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Was die Welt zusammenhält Die EJOT GmbH & Co. KG produziert Spezialschrauben mit integrierter Anwendungstechnik In fast jedem europäischen Auto finden sich die Hightech-Schrauben der EJOT GmbH. Im Leichtbau setzen sie geradezu Maßstäbe in der Karosserie- Verschraubung und auch die neue Schutzhülle für den Katastrophen-Reaktor in Tschernobyl wird mit Spezialschrauben aus Bad Berleburg zusammengehalten. Bad Berleburg. Auf den ersten Blick sieht die Schraube aus wie eine ganz normale Schraube. Erst bei genauerem Hinsehen zeigt sich auch dem Laien eine Besonderheit: Die Spitze ist glatt und rund, das eigentliche Gewinde fängt erst mehrere Millimeter später an. Flow-Drill- Schraube, abgekürzt FDS, nennt sich das Teil, das von der Firma EJOT entwickelt wurde. Dahinter verbirgt sich eine Technologie, die das Zeug dazu hat, die Karosserie-Verschraubung im Fahrzeugbau zu revolutionieren.

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Page 1: Arbeitgeberverband Gesamtmetall · Web viewSo wird beispielsweise die Aluminium-Karosserie des Audi A8 von rund 800 FDS-Schrauben sicher und zuverlässig zusammengehalten. Schrauben

Was die Welt zusammenhält

Die EJOT GmbH & Co. KG produziert Spezialschrauben mit integrierter Anwendungstechnik

In fast jedem europäischen Auto finden sich die Hightech-

Schrauben der EJOT GmbH. Im Leichtbau setzen sie geradezu

Maßstäbe in der Karosserie-Verschraubung und auch die neue

Schutzhülle für den Katastrophen-Reaktor in Tschernobyl wird

mit Spezialschrauben aus Bad Berleburg zusammengehalten.

Bad Berleburg. Auf den ersten Blick sieht die Schraube aus wie

eine ganz normale Schraube. Erst bei genauerem Hinsehen

zeigt sich auch dem Laien eine Besonderheit: Die Spitze ist

glatt und rund, das eigentliche Gewinde fängt erst mehrere

Millimeter später an. Flow-Drill-Schraube, abgekürzt FDS, nennt

sich das Teil, das von der Firma EJOT entwickelt wurde.

Dahinter verbirgt sich eine Technologie, die das Zeug dazu hat,

die Karosserie-Verschraubung im Fahrzeugbau zu

revolutionieren.

Werden beispielsweise mit der FDS-Verschraubung zwei

Aluminiumteile verbunden, muss an den entsprechenden

Stellen nicht mehr wie bisher vorgebohrt werden. Zudem

verhindert die Technologie weitestgehend, dass sich beim

Eindrehen der Schraube zwischen den Aluminiumteilen ein

Spalt bildet. Damit das funktioniert, kommen spezielle Roboter

zum Einsatz, die, vereinfacht gesagt, die Schrauben mit

großem Druck und hoher Umdrehungsgeschwindigkeit

eindrehen. Die Aluteile werden dadurch an der jeweiligen Stelle

rotglühend und weich, so dass der Schraubenkopf sie

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durchdringen kann. Erst danach formt sich die FDS-Schraube

ihr eigenes Muttergewinde, ohne dass Metallspäne anfallen.

Zum Einsatz kommt diese Technologie bisher vor allem im

Fahrzeugleichtbau. So wird beispielsweise die Aluminium-

Karosserie des Audi A8 von rund 800 FDS-Schrauben sicher

und zuverlässig zusammengehalten.

Schrauben mit spezieller AnwendungstechnikMit solchen und anderen Spezialschrauben hat sich die EJOT

GmbH & Co. KG aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein im

südöstlichen Nordrhein-Westfalen längst zu einem weltweiten

Technologie- und Marktführer in diesem Segment entwickelt.

Mit einfachen Baumarktschrauben haben die Produkte nichts

zu tun. „Wir verkaufen Schrauben mit einer

Anwendungstechnik“, sagt Geschäftsführer Winfried Schwarz.

„Unsere Außendienstmitarbeiter sind Ingenieure, die in den

Entwicklungsabteilungen unserer Kunden zu Hause sind.“ Vor

allem im Automotive-Bereich ginge es fast nur noch um

Spezialanfertigungen, so genannte „Zeichnungsteile“. EJOT-

Schrauben kämen bei fast allen europäischen

Automobilherstellern zum Einsatz. Sie würden in Sitzen,

Wandverkleidungen, der Karosserie und im Motorraum verbaut.

Über sechs Milliarden Schrauben in rund 10.000 Varianten

produziert das Unternehmen heute pro Jahr.

Begonnen hatte es 1922 eher beschaulich: Adolf Böhl gründete

damals eine Nagelproduktion als zweites Standbein neben der

Landwirtschaft. Der Betrieb entwickelte sich in den ersten

Jahren behutsam. Doch Böhl holte sich Fachwissen aus dem

nahegelegenen Lennetal, der Wiege der deutschen

Schraubenindustrie. Statt Nägel wurden später sogenannte

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Nagelschrauben mit einem Rillengewinde produziert, die in der

Kisten- und Paletten-Fertigung verwendet wurden.

Die PT-Schraube war eine revolutionäre Erfindung1960 übernahm Böhls Neffe Hans Werner Kocherscheidt,

Rechtsanwalt und Notar mit eigener Praxis in Bad Berleburg,

das Unternehmen, damals mit 60 Mitarbeitern. Schritt für Schritt

verstand es Kocherscheidt, dem Unternehmen mit

vorausschauenden Investitionen Geltung auf dem Markt zu

verschaffen. Als Geschäftsführender Gesellschafter leitet sein

Sohn Christian F. Kocherscheidt seit einigen Jahren die EJOT-

Gruppe. Er hat insbesondere die weitere Internationalisierung

ausgebaut und vorangetrieben. Heute ist EJOT mit

Produktionsstätten und Vertriebsbüros in über 30 Ländern auf

dem Weltmarkt vertreten.

Einen wichtigen technologischen Entwicklungsschritt in der

Firmengeschichte markiert das Jahr 1977. Der Ingenieur

Hermann Großberndt, heute noch als „Schraubenpapst“

bekannt, erfand die PT-Schraube (Plastic Thread). Es war die

erste Schraube, die sich, ähnlich wie bei Holzschrauben, direkt

selbstfurchend in Kunststoff eindrehen ließ. „Bis dahin“, so

Schwarz, „wusste niemand, wie der richtige Steigungswinkel

einer solchen Schraube sein musste.“ Um das herauszufinden,

seien Tausende von Tests nötig gewesen. „Das war damals

allerdings dann auch eine geradezu revolutionäre Erfindung

und bedeutete den Durchbruch für das Unternehmen.“

Schrauben für das iPad entwickeltÜberhaupt sind Forschen, Entwickeln und Testen bei EJOT

mehr als nur Tagesgeschäft. Das zeigt schon allein die

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Besetzung der F+E-Abteilung. Der Chef ist ein habilitierter

Physiker und neben zahlreichen Spezialisten aus dem

Metallbereich gibt es auch einen Chemiker, der sich vor allem

um die Beschichtungen kümmert. Kein Wunder also, dass bis

heute Hunderte von Patenten eingereicht wurden. EJOT setzt

die Patente jedoch nicht alle selber um. Ein für die Firma

wirtschaftlich nicht uninteressanter Teil wird an Lizenznehmer

vergeben. So stammt beispielsweise das Patent für die

Schrauben im iPad aus Bad Berleburg, hergestellt werden die

winzigen Spezialschrauben allerdings von einem

Lizenznehmer.

Das Wittgensteiner Unternehmen ist jedoch mehr als nur ein

Schraubenhersteller. „Wir sind ein Spezialist für Verbindungs-

und Umformtechnik“, sagt Geschäftsführer Schwarz. So hat

sich EJOT auch auf die Verbindungstechnik für Wärme-Dämm-

Verbundsysteme im Baubereich spezialisiert und ist in diesem

Segment mittlerweile europäischer Marktführer. Als ein weiteres

Standbein entwickelten die Verantwortlichen bereits in den

1970er Jahren die Verarbeitung von Kunststoff in Verbindung

mit Metallstanzteilen für den Motorenbereich und Scheinwerfer-

Verstellsysteme. Rund 40 Prozent der Gesamtproduktion

fließen heute in den Automotiv-Bereich, 45 Prozent in die

Baubranche. Der Rest findet sich unter anderem in

Haushaltsgeräten.

Spezialschrauben für Tschernobyl Das Ausgangsmaterial aller Metallteile ist übrigens Draht bis zu

einem Durchmesser von 18 Millimetern. Die gängigsten

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Durchmesser liegen jedoch zwischen vier und acht Millimetern.

„Wir machen aus dem Draht alles, was sich nicht wehrt, kalt

umgeformt zu werden“, meint Geschäftsführer Schwarz

scherzhaft. In Spezialmaschinen wird der Draht in

atemberaubender Geschwindigkeit in bis zu sieben

Arbeitsschritten abgelenkt und mehrfach gestaucht. „Diese

Umformprozesse sind hoch komplex“, sagt Schwarz, „und wir

müssen immer berechnen, wie der Stahl reagiert, was noch

geht und wo die Grenzen sind.“

Extrem kompliziert wird es dann, wenn eine Schraube aus zwei

unterschiedlichen Stahlsorten besteht. Dies war jüngst der Fall

bei einem ganz besonderen Auftrag: EJOT sollte für die neue

Schutzhülle des Katastrophen-Reaktors in Tschernobyl

selbsteinziehende Schrauben entwickeln, die die Metallplatten

der Hülle zuverlässig an das Gerüst befestigen. Dieser

Schraubentyp, Super Saphir Bohrschraube genannt, ist ein

Zwitter aus Bohrer und Schraube und besteht entsprechend

aus zwei Stählen mit unterschiedlichem Verhalten. Insgesamt

fünf Millionen dieser Schrauben sind mittlerweile in Tschernobyl

verbaut. „Diese Materialverbindung zuverlässig

hinzubekommen“, sagt Schwarz, „ist Hightech und hat mit den

bekannten Bohrschrauben nicht das Geringste zu tun.“

Ansprechpartner:EJOT Holding GmbH

Andreas WolfTel: 02751 – 529 [email protected]

Fotos zum Artikel

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Das Ausgangsmaterial ist Draht, der in Spezialmaschinen unter anderem zu Schrauben und Bolzen umgeformt wird.

Eine stete Kontrolle, direkt an der Maschine, ist fester Bestandteil der Produktion.

Geschäftsführer Winfried Schwarz neben der Aluminium-Karosserie eines Audi A8.

Höchste Aufmerksamkeit genießen Spezialanfertigungen, die in besonderen Prüfbereichen kontrolliert werden.

Fotos: Gesamtmetall/Pit Junker

Die Bilder können Sie auf unserer Internet-Seite (www.gesamtmetall.de,

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