behandlungsfehlerbegutachtung der medizinischen...
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PD Dr. med. Max SkorningLeiter Stabsstelle Patientensicherheit24. September 2016
Behandlungsfehlerbegutachtung der Medizinischen Dienste: Relevanz für die Anästhesie?
Interessenkonflikte? Nein!
24. September 2016 Seite 2 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Offenlegung finanzieller Interessen des Autors für den o. g. Vortrag
□ P – Produkt
□ I – Investor
□ B – Berater
□ K – Keine: Keine Interessenskonflikte; keine kommerzielle Unterstützung der vorgelegten
Arbeit in irgendeiner Form
Interessen? JA, unbedingt!
24. September 2016 Seite 3 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Relevanz der Medizinischen Dienste?
... für die Anästhesie?
Anzahl jährlich begutachteter Fälle
0
2.000
4.000
6.000
8.000
10.000
12.000
14.000
16.000
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
14.828
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 4
Begutachtung der 14.828 vorgeworfenen Fälle:
Eine zentrale Frage mit drei Aspekten ist zu prüfen!
Liegt ein Fehler vor, der einen Schaden verursacht hat?
Fehler 4.428 4.064 3.156
Schaden Kausalität
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 5
Gutachterliche Ergebnisse zu 14.828 vorgeworfenen Fällen
Vorwurfnicht bestätigt
4.046 Behandlungsfehler (mit Schaden)
21,3%
27,3%72,7% Kausalität für Schaden
nachgewiesen
Kausalität unklar
keine Kausalität
Fehler ohne Schaden
2,6
%70,1%
kein Fehler
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 6
Vorwürfe nach Sektoren*
29,6%
70,4%
Behandlungsfehler mit Schaden
Vorwurf nicht bestätigt
33,1% 66,9%
26,1%
73,9%
Behandlungsfehler mit Schaden
Vorwurf nicht bestätigt
ambulant4.905
stationär9.899
* 24 Fälle Rettungsdienst/Krankentransport
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 7
32%
11%
11%
9%
7%5%
25%
Verteilung der Vorwürfe auf die Fachgebiete
Innere Medizin und Allgemeinmedizin
1.627 Fälle (25,8% festgestellte Fehler)
Allgemein- und Viszeralchirurgie
1.551 Fälle (27,8% festgestellte Fehler)
Orthopädie und Unfallchirurgie4.695 Fälle
(28,3% festgestellte Fehler)
Frauenheilkunde und Geburtshilfe
1.078 Fälle (27,6% festgestellte Fehler)
Zahnmedizin (inkl. Oralchirurgie und
Kieferorthopädie)
1.349 Fälle (39,7% festgestellte Fehler)
Pflege768 Fälle
(52,5% festgestellte Fehler)
33 weitere Fachgebiete3.760 Fälle
(27,0% festgestellte Fehler)
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 8
41%
19%
11%
8%
21%
Stationär Krankenhaus - OP
AmbulantPraxis/MVZ
StationärKrankenhaus - Normalstation Ambulant
Praxis/MVZ - OP
Verteilung der Vorwürfe auf Behandlungsorte
Alle weiteren Behandlungsorte
Stationär - Krankenhaus sonstiger Bereich
4%
Stationär - Pflegeheim 3%
Stationär - Krankenhaus Intensivstation/IMC
3%
Ambulant - Krankenhaus OP
2%
Stationär - Krankenhaus Kreißsaal
2%
Stationär - Krankenhaus Notaufnahme
2%
SonstigeBehandlungsorte
5%
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 9
Diagnosen Fälle festgestellteFehler
Quote
Kniegelenksverschleiß 580 130 22,4%
Hüftgelenksverschleiß 531 128 24,1%
Zahnkaries 369 150 40,6%
Bruch des Oberschenkels 326 109 33,4%
Krankheiten des Zahnmarks und der Zahnwurzel 324 127 39,2%
Sonstige Bandscheibenschäden 248 62 25,0%
Bruch des Unterschenkels 238 81 34,0%
Sonstige Krankheiten der Zähne 224 110 49,1%
Rückenschmerzen 218 92 42,2%
Bruch des Unterarmes 211 68 32,2%
Bruch im Bereich der Schulter und des Oberarmes 203 65 32,0%
Schulterläsion/-verletzung 189 40 21,2%
Die häufigsten Behandlungsanlässe
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 10
Fehler nach führendem Verantwortungsbereich
31%
25%
9% 7%
6%
6%
16%
Operative Therapie
Befunderhebung
InterventionelleTherapie
Pflege
Medikamentöse Therapie
Erkennen und Beherrschen von Komplikationen
Alle weiteren Verantwortungsbereiche
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 11
Fehlerarten
39%
1%
38%
8%
3%
11%
Maßnahme nicht
durchgeführt
trotz Möglichkeit, Zumutbarkeit, Verfügbarkeit
nicht verfügbar
Maßnahme zu spät
durchgeführt
Maßnahme fehlerhaft
durchgeführt
falsche Maßnahme
durchgeführt
kontraindiziert
nicht indiziert, wenig
erfolgversprechend
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 12
34%
32%10%
11%
8%
1%
4%
Gesundheitsschaden bei kausalem Fehler
Vorübergehender Schaden
Intervention notwendig
Vorübergehender Schaden
Krankenhausaufenthalt notwendig oder verlängert
Dauerschadenleicht
Dauerschadenmittel
Dauerschadenschwer
Lebensrettende Maßnahme
Tod
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 13
➞ Eine simple Antwort: „Never Events“
➞ Folgenschwer und prinzipiell vollständig vermeidbar
➞ Z.B. Verbliebene Fremdkörper; Verwechslungen (Seite, Patient,
Medikament); offensichtliche, hohe Risiken nicht beachtet …
➞ Kein Hinweis auf besonders „schweres“ Verschulden eines Einzelnen,
sondern auf systematisch bestehendes Risiko
Heterogenes, oft komplexes Fehlergeschehen
24. September 2016 Seite 14 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Wo also besonders hinsehen, wie Prioritäten erkennen?
Never Event AnzahlHochgradiger Dekubitus während stationärem Aufenthalt erworben 71Intraoperativ zurückgelassener Fremdkörper 35Tod oder schwerer Schaden durch Kommunikationsproblem oder fehlende Nachkontrolle einer Labor- oder pathologischen/radiologischen Untersuchung
18
Tod oder schwerer Schaden durch fehlendes Monitoring und/oder fehlende Reaktion auf sinkende Sauerstoffsättigung
16
Tod oder schwerer Schaden durch einen Medikationsfehler, also falsches Medikament, falsche Dosis, falscher Patient, falscher Zeitpunkt, falsche Applikationsgeschwindigkeit, falsche Zubereitung, falscher Applikationsweg
15
Operation/Maßnahme am falschen Körperteil (Verwechslung!) 14falsche Operation/Maßnahme durchgeführt (Verwechslung!) 14Tod oder schwerer Schaden durch Sturz eines Patienten in stationärer Einrichtung 7Falsches Implantat, falsche Prothese (Verwechslung!) 4Tod oder schwerer Schaden des Neugeborenen im Geburtsverlauf ohne vorbekannte Risikoschwangerschaft
4
Tod oder schwerer Schaden durch Suizid(-versuch) eines Patienten in stationärer Einrichtung 3
Inadäquate orale Methotrexat-Applikation 3
Tod oder schwerer Schaden in direktem Zusammenhang mit einem Unfall in med. Einrichtung 3
Fehlplatzierung einer oro- oder nasogastralen Sonde vor Nutzung nicht bemerkt 2
Tod oder schwerer Schaden durch „geflüchteten“ Patienten aus stationärem Aufenthalt 2
Intravenöse Injektion einer falschen Kalium-Konzentration/Dosis 2Weitere Einzelereignisse (siehe Seite 25 in Jahresstatistik) 12
gesamt 225
24. September 2016 Seite 15 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
ÜbersichtBegutachtung von Behandlungsfehlervorwürfen in der Anästhesie
24. September 2016 Seite 16 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Vorwürfe Fehler Fehler + Schaden Fehler kausal
Fallzahl Gutachten insg. 246 82 (33,3%)
7861
5 nicht kausal 12 unklar
Fallzahl Arztpraxis 22 6(27,3%)
5 32 unklar
➞ Kein Hinweis auf allgemeine Sicherheit bzw. Fehlerhäufigkeit in der
Anästhesie
➞Weitere Begutachtungen mit Anästhesie-Beteiligung möglich bei
führender Codierung des operativen Fachgebietes
ÜbersichtBegutachtung von Behandlungsfehlervorwürfen in der Anästhesie
24. September 2016 Seite 17 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Vorwürfe Fehler Fehler + Schaden Fehler kausal
Fallzahl Gutachten insg. 246 82 (33,3%)
7861
5 nicht kausal 12 unklar
Fallzahl Arztpraxis 22 6(27,3%)
5 32 unklar
Kausale Fehler Sturz von Aufwachraumliege postop. mit
Nasenbeinfraktur Unzureichender Augenschutz während
der Narkose, welcher zu einer Austrocknung und Erosion der Hornhaut führte
Bronchospasmus nach Narkoseeinleitung: keine Absaugung durch ET-Tubus, kein Beta-Mimetikum oder Ipratropiumbromidverabreicht
Unklare Fälle Medikament in falscher
Dosierung an Patient abgegeben
Bei klinisch bestehendem akuten Abdomen Diagnostik und Therapie nicht zeitgerecht und nicht vollständig eingeleitet
Vorwürfe Fehler Fehler + Schaden Fehler kausal
Fallzahl Gutachten insg. 246 82 (33,3%)
7861
5 nicht kausal 12 unklar
Fallzahl Arztpraxis 22 6(27,3%)
5 32 unklar
ÜbersichtBegutachtung von Behandlungsfehlervorwürfen in der Anästhesie
24. September 2016 Seite 18 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Kausale Fehler stationär Nicht fachgerechte ZVK-Entfernung nach LTX mit Luftembolie, CPR, schwerste
Hirnschädigung Ampullen verwechselt, überdosierte Testdosis, hohe SPA, CPR, gutes Outcome Resp. Insuff. im AWR, Reintubation, unerkannte Fehlintubation, hypoxischer Hirnschaden Zu lange unerkannte resp. Insuff. im AWR, CPR, Exitus Cefuroxim trotz bekannter Allergie, anaphylaktischer Schock ...
Weitere Informationen?
24. September 2016 Seite 19 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
www.mds-ev.de
Kapitel 4.3.5: Transparenz und Patientensicherheit[Gesundheit in Deutschland, 2006]
„Bisher fehlen zuverlässige Zahlen zur Häufigkeit von Behandlungsfehlern.Behandlungsfehler, Versorgungsfehler und Organisationsmängel sind in den vergangenen Jahren international zunehmend ins Zentrum des Interesses gerückt. Allerdings fehlt in Deutschland eine einheitliche und zusammenfassende Darstellung der Zahl vermuteter oder tatsächlich nachgewiesener medizinischer Behandlungsfehler. Die Zahlen der Haftpflichtfälle der Versicherungen oder der von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern behandelten Vorwürfe besitzen eine große Dunkelziffer.“
Und 10 Jahre später …?
Gesundheitsberichterstattung des Bundes
24. September 2016 Seite 22 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Der vielzitierte Eisberg
24. September 2016 Seite 23 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
* Nachzulesen bei: Matthias Schrappe. Qualität 2030. Download verfügbar unter www.gesundheitsstadt-berlin.de
Fehler nicht erkannt bzw. nicht vorgeworfen
Anerkannte Behandlungsfehler
IOM-Report „To err is human“
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 24
„A nationwide mandatory reporting system should be established thatprovides for the collection of standardized information by state governmentsabout adverse events that result in death or serious harm.“
Erfassung fehlerbedingter Schäden international ...
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 25
24. September 2016 Seite 27 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Die Spitze des Eisbergs liegt im Nebel
Schlichtungsstellen der Ärztekammern Medizinische Dienste (MDK/MDS)
24. September 2016 Seite 28 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
„One accuratemeasurement is worth a thousand expert opinions.“
Grace Hopper, Pionierin der Computerwissenschaften und Navy-Admiralin
Auf dem Weg erforderlich? Mehr Transparenz über Anzahl, Art und zeitliche Entwicklung anerkannter Behandlungsfehler
Patientensicherheit – der Weg ist das Ziel
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 29
...und erst recht aus fehlerbedingten Schäden!
24. September 2016 Seite 30 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
„Lernen“ heißt Präventionsmaßnahmenableiten, lehren, anwenden, überprüfen und fortentwickeln!
Richtlinie des G-BA zum Qualitätsmanagement sektorenübergreifend, noch nicht in Kraft
24. September 2016 Seite 32 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
www.g-ba.de
„Bei operativen Eingriffen, die unter Beteiligung von zwei oder mehr Ärztinnen bzw. Ärzten oder die unter Sedierung erfolgen, werden
OP-Checklisten eingesetzt. Diese OP-Checklisten sollen einrichtungsspezifisch entwickeltund genutzt werden sowie alle am Eingriff Beteiligten einbeziehen. Insbesondere sind sie auf die Erkennung und Vermeidung unerwünschter Ereignisse und Risiken auszurichten, wie z. B. Patienten-, Eingriffs- und Seitenverwechslungen und schwerwiegende Komplikationen. Gleichzeitig beinhalten sie Fragen zum Vorhandensein und zur Funktion des erforderlichen Equipments.“
§ 4 Methoden und Instrumente
24. September 2016 Seite 33 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Aus Tragenden Gründen:„Unter Sedierung werden hier Maßnahmen verstanden, die die Mitwirkungs- oder Geschäftsfähigkeit der Patienten einschränken.“
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 34
1. OP-Checkliste entwickelna. angelehnt an WHO
b. abgestimmt auf Ihre Praxis
c. mit Ihren Kollegen und Mitarbeitern
2. ... und immer anwenden!
und jetzt?
Ein Anfang ist gemacht ...
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 35
www.patientensicherheit-ains.de
24. September 2016 Seite 36 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDK
Fazit
Medizinische Dienste berichten detailliert über die jährlich umfangreichsten Begutachtungsdaten zu Behandlungsfehlern
Ambulante Anästhesie nur vereinzelt betroffen
... und das lässt nicht den Rückschluss zu, dass die ambulante Anästhesie besonders sicher wäre oder das Thema Behandlungsfehler hier keine Relevanz hätte!
Es gibt keine repräsentativen Daten zu bestätigten Behandlungsfehlern
Im Sinne der Patientensicherheit sollten wir anderen Ländern folgen und eine Meldepflicht für Behandlungsfehler einführen. Erst das wäre Transparenz und echte Sicherheitskultur!
OP-Checkliste auch für die ambulante Anästhesie bei Niedergelassenen ein wichtiges (und verpflichtendes) Instrument für Patientensicherheit!
Vielen Dank!
PD Dr. med. Max SkorningLeiter Stabsstelle Patientensicherheit
24. September 2016 M. Skorning: Behandlungsfehlerbegutachtung MDKSeite 37