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Bindungsaspekte in der stationären Jugendhilfe - Lernen aus der Erfahrung ehemaliger Kinderdorfkinder Dr. Klaus Esser Bethanien Kinder- und Jugenddorf Schwalmtal

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Bindungsaspekte in der stationären

Jugendhilfe - Lernen aus der Erfahrung

ehemaliger Kinderdorfkinder

Dr. Klaus Esser

Bethanien Kinder- und

Jugenddorf Schwalmtal

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Agenda

1. Urteile und Vorurteile: das arme Heimkind

2. Was sagen die Ehemaligen?

3. Stationäre Jugendhilfe heute

4. Erziehungshilfe systemisch

5. Salutogenese, Ressourcen und Resilienz

6. Anforderungen an Pädagoginnen und Pädagogen

7. Was können Einrichtungen und Dienste in der Jugendhilfe tun?

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 2

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� Kinder im Heim erhalten zu wenig Zuwendung

� Kinder werden nur verwahrt

� Zu viele Kinder, zu wenig Personal

� Eine schlechte Familie ist besser als ein gutes Heim

� Schichtdienst fördert die Bindungslosigkeit der Kinder im Heim

� Dauernder Wechsel von Erzieherinnen, Praktikantinnen und neuen Kindern und Jugendlichen macht Bindungen im Heim unmöglich

� Bezahlte Erzieherinnen in einer 39 Stunden-Woche können keine Bindungspersonen sein/werden

Das arme Heimkind – was hat sich zwischen 1950 (Bowlby) und heute verändert?Urteile und Vorurteile

3Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013

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4EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

Ehemalige Heimkinder

Ergebnisse einer Befragung

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Stichprobe/Rücklauf

� 6 teilnehmende Einrichtungen der stationären Jugendhilfe in katholischer Trägerschaft

� Versendete Fragebögen: 1550

� Zurückgesendete ausgefüllte Fragebögen: 355 (davon 8 direkt an IKJ), Auswertbar: 344

� 150 Seiten Text aus den offenen Fragen: Erlebnisse, Erfahrungen, Appelle, gute und schlechte Erinnerungen, Anklage und Dank

Rücklauf-Quote Gesamt: 24,9 %

5EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Hilfebeginn

2,7

49,5

33,4

14,4

0

10

20

30

40

50

60

vor 1949 1949-1970 1971-1990 1991-2008

%

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Durchschnittliche Heimdauer in Jahren

7,7

5,3

7,7

8,7

5,4

0

2

4

6

8

10

Gesamt vor 1949 1949-1970 1971-1990 1991-2008

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Ergebnisse

Wie geht es den Ehemaligen heute?

8EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Aktuelle berufliche Situation

9EHEMALIGEN-BEFRAGUNG 2008/2009 EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Bewertung der heutigen

Lebenssituation

2,342,16

1,912,03

1,961,751,64

2,142,14

1

2

3

4

5

Beru

fG

esun

d- h

eit

Woh

n- s

ituat

ion

Part

ner-

sch

aft

Freu

nde

Fina

nzen

Frei

zeit

Erzi

ehun

g

insg

esam

t

sehr schlecht

sehr gut

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Zufriedenheit mit der aktuellen persönlichen Lebenssituation insgesamt

EHEMALIGEN BEFRAGUNG 2008/2009

11EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Ergebnisse

Bewertungen der Zeit im Heim/Kinderdorf

12EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Bewertungen der Qualität aus Sicht der Ehemaligen

1,81 1,882,05 2,12 2,17 2,18 2,24 2,27 2,34 2,39

2,49

2,8 2,8 2,87

3,56

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

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Ergebnis QualitätsbewertungFachpädagogische Aktivitäten - Sport, Musik,

Tiere, Ferienfreizeiten, Erlebnispädagogik,

Outdoor - sind aus der Perspektive

ehemaliger Heimkinder bedeutsame

Wirkfaktoren stationärer Erziehungshilfe.

Die Bereiche Hilfe im Umgang mit den

familiären Problemen und Beteiligung an

wichtigen Fragen sind Bereiche, in denen

Weiterentwicklung notwendig ist.

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Bewertung der Zeit im Heim:

Bewertung insgesamt

1,6

1,8

2,5

1,71,71,7

1

2

3

4

5

insgesamt 1949-1970 1971-1990 1991-2008 nein jasehr gut

sehr

schlecht

Hilfebeginn Wichtiger Erwachsener?

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1. Gab es eine „besonders wichtige Person“ ?2. Gab es „schlimme Erlebnisse, die das gesamte Leben überschatten“ ?

Zentrale Fragen

16EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Gab es im Kinderdorf/Heim einen Erwachsenen, der für Sie zu einem besonders wichtigen Menschen in Ihrem Leben geworden ist ?

78,8

13,1

4,4

Bindungsperson

ja

nein

weiß nicht

Ehemaligen Befragung 2008/2009

17EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Erwachsener in der Einrichtung, der zu besonders wichtigem Menschen

geworden ist

77,1

93,8

80,481,9

0

20

40

60

80

100

insgesamt 1949-1970 1971-1990 1991-2008

Hilfebeginn

%

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Gab es schlimme Erfahrungen, die sie bis heute nicht mehr losgelassen haben und die Ihr gesamtes Leben überschatten?

EHEMALIGEN-BEFRAGUNG 2008/2009

19EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Erfahrungen, die das gesamte Leben überschatten

36,6

37,7

46,7

38,636,4

38,3

0

10

20

30

40

50

insgesamt 1949-1970 1971-1990 1991-2008 nein ja

Hilfebeginn Wichtiger Erwachsener?

%

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Ergebnisse zu Bindung und Traumatisierung

21

Die Bindungsperson ist der

Schlüssel zu Qualität und

Wirkung in der stationären

Jugendhilfe.

Traumatisierung -

Aufnahmegrund und

negativer Wirkfaktor

zugleich

Die Problemgruppe:

Traumatisiert und ohne

Bindungsperson

EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen Oktober 2011

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Welche Erfahrungen haben geschmerzt und waren schwer auszuhalten?

22EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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23

4

4

8

9

21

32

33

33

33

42

44

47

48

1,6

1,6

3,3

3,7

8,6

13,2

13,6

13,6

13,6

17,3

18,1

19,3

19,8

0 20 40 60

Angst

Stigma Heimkind

Fehlende Förderung

Religion als Zwang

Bezugspersonenverlust …

zu viel Strenge

zu harte Strafen

Physische Gewalt/Schläge

unfähige Betreuer

Ungerechtigkeit

Demütigung/Entwürdigung

keine negativen …

Familientrennung

Schmerzhafte und belastende Erfahrungen aus Ehemaligensicht

in Prozent

Nennungen

absolut

EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen Oktober 2011

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Welche Erfahrungen haben Ihnen geholfen und gut getan?

24EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen

Oktober 2011

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Welche Erfahrungen haben Ihnen geholfen und gut getan?EH

EM

ALIG

EN

-BEFR

AG

UN

G 2

008/2

009

6

7

8

12

35

42

69

79

97

139

2,2

2,6

3

4,5

13

15,6

25,7

29,4

36,1

51,7

0 20 40 60 80 100 120 140 160

Nichts

Materielle Versorgung

Alles

Christliche Erziehung

Lernen fürs Leben

Fachliche Förderung

Regeln und Werte

Päd. Aktivitäten

Gruppe und Gemeinschaft

Wichtige Personen

Hilfreiche Erfahrungen aus Ehemaligensicht

in Prozent

Nennungen

absolut

EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen Oktober 2011

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„Die Erfahrungen dass es Menschen gibt, die für einen

einstehen egal warum und weshalb. Wenn man es

nüchtern betrachtet, wird einem jungen Menschen eine

faire Chance geboten neu zu beginnen, und was Tolles

aus seinem Leben zu machen. Ich kann natürlich nur für

mich sprechen, und für mich war es das Beste war mir

hätte passieren können. Ich hatte super nette Erzieher

die immer verständnisvoll und liebenswert waren, sie

haben mir beigebracht wieder an mich zu glauben, zu

vertrauen (…) Auch wenn eine Familie nie ersetzt

werden kann, ich habe mich immer gut aufgehoben

gefühlt, wohl gefühlt und war sehr glücklich. Es gibt

nichts was ich bereue oder war mir gefehlt hätte. „

26

Erfahrungen, die geholfen und gut getan haben

EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen Oktober 2011

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� „Eine große Familie - Ein liebevolles Zuhause“

� „Miteinander geredet und gespielt“

� „Gute Gemeinschaft“

� „Harmonisches Leben mit viel Spaß“

� „Gefühl, in einer intakten Familie zu leben“

� „Immer jemand da zum Spielen“

� „Zusammensein war einfach schön“

� „Stets einen Ansprechpartner zu haben“

27

Erfahrungen, die geholfen und gut getan haben: Soziale Erfahrung in Gruppe und Gemeinschaft

EHEMALIGE HEIMKINDER - DiCV Aachen Oktober 2011

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Stationäre Jugendhilfe heute

� Einrichtung, das für die verschiedenen Ausgangslagen und Fragestellungen angemessene und differenzierte Konzepte anbieten soll.

� Lebensort auf Zeit

� Ort für Kinder und Jugendliche mit Struktur, Regeln und Alltag

� Ort der Behandlung, in der das Kind, der Jugendliche, der an einer besonderen Störung leidet, eine besondere Behandlung erhält.

� Vermittlungsstelle

� Heimat und Zuhause mit allen Bedürfnissen nach Beziehung und Bindung, Lernen, eigenen Entscheidungen, Sicherheit, Annahme und Wertschätzung.

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 28

Page 29: Bindungsaspekte in der stationären Jugendhilfe - Lernen ... · (FONAGY/TARGET in SCHLEIFFER, 2007, 53) untersucht und stellt die Verbindung zwischen früher Interaktion und der Entwicklung

Leitfragen der stationären Jugendhilfe in Bezug auf Bindungserfahrungen

1. Ist es möglich, alternativen Bindungsbeziehungen zu entwickeln, wenn die Eltern entweder auf lange Sicht nicht zur Verfügung stehen oder wenn sie selbst erhebliche Störungen im Bindungsverhalten aufweisen?

2. Wie schaffen wir altersgerechte Rahmenbedingungen, in denen der Aufenthalt („die Unterbringung“) von Kindern im Heim keine neuen Bindungsschädigungen erzeugt?

3. Wie kann es gelingen, Bindungsstörungen, die durch Erfahrungen der Kinder vor der Aufnahme im Heim entstanden sind, zu bearbeiten und im besten Fall zu „heilen“?

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 29

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Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe

� sind oft traumatisiert durch körperliche

und sexuelle Gewalt und/oder

Vernachlässigung

� haben keine sichere Bindung erfahren,

dadurch kein Urvertrauen entwickelt bzw.

kein oder mangelndes Vertrauen in

sichere, zuverlässige, feinfühlige

Erwachsene

� kämpfen mit aggressiven Mitteln um

Selbstwert und Selbstwirksamkeit

� suchen Halt und Zuwendung oft in

Peer-Gruppen

�Sind durch mangelnde Förderung

benachteiligt

�Gehören zur Risikogruppe für

psychische und somatische Krankheiten,

Lernbehinderung, emotionale und soziale

Störungen

Bethanien Kinderdörfer/ 30

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Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe

� kommen aus Familien mit Belastungen

durch:

� Trennungen

� Armut

� körperliche und sexuelle Gewalt

� Dissozialität

� fehlende familiäre Ressourcen

� Psychische Krankheiten und Sucht

� aus Hilfe-Odysseen, anderen Heimen,

Pflegefamilien

Bethanien Kinderdörfer/ 31

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Erziehung und Bindung aus systemischer Sicht

� Erziehung ist Interaktion: permanente gegenseitige Beeinflussung von Individuen

� Kinder beeinflussen Erwachsene: z.B. Bindungssysteme von Kindern korrespondieren mit Beschützerinstinkten von Erwachsenen.

� Das angeregte System bestimmt selbst, in welche Richtung und in welchem Ausmaß der Impuls eine Veränderung anregt. „Das Kind lässt sich erziehen der Bindungsperson zuliebe.“ (SCHLEIFFER, 2007,173).

� Je sicherer gebunden das Kind, desto bereitwilliger beteiligt sich das System Kind an der auf Beeinflussung und Veränderung angelegten Erziehung.

� Das Kind erwartet von seinen Bindungspersonen, dass diese „stronger andwiser“ (BOWLBY) sind

32Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013

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Alternative Bindungen, wenn die Eltern entweder auf lange Sicht nicht zur Verfügung stehen oder wenn sie selbst erhebliche Störungen im Bindungsverhalten aufweisen

� „Bindungen sind ausgeprägt affektive, „innige“ Beziehungen, wie sie im Sozialverhalten von Mensch und Tier zu finden sind und insbesondere durch die Mutterliebe und Mutter-Kind-Bindung geprägt werden“ (AHNERT, 2004,17).

� Sichere Erzieher-Kind-Bindungen entstehen in Gruppen, in denen die Gruppenatmosphäre durch ein empathisches Erzieherverhalten bestimmt wird, das gruppenbezogen ausgerichtet ist und die Dynamik in der Gruppensituation reguliert. Die Erzieherinnen müssen sowohl „mütterliche“ als auch „väterliche“ Feinfühligkeit gegenüber den Signalen der einzelnen Kinder aufweisen. Dieses Erzieherverhalten bildet sich insbesondere in kleinen und stabilen Gruppen aus (vgl. AHNERT, 2004).

� Das Kind vertraut dem Erwachsenen, dessen Veränderungsbemühungen nicht zum Schaden des Kindes, sondern zu seinem Nutzen sind. Dieses Vertrauen ist aus systemischer Perspektive quasi die Eintrittskarte in das autonome kindliche System. Das entspricht der Idee des Grundvertrauens (ERIKSSON), die das Kind im Rahmen der Bindungsbeziehung entwickelt.

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 33

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Anforderungen an Pädagoginnen und Pädagogen in der stationären Jugendhilfe � Kompetenz zur Förderung der Bindungssicherheit und Autonomie:

bedingungsfreie positive Beachtung

� Feinfühlige ErzieherInnen bewirken, dass das Kind sich und die Welt besser versteht, weil die ErzieherInnen versuchen, das Kind zu verstehen, ihm Erklärungen geben und damit Sinn vermitteln. Im Kind entsteht ein Gefühl für sich selbst und darüber „die Fähigkeit, intuitiv anderen Menschen eigene Gedanken, Wünsche, Phantasien, Absichten, kurz mentale Prozesse zu unterstellen“ (SCHLEIFFER, 2007, 53).

� Diese Fähigkeit wird unter dem Begriff „Theory of Mind“ (FONAGY/TARGET in SCHLEIFFER, 2007, 53) untersucht und stellt die Verbindung zwischen früher Interaktion und der Entwicklung der Selbstregulation her. Im Rahmen des Konzeptes „Theory of Mind“ gelingt es (sicher gebundenen Kindern besser), Handlungen anderer erklärbar und vorhersehbar zu machen, eine Grundlage für Empathie und soziale Kompetenz.

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 34

Page 35: Bindungsaspekte in der stationären Jugendhilfe - Lernen ... · (FONAGY/TARGET in SCHLEIFFER, 2007, 53) untersucht und stellt die Verbindung zwischen früher Interaktion und der Entwicklung

Bindungstypen der Kinder in der stationären Jugendhilfe

� Der Bindungstyp (D) der unsicher-desorganisierten Bindung (MAIN/SOLOMON 1986, MAIN 1995 nach SCHLEIFFER, 2009) ist in repräsentativen Stichproben bei etwa 15 % aller Kinder zu finden, bei „Hoch-Risiko-Gruppen“, d.h. bei Kindern, die zusätzlichen Risikofaktoren ausgesetzt sind, in etwa 80 % der Fälle (VAN IJZENDOORN et al. 1999 nach SCHLEIFFER, 2009). Die meisten misshandelten und vernachlässigten Kinder, aber auch Kinder von depressiven Müttern oder von Müttern, die selbst unter einem unverarbeiteten Bindungstrauma leiden, zeigen ein extrem widersprüchliches, stereotypes oder manchmal von akuter Angst vor der Bezugsperson geprägtes Bindungsverhalten.

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 35

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Resilienzförderung in der Jugendhilfepraxis: was können wir tun?

Widerstandsfähigkeit, Kompetenz, Vertrauen, Selbständigkeit und die Fähigkeit zur Fürsorge (soziale Reife) können sich auch unter sehr ungünstigen Lebensbedingungen entwickeln , wenn

� Kinder auf Erwachsene treffen, die ihnen eine sichere Basis bieten, auf der sie Vertrauen, Autonomie und Initiative entwickeln können.

� Kinder es schaffen, wichtige emotionale Beziehungen zu den wichtigen Bezugspersonen aufzubauen,

� Auch die schulische Kompetenz hängt mit der Anzahl der Quellen emotionaler Unterstützung bei Erzieherinnen, Lehrerinnen, Freundinnen und Personen in der weiteren Familie ab.

„Das Erleben und die Überzeugung, für erreichte Erfolge selbst verantwortlich zu sein, führte bei den Kindern dazu, dass sie nicht passiv auf die Einengungen durch widrige Lebensumstände reagierten, sondern von sich aus, andere Menschen aufsuchten, die ihnen halfen“. WERNER 1997, S. 202

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 36

Page 37: Bindungsaspekte in der stationären Jugendhilfe - Lernen ... · (FONAGY/TARGET in SCHLEIFFER, 2007, 53) untersucht und stellt die Verbindung zwischen früher Interaktion und der Entwicklung

Salutogenese: Ressourcen fördern

A. ANTONOVSKI : Welche positiven Faktoren gibt es, die dem Menschen helfen, seine Gesundheit zu bewahren? Ressourcen ermöglichen es dem Menschen, angesichts von Stresssituationen und Krisen die Balance aufrecht zu erhalten und gesund zu bleiben.

"Die Geschichte einer Person umfasst nicht nur die Risikofaktoren in ihrem Leben, sondern auch Faktoren, ...die aktiv für eine Bewegung in Richtung auf den Gesundheitspool des Kontinuums verantwortlich sind, und die ich die "heilsamen Ressourcen" nenne. (Medizinsoziologe ANTONOVSKY 1993).

Kritische Haltung gegenüber Medizin, aber auch Pädagogik und Psychologie, den Defiziten, Krankheiten, Funktionsstörungen zu viel Bedeutung zu geben.

Vielmehr sollen wir den Blick darauf lenken, welche Faktoren in der Lebensgeschichte einer Person bisher daran beteiligt waren, dass ein Überleben, Funktionieren und Standhalten möglich war.

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 37

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Heilsame Ressourcen

� ein weniger impulsives Temperament

� Intelligenz, als Voraussetzung für Lernprozesse und Schulbildung

� Konstante Bezugspersonen und gute Beziehungen in Familien und sozialem Umfeld

� Frühe Verantwortungsübernahme

� Aktives Bewältigungsverhalten

� Flexible Handhabung von Situationen, Anpassungsfähigkeit

� Fähigkeit zu einer realistischen Situationseinschätzung

� Religiöse Anbindung, Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft

� Eine feste Bezugsperson außerhalb der hochbelasteten Familie

� Zufriedenheit mit der erhaltenen Unterstützung

� Distanzierung von einem belastenden Elternhaus

� Eine realistische Zukunftsperspektive

� Ein geringes Empfinden von Hilflosigkeit und ein stärkeres Vertrauen in die eigenen

Kräfte

� Leistungsmotivation und –bereitschaft

� körperliche Ressourcen/Gesundheit

� psychische Ressourcen, z.B. Ausgeglichenheit

� materielle Ressourcen

� Hilfreiche Muster der Herkunftsfamilie

[1

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Sich selbst erleben und ausprobieren

Sich präsentieren

Musik machen

und erleben Gemeinsam sportlich

unterwegs

Kinder stärken….

39Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013

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Du bist geliebtDu schaffst was

Du kannst was bewirken

Du bist einzigartig

Du bist DU40Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013

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Resilienzförderung: bindungsorientierte Pädagogik und fachpädagogische Ressourcenförderung

Fachpädagogische Angebote in der Jugendhilfe ergänzen die

Bindungsarbeit

� Sport und Bewegung: Sportangebote, Psychomotorik,

Erlebnispädagogik, Tierpädagogik

� Musik, langfristige niedrigschwellige musikpädagogische

Förderung

� Kunst, Kreativitätsfördernde Projekte

� Ressourcenorientierte therapeutische Ansätze (Kunst-

Gestaltungs-, Spieltherapie, Biografiearbeit, Familienberatung

und –therapie)

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 41

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AK STARK

NullFluppClub

Fit forLife

Fortbildungen

Informa-tion

Beratung

Kinder-dorfrat

N ull F l u p p

C l u b -

42Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013

Page 43: Bindungsaspekte in der stationären Jugendhilfe - Lernen ... · (FONAGY/TARGET in SCHLEIFFER, 2007, 53) untersucht und stellt die Verbindung zwischen früher Interaktion und der Entwicklung

43Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013

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Bindungsfördernde Rahmenbedingungen in der stationären Jugendhilfe

Bindungstagung KatHo Aachen Januar 2013 44

o genug Zeit und Stabilität zum Vertrauens- und Beziehungsaufbau, genug Sicherheit

innerhalb eines Settings, genug Zeit zur Stabilisierung: Bindung braucht einfach

genug Zeit

o Rechtzeitiger, früher Beginn der Hilfe: nicht ambulant vor stationär, sondern

Bindungssicherheit als Richtlinie der Hilfeentscheidung.

o Personelle Kontinuität, Verantwortlichkeit der Erzieherinnen und Erzieher stärken,

Sicherheit für Kinder und Mitarbeiter herstellen.

o Bindungskompetenz bei ASD und Heimpädagogen

o Fördern von Bindungen, die durch Kinder gesetzt werden – Kinder suchen sich

Bindungspersonen! Partizipation fördern und einhalten. Kinder in Entscheidungen mit

einbeziehen.

o kein Verlegen der Kinder von Gruppe A (Intensiv) zu Gruppe B (Regel) aus

Kostengründen!

o Bindungspersonen in familiären Settings - Kinderdorffamilien, Erziehungsstellen,

SPL - langfristig fachlich stabilisieren und absichern

Page 45: Bindungsaspekte in der stationären Jugendhilfe - Lernen ... · (FONAGY/TARGET in SCHLEIFFER, 2007, 53) untersucht und stellt die Verbindung zwischen früher Interaktion und der Entwicklung

Bindungsorientierte Kinder- und Jugendhilfe

ist wirksam und macht Spaß

Bindungsorientierte Arbeit erhöht und verstärkt die Wirksamkeit der Kinder- und Jugendhilfe.

Sie erfordert fachpädagogische Qualifikation, personelle und sächliche Ressourcen.

Sie ist notwendig, um Kreisläufe gestörter Bindungsfähigkeit zu unterbrechen

Bindungsorientierte stationäre Jugendhilfe ist befriedigend, sinnvoll und macht Spaß!

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