better under pressure

15
Justin Menkes Better under Pressure Wie Spitzenleistungen unter extremer Belastung möglich werden. Die Gesetze exzellenter Führung unter Stress

Upload: linde-verlag-gmbh

Post on 15-Mar-2016

216 views

Category:

Documents


0 download

DESCRIPTION

Wenn die Luft dünner wird Veränderte Konsumgewohnheiten, neue, für das Unternehmen ungünstige Gesetze oder politische Unruhen – die Bedingungen, unter denen Firmen heute arbeiten, sind für Führungskräfte zur permanenten Herausforderung geworden. Doch gibt es CEOs, die gerade in kritischen Situationen zur Höchstform auflaufen. Anhand bekannter Unternehmen wie Kraft, Johnson & Johnson und Procter & Gamble zeigt Personalberater Justin Menkes, wie unter extremen Belastungen Spitzenleistungen möglich werden. Interviews mit 25 erfolgreichen CEOs und Fragebögen zur persönlichen Analyse machen deutlich, wie man die dafür notwendigen Eigenschaften in sich selbst hervorbringt und sich damit zu einer Führungspersönlichkeit entwickelt, deren Unternehmen umso besser aufgestellt ist, je schwieriger die Zeiten werden.

TRANSCRIPT

Be

tte

r u

nd

er

Pre

ssu

reJ

usti

n M

en

ke

s

Veränderte Konsumgewohnheiten, neue, für das Unternehmen ungünstige Gesetze oder politische Unruhen – die Bedingungen, unter denen Firmen heute arbeiten, sind für Führungskräfte zur permanenten Herausforderung geworden. Doch gibt es CEOs, die gerade in kritischen Situationen zur Höchstform auf-laufen. Anhand bekannter Unternehmen wie Kraft, Johnson & Johnson und Procter & Gamble zeigt Personalberater Justin Menkes, wie unter extremen Belastungen Spitzenleistungen möglich werden. Interviews mit 25 erfolgreichen CEOs und Fragebögen zur persönlichen Analyse machen deutlich, wie man die dafür notwendigen Eigenschaften in sich selbst hervorbringt und sich damit zu einer Führungspersönlichkeit entwickelt, deren Unternehmen umso besser aufgestellt ist, je schwieriger die Zeiten werden.

DER AUTOR:

Justin Menkes ist Psychologe; als Experte der Personalberatung Spencer Stuart begleitet er Aufsichtsräte und Vorstände führender Unternehmen bei der Auswahl von Top-Führungskräften.

ISBN 978-3-7093-0382-5www.lindeverlag.de

Better under Pressure

Justin Menkes

Better under PressureWie Spitzenleistungen unter extremer Belastung möglich werden. Die Gesetze exzellenter Führung unter Stress

GR

EG G

OR

MA

N

13 Gro

ßar

tige

Füh

run

gsl

eis

tun

ge

n in

ein

er

We

lt g

roß

er

Zw

äng

e

Einleitung

Großartige Führungsleistungen

in einer Welt großer Zwänge

Ich saß im Besprechungszimmer eines der größten Unternehmen der Welt. Sämtliche Mitglieder des Vorstands, einschließlich des Vorstandsvorsitzenden, nickten mehrfach, während sie die Sätze auf der Tafel durchlasen. Seit zwei Tagen begleiteten meine Kollegen und ich das Team auf der Suche nach einem Nachfolger für den CEO. Dafür hatten wir in einem ersten Schritt die stra-tegischen Herausforderungen der Branche analysiert, um im zweiten Schritt die wesentlichen Eigenschaften zu ermitteln, die der oder die Neue zum Wohl des Unternehmens unbedingt mitbringen musste. Die Liste umfasste unter anderem folgende Punkte (und jeder einzelne lief auf eine massive Verschie-bung in der Wertschöpfung des Unternehmens hinaus):

➜ Nationalistische Bewegungen in Ländern, in denen wir produzieren lassen, wollen neue, für uns ungünstigere Verträge aushandeln oder unsere Pro-duktionsstätten verstaatlichen; 70 Prozent des Nachschubs sind bedroht.

➜ Die Regierung plant neue Steuern für unsere Branche, die unsere Renta-bilität massiv beeinträchtigen würden.

➜ Unser Produkt gilt als umweltschädlich. Viele Kunden wollen seine Ver-wendung stark reduzieren und innerhalb der nächsten zehn Jahre durch ein ökologisch unbedenkliches Produkt ersetzen.

Alle drei Untergangsszenarien waren extrem wahrscheinlich. War das Unter-nehmen in Schwierigkeiten? Definitiv. Rein zufällig handelte es sich um eins der rentabelsten Unternehmen der Industriegeschichte.

Der CEO nickte ein letztes Mal und merkte dann, während alle noch auf die Tafel starrten, trocken an: „Stimmt auffallend.“

Menkes_Better_Umbruch.ind4 13Menkes_Better_Umbruch.ind4 13 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

14Be

tte

r un

de

r P

ress

ure

In diesem Moment verdichtete sich die Erfahrung eines ganzen Jahrzehnts in meinem Kopf schlagartig zu einer Erkenntnis: Ein Unternehmen kann noch so gesund, ertragsstark und gefestigt sein, es wird doch niemals mehr eine ruhige Nische finden, in der sein Überleben gesichert wäre. Kein Markt-führer ist mehr gegen Einbrüche gefeit, es gibt keine ruhige See mehr, nur noch sturmgepeitschte Meere. Wer heute ein Unternehmen leitet, muss also unter schwierigsten Bedingungen navigieren und große Verantwortung für die Besatzung tragen können. Er oder sie muss, anders ausgedrückt, in der Lage sein, trotz Dauerstress effizient zu arbeiten. Die Zukunft gehört denen, die umso besser werden, je stärker sie unter Druck stehen.

Statistische Zahlen untermauern die These vom neuen operativen Umfeld: Über die Hälfte der Unternehmen, die 1955 Marktführer waren, konnten diese Position bis 1990 behaupten. Zwei Drittel der Marktführer des Jahres 1990 gab es 2004 hingegen nicht mehr.1 Bethlehem Steel , Woolworth , Arthur Andersen – alles Unternehmen, die über ein Jahrhundert existiert hatten – waren binnen eines Jahrzehnts von der Bildfläche verschwunden.

Welche Männer oder Frauen müssen in einem derart gravierend veränderten operativen Umfeld an der Spitze stehen, damit ein Unternehmen am Markt bleibt und prosperiert? Welche Eigenschaften brauchen sie, um Mensch und Material sicher durch die aufgewühlte See zu steuern? Wie erwerben sie diese in der neuen Normalität unentbehrlichen Eigenschaften?

Für beste Performance in der trüben Atmosphäre beständiger Bedrohungs-szenarien müssen Führungskräfte ein ausgesprochen ungewöhnliches Eigen-schaftsprofil aufweisen, das dem natürlichen Verhalten von Menschen in mehre ren Punkten zuwiderläuft. Das vorliegende Buch, geschrieben für Füh-rungskräfte und Menschen, die es werden wollen, beschreibt dieses Eigen-schaftsprofil und zeigt den Leserinnen und Lesern, wie sie es in und für sich entwickeln können. Zudem bedeutet das Eigenschaftsprofil eine Neudefini-tion des Führungsbegriffs. Wir müssen künftig die Tatsache berücksichtigen, dass jeder Einzelne, ob führend oder geführt, in seinen Erfolgsaussichten von den Menschen in seinem Umfeld beeinflusst wird.

Menkes_Better_Umbruch.ind4 14Menkes_Better_Umbruch.ind4 14 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

15 Gro

ßar

tige

Füh

run

gsl

eis

tun

ge

n in

ein

er

We

lt g

roß

er

Zw

äng

e

Eine Neudefinition des Führungsbegriffs

Seit acht Jahren beschäftige ich mich intensiv mit den Unterschieden zwi-schen gescheiterten CEOs und jenen, die sich bemerkenswert lange in der Führungsposition halten. Ich habe mich als Psychologe und Management Consultant darauf spezialisiert, weltbekannte Unternehmen bei der Suche nach einem oder einer neuen CEO zu beraten. Dafür müssen zunächst die zentralen Eigenschaften verstanden werden, ohne die ein Anwärter die frag-liche Position nicht erfolgreich ausfüllen kann. Die im vorliegenden Buch präsentierten Ergebnisse beruhen auf eingehenden Interviews mit zahlreichen Spitzenmanagern. Unter den Interviewpartnern sind lebende Legenden, die ihre aktive Zeit hinter sich haben, ebenso wie jene, die derzeit als Meister ihres Fachs gelten. Außerdem habe ich Leistungsbeurteilungen von über 200 Kan-didaten ausgewertet, die für einen Vorstandsvorsitz in die engere Wahl ge-zogen worden waren.

Insbesondere zwei dieser Gespräche sind ausgesprochen ergiebig für die Einschätzung, warum die Unternehmensleitung unter den sehr extremen Be-dingungen der Gegenwart ohne bestimmte Eigenschaften keinen Erfolg ha-ben wird.

Larry Bossidy , einst Chairman und CEO von Honeywell , erzählte mir, was ihn mehr als alles andere in seiner beruflichen Laufbahn beeinflusst hat. „Ich hatte immer Angst, zu versagen“, sagte er. „Und dann sagte meine Mutter auf dem Totenbett zu mir: ‚Larry, versprich mir, dass du dein Talent nicht ver-schwendest.‘ Meine Mutter hat viel für mich getan, aber das habe ich ihr nie vergessen. Sie hat den Nerv getroffen, meine größte Sorge auf den Punkt ge-bracht. Wurde ich meinem Talent gerecht? Wofür war ich überhaupt begabt? Das wusste ich lange nicht, jedenfalls nicht, bevor ich CEO wurde. Ich habe mir alles abverlangt, ich wollte unbedingt alles aus mir herausholen. Und das-selbe habe ich mir für meine Leute gewünscht: Sie sollten ihr Potenzial ent-falten können.“2

Bossidy, der zehn Jahre lang an der Spitze eines der größten Unternehmen der Welt stand, war gegen Versagensängste nicht gefeit. Aber seine Mutter gab ihm den Mut, trotz seiner Angst vor allem die wachsende Befriedigung zu sehen, die jede neue Stufe auf dem Weg zur Selbstverwirklichung bringt. Diese

Menkes_Better_Umbruch.ind4 15Menkes_Better_Umbruch.ind4 15 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

16Be

tte

r un

de

r P

ress

ure

Lektion vergaß er nie. Und seine Fähigkeit, sie an seine Mitarbeiter und Mit-arbeiterinnen weiterzugeben, wurde geradezu legendär.

Das zweite Beispiel kommt aus der Lebensmittelbranche. Heute heißt das Unternehmen Kroger und ist noch immer in der Hand der Familie, welche die äußerst erfolgreiche Supermarktkette Anfang des 20. Jahrhunderts grün-dete. Mit David Dillon ist bereits die fünfte Generation am Ruder. Unter seiner Führung verteidigte Kroger seine beherrschende Marktstellung. Der Schlüssel zu seinem Erfolg liegt jedoch in seinem Anspruch, mit dem er die Geschäftsführung übernahm.

Denn Dillon lehnte es zunächst ab, in die Fußstapfen seiner Vorfahren zu treten. Er wollte sich als Rechtsanwalt selbstständig machen. Sein Cousin schlug ihm jedoch vor, er solle zwei Jahre mitarbeiten, da könne er wertvolle Erfahrungen sammeln, und wenn es ihm nicht gefiele, stünde ihm danach immer noch alles offen. Dicks nachgeschobene Warnung überzeugte David schließlich: „Er meinte, nach der vereinbarten Zeit sei ich aber auf mich ge-stellt und würde nur noch an der Performance gemessen. Ich bekäme nichts geschenkt. Da wusste ich, dass ich sein Angebot annehmen konnte.“3

Schon in jungen Jahren wollte sich David Dillon vor allem selbst verwirk-lichen, also ein Leben führen, in dem er sein Potenzial sinnvoll realisieren konnte. Ererbter Reichtum und die Position des Stammhalters interessierten ihn nicht, er wollte selbst Hindernisse aus dem Weg räumen, Erfolge durch eigenen Einsatz und nicht durch Beziehungen erringen. Mit dem Hinweis auf die Bedingungen, unter denen er das Familienunternehmen fortführen sollte, verhalf ihm sein Cousin Dick zu dem Kontext, innerhalb dessen er sich ent-falten konnte. Und später schuf David seinerseits den Kontext, in dem seine Angestellten die Befriedigung und den Wunsch nach mehr kennenlernten, die jeder erfährt, der nach sinnvollen Zielen strebt und auf dem Weg dahin Schwierigkeiten bewältigt.

Das Phänomen begegnet uns in der Geschichte des modernen Manage-ments allerorten. Jahre vor David Dillon hat Larry Bossidy das Ver trauen seiner Mutter rechtfertigen und sein ganzes Potenzial entfalten wollen. Schon immer gingen die entscheidenden Innovationen von Menschen aus, die sich Höchstleistungen abverlangen – und anderen helfen, das Gleiche zu tun.

Menkes_Better_Umbruch.ind4 16Menkes_Better_Umbruch.ind4 16 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

17 Gro

ßar

tige

Füh

run

gsl

eis

tun

ge

n in

ein

er

We

lt g

roß

er

Zw

äng

e

Das ist das erste von zwei Ergebnissen, die meine Untersuchungen er-gaben: Wichtigstes Alleinstellungsmerkmal der Männer und Frauen an einer Unternehmensspitze ist demnach die Fähigkeit, erstens ihr eigenes Potenzial und zweitens das der Belegschaft zu realisieren. Beides gehört ganz wesentlich zu den Aufgaben eines CEO und verschiebt unseren Begriff von Führung so massiv, dass er neu definiert werden muss. Führen heißt Potenziale realisie-ren – in sich und in seinen Mitarbeitern. Doch effektiv ist diese Art von Füh-rung nur, wenn sie die Richtung vorgibt. Führende und Gefolgschaft schaffen ihre Identität und die Unternehmensperformance gemeinsam. Das bedeutet den Abschied von dem überkommenen Paradigma, demzufolge Führungs-kräfte ihre Mitarbeiter zu Leistungen anhalten. Das neue Führungsparadigma weicht das starre Schema auf und stößt einen durchlässigen, segensreichen Wachstumskreislauf von Geben und Nehmen zwischen Führenden und Ge-führten an.

Das zweite wichtige Ergebnis hängt mit dem stark veränderten Umfeld zusammen, in dem Führungsaufgaben heute wahrgenommen werden müssen. Mit den ökonomischen Gegebenheiten hat sich auch die Art dramatisch ver-schoben, wie Führungskräfte sich und andere zu Bestleistungen motivieren. Zu Bossidy s Zeit reichte es, sehr hart zu arbeiten und alle anderen ebenfalls dazu anzuhalten. Heute müssen CEOs wie Dillon bestimmte persönliche Eigen schaften mitbringen, um das maximal Machbare zu realisieren. Das vor-liegende Buch konzentriert sich auf diese alles entscheidenden Eigenschaften, insbesondere auf drei Katalysatoren, mit denen sich Führungskräfte heute an-gesichts der permanenten Veränderungen wappnen müssen, wenn sie Großes bewirken wollen.

Die drei Katalysatoren

Betrachten wir zunächst, was mit „Potenzial realisieren“ gemeint ist. Sein Poten-zial realisieren oder entfalten, seine Talente ausbilden, seine Begabung zur Vollendung bringen – das sind keine hohlen Phrasen. Sein Potenzial realisie-ren bedeutet, das eigene Leistungsniveau unablässig zu steigern und sich stets auf der Höhe der eigenen Fähigkeiten zu bewegen.

Menkes_Better_Umbruch.ind4 17Menkes_Better_Umbruch.ind4 17 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

18Be

tte

r un

de

r P

ress

ure

Meiner systematischen Beobachtung zufolge sind es vor allem drei Fähig-keiten, mit denen Führungskräfte im turbulenten Umfeld der Jetztzeit nicht nur aus sich selbst, sondern auch aus ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterin-nen das Beste herausholen. Diese drei Fähigkeiten sind das Schwungrad, das die fundamentale Funktion „Führung“ buchstäblich in Gang setzt. Und in ihrer Gesamtheit bilden sie das geistige Rüstzeug, das Führungskräfte ent-wickeln müssen, um erfolgreich zu sein. Jede dieser Fähigkeiten ist Teil der Exzellenz, die sehr erfolgreiche CEOs charakterisiert. Sie seien hier kurz an-gerissen:

Realistischer Optimismus

Realistische Optimisten haben Vertrauen und Zuversicht, ohne sich der Selbsttäuschung und irrationalen Annahmen hinzugeben. Sie verfolgen kühne Ziele, so kühn, dass sie die meisten Menschen für Luftschlösser halten würden. Aber realistische Optimisten verlieren nie die gewaltigen Herausforderungen aus den Augen, die sie auf dem Weg zu diesen Zielen bewältigen müssen.

Existenzielle Zielorientiertheit

Manchen Menschen ist ihr berufliches Ziel so wichtig, dass sie ihr ganzes Leben darauf ausrichten und den eigenen Wert in Abhängigkeit von ihren Leistungen auf dem Weg hin zu diesem Ziel beurteilen. Ja, mehr noch: Ohne berufliche Ziele fühlen sie sich wertlos und sehen keinen Sinn im Leben. Das Ziel ist ihr Leitstern und Existenzgrund. Sie stellen es schon deshalb nicht infrage, weil ihnen die Beschäftigung damit Freude bereitet. Die Intensität, mit der sie sich in die Arbeit stürzen, korreliert direkt mit der außerordentlich hohen Bedeutung, die das Ziel für sie hat.

Außerordentliches Strukturierungstalent

Diese Fähigkeit hat, wer vielschichtige Probleme anregend findet und so orga-nisieren kann, dass selbst undurchschaubare Verwicklungen – klar strukturiert – ihren Schrecken verlieren. Damit leistet der oder die Führende einen unschätz-baren Beitrag für andere.

Alle drei Fähigkeiten fließen ineinander, eine Grenzziehung, wo die eine beginnt und die andere aufhört, ist nicht einfach.

Menkes_Better_Umbruch.ind4 18Menkes_Better_Umbruch.ind4 18 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

19 Gro

ßar

tige

Füh

run

gsl

eis

tun

ge

n in

ein

er

We

lt g

roß

er

Zw

äng

e

Ab dem zweiten Kapitel werde ich die katalytischen Fähigkeiten bis in alle Verästelungen eingehend diskutieren. Bei der Beurteilung von Kandidaten für den Posten eines CEO achte ich stets auf alle drei: Kein Unternehmen wäre mit einer Führungsperson gut beraten, die nicht die gesamte Palette mit-bringt.

Erfreulicherweise lassen sich alle drei Fähigkeiten in der Mehrzahl der Fälle lernen. Menschen können sich ändern. Wenn sie von Eigenschaften erfahren, die andere besitzen, können sie diese bewusst für sich übernehmen. Schu-lungen können diesen Prozess begleiten, aber bereits die bloße Lektüre des vor liegenden Buches mit seinen Interviews und Übungen ist ein guter Aus-gangspunkt.

Es genügt allerdings nicht, lediglich das eigene Potenzial zu realisieren. Führende müssen dies auch der Mitarbeiterschaft ermöglichen. Deswegen wollen wir uns zunächst anschauen, wie das am besten gelingt und warum es gerade heute so wichtig ist. Echtes Führungstalent ist rekursiv: Führen ist ein kontinuierlicher Prozess, der beim Führenden beginnt und wie ein Echo von den Angestellten zurückgeworfen wird. Meine Forschungen belegen, dass wirklich gute Führungskräfte mit ihren Untergebenen zusammenarbeiten, ge-meinsam die Realisierung des maximalen Potenzials aller anstreben, also eine Ko-Kreation des Erfolgs ermöglichen. Sie überlassen das nicht dem Zufall, sie gehen systematisch vor und setzen präzise isolierbare Organisationsprinzipien ein, die im Buch vorgestellt werden. Weil Führen jedoch seit urdenklichen Zeiten auf sehr persönlichen, komplizierten und zutiefst menschlichen Bezie-hungen beruht, lässt es sich nicht im luftleeren Raum lernen. Deswegen zi tiere ich immer wieder bedeutende Führungspersönlichkeiten, mit denen ich spre-chen durfte. Ich will zeigen, wie sie den entscheidenden Schalter umlegen, der ihre Mitarbeiter auf Engagement polt. Und das ist das beste, wertvollste Er-gebnis der Evolution, an deren Ende Potenziale realisiert werden.

Da das Potenzial jedes Einzelnen nur in der persönlichen Zusammenarbeit realisiert werden kann, ist Erfolg das Ergebnis eines Loops, der ohne Rekur-sion und Wiederholung nicht gedacht werden kann. In diesem Prozess streben die Beteiligten nach sinnvollen Zielen und suchen nach immer größeren Heraus forderungen. Es ist ein Prozess, der nur in der Gemeinschaft möglich ist und niemals im Alleingang gelingen kann.

Menkes_Better_Umbruch.ind4 19Menkes_Better_Umbruch.ind4 19 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

20Be

tte

r un

de

r P

ress

ure

Ein Umfeld , in dem Menschen ihr Potenzial

entfalten können

Führungspersönlichkeiten, die wie David Dillon realistischen Optimismus, existenzielle Zielorientiertheit und außerordentliches Strukturierungstalent besitzen, schaffen dank dieser Eigenschaften ein Umfeld, in dem sie und an-dere ihr Potenzial realisieren können. Das Bedürfnis nach Triumphen ist uns angeboren, es ist uns aber nicht bewusst. Und wir wissen auch nicht, wie wir es befriedigen können. Deswegen entfalten so wenige Menschen ihr ganzes Potenzial. Führende, die dieses angeborene Bedürfnis verstehen, können es ans Licht holen und Menschen über lange Zeiträume zu äußersten Anstren-gungen motivieren. Die Methode verdankt ihre Wirksamkeit der Erfüllung, die jeder kennt, der schon einmal etwas Sinnvolles und Wichtiges erreicht hat, das ihn von anderen Menschen abhebt. Insofern ist der oder die Führende nur der Katalysator, für die Realisierung seines Potenzials ist jeder individuell ver-antwortlich.

Doch um als Katalysator fungieren zu können, müssen Führende eine grundlegende Wahrheit der menschlichen Psychologie anerkennen: Kein Mensch hat eine unveränderliche Identität. Es gibt weder den Faulen noch die Fleißige par excellence, keiner ist nur hochintelligent oder sehr dumm, ge-wissenhaft oder schlampig. Jeder Mensch ist zu jedem Zeitpunkt fähig, faul oder fleißig, klug oder dumm, gewissenhaft oder schlampig zu sein. Jeder Mensch trifft permanent Entscheidungen, die darüber bestimmen, welche Eigen schaften die Oberhand gewinnen. Jeder, selbst die leuchtendsten Vor-bilder, hat ein ganzes Komitee streitender Ichs in sich (Vgl. „Helden und das Komitee der Ichs“). Indem Führungskräfte das Umfeld bereiten, in dem Mit-arbeiter ihr ganzes Potenzial entfalten, schaffen sie exzellente Voraussetzungen, die das beste Ich zum Vorschein bringen, jenes Ich, das sich freut, große He-rausforderungen zu meistern und sein Potenzial zu realisieren.

Es ist Aufgabe der Führung, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem jeder Angestellte die tiefe Befriedigung erfahren darf, die der Triumph angesichts eines trotz aller Widrigkeiten erreichten sinnvollen Zieles mit sich bringt. Die eigentliche, entscheidende Verantwortung einer Führungskraft liegt da-rin: Sie muss ihre Mitarbeiter unterstützen, den Schalter auf Engagement

Menkes_Better_Umbruch.ind4 20Menkes_Better_Umbruch.ind4 20 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

21 Gro

ßar

tige

Füh

run

gsl

eis

tun

ge

n in

ein

er

We

lt g

roß

er

Zw

äng

e

für ihr menschliches Potenzial umzulegen, und das im anspruchsvollen öko-nomischen Umfeld des 21. Jahrhunderts. Nur so kann die Unternehmens-spitze größte Anstrengungen und Frustrationstoleranz von Mitarbeitern auf allen Hierarchieebenen erwarten. Nur dann kann eine Organisation, gleich welcher Art, trotz ständig schärfer werdendem Wettbewerb am Markt bleiben. Doch nur die fähigsten Führungskräfte sind zu diesem Führungsstil in der Lage.

Betrachten wir ein Beispiel, wie Führende ohne direkte Befehle das Um-feld schaffen können, in dem trotz massiver Zwänge das ganze Potenzial reali-siert wird. Die Geschichte ist eine recht bekannte Episode aus der Bibel, in der Jesus vor einer aufgebrachten Menschenmenge steht, die eine Frau des Ehebruchs beschuldigt und dafür steinigen will.

HELDEN UND DAS KOMITEE DER ICHS

Jeder Mensch ist zu herausragenden Leistungen fähig, aber auch zu langweiligs-

ter Durchschnittlichkeit. Wer diese Tatsache der menschlichen Psychologie nicht

verstanden hat, wird seine Mitarbeiter niemals zu Höchstleistungen motivieren.

Normalerweise gehen wir davon aus, dass je ein Ich in einem Menschen wohnt,

faktisch ist es aber eher eine Art Wohngemeinschaft, ein Komitee von Ichs, das

den Job irgendwie gemeinschaftlich erledigen muss. Betrachten wir zwei der be-

rühmtesten Führungspersönlichkeiten in der Wirtschaft: Peter Drucker und Jack

Welch .

Drucker gilt weltweit als einer der gefragtesten Denker der Management-

theorie. Er hatte aber keineswegs immer recht. Seine Karriere begann ausgerech-

net im September 1929, wenige Wochen vor dem Börsenkrach, mit einem Artikel,

in dem Drucker behauptete, die Börse kenne nur eine Richtung: aufwärts. Zwei

Jahrzehnte später veröffentlichte er einen Aufsatz über neue Trends in der

Verpackungsindustrie, der auf falschen Zahlen beruhte. Wieder einige Jahre spä-

ter erzählte er einem Reporter, Seifenblasen platzten nach exakt 25 Sekunden

(was kompletter Blödsinn ist). In den USA wurde er während der ersten Hälfte

seiner 70-jährigen Karriere weitgehend ignoriert und so musste er sich in Asien

Kunden suchen, die ihn für seine Beratungstätigkeit entlohnten. Erst nachdem

Menkes_Better_Umbruch.ind4 21Menkes_Better_Umbruch.ind4 21 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

22Be

tte

r un

de

r P

ress

ure

sein Name mit einigen der revolutionären japanischen Managementtechniken in

Verbindung gebracht wurde, wuchs sein Renommee in den Vereinigten Staaten.

Jedenfalls war er nicht von Anfang an der Weise, als der er heute bekannt ist; sein

kluges, nachdenkliches Ich wird von einem Ich begleitet, das zu geistigen

Kurzschlüssen neigt und die Sachlage verkennt. Drucker hat es, kurz gesagt, ge-

schafft, weil er sein bestes Ich herauskehrte.

Jack Welch war über 20 Jahre CEO eines der größten Konzerne der Welt, in

dieser Zeit verdreißigfachte er den Marktwert von General Electric. Den größten

Teil seiner Zeit investierte er in die Teamentwicklung, seine Führungscrew galt als

beste der Welt, das Unternehmen als echte Talentschmiede. Nach seinem

Rücktritt fiel der Marktwert des Versorgers um dramatische 80 Prozent. Ohne ihn

hatte die von ihm so intensiv gepflegte Teamentwicklung keinen Bestand. Trotz

dieser Enttäuschung war Welch einer der einflussreichsten CEOs des 20. Jahr-

hunderts und auch er konzentrierte sich auf die Realisierung seines Potenzials und

des Potenzials seiner Mitarbeiter. Mit Disziplin und harter Arbeit holte er das Beste

aus sich heraus.

Beide Beispiele zeigen, dass wir die größten Vorbilder vergöttern und ver-

teufeln können. Womöglich haben sich Peter Drucker und Jack Welch selbst zu

Helden stilisiert. Beide dürften es genossen haben, dass sie nach Jahren voller

Mühen, Auseinandersetzungen, Unsicherheiten und mitunter sehr harscher Kritik

massenhaft bewundert wurden. Es steht außer Frage, dass ihre Lebensleistung

die Wirtschaft stark beeinflusst hat.

Beide Beispiele zeigen auch, dass selbst äußerst erfolgreiche Individuen ihre

Schwächen haben. Wir müssen dieses Paradox verstehen, wenn wir auf den

Punkt bringen wollen, wie Vorbilder zu ihren schwer verdienten Lorbeeren kamen.

Die menschliche Sehnsucht nach unfehlbaren Führern sitzt tief: Unfehlbare

Führer nehmen uns die Angst vor der ungewissen Zukunft. Aber es gibt keine

Götter, weder in der Wirtschaft noch auf irgendeinem anderen Gebiet. Das ist uns

rational natürlich klar, trotzdem haben wir die Tendenz, Menschen in Helden und

Versager einzuteilen, Götter oder Scharlatane in ihnen zu sehen. Und das gilt ins-

besondere für Führungspersönlichkeiten. Spitzenmanager sind nicht unfehlbar,

sie machen nur über längere Zeiträume seltener als die Konkurrenten Fehler. Sie

sind mitunter schwach, es gibt Zeiten, in denen ihr weniger heldenhaftes Ich zum

Vorschein kommt. Diese Seiten ihrer Persönlichkeit feiern wir nicht, wir unterschla-

Menkes_Better_Umbruch.ind4 22Menkes_Better_Umbruch.ind4 22 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

23 Gro

ßar

tige

Füh

run

gsl

eis

tun

ge

n in

ein

er

We

lt g

roß

er

Zw

äng

e

gen sie, indem wir sie zu Helden hochstilisieren. Wenn wir uns das klarmachen,

sind wir einen guten Schritt weiter auf der Suche nach unserem eigenen besten

Ich.

Die Menschenmenge sehnt sich nach harter Bestrafung, sie will Blut sehen und zeigt wenig Sympathie für Jesu Kernthese von der christlichen Nächsten-liebe.

Jesus hätte die Gelegenheit für eine Predigt nutzen können: Mitleid, Ver-ständnis zeigen, Vergebung … Doch der Moment verlangt nach einer effizien-teren Strategie, für eine Rede ist die Stimmung zu aufgeheizt. Jesus dreht sich einfach um, als hätte er die Rädelsführer nicht gehört, setzt sich hin und malt Männchen in den Sand. Die Menge gibt keine Ruhe, die empörten Menschen wollen von Jesus hören, was sie machen sollen. Nach ein paar Minuten steht er auf und sagt einen Satz, der seither immer wieder zitiert wird: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Dann lässt er sich wieder im Sand nieder und kritzelt weiter.

Die Menge verstummt, jeder überlegt, wer mit der Steinigung anfangen soll. Und dann geht einer nach dem anderen weg, die Menge zerstreut sich, peinlich von der Erinnerung an eigene Verfehlungen berührt. Die Lust an selbstgerechter Verurteilung ist den Menschen vergangen. Das Zitat wird meistens angeführt, um diese Form der Demut zu provozieren, aber für mich liegt die eigentliche Größe der Worte in ihrer Kraft, den aufgeheizten Mob wieder in denkende Menschen zu verwandeln, Menschen, die Verantwortung für ihre ganz persönlichen Entscheidungen übernehmen. Jesus sagt ihnen nicht, was sie machen sollen, er sagt nicht, sie dürften die Frau nicht verurtei-len. Er sagt noch nicht einmal, sie sollten nach Hause gehen. Er hilft ihnen nur, in sich zu gehen und eine humane Entscheidung zu treffen. Es ist ihre Entscheidung – und durch diese Entscheidung erleben sie sich als bessere Menschen.

Indem er eine Frage in den Raum stellte und sich nicht weiter um die Menge kümmerte, schuf Jesus das Umfeld oder den Kontext, in dem seine Anhänger die Bedeutung der Mitmenschlichkeit für die Gesellschaft verinner-

Menkes_Better_Umbruch.ind4 23Menkes_Better_Umbruch.ind4 23 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

24Be

tte

r un

de

r P

ress

ure

lichen konnten. Das war effektiver als jede andere Möglichkeit, weil er die Menschen zu einer persönlichen Entscheidung zwang, statt sie als Gruppe anzusprechen. Die Erfahrung hat ihr künftiges Verhalten beeinflusst.

Wie lässt sich dieses Vorbild auf die heutige Zeit übertragen? Betrachten wir ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. David Novak , CEO von Yum! Brands Inc., hat mir eine Episode verraten, wie er durch den entspre-chenden Kontext seinen Mitarbeitern und sich selbst zu gemeinsamen Er-folgen verhalf. Er besichtigte die Filiale in Baltimore, bei der es nicht zum Besten stand:

Stolz motiviert Menschen am stärksten. Menschen wollen das Gefühl haben, dass sie zu etwas Großem beitragen. Die Mitarbeiter der Filiale in Baltimore fanden ihren Laden aber nicht mal mittelmäßig, sie be-trachteten jedes Engagement als vergebliche Liebesmüh, gaben aber allem und jedem die Schuld, nur nicht sich selbst. Ich musste sie eigentlich nur dazu bringen, vor der eigenen Haustür zu kehren. Also sagte ich, sie wüssten ja, wo es hakt. Sie hätten außerdem viele gute Ideen, was man ändern könne, schließlich existiere das Restaurant seit 15 Jahren. Mir seien die Hände gebunden, weil ich in der Zentrale ge-braucht würde, es wäre schon ihre eigene Verantwortung, die Probleme in den Griff zu bekommen. Ich sagte: „Ihr müsst es nur wollen. Wenn ihr es schafft, komme ich wieder her und wir feiern den Erfolg.“ Es war, als hätte ich ihnen die Ausreden weggenommen.4

Wenig später hatten sich die Performance-Probleme in der Baltimore-Filiale in Luft aufgelöst, Novak musste niemanden entlassen.

Wieso war er so zuversichtlich, dass die Filiale ihre Arbeitsweise ändern würde? „Ich bin überzeugt, dass Menschen mit ihrer Arbeit nach Großem streben“, sagte er mir am Telefon. Indem er ihnen die Probleme nicht ab-nahm, sondern an ihren Stolz appellierte, motivierte er sie in einer Weise, wie es mit Anweisungen und Abmahnungen niemals gelungen wäre. Seit Novak an der Spitze steht, konzentriert sich der Fast-Food-Konzern auf Schulungen quer durch die ganze Organisation. „Ob Büroangestellte, Verwaltungskräfte oder Leitungspersonal, alle müssen da durch. Damit soll signalisiert werden,

Menkes_Better_Umbruch.ind4 24Menkes_Better_Umbruch.ind4 24 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

25 Gro

ßar

tige

Füh

run

gsl

eis

tun

ge

n in

ein

er

We

lt g

roß

er

Zw

äng

e

dass es auf jeden Einzelnen ankommt, egal auf welcher Hierarchieebene er arbeitet. Wir sind alle Teil des Ganzen. Jeder trägt seinen Teil zum Erfolg bei.“

Gute Führungskräfte nutzen unabhängig von der Branche oder dem Auf-trag, dem sich das Unternehmen verschrieben hat, die menschliche Sehnsucht nach Stolz und Selbstvervollkommnung. Wie das geschieht, ist denkbar ver-schieden. Herb Kelleher , Gründer und Ex-CEO von Southwest Airlines , war in unserem Gespräch sehr selbstironisch. Seiner Überzeugung nach spielen Demut und ein Denken, das sich nicht an Positionen orientiert, die Haupt-rolle, damit die Belegschaft ihr Potenzial realisieren kann. Mit seinen Worten:

Wer ein Unternehmen gut und effektiv leiten will, muss bescheiden sein. Es ist eine Form von Demut , bei der der Mensch sich gern über sich selbst lustig macht, weil er genau weiß, wo er Defizite hat und dass er ohne die Hilfe anderer Menschen, die seine Schwächen ausgleichen, nichts erreichen würde. Mit dieser Einstellung macht Arbeiten Spaß, weil sich keiner als was Besseres fühlt. Bescheidenheit fällt leicht, wenn man sich seiner Defizite bewusst ist.5

Kelleher stellte die Hierarchie seiner Organisation auf den Kopf. Ein hoher Kader beschwerte sich einmal bei ihm, die Mitarbeiter im Gepäckdienst be-kämen den Chef häufiger zu Gesicht als er. „Das Organigramm sollte nicht diktieren, was man zu tun hat“, war Kellehers Kommentar bei unserem Tele-fonat. „Meiner Meinung nach ist der Vorstand nur zur Unterstützung der Leute an der Kundenfront da, der Leute, welche die Hauptarbeit machen und jeden Tag kämpfen müssen.“

Die fehlende Hierarchie ist eines der Erfolgsgeheimnisse von Southwest Airlines , wo die Beschäftigten – so das Ergebnis sämtlicher Kennzahlen – für die Produktivität mehr arbeiten als bei jeder anderen Fluggesellschaft. „Wenn man gern arbeitet“, sagte Kelleher, „arbeitet man tendenziell mehr und fehlt seltener. Und damit die Leute gern arbeiten, lassen wir sie in Ruhe. Sie be-kommen den nötigen Ermessensspielraum, um Kunden je nach Situation so oder so zu bedienen. Denn von der Zentrale aus können wir ja gar nicht be-urteilen, was sich bei hundert Millionen Kundenkontakten pro Jahr alles ab-spielt. Deswegen überlassen wir es den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

Menkes_Better_Umbruch.ind4 25Menkes_Better_Umbruch.ind4 25 14.06.12 14:3614.06.12 14:36

26Be

tte

r un

de

r P

ress

ure

Das zeigt ihnen wiederum, wie wichtig sie für das Unternehmen sind und dass man ihnen zutraut, täglich solche Entscheidungen zu treffen.“

Kelleher treibt sein Verständnis vom Dienst am Mitarbeiter noch weiter: „Die Beschäftigten haben die Chance, in ihrem Job bei Southwest Airlines zu wachsen. Wir stecken sie nicht in Schubladen und sagen: Du hast hier als Ramp-Agent angefangen, also wirst du bis zum bitteren Ende Ramp-Agent bleiben. Wir versetzen Leute öfter. Wir schauen, wofür sie besonderes Talent haben, was ihr Interesse besonders fesselt, ob es eine Tätigkeit gibt, die sie mehr erfüllt oder ihnen mehr liegt.“

Die meisten Menschen fühlen sich mit ihrem Wunsch allein gelassen, sich weiterzuentwickeln und zu lernen. Es ist an den Führungskräften, diesen Wunsch ernst zu nehmen und herauszukitzeln – oder um es auf den Punkt zu bringen: Das ist ihre eigentliche Aufgabe. Sie zu erfüllen ist in einer ruhigen, dem Nachdenken zuträglichen Atmosphäre schon schwer genug. Aber die aktuel len Verhältnisse gleichen eher dem aufgebrachten Mob aus der Ge-schichte mit der Ehebrecherin: massiver, nie nachlassender Stress. Und alles ist immer komplizierter.

Leben im Hamsterrad der globalen Ökonomie

Die Globalisierung hat den Leistungsdruck und die Komplexität um ein Viel-faches gesteigert. Führungskräfte, die Potenziale realisieren können, laufen unter Stress zur Bestform auf. Sie sind unter erschwerten Bedingungen un-ermüdlich und extrem effizient, haben ihre Stressreaktion so optimiert, dass das Adrenalin wie Benzin mit hoher Oktanzahl wirkt und Spitzenleistungen triggert.

Ein Beispiel ist Andrea Jung . Sie wurde 1999 an die Spitze von Avon be-rufen, als das Unternehmen trotz oder wegen seiner 120-jährigen Geschichte am Abgrund stand. Die Marke wirkte angestaubt, der Marktanteil schnurrte mit beängstigender Geschwindigkeit zusammen. Jung hatte als CEO keine Erfahrung, nahm die Herausforderung trotzdem an und verhalf dem Unter-nehmen zu altem Glanz. 2002 galt sie angesichts der unglaublichen Wachs-tumsraten von Avon als eine der besten CEOs weltweit.

Menkes_Better_Umbruch.ind4 26Menkes_Better_Umbruch.ind4 26 14.06.12 14:3614.06.12 14:36