astrid gilles-bacciu: im blick auf erziehung und religion – aufgaben für … · 2005. 12. 4....

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6 forum erwachsenenbildung 2/05 Zur Diskussion Elternbildung im Angebot der Kirchen – Anfragen zu Leistung und Profil Zu den größten Anbietern von Elternbildung gehö- ren in Deutschland die katholische und die evangelische Kirche. Eltern durch Bildungsangebote zu unterstützen, hat eine lange Tradition im Engagement der Kirchen für Familien. Erste institutionelle Formen der Elternbildung in Mütterschulen, in Vereinen und in Kirchengemeinden haben schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts begon- nen. Das Bildungsangebot der Kirchen – in Familienbil- dungsstätten und dezentral in Kirchengemeinden, Kin- dergärten, Schulen und sozialen Diensten – erfüllt heu- te einen öffentlichen Bildungsauftrag im Rahmen der Weiterbildung und Jugendhilfe mit entsprechender finan- zieller Grundausstattung. Den größten Finanzanteil ma- chen neben Teilnehmergebühren mittlerweile Kirchen- steuermittel aus. Die Arbeitsbedingungen der kirchlichen Bildungsein- richtungen sind momentan gekennzeichnet durch zurück- gehende Kirchensteuermittel, Konzentration kirchlicher Aufgaben verbunden mit einem Rückbau der Erwachse- nenbildung und minimale, oft schon wegfallende Landes- mittel. Deutlicher als zuvor wird die Erwachsenenbildung, auch die Elternbildung, im Kontext der anderen kirchli- chen Dienste darauf hin befragt, welche Leistung sie er- bringt und wie sich diese Leistung als unverzichtbarer Beitrag einer Kirche erkennen lässt, die in einer pluralen und säkularen Gesellschaft missionarisch wirken will. Auffällig ist die große Teilnehmerresonanz auf das Kursangebot der Eltern- und Familienbildung. Menschen mit und ohne Glauben aus verschiedenen gesellschaftli- chen Schichten suchen kirchliche Bildungseinrichtungen oder -veranstaltungen auf. So liegen die Fragen nahe: Wie ist das Thema Religion in der kirchlichen Elternbildung verortet? Wie nimmt das Erziehungswissen, das Eltern ver- mittelt wird, Verbindung zu Glaube und Religion, dem Zen- trum kirchlichen Handelns, auf? Wie kann Elternbildung als Angebot der Kirchengemeinde die Reichweite der Seel- sorge erhöhen? Lässt sich die Bildungspraxis für kateche- tische Vorgänge nutzen? Ist Glaubenskompetenz im Kon- text von Erziehungswissen vermittelbar? Fragen werden auch in anderer Richtung gestellt: Ist die Elternbildung der Kirchen verzichtbar, weil es heute genügend öffentliche und private Anbieter gibt, die El- tern Erziehungshilfe geben wollen? Ein großer Elternbil- dungsmarkt ist entstanden, auf dem selbst Zeitungen, Forschungsinstitute, Fernsehen und das Internet vertre- ten sind. Nach PISA und im Blick auf sinkende Geburten- ziffern hat das Thema Erziehung („Wie sollen Eltern ihre Kinder erziehen?“) Konjunktur. Ist kirchliche Elternbil- dung Veranstalter-Plattform für die Elternkurse, -trai- nings, -gruppen und Konzepte, die sich heute viel ver- sprechend anbieten? Oder hat sie eine eigene Stimme – eine kirchliche – in diesem vielstimmigen Diskurs zu Er- ziehung und Familie? Anfragen von mehreren Seiten – und die ungewohn- te Chance, den Auftrag und die Arbeitsweise kirchlicher Elternbildung zu klären und zu verdeutlichen. Es geht um eine Klärung im Blick auf Erziehung und Religion: Was wollen und was sollen Eltern dazu lernen? Beob- achtungen zur aktuellen Situation unterstützen die Dring- lichkeit des Themas. Astrid Gilles-Bacciu: Im Blick auf Erziehung und Religion – Aufgaben für die kirchliche Elternbildung auch zeigen, dass Eltern, seien sie religionsdistanziert, re- ligionsskeptisch, nicht gläubig oder konfessionslos die Frage nach Religion mehr bewegt, als es die „Vermeidung des Themas in der Elternbildung“ vermuten lässt. Denn viele nichtgläubige Eltern schätzen religiöse Kindererzie- hung, den Religionsunterricht und das Angebot kirchli- cher Kindergärten oder Schulen. Das ist Grund genug für die evangelische Erwachsenenbildung sich mit diesem Komplex intensiv auseinanderzusetzen. Wie vertritt konfessionelle Erwachsenenbildung ihr Profil und ihre Professionalität? Wie realisiert sie ihre pädagogische Verantwor- tung? Gibt es so etwas wie eine „Erziehungskompetenz“ in religiösen Fragen? Was will die Elternbildung in kirchlicher Trägerschaft an Erziehungswissen zum Umgang mit Fragen der Reli- giosität vermitteln?

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Zur Diskussion

Elternbildung im Angebot der Kirchen –

Anfragen zu Leistung und ProfilZu den größten Anbietern von Elternbildung gehö-

ren in Deutschland die katholische und die evangelischeKirche. Eltern durch Bildungsangebote zu unterstützen,hat eine lange Tradition im Engagement der Kirchen fürFamilien. Erste institutionelle Formen der Elternbildungin Mütterschulen, in Vereinen und in Kirchengemeindenhaben schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts begon-nen. Das Bildungsangebot der Kirchen – in Familienbil-dungsstätten und dezentral in Kirchengemeinden, Kin-dergärten, Schulen und sozialen Diensten – erfüllt heu-te einen öffentlichen Bildungsauftrag im Rahmen derWeiterbildung und Jugendhilfe mit entsprechender finan-zieller Grundausstattung. Den größten Finanzanteil ma-chen neben Teilnehmergebühren mittlerweile Kirchen-steuermittel aus.

Die Arbeitsbedingungen der kirchlichen Bildungsein-richtungen sind momentan gekennzeichnet durch zurück-gehende Kirchensteuermittel, Konzentration kirchlicherAufgaben verbunden mit einem Rückbau der Erwachse-nenbildung und minimale, oft schon wegfallende Landes-mittel. Deutlicher als zuvor wird die Erwachsenenbildung,auch die Elternbildung, im Kontext der anderen kirchli-chen Dienste darauf hin befragt, welche Leistung sie er-bringt und wie sich diese Leistung als unverzichtbarerBeitrag einer Kirche erkennen lässt, die in einer pluralenund säkularen Gesellschaft missionarisch wirken will.

Auffällig ist die große Teilnehmerresonanz auf dasKursangebot der Eltern- und Familienbildung. Menschenmit und ohne Glauben aus verschiedenen gesellschaftli-

chen Schichten suchen kirchliche Bildungseinrichtungenoder -veranstaltungen auf. So liegen die Fragen nahe: Wieist das Thema Religion in der kirchlichen Elternbildungverortet? Wie nimmt das Erziehungswissen, das Eltern ver-mittelt wird, Verbindung zu Glaube und Religion, dem Zen-trum kirchlichen Handelns, auf? Wie kann Elternbildungals Angebot der Kirchengemeinde die Reichweite der Seel-sorge erhöhen? Lässt sich die Bildungspraxis für kateche-tische Vorgänge nutzen? Ist Glaubenskompetenz im Kon-text von Erziehungswissen vermittelbar?

Fragen werden auch in anderer Richtung gestellt: Istdie Elternbildung der Kirchen verzichtbar, weil es heutegenügend öffentliche und private Anbieter gibt, die El-tern Erziehungshilfe geben wollen? Ein großer Elternbil-dungsmarkt ist entstanden, auf dem selbst Zeitungen,Forschungsinstitute, Fernsehen und das Internet vertre-ten sind. Nach PISA und im Blick auf sinkende Geburten-ziffern hat das Thema Erziehung („Wie sollen Eltern ihreKinder erziehen?“) Konjunktur. Ist kirchliche Elternbil-dung Veranstalter-Plattform für die Elternkurse, -trai-nings, -gruppen und Konzepte, die sich heute viel ver-sprechend anbieten? Oder hat sie eine eigene Stimme –eine kirchliche – in diesem vielstimmigen Diskurs zu Er-ziehung und Familie?

Anfragen von mehreren Seiten – und die ungewohn-te Chance, den Auftrag und die Arbeitsweise kirchlicherElternbildung zu klären und zu verdeutlichen. Es gehtum eine Klärung im Blick auf Erziehung und Religion:Was wollen und was sollen Eltern dazu lernen? Beob-achtungen zur aktuellen Situation unterstützen die Dring-lichkeit des Themas.

Astrid Gilles-Bacciu: Im Blick auf Erziehung und Religion – Aufgaben für diekirchliche Elternbildung

auch zeigen, dass Eltern, seien sie religionsdistanziert, re-ligionsskeptisch, nicht gläubig oder konfessionslos dieFrage nach Religion mehr bewegt, als es die „Vermeidungdes Themas in der Elternbildung“ vermuten lässt. Dennviele nichtgläubige Eltern schätzen religiöse Kindererzie-hung, den Religionsunterricht und das Angebot kirchli-cher Kindergärten oder Schulen. Das ist Grund genug fürdie evangelische Erwachsenenbildung sich mit diesemKomplex intensiv auseinanderzusetzen.

Wie vertritt konfessionelle Erwachsenenbildung ihrProfil und ihre Professionalität?

Wie realisiert sie ihre pädagogische Verantwor-tung?

Gibt es so etwas wie eine „Erziehungskompetenz“ inreligiösen Fragen?

Was will die Elternbildung in kirchlicher Trägerschaftan Erziehungswissen zum Umgang mit Fragen der Reli-giosität vermitteln?

kl
Hervorheben
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Bleibende Fremdheit und wachsendes Interes-

se – Das Thema Religion bei jungen Eltern

Die unerwartet große öffentliche Anteilnahme an denFeierlichkeiten anlässlich des Todes von Papst JohannesPaul II. und dem Amtsbeginn Papst Benedikts XVI. ist nichtdas einzige Anzeichen für ein gestiegenes Interesse amThema Religion quer durch alle Bevölkerungsschichten.Eine populäre Illustrierte wie der STERN liefert im Jahr2004 eine detaillierte Darstellung der sechs Weltreligio-nen und die Wochenzeitung DIE ZEIT1 bringt mehrfachGlaubensfragen auf der Titelseite und erklärt in einem„Leitfaden für Anfänger“, wie ein katholischer Gottes-dienst funktioniert und wie eine Beichte abläuft. Gemein-sam ist diesen Darstellungen die interessierte Fragehal-tung einem offenbar befremdlichen, aber bemerkenswer-ten Bereich gegenüber. Man geht von einem religiös Un-kundigen aus, der an einem „Nullpunkt“ des Wissenssteht, und erläutert mit der Distanz und Neugier eines sä-kularen Blicks. Neue Umfrageergebnisse2 zeigen, dasssich mehr als zwei Drittel der Deutschen als religiös ein-schätzen und die Kirchen für unverzichtbare Bestandteileder Gesellschaft halten. Diese behauptete Religiositätwird allerdings kaum praktiziert – so präzisieren kirchlicheStatistiken. Bei jungen Menschen zwischen 20–29 Jahrennennt sich noch die Hälfte (48 %) religiös. Religiöse Kinder-erziehung wird aber unabhängig vom eigenen religiösenGlauben für wichtig gehalten.3 Über 90 % der Befragten be-jahen eine religiöse Erziehung, nur 2% finden, dass manKinder von der Religion fernhalten solle. Doch nur knappdie Hälfte der Altersgruppe junger Eltern meint, die Elternsollten den Kindern den Glauben vorleben und so nahebringen. Die anderen meinen, dass Eltern ihre Kinder überBibel und Kirche lediglich informieren sollten bzw. dass esausreiche, wenn Kinder im Kindergarten und in der Schu-le etwas über den Glauben erfahren.

In den Bildungseinrichtungen zeigt sich ein ähnlichwidersprüchliches Bild. Nach wie vor finden Bildungs-veranstaltungen zur religiösen Erziehung bei Eltern weitweniger Zuspruch als zu anderen Themen. GenaueresNachfragen bei Teilnehmern macht allerdings deutlich,dass Eltern Wertevermittlung in einer kirchlichen Bil-dungseinrichtung sehr schätzen. Sie wollen aber ungernim Rahmen von Veranstaltungen der Elternbildung dasThema Glaube und Religion vertiefen oder über ihrenGlauben sprechen.4 Am ehesten suchen Eltern Unterstüt-zung zu den Fragen Tod, Leid und Taufe. Elternbildungs-

veranstaltungen, die in kirchlichen Kindergärten statt-finden, werden zu religiösen Themen eher nachgefragt.Rege Beteiligung findet die Vorbereitung zu den christli-chen Festen im Jahreskreis, wie sie vor allem im Rahmender Eltern-Kind-Kurse geschieht. Die Offenheit für Religi-on bei jungen Eltern ist offenbar hauptsächlich im Blickauf das Kind und seinen Erfahrungsraum vorhanden.Unsicherheit und auch Bedauern über das Fehlen deseigenen Glaubens kommen oft hinzu („Ich würde es sogern glauben. Aber ich kann es nicht. Leider.“5).

Zauberformel „Förderung“ im aktuellen Erzie-

hungsdiskurs und auf dem Bildungsmarkt

In der gegenwärtigen Erziehungsoffensive, wie sie vonMinisterien, Ämtern, Zeitschriften und Fernsehshows an-geführt wird, ist „Förderung“ ein Schlüsselbegriff. Dasständig wachsende Angebot an Trainings und Kursen – oft

Ihr sagt:Der Umgang mit Kindern ermüdet uns.Ihr habt recht.Ihr sagt:denn wir müssen zu ihrer Begriffswelt hinunter steigen,uns herab neigen, beugen, klein machen.Ihr irrt Euch.Nicht das ermüdet uns, sondern, dass wir zu ihren Gefühlenemporklimmen müssen.Emporklimmen, uns ausstrecken, auf die Zehenspitzen stellen,hinlangen.Um nicht zu verletzen. Janusz Korczak

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aus psychologischen/psychotherapeutischen For-schungszusammenhängen – und das reiche Ratgebersor-timent in den Buchhandlungen versprechen Verbesserungund Stärkung. Sie wollen die Erziehungskompetenz derEltern erhöhen, den Umgang mit den Kindern erleichtern,Fehlformen verhindern. Daneben gibt es das breite Förde-rangebot für Kinder. Vor allem die Zeit der frühen Kindheitvor dem Kindergarten ist als Zeit der gezielten Entwick-lungsförderung durch die Eltern in Blick gekommen. Einegroße Palette von Angeboten ist gegen teilweise hohe Ge-bühren zu haben: von der Bewegungsförderung des Säug-lings über Bindungsförderung und musikalische Frühför-derung bis hin zu frühen Fremdsprachenangeboten. Diemeisten dieser Angebote werden als Kurse für Eltern zu-sammen mit ihren Kindern durchgeführt.

Auch die Bücher und Texte für Eltern zur religiösenErziehung ordnen sich in diesen Kontext ein. Sie thema-tisieren Religion als förderlich für die kindliche Entwick-lung.6 Religion ist wichtig für Kinder – so lautet die Mit-teilung an die Eltern – für die Entwicklung von Selbstver-tauen und Selbstgefühl, für Vertrauen in die Welt undsich selbst. Religiöse Erziehung ist ein Sozialisations-vorteil für das Kind, den man als Eltern versäumen kannzu nutzen. Wie die Befragungen zeigen, nehmen Elternreligiöse Erziehung auch in dieser Perspektive wahr.

Die Elternbildung der Kirchen in Familienbildungsstät-ten und Gemeinden profitiert von der großen öffentli-chen Aufmerksamkeit, die der Erziehung im Moment ge-widmet wird. Familienbildung als Bereich der Weiterbil-

dung und der Jugendhilfe ist im Blick undbekommt Aufgaben der Förderung von Er-ziehung in der Familie zugewiesen. Vor al-lem Eltern der Mittelschichten sind bereit,ihrem Kind so viel Unterstützung wie mög-lich zu geben, und nehmen in großer Zahlan Kursangeboten wahr. Mit dieser Expan-sion ist allerdings ein neuer Entschei-dungsbedarf in Konzeption und Programm-planung entstanden:

Nach welchen Kriterien und mit wel-chem Verständnis von Erziehung sollen dievielen Förderkurse ausgewählt werden?Welchen Stellenwert haben Teilnehmerre-sonanz, Marktführerschaft, soziale Reich-weite? Welche Maßnahmen sind zu ergrei-fen, damit Elternbildung und Förderungvon Kindern auch Eltern und Kindern der

Unterschichtmilieus zu gute kommen? Was ist – vor al-lem in der frühen Kindheit – an gezielter Lernanregungsinnvoll? Wie viel „Kurs“ braucht ein Kleinkind, wie vielseine Eltern? Wo sind die Grenzen zwischen Unterstüt-zung und Überforderung? Wo beginnt der Defizit-Blickauf das Kind und die Entmündigung der Eltern?

Ein Bündel von Fragen, das derzeit in der kirchlichenElternbildung intensiv bearbeitet wird: Was kann und sollEltern vermittelt werden, was kann durch Bildung für diegedeihliche Entwicklung der Kinder getan werden?

Der wieder zu entdeckende Zusammenhang

von Erziehung und Religion

Expansion des Erziehungsmarktes auf der einen Sei-te und Konzentration der kirchlichen Dienste auf der an-deren Seite erfordern eine Positionsbestimmung der El-ternbildung. Als Grundvoraussetzung gilt dabei, dass die-ses Bildungsangebot prinzipiell für alle Eltern zugäng-lich, mitvollziehbar und bezahlbar sein muss – unabhän-gig von Schichtzugehörigkeit, Religionszugehörigkeit undGlaubensausübung.

Ein neuer Blick auf den Zusammenhang von Erzie-hung und Religion lässt Eckpunkte einer solchen Positi-onsbestimmung erkennbar werden.

Es geht darum, den humanisierenden Beitrag desChristentums für den Umgang mit Kindern deutlich zumachen und die Einsichten zum Erziehungsprozess, diezum Wissen der Pädagogik gehören, auch bei der Ver-mittlung der christlichen Religion zu nutzen.

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Damit werden zwei Lebensbereiche zusammenge-führt, die derzeit gesellschaftlich eher im Rahmen getrenn-ter Tätigkeiten, Orte, Sprachen, Mentalitäten präsent sind.Erziehung – in Familien wie in Erziehungsinstitutionen –findet heute üblicherweise als säkularisierte Praxis statt.Das Thema Religion gehört nicht zum Erziehungswissender populären Ratgeberbücher. Die zahlreichen Elternbü-cher zur Religion sind ein Sonderbereich des Angebots.Auch die reflektierenden wissenschaftlichen Disziplinen,die Pädagogik und die Theologie, agieren in der Regel ge-trennt voneinander. Die konfessionelle Religionspädago-gik entfaltet ihre Überlegungen aus der Theologie herausund die allgemeine Pädagogik hat das Thema Religion seiteinigen Jahrzehnten ausgeklammert. Erst seit kurzem gibtes im Wissenschaftsbereich ein neu erwachtes Interessean der Klärung von Verhältnis und Verbindung in ge-schichtlicher und systematischer Perspektive.7

Die Wiedergewinnung einer gemeinsamen Perspek-tive ‚Erziehung und Religion’ kann für die kirchliche El-ternbildung die Chance bedeuten, einen wichtigen Bei-trag zum Wohle der Kinder zu leisten.

Drei Konzeptionsaufgaben stehen an:– Vergewisserung einer Erziehungsethik als Grundlage

von Elternbildung– Rückbindung von Religionspädagogik an die pädago-

gische Reflexion– Fruchtbarmachen von christlicher Spiritualität für die

Erziehung

Was ist Erziehung?

Die Notwendigkeit einer

Ethik der Erziehung und

ihr christlicher Hinter-

grund

Erziehung hat Konjunkturund wird in höchst unterschied-liche Konzepte gekleidet. „Er-ziehung“ nennen die ver-haltenstherapeutisch orientier-ten Elternkurse und Elternsen-dungen die Lob- und Strafestra-tegien, mit denen sie Steue-rungswissen vermitteln. Elternlernen, wie sie ihre Kinder dazubringen können, erwünschtesVerhalten zu zeigen und uner-

wünschtes zu lassen. Andere Ansätze wollen „Erziehung“als Dominanz- und Dressurverhalten überwinden sehenund meiden den Begriff. Sie empfehlen Eltern, ihre Auf-gabe als „Entwicklungsbegleitung“ oder als „Beziehung“zu verstehen.

Für eine Positionsbestimmung von Elternbildung istes sinnvoll, genauer die eigentümliche Handlungssitua-tion zwischen einem Erwachsenen und einem Heran-wachsenden und die Anforderungen, die daraus entste-hen, zu betrachten – also die üblicherweise mit „Erzie-hung“ benannte Situation. Dafür lohnt es, die Wissens-und Erfahrungstradition der Pädagogik heranzuziehen.

Zwei Grundaussagen charakterisieren die Theorienzur Erziehung8:

Wer ist das Kind?

Das Kind ist Subjekt. Es ist ausgestattet mit Lernfä-higkeit („Bildsamkeit“) und ausreichend Entwicklungs-kraft, um seinen Werde-Gang selbst hervorzubringen.Zugleich braucht es den Schutz, die Anleitung und Un-terstützung der Erwachsenen. In der frühen Kindheit istdas Kind vollständig auf die Pflege und Fürsorge seinerEltern (oder Personen an ihrer Stelle) angewiesen. Spä-tere Erzieher übernehmen nur Teilaufgaben. Das Kindkommt mit seiner großen Bindungsbereitschaft den El-tern bei ihrem Tun entgegen.

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Was ist die Aufgabe des Erwachsenen?

Die machtvollen Einwirkungen, die das Kind durchden Erwachsenen, in besonderer Weise durch die Elternfür sein Überleben und sein Aufwachsen erfahren muss,macht das Erziehungsverhältnis zu einem außergewöhn-lichen Kommunikationsverhältnis. Es ist die Begegnungvon zwei Subjekten, ist dialogisch und doch asymme-trisch.9 Es ist ein Machtverhältnis, das dem Erwachsen-werden des Kindes dient, also sein eigenes Ende anzielt(„Aufforderung zur Selbsttätigkeit und Selbstbestim-mung“) – ein als „pädagogische Paradoxie“ benannterTatbestand. Das Kind uns und den gesellschaftlichenMiterziehern gewachsen machen (von Hentig), das istder Sinn von Erziehung und benennt die Verantwortlich-keit des Erwachsenen. Wir erziehen, damit sich das Ge-fälle der Macht aufhebt, so dass das Kind Schritt fürSchritt seiner selbst mächtig wird. Die Kinder selbst wol-len das von klein auf: „groß und stark“ werden. Mit die-ser Aufgabe von Erziehung ist für den Erwachsenen not-wendigerweise eine Kontrolle und Zurücknahme eigenerWünsche („Selbstlosigkeitsannahme“) verbunden.

Aufgrund dieser charakteristischen Handlungsstruk-tur ist Erziehung nicht machbar – es sei denn mit Willkür

und Manipulation. Es gibt kein anwendbares Wissen wiebei einem Herstellungsprozess und keinen programmier-baren Erfolg. Selbst wenn man alle Bedingungen in derSituation unter Kontrolle hätte, das Gegenüber, das Kind,ist kein Objekt, sondern vom ersten Lebenstag an einePerson mit eigenen Bedürfnissen und Intentionen. Eseignet sich nach eigenem Willen das an, was ihm entge-gengebracht wird. Auch beste Erziehungsabsichten kön-nen zu Ergebnissen führen, die keineswegs gewollt wa-ren. Lernhilfe muss nicht zu Lernen, Vermittlung nicht zuAneignung führen.

Trotz aller Macht des Erwachsenen bleibt eine kon-stitutive Freiheit dessen, der erzogen wird, seiner Erzie-hung gegenüber. Das Kind wird als Erwachsener Richterseiner Erziehung sein10; es beginnt aber schon vorher,seine Erziehung mit einem Abstand einzuschätzen. SeinUrteil wird unabhängig von den erzieherischen Absich-ten gefällt. Das Kind fängt – auch unbemerkt – schonfrüh an eigene Wege zu gehen, auf eigene Weise Situa-tionen wahrzunehmen und zu empfinden. Oft werden dieSignale, mit denen das Kind darauf aufmerksam macht,von den Erwachsenen übersehen. Das Erleben und auchErleiden von Erziehung ist ein eigenes Thema der bio-graphischen Literatur und der Psychotherapie. Die oft ge-

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naue Erinnerung und das nachträgliche Urteil über dieerfahrene Erziehung zeigen, wie intensiv Erziehung er-fahren wird, wie stark beispielsweise Respekt oder um-gekehrt Missachtung erlebt werden.

Aus diesem Grund kommt dem Verstehen des Kindesin der Erziehung eine so große Bedeutung zu: was eserlebt, braucht und mitteilen will.11 Dabei hat der Erwach-sene sowohl die aktuelle Situation des Kindes als auchdie Perspektive des gesamten Entwicklungsweges zuberücksichtigen. Das Verstehen von Kindern soll aberletztlich nicht der besseren Lenkung dienen, sondern derAusweitung ihrer eigenen Fähigkeit zu verstehen und sichzu äußern. Kinder lernen Verstehen und Einfühlen, in demwir uns in sie einfühlen und dies sprachlich deutlichmachen. Verstehen ist so von Anfang an mit dem Entwik-keln von Verständigung verbunden.12

Erziehung ist als eine besondere kommunikative Pra-xis beschreibbar, in der auf Risiko hin gehandelt werdenmuss, ohne über die Wirkungen verfügen zu können. DasWissen um mögliches Misslingen von gut gemeintenBemühungen begleitet den Prozess der Erziehung. In die-sem Zeitraum muss der Erziehende den Abbau seiner Vor-Macht anstreben und hinnehmen: das Kind zu schützen,zu lehren, zu faszinieren – zugunsten der Selbstmächtig-keit des Kindes. Erziehung zeigt sich als komplexes, an-spruchsreiches Geschehen.

Erziehungshandeln ist daher notwendig auf Reflexi-on angewiesen. Sie beginnt in der Praxis selbst. Es istdie Nachdenklichkeit des Erziehenden, seine Selbstbe-sinnung, die einen inneren Abstand von sich selbst ver-langt („Selbsterziehung des Erziehenden“). In diesemAbstandnehmen zum eigenen Tun, zur Situation, zu sichselbst vermitteln sich Dimensionen des Handelns, dieangesichts der grundsätzlichen Unsicherheiten der Er-ziehung von größter Bedeutung sind: Vertrauen, Gelas-senheit, Geduld, Freude, Zuversicht, Loslassen, Takt,Humor. Damit sind notwendige Voraussetzungen des Er-ziehens benannt: eine existenzielle Haltung, die nicht aufein Wissen, sondern einen Glauben verweist.13

Die Herkunft der hier angeführten pädagogischenDenkformen ist eng verbunden mit der christlichen Theo-logie, die jüdische Tradition weiterführend. Es waren Pro-testanten wie Schleiermacher oder Herbart, die im 19.Jahrhundert mit einer eigenständigen allgemeinen päd-agogischen Theoriebildung begannen. Auch das prakti-

sche und theoretische Erziehungswerk von Pestalozzi,Fröbel, Petersen, Montessori wären ohne den christlichreligiösen Hintergrund nicht denkbar.14

Die Grundeinsichten in erzieherisches Handeln warenund sind nur möglich mit einer christlich-jüdischen Auffas-sung vom Menschen als dem Ebenbild Gottes und der be-sonderen Wertschätzung, die das Christentum dem Kindgibt, in dem es das Kind „in die Mitte“ (Mk 9,33–37) stellt.

Erst wenn ich das Kind als mir, dem Erwachsenen,gleichwürdiges Wesen ansehe, erkenne ich, dass Erzie-hen immer auch ein Eingriff in die Freiheit des Kindes, inseine Integrität darstellt. Diesem Eingriff kann sich dasKind nicht entziehen. Es ist darauf angewiesen. In sei-nem großen Bedürfnis nach Bindung an den Erwachse-nen, vor allem an die Eltern, „folgt“ es dem Erwachse-nen, unterstützt ihn, auch wenn es ihm selbst nicht guttut. Erziehen wird als ein zu rechtfertigendes Handelnerkennbar. Johann Friedrich Herbart macht in seiner „All-gemeinen Pädagogik“ darauf aufmerksam, dass mit demErziehen immer eine Störung, eine Schuldübernahmeverbunden ist, über die die Kinder einmal zu richten ha-ben.15

Die untergeordnete Stellung der Kinder in den anti-ken Gesellschaften ließ die Einwirkung des Erwachse-nen nicht als ethisches Problem erscheinen. Die Fort-schritte in der Anerkennung der Kinderrechte verdankensich auch der besonderen Sicht des Kindes, die das Chri-stentum hervorbrachte.16 Das hohe Maß an Gewalt, un-ter dem Kinder auch heute leiden – gerade auch in Fami-lien –, macht deutlich, wie sehr offenbar jede Generationneu darum ringen muss, das Kind – auch in seiner Schutz-bedürftigkeit – als vollwertige Person zu sehen und ebenaus dieser Unterstellung heraus zu handeln.

Die normativen Anforderungen, die sich im Sinne ei-ner Ethik der Erziehung stellen, sind nicht beliebige Wer-te, sondern sind in der Struktur der pädagogischen Hand-lung selbst enthalten.17 Sie bilden als orientierende Prin-zipien die grundlegende Basis für das, was als Erzie-hungskompetenz, auch als elterliche Kompetenz, anzu-sehen ist. Vor diesem Hintergrund sind alle erzieheri-schen Einzelmaßnahmen, Pläne, Ziele usw. zu prüfen –auch die Fördermaßnahmen der Elternbildung, die dieFamilienerziehung von außen unterstützen wollen.

Eine Ethik der Erziehung fordert daher– die Achtung des Kindes als Person mit eigenen Ge-

fühlen und Bedürfnissen und dem Anspruch auf eige-ne Entwicklung

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– die Orientierung des Erziehungshandelns an der Un-terstützung der Selbstmächtigkeit des Kindes

– die Bereitschaft zur Selbstreflexion.

Dieses ethisch geleitete Verständnis von Erziehungkann in der kirchlichen Elternbildung als Folie dienen zurBeurteilung, Auswahl und Begrenzung von Erziehungsan-sätzen und Förderkonzepten, die auf dem Bildungsmarktsind und sich der Elternbildung empfehlen. Dieses Ver-ständnis schließt Erziehungsmethoden der systemati-schen Steuerung des Kindes mit Formen der Ausgrenzungund Beschämung als legitime Formen der Erziehung aus.Es ermöglicht eine Haltung in der Erziehung, die Eltern zu-gleich Orientierung und Entlastung gibt.

Diese pädagogische Ethik ist nur auf den ersten Blickein säkulares Konzept. Sie verdankt sich der Vermittlungdes christlichen Menschenbildes in die allgemeine Päd-agogik hinein.

Religion als Thema der Erziehung

Rückbindung an die pädagogische Reflexion

Die konfessionelle Religionspädagogik ist ein Gebietder Theologie mit Handlungstheorien und -konzepten,die der Sorge um die Religion entstammen. Sie beziehenin der Regel das allgemeine pädagogische Grundlagen-wissen zu Erziehungsvorgängen nicht mit ein.

Die Trennung von Religion und Erziehung aber stellt einProblem dar. Religion ist – selbst im säkularen Feld – einkonstitutives Element von Bildung und Erziehung. Die Fra-gen nach Geburt, Tod, Leiden, Glück, nach dem Sinn derLebenszeit gehören mit zum Leben, in das das Kind einge-führt werden muss und die es selber stellt. Antworten aufdiese Fragen übersteigen die Alltagssprache und die heu-tige Sprache der Pädagogik und nähern sich der Spracheder Religion. Das moderne Erziehungsverständnis hat not-wendigerweise Leerstellen und Verkürzungen18. Die auffäl-lige Zustimmung, die religiöse Erziehung bei Eltern unab-hängig von ihrer Glaubens- und Kirchennähe erfährt, magdarauf hinweisen, dass Eltern um dieses Fehlen wissen.

Viele der vorliegenden Konzepte der religiösen Erzie-hung in der Familie erweisen sich für die Elternbildung alsunzureichend. Sie machen die Familie, genauer: die Elternin den ersten Lebensjahren des Kindes, zu den Hauptver-antwortlichen der Glaubenvermittlung. Dies wird als Aus-weg gesehen in einer gesellschaftlichen Situation, die in

Gemeinde, Nachbarschaft, Schule nicht mehr volkskirch-lich geprägt ist und damit nicht mehr den sozialisatori-schen Rahmen für die Weitergabe der Religion bildet. Un-ter dem Eindruck, eine „Misere“ der Glaubensweitergabezu bearbeiten, entstehen Konzepte und Praxisbücher, dieeindringlich bei Eltern um die Übernahme der religiösenErziehung werben.19 Mit der Macht der Eltern will man zumGlauben des Kindes führen. Man meint, zu einer Gottesbe-ziehung hinführen, zu Spiritualität anleiten, Freude amGlauben erzeugen und Glaubenskommunikation in der Fa-milie entfaltbar machen zu können. Diese Konzepte setzenallerdings den schon vorhandenen Elternglauben voraus;damit ist ihre Reichweite heute begrenzt.

Die Sorge um die Weitergabe der Religion ist so groß,dass bei religionspädagogischen Konzepten in der Re-gel der Einwirkungswunsch der Eltern oder Erzieher unddas entsprechende Handeln selbst nicht problematisiertwerden. Religiöse Erziehung wird vorgestellt als „Arbeitam Kind“ – mit besten Absichten. Die enorme unaus-weichliche Nähe, die in Kleinstfamilien mit religiöser Er-ziehung20 verbunden ist, müsste thematisiert werden. Dieguten Absichten wären zu begleiten und zu begrenzendurch ein pädagogisches Reflexionswissen.

Ein Bekenntnismodell der religiösen Erziehung ist inder allgemeinen Elternbildung schwer integrierbar, da diepädagogische Praxis als Bildungspraxis immer einsehba-re Lehr- und Lernbarkeit für alle voraussetzen muss. Be-kenntnismodelle benennen keinen gangbaren Weg für di-stanzierte oder nichtreligiöse Eltern – daher der appellati-ve Charakter vieler Ratgeber („Kinder nicht um Gott betrü-gen“) verbunden mit dem Aufweis des großen Nutzens ei-ner religiösen Erziehung für die Kinder. Das Anliegen derVermittlung von Religion muss aber die Prämissen despädagogischen Kontextes berücksichtigen. Diese besa-gen, dass etwa die Hälfte junger Eltern die Vermittlungs-form „Vorleben“ für sich nicht wählen will. In pädagogi-scher Perspektive muss ein ergänzender Weg gefundenwerden. Es ist möglich, dass in säkularen Gesellschaftendie zusätzliche Vermittlungsform „Darstellen und Infor-mieren“ nicht nur im Schulunterricht, sondern auch in derFamilienerziehung eine Bedeutung erhält.

Religiöse Erziehung – ein Konzept für die

Elternbildung

Ein pädagogisch geleitetes Konzept der religiösenErziehung respektiert die Zurückhaltung und das Unver-

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mögen vieler Eltern, den Glauben ihren Kindern aktiv vor-zuleben und ihn so nahe zu bringen. Der Wunsch, Kinder-garten, Schule oder die Kirche selbst mögen Glaube undReligion vermitteln, lässt sich durchaus als verantwortli-che Erziehungshaltung einschätzen. Er ist getragen vonder Sorge um die Kinder und ihr zukünftiges Leben undWohlergehen. Er impliziert die Relativierung der eigenenLebensauffassung und die Bereitschaft, das Kind einemanderen, nicht mehr familiär kontrollierten Einflussbe-reich auszusetzen.

Eltern, die ihre Kinder nicht selbst in Glaubenspraxiseinführen können, haben dennoch eine realisierbare Auf-gabe der religiösen Erziehung. Diese verlangt von ihnen:

Das rDas rDas rDas rDas religiöse Intereligiöse Intereligiöse Intereligiöse Intereligiöse Interesse des Kindes und seinen eige-esse des Kindes und seinen eige-esse des Kindes und seinen eige-esse des Kindes und seinen eige-esse des Kindes und seinen eige-nen nen nen nen nen WWWWWeg anerkenneneg anerkenneneg anerkenneneg anerkenneneg anerkennen

Alltagsbeobachtungen und neuere Studien zeigen,dass Kinder sich als „Gottessucher“ nicht so sehr vonErwachsenen unterscheiden wie bislang angenommen21.Sie fragen und spekulieren über religiöse Themen. IhrGottesbild ist nicht unbedingt einfacher, kindlicher, un-reifer als das der Erwachsenen. Offenbar sind die Annah-men zur Glaubensentwicklung (von kindlich-unreif zumündig-erwachsen) zu befragen. Kinder nehmen in ei-genständiger Weise jeweils die Deutungsangebote auf,die ihnen ihre Kultur vorlegt. Es gibt offenbar mehr Ge-meinsamkeiten als Differenzen zwischen Erwachsenenund Kindern im Bereich Religion.

Diese unerwartete Reife und Autonomie scheint auchfür die Spiritualität zu gelten. Was ihre Beziehung zumBereich des Transzendenten, des Göttlichen angeht,scheinen Kinder weniger auf Erziehung angewiesen zusein als in anderen Bereichen. Unverkennbar ist eine be-sondere Empfänglichkeit für Religion.

Sofia Cavalletti, Katechetin aus der Montessori-Päd-agogik, betont, dass das Kind Religion in Unabhängig-keit vom Erwachsenen und seinem didaktischen Pro-gramm lebt. Sie gibt ihm Freude und Würde. „Die Emp-fänglichkeit des Kindes gegenüber dem Religiösen scheintauf einer Ebene zu liegen, die tiefer als jeder erzieheri-sche Eingriff ist. Sie ist etwas, das man nicht lehrenkann“.22 Das Kind hat, so Cavalletti, nur einen einzigenLehrer, der in seinem Inneren wohnt. Und dieses Innereist dem Erwachsenen versperrt. Biblische Texte und dieliturgische Tradition reichen als Material aus. Man sollden Kleinsten die größten Dinge geben. Ein solches Vor-

gehen gibt Kindern die Möglichkeit, sich selbst zu fol-gen und nicht dem Erwachsenen. Das Kind ist im Be-reich der Religion ein „priviligiertes Geschöpf“, der Er-wachsene „ein unnützer Knecht“.

Zu einer vergleichbaren Einschätzung kommt die Kin-derpsychoanalytikerin Francoise Dolto23. Sie zeigt, wiedie Evangelien und religiöse Rituale jenseits dessen lie-gen, an das selbst die Psychoanalyse heranreichen undwas sie erklären kann. Und doch können sie Menschen,auch Kinder, in ihrem tiefsten Selbst anziehen und zudem führen, was außerhalb des Bekannten liegt, wasman den Bereich des Göttlichen nennen kann. Doltospricht davon, dass im Bereich des Spirituellen, andersals im Bereich des Emotionalen und Kognitiven nicht überdie Eltern, auch nicht ihr Vorbild gelernt wird. Am Bei-spiel des Segens macht sie deutlich, wie er tief in dasSymbolische des Menschen eingreift. Er gehört wesent-lich zum Subjekt selbst und übersteigt die elterlichenWorte, Gebärden und Wünsche. Segen gibt von einer„Erwählung in Liebe“ Zeugnis, ohne Zweifel und Zwei-deutigkeit. Es wird etwas ins Wort gebracht, das das Vor-

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stellungsvermögen des Segnenden wie des Gesegnetenübersteigt wie eine jenseits der Worte wirkenden Spra-che. Segen kann bei einem Kind Selbstvertrauen entfal-ten lassen über die elterliche Zuwendung hinaus. DieseErfahrung der Würdigung des tiefsten Selbst braucht nichtdie Vermittlung über die Eltern.

Diese Erfahrungen aus Katechese und Psychoanaly-se unterstreichen die erste Anforderung an elterliche re-ligiöse Erziehung: den inneren Weg zu Religion und Glau-be geht das Kind eigenständig. Die elterlichen Einfluss-möglichkeiten sind begrenzt. Eltern sind aufgefordert,diesen Status von Verzicht auf Nähe und möglicherwei-se Fremdheit zu akzeptieren.

„Z„Z„Z„Z„Zeigen, was man glauben kann“eigen, was man glauben kann“eigen, was man glauben kann“eigen, was man glauben kann“eigen, was man glauben kann“Mit RMit RMit RMit RMit Religion bekannt machen als elterliche Bildungs-eligion bekannt machen als elterliche Bildungs-eligion bekannt machen als elterliche Bildungs-eligion bekannt machen als elterliche Bildungs-eligion bekannt machen als elterliche Bildungs-aufgabeaufgabeaufgabeaufgabeaufgabe2424242424

Eltern haben dennoch eine konkrete Aufgabe: das Kindin Kontakt zu bringen mit Religion, ihrer Überlieferung, ih-rem Brauchtum, ihren Kult- und Sozialformen. Das schließtWertschätzung und Toleranz allen Religionen gegenüberein, ermöglicht und fördert aber das Vertraut Werden mitder christlichen Religion. Gläubige Eltern können diesenKontakt ermöglichen, in dem sie ihr Kind am Gottesdienst,den sie besuchen, teilnehmen lassen, und mit ihm überden Glauben sprechen und mit ihm beten. Kinderbibeln,Kindergebetbücher und Erzählungen stehen zur Unterstüt-

zung in reicher Zahl zur Verfügung. Die Eltern, die ihrenGlauben nicht bekennen können oder wollen, können aberdoch vom ihm berichten und auf die Kinderfragen antwor-ten. Sie können Kindern auf ihr Alter bezogen zeigen, wasandere glauben oder was sie selbst geglaubt haben oderwas sie selbst gerne glauben würden. Sie können mit„wahrhaftiger Distanz“ den christlichen Glauben darstel-len. Die Vorstellung „Vielleicht ist es wahr“ kann sie zu Re-spekt vor den Aussagen der christlichen Religion leiten.Vorausetzung ist allerdings die Bereitschaft, den Glaubenin seinen Grundaussagen (wieder) kennen zu lernen. El-tern können Kindern heilige Orte, Kirchen und Klöster, zei-gen, an denen gläubige Menschen anzutreffen sind. Oderdie Kinder gläubigen Menschen anvertrauen, die sie mit ineinen Gottesdienst nehmen. Eltern müssen Kinder nichtzeigen, wie man betet (wenn sie es nicht können oder wol-len), sondern dass man beten und singen kann – und Men-schen zu allen Zeiten dies getan haben – zur Ehre Gottes,aus Freude, in Not, aus Dankbarkeit. Auch die Bereitschaftder Eltern, Kinder der religiösen Erziehung eines konfes-sionellen Kindergartens, dem Religionsunterricht derSchule oder auch einem gläubigen Verwandten oderFreund anzuvertrauen, ist Realisierung ihrer Verantwor-tung, dem Kind einen Zugang zum Reichtum der Religionzu verschaffen.

Eltern müssen ihre Bemühungen mit einer gewissenSelbstlosigkeit in den Dienst des Kindes und seiner Reli-gions- und Glaubensfreiheit stellen. Sie leisten eine un-eigennützige Lern-Hilfe auf dem Weg zur Religion, vonder sie hoffen, dass sie dem Kind einmal hilfreich seinkönnte. Wie bei grundsätzlich jeder erzieherischen Ab-sicht bleibt auch hier ungewiss, ob das Kind wirklich zueinem religiösen Glauben finden und ihn als Lebenssinnerfahren kann. Und dennoch ist dieses Wagnis Teil derelterlichen Aufgabe, dem Kind eine volle Teilnahmemög-lichkeit an Kultur und Gesellschaft, zu der auch die Reli-gion gehört, zu eröffnen.25

In der Elternbildung kann ein solches Verständnis re-ligiöser Erziehung in Vortrags- oder Gesprächsveranstal-tungen vermittelt oder als Inhaltspunkt eingebracht wer-den – auch im Rahmen der Eltern-Kind-Kurse26, die alslangfristiges Bildungsangebot für Eltern mit ihren Klein-kindern durchgeführt werden.

GrGrGrGrGrenzenzenzenzenzen ren ren ren ren religiöser Erziehung beachteneligiöser Erziehung beachteneligiöser Erziehung beachteneligiöser Erziehung beachteneligiöser Erziehung beachten

Religiöse Praxis mit ihrer eigenen Sprache, Musik, ih-ren Kulthandlungen, dem Umgang mit Elementen wieWasser, Öl, Licht ist nicht einfach vergleichbar mit ande-

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ren Lebensbereichen wie Politik, Arbeit, Kunst. Auch dieEinführung in diese Praxis, ihre Pädagogik, hat Schwie-rigkeiten eigener Art.

Offenbar zeigt sich in Bezug auf Religion eine Radika-lisierung der Grundbedingungen von Erziehung – das Sub-jektsein des Kindes und die geringe Verfügbarkeit dessen,was man als Erziehender bewirken kann. Dies führt unaus-weichlich zur Frage, ob Glaube denn überhaupt Ziel vonErziehung sein kann. Lässt sich zum Glauben durch Lernengelangen wie man sich andere Fähigkeiten – mit Unterstüt-zung von Lehrern und Erziehern – aneignet? Es ist für einenrealistischen Blick von Vorteil, sich mit einer skeptischenBeantwortung dieser Frage zu befassen.

In der Lernsituation – sei es das Erlernen eines Hand-stands, von Tischmanieren oder einer Sprache – kommtdie Veränderung durch eigene Aktivität und Leistung zu-stande. Die Kompetenz wird durch eigenes Tun erwor-ben. Im Bereich der Religion ist aber eine radikale Verän-derung der Person möglich, ihres Fühlens und Denkens,die nicht Ergebnis einer eigenständigen Lernleistung ist.In der religiösen Kultsituation, z. B. beim Hören heiligerWorte, beim Empfang des Segens oder eines Sakraments,wird etwas unabhängig von Leistung und Zustand derPerson vollzogen. Die Worte machen gegenwärtig, er-schaffen, wovon sie sprechen. Diese Wirkmacht ergreiftden Menschen schon beim Hören. Die Art von Aneignungund Verwandlung geschieht durch etwas, das auch dasSubjekt nicht allein bewirken kann. Im üblichen Sinn istnicht von „Lernen“ zu sprechen, sondern – angemesse-ner in einer theologischen Sprache – von „Gnade“.27

So wird ein verständlicher Zweifel vorgebracht: Esmag „Erziehung aus dem Glauben, im und durch denGlauben, wenn auch auf keine Weise zum Glauben“ ge-ben.28 Denn Erziehung ist das Werk des Menschen amMenschen, Glaube aber, so könnte man formulieren, istdas Werk Gottes am Menschen, das nicht verfügbar ist.Selbst gute Sozialisationsbedingungen, wie ein gläubi-ges Elternhaus, eine gute oder – auch eine schwere –Kindheit, reichen nicht aus zu erklären, wie Glaube ent-steht. Glaube ist nicht sicheres Ergebnis von Einfluss-nahme, Belehrung, Belohnung, Animation, oder auch nurGewöhnung – alle üblichen Methoden versagen. „Werglaubt, andere mit Vernunftgründen zum Glauben füh-ren zu müssen (...), hält Gott für einen armen Mann“.29

Zum Glauben wird man – so berichtet die Bibel – un-erwartet berufen. Man wird von einer anderen als der

menschlichen Kraft ergriffen und verlässt daraufhin dasgewohnte Denken und Handeln. Offenbar ist das nötig,denn der Kern der christlichen Botschaft ist alltäglicherVernunft und bewährten Maximen und Berechnungenentgegengesetzt. Er setzt auf den Bruch mit dem, wasauf den ersten Blick sinnvoll und nützlich ist. Die Identi-tätszusage, das „Heil“, ist nicht allein und noch nichteinmal vorrangig „von dieser Welt“. Es verlangt eine Bin-dungsbereitschaft, die menschliche Möglichkeiten über-steigt. Man setzt auf etwas, das außerhalb der üblichenWahrscheinlichkeit, des anerkannt Möglichen liegt.

Hier sind Grenzen der Möglichkeit und der Zuständig-keit von Erziehung. Menschen finden zum Glauben, ohnedass wir nach üblichen pädagogischen Kategorien dasVermittlungs- und Aneignungsgeschehen begreifen kön-nen. Auch für Kinder sieht das Christentum ursprünglichkeine besonderen Maßnahmen vor. Das Neue Testamentkennt bei Lehre und Verkündigung auch in den frühen Ge-meinden keine speziell auf Kinder ausgerichtete Bemü-hungen, keine „Pädagogik“.30 Das Ausleuchten der Gren-zen religiöser Erziehung kann Eltern Mut in ihrer Aufgabegeben. Der Glaube der Kinder ist nicht in ihrer Hand. Diereligiöse Praxis, beispielsweise ein Gottesdienst, ist mög-licherweise „lehrreicher“ als Aktionen und Maßnahmen,die die Religion in eine pädagogische Gestaltung bringen.

Ein pädagogisches Konzept der religiösen Erziehungkann alle Eltern einbeziehen, mahnt aber grundsätzlicheBescheidenheit und Zurückhaltung an. In Kontakt mit derReligion bringen – diese Aufgabe ist für religiöse wie nichtreligiöse Eltern Entlastung und Zumutung zugleich. Sieverlangt die radikale Anerkennung des Kindes als eigen-ständiger Person mit einer möglichen eigenen Berufung.Damit kann Fremdwerden und Enttäuschung bei den El-tern verbunden sein, weil Verschiedenheit ertragen wer-den muss. Religiöse Erziehung kann nicht mit dem Zielder Stabilisierung von Beziehungen und Loyalitäten inder Familie unternommen werden.

Christliche Spiritualität für Eltern

Die Trennung von Erziehung und Religion hat zur Fol-ge, dass viele Momente des Lebens im modernen Nach-denken über Erziehung nicht mehr vorkommen. Sie wä-ren nur mit religiösen Sprachformen und religiösem Wis-sen benennbar.

Für Eltern sind damit wesentliche Erfahrungen aus-geklammert. Mit der Ankunft eines Kindes stoßen sie andas Geheimnis des Daseins, an die Verletzlichkeit des

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Lebens. Vieles bleibt rätselhaft: „Wer sind wir? Wer istdieses Kind? Warum gibt es unerwartetes Glück, warumLeiden, warum Tod?“ Als Eltern sind Menschen einbezo-gen in die geradezu ungeheuerlichen Vorgänge Empfäng-nis, Schwangerschaft, Geburt, Liebe. Sie werden meist alsüberwältigend erlebt. Als moderner Mensch muss mandann – oft das erste Mal – die gewohnte Weise zu steuernund zu kontrollieren aufgeben. Eltern wissen nicht, wo-her ihr Kind kommt, wie sein Leben sein wird, was es undsie selbst erwartet – und fühlen sich doch verantwortlichfür Glück und Gelingen. Diese vielen Eindrücke erzeugenVerwirrung, Verwunderung, Freude, vor allem aber Angstund Sorge. Dies ist vermutlich der Hintergrund für die Be-reitschaft vieler Eltern, alle verfügbaren Möglichkeiten zu

nutzen, das Kind zu fördern und den Erfolg der Erzie-hung auf dem Lebensweg vorhersehbar zu machen.

Für diese existenziellen Erfahrungen mit einem Kindhaben wir im Alltag keine Sprache, weil eine andereSprache nötig wäre: die Sprache der Religion.

Eltern- oder Erziehungsspiritualität kann diesen Er-fahrungen wieder eine Sprache geben und damit auch dieWahrnehmungen selbst vertiefen und erweitern. Siekann bekannt machen mit dem biblischen Wissen überGeheimnis und Würde des Menschseins, vor allem überdie erstaunliche Würde des Kindseins. Das Kind, wie esdas Evangelium zeigt, stellt das übliche Denken auf denKopf. Kinder sind im Neuen Testament nicht diejenigen,die viel lernen sollen, und die Eltern nicht diejenigen, diesie viel lehren sollen – schon gar nicht in religiöser Hin-sicht. Kinder sind bereits am Ziel des Heils – ganz so, wiesie sind. Ihnen steht ohne jede vorherige Lernleistung derHimmel offen. Erwachsene hingegen werden aufgefor-dert, sich an den Kindern ein Beispiel zu nehmen. DasHimmelreich ist ihnen sonst verschlossen. Auch sie sol-len (und dürfen) Kind sein. Was für eine unglaubliche Auf-forderung! Dies ist die Gegenrede im aktuellen Erzie-hungsdiskurs, der Lernen, so früh und umfassend wiemöglich, mit pädagogischer Macht und Steuerung zu denRichtpunkten erklärt hat, die Glück und Heil versprechen.

Die biblische Spiritualität zeichnet kein Bild von Kin-dern und Erwachsenen, das außerhalb der Realität liegt.Sie erfindet nicht etwas hinzu. Sie macht in eigener Wei-se und Sprache sichtbar, was alle, die aufmerksam sind,bei jedem Kind sehen können: das Wunder seiner Kraftund seine Schönheit und Einzigartigkeit. Kinder sind Per-sonen in vollem Sinne. Sie können in ihrem Kindseintatsächlich die Erwachsenen lehren.31 Auch Literatur undbildende Kunst können zu diesem Blickwechsel heraus-fordern.32

Biblische Spiritualität kann eine Unterstützung fürEltern sein, die wichtigen Haltungen der Erziehung im-mer wieder zu bewahren: die unbedingte Annahme desKindes, die Achtung seiner Würde, die Aufmerksamkeit,das Vertrauen in das Kind und das gemeinsame Leben,die Dankbarkeit. Dass diese Haltungen für das Gedei-hen von Kindern von größter Bedeutung sind, wissenErziehende und belegen Forschungen – jüngst auch dieHirnforschung.33

Elternbildung hat die Aufgabe, Eltern mit biblischenTexten und spirituellen Deutungen bekannt zu machen –

Knapp Vierjährige stellen vieleschwierige Fragen: Was ist ein Satellit?Warum gibt es alte Leute? Warum arbei-test du, statt mich mittags vom Kindergar-ten abzuholen? Die wirklich unangeneh-men Fragen aber sind die, die man sichselbst immer wieder stellt, ohne eine Ant-wort zu finden: Gegenüber von unseremHaus steht eine Kirche. Am mächtigenTurm hängt weithin sichtbar die Skulptureines ausgemerkelten Mannes mit ausge-breiteten Armen und hängendem Haupt:„Ist das Jesus?“ – „Ja.“ – „Ist Jesus tot?“Da will man mal kurz zwei Liter Milch ausdem Supermarkt holen, und schon wirdman in ein Gespräch über theologischeGrundfragen verwickelt. Ich seufze. Ein kur-zes „Ja“, und das Thema wäre erledigt,aber das bekomme ich nicht über die Lip-pen. Dafür schlummert zu viel kindlicherRestglaube in mir: Als kleines Mädchenwar ich durch und durch gläubig und frohdarüber, einen überirdischen Zweitvater imHimmel zu haben. Sein Sohn und dessenweltrettende Leidensbereitschaft bliebenmir allerdings immer ein bisschen fremd.„Ich weiß nicht“, dazu eine bedeutungs-volle Pause – das wäre ehrlich, aber ichfürchte, es ist keine Antwort, mit der mei-ne Tochter sich zufrieden geben würde.Wäre sie ein paar Jahre älter, könnte ich es

so versuchen: „Einige sind sicher, dass erlebt. Andere meinen, er sei tot, und nurseine Ideen lebten bis heute in den Men-schen weiter.“ Zu kompliziert? In einemMoment wie diesen, wünsche ich mir oft,ich könnte aus vollem Herzen „Nein, erlebt!“ sagen und dann von Gottes Liebeund seinem Sohn erzählen, der Tod undLeid besiegt hat. Von Versagen und Verzei-hen und von einem Ort, an dem wir unsalle eines Tages wiedersehen. Ich würdees so gern glauben. Aber ich kann es nicht.Leider.

Ab und zu gehe ich in die Kirche, aberich komme immer genauso heraus, wie ichhineingegangen bin: mit den, Gefühl. dortam falschen Ort zu sein, um einen Gott zufinden, an den ich von Herzen glaubenkann. Ab und zu bete ich. Ab und zu ma-che ich die Kinderbibel zur Gute-Nachtlek-türe. Neulich habe ich in einem Buch gele-sen, solche sporadischen Kontakte reich-ten nicht aus, um eine Beziehung zu Gortaufzubauen – da müsse man schon mehrZeit und Mühe investieren. Hört sich ziem-lich logisch an. Aber wie soll ich mich aufjemanden einlassen, von dem ich nicht si-cher weiß, dass es ihn gibt? „Ist Jesus tot?“– „Hm“, sage ich, „ wollen wir noch einbisschen auf den Spielplatz gehen?“

Aus: Brigitte

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den Versuch,an etwas zu glauben

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auch ergänzt durch literarische oder andere künstlerischeArbeiten. In allen Inhaltsbereichen und Veranstaltungsfor-men der Elternbildung – von der Geburtsvorbereitung biszum Elternkurs zur Pubertät – lässt sich die spirituelleSicht korrespondierend zu den Aussagen zum Erziehungs-prozess einbringen Das biblische Wissen trifft trotz derMomente von Irritation und Fremdheit – auch bei Erwach-senen – auf ein inneres Wissen. Es ist auch bei nicht religiö-sen Eltern eine Resonanz möglich, wenn das didaktischeVorgehen verschiedene Stufen der Näherung bzw. Di-stanzwahrung erlaubt.

Im Blick auf den Zusammenhang von Erziehung undReligion kann kirchliche Elternbildung ihre unverwech-selbare Stimme und ihr Arbeitsprogramm finden, um El-tern gerade heute in ihrer Erziehungsaufgabe zu unter-stützen. Sie ist in der Lage, einer Erziehungsethik Aus-druck zu geben, Religion als Thema der Erziehung füralle aufzunehmen und Eltern eine Tür zu christlicher Spi-ritualität zu öffnen. Damit kann Elternbildung einen An-teil an der gesellschaftlichen Aufgabe leisten, für Würdeund Schutz der Kinder einzustehen.

AnmerkungenAnmerkungenAnmerkungenAnmerkungenAnmerkungen1 Z. B. DIE ZEIT Nr.53, 22.12.2004 und Nr.20, 12.5.20052 Umfrage des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft Omni

Quest (Bonn) im Auftrag des Kölner Stadtanzeiger, KStA12.04.2005

3 Umfrage des EMNID-Instituts im Auftrag von chrismon, chris-mon April 2005

4 Vgl. Motive des Besuches von Eltern-Kind-Kursen in konfessio-neller Trägerschaft. Ergebnisse einer Teilnehmerbefragung durch-geführt vom Institut für qualitative Bildungsforschung im Auf-trag des katholischen Bildungswerks Bonn, Köln, März 2005

5 „Lebt Jesus?“ In: BRIGITTE Heft 13/2004, 1686 Vgl. Biesinger, A. u.a. (Hg.): Brauchen Kinder Religion? Wein-

heim 2005; zusammenfassender Literaturbericht zur religiösenErziehung in der Familie: Helmchen-Menke, H.: Wenn wir mitKindern Gott entgegenzweifeln. In: Christ in der Gegenwart 152,Nr.19/05

7Vgl. u.a. Oelkers, J.: Religion: Herausforderung für die Pädago-gik. In: Zeitschrift für Pädagogik 38(1992), 185–192; Schmidt-Jenny, A.: Glaube und Erziehung. Zu Verlust und Wiederverge-wissung der religiösen Fragestellung in der Pädagogik. Würzburg1995; Boschki, R./Schlenker, C.: Brücken zwischen Pädagogikund Theologie. Mit Karl Ernst Nipkow im Gespräch. Gütersloh2001; Oelkers, J./Osterwalder, F./Tenorth,: Das verdrängte Erbe.Pädagogik im Kontext von Religion und Theologie. Weinheim,Basel 2003; Schweitzer, F.: Pädagogik und Religion. Eine Einfüh-rung. Stuttgart 2003; Groß, E. (Hg.): Erziehungswissenschaft,Religion und Religionspädagogik. Münster 2004

8 Vgl. u.a. Benner, D.: Allgemeine Pädagogik. Eine systematisch-problemgeschichtliche Einführung indie Grundstruktur pädago-gischen Denkens und Handelns. Weinheim 1987; Loch, W.: Le-benslauf und Erziehung. Essen 1979; Prange, K.: Plädoyer fürErziehung. Baltmannsweiler 2000; Sünkel, W.: Im Blick auf Er-ziehung. Bad Heilbrunn 1994

9 Vgl. auch Buber, M: Reden über Erziehung. Heidelberg 1964, 32ff.10 Vgl. Loch a.a.O., 85ff.11 Vgl.Flitner, A. Konrad, sprach die Frau Mama ... Über Erziehung

und Nicht-Erziehung. Berlin 1982, 96ff.; Buber (a.a.O., 36) weistdarauf hin, dass der Erzieher auch das eigene erzieherische Tunmit den Augen des Kindes betrachten muss („wie das diesemanderen Menschen tut“).

12 Vgl. Tardos, A.: Vom Dialog mit dem Säugling. In: Pikler, E.u.a.(Hg.): Miteinander vertraut werden. Erfahrungen und Gedankenzur Pflege von Säuglingen und Kleinkindern. Freiamt 1997, 99–105; die Frühpädagogik nach Emmi Pikler zeigt, wie in der Pfle-

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ge schon elementare Möglichkeiten der Verständigung mit demSäugling enthalten sind.

13 Vgl. Oelkers, J.: Erziehung als Problem säkularer Gesellschaften.In: Der evangelische Erzieher 44 (1992), H.4, 336–352

14 Vgl. Koerrenz, R.: Die Religion der Reformpädagogen. Weinheim1994

15 Koerrenz, R.: „Vom Kinde aus“ – Nachdenken über einen An-spruch. In: Jahrbuch für Biblische Theologie (JBTh): Gottes Kin-der. Band 17 (2002), 23ff.; Prange a.a.O., 181

16 Vgl. Lutterbach, H.: „Was ihr einem dieser Kleinen getan habt,das habt ihr mir getan...“ Der historische Beitrag des Christen-tums zum „Jahrhundert des Kindes“. In: JBTH a.a.O, 199ff.

17 Vgl. Oelkers, J.: Erziehen und Unterrichten. Grundbegriffe derPädagogik in analytischer Sicht. Darmstadt , 244

18 Vgl. Oelkers 1992, 185–192; Gilles-Bacciu, A.: Erziehung ohneReligion? Anstöße zu einem neuen Nachdenken über religiöseErziehung. In: Kinder in Tageseinrichtungen. Ein Handbuch fürErzieherinnen (KiT) 2.28, Juni 2001, 699–706

19 Vgl. beispielsweise Biesinger a.a.O.; Reinders, A.: Kinder brau-chen Gott. Wie man Kindern Vertrauen ins Leben schenkt. Mün-chen 2001; Grom, B.: Religiöse Erziehung als Lebenshilfe. In:Das Online-Familienhandbuch 2004

20Da auch die religiöse Erziehung in der frühen Kindheit vor allemdas Interesse der Mütter ist, sind auch geschlechtsspezifischeMomente zu bedenken, vgl. Klein, S.: Religiöse Erziehung in derFamilie. In: Bitter, G./Englert, R. Neues Handbuch religionspäd-agogischer Grundbegriffe. München 2002, 297

21 Vgl. Büttner, G.: Religion als evolutionärer Vorteil? In: Katecheti-sche Blätter 30 (2005), H.1, 14–21, Büttner, G./Bucher, A.: Kin-dertheologie – eine Zwischenbilanz. In: Zeitschrift für Pädago-gik und Theologie, H. 1,2005, 35–46

22Cavalletti, S.: Die Katechese vom guten Hirten. Ein Abenteuer.In: JBTh a.a.O., 297

23Vgl. Dolto, F.: Dynamik des Evangeliums Evangelientexte im Ge-spräch zwischen Psychoanalyse und Theologie. Olten 1980, 39;dies.: Der Machteinfluss des Segens auf die psychische Identi-tät. Jaques Pohier interviewt Francoise Dolto. In: Concilium 21(1985), H.2, 130–139

Ich will hier von einer Wochenendveranstaltungmit dem Titel „Wo evangelisch drauf steht, soll auchevangelisch drin sein“ berichten. Wir – die Evangeli-sche Familienbildung Berlin – wollten mit diesem Se-minarangebot KursleiterInnen in der FamilienbildungGelegenheit geben, in einer Atmosphäre ohne Lei-stungs-, Bekenntnis- oder Rechtfertigungsdruck derTatsache ins Auge zu schauen, dass sie ihre Spiel-gruppen, ihre Erziehungstrainings, ihre Gymnastik-und Kochkurse, ihre Gesprächsgruppen unter demDach der Evangelischen Kirche halten. Das Seminarwollte dazu anregen, aus dieser Tatsache Konsequen-zen zu ziehen, hinter denen die teilnehmenden Kurs-leiterInnen ebenso stehen können wie ihre Auftragge-berin, die Evangelische Kirche.

Leider hat diese Veranstaltung nicht stattgefunden,weil es zu wenig Anmeldungen gab. Wir haben statt-dessen die sechs Frauen, die sich für die Fortbildunginteressiert hatten, zu einem abendlichen Gespräch inlockerer Runde eingeladen, eine siebte kam nochdazu. Es war ein gutes Gespräch. Für mich interes-sant zu beobachten war, wie sich das Thema im Ver-lauf des Gesprächs genau umgekehrt hat. Je späterder Abend, desto weniger ging es um „Wo evange-lisch darauf steht, soll auch evangelisch drin sein“,und umso mehr um „Wo evangelisch drin ist, da sollauch evangelisch draufstehen“. Wir werden dieseneue Fragerichtung in einem weiteren Fortbildungsan-gebot aufgreifen. Angedacht ist eine Kreativ-Werkstatt,in der wir versuchen werden, Gestaltungen für Räu-

Gesine Hefft: „Wo evangelisch drauf steht, soll auch evangelisch drin sein“– Bericht über eine Fortbildung für MitarbeiterInnen in der Familienbildung

24Vgl. Gilles-Bacciu, A./Scharr, P.:Religiöse Erziehung mit nichtre-ligiösen Eltern. Argumente und Anregungen für die Elternbildung.Planungshilfen 44, 1999 (hrsg. von der Hauptabteilung Bildungund Medien, Erzbistum Köln)

25Empfehlenswert: www.vertrauen-von-anfang-an.de und Artikel„Religion/weltanschauliche Erziehung“ unter www.elternimnetz.de (Hg. Bayerisches Landesjugendamt) 2002

26Obwohl Mütter zusammen mit ihren Kleinkindern teilnehmen,sind Eltern-Kind-Kurse nicht als (kinder)katechetische Orte zunutzen. Erwartungen dieser Art (z.B. Schnabel, M.: Elementarereligiöse Unterweisung in Eltern-Kind-Gruppen. Online-Famili-enhandbuch. www.familienhandbuch.de, 2004) sind realitäts-fern, verkennen die Teilnehmersituation und die Auswirkungender Mutter-Kind-Beziehung im Kurs. Werden Mütter durch reli-giöse Themen oder Handlungen in Verlegenheit gebracht, regi-strieren die Kinder, selbst Babys, die Befindlichkeit der Mutterund werden beunruhigt.

27Vgl. Prange, K.: Lernen ohne Gnade. Zum Verhältnis von Religionund Erziehung. In: ZfPäd, 42 (1996), 313–322

28Schurr, J.: Von christlicher Erziehung zu unchristlicher Zeit. EinVersuch zur Pädagogik der Offenbarung. In: Harth-Peter, W./Bö-schen, M./Grell, F. (Hg.): Christliche Pädagogik – kontrovers.Würzburg 1986, 156

29Ebd., 15730Vgl. Rebell, W.: Urchristentum und Pädagogik. Stuttgart 1993,

55; ich teile allerdings die Folgerungen Rebells aus diesen Be-fund nicht.

31 Vgl. Spaemann, H.: Orientierung am Kinde. Meditationsskizzenzu Mt 18,3. Freiburg 1999

32Beispielsweise die Skulpturen von Götz Sambale „Kleine Köni-ge“, vgl. Aufsatz von Renate Goretzki über „Kunst in der Famili-enbildung“ in diesem Heft

33Hüther, G: Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für einegelingende Entwicklung. Düsseldorf und Zürich 2001; Bauer, J.:„Warum ich fühle, was du fühlst – Intuitive Kommunikation unddas Geheimnis der Spiegelneurone. Hamburg 2005

kl
Hervorheben