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Bacem Dziri/Amir Dziri (Hg.) Aufbruch statt Abbruch Religion und Werte in einer pluralen Gesellschaft

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Page 1: Aufbruch statt Abbruch - Lesejury · Dieser Band ist im Au rag des Rats muslimischer Studierender und Akademiker e.V. als Teil des Projektes »Zukun bilden!« entstanden. Das Modellprojekt

Bacem Dziri/Amir Dziri (Hg.)

Aufbruch statt Abbruch

Religion und Werte in einer pluralen Gesellschaft

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Dieser Band ist im Aurag des Rats muslimischer Studierender und Akademiker e.V. als Teil des Projektes »Zukun bilden!«

entstanden. Das Modellprojekt Zukun bilden! wird im Rahmen desBundesprogramms »Demokratie leben!« vom Bundesministerium fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Förderer sind

die Stiung Mercator und die Robert Bosch Stiung.

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Satz: de·te·pe, AalenHerstellung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-451-37878-2

www.fsc.org

MIXPapier aus verantwor-tungsvollen Quellen

FSC® C083411

®

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Hatice Durmaz

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Bacem Dziri/Amir Dziri

1. Über Partikularität und Universalität von Werten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Religiöse Pluralität: Vielfalt braucht Dialog . . . . . . . . . . 20Yasemin El-Menouar

Islam im Westen – ein Prüfstein für die Universalität der Werte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42Hansjörg Schmid

Tugend, Wert, Norm – kontextlose Entwicklung? . . . . 63Wolf D. Ahmed Aries

Mündiges Subjekt und kosmopolitische Demokratie 72Micha Brumlik

Über christliche und islamische Menschenbilder – Warum ich als Muslimin der CDU angehöre . . . . . . . . 86Cemile Giousouf

Muslime in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95Ayyub A. Köhler

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2. Was ist (Islam-)Kritik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Die Überhitzung und Verzerrung der »Islamdebatten« 108Floris Biskamp

Political Correctness Reloaded: Zur notwendigenNeuverhandlung des Liberalismus als Metawert derGesellscha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121Kai Hafez

Die (islamische) Welt braucht ein säkulares Narrativ . 139Alexander Görlach

Wir sind nicht nur Muslime! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158Nushin Atmaca

3. Zur Konstruktion von Identität, Autorität und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Selbstbehauptung, Annäherung, Dissens: Die Bedeutung kultureller Anerkennung im Prozess der sozialen Integration Türkeistämmiger in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172Detlef Pollack/Olaf Müller

Von innen nach außen – Muslime zwischen Opferdiskurs und gesellschaspolitischer Teilhabe . . . 197Ali Baṣ

Mittendrin – aber auch in jeder Hinsicht gleichgestellt? 211Gabriele Boos-Niazy

Die Falle schnappt zu: Zur Ambivalenz der muslimischen Identitätskonstruktionen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242Armina Omerika

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Chancen und Herausforderungen für die religiöse Bildung in einer globalisierten Gesellscha . . . . . . . . . 255Fahimah Ulfat

Muslime in Deutschland – Für eine Philosophie derAnerkennung der Differenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266Reza Hajatpour

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Vorwort

Die Welt ist in Bewegung, Europa ist in Bewegung, Deutsch-land ist in Bewegung. Anfang des 21. Jahrhunderts istDeutschland eine plural geprägte Gesellscha. Gerade vordiesem Hintergrund stellen sich die Fragen nach Werten, Traditionen und Identitäten neu. Mündet ein Multikultura-lismus notwendig in einen Wertekonflikt? Welche Rolle spie-len religiöse Wertvorstellungen, und wie sind sie in eineMulti-Options-Gesellscha einzubringen? Woher kommt dieSympathie für das Autoritäre und Extreme, und wie kannsich eine Gesellscha der Mitte dagegenstellen? Was ist Kri-tik, und wie kann sie sinnvoll in den öffentlichen Diskurs ein -gebracht werden?

Der Rat muslimischer Studierender & Akademiker e.V.(RAMSA) bildet eine Plattform zur Meinungsbildung undDiskursförderung von jungen Studierenden und Akademi -kerInnen und beschäigt sich seit seiner Gründung mit Fra-gen, die junge Studierende und AkademikerInnen bewegen.Ziel dabei ist es, progressive Perspektiven auf aktuelle politi-sche und gesellschaliche Diskurse zu entwickeln und dieseaktiv in die Gesellscha zu kommunizieren. Ein besonderesMerkmal unserer Plattform ist dabei die Pluralität der Stim-men, die wir als Chance begreifen und pflegen wollen.

Der vorliegende Band ist im Kontext dieser Bemühungenim Rahmen des Modellprojektes »Zukun bilden!« entstan-den. Mit diesem Projekt, das durch das Bundesprogramm

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»Demokratie leben!« des Bundesministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend gefördert und getragen wird,engagiert sich der RAMSA für einen offenen gesellscha -lichen Austausch. Weitere hervorzuhebende Partner desModellprojekts »Zukun bilden!« sind die Stiung Mercatorund die Robert Bosch Stiung. Wir danken allen mitwirken-den Personen sowie Institutionen, die zur Entstehung diesesBandes beigetragen haben.

Hatice DurmazPräsidentin des RAMSA

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Einleitung

It is certain, in any case, that ignorance, allied withpower, is the most ferocious enemy justice can have.

James A. Baldwin

Konsultiert man die einschlägigen Analysten, gestalten sichihre Einschätzungen zu aktuellen gesellschaspolitischen Fra-gen relativ einhellig. Die Rede ist vom ineinander verflochte-nen Ringen gegenläufiger Dynamiken, von protektionistischerWirtschasordnung und allumfassender Kommodisierung,von autoritärem gegen liberalem Regierungsverständnis odervon der Forderung nach kultureller Homogenität gegen denSiegeszug des globalen Multikulturalismus. Die neoliberaleWirtschasideologie frisst demzufolge ihre gehorsamstenKinder. Als einstiger Musterstaat der Marktliberalisierung undDeregu lierung stimmt Großbritannien jüngst mehrheitlichfür den Austritt aus der EU und damit aus ihrem wettbewerb-lichen Binnenraum. Eine Erklärung dafür lautet: Die EU-weiteArbeit nehmerfreizügigkeit setze klassische Arbeitnehmer-existenzen und Familienmodelle mit Einverdienerhaushaltenso unter Druck, dass ein Großteil der traditionell sozialdemo-kratisch orientierten britischen Arbeitnehmerscha protek-tionistisch wählt. Auch für die Wahl des US-amerikanischenPräsidenten Trump hätten Wählerstimmen der traditionellenArbeiterscha aus dem Rust Belt einen entscheidenden Anteilfür dessen Wahlerfolg gehabt. Die Eigenlogik des Kapitals, im-

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mer wieder neue Absatzmärkte zu erschließen, zerstöre not-wendigerweise Arbeitnehmerbiografien oder untergrabe soli-darische Wertvorstellungen des Sozialstaats. Der progressiveNeoliberalismus transnational agierender Technologie- undDienstleistungsunternehmen bilde eine Allianz, so die US-amerikanische Politologin Nancy Fraser weiter, mit sozialenGleichstellungsforderungen, so wie sie weltweit in offenen Ge-sellschaen vehement und ohne jede Rücksicht durchgefoch-ten würden. Feminismus, Anti-Rassismus, Multikulturalis-mus, LGBTQ* – all dies seien Beispiele dafür, wie sich derprogressive Neoliberalismus beliebig bestimmter Wertehal-tungen bediene, um Marktpositionen zu verteidigen und neueMarktzugänge zu gewinnen. Denn das ist die wesentliche Kri-tik Frasers an aktuellen sozialen Gleichstellungsforderungen;sprich, dass sie in ihren eigenen Mechanismen höchst merito-kratisch und ausgesprochen wenig solidarisch seien. Indivi-dualkapitalistische Lebensmodelle, sozusagen die in alle Le-bensbereiche universalisierte Ich-AG, würden im Deckmantelsozialer Gleichstellung im Grunde nur jener meritokratischenLogik des Kapitals folgen, die sie zu bekämpfen vorgeben.1

e Winner Takes It All? – da ist was dran. Wer über Jahrehinweg im täglichen Kampf um soziale Gleichberechtigunggeworben und gefochten hat, wird schnell zugeben, dass Frasers Beobachtungen nicht unsachgemäß sind. Auch ihreSchlussfolgerung, in einem überhasteten politischen Reflexoder gar apokalyptischer Manier den Neoliberalismus als ein-zige Rettung einem wachsenden Autoritarismus gegenüberzu-stellen, um schließlich alle demokratischen Kräe unter seinerStandarte zu einigen, lässt sich inhaltlich trefflich diskutieren.Fraser plädiert für ein neues soziales Emanzipationsverständ-nis, das sich jenseits der kapitalistisch vereinnahmten Vorzei-chen von Leistung, Diversität und Empowerment bewegt undsoziale Integration unter den neuen Bedingungen postsäkula-

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rer Gesellschaen denkt und herstellt. Sie beschreibt damiteine grundlegende Krise der sozialdemokratischen Politik, deres nicht mehr gelinge, ihre zentralen Werte und Botschaen andie Menschen zu bringen. Kritisch wird Frasers Analyse, wennsie die aktuelle US-amerikanische Präsidentscha als über - fälli gen Bruch zwischen Finanzkapitalismus und Emanzi pa -tions forderungen willkommen heißt. Trump als frühlings-hae Erweckung, als langersehnte und heilvolle historischeErfrischung, die den korrupten Mechanismen der kapitalisti-schen Selbstverständlichwerdung entschlossen entgegentritt?Mit dieser Wahrnehmung stößt Nancy Fraser auf. Zum einenverharmlost sie damit die Situationen derjenigen, die tatsäch-lich aufgrund welcher Zu schreibungen auch immer unterUngleich behandlung täglich zu leiden haben. Zum anderenerhärtet Fraser mit dieser Wahrnehmung tatsächlich selbsteine Zuspitzung der Antagonismen Neoliberalismus und Au-toritarismus. Die kapitalistische Durchdringung vermeintlichemanzipatorischer und solidarischer Gleichstellungsbewe-gungen ist die eine Seite der Medaille; die andere ist die bittereRealität vieler sozial Marginalisierter, die da lautet: Vor demKapital, und nur vor dem Kapital sind wir alle gleich. Es ist fürMenschen, die im Hinblick auf eine bestimmte Kategorie zurunhinterfragbaren Normalität und Normativität gehören,kaum möglich nachzuvollziehen, was es für sozial Marginali-sierte be deutet, festzustellen, dass das Versprechen absoluterGleichheit am ehesten von einer kapitalistischen Weltsicht ge-halten wird. Und es sagt sehr viel darüber aus, wie allgemeineGrund- und Menschenrechte tatsächlich in den jeweiligenglobalen Gesellschaen verankert sind. Frasers Eintreten füreine neue solidarische Graswurzelbewegung ist unbedingtbeizupflichten. Dieses Eintreten darf vorangegangene Ver-säumnisse aber nicht unterschlagen oder gar jenen anlasten,die am wenigsten Anteil daran haben.

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Was hat das alles mit Muslimen zu? Es ist für sich bereitsaussagekräig, dass eine solche Einführung in die ematiküberrascht. Während weltweite Gesellschasanalysen penibelausdifferenzierten soziopolitischen Deutungskategorien fol-gen, stößt man überall dort, wo Muslime eine signifikante ge-sellschaliche Gruppe darstellen, auf nur eine Analysekatego-rie, und das ist ihre Religion. Es ist bezeichnend, wenn in eineraktuellen und viel rezipierten Publikation zur »Internationa-len Debatte über die geistige Situation der Zeit«2 von den USAbis nach Indien über ein Dutzend Beobachter die innergesell-schalichen und globalen Spannungen zwischen konkurrie-renden Wirtschas- und Regierungsordnungen scharfsinnigreflektieren, jedoch keine einzige Position aus einem Land mitsignifikanter muslimischer Bevölkerung anzutreffen ist. Diezeitgenössische soziopolitische Analyse macht einen großenBogen um diese Erdteile, um nur umso nachdrücklicher fest-zustellen, welche zentrale Rolle die Religion in diesen Ländernspiele. Hätte es denn keine sinnvolle soziopolitische Perspek-tive auf Gesellschaen mit muslimischen Mehrheiten gegeben,die nicht den unbestrittenen Einfluss des Symbolsystems desIslams in diesen Ländern unterschlägt, aber zumindest den-noch in einem vernünigen Verhältnis zwischen politischenMachtstrategien, ökonomischen Antriebskräen und Vertei-lungskämpfen und gesellschalichen Werteorientierungen zudifferenzieren weiß? Wäre ein solcher Zugang zu so gänzlichanderen Einschätzungen gekommen, als wie sie für Gesell-schaen in den USA, Italien oder Indien formuliert sind?

Das Versäumnis ist jedoch nicht einseitig. Man muss esklar festhalten: Die Anzahl muslimischer Intellektueller, diesich auf Augenhöhe zu globalen Herausforderungen kon-struktiv und intersubjektiv zugänglich zu artikulieren vermö-gen, ist gering. Und dennoch scheinen in diesem Kontext imHinblick auf den Islam zwei Phänomene als unverhältnismä-

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ßig und daher prägnant. Zum einen betri es die Fetischisie-rung der Deutungskategorie Religion, spezifischer: Islam, inallen Wahrnehmungen und Bewertungen von Haltungenund Handlungen von Menschen, die in mehrheitlich musli-mischen Ländern leben oder aus diesen Ländern kommen.Andere Bewertungsmaßstäbe wie soziale Zugehörigkeit,politische Orientierung, Bildung oder biografisch bedingteWertedispositionen werden als Deutungskategorien im Vor-hinein weitestgehend ausgeschlossen. Innerhalb einer sol-chen Perspektive zum Ergebnis zu kommen, der Islam domi-niere das Denken und Handeln jener Gesellschaen, bis hinzur Feststellung einer totalen oder faschistischen Religion, istfolgerichtig, wenn man keinen anderen Maßstab zur Wahr-nehmung nahöstlicher Gesellschaen zulässt, mit Blick aufihre Sachmäßigkeit allerdings äußerst zweifelha. Auf deranderen Seite spiegelt sich diese europäische Fetischisierungdes Islams als absolute Ordnungsgröße muslimischer Gesell-schaen in einer orientalischen Fetischisierung des Islamswider, die den Islam nur allzu gerne und gerade genau als ein-zige absolute Ordnungsgröße muslimischer Gesellschaensehen würde und ihrerseits in einer essenzialistischen Rein-heitsideologie jegliche Ansätze der historischen Genese oderkulturellen Verflechtung leugnet. Wird in beiden Perspekti-ven die Wirkungskra des Islams hier nicht grotesk über-schätzt? Schlägt das Überangebot von Werteorientierungenin offenen Gesellschaen nicht in eine Überstilisierung dernormativen Bindungskra des Islams um, die anschließendentweder als Bedrohung oder als alternatives Lebensmodellgewertet wird? Und bedient die Überstilisierung des Islams beiMenschen nahöstlicher Herkun nicht die aktuelle Sehnsucht,nach Jahrhunderten der zivilisatorischen Unbedeutsamkeitendlich wieder auf Zuwendung, wenn auch ablehnende, zustoßen? Es geht hier nicht darum, zu unter minieren, dass der

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Islam in seinem Lehrverständnis ein dominantes Symbol -system aufweist und dieses religiös wie kulturell veranschlagt;die islamische Welt bliebe die islamische Welt auch ohnewechselseitige Spiegelungen zu anderen Zivilisationsräumen.Es geht hier um eine Justierung der aktuellen Wahrnehmun-gen, die unter dem Bedürfnis nach Abgrenzung und konstru-ierter Differenz geschehen.

Das zweite Phänomen, das es sinnvoll erscheinen lässt, dieseEinführung in einen übergeordneten soziopolitischen Kontextzu stellen, besteht in einem äußerst unheilvollen Umstand, dendie sogenannte Islamdebatte in unterschiedlichen Graden ineuropäischen Gesellschaen eingenommen hat. Denn siescheint zu einem Prisma zahlreicher Aushandlungsprozessepostsäkularer Gesellschaen geworden zu sein, die weit überden vermeintlichen emengegenstand hinausgehen. Es sindSpannungen zwischen dem grundsätzlichen Verhältnis vonReligion und Öffentlichkeit, von kultureller Homogenität undÖffnung, zwischen sozialer Solidarität und dem Prinzip derLeistungsgerechtigkeit, dem Verhältnis von globalem Marktund internationaler Migration oder der Relation von Demo-kratie und Liberalismus. Gerade die versessene Bezugnahmealternativer politischer Bewegungen in europäischen Ländernmacht deutlich, wie sehr die Islamdebatte zu einer in mehrfa-cher Hinsicht symbolisch aufgeladenen Plattform grundsätzli-cher postsäkularer Fragestellungen geraten ist, die weit überden Betreff Muslime hinausreicht. Die Gründe dafür sind spe-kulativ, aber eventuell lassen sie sich in folgenden Merkmalenerhärten: Muslime sind äußerlich überwiegend (und allzu oauch vermeintlich) erkennbar, migrations- und integrations-politisch relevant, haben offenbar ein anderes Verständnis vongelebter Religiosität, und im Weiteren des Verhältnisses vonReligiosität und Öffentlichkeit, und scheinen unnachgiebigund lautstark Forderungen zu stellen. In großen Teilen speziell

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der deutschen, allgemeiner der europäischen Öffentlichkeiten,wird unmittelbar zu verstehen gegeben: Muslime nerven (imÜbrigen genauso, wie es Muslime nervt, sich permanent in ih-rer Religion erklären zu müssen). Und auch hier sind die Ursa-chen dieser Eindrücke nicht einseitig zu schlussfolgern. Ge-lingt es Muslimen in offenen Gesellschaen nicht, vermehrtaufzuzeigen, dass sie in der Lage sind, ihre vielschichtigenIdentitäten nach Innen differenziert zu reflektieren, diese imHinblick auf lokale Sprache und Symbolik hin zu adaptierenund ihre Wahrnehmungen und Bewertungen in gesamtgesell-schalicher Verantwortlichkeit und intersubjektiv zugängli-cher Art und Weise zu artikulieren, werden sie unabhängig ihres faktischen Integrationsgrades als unzugänglich undeventuell als gesellschaliche Belastung betrachtet. Fehlt aufder anderen Seite die Bereitscha, muslimische Identitäten inunterschiedlichen Facetten zu erkennen, die sie haben, als Bür-gerinnen und Bürger, Arbeitnehmer und -geber, als politischheterogene Gruppe, in unterschiedlichen Sozialisationen undbiografischen Umständen und selbstverständlich auch in un-terschiedlichen religiösen Ausprägungen und Interpretatio-nen, verharrt ihre Wahrnehmung prinzipiell suggestiv, ten-denziös und unsachgemäß.

»Auruch statt Abbruch. Religion und Werte in einer plu-ralen Gesellscha« sieht sich diesem Leitgedanken verpflich-tet und spiegelt ihn in den Beiträgen der Autorinnen undAutoren weitestgehend wider. Es ist der maßgebliche Versuch,muslimische Stimmen aktiv in die aktuelle Wertedebatte, sowie sie gerade erst wieder im Frühjahr 2018 in Deutschlandprominent befeuert wird, einzubringen und damit dem kon-ventionellen Mantra der seit dem Ende des 19. Jahrhundertswährenden Krisen- und Reformliteratur zum Islam zu entflie-hen. Unmittelbar daraus erkennbar werden eine breite Varianzan Zugängen, Perspektiven und Positionen, aber bewusst auch

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streitbare und provokante Aussagen und Einstellungen. DerBand eröffnet Perspektiven organisierter und nichtorganisier-ter Muslime, wertprogressiver wie werttraditioneller Grund-haltungen sowie unterschiedlicher biografischer Hintergrün -de und unterschiedlichen Alters. Weitere Positionen werdenvon politisch in unterschiedlichen Parteien engagierten Mus-limen eingebracht, wobei hier ausdrücklich zu bedauern ist,dass eine sozialdemokratisch nahe Position trotz größter An -strengung nicht realisiert werden konnte. Eine zweite Ebeneder Perspektiven bilden wissenschalich unterlegte, stilistischjedoch als Diskussionspositionen festgehaltene Beiträge ausden Bereichen der Soziologie, der Medien- und Politikwissen-schaen, der Religionspädagogik sowie allgemeiner der Isla-mischen eologie.

Bacem Dziri/Amir Dziri Osnabrück/Freiburg i.Ü. 2018

Anmerkungen

1 Fraser, Nancy (2017): Vom Regen des progressiven Neoliberalismus indie Traufe des reaktionären Populismus, in: Geiselberger, Heinrich(Hg.): Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geis-tige Situation der Zeit, Berlin, S. 77–91.

2 Geiselberger, Heinrich (Hg.) (2017): Die große Regression. Eine inter-nationale Debatte über die geistige Situation der Zeit, Berlin.

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Über Partikularität undUniversalität von Werten

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Religiöse Pluralität: Vielfalt braucht DialogYasemin El-Menouar

1. EinleitungDer Islam gehört zu Deutschland. Das ist keine Frage, son-dern eine Tatsache. Weltreligionen haben ihren Platz in dermodernen Gesellscha. Aufgeklärt und beim Glauben tole-rant zu sein, das ist kein Widerspruch, sondern geht zusam-men. Zumal das Grundgesetz die Religionsfreiheit und diereligiöse Neutralität des Staats garantiert. Allerdings zeigendie Forschungsergebnisse des Religionsmonitors der Bertels-mann Stiung, dass zwischen der Wahrnehmung des Islamsin der Mehrheitsgesellscha und der von den Muslimen inDeutschland tatsächlich gelebten Religion eine große Lückekla (Kapitel 2 und 3). Die Folgen dieser Wahrnehmungs-verzerrung äußern sich in zahlreichen Islamdebatten, die umeine »Integrationskrise« kreisen, die sich in weiten Teilennicht aus empirischen Daten erhärten lässt. Dazu zählt bei-spielsweise der Streit um Kopuch, Burka und Burkini (Kapi-tel 4).

Von diesen Befunden ausgehend wird in diesem Beitragargumentiert, dass die auf der religiös-politischen Ebene ange-siedelten Debatten, die von der eher archaischen Denk figurvom Wir und die Anderen beherrscht werden, den Um gangmit der kulturell und religiös-pluralistischen Wirklichkeit mo -derner Demokratien mehr behindern als fördern (Kapitel 5).

Deshalb wird in diesem Beitrag dafür plädiert, dem partikulären Wir, das einer Sprache und dem Denken der

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Homogenität verhaet ist, ein allgemeineres, dynamischesWir entgegenzustellen, das kulturelle, religiöse und sozialeUnterschiede anerkennt. Eine solche dynamische Anerken-nungskultur braucht den Austausch und die Auseinanderset-zung, aus denen heraus das Miteinander gestaltet wird.Längst gehört der Islam zur europäischen Vielfalt; nun geht esdarum, Muslimen auch entsprechendes Gehör im laufendenProzess des Aushandelns von Gemeinsamkeiten zu verschaf-fen. So entstehen neue »große Erzählungen«, die in der Lagesind, einen neuen Gemeinsinn zu begründen, der den unter-schiedlich kleinen und großen Zugehörigkeiten eine Basis fürdas Zusammenleben bietet (Kapitel 6).

Voraussetzung dafür ist, dass an die Stelle des aufgereg-ten Nebeneinanders der Monologe in den Islamdebatten einkontinuierlicher Dialog tritt – und zwar auf innerreligiöser,interreligiöser und gesamtgesellschalicher Ebene (Kapitel7). In diesem Zusammenhang werden abschließend die Vor-schläge der Bouchard-Taylor-Kommission darauin befragt,welche Impulse sie für das Miteinander in einer zunehmendpluralisierten Gesellscha liefern (Kapitel 8).

2. Verzerrte IslamwahrnehmungEine Mehrzahl der nichtmuslimischen Deutschen sieht denIslam heute als Gefahr. Mehr als jeder Zweite stu die Reli-gion als Bedrohung ein. In Deutschland war die Ablehnungdes Islams schon 2012 größer als etwa in Großbritannien oderFrankreich. 53 Prozent der nichtmuslimischen Befragten imReligionsmonitor der Bertelsmann Stiung hielten damalsden Islam für »sehr bedrohlich« oder »bedrohlich«. ZweiJahre später waren es bereits 57 Prozent. Die Ablehnung desIslams nimmt in Deutschland also zu.1

Noch deutlicher ist der islamskeptische Trend bei der Fragespürbar, ob der Islam in die westliche Welt passe. 61 Prozent

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der 2014 befragten nichtmuslimischen Deutschen meinten»eher nicht« oder »gar nicht« – eine Steigerung von neun Prozentpunkten im Vergleich zur Befragung für den Religions-monitor 2012. Lediglich ein Viertel der deutschen Bevölke-rung nahm den Islam 2014 noch als Bereicherung wahr.

Laut den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage, die dasMonatsmagazin Cicero im Juni 2017 in Aurag gegeben hatte,nimmt die Islamskepsis immer noch weiter zu. Nicht einmaljeder sechste Deutsche (17,9 Prozent) ist demnach derzeit derMeinung, dass der Islam zu Deutschland gehört. Zwei Drittelder Befragten (64,2 Prozent) lehnen diese Aussage des frühe-ren Bundespräsidenten Christian Wulff und der Bundeskanz-lerin Angela Merkel mittlerweile ab.2

Dabei meinten 85 Prozent der Anders- und Nichtgläubigenim Religionsmonitor, sie stünden anderen Religionen sehrtolerant gegenüber. Das scheint aber nicht für den Islam zugelten. Die Islamwahrnehmung läu der behaupteten eige-nen Akzeptanzfähigkeit zumindest diametral zuwider. Davonzeugt nicht zuletzt das regelmäßige Wiederaufflammen einerinzwischen längst religiös akzentuierten Leitkulturdebatte.Zuletzt ist es der ehemalige Bundesinnenminister omas deMaizière gewesen, der Ende April 2017 »Zehn esen« prä-sentierte, auf die sich angeblich alle in Deutschland einigenkönnen.3 Tatsächlich definiert der Begriff der Leitkultur je -doch eher, wer dazu gehört und wer nicht. Zwischen aufge-klärter Gesellscha und Islam wird so eine symbolischeGrenze gezogen.

Muslimische Religiosität findet sich heute im Fokus ver-schiedener Diskurse wieder, die den Islam problematisieren.Die deutsche Mehrheitsgesellscha nimmt den Islam in ersterLinie nicht als Religion wahr, sondern vor allem als einedemokratiefeindliche und extremistische Ideologie.4 Durchessenzialistische Argumentationen und kulturalistische Fehl-

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schlüsse ist das vielschichtige Spektrum muslimischer Strö-mungen und Lebenswelten schon lange aus dem Blickfeldgeraten. Dadurch ist es kaum mehr möglich, zwischen Islamund Extremismus, zwischen gut integrierten, frommen Mus-limen und Fanatikern zu unterscheiden. Stattdessen wird einhomogener, unveränderlicher Islam imaginiert, der in dieserreduzierten Form zur Projektionsfläche für Ängste und letzt-lich zum Feindbild taugt.

3. Die Realität muslimischer LebensweltenMisst man die Wahrnehmung muslimischer Religiosität, wievon Anders- und Nichtreligiösen angenommen, an der selbstausgesagten religiösen Lebenspraxis von Muslimen, entpupptsich eine solche Fremdwahrnehmung des Islams allerdingsschnell als Trugbild. Denn tatsächlich steht die Mehrheit deretwa 4,5 Millionen Muslime dem Land und seiner nichtmus-limischen Bevölkerung offen gegenüber.5 Für sie ist Deutsch-land längst Heimat. Und ihre Religion ist ihnen vor allemeins: eine wichtige Ressource, aus der sie die Kra für ihrenAlltag schöpfen. Umgekehrt bereichern Muslime mit ihrergelebten Religiosität die Diversität in Deutschland. So ist etwadas Fastenbrechen während des Ramadans mittlerweile einTeil der deutschen Alltagswirklichkeit.

Forschungsergebnisse aus dem Religionsmonitor belegendas eindrucksvoll.6 So halten 80 Prozent der muslimischenBefragten die Demokratie für eine gute Regierungsform.Unter den hochreligiösen Muslimen sagen das sogar 90 Pro-zent. Neun von zehn Befragten haben in ihrer Freizeit Kon-takt zu Nichtmuslimen. Jeder Zweite hat sogar mindestensgenauso viele Kontakte mit Nichtmuslimen wie mit Musli-men. Offenkundig haben sich Muslime an den Mainstream inDeutschland mehr angenähert, als es die Leitkulturdebattenvermuten lassen.

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Die Geschlechterrollenstudie im Aurag des Bundesamtsfür Migration und Flüchtlinge von 20137 hat zudem gezeigt,dass sich muslimisch fromm und politisch liberal keineswegsausschließen müssen. 83 Prozent der befragten Muslimesehen in der Gleichberechtigung der Geschlechter einen festverankerten Wert. 44 Prozent der muslimischen Frauen wün-schen sich eine Erwerbstätigkeit in Vollzeit. Und 60 Prozentder Muslime befürworten die gleichgeschlechtliche Ehe. Vonden hochreligiösen Befragten mit eher festen Glaubens-grundsätzen sind es immerhin noch 40 Prozent. Diese Zahlenbelegen, dass Religion und Religiosität nicht liberalitätshem-mend interpretiert werden können.

Die Klu zwischen der eigenen Alltagsrealität und demverzerrten Stimmungsbild in der Öffentlichkeit erfahren vieleMuslime in Deutschland als Ausgrenzung. Sie leiden unterdem negativen Image ihrer Religion, das von emen wieTerror, Kriminalität, Frauenfeindlichkeit, Demokratiedistanzund Parallelgesellschaen geprägt wird. Die große Binnen-vielfalt des muslimischen Lebens, die bisherigen Integrati-onsleistungen und die zivilgesellschalichen Beiträge werdenhingegen kaum zur Kenntnis genommen. Statt den muslimi-schen Beitrag zur Diversität in Deutschland anzuerkennen,wird ein kultureller Anpassungsdruck auf Muslime erzeugt.Solche Forderungen und Überforderungen hemmen aberden Austausch und die Auseinandersetzung, die für eine plu-ralistische Gesellscha lebenswichtig sind.

Muslime erleben ihren Alltag häufig sehr spannungsreich.Nicht selten begegnen sie latenten und manifesten Stereo -typen bis hin zur offenen Ablehnung. Das islamfeindlicheMilieu, das sich insbesondere seit dem »Karikaturenstreit«2005/2006 bis weit in die gesellschaliche Mitte auch inDeutschland etablieren konnte, macht sich diese Spannun-gen zunutze und instrumentalisiert sie. Der Neuen Rechten,

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