle zwei bis drei Jahre blieb allerdings

bestehen.

„So sehr die Apotheker während der Verstaatlichung auch klagten, brachte sie ihnen dennoch

einige Vorteile. Die nicht genehmigten Konkurrenzapotheken waren geschlossen worden…“ [1,

32].

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6. Fazit

Die Einführung der Medizinalordnung und Arzneitaxe legten den Grundstein für

Vereinheitlichungen im Apothekenwesen. Erwartungen seitens der Regierung und des Collegium

medicum, die in eine Verstaatlichung der Apotheken gesetzt wurden, erfüllten sich jedoch nicht.

Auch in der heutigen Zeit sind Verstaatlichungen von Unternehmen, insbesondere von Apotheken,

nicht unkritisch zu betrachten. Gerade bei Veränderungen im Gesundheitswesen, wo Arzneimittel

eine besondere Ware mit speziellen Anforderungen darstellen, sollte überlegt werden, ob es

sinnvoll ist, sich von der inhabergeführten Apotheke abzuwenden.

Arzneimittelherstellung war in den Apotheken im 18. Jahrhundert ein zentraler Bestandteil und

wurde Ende des Jahrhunderts deutlich durch die Erfindung des Pillenbrettes erleichtert.

Exemplarisch haben wir im Rahmen dieser Wahlpflichtarbeit die Möglichkeit zur Herstellung von

Pillen genutzt und mittels Pillenbrett und Rollierer erprobt.

Literaturverzeichnis:

[1] Beisswanger, Gabriele (1996): Arzneimittelversorgung im 18. Jahrhundert: die Stadt

Braunschweig und die ländlichen Distrikte im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel,

Braunschweig: Dt. Apotheker-Verl.

[2] Beisswanger, Gabriele (2004): Das Accouchierhospital in Braunschweig 1767 – 1800: Tempel

der Lucina oder Pflanzschule für Ungeziefer?, In: Schlumbohm, Jürgen; Wiesemann, Claudia, Die

Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 1751 – 1850: Göttingen, Kassel, Braunschweig

(S.127 - 143), Göttingen: Wallstein.

[3] Berendes, Julius (1967): Das Apothekenwesen, Seine Entstehung und geschichtliche

Entwicklung bis zum XX. Jahrhundert, Hildesheim: Georg Olms Verlagsbuchhandlung,

Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1907.

[4] Eilers, A. (1898): Die Staatsapotheken in Braunschweig 1750 – 71, Berlin: Denter & Nicolas –

Sonderabdruck aus: Apotheker – Zeitung 1898, S.1 – 54.

[5] Gerbert, Anneliese (1983): Öffentliche Gesundheitspflege und staatliches Medizinalwesen in

den Städten Braunschweig und Wolfenbüttel im 19. Jahrhundert. Braunschweig: Selbstverl. des

Braunschweigischen Geschichtsvereins (Braunschweigisches Jahrbuch / im Auftr. des

Braunschweigischen Geschichtsvereins. Beihefte, 3).

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[6] Hoch-Fürstliche Braunschweig-Wolffenbüttelsche Medicinal-Ordnung, nebst beygefügter

Apothecker-Taxa; Auf Hoch-Fürstliche Gnädigste Verordnung und Befehl publiciret (1721),

Braunschweig: Bey Friedr. Wilhelm Meyer, Herzogl. Privileg. Buchdr.

[7] Loetz, Francisca (1994): "Medikalisierung" in Frankreich, Großbritannien und Deutschland,

1750 - 1850: Ansätze, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, In: Eckart, Wolfgang U.; Jütte,

Robert, Das europäische Gesundheitssystem: Gemeinsamkeiten und Unterschiede in historischer

Perspektive (S.123 - 161), Stuttgart: Steiner, S.124 – 125.

[8] Schlienz, Gabriele (2006): Zwischen Prestigeobjekt, Lehranstalt und Wohlfahrtseinrichtung. Das

Accouchierhaus in Braunschweig 1759 - 1776. Magisterarbeit Fachbereich Geistes -und

Erziehungswiss. TU Braunschweig [unveröff. Typoskript].

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