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Graben für den Frieden?
Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechtes
Erinnerung als Auftrag
Über uns
Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde 1998
vom Deutschen Bundestag gegründet. Die Stiftung steht
für eine lebendige und pluralistische Auseinandersetzung
mit der SED-Diktatur und ihren Folgen für das vereinigte
Deutschland. Sie fördert die unterschiedlichsten Projekte
zum Thema und versteht sich als Ansprechpartnerin und
Mittlerin zwischen gesellschaftlicher Aufarbeitung,
Wissenschaft, Politik, Medien und Öffentlichkeit. Die
Stiftung verfügt über eine wissenschaftliche Spezialbiblio-
thek sowie ein Archiv, in dem u. a. Zeugnisse von Wider-
stand und Repression gesammelt und zugänglich
gemacht werden.
Aufbau der Stiftung
An der Spitze der Stiftung steht der auf fünf Jahre gewähl-
te Stiftungsrat. Ihm gehören Vertreter des Bundestages,
der Bundesregierung, des Landes Berlin sowie in Fragen
der Aufarbeitung besonders engagierte Personen an.
Ratsvorsitzender ist Markus Meckel, MdB. Der Stiftungsrat
beschließt über alle Fragen von grundsätzlicher Bedeutung,
die zum Aufgabenbereich der Stiftung gehören, und kon-
trolliert die Tätigkeit des Vorstandes. Der ehrenamtliche
Vorstand führt die Geschäfte der Stiftung. Vorstandsvor-
sitzender ist der Bundestagsabgeordnete Rainer Eppel-
mann, sein Stellvertreter ist Prof. Dr. Bernd Faulenbach.
Im Auftrag des Vorstandes arbeitet die Geschäftsstelle der
Stiftung. Dort werden die an die Stiftung gerichteten För-
deranträge bearbeitet, von der Stiftung geförderte Projekte
betreut sowie eigene Veranstaltungen und Publikationen
zum Thema realisiert.
Unser Auftrag
Die Stiftung Aufarbeitung trägt zur umfassenden Aufar-
beitung von Ursachen, Geschichte und Folgen der Diktatur
in der SBZ und in der DDR bei. Sie will die Erinnerung an
das geschehene Unrecht und die Opfer wach halten sowie
den antitotalitären Konsens in der Gesellschaft, die Demo-
kratie und die innere Einheit Deutschlands fördern und
festigen.
Die Stiftung Aufarbeitung
• fördert und berät Projekte der gesellschaftlichen Auf-
arbeitung, privater Archive und von Opferverbänden,
der Wissenschaft und der politischen Bildung;
• trägt zur Sicherung, Sammlung und Dokumentation von
Materialien und Dokumenten insbesondere aus Wider-
stand und Opposition gegen die SED-Diktatur bei;
• unterstützt Beratung und Betreuung von Opfern
politischer Verfolgung;
• fördert die internationale Zusammenarbeit bei der
Aufarbeitung von Diktaturen;
• meldet sich mit eigenen Publikationen und Veranstal-
tungen in der öffentlichen Debatte zu Wort;
Kontakt
Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Otto-Braun-Str. 70–72
10178 Berlin
E-Mail: [email protected]
Internet: www.stiftung-aufarbeitung.de
Telefon: 030 23247200
Fax: 030 23247210
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Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
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Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V.
Gemeinnütziger Verein
Archiv und Ausstellung
Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. ist ein Verein in
der Stadt Leipzig. Er sammelt nach seiner Satzung die hin-
terlassenen Selbstzeugnisse der DDR-Opposition, der Bür-
gerbewegungen und der in den Jahren 1989/90 entstan-
denen Initiativen und Parteien, um diese zu sichern,
dauerhaft aufzubewahren, zu erschließen und der Öffent-
lichkeit zugänglich zu machen.
Bisher wurden bereits mehrere Tausend Aktentitel archi-
viert, mit denen die erste Anmeldung des politischen Pro-
testes, die Ursachen und der Verlauf der demokratischen
Revolution und das Entstehen demokratischer Strukturen
umfassend belegt werden. Zahlreiche wissenschaftliche
Arbeiten und Veröffentlichungen zu dem Themenkom-
plex, ein umfangreiches Presse-, Foto-, Ton- und Video-
archiv sowie eine Bibliothek ergänzen diese Sammlung.
Der Verein leistet einen grundlegenden Beitrag zur Erfor-
schung der Geschichte der Oppositionsbewegung in der
DDR und zur Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur
und sichert damit dieses nationale Kulturgut.
Jedem Interessierten wird kostenlose Einsicht in die Be-
stände gewährt. Außerdem werden Veranstaltungen und
Ausstellungen zur politischen Bildung durchgeführt.
Schulklassen, Seminare und andere Interessenten haben
die Möglichkeit, themenbezogene Veranstaltungen im
Archiv durchzuführen, wozu kompetente Gesprächspart-
ner und Zeitzeugen vermittelt werden.
Diese Wanderausstellung »Graben für den Frieden? – Die
Bausoldaten in der DDR« kann ausgeliehen werden.
Der Verein wird von der Stadt Leipzig, der Stiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Stiftung Sächsi-
sche Gedenkstätten gefördert.
Impressum
Herausgeber:
Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V.
Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Ausstellungskonzept und Texte:
Andreas Pausch
Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V.
Fregehaus, Katharinenstr. 11,
04109 Leipzig
Telefon, Fax: 0341 8611626
E-Mail: [email protected]
Internet: www.archiv.buergerbewegung.de
Öffnungszeiten: Di–Fr 10.00–16.00 Uhr
und nach Vereinbarung
Grafische Gestaltung:
www.oe-grafik.de
In der DDR gab es kein verfassungsmäßiges Recht auf Kriegsdienstverweigerung für
die Wehrpflichtigen, die aus Glaubens- und Gewissensbedenken das Tragen von Waf-
fen bzw. den Wehrdienst ablehnten. Die SED-Führung ließ für diese die »Anordnung
des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die
Aufstellung von Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidi-
gung« im September 1964 in Kraft treten. Diejenigen, die in den Baueinheiten Dienst
verrichteten, wurden als »Bausoldat« bezeichnet. Ihr Einsatz erfolgte gänzlich militä-
risch. Nur ein Bruchteil der Wehrpflichtigen wählte diesen Weg. Schließlich gehörte
ein ganz besonderer Mut dazu, sich in der DDR als Jugendlicher dem regulären Wehr-
dienst zu entziehen und die damit verbundenen Repressionen auf sich zu nehmen.
Bausoldaten trugen Entscheidendes zur Entwicklung der Opposition in der DDR, zur
friedlichen und weitgehend gewaltlosen Revolution bei. Die Wanderausstellung
»Graben für den Frieden? – Die Bausoldaten in der DDR« arbeitet die Geschichte einer
vom Staat marginalisierten und von der Gesellschaft kaum wahrgenommenen »Grup-
pierung« historisch auf. Für die Dokumente, Leihgaben sowie sonstige Unterstützung
dankt das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V.:
Außenstelle Leipzig der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits-
dienstes der ehemaligen DDR, Heinz Bächer, Martin Böttger, Bürgerkomitee Leipzig
e. V. für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS), Gedenkstätte Museum
in der »Runden Ecke« mit dem Museum im Stasi-Bunker, Bundesarchiv Koblenz, Bun-
desarchiv-Militärarchiv Freiburg, Hans Hermann Dirksen, Christian Eimert, Bernd Eisen-
feld, Harald Engel, Rainer Eppelmann, Stephan Eschler, Christian Günther, Haus Stein-
straße e. V. Leipzig, Frank Hruschka, Volker Kaffka, Landeskirchenarchiv Dresden,
Martin-Luther-King-Zentrum Werdau, Matthias-Domaschk-Archiv-Berlin, Friedrich
Miehe, Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Dresden, Dirk Moldt, Christoph
Motzer, Peter Oesterreich, Ulrike Poppe, Stephan Psurek, Berndt Püschel, Werner Ross,
Dirk Sauermann, Dietmar Schicketanz, Peter Schicketanz, Frank Sellentin, Stadtarchiv
Leipzig, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundes-
archiv Berlin, Bernhard Schneyer, Frank Sonntag, Günther Vorsatz, Hans-Michael
Wenzel (Abraham Dürninger Stiftung), Helmut Wolff, Stefan Wolter und Ulrich Zeiler.
Zur Entstehung der Ausstellung[
»Die erste Aufgabe für
die Jugend ist, wenn das
Vaterland ruft, sich zum
Schutz der Deutschen
Demokratischen Republik
zur Verfügung zu stellen.
Das gilt nicht nur für eine
Vorhut der Jugendlichen,
das gilt für alle Jugendlichen.
Wir haben einige Maß-
nahmen gegen feindliche
Elemente durchgeführt.«Walter Ulbricht vor dem Politbüro, 22.08.61.
Graben für den Frieden?
Nach der Befreiung vom Nationalsozialis-
mus war die Politik der Alliierten Besatzungs-
mächte die Entmilitarisierung Deutsch-
lands. Die beiden deutschen Staaten
wurden in den 1950er Jahren jedoch
zunehmend in die konkurrierenden politi-
schen, ideologischen und militärischen
Lager eingebunden. Der Entmilitarisierung
folgte schließlich die Wiederbewaffnung
der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik
(DDR). Bis 1962 war in der DDR die Nationale
Volksarmee (NVA) eine Freiwilligenarmee.
Das Interesse der Jugendlichen an einem
Armeedienst war gering. Daher startete die
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
(SED) mit Hilfe ihrer Jugendorganisation
Freie Deutsche Jugend (FDJ) Werbekam-
pagnen zum Zweck des »freiwilligen«
Eintretens in die NVA. In Betrieben und
sämtlichen Bildungseinrichtungen sollten
Jugendliche, zum Teil unter Druck und
Drohungen, zu einer »freiwilligen« Bereit-
schaftserklärung bewogen werden. Einige
Jugendliche widersetzten sich dem. Mit
Exmatrikulationen, Relegierungen und
beruflichen Nachteilen antworteten die
Staatspartei und ihre Organisationen da-
rauf. Nach der Einführung der Wehrpflicht
1962 in der DDR verweigerten wenige
– etwa 1 550 – Wehrpflichtige den Wehr-
dienst. Denn Wehrdienstverweigerung
bedeutete, eine Haftstrafe in Kauf nehmen
zu müssen. Die Evangelischen Kirchen
bemühten sich um eine gesetzliche Grund-
lage hinsichtlich der Einführung des Rech-
tes auf Kriegsdienstverweigerung. Die
SED-Führung wies die Forderungen zurück.
Trotz ihrer ablehnenden Haltung wurde ab
etwa 1963 in militärischen und staatlichen
Führungsgremien intern über eine
Alternative beraten.
Wiederbewaffnung und Protest – 1950 bis 1964[ ]
1Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Parade der Natio-nalen Volksarmeeauf dem Marx-Engels-Platz inBerlin, 1. Mai 1956.
Der Betroffene leistete später – von 1967 bis 1969 – Dienst in den Baueinheiten. Für die Herabsetzungzum Hilfsfacharbeiter ist er 2003 rehabilitiert worden.
Werner Ross wurde am 22.11.1967 zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Während dieses Treffens trugen die evangelischenBischöfe Krummacher und Mitzenheim dem Staats-sekretär für Kirchenfragen Seigewasser und demMitglied des Nationalen Verteidigungsrates Stophihr Anliegen hinsichtlich der Einführung der Wehr-pflicht vor.
Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht und dieSED-Funktionäre Paul Verner und Erich Honeckerschreiten 1966 die Front der Kampfgruppenbatail-lone in Berlin ab. Als Vorsitzender des NationalenVerteidigungsrates erließ Ulbricht die Anordnungüber die Aufstellung der Baueinheiten.
Auf der Sitzung lag eine Erstfassung der späterenAnordnung über die Baueinheiten vor. Ursprüng-lich sollten bis zum 31. Dezember 1963 die Durch-führungsbestimmungen erlassen werden und dieersten Bausoldaten zur Frühjahrseinberufung 1964ihren Dienst antreten.
Vom Mauerbau bis Mitte September1961 sollen etwa 76 000 solcher Bereitschaftserklärungen abgegebenworden sein. Von denen, die sichbereit erklärt hatten, wurden 23 000 in die Armee eingezogen.
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Graben für den Frieden?
Die Verteidigung der DDR bedeutete laut
Verfassung von 1968 »Recht und Ehren-
pflicht«. Der Militärdienst hieß »Friedens-
dienst.« Die hohe Geltung der Nationalen
Volksarmee zeigte sich symbolisch in
Form von Militärparaden bei offiziellen Fei-
erlichkeiten. Das Fernsehen und andere
Medien hatten einen erheblichen Anteil an
der Propagierung des Militärischen. Mit
dem Ziel der Disziplinierung und sozialen
Kontrolle baute die SED zudem die Militari-
sierung der zivilen Gesellschaft aus. Anfang
der 1950er Jahre bildete sie erste betriebs-
zugehörige, milizähnliche und nach militä-
rischen Prinzipien organisierte Einheiten,
die »Kampfgruppen der Arbeiterklasse«.
Alle in Ausbildung stehenden Frauen waren
in die Strukturen der »Zivilverteidigung« (ZV)
eingebunden. Sie sollten laut dem Wehr-
dienstgesetz von 1982 im Mobilisierungs-
und Verteidigungsfall wehrpflichtig sein.
Die SED-Führung legte sehr zeitig auf die
militärische Erziehung der Jugend Wert.
1952 erließ die Regierung der DDR die
Verordnung über die Bildung der Gesell-
schaft für Sport und Technik (GST). Diese
paramilitärische Massenorganisation war
für die vormilitärische Ausbildung in Schu-
len und Berufsschulen zuständig. Sie warb
um Mitglieder, indem sie beispielsweise
erheblich vergünstigte Bedingungen zum
Erwerb der Fahrerlaubnis gewährte. Die
militärische Indoktrination begann bereits
im Kindergarten. In der Schule folgte für
die 9 bis 13-Jährigen das Pioniermanöver
»Schneeflocke«. Ab 1967 wurden in den
8. bis 10. Klassen Geländeübungen, die
»Hans-Beimler-Wettkämpfe«, veranstaltet.
Schließlich richtete die SED-Führung nach
dem Vorbild anderer kommunistischer
Staaten das Unterrichtsfach »Wehrerzie-
hung« ein. In dessen Rahmen fanden in
der 9. Klasse zwölf Tage lang eine Wehraus-
bildung in Lagern für die Jungen und Lehr-
gänge für Zivilverteidigung für die Mädchen
in der Schule statt. Im »Wehrlager« und im
Zivilverteidigungslehrgang trugen die
Jugendlichen die Uniformen der GST. Für
Studenten war ebenso eine vormilitärische
Ausbildung vorgeschrieben.
2Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Militarisierung der DDR-Gesellschaft – 1950 bis 1989[ ]
Auch aufgrund der Einbindung der Frauen in die Wehrpflicht im Mobilisierungs- und Vertei-digungsfall gründete sich die oppositionelle Gruppe »Frauen für den Frieden«.
Etwa Mitte der 1980er Jahre.
Mitgliedsbuch der GST.
Wehrausbildungslager 1983.
Betriebskampfgruppe bei der Übung.
Aus: Vom Sinn des Soldatseins. Ein Ratgeber für den Soldaten.
Tag der NVA 1985. Am 1. März zelebrierte die Armeeihren Ehrentag mit militärischen Aufmärschen undöffnete ihre Kasernen – auch für die Kleinsten.
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Graben für den Frieden?
Im September 1964 schuf die »Anordnung
des Nationalen Verteidigungsrates über die
Aufstellung von Baueinheiten im Bereich
des Ministeriums für Nationale Verteidi-
gung« die Voraussetzung für einen waffen-
losen Wehrdienst. Verschiedene Gründe
führten zu dieser Regelung. Das waren: die
Reaktion auf das Verweigererpotenzial, das
Drängen der Kirchen auf einen rechtlichen
Schutz für Wehrdienstverweigerer und die
Entspannungskurs Walter Ulbrichts gegen-
über den Kirchen sowie die Einbindung
möglichst aller Wehrpflichtigen in den
Armeedienst. Zudem konnte das Vorbild
der westdeutschen Regelung, die einen
zivilen Ersatzdienst außerhalb militärischer
Strukturen vorsah, relativiert werden. Wer
aus religiösen Anschauungen oder ähnlichen
Gründen den Wehrdienst mit der Waffe
ablehnte, konnte ab November 1964 in diese
Baueinheiten einberufen werden. Der Dienst-
grad lautete »Bausoldat«. Als militärisches
Kennzeichen trugen die Bausoldaten das
Symbol eines Spatens auf den Schulter-
klappen. Die Angehörigen der Baueinheiten
unterschieden sich von den regulären
Soldaten im Wesentlichen durch das Nicht-
Tragen von Waffen und das Ablegen eines
Gelöbnisses an Stelle des Fahneneides.
Ansonsten unterlagen sie den gleichen
gesetzlichen und militärischen Bestimmun-
gen wie die anderen Wehrdienstleistenden.
Für die Betroffenen war diese Regelung
eine unbefriedigende Lösung. Das stellte
sich bereits während der ersten Bausolda-
ten-Jahrgänge heraus. Viele Bausoldaten
bezeichneten den Dienst selbst als einen
faulen Kompromiss. Konflikte resultierten
aus der militärischen Einbindung, dem
Gelöbnis und den Bauarbeiten an militäri-
schen Objekten wie Panzerschießplätzen,
Flugplätzen oder Raketenstellungen. Die
Möglichkeit, den Wehrdienst als Bausoldat
abzuleisten, wurde offiziell weitestgehend
verschwiegen. Eine Waffendienstverweige-
rung war im Bereich der Warschauer
Vertragsstaaten nur in der DDR möglich.
Ausnahmen bildeten Polen und Ungarn, die
erst Ende der 1980er Jahre Zivildienstrege-
lungen einführten.
3Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Die Einrichtung der Baueinheiten – 1964[ ]
Rarität – oftmals kursiertedas Gesetzblatt lediglich alsAbschrift oder als Kopie.
Unkommentiert in der Kirchenzeitung»Potsdamer Kirche« vom 11. Oktober 1964.
Prenzlauer Bau-soldaten desersten Durchgangs1964 bis 1966.
Erwähnungen in der Presse finden sichhauptsächlich unmittelbar nach derAnordnung über die Aufstellung vonBaueinheiten.
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Graben für den Frieden?
4Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
[ ]Musterung und Motive
Das Potenzial derer, die Bausoldaten-dienst leisten wollten, stieg im Laufeder Zeit erheblich an.
Die Bestimmungen über die Zulassung zum
Bausoldatendienst waren den künftigen
Bausoldaten nicht zugänglich und wurden
als »Vertrauliche Verschlusssachen« behan-
delt. Bei der Musterung durfte den Wehr-
pflichtigen ausdrücklich nichts über Ver-
fahrensweisen berichtet werden. Während
einer Arbeitsberatung der Chefs und Leiter
der Wehrkreiskommandos von 1987 hieß
es: »Durch die Einberufungskommission ist
die ehemals abgegebene Erklärung nicht ins
Gespräch zu führen, sondern das Gespräch
auf den aktiven Wehrdienst zu lenken.«
Die zukünftigen Bausoldaten konnten sich
somit lediglich auf das Gesetzblatt und die
Erfahrungen ehemaliger Bausoldaten be-
rufen. Ab den 1970er Jahren bildeten sich
vermehrt organisierte Formen zur Vorbe-
reitung auf die Musterung und den Dienst
heraus. Es fanden Beratertage und Alt-Neu-
Treffen statt. Dort erhielten zukünftige
Bausoldaten umfangreiche Informationen,
wurden beispielsweise in Rollenspielen auf
den Umgang mit den zukünftigen Vorge-
setzten vorbereitet. Die Wehrkreiskom-
mandos berichteten den Wehrpflichtigen
nicht, wann und ob sie zu den Baueinhei-
ten einberufen werden. Zwischen Muste-
rung und Einberufung konnten acht Jahre
liegen. Oftmals zog die Armee Bausoldaten
erst im letztmöglichen Einberufungsjahr,
dem 26. Lebensjahr, ein. Die Einberufung
erfolgte bis anfang der 1980er Jahre nicht
halbjährig, wie bei den regulären Wehr-
pflichtigen. Bausoldaten beriefen die Wehr-
behörden im 18-monatigen Zyklus ein.
Somit konnten innerhalb der NVA keine
Erfahrungen weitergegeben werden. In
einigen Fällen verwehrten die Wehrbehör-
den Wehrpflichtigen den Dienst in den
Baueinheiten. Die Motive der Bausoldaten
lassen sich in religiöse, pazifistische und
politische Beweggründe unterteilen. Ein
Großteil der Bausoldaten gehörte verschie-
denen Religionsgemeinschaften an. Ab
etwa Mitte der 1970er Jahre wandelte sich
die Zusammensetzung der Bausoldaten
hinsichtlich der Religionszugehörigkeit und
der Motive. Die politischen Beweggründe
nahmen jetzt zu. Die Ablehnung des Gesell-
schaftssystems der DDR äußerte sich auch
anhand von »Ausreise-Bausoldaten«. Diese
hatten einen Ausreiseantrag in die Bundes-
republik gestellt.
Unter Mitarbeit ehemaligerBausoldaten entstanden solche Entscheidungshilfen.
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Graben für den Frieden?
Auch nach der Bausoldatenanordnung ver-
weigerten Jugendliche ganz den Dienst in
der Armee. Die militärische Ausrichtung
des »Wehrersatzdienstes« stellte für sie
keine Alternative dar. Die Motive lagen im
Bereich des Religiösen, des Pazifistischen
oder des Anarchistischen. Diejenigen, die
den Armeedienst prinzipiell verweigerten
(Totalverweigerer), standen unter dem Vor-
wurf, die Verteidigungsfähigkeit der DDR
oder die Kampfkraft der NVA zu verletzen.
Das wurde strafrechtlich geahndet. Hinzu
kamen die Überwachung durch die Staats-
sicherheit und gesellschaftliche Nachteile.
Zwischen 1962 und 1964 verhängten die
Gerichte unterschiedliche Strafen. Ab 1964
pegelte sich die Haftstrafe zwischen 20 und
24 Monaten ein. Für Reservedienstverwei-
gerer lag das Strafmaß bei sechs Monaten.
Knapp die Hälfte der prinzipiellen Verwei-
gerer zählte zu den Angehörigen der ver-
botenen Religionsgemeinschaft der Zeugen
Jehovas. Sie trugen mit 90 Prozent den
Hauptanteil der Verurteilten. Im Laufe der
Jahre wuchs die Zahl der Totalverweigerer an.
Im gesamten Zeitraum gab es etwa 6 000
Totalverweigerer. Die Gerichte verurteilten
die Hälfte von ihnen. Ab 1971 nahm die
Menschenrechtsorganisation »amnesty
international« die Verweigerer in ihr Man-
dat auf und unterstützte vor allem die
Inhaftierten. Die Zahlen der Totalverweige-
rungen erhöhten sich kontinuierlich. 1986
gründete sich der überregional agierende
»Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer«.
Zum Tätigkeitsspektrum gehörten die Kom-
munikation in der Gruppe, die Beratung von
Wehrpflichtigen bei der Entscheidungsfin-
dung, die Vernetzung mit anderen Gruppen
und Kontakte zu Totalverweigerern im Aus-
land. Aufgrund des Ringens der DDR-Füh-
rung nach außenpolitischer Anerkennung
und des Bemühens, negative Stimmungen
in der Öffentlichkeit zu vermeiden, gingen
die Verhaftungen und Verurteilungen ab
Mitte der 1980er Jahre zurück. Bekannt ist,
dass Erich Honecker über das Schicksal von
Armeedienst verweigernden Wehrpflichtigen
entschied.
5Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Prinzipielle Wehrdienstverweigerung 1962 bis 1989[ ]
Karikatur von Dirk Moldt zurTotalverweigerung, 1988.
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Angehörige der Zeugen Jeho-vas nutzten u. a. diese Variante,Bibelseiten in die Haftanstalteinzuschmuggeln.
Berndshof-Tongrube 1965/66.Hier arbeiteten inhaftierteWehrdienstverweigerer beimZiegelbau.
Inhaftierte Zeugen Jehovas.Oben: in den 1980er Jahren.Unten: 1971.
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Graben für den Frieden?
Das Gesetz über die Aufstellung von Bau-
einheiten schrieb zugleich die Ausbildung
und Arbeitsaufgaben der Bausoldaten fest.
Die Ausbildung beinhaltete die staatspoli-
tische Schulung, die Schulung über gesetz-
liche und militärische Bestimmungen, die
Exerzierausbildung ohne Waffe, die militä-
rische Körperertüchtigung, den Pionier-
dienst und die fachliche Ausbildung, die
Schutzausbildung sowie die Ausbildung
in Erster Hilfe. Hinsichtlich des Arbeitsein-
satzes sollten die Bausoldaten bei Straßen-
und Verkehrsbauten mitarbeiten, Verteidi-
gungs- und sonstige militärische Anlagen
ausbauen, Übungsschäden beseitigen und
im Katastrophenfall eingesetzt werden.
Das skizzierte Spektrum von militärischen
und zivilen Arbeiten wurde im Wesentlichen
auch in der Praxis umgesetzt. Allerdings
sind drei zeitliche Phasen der Stationierung
und des Einsatzes zu unterscheiden. Im
ersten Zeitraum – 1964 bis 1975 – waren
Bausoldaten in Baupionierbataillone einge-
gliedert und in größeren Einheiten von
einer Stärke zwischen 30 und 100 Mann in
vier verschiedenen Orten stationiert. In
dieser Phase mussten Bausoldaten oft an
militärischen Bauvorhaben mitwirken. Das
betraf beispielsweise die Arbeit am Bau von
Panzerschieß- oder Militärflugplätzen. Im
zweiten Zeitraum – 1975 bis 1982 – erfolgte
die Stationierung dezentral. Die größeren
Baueinheiten löste die Armee auf. Der Ein-
satz der Bausoldaten erfolgte in NVA-eige-
nen Erholungsheimen, in Geräte-, Versor-
gungs-, Reserve-, Material- und Kfz-Lagern,
militärmedizinischen Einrichtungen und
Offiziershochschulen. Die Militärführung
verkürzte die Grundausbildung und verrin-
gerte die Arbeitsstunden. Der Großteil der
Bausoldaten war für deutlich zivilere Arbei-
ten vorgesehen. Hierzu gehörten die Reini-
gung von Straßen und Plätzen innerhalb
der Objekte, das Reinigen von Außenrevie-
ren, die Pflege von Grünanlagen, Transport-
und Verladearbeiten sowie der Betrieb und
die Unterhaltung von Heizungsanlagen.
Nach einer Einschätzung des Ministeriums
für Nationale Verteidigung von 1981 unter-
lagen die Bausoldaten damit besseren
Dienstbedingungen als die regulären Wehr-
pflichtigen im Grundwehrdienst. Das Ver-
teidigungsministerium plante daher einen
anderen Einsatz.
6Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Ausbildung und Arbeitsfelder 1964 bis 1982[ ]
Ab 1966 gab es diese Staatspoliti-sche Schulung für Bausoldaten. In den 1980er Jahren ist diesesHeft nicht mehr an Bausoldatenverteilt worden. Die Gründe sindnicht bekannt. (Auszug)
Unterbringung der Bausoldaten des StandortesGarz in Alteno/ Kreis Luckau. Einsatz beim Baueines Feldflugplatzes, Herbst 1966.
Arbeitseinsatz bei Leipzig. Bausoldatenvom Standort Bärenstein, Winter 1969.
Kasernengelände in Prora, 1977/78.
Bausoldaten während ihrerArmeezeit in Holzdorf, 1974.
Arbeitsheft und Winterdienst-plan einer Bausoldatengruppedes Sicherstellungszuges imStraßenbauregiment »RobertSiewert« in Neuseddin, 1980/82.
In dieser Kollegiumsvorlagewurde für Folgendes plädiert:»Die Bausoldaten sollten ausnahmslos zu körperlichschwerer Arbeit eingesetztwerden«.
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Stationierungsorte von Bausoldaten 1964–1990Wichtige Einsatzorte in der VolkswirtschaftGeographische Orientierungspunkte
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Graben für den Frieden?
Die Bausoldaten wurden im dritten Zeit-
raum – 1982 bis 1989 – erneut in größere
Baueinheiten in 15 Stammobjekten zusam-
mengefasst. Der Befehl des Ministers für
Nationale Verteidigung von 1983 legte noch
einmal das Arbeitsspektrum fest. Dieses
unterschied sich in den meisten Punkten
nicht von der Anordnung von 1964. Der
Befehl definierte aber, wo Bausoldaten nicht
arbeiten sollten. Die schlechte ökonomische
Situation in der DDR stellte einen weiteren
Grund des zentralisierten Einsatzes der
Bausoldaten dar. Angehörige der Bauein-
heiten mussten ihren Dienst in den 1980er
Jahren zunehmend in der Volkswirtschaft
ausüben. Sie arbeiteten in den Kombinaten
der Chemischen Industrie, in Energiekom-
binaten, im Braunkohletagebau oder auf
Großbaustellen. Die Arbeitsbedingungen in
den zum Teil über 60 Jahre alten Betrieben
und Anlagen waren katastrophal. 1989
leisteten rund 60 Prozent der Bausoldaten
ihren Dienst in der Volkswirtschaft. Die Zahl
der erklärten Waffendienstverweigerer
stieg zunehmend an. Zum einen mussten
die Planstellen für Bausoldaten ständig
erhöht werden, zum anderen planten die
Militärbehörden mehrere Tausend von
ihnen zusätzlich einzuberufen. Auch in
der dritten Phase des Einsatzes kam es zu
Bauleistungen an Militärobjekten, zum Bei-
spiel dem Bau von Raketenstellungen.
7Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Ausbildung und Arbeitsfelder 1982 bis 1990[ ]
Gaskombinat Schwarze Pumpe.
Bei dem Großprojekt Mukraner Hafen – als Fährverbindung zwischen der DDR und derSowjetunion geplant – setzte die Armeeführungdie größte Baueinheit, Standort Prora, ein.
Diese Bausoldaten, im Baustofflager des IngenieurbaubataillonsBrandenburg eingesetzt, mussten beispielsweise einen Tag langLöcher mit Spitzhacken in gefrorenen Boden hauen. Am Abendkam der Befehl, sie wieder zuzuschütten, 1982/83.
Saßnitzer Hafen, Mai 1989.
Seltenheitswert: Bausoldatenwurden öffentlich in der Zeitungerwähnt und gelobt.
Bausoldat in Laage bei Rostock. Bauvon Flugplatz Laage, Sommer 1987.
Geplanter Einsatz der Bausoldaten inder Volkswirtschaft, August 1989.
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Stationierungsorte von Bausoldaten 1964–1990Wichtige Einsatzorte in der VolkswirtschaftGeographische Orientierungspunkte
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Graben für den Frieden?
Das Leben in der Kaserne bedeutete, dem
Militärsystem untergeordnet zu sein. Die
NVA war eine autoritär geführte Armee
ohne Mitbestimmungsrechte für Soldaten.
Zudem zeichnete sie sich durch ein hohes
Maß an politischer Erziehung aus. Befehl
und unbedingter Gehorsam bildeten die
Grundlage der »Verständigung« zwischen
Vorgesetzten und Untergebenen. Die Offi-
ziere zeichneten sich durch über 95-pro-
zentige SED-Mitgliedschaft und Atheismus
aus. Die Wehrpflichtigen mussten fast
durchgängig in der Kaserne präsent sein.
Urlaub gab es 18 Tage in 1 1/2 Jahren Wehr-
dienstzeit. Sicher erlebte jeder Bausoldat
die Zeit in der Armee ganz unterschiedlich.
Die Erfahrungen waren von Jahr zu Jahr
und von Standort zu Standort verschieden.
Einige Besonderheiten betrafen allerdings
viele Bausoldaten. Dazu gehörte beispiels-
weise das Zusammenleben verschiedener
Religionen auf den Stuben für die kirchlich
geprägten Männer. Bausoldaten veranstal-
teten Buchlesungen und -Diskussionen,
Gottesdienste auf Stuben, Bluesabende und
vieles mehr. Mancher Bausoldat reflektierte
den Armeealltag mittels des verbotenen
Schreibens von Tagebüchern. Viele künstle-
rische Arbeiten der Bausoldaten – Linol-
schnitte, Lithographien, Aquarelle oder gar
ein Bausoldaten-Brettspiel – zeugen von
ihren Beschäftigungen, ihren Emotionen
und ihrer Einstellung zum Militär. Zu den
Erfahrungen von Bausoldaten gehören
jedoch auch viele negative Momente, wie
Schikanen und Bestrafungen durch Vorge-
setzte, Entzug von Urlaub, Ausgang und
Freizeit. Gerechtfertigte oder ungerechtfer-
tigte Verdächtigungen, ein Spitzel zu sein,
das permanente Zusammenleben oder
unterschiedliche Motivationen, Bausoldat
zu werden, führten zu Spannungen inner-
halb der Baueinheiten. Selbsttötungen und
Selbsttötungsversuche während und nach
der Armeezeit sind bekannt.
8Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
[ ]Bausoldatenalltag
Bausoldatenkalender Proraer Bausoldaten, 1984/85.
Saßnitzer Bausoldaten, 1982.
Diesen Linolschnitt fertigte der Bausoldat Ulrich Zeiler, der 1980 bis 1982 in Neuseddin seinen Dienst ableistete, an.
Aquarell von Bausoldat,Frank Hruschka, 1987.
Baustelle Grimma/Nimbschen, Januar 1969.
Anzeige zur Entlassung aus demBausoldatendienst. Linolschnitt vonDietmar Schicketanz, 1984.
Bausoldaten während ihrer Dienstzeit in Holzdorf 1974.
Bausoldaten während ihrer Dienstzeit in Holzdorf, 1974.
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Graben für den Frieden?
Grundsätzlich versammelte sich in den
Baueinheiten ein kritisches Potenzial Wehr-
pflichtiger. Bausoldaten weigerten sich,
beim Bau militärischer Anlagen mitzuarbei-
ten und das Gelöbnis abzulegen. Das zog
vor allem in den ersten Jahren Gefängnis-
strafen nach sich und die Haftzeit musste
nachgedient werden. Angehörige von Bau-
einheiten verfassten Offene Briefe oder
Eingaben über ihre Belange. Im Vergleich
zu den regulären Wehrpflichtigen richteten
Bausoldaten bedeutend mehr Eingaben
an militärische und staatliche Stellen. Die
Schreiben beinhalteten die Probleme mit
dem Ablegen des Gelöbnisses, die Kritik am
Einsatz beim Bau militärischer Anlagen, die
Forderung nach Gottesdienstbesuch und
nach Einrichtung eines zivilen Dienstes, das
Verhalten von Vorgesetzten oder die Bean-
standungen der Zustände in der Volkswirt-
schaft. Parallel dazu berichteten Bausolda-
ten ihre Probleme den Kirchenführungen
und den Landes- oder Bundessynoden.
Sowohl die Befehls- und Gelöbnisverweige-
rungen als auch die Eingaben der Bausolda-
ten wurden in militärischen und staatlichen
Führungsgremien behandelt. Ab etwa 1982
führten die NVA und 1987 die Abteilung
Sicherheitsfragen der SED in ihren Statisti-
ken die Eingaben der Bausoldaten gesondert
auf. Bei Wahlen kristallisierte sich ein kriti-
sches Wahlverhalten einiger Angehöriger
der Baueinheiten heraus. Aufgrund der ver-
schieden Phasen der Stationierung und der
Arbeitseinsätze differierte die Intensität
des beschriebenen kritischen Verhaltens.
Gerade durch den zivileren Einsatz in der
mittleren Phase gab es weniger Angriffs-
punkte. Der dezentrale Einsatz verhinderte
zudem eine große Ansammlung skeptischer
Wehrpflichtiger. Allerdings protestierten
Bausoldaten auch in Eingaben gegen die
Einführung des Wehrunterrichts 1978.
9Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Protest und Selbstbehauptung1964 bis 1989[ ]
Gesamtzahl der Eingaben und Beschwerden in einem Jahr(jeweils erstellt zwischen Juli und August)
440 598 6681273 1563
3181 2899 23632943 2707 2657
17048 1713916433
1981720576 20508
0
5000
10000
15000
20000
25000
1982/83 1983/84 1984/85 1985/86 1986/87 1987/88
NVA Gesamt
ReguläreGrundwehr-dienst-leistende
Bausoldaten
1987/88 richteten3,5 Prozent derGrundwehr-dienstpflichtigenund 78 Prozentder BausoldatenEingaben undBeschwerden anmilitärische undstaatliche Stellen.
Der Bausoldat Helmut Wolff verweigerte 1965 mit fünfweiteren Bausoldaten den Bau an einer Panzerschieß-strecke. Er wurde zu 6 Monaten Militärgefängnis verurteilt.Daraufhin bekam er etwa 250 solcher Briefe und Post-karten aus den verschiedensten Ländern.
Sicher eine Seltenheit. Aber den Bausoldaten im Durchgang 1977/78 gelang es, eine Schreib-maschine in der Unterkunft zu verstecken.
Frühzeitiges Engagement der ersten gedientenBausoldaten.
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Graben für den Frieden?
Bereits vor der Einrichtung der Allgemei-
nen Wehrpflicht in der DDR traten die Evan-
gelischen Kirchen zu Beginn der 1950er
Jahre für den Schutz und das Recht auf
Kriegsdienstverweigerung ein. Sie führten
Gespräche mit staatlichen Institutionen
und richteten Memoranden an sie. Auf die
Anordnung über die Baueinheiten reagierte
die Konferenz der Kirchenleitungen mit der
Schrift »Zum Friedensdienst der Kirche –
Handreichung für Seelsorge an Wehrpflich-
tigen«. Diese seelsorgerische Anleitung war
zugleich eine Positionsbestimmung. Sie
gestand der Wehr- und Waffendienstver-
weigerung eine Präferenz gegenüber dem
Wehrdienst zu. Der Staat verlangte die
Zurücknahme der Handreichung – ohne
Erfolg. Die Katholische Kirche distanzierte
sich anfangs von der Wehrdienstverweige-
rung, aber die Einstellung hierzu liberali-
sierte sich zunehmend. 1983 brachten die
katholischen Bischöfe mit einem Hirten-
brief, der an alle Gemeinden gerichtet war,
den Bausoldaten ihre Achtung zum Aus-
druck. Darin sprachen sie sich auch für eine
andere Form des Wehrersatzdienstes aus.
In der DDR gab es offiziell keine Militärseel-
sorge. Einen gewissen Ersatz stellte das
offene Pfarrhaus dar. Dieses richtete sich
allerdings nach dem Engagement und der
Offenheit des Pfarrers bzw. der Pfarrerin.
Neben der seelsorgerischen Betreuung hat-
te die Pfarrei auch weitere Funktionen. Bau-
soldaten verschickten ihre Briefe von dort
aus, um den Postkontrollen zu entgehen.
Es konnten zum Besuch angereiste Ver-
wandte untergebracht, Zivilsachen aufbe-
wahrt oder Fahrzeuge versteckt werden.
Gelegentlich besuchten evangelische
Landesbischöfe Bausoldaten in den Ge-
meinden in der Nähe des Standortes. Sie
verschafften sich damit persönlich einen
Überblick über die Verhältnisse. Im Rahmen
von Friedensdekaden oder Rüstzeiten
wurde über Wehrdienstfragen aufgeklärt.
In Kirchenzeitungen fanden Berichte über
Wehrdienstangelegenheiten Eingang.
10Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Die Stellung der Kirchen1950 bis 1989[ ]
Die Handreichung erkannte die Entscheidung, prinzipiell den Wehrdienst zu verweigern und Bausoldat zu werden, als »deutlicheres Zeugnis« an.
Gemeindeabend inDoberlug-Kirchhain,1985/87.
Für das Presseorgan der SED »Neues Deutsch-land« war die Handreichung eine »Schmäh-schrift gegen die Nationale Volksarmee«.
Die Kirchenführung musste oftmals beim Staat wegen ungerechterBehandlungen intervenieren. In diesem Brief kommt deutlich zumAusdruck, dass nicht alle Wehrpflichtigen, die Bausoldatendienstleisten wollten, auch in die Baueinheiten einberufen wurden.
Kirche in Binz, Frühjahr 1989.
Im Binzer Pfarrgarten, Juli 1987.
Bausoldaten des Standortes Prora,rechts mit Gemeindehelferin, 1977/78.
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Graben für den Frieden?
Den Bausoldaten und dem Dienst in den
Baueinheiten wurde offiziell wenig Aufmerk-
samkeit entgegengebracht. Der inoffizielle
Blick war ungleich schärfer. Die Wehrkreis-
kommandos, die jeweiligen militärischen
Vorgesetzten und auch zivile Mitarbeiter
der NVA arbeiteten mit der für das Militär
zuständigen Hauptabteilung I der Staats-
sicherheit – in der NVA »Verwaltung 2000«
genannt – zusammen. Diese hatte 2 300
hauptamtliche Mitarbeiter und zählte zu
den personalstärksten Abteilungen des
Ministeriums für Staatssicherheit. In der
zweiten Hälfte der 1980er Jahre lieferten
21 000 Inoffizielle Mitarbeiter Informatio-
nen an die Stasi. Bereits die Bausoldaten
der ersten Durchgänge gerieten in das
Visier. Die Staatssicherheit beobachtete
und kontrollierte mit den verschiedensten
operativen Mitteln das kritische Potenzial
in den Baueinheiten. Hierzu zählten das An-
legen von Akten, Postkontrollen, elektro-
akustische Abhörungen, Zersetzungsmaß-
nahmen oder die Durchdringung mit
Inoffiziellen Mitarbeitern. Es entstanden
Fachschularbeiten der Juristischen Hoch-
schule des Ministeriums für Staatssicher-
heit, allgemeine Lageeinschätzungen oder
Maßnahmepläne. Ab 1982 begann die
Geheimpolizei die persönlichen Daten der
Bausoldaten in die Zentrale Personendaten-
bank des Ministeriums einzuspeichern. Mit
einem extra für Bausoldaten entwickelten
Bogen sollten die wichtigsten Informatio-
nen über die Person erfasst werden. Bei
dem Aspekt Beobachtung und Kontrolle
durch die Staatssicherheit zeigen sich wie-
der Unterschiede aufgrund der verschiede-
nen zeitlichen Phasen des Arbeitseinsatzes.
Während des dezentralisierten Einsatzes
klagte die Geheimpolizei über zu wenige
Informationen. Vor allem fehlte es an »Bau-
soldaten-IM«. Die Bausoldaten schätzte das
Ministerium per se als »feindlich-negativ«
ein, und sie gehörten zur »Zielgruppe des
Gegners«. Die Baueinheiten waren eine
»legale Konzentration feindlich-negativer
Kräfte«.
Die Beobachtung der Bausoldaten durch das Ministeriumfür Staatssicherheit [ ]
11Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
»Wissenschaft« im Dienste der »schärfsten Waffe der Partei«. Absolventen derJuristischen Hochschule des MfS in Potsdam verfassten Examensarbeiten überdas Thema Bausoldaten. Zum Teil beziehen sich diese Arbeiten auf bestimmteBaueinheiten in bestimmten Zeiträumen. Ein wichtiger Punkt dieser Arbeitenwar meist die »Suche, Auswahl und Gewinnung« von Inoffiziellen Mitarbeiternunter den Bausoldaten.
Bausoldat Stephan Psurek (links) mit IM »Jens Rohrbach« (rechts), 1982/83.
Ab 1982 wurde mit der Erfassung der Bausolda-ten in die Personendatenbank des Ministeriumsfür Staatssicherheit begonnen.
In allen Bezirken erstellten die Bezirksver-waltungen der Geheimpolizei Statistikenüber Waffen- und Wehrdienstverweigerer.
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Stabwanze im Mauerwerk.
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Graben für den Frieden?
In das Blickfeld der Geheimpolizei geratene
Bausoldaten wurden nach der Ableistung des
Wehrdienstes weiter durch die jeweiligen
Kreisdienstsstellen des Ministeriums für
Staatssicherheit beobachtet. Diese beein-
trächtigten – teils mit erheblichen Einschrän-
kungen – die weitere Lebensplanungen und
Lebensgestaltungen von ehemaligen Bau-
soldaten. Ein besonderes Problem stellte
der oftmals verwehrte Zugang zu höheren
Bildungsgängen dar. Zwar konnten auch
Bausoldaten studieren und im Beruf keine
Nachteile haben, es gab allerdings auch die-
jenigen Bausoldaten, denen der Weg zum
Studium erschwert oder gänzlich verwehrt
wurde. Die Nachteile im Bildungssektor
sprachen die Kirchen bei ihren Gesprächen
mit dem Staat an. Staatliche Stellen verwie-
sen darauf, dass für eine Studienaufnahme
die Leistungen in der gesellschaftlichen,
fachlichen und beruflichen Tätigkeit sowie
die Beurteilung der Leistungen während
der militärischen Dienstzeit ausschlagge-
bend seien. Partiell sind auch Berufsverbo-
te bekannt, und Berufseinschränkungen
traten ebenso auf. Gediente Bausoldaten,
die in theologischen Einrichtungen studier-
ten und eine kirchliche Laufbahn einschlu-
gen oder im kirchlich-karitativen Bereich
arbeiteten, waren vor beruflichen Nachtei-
len geschützter. Wer sich nach der Ablei-
stung des Bausoldatendienstes für die
Belange der Kriegsdienstverweigerung
oder anderweitig friedenspolitisch enga-
gierte, musste mit der weiteren Bespitze-
lung der Staatssicherheit rechnen.
12Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
[ ]Nachteile
»Den Dienst als Bausoldat
anerkennen wir als eine Ent-
scheidung für den Frieden
und den Sozialismus. Die
wehrersatzdienstleistenden
Bürger der DDR sind völlig
gleichberechtigt vor dem Ge-
setz und nehmen unabhängig
von ihrer Weltanschauung
und Bildung einen gerechten
Platz in unserer Gesellschaft
ein. Dementsprechend hat
bei uns auch jeder Bausoldat
die Möglichkeit, die verschie-
denen Bildungswege der
DDR zu nutzen. Davon zeugt
unter anderem die Tatsache,
daß sich unter den Bausol-
daten auch Abiturienten und
Studenten befinden.« Erich Honecker 1970
In den Dokumenten bzw. in der offiziellen Lesartwurde die Exmatrikulation mit der Verweigerungder vormilitärischen Ausbildung begründet, impersönlichen Gespräch allerdings auf den Wunsch,Dienst als Bausoldat zu leisten, verwiesen.
Die evangelische Kirchenführung sprach dieProbleme der Bildungsbenachteiligung vonBausoldaten an.
Vorschlag des Ministeriumsfür Staatssicherheit.
Graben für den Frieden?
Einige gediente Bausoldaten engagierten
sich aufgrund der unzulänglichen Bausol-
datenregelung nach dem Dienst im gesell-
schaftlichen und kirchlichen Bereich. Erste
Gründungen von Arbeitsgruppen ehemali-
ger Bausoldaten gehen in die 1960er Jahre
zurück. 1973 gab es in Leipzig, Dresden,
Karl-Marx-Stadt, Cottbus, Halle, Görlitz,
Potsdam, Erfurt, Rostock, Berlin und Jena
solche Regionalgruppen. In Zusammenar-
beit mit dem Arbeitskreis »Friedensdienst«
in den Evangelischen Jungmännerwerken
erarbeiteten Mitglieder dieser Arbeitsgrup-
pen beispielsweise die Seminaranleitung
»ABC des Friedens«. Auf das Engagement
ehemaliger Bausoldaten geht auch die Ein-
richtung der »Arbeitsstelle Friedensfragen
beim Bund der Evangelischen Kirchen«
zurück. DDR-weit trafen sich Bausoldaten-
gruppen ab 1969 zum einmal jährlich statt-
findenden Zentraltreffen in Leipzig. Ebenso
basieren Friedensseminare oder Friedens-
werkstätten auf dem persönlichen Engage-
ment ehemaliger Bausoldaten oder prinzi-
pieller Wehrdienstverweigerer. Nicht jeder
Bausoldat wirkte in solchen organisierten
und von der Staatssicherheit als illegal ein-
geschätzten Treffen und Aktivitäten mit.
Sie klärten in ihrem persönlichen Umfeld
über den Dienst auf. Während Alt-Neu-Tref-
fen berichteten die ehemaligen den neuen
Bausoldaten von ihren Erfahrungen wäh-
rend der Zeit in der Armee. Manche Bausol-
daten beteiligten sich nach der Dienstzeit
an der Initiative »19. Monat«. Direkt im
Anschluss an den 18-monatigen Wehrdienst
leisteten sie einen freiwilligen Einsatz im
zivilen Bereich. Mit dieser symbolischen
Geste wollten sie durch ein persönliches
Beispiel möglichst öffentlichkeitswirksam
auf den Wunsch nach einer zivilen Alter-
native zum Wehrdienst hinweisen.
1970 initiierten die ersten Bausoldaten
einen solchen zivilen Zusatzmonat.
13Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
[ ]Aktivitäten nach der Dienstzeit
Zentraltreffen ehemaliger Bausoldaten in Leipzig,dokumentiert vom Staatssicherheitsdienst.
Aus den einmal jährlich stattfindenden Zentraltreffen ehemaliger Bausolda-ten entwickelten sich anfang der 1980er Jahre Friedensseminare in Leipzig.Für den Friedensgottesdienst 1982 warben die Initiatoren mit diesem Plakat.
Der ehemalige Bausoldat Martin Böttger auf der Friedenswerkstatt in Berlin beim »speakerscorner« im Garten der Erlöserkirche, 1982.
Bericht in der Zeitung»Die Kirche« übereinen zivilen Zusatz-monat. 1970 führtenBausoldaten erstmalseinen 19. Monat durch.
Im Frühjahr 1986 gab das Jungmänner-werk Erfurt mit einer Auflage von 1 500Stück diese Sammlung von Texten vonBausoldaten und Partnerinnen heraus.
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Graben für den Frieden?
Kirchliche Mitarbeiter riefen 1981 zur Initia-
tive »Sozialer Friedensdienst«, kurz »SoFd«
genannt auf. Dieses Sieben-Punkte-Papier
stellte den Bausoldatendienst in Frage. Es
forderte, eine zivile Alternative zu den be-
stehenden Regelungen – dem Waffendienst
und dem Bausoldatendienst – zu schaffen
und das Wehrdienstgesetz dementspre-
chend zu ändern. Eine Verpflichtung zu
zweijähriger Dienstzeit, die Rechtsgleich-
heit mit den Wehrpflichtigen und vor allem
der Einsatz im sozialen Bereich verlangte
das Schriftstück des Weiteren. Einerseits
richtete sich das Schreiben an die Volks-
kammer, und andererseits forderte es die
Befürworter eines zivilen Dienstes auf, sich
mittels Eingaben und Unterschriftensamm-
lungen an die Synoden der evangelischen
Kirchen zu wenden. Bei Jugendlichen fand
das großen Anklang. Schätzungsweise
5 000 Personen unterzeichneten diesen
Aufruf. Die SED wies eine Alternative zum
Bausoldatendienst strikt zurück. Ein brisan-
ter Konflikt zwischen Jugendlichen und dem
Staat entbrannte zwischen 1981 und 1982
über den Aufnäher »Schwerter zu Pflug-
scharen«. Unter Anwendung physischer Ge-
walt durch die Staatsorgane musste dieser
entfernt werden. Zudem startete die FDJ,
nach einem Beschluss des Zentralkomitees
der SED, die Gegenoffensive »Der Frieden
muß verteidigt werden – der Frieden muß
bewaffnet sein!« Für manche Jugendliche
entstand eine innere Logik zwischen SoFd,
»Schwerter zu Pflugscharen« und dem Bau-
soldatendienst. In den 1980er Jahren ent-
wickelten sich unter dem Dach der Evange-
lischen Kirchen in vielen Städten der DDR
systemkritische Gruppen. Hier wurden die
Themen, Frieden, Abrüstung, Menschen-
rechte, Frauen, Dritte Welt oder Ökologie
behandelt. Sie stellten die politischen, gesell-
schaftlichen und ökologischen Verhältnisse
in Frage. Dies betraf auch die Militärpolitik.
In ihren Aufrufen, Informationsblättern
oder Handzetteln thematisierten die Grup-
pen Fragen des Wehrdienstes bzw. Wehr-
ersatzdienstes.
Die Forderung nach zivilem Ersatzdienst wird lauter – 1980er Jahre[ ]
14Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Die Abraham Dürninger Stiftung entwarfdie Motive und zeichnete sich verantwort-lich für die Drucke der 100 000 Lesezeichen.Jugendliche schnitten es aus und heftetenes sich an die Jacke. Da der Druck auf Textilien nicht genehmigungspflichtig war, konnten 110 000 Vliesstücke herge-stellt werden. Zu sehen sind zwei Original-entwürfe und das Vlies.
Kirchentag Berlin, 1988.
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Veranstaltung der Arbeits-gruppe »Menschenrechte«,Leipzig.
Graben für den Frieden?
Aufgrund der Intervention von Bausolda-
ten, Kirchenmitgliedern, Kirchenleitungen
oder systemkritischen Gruppen kannten
das Ministerium für Nationale Verteidi-
gung, das Zentralkomitee der SED, die
Volkskammer und andere staatliche Institu-
tionen die Probleme und Konflikte mit dem
Bausoldatendienst und die Forderungen
nach einem zivilen Ersatzdienst. Zudem
informierte das Ministerium für Staatssi-
cherheit über die Lage. Trotz dieses Wis-
sens wies die staatliche und militärische
Führung immer wieder vehement Forde-
rungen nach einer Alternative zum Bausol-
datendienst zurück. Die SED-Führung verlor
damit auch in diesem Bereich Integrations-
vermögen und Legitimität. Im Herbst 1989
forderten die Menschen auf der Straße demo-
kratische und freiheitliche Rechte. Auf den
Transparenten der Demonstranten war ne-
ben vielen anderen konkreten Forderungen
auch die nach Einführung eines zivilen Er-
satzdienstes zu lesen. Die letzte SED-Regie-
rung sah sich gezwungen, auch diesem An-
liegen entgegenzukommen und versprach
die Einführung eines Zivildienstes. 2000 Bau-
soldaten leisteten im Dezember 1989 ihren
Dienst im Gesundheits- und Sozialwesen.
Die Volkskammer verabschiedete 1990 die
Verordnung über den Zivildienst in der Deut-
schen Demokratischen Republik. Am 1. März
1990 trat für etwa sieben Monate eine be-
deutend liberalere Zivildienstordnung als
in anderen Ländern in Kraft. Damit endete
die Bausoldatenregelung. Im Mai 1990 er-
klärten sich 53 000 Wehrpflichtige zum
Zivildienst bereit. Ehemalige Bausoldaten
sind anerkannte Kriegsdienstverweigerer im
Sinne des Grundgesetzes der Bundesrepu-
blik Deutschland. Bausoldaten, die Haft-
strafen aufgrund von Befehlsverweigerung
abbüßten, sind zum Teil rehabilitiert worden.
In der Bundesrepubik stiegen die Zahlen
der Zivildienstleistenden kontinuierlich an.
Im August 1997 wird erstmals die Marke
von 150 000 Zivildienst Leistenden über-
schritten. 1999 gab es mehr Zivildienst Leis-
tende als Grundwehrdienst Leistende in der
Bundeswehr.
Das Ende der Baueinheiten und die Einführung einer Zivildienstregelung – 1989/90[ ]
15Bausoldaten in der Deutschen Demokratischen Republik
Demonstration auf dem LeipzigerKarl-Marx-Platz im Oktober 1989.
Ohne gesetzliche Grundlage wurde das Pilotprojekt Zivildienstvom Landesjugendpfarrer der Evangelisch-Lutherischen Landes-kirche Sachsen und ehemaligen Bausoldaten des zweiten Durch-gangs Harald Bretschneider in Dresden initiiert.
Ironie der Geschichte: Rainer Eppelmann als Bausoldat, Sommer1967. Eppelmann wurde wegen Verweigerung des Fahneneideszu 8 Monaten Haft verurteilt. Als Minister für Verteidigung undAbrüstung entlässt Rainer Eppelmann NVA-Generale aus demaktiven Wehrdienst, Strausberg am 24.09.1990.
Demonstranten auf dem Leipziger Ring, Oktober 1989.
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