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Christian Gaedt

Psychopharmakotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung

Evangelische Stiftung NeuerkerodeOktober 1995

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Neuerkeröder Beiträge Heft 10Zu beziehen über: Evangelische Stiftung Neuerkerode, Krankenhaussekretariat, 38173 Neuerkerode, Tel.: 05305 201 280Fax: 05305 201 321

Veröffentlich in: Anton Dosen "Psychische Erkrankungen und psychische Störungen bei Menschen mit geistiger Behinde- rung", S.267-354, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart (1997)

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort S.4

Einleitung S. 5

Besonderheiten der Psychopharmakotherapiebei Menschen mit geistiger Behinderung S. 6

"Nicht krankheitsbedingte" psychische Störungen? S. 12

Anwendungsgebiete, Wirkungen und Nebenwirkungen der wichtigsten Medikamentengruppen S.14

Neuroleptika S.14Antidepressiva S.42Stimmungsstabilisierende Medikamente

S.46Tranquilizer S.57Andere Medikamente S.58

Empfehlungen zum Umgang mit Psychopharmaka S.63

Auflistung der chemischen Kurzbezeichnungen im Text erwähnter Präparate Anhang

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Vorwort

Über den Einfluß organischer Vorschädigungen bei Menschen mit einer geistigen Behinderung auf die Wirkung von Psychopharmaka ist noch wenig bekannt. Es ist ein Faktor, den man besonders auch in Hinblick auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten schwer einschätzen kann. Diese Unsicherheit wird noch durch viele Besonderheiten der Psychopharmakotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung verstärkt. Ein geistig behinderter Patient kann oft wenig über seine Befindlichkeit mitteilen und die Kommunikation über Verhaltensweisen ist of schwer zu interpretieren. Die Qualität von Diagnostik und Verlaufskontrollen hängen dann vom betreuenden Personal oder von Familienangehörigen ab. Das macht Therapie und Diagnostik in starken Maße abhängig von gruppendynamischen Faktoren. Psychopharmakotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung erfordert daher nicht nur eine gute Kenntnis der Wirkungen und Nebenwirkungen der einzelnen Pharmaka, sondern auch die Bereitschaft, sich auf die individuelle Situation der Patienten mit ihren psychischen, somatischen und sozialen Besonderheiten einzulassen. Das vorliegende Heft will daher nicht nur über Fakten und Erfahrungen informieren, sondern auch Anregungen für ein besseres Verständnis dieser speziellen Probleme vermitteln und so einen Beitrag zu einer ganzheitlich orientierten Psychopharmakotherapie leisten.Mein besonderes Anliegen ist es darüberhinaus, mit diesem Heft für die besondere Verantwortlichkeit hinzuweisen, die sich aus der schwierigen Abgrenzung von psychischen Erkrankungen und nicht-krankheitsbedingten Verhaltenstörungen ergibt. Neuerkerode, den 10.10.1995

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Psychopharmakotherapie bei Menschen

mit geistiger Behinderung

Einleitung

Anton Dosen hat bei der Darstellung der verschiedenen klinischen Bilder und deren Behandlung auch die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen der Psychopharmaka aufgezeigt. Im Folgenden geht es in Ergänzung dazu um eine überblicksartige Zusammenfassung der wichtigsten Medikamentengruppen und deren Anwendungsgebiete sowie um eine Einschätzung der Erfolgsaussichten. Unser Wissen über die Wirkungsweise der verschiedenen Psychopharmaka ist trotz guter Detailkenntnisse noch äußerst beschränkt. Insbesondere können wir im Einzelfall nur sehr vage Antworten auf die Frage nach dem "richtigen" Medikament geben. Die methodischen Schwierigkeiten bei der wissenschaftlichen Erforschung klinisch relevanter Fragestellungen sind so groß, daß die Hoffnung auf eine "maßgeschneiderte", wissenschaftlich abgesicherte Pharmakotherapie sich in nächster Zeit höchstens für einige gut erforschte Sonderfälle erfüllen wird. Die Pharmakotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung wird auch weiterhin eher eine auf Praxiserfahrung beruhende

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"Kunst" (Crabbe, 1994, S.184) und weniger eine wissenschaftlich fundierte Behandlungstechnik sein. Das liegt sicherlich nicht nur an der Vielfältigkeit der pharmakologischen Probleme, sondern auch an den Besonderheiten der Rahmenbedingungen, unter denen die Psychopharmakotherapie durchgeführt werden muß.

Bevor ich die einzelnen Medikamentengruppen und ihre Anwendungsgebiete zusammenfassend darstelle, soll zunächst auf diese Besonderheiten der Psychopharmakotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung hingewiesen werden. Weil die Ausdehnung der Indikation auf nicht krankheitsbedingte Störungen eine große Bedeutung für die klinische Praxis hat, wird dieser Besonderheit ein spezieller Abschnitt gewidmet. Schließlich werde ich auf den gesetzlichen Rahmen der Psychopharmakotherapie in Deutschland eingehen und einige zusammenfassende Empfehlungen zum Umgang mit Psychopharmaka geben.

Besonderheiten der Psychopharmakotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung

Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß Psychopharmaka bei Menschen mit geistiger Behinderung generell andere pharmakologische Wirkungen haben, als es die Erfahrung aus der

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allgemeinen Psychiatrie erwarten lassen. Sicherlich sind aufgrund spezifischer Vorschädigungen oder genetisch bedingter funktioneller Abweichungen des Zentralnervensystems besondere Reaktionen auf spezielle Psychopharmaka denkbar. Sie sind dann jedoch entweder individuelle oder syndrombezogene Besonderheiten, die sich nicht generalisieren lassen. Außerdem sind sie noch zu wenig erforscht, um für die Praxis relevant zu sein.

Es gibt also keine spezielle Pharmakologie für Menschen mit geistiger Behinderung. Die Psychopharmakotherapie kann jedoch nicht auf ihre pharmakologischen Grundlagen reduziert werden. Indikation, Erfolg und die Rate der Nebenwirkungen hängen in starkem Maße von den soziopsychologischen Rahmenbedingungen ab, unter denen die medikamentöse Therapie durchgeführt wird (vgl. Sand, 1986 u.1994). Ähnliche Besonderheiten kennzeichnen die psychiatrische Praxis im Umgang mit Kindern oder alten Menschen. Bei psychisch auffälligen geistig behinderten Personen haben diese Rahmenbedingungen jedoch ein besonderes Gewicht, so daß man zwar nicht von einer speziellen Pharmakologie, aber mit Recht von einer speziellen Psychopharmakotherapie sprechen kann.

Die wichtigsten Besonderheiten sind:

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1. Die diagnostische Unschärfe ist noch größer, als es bei psychiatrischen Erkrankungen allgemein üblich ist. Entsprechend unsicher ist die Indikationsstellung. Das liegt insbesondere daran, daß die Betroffenen oft andere und ungewohnte Möglichkeiten nutzen müssen, um ihre Symptome mitzuteilen. Oft bleibt ihnen nur die Kommunikation über das Verhalten. Es kommt hinzu, daß psychiatrische Krankheitsbilder sich in Abhängigkeit von der Ausprägung der geistigen Behinderung auf unterschiedliche Weise manifestieren, also eine völlig andere Symptomatik entstehen kann. Eine bedeutsame Folge davon ist, daß die Abgrenzung von nicht krankheitsbedingten Verhaltensstörungen unsicher ist. Oft finden sich klinische Mischbilder, in denen sich die Symptome einer psychiatrischen Erkrankung, entwicklungsbedingte Auffälligkeiten und gelernte Verhaltensweisen in einer schwer durchschaubaren Weise verbinden.

2. Die Indikationsliste wird bei geistig behinderten Menschen auf nicht krankheitsbedingte störende Verhaltensweisen ausgedehnt. Dabei handelt es sich in der Regel um gelerntes Verhalten, das der Anpassung oder der Durchsetzung dient. Oft ist es in die Persönlichkeit integriert und somit ein Teil der erlebten Identität. Die Ausweitung der Indikation auf diese Störungen wird kontrovers diskutiert, ist aber üblich.

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3. Bei geistig behinderten Menschen liegt oft eine Unreife der psychischen Strukturen und Funktionen vor. Es ist strittig, ob die resultierenden Verhaltensauffälligkeiten als krankhafte Störungen zu werten sind. Ein häufiges Anzeichen für eine gestörte oder nicht vollendete Entwicklung sind zum Beispiel unzureichend ausgebildete oder instabile Ich-Funktionen. Diese Ich-Funktionen dienen der Anpassung an die soziale Umwelt. Gemeint sind etwa Funktionen wie Impulskontrolle, Aufschub von Bedürfnisbefriedigungen, Frustrationstoleranz, Reizabschirmung usw. Ich-Funktionsschwächen sind oft die Ursache von Verhaltensstörungen, die nicht auf Lernprozesse zurückgeführt werden können. Zu den Ich-Funktionen gehören auch die sogenannten Abwehrmechanismen, die der Unterdrückung störender und angstauslösender Erlebnisinhalte dienen. Unreife Ich-Funktionen führen oft zu Schwierigkeiten, sich sozialen Normen anzupassen. Unreife psychische Funktionen führen auch zu einer eingeschränkten Fähigkeit, Veränderungen des Erlebens, z.B. infolge der Wirkungen und Nebenwirkungen von Psychopharmaka, einzuordnen und zu verarbeiten. Die Folge dieser Unsicherheit ist Angst, die, wie die anderen Befindlichkeitsstörungen auch, nur interaktionell als Verhaltensstörung zum Ausdruck gebracht werden kann.

4. Eine weitere Konsequenz der Unreife der psychischen Strukturen und Funktionen ist, daß sich geistig behinderte Menschen oft nur unzureichend von

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Spannungen und Stimmungen in ihren Bezugsgruppen abgrenzen können. Sie werden so zum Symptomträger und bringen über ihr Verhalten chronische Konflikte innerhalb ihrer Bezugsgruppe zum Ausdruck. Eine Behandlung mit Psychopharmaka könnte zwar möglicherweise störende Symptome beseitigen, hätte dann aber den falschen Ansatzpunkt.

5. Die Lebensbedingungen von Menschen mit geistiger Behinderung enthalten häufig unzumutbare Belastungen. Oft wird ihnen ein Lebensstil aufgezwungen, der ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten nicht entspricht. Verhaltensauffälligkeiten sind dann als Reaktion auf diese Lebensbedingungen zu sehen. Die Anwendung von Psychopharmaka müßte unter diesen Umständen als Mißbrauch angesehen werden.

6. Bei vielen geistig Behinderten liegen neben den psychischen Auffälligkeiten auch andere gesundheitliche Probleme vor. Besonders häufig ist zum Beispiel eine Kombination mit epileptischen Anfällen. Der Arzt sieht sich dann gezwungen, mehrere Medikamente mit unterschiedlicher Indikation gleichzeitig zu verordnen. Weil Psychopharmaka auch körperliche Auswirkungen haben und auf der anderen Seite zum Beispiel Antiepileptika auch psychotrope Wirkungen aufweisen, entstehen leicht unübersichtliche Verhältnisse. Diese Nebenwirkungen und Wechselwirkungen müssen bei der

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Indikationstellung und der Wahl des Medikamentes beachtet werden.

7. Hirnorganische Störungen beeinflussen die Wirkungen von Psychopharmaka in einer nicht vorhersehbaren Weise. Das betrifft sowohl die erwünschten, als auch die unerwünschten Wirkungen. Alle diese Wirkungen kann man nicht generalisieren. Manchmal findet man eine erhöhte Ansprechbarkeit, manchmal eine überraschende Therapieresistenz. Wichtig ist, daß man in der Regel von einer höheren Empfindlichkeit für Nebenwirkungen ausgehen kann. Es spricht viel dafür, daß ein vorgeschädigtes zentrales Nervensystem weniger gut in der Lage ist, Störfaktoren auszugleichen. Man muß also nicht eine spezifische Überempfindlichkeit für einzelne Nebenwirkungen annehmen. Dabei können auch komplexere psychische Funktionen eine Rolle spielen. Wenn zum Beispiel die Gewichtszunahme unter Neuroleptikagabe bei Menschen mit geistiger Behinderung ein größeres Problem darstellt als bei anderen Patienten, so muß das nicht auf eine stärkere direkte Einwirkung der Neuroleptika zurückgeführt werden. Um diesen Effekt zu erklären, genügt der Hinweis auf eine verminderte Fähigkeit zum Gegensteuern, etwa über eine bewußte Kontrolle der Nahrungsaufnahme oder über eine Verstärkung körperlicher Aktivität.

8. An diesem Beispiel kann ein weiterer Faktor verdeutlicht werden, der zur Erklärung besonderer,

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nicht pharmakologisch erklärbarer Wirkungen psychotroper Medikamente beiträgt. Es ist der geistig behinderten Menschen oft aufgezwungene Lebensstil und die damit zusammenhängende Betonung einzelner Bedürfnisbereiche. Bei Menschen mit geistiger Behinderung hat Essen und Trinken aus verständlichen Gründen eine oft überwertige Bedeutung (Gärtner, 1988). Entsprechend schwerer ist es für diese Personen, unter dem Einfluß von Neuroleptika ihr Körpergewicht konstant zu halten.

9. Der psychopathologische Befund und das objektiv beschreibbare Verhalten sind meist nicht die entscheidenden Faktoren für die Durchführung einer Psychopharmakotherapie. Das gilt prinzipiell für die allgemeine Psychiatrie, bei geistig behinderten Menschen ist jedoch der Einfluß anderer Faktoren noch deutlicher. Entscheidend ist in der Regel die Einschätzung der Belastung der betreuenden Mitarbeiter bzw. der Angehörigen sowie der Personen, die mit dem Symptomträger zusammenleben müssen. Als subjektives Phänomen ist diese Belastung von vielen objektiven Gegebenheiten und sogenannten Sachzwängen abhängig, wie zum Beispiel Gruppenzusammensetzung, Stellenplan, Qualifikation des Personals und Toleranz des sozialen Umfeldes. Hinter dem Wunsch nach einer medikamentösen Intervention verbergen sich also häufig Zielsetzungen und Interessen, die primär mit dem Wohlergehen des Betroffenen nicht unbedingt etwas zu tun haben. Entsprechende interessenbezogene Verzerrungen

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werden bereits bei der Befunderhebung und bei Festlegung der Diagnose wirksam. Besonders bedeutsam sind in diesem Zusammenhang unbewußte negative Affekte auf Seiten des Personals, mit denen man bei den oft schweren psychischen Belastungen rechnen muß.

10. Die oft außerordentlich intensiven und meist widersprüchlichen emotionalen Reaktionen der Bezugspersonen sind eine weitere Besonderheit. Sie resultieren aus der Kombination von provozierenden, destruktiven, gefährlichen oder abstoßenden Verhaltensweisen und der unübersehbaren Hilfebedürftigkeit der Betroffenen. Auf dem Hintergrund von hohen moralischen und fachlichen Ansprüchen an sich selbst entsteht eine Mischung von Hilflosigkeit, Mitleid, Angst, Wut, Abscheu und entsprechenden Schuldgefühlen. Unter diesen Bedingungen werden die Erwartungen an die Psychopharmaka zunehmend irrational. Es vermischen sich dabei der Wunsch nach Hilfe für den Betroffenen und nach eigener Entlastung mit unbewußten Entwertungs- und Bestrafungstendenzen. Es kann aber auch sein, daß bei den Bezugspersonen Schuldgefühle gepaart mit einer übermäßigen Leidensbereitschaft im Vordergrund stehen und eine ablehnende Haltung gegenüber Psychopharmaka bewirken. In jedem Fall wird es schwer sein, eine konsensfähige und dem Wohl des Betroffenen angemessene Entscheidung zu treffen. Das Pharmakon bleibt in seiner Wirksamkeit nicht auf

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seine Funktion als "Neurotransmitter" beschränkt. Indem es zum Medium für unbewußte Ängste, Hoffnungen und Absichten wird, übernimmt es zusätzlich die Funktion eines "psychosozialen Transmitters". Der Erfolg der Therapie und das Ausmaß von Nebenwirkungen hängen in gleicher Weise davon ab, ob eine Klärung der beteiligten Emotionen und Interessen gelingt (Sand, 1986, 1994).

Was sind "nicht krankheitsbedingte" psychische Störungen?

Die Kritik an der Psychopharmakotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung richtet sich nicht gegen die Anwendung bei psychiatrischen Erkrankungen. Hier gelten die üblichen Einschränkungen und Bedenken, die seit Beginn der Psychopharmaka-Ära immer wieder formuliert wurden und die sich hauptsächlich auf die Wirkung der Neuroleptika beziehen (vgl. Finzen, 1993, S.230). Umstritten ist dagegen der Einsatz dieser Medikamente bei Verhaltensstörungen, die als nicht krankheitsbedingt gelten. Das damit zusammenhängende Problem des Mißbrauchs wird auch heute noch nicht in der notwendigen Klarheit erkannt. Der Grund hierfür ist die noch immer ungebrochene psychiatrische Tradition, die Ursachen störender Verhaltensweisen bei geistig behinderten Menschen auf organische Faktoren zu reduzieren und sie damit dem psychiatrischen Krankheitsbegriff

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unterzuordnen. Aus diesem Grund hält man auch heute noch eine medikamentöse Behandlung von psychischen Auffälligkeiten bei dieser Personengruppe häufig nicht nur für indiziert, sondern auch für ausreichend. Nur langsam setzt sich in Deutschland - insbesondere auch unter dem Einfluß der Arbeiten von Anton Dosen - ein vertieftes Verständnis von psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten durch, das sich nicht nur auf die biologischen Grundlagen beschränkt, sondern entwicklungspsychologische, sozialpsychologische und psychodynamische Faktoren einbezieht. Auch die sozialpsychiatrische Bewegung hat viel dazu beigetragen, das Dogma der organischen Verursachung von psychischen Störungen bei Menschen mit geistiger Behinderung aufzulockern. Heute gilt es als selbstverständlich, daß viele Verhaltensauffälligkeiten bei diesem Personenkreis nicht durch hirnorganische Prozesse oder andere psychiatrische Erkrankungen zu erklären sind, sondern zum Beispiel als Protest- oder Anpassungsreaktionen oder als das Resultat verweigerter Entwicklungsmöglichkeiten.

Die Unterscheidung zwischen krankheitsbedingten und nicht krankheitsbedingten Störungen ist vordergründig gesehen unnötig, weil es keine befriedigende Definition psychiatrischer Krankheiten gibt. Auch die psychiatrische Forschung orientiert sich nicht mehr an einem umfassenden Krankheitsbegriff. So wird in dem Klassifikationssystem der

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Weltgesundheitsorganisation (ICD 10) der Ausdruck "Krankheit" vermieden. Stattdessen spricht man jetzt unverbindlich von "Störungen". Auch wenn also auf der theoretischen Ebene die Unterscheidung zwischen "krankheitsbedingten" und "nicht krankheitsbedingten Störungen" belanglos geworden ist, wirkt in der Praxis der Psychiatrie das Etikett "Krankheit" jedoch nach wie vor, indem es alle Störungen kennzeichnet, für die das traditionelle psychiatrische Hilfsangebot, einschließlich der Psychopharmakotherapie, zuständig ist. Das Etikett "nicht krankheitsbedingt" gewinnt seine Bedeutung dadurch, daß es die Grenzen der traditionellen Psychiatrie aufzeigt und verhindert, daß zum Nachteil der Betroffenen falsche Zuweisungen gemacht werden.

Die im Vergleich zur übrigen Bevölkerung auffallend hohe Häufigkeit1 der Anwendung von Psychopharmaka bei Menschen mit geistiger Behinderung erklärt sich nicht durch eine entsprechende Häufigkeit psychiatrischer Erkrankungen (Deb u. Fraser, 1994, S.262, Schaal u., Hackenberg , 1995). Es liegt der Verdacht nahe, daß hier eine Grenzüberschreitung der Psychiatrie vorliegt und die Medikamente nicht im Sinne von Heilmitteln sondern als "Disziplinierungsmittel" (Gaedt, 1986, S.20) oder als "chemischer Zwang" (Crabbe, 1994, S.184) eingesetzt werden; Boehlke (1992, S.82) spricht von 1 Deb und Fraser (1994, S.261) fanden in der Literatur Häufigkeitsangaben, die bis zu fünfmal höher lagen als die für die Normalbevölkerung. Sie fanden außerdem eine Tendenz zu höheren Dosen und zur Polyphamazie.

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"fragwürdigen Indikationen". Die Erfolge und damit die Berechtigung dieser Praxis werden in der wissenschaftlichen Diskussion bezweifelt (Harvey u.Cooray, 1993, Schaal u. Hackenberg, 1995 ). Untersuchungen der letzten Jahre (Lit. bei Branford, 1994) sprechen eher dafür, daß die Häufigkeit der Anwendung und die Höhe der Dosierung nicht in einem vertretbaren Verhältnis zu dem erreichten Erfolg stehen. Darauf hat auch Dosen hingewiesen. In vielen Ländern wächst daher das Mißtrauen gegen diese Praxis. Es richtet sich vor allem gegen den unkritischen Gebrauch von Neuroleptika als den am häufigsten eingesetzten Psychopharmaka.

Psychopharmaka sind, weil sie mit dem Ziel der "Disziplinierung" angewandt werden können, eine Bedrohung der Menschenrechte gerade derjenigen Menschen, die auf Grund ihrer Behinderung und der ihnen dadurch aufgezwungenen Lebensweise einem hohen Risiko ausgesetzt sind, abweichende Verhaltensweisen zu entwickeln. Es ist schwierig, die Möglichkeit des Mißbrauches auszuschließen. Ein generelles Verbot der Psychopharmakotherapie in allen Fällen, in denen keine klare psychiatrische Erkrankung nachgewiesen werden kann, wäre kein Ausweg. Zum einen ist eine sichere und eindeutige Diagnose bei Menschen mit geistiger Behinderung zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns nicht immer möglich. Oft muß der Arzt in einer sich gefährlich zuspitzenden Krise handeln, obwohl das klinische Bild noch mehrdeutig ist und für lange Zeit auch bleibt.

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Eine prinzipielle Verweigerung der Psycho- pharmaka würde sich oft nachteilig für die Betroffenen auswirken. Zum anderen ist die Nutzung der unspezifischen Wirkungen dieser Medikamente oft die einzige Möglichkeit, den Erfolg pädagogischer Maßnahmen zu bahnen und langfristig abzusichern. Wenn erreicht werden kann, daß einem schwer verhaltensgestörten geistig behinderten Menschen ein Leben in der Gemeinschaft ermöglicht wird und ihm langwierige Zwangsmaßnahmen erspart werden, ist es nicht sinnvoll, von einer Menschenrechtsverletzung zu sprechen. Besser als ein generelles Verbot der Anwendung von Psychopharmaka in solchen Fällen ist eine verstärkte öffentliche Kontrolle der Indikationsstellung, des Behandlungsplans und des Verlaufs.

Anwendungsgebiete, Wirkungen und Nebenwirkungen der wichtigsten Medikamentengruppen

1. Neuroleptika

Erwünschte Wirkungen

Nach Einnahme eines Neuroleptikums treten mit einer oft tagelangen Verzögerung Veränderungen auf, die als "emotionale Indifferenz" und "intentionale Verarmung" beschrieben wurden. Positiv und gleichzeitig etwas verharmlosend, spricht man heute

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von affektiver Dämpfung, Verminderung von Angst und Reduktion von aggressiven Tendenzen. Aus psychodynamischer Sicht - und diese Sichtweise ist, wenn es um psychische Prozesse geht, immer angebracht - kann man annehmen, daß durch diese Wirkungen interne Anpassungsfunktionen ("Ich-Funktionen") entlastet und stabilisiert werden. Die eigentliche "antipsychotische" Wirkung kann erst nach ein bis vier Wochen beurteilt werden (bei chronischen Syndromen noch später!). Der späte Eintritt der "antipsychotischen" Wirkung spricht dafür, daß die Neuroleptika nicht direkt auf die psychotischen Symptome bzw. deren Ursachen einwirken. Vielmehr nimmt man an (Rüther, zit nach Dose, 1993, S.26), daß die Neuroleptika das affektive Erleben unspezifisch verändern, wodurch Prozesse ermöglicht werden, die sich am Ende antipsychotisch auswirken. Das würde auch die Beobachtung erklären, daß akute Syndrome mit starker affektiver Beteiligung (und akut überforderten Ich-Funktionen) besonders gut auf Neuroleptika ansprechen (Janzarik, zit. nach Dose, 1993, S.26). Die Wirkungen der Neuroleptika zeigen keine Gewöhnung (Abnahme der Wirkung bei gleicher Dosierung) und provozieren keine Suchtentwicklung. Allerdings gilt dies nur für die charakteristische, neuroleptische Wirkung. Bei den Begleitwirkungen (z.B. Sedierung) tritt in den ersten Wochen eine Abnahme ein, was nicht unbedingt ein pharmakologisches Phänomen sein muß, sondern auch auf einer psychischen Gegenregulation beruhen kann. Außerdem ist die individuelle Ansprechbarkeit,

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gerade in Bezug auf die begleitende sedierende Wirkung sehr unterschiedlich. Manchmal kann man auch mit hohen Dosen keine befriedigende Sedierung erzwingen, während die geringste Dosis des gleichen Medikamentes bei einer anderen Person eine tagelange Schläfrigkeit erzeugt.

Auswahlkriterien; Beispiele für häufig angewandte Medikamente

Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten, die die oben beschriebene "antipsychotische" Wirkung haben. Diese charakteristische Wirkung ist bei den verschiedenen Medikamenten unterschiedlich stark ausgeprägt. Man spricht von "hoch-", "mittel-" und "schwachpotenten" Neuroleptika. Außerdem haben die einzelnen Medikamente ein unterschiedliches Spektrum von erwünschten und unerwünschten Wirkungen (s.u.). Das erklärt die Vielfalt.

Die Übersicht wird durch eine Faustregel etwas erleichtert. Danach haben hochpotente Neuroleptika folgende Eigenschaften: starke antipsychotische Wirkung, stark antriebsdämpfend, wenig sedierend, starke extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen, geringe anticholinerge/vegetative Nebenwirkungen. Dagegen erwartet man bei mittel- und schwachpotenten Neuroleptika eine schwächere antipsychotische Wirkung, eine stärkere Sedierung, weniger extrapyramidal-motorische Wirkungen und

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ausgeprägte vegetative Nebenwirkungen. Die Auswahl wird wieder schwieriger, weil vielen dieser Medikamente besondere Eigenschaften und Wirkungen zugeschrieben werden, die sie von den anderen im positiven oder negativen Sinne abheben. Sucht man zum Beispiel ein Neuroleptikum bei einem depressiven Patienten, so wird man eher Thioridazin nehmen, weil es eine leichte stimmungshebende Komponente haben kann, und nicht Haloperidol, weil dies eher die Stimmung senkt. Umgekehrt wird man bei jemandem, der übergewichtig ist, ungern zum Beispiel Thioridazin oder Clozapin wählen, weil durch diese Medikamente die Tendenz zum Übergewicht verschärft wird, während Haloperidol darauf kaum Einfluß hat. So gibt es eine Fülle von praxisrelevanten Tips, die sich allerdings nicht immer als richtig erweisen. Trotzdem wird die einfache Faustregel nicht ganz ausreichen, um in allen Fällen eine differenzierte neuroleptische Medikation auswählen zu können. Man ist dann auf ein Nachschlagewerk angewiesen ( z.B. Riederer, Laux u. Pöldinger, 1992; Benkert u. Hippius, 1986).

Der Rat von Finzen (1993, S.183), man solle sich auf einige wenige Psychopharmaka beschränken, um mit deren Eigenschaften vertraut zu werden, ist trotzdem richtig. Ein weiterer Vorteil wäre, daß auf diese Weise Verordnungstraditionen entstehen können, die den verantwortlichen Ärzten eine sichere Basis für ihre Empfehlungen geben; diese Sicherheit wirkt sich in den oft stark emotionalisierten Krisensituationen

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günstig auf den Verlauf der Pharmakotherapie aus. Allerdings ist man in der Wahl der Medikamente nur frei, wenn man sie als Erster verordnen kann. Im Laufe der Zeit wird das eigene Medikamentenspektrum durch vorbehandelte Patienten erweitert, so daß man sich doch mit vielen verschieden Medikamenten auseinandersetzen muß. Dabei macht man die Erfahrung, daß es sich nicht lohnt, einer einheitlichen Verordnungspraxis zuliebe, befriedigend wirkende, aber nicht vertraute Medikamente durch bekannte zu ersetzen. Oft erreicht man bei solchen Versuchen keine gleichwertige Wirkung, wobei es unklar bleibt, ob es sich dabei um einen pharmakologischen oder einen psychologischen Effekt handelt.

Für die Standardbehandlung haben sich in meinem Erfahrungsbereich folgende Medikamente bewährt:

Schwachpotente Neuroleptika:Perazin ÄD2 = 400 mg, schwache antipsycho- tische Wirksamkeit bei mäßiger Se- dierung und deutlichen vegetativen Nebenwirkungen; Thioridazin ÄD23 = 400 mg, schwache antipsycho- tische Wirksamkeit bei starker Sedie- rung und mäßigen vegetativen

2 Die klinisch-empirische Äquivalentdosis bezieht sich auf die "neuroleptische Schwellendosis". Die Werte sind einer tabellarischen Auflistung von Dietmaier und Laux entnommen.

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Ne- benwirkungen, wenig extrapyramidal- motorische NebenwirkungenLevomepromazin ÄD = 350 mg, schwache neurolepti- sche Potenz bei starker Sedierung und ausgeprägten vegetativen Ne benwirkungen, wenig extrapyra mdale Nebenwirkungen

Mittelpotente Neuroleptika:Perphenazin AD = 32 mg, starke antipsychotische Wirksamkeit bei mäßiger Sedierung, wenig vegetative Nebenwirkungen, häufige extrapyramidal-motorische NebenwirkungenZuclopentixol ÄD = 60 mg, mittelstarke antipsychoti- sche Wirkung bei deutlicher Sedie- rung, relativ wenig vegetative und ex- trapyramidal-motorische Nebenwir- kungen; auch als Depotpräparat er

hältlich

Hochpotente Neuroleptika:

Haloperidol ÄD = 5 mg, stark antipsychotisch bei geringer Sedierung, gute antimani- sche Wirksamkeit,wenig

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vegetative Nebenwirkungen, häufig extra-

pyramidale Nebenwirkungen; auch

als Depotpräparat erhältlichFluphenazin ÄD = 5 mg, stark antipsychotisch, we- nig sedierend, häufig extrapyramidal motorische Nebenwirkungen; auch als Depotpräparat erhältlichFlupentixol ÄD = 6 mg, stark antipsychotisch, we- nig sedierend, weniger extrapyra-

midal-motorische Nebenwirkungen; auch als Depotpräparat erhältlich

"Atypische" Neuroleptika:

Clozapin ÄD = 100 mg, mittelstarke antipsycho tische Wirksamkeit, starke sedierende Wirkung, gute aggressionsdämpfende Wirkung, keine extrapyramidalen Ne- benwirkungen; starke vegetative -

Nebenwirkungen; delirogen; iktogen; Agranulocytose-Gefahr, daher ist die Verordnung an bestimmte Auflagen gebunden (siehe Finzen, 1993) Sulpirid ÄD = 600 mg, schwache antipsychoti- sche Wirksamkeit, in niedriger Dosie rung aktivierend und

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antidepressiv, kaum extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen

Dosierung, Änderung der Dosierung, Medikamentenwechsel und Dauer der Behandlung

Die Frage nach der richtigen Dosierung ist nur individuell zu beantworten. Trotzdem gibt es einige allgemeine Regeln. Unter Bezug auf eine Veröffentlichung von Rifkin und Siris verweist Finzen (1993, S.186) auf einen Standarddosisbereich für Neuroleptika. Innerhalb dieses Bereiches ist mit einer antipsychotischen Wirkung zu rechnen. Dosierungen jenseits dieser Grenze sind sinnlos und verstärken nur die Nebenwirkungen. Der Standarddosisbereich liegt bei 400 bis 1200 mg/Tag Chlorpromazin, was nach Finzen für Haloperidol einem Dosisbereich von 6-18 mg entspricht. Klieser und Lehmann (1992) konnten zeigen, daß mit einer Standardtherapie von 10 mg Haloperidol pro Tag bessere Ergebnisse erzielt werden konnten als zum Beispiel mit einer Tagesdosis von 20 mg. Mit einer darüber hinausgehenden Dosierung kann man möglicherweise eine verstärkte Sedierung erreichen, was zur Behandlung manischer Syndrome und schwerer Verhaltensstörungen nützlich sein kann. Man gewinnt aber keinen zusätzlichen Einfluß auf die psychotische Symptomatik. Neuere Untersuchungen zeigen, daß dieser Standarddosisbereich noch zu hoch ist und man mit noch geringeren Dosierungen

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auskommt. Die Frage, wann man ein Medikament oder eine bestimmte Dosierung als wirkungslos betrachten muß, ist nicht leicht zu beantworten. Was den antipsychotischen Effekt betrifft, so tritt er erst nach ein bis drei Wochen ein. Untersuchungen von Quitkin und Mitarbeitern (zit. nach Finzen, 1993, S.188) zeigen, daß selbst ein Zeitraum von 6 Wochen für eine endgültige Beurteilung noch zu kurz ist. Aus pragmatischen Gründen wird man sich jedoch, in Abhängigkeit vom aktuellen Problemdruck, nach 4-6 Wochen für ein anderes Medikament entscheiden können.

Bei der Behandlung psychotischer Syndrome kann man relativ frühzeitig versuchen, die Dosis zu reduzieren. Dose (1993, S.27) empfiehlt, den ersten Reduktionsversuch eine Woche nach Erreichen eines befriedigenden Therapieerfolgs zu beginnen und in wöchentlichen Abständen fortzusetzen. Es gibt keinen Grund, dies nicht auch als Richtschnur bei der Behandlung von psychotischen Störungen von Menschen mit geistiger Behinderung zu nehmen. Eine Frist von 10 bis 14 Tagen muß abgewartet werden, bevor man einen Reduktionsversuch als gescheitert ansehen kann und die Dosis erneut erhöhen muß. Der Grund für diese Frist ist, daß es wie beim Beginn einer Therapie (siehe weiter unten) zu einem dopaminerg-cholinergen Ungleichgewicht kommen kann. Die damit verbundenen psychischen Störungen können leicht als Rezidiv fehlinterpretiert werden. Dose empfiehlt in

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diesen Fällen zur Klärung i.v. Gaben von Anticholinergika (z.B. Biperiden).

Eine Erhaltungsdosis wird sich nur durch vorsichtiges Herantasten finden lassen. Auch bei Menschen mit geistiger Behinderung ist es oft möglich, ihre Selbsteinschätzung zur Früherkennung eines nahenden Rezidivs zu nutzen und die Dosierung mit ihnen abzustimmen. Erhaltungsdosen in Höhe der Hälfte bis zu einem Fünftel der Anfangsdosis können erreicht werden. Bei der Behandlung von Verhaltensstörungen sind diese Regeln oft wenig hilfreich. Meist muß hier über längere Zeit eine höhere Dosierung gewählt werden, um eine Stabilisierung abzusichern.

Für die Beendigung der Therapie von psychotischen Störungen gelten die in der Psychiatrie üblichen Richtlinien (siehe Finzen, 1993). Danach sollte man bei einer Ersterkrankung spätestens sechs Monate nach Erreichen der Symptomfreiheit einen Absetzversuch machen. Bei Menschen mit geistiger Behinderung findet man selten solche Verläufe. Häufiger findet man lediglich eine Symptomminderung. Das gilt besonders bei der Behandlung von Verhaltensstörungen. Die Beendigung der Therapie stößt dann oft auf starke Widerstände bei den Angehörigen und bei den pädagogischen Mitarbeitern, was oft zu halbherzigen und erfolglosen Absetzversuchen führt. Es droht dann die "unendliche Behandlung", auch wenn die Erfolge der Medikamente keineswegs überzeugend sind. Die

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Empfehlung von Boehlke (1992), spätestens nach fünf Jahren einen Absetzversuch durchzuführen, ist sicherlich schon ein Kompromiß und sollte auf jeden Fall beachtet werden.

Depotpräparate

Die Verabreichung einer neuroleptischen Medikation in Depotform ist in der Regel nur bei einer geplanten Langzeittherapie sinnvoll. Der Vorteil besteht darin, daß auf diese Weise, die Medikamenteneinahme sicherer ist, als bei der täglichen oralen Einnahme. Vorteilhaft ist außerdem, daß die Resorption der Medikamente nicht von schwer kontrollierbaren Faktoren abhängt. Hier spielt zum Beispiel erhöhter Kaffeegenuß eine nicht unbedeutende Rolle. Übermäßiger Kaffee- oder Teegenuß, aber auch Fruchtsäfte und Milch (Hinterhuber u. Haring, 1992, S.123) können zum Beispiel die Resorption von Neuroleptika erschweren und damit eine Therapieresistenz vortäuschen. Schließlich vermeidet man auch bei dazu neigenden Patienten und Patientinnen unnötige Machtkämpfe um die tägliche Medikamenteneinnahme. Ein Nachteil ist, daß gerade Menschen mit geistiger Behinderung bei dieser Darreichungsform noch weniger Gelegenheit bekommen, sich in einer aktiven Rolle in der Behandlung zu erleben, was zum Beispiel bei der eigenverantwortlich geregelten oralen Einnahme möglich wäre.

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Schwierigkeiten sind vor allem in der Umstellungsphase von der oralen Form auf die Depotform zu erwarten. Die Umrechnungstabellen geben nur grobe Anhaltspunkte; in der Regel muß man die Umstellung sorgfältig vorbereiten und auf mögliche unangenehme Begleiterscheinungen einer Unter- oder Überdosierung gefaßt sein.

Bezüglich der Dosierung besteht auch hier der Trend, mit geringeren Dosen, als es früher empfohlen wurde, auszukommen. Bisher galt als Standard-Dosis zum Beispiel für Haloperidol-Decanoat eine Dosis von 50 mg alle vier Wochen, für Flupentixol-Decanoat 20 mg alle 14 Tage, Zuclopentixol-Decanoat 200 mg alle 2-3 Wochen und Fluphenazin-Decanoat 25 mg alle drei Wochen. Wiederum muß bemerkt werden, daß diese Empfehlungen für die Behandlung von psychotischen Syndromen gelten und nicht für Behandlung von Verhaltensstörungen. Um die Dosis zu reduzieren, kann man sowohl die Injektionsmenge reduzieren als auch das Intervall verlängern.

Begleitmedikationen

Das Prinzip, möglichst mit einem Medikament bei einer Behandlung auszukommen, kann oft nicht eingehalten werden, weil durch die Medikation störende Nebeneffekte auftreten. Wenn es nicht möglich ist, durch ein anderes Medikament die

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störenden Begleiterscheinungen zu vermeiden, ist man oft gezwungen, diese gezielt medikamentös zu behandeln. Da es sich dabei meistens ebenfalls um psychotrope Medikamente handelt, können unübersichtliche Situationen entstehen. Im folgenden sind die wichtigsten Begleitmedikationen aufgeführt.

Extrapyramidal-motorische Störungen: Zur Behandlung der sogenannten Frühdykinesien (siehe unten) haben sich Anticholinergika, z.B. Biperiden, bewährt, das in akuten Fällen auch i.v. injiziert werden kann. Das Parkinsonoid wird mit dem gleichen Mittel ebenfalls günstig beeinflußt. Biperiden wirkt leicht euphorisierend und kann potentiell suchtauslösend sein. Bei Menschen mit geistiger Behinderung und bei Patienten mit einer Schizophrenie wird diese Gefahr oft ausgeschlossen. Es gibt in meinem eigenen Erfahrungsbereich jedoch Hinweise darauf, daß Blickkrämpfe auch vorgetäuscht werden, um Biperiden verabreicht zu bekommen. Wegen der anticholiergen Wirksamkeit ist Biperiden potentiell auch delirogen. Dies ist besonders zu beachten, wenn dieses Mittel zusätzlich zu schwachpotenten Neuroleptika gegeben wird (z.B. Perazin, Levomepromazin, Clozapin). Biperiden verstärkt im Übrigen nicht das Risiko des Auftretens von tardiven Hyperkinesen (Dose, 1993, S.34), wie es früher befürchtet wurde. Zur Behandlung der Akathisie ist Biperiden nicht geeignet. Wenn ein Wechsel zu einem anderen Neuroleptikum nicht in Frage kommt, kann man zusätzlich ein schwachpotentes Neuroleptikum verordnen (z.B.

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Thioridazin). Wirksam sind auch Beta-Blocker (Vorsicht: Gefahr von hypotonen Krisen) oder Benzodiazepine (vgl. Hinterhuber u. Haring, 1992, S. 108; Seidel,1994,S.244)

Schlafstörungen: Bei der Verabreichung von hochpotenten Neuroleptika kann es zu Schwierigkeiten in der Einschlafphase kommen. Niedrigdosierte Gaben eines schwachpotenten Neuroleptikums, z.B. Thioridazin, haben sich in diesen Situationen bewährt.

Angst: Gelegentlich werden die im Rahmen einer psychotischen Symptomatik auftretenden Ängste nicht ausreichend gut von dem jeweils angewandten Neuroleptikum erreicht. In diesen Fällen ist vorübergehend eine Zusatzmedikation mit einem Benzodiazepin (z.B. Diazepam) ratsam. Auch hier ist an die Möglichkeit einer "paradoxen Reaktion" zu denken, die von einer Verschlechterung der Grundsymptomatik kaum zu unterscheiden ist.

Pharmakogene Depression, akinetische Depression: Die im Rahmen der neuroleptischen Therapie auftretenden akinetischen und depressiven Syndrome (s.u.) erfordern, wenn die Medikation nicht beendet werden kann, eine zusätzliche Gabe eines Antidepressivum oder von Biperiden.

Epileptische Anfälle: Das Auftreten von cerebralen Anfällen ist in der Regel ein Grund, die neuroleptische

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Therapie nochmals zu überdenken. Stellt es sich heraus, daß die neuroleptische Medikation unabdingbar ist, muß zusätzlich ein antikonvulsives Mittel verordnet werden. Wegen des positiven psychotropen Effektes ist die Anwendung von Valproat oder Carbamazepin zu empfehlen.

Orthostatische Dysregulation, arterielle Hypotonie: Plötzlicher Blutdruckabfall beim Aufstehen tritt vor allem bei der Gabe von schwachpotenten Neuroleptika auf. Die Behandlung ist schwierig; einen mäßigen Erfolg kann man mit Dihydroergotamin erzielen. Anwendung von Adrenalinabkömmlingen zur Behandlung der gleichzeitig bestehenden arteriellen Hypotonie kann zu einem weiteren Blutdruckabfall führen.

Verstärkter Speichelfluß: Vor allem bei Clozapin, aber auch unter der Anwendung anderer Neuroleptika kommt es häufig zu sehr störendem Speichelfluß, der in der Regel gut auf peripher wirkende Anticholinergika anspricht.

Unerwünschte Wirkungen

Angaben zur HäufigkeitNeuroleptika sind nicht so harmlos, wie sie oft hingestellt werden. Es ist zwar richtig, daß bei sorgfältiger Anwendung lebensgefährliche Komplikationen und langwierige ernsthafte

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gesundheitliche Schädigungen seltene Ausnahmen sind. Unterhalb dieser Schwelle sind ernsthafte Nebenwirkungen jedoch keineswegs selten. Das zeigen die Auswertungen des Projekts "Arzneimittelüberwachungssystem" (AMÜP), aus dem die Werte in Tabelle 1 stammen (Schmidt u. Grohmann, 1990). Es ist wegen der methodischen Unterschiede kaum möglich, vergleichbare Werte für die Nebenwirkungsrate bei Menschen mit geistiger Behinderung zu finden, tendenziell spricht der Vergleich jedoch für eine höhere Anfälligkeit dieses Personenkreises (Lit. bei Deb u. Fraser, 1994; Schaal u., Hackenberg , 1995). Die Ergebnisse der Auswertung eigener Erfahrungen stützt diese Annahme (Gärtner-Peterhoff, 1986).

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Hochpotente Neuroleptika1

MittelpotenteNeuroleptika2

Delir 0 1,5Psychische Störungen 11,8 10Extrapyramidalmot.Störungen

43,5 8,3

And. neurol. Störungen 4,4 2,5Gastrointestinale Störungen 2,1 4Leberwerterhöhung 1,1 2,2Hautveränderungen 0,4 1,3Herz-Kreislauf-Störungen 4,8 7,3Urologische Störungen 0,8 0,7Blutbildveränderungen 0 0,2Sonstige 0,8 2,4

Tab. 1 : Therapeutisch relevante unerwünschte Arzneimittelwirkungen hoch-u. mittelpotenter Neuroleptika in verschiedenen Organbereichen (alle "wahrscheinlichen" und "sicheren" Fälle; N= 1107 Patienten)1 Haloperidol, Benperidol, Pimozid, Flupentixol, Fluphenazin, Fluspirilene 2Perazin, Levomepromazin, Thioridazin, ClozapinNach: Schmidt u.Grohmann, 1990, leicht verändert

Problematisch ist jedoch vor allem auch die spezifische Wirkung der Neuroleptika, deren Resultat von Tölle (zit. nach Finzen, 1993, S.160) als "hirnlokales Psychosyndrom" bezeichnet wurde, das sich hauptsächlich in einer psychomotorischen Dämpfung und in einer affektiven Indifferenz zeigt. Unter den Bedingungen psychotischen Erlebens kann diese Wirkung von den Betroffenen als "normalisierend" empfunden werden. Anders ist es bei Personen, die nicht unter dem Druck psychotischen Erlebens stehen,

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also zum Beispiel geistig behinderte Personen mit nicht krankheitsbedingten Verhaltensstörungen. Dabei handelt es sich um Personen, die auch ohne pharmakologische Beeinträchtigung oft große Schwierigkeiten haben, sich in ihrer inneren und äußeren Welt zu orientieren. Die sogenannten Eigenwirkungen der Neuroleptika müssen als ein schwerwiegender Eingriff in das persönliche Erleben und die Persönlichkeitsentwicklung gesehen werden.

Bemerkungen zu einigen wichtigen unerwünschten Wirkungen

Die vielfältigen unerwünschten Wirkungen können nicht im einzelnen dargestellt werden. Einen zusammenfassenden Überblick gibt Tabelle 2. Detaillierte Ausführungen hierzu finden sich zum Beispiel bei Finzen (1993), Hinterhuber und Haring (1992) und Dose (1993) oder in entsprechenden Handbüchern. Hier finden sich auch die Richtlinien über die notwendigen Laborkontrollen. Im Folgenden sollen einige Nebenwirkungen etwas ausführlicher behandelt werden, weil sie bei der Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung eine besondere Bedeutung haben.

Wegen ihrer besonderen Lebensbedingungen können einige Nebeneffekte der Neuroleptika bei Menschen mit geistiger Behinderung eine stärker störende Wirkung entfalten als bei Anderen Personen.

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Gesteigerter Speichelflu0 zum Beispiel, die Häufigkeit wird immerhin mit 6% angeben (Schmidt u. Grohmann, 1990), wird leicht wegen des Anblicks und des unvermeidlichen Geruchs zu einem ästhetischen Problem, das die Beziehung zu den Kontaktpersonen oft zusätzlich belastet.

Störung des Erlebens und des Verhaltens

dysphorische Reaktionen, Hirnleistungschwäche, pharmakogene Depression, neuroleptische Turbulenzen, Supersensitivitäts- psychose

Neurologische Neben wirkungen akute Dyskinesien u. Dsytonien, Akathisie, Parkinsonoid, Spätdyskinesien, malignes Neuroleptika-Syndrom, Störungen der Thermoregula- tion, zerebrale Anfälle

Störungen des autonomen Nervensystems und kardiovaskuläre Störungen

arterielle Hypotonie, Orthostasesyndrom, EKG-Veränderungen, Herzrhythmusstörungen, Mundtrockenheit, verstärkter Speichelfluß, Obstipation, Harnretention, Akkommodationsstörungen, Delirien

Leberfunktionsstörungen (passagere) Erhöhungen der Transaminasen, cholestatischer Ikterus, toxische Hepatose

Blutbildveränderungen passagere Leukozytose, Eosinophilie, Lymphozytose, Leukopenie, Agranulozytose

Stoffwechselstörungen Störungen des Glukosestoffwechsels, Steigerung des Appetits

Endokrine und sexuelle Störungen Galaktorrhoe, Gynäkomastie, Menstruationsstörungen, Störungen des Sexualverhaltens

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Hautstörungen Hautallergie, Fotosensibilisierung

Augenstörungen Linsentrübung, Hornhauttrübungen, Pigmentablagerungen in der Retina

Häufig ist es dann notwendig, ein peripher wirkendes Anticholinergikum zu verordnen.

Tab. 2: Nebenwirkungen der Neuroleptika (diese Aufstellung ist der Arbeit von Hinterhuber und Haring, (1882) entnommen; leicht verändert)

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Die unter Neuroleptika gesteigerte Fotosensibilität der Haut erfordert im Sommer eine erhöhte Fürsorge (Sonnenschutz), weil es sonst zu schweren und schmerzhaften Hautirritationen kommen kann. Juckreiz, eine relativ seltene Nebenwirkung, führt wegen der oft mangelhaften Selbstbeherrschung zu ständigem Kratzen und entsprechenden chronifizierten Hautveränderungen. An den Zusammenhang mit der neuroleptischen Medikation wird meist nicht gedacht Antihistaminika helfen nur vorübergehend. Die Störung der Thermoregulation hat bei nicht geistig Behinderten kaum Bedeutung. Bei Menschen mit geistiger Behinderung dagegen wird diese Nebenwirkung leicht zu einem Problem, wenn sie zum Beispiel im Winter ungenügend bekleidet unterwegs sind und sich möglicherweise verirren können. Ein bei geistig behinderten Menschen erhöhtes Thromboserisiko kann mit Bewegungsmangel in Verbindung gebracht werden. Einige Neuroleptika vermindern die Schmerzempfindlichkeit. Dies ist von Bedeutung, weil insbesondere schwerer geistig behinderte Personen oft überraschend wenig auf Schmerzreize reagieren und daher unter Neuroleptika noch weniger durch entsprechende Reflexe geschützt sind (z.B. heißes Wasser). Außerdem könnte dieses Phänomen bei selbstverletzendem Verhalten eine Rolle spielen. Häufig kann unter Neuroleptika eine übermäßige Angst beobachtet werden, Treppen hinunterzugehen. Dieses Verhalten wird oft als "Bockigkeit" oder als

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"hysterische Angst" fehlinterpretiert. Pharmakologisch ist diese Nebenwirkung nicht zu beeinflussen.

Ein besonderes Problem ist die Provokation von cerebralen Anfällen. Da geistig behinderte Menschen oft zusätzlich anfallskrank sind (ca.15%), ist auch die Erhöhung der Anfallsfrequenz eine gefürchtete Komplikation. Abrupte Dosisveränderungen erhöhen das Risiko. Genaue Untersuchungen über die anfallsauslösende Potenz der einzelnen Neuroleptika liegen nicht vor. Wahrscheinlich bringt Clozapin das größte Risiko mit sich (bis zu ca 5%; siehe Dose, S.31). Piperizin-substituierte Phenothia derzine (z.B.Perazin) und Thioxantene (z.B. Flupentixol) sollen eine geringeres Risiko haben (Hinterhuber u. Haring, 1992, S.111).

Bei Menschen mit geistiger Behinderung wird oft zu Unrecht kein Wert auf Kooperation gelegt. Man unterschätzt die Möglichkeiten, die sich für aufklärende Gespräche bieten. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen man nicht auf Kooperation hoffen kann. Das Medikament wird dann gegen den Willen der Betroffenen oder zumindest ohne ihr Einverständnis gegeben. In solchen Situationen ist damit zu rechnen, daß die Betreffenden sich gegen die eintretende Wirkung stemmen und zunächst erfolgreich die Wirkung hinauszögern. In diesen Fällen darf nicht vorzeitig auf eine Therapieresistenz geschlossen werden. Besteht dagegen eine vertrauensvolle Beziehung zum Arzt, so kann durch

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aufklärende Gespräche, auch wenn sie nicht im vollen Umfang verstanden werden, die Gegenwehr und damit die notwendige Dosis auf ein Minimum reduziert werden.

Bei ca. 50% nicht geistig behinderten Personen lösen Neuroleptika dysphorische Affekte aus (Dose, 1993, S.17), die man als emotionale Reaktion auf die erlebte Medikamentenwirkung auffassen kann. Bei geistig Behinderten liegt oft eine Differenzierungsschwäche der inneren Wahrnehmungsfähigkeit vor, so daß sie ihre Gefühle nicht einordnen und aussprechen können. Als Ausdrucksmöglichkeit bleibt ihnen nur das Verhalten. Eine mögliche Konsequenz ist die Verstärkung bereits bestehender Verhaltensstörungen, was falsch interpretiert werden und zu einer Erhöhung der neuroleptischen Dosis führen kann.

Schwerer zu erkennen ist die pharmakogene oder akinetische Depression bei Menschen mit geistiger Behinderung, weil die Symptomatik oft mit dem gewünschten Effekt zusammenfällt. Die diagnostische Zuordnung dieser Phänomene ist auch in der allgemeinen Psychiatrie noch umstritten (vgl. Finzen, 1993, S 175). Es wird empfohlen, das Medikament zu ersetzen (z.B. durch Melleril oder Sulpirid) oder, wenn dies nicht ratsam, ist Anticholinergika oder Antidepressiva zu versuchen.

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Eine ähnliche Konsequenz können die sogenannten "paradoxen Reaktionen" haben. Darunter versteht Dose (1993, S.18) die zu der Beginn der Behandlung, bei Dosisänderungen, aber auch bei gleich bleibender Dosierung unter zusätzlichem Streß zu beobachtende Verschlechterung der Symptomatik bzw. das Auftreten zusätzlicher Symptome. Dieses Phänomen ähnelt sehr den "Turbulenzphasen", wie sie von Hinterhuber und Hackenberg (1986) beschrieben wurden. Dose sieht sie als Ausdruck eines akuten Ungleichgewichts in dem cholinergen/dopaminergen System. Bei geistig behinderten Menschen können diese Störungen u.a. auch als Versuche aufgefaßt werden, die Änderungen der Befindlichkeit abzuwehren oder zu verarbeiten, die im Vorfeld extrapyramidal-motorischer Störungen wahrgenommen werden können (Dose, 1993, S.17). Derartige Empfindungen sind zum Beispiel ein pelziges Gefühl der Wangen und der Lippen (was zu einem zwanghaften Massieren dieser Stellen führen kann), eine angstbesetzte Wahrnehmung einer "geschwollene" Zunge, Schmerzen in der Kau- und Rückenmuskulatur, veränderte Wahrnehmung der eigenen Stimme, stotternde Sprache und Druck auf den Augen. Man kann sich kaum in die Situation eines geistig behinderten Menschen einfühlen, der diese Veränderungen an sich verspürt, und sie weder richtig einordnen, noch über sie sprechen kann. Oft bleibt ihnen nur das Ausagieren über Verhaltensauffälligkeiten. Therapeutisch ist in solchen Fällen die Gabe eines Anticholinergikums indiziert (z.B. Biperiden). Bei Patienten, die mit einem hochpotenten

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Neuroleptikum behandelt werden, kann nicht selten ein überraschender Effekt beobachtet werden. Statt der erhofften besseren Anpassungsfähigkeit findet man eine Verminderung der Steuerungs- und Kontrollfähigkeit. Offensichtlich werden Selbstkontrollfunktionen durch Neuroleptika nicht nur verbessert, sondern in Abhängigkeit von der Dosis auch vermindert. In diesen Fällen hilft nur die Reduktion der Dosierung.

Die voll ausgeprägten "Frühdyskinesien" sind meistens leicht zu erkennen. Sie zeigen sich zum Beispiel in einem zwanghaften Herauspressen der Zunge, in Verkrampfungen der Kaumuskulatur, in einem Vorstülpen der Lippen, in krampfhaften Blickabweichungen (meist nach oben) und vor allem in einer asymmetrischen Innervierung der Halsmuskeln ("Tortikollis"), aber auch der Rumpf- und Extremitätenmuskulatur. Oft treten die Veränderungen in der Zungen-Schlundmuskulatur als Eßschwierigkeiten auf, weil der Kau- und Schluckvorgang gestört ist. Es muß nochmals betont werden, daß diese "Frühdyskinesien" auch im späteren Verlauf (auch bei gleichbleibender Dosis!) und nach Beendigung der Therapie auftreten können.

Ebenfalls leicht zu erkennen ist das pharmakogene Parkinson-Syndrom (Ruhetremor der Hände, Bewegungsarmut, gesteigerter Muskeltonus in Form eines Rigor, "gebundene Haltung" mit leicht gebeugten Armen und nach vorne geneigtem

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Oberkörper, kleinschrittiger Gang, verstärkter Speichelfluß, "Salbengesicht" (infolge einer vermehrten Talgdrüsensekretion). Auch hier liegen die diagnostischen Schwierigkeiten mehr darin, die subjektiv unangenehmen Vorboten zu erkennen (Mißempfindungen in den betroffenen Muskelgebieten, Verspannung im Schulter-Nackenbereich, Störungen der Feinmotorik, oft asymmetrisch beginnend). Das Parkinson-Syndrom tritt keineswegs immer auf; eine prophylaktische Gabe von Anticholinergika ist daher nicht nötig.

Ein besonderes Problem stellt die Akathisie dar. Nach außen wird diese Störung an der Unfähigkeit erkennbar, über längere Zeit ruhig zu sitzen oder auf einer Stelle zu stehen. Innerlich erleben die Betroffenen eine schwer zu beschreibende Unruhe und Getriebenheit. Auch hier muß darauf hingewiesen werden, daß ein Mensch mit geistiger Behinderung wenig Möglichkeiten hat, dieses veränderte Selbsterleben einzuordnen. Er wird daher mit Angst, Verstimmung und zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten reagieren. Um so wichtiger ist es, die Diagnose zu stellen und durch Dosisänderung bzw. durch Wechsel auf ein anderes, weniger mit dieser Nebenwirkung belastetes Medikament Abhilfe zu schaffen. Eventuell ist die Gabe eines Beta-Blockers oder eines Benzodiazepins erforderlich.

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Bei längerfristiger Behandlung vor allem mit hochpotenten Neuroleptika treten bei einem hohen Prozentsatz der Behandelten (mehr als 25%) verschiedene Bewegungsanomalien auf. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Vorschieben der Zunge, Kauen, Schmatzen oder tremorartige Bewegungen des Rumpfes. Diese Störungen hat man als tardive Dyskinesien oder Spätdyskinesien zusammengefaßt. Sie laufen unwillkürlich ab und werden von den Betroffenen selbst meist nicht als störend erlebt. Im Schlaf bilden sie sich zurück, bei psychischer Anspannung werden sie stärker. Wichtig ist, daß sich die Spätdyskinesien nach Absetzen des auslösenden Medikamentes (Reduktion lohnt sich meist nicht) zunächst verstärken und monatelang weiterbestehen bleiben können. Nach dem Absetzen besteht die Gefahr eines Rezidivs oder des Auftretens einer Hypersensitivitätspsychose. Die Hypersensitivitätspsychose wird als Konsequenz einer langdauernden Blockierung bestimmter Rezeptoren durch Neuroleptika und einer dadurch sich entwickelnden Überempfindlichkeit erklärt. In der Regel bilden sich die psychotischen Störungen nach kurzer Zeit zurück. Man sollte mindestens 14 Tage warten, bevor man sich entscheidet, die Behandlung mit einem schwachpotenten Neuroleptikum wieder zu beginnen oder, falls dies schon probiert wurde bzw. aus anderen Gründen ausscheidet, einen Versuch mit Clozapin oder mit Sulpirid zu unternehmen. Zur vorübergehenden Abmilderung der tardiven Dyskinesien in der Absetzphase kann auch Tiaprid

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verordnet werden. Finzen bezweifelt einen guten Effekt und verweist auf gute Erfolge mit Clozapin. Die Suche nach Faktoren, die das Auftreten der tardiven Dyskinesien beeinflussen, ist noch nicht abgeschlossen. Die Vermutung, daß die Depotform das Auftreten von tardiven Dyskinesien begünstig, ist wissenschaftlich noch nicht untermauert worden. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann man da-von ausgehen, daß Anticholinergika keinen negativen Einfluß haben.

Eine weitere Komplikation unter Neuroleptika ist das Auftreten des pharmakogenen Delirs. Es kann bei schwachpotenten Neuroleptika bei zu schnellem Ansetzen oder schneller Dosiserhöhung auftreten, wobei die gleichzeitige Gabe von Anticholinergika oder Antidepressiva das Risiko erhöht. Auch unter der Behandlung mit hochdosierten hochpotenten Neuroleptika können solche Zustände auftreten. In der Regel fehlen die klassischen vegetativen Begleiterscheinungen. Bei Menschen mit geistiger Behinderung kann sich die Symptomatik auf eine plötzlich auftretende Desorientiertheit und auf ein Verhalten reduzieren, das an ein Beschäftigungsdelir erinnert. Therapeutisch kommt meist nur eine drastische Reduktion der Dosis in Frage, eventuell unterstützt durch die vorübergehende Gabe von Clomethiazol.

Anwendungsgebiete

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I. Psychotische Syndrome (bei Schizophrenien und anderen Störungen)

Hypothetische Wirkungsweise: "Antipsychotischer" Effekt,

durch den eine innere (psychische) Re-Organisation mög-

lich wird.

Klinische Bilder: Dabei handelt es sich meist um paranoid oder paranoid-halluzinatorische Bilder; selten werden katatone Verläufe diagnostiziert. Andere psychotische Syndrome sind offensichtlich bei Menschen mit geistiger Behinderung schwerer zu diagnostizieren. Es ist damit zu rechnen, daß viele (vor allem schwerer geistig behinderte) Personen mit einer psychotischen Symptomatik ohne weitere Differenzierung als "verhaltensgestört" eingeordnet werden.

Wahl der Medikamente, Dosierung: Bewährt haben sich hochpotente Neuroleptika in einer mittleren bis hohen Anfangsdosierung und einer mittleren bis niedrigen Erhaltungsdosis.

Verlauf und Prognose: Je besser die Lebensbedingungen vor dem Beginn der Erkrankung waren, desto mehr treten zusätzliche sozialpsychiatrische und pädagogische

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Maßnahmen in den Hintergrund. Unentbehrlich ist meist eine Beratung der Bezugsgruppe. Die Prognose entspricht den Erwartungen aus der Pychiatrie. Da die Rahmenbedingungen in der Regel jedoch nicht optimal sind und Mischbilder (mit gelernten Verhaltensweisen) üblich sind, muß man mit einem komplizierteren Verlauf rechnen. Insofern ist meist auch eine sozialpsychiatrische Betreuung erforderlich.

II. "Präpsychotische Syndrome":

Hypothetische Wirkungsweise: Stabilisierung oder Entlastung der Ich-Funktionen.

Klinische Bilder: Mit der Bezeichnung "präpsychotisches Syndrom" wird ein Muster von Auffälligkeiten beschrieben, wie es bei Schizophrenen für die Latenzphase gefunden wurde (Süllwold, 1977). Ähnliche Symptome treten bei geistig behinderten Personen oft Monate nach Beendigung einer langjährigen Behandlung mit Neuroleptika auf (Gaedt, 1986). Derartige Symptome wurden auch bei geistig behinderten Menschen unter chronischem Streß beobachtet. Zu diesen Symptomen zählen u.a. Handlungsabbrüche, Verlust der Alltagsroutine, plötzliches "Stimmungskippen", diffuse Ängste, gesteigerte Geräuschempfindlichkeit, neu- oder wiederauftretende Zwänge.

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Wahl der Medikamente und Dosierung: Bewährt haben sich mittelpotente Neuroleptika in niedriger Dosierung.

Verlauf und Prognose: In der Regel kann sich die begleitende Behandlung auf eine Beratung der Wohngruppe beschränken; die Symptome bilden sich meist innerhalb von 10 bis 14 Tagen zurück, die Medikation kann dann reduziert werden, muß allerdings über eine längere Zeit (1-2 Jahre) gegeben werden.

III. Anpassungsstörungen infolge mangelnder Impuls- kontrolle:

Hypothetische Wirkungsweise:Stabilisierung oder Entlastung der Ich-Funktionen

Klinische Bilder: Dabei handelt es sich um Personen, die sozial relativ gut integriert sind, aber in Konflikt- und Enttäuschungssituationen übermäßig aggressiv oder autoaggressiv reagieren.

Wahl der Medikamente und Dosierung: Zu empfehlen sind mittelpotente Neuroleptika in einer mittleren bis niedrigen Dosierung.

Verlauf und Prognose: Die medikamentöse Behandlung muß durch pädagogische und

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therapeutische Maßnahmen ergänzt werden. Es ist mit einer mehrjährigen Behandlung zu rechnen.

IV.Manische Syndrome

Hypothetische Wirkungsweise: Sedierender Effekt sowie Stabilisierung oder Entlastung der Ich-Funktionen

Klinische Bilder: Die Symptomatik entspricht manischen Syndromen bei nicht geistig behinderten Personen. Allerdings stehen oft diffuse Antriebssteigerung und Schlafstörungen im Vordergrund; der euphorische Affekt fehlt oft.

Wahl der Medikamente und Dosierung: Meist wirken hochpotente Neuroleptika in mittlerer bis hoher Dosierung. Alternativ sind Lithium, Valproat und Carbamazepin einzusetzen.

Verlauf und Prognose: Meist läßt sich die Symptomatik innerhalb weniger Wochen zur Rückbildung bringen. Das Risiko bei der Anwendung von Neuroleptika ist insbesondere die Provokation oder Verstärkung einer depressiven Symptomatik. Oft sind intensive Beratungsgespräche mit der Bezugsgruppe und eine therapeutische Begleitung der Betroffenen notwendig.

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V. Verhaltensstörungen in Zusammenhang mit Schlaf-

störungen:

Hypothetische Wirkungsweise: Sedierender, schlafanstoßender Effekt

Klinische Bilder: Gemeint sind Störungen des Familien- oder Gruppenlebens, weil die betreffende Person nicht schlafen kann oder will und durch ihr Verhalten die Nachtruhe ständig und erheblich stört. Wegen chronischen Schlafdefizits setzen sich die Störungen in Form von ständiger Gereiztheit und Müdigkeit auch tagsüber fort.

Wahl der Medikamente und Dosierung: Bewährt haben sich schwachpotente Neuroleptika in niedriger, abendlicher Dosierung. Oft ist eine Nachwirkung am Morgen durch eine Dosisreduktion zu vermeiden. Vorteilhaft ist, daß keine Gewöhnung eintritt. Manchmal ist die Wirkung nicht ausreichend. Dann muß auf ein Hypnotikum zurückgegriffen werden.Verlauf und Prognose: Die medikamentöse Therapie unterstützt oft wirkungsvoll die notwendigen pädagogischen Maßnahmen, die für den überdauernden Therapieerfolg verantwortlich sind.

VI. Andere Verhaltensstörungen

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Hypothetische Wirkungsweise: Genutzt wird der sedierende Effekt; bei höherer Dosierung auch die "intentionale Verarmung" und die "emotionale Indifferenz". Unter diesen Wirkungen sollen Möglichkeiten für eine soziale Integration als Voraussetzung für weitere Persönlichkeitsentwicklungen geschaffen werden. Wie bei der "antipsychotischen" Wirkung ist dies keine direkte Wirkung der Medikamente. Im Unterschied zum "antipsychotischen" Effekt, bei dem die Neuroleptika die Bedingungen für eine innere (psychische) Re-Organisation schaffen, muß die Re-Organisation hier über pädagogisch-therapeutische Maßnahmen vom sozialen Umfeld ausgehen.

Klinische Bilder: Im Prinzip geht man davon aus, daß es sich bei diesen Verhaltensauffälligkeiten um "nicht krankheitsbedingte" Störungen handelt. Unter dieser Kategorie findet sich eine Vielfalt von gelernten Verhaltensweisen, die für die Betroffenen das Risiko sozialer Isolation und Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit bringen. In der Regel handelt es sich um Verhaltensweisen mit aggressiven und/oder autoaggressiven Tendenzen, die eine schwerwiegende Belastung für das Umfeld darstellen. Ohne Zweifel finden sich unter den "Verhaltensstörungen" aber auch nicht erkannte "krankheitsbedingte" psychische Störungen.

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Wahl der Medikamente, Dosierung: In der Regel wird man die sedierende Wirkung schwachpotenter Neuroleptika in mittlerer oder hoher Dosierung nutzen; eventuell ist der Versuch einer Kombination mit einem hochpotenten Mittel angezeigt

Verlauf und Prognose: Die Berechtigung für eine Pharmakotherapie ist erst gegeben, wenn andere Versuche nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben und die Gefahr besteht, daß durch Verfestigung der jeweiligen sozialen Rolle, z.B. als "Störer", die Möglichkeiten einer positiven Veränderung immer schlechter werden. Neuroleptika können in diesen Fällen unterhalb der Schwelle für unerwünschte Wirkungen nicht effektiv eingesetzt werden. Man wird also zumindest die sedierende Wirkung in Kauf nehmen müssen. Bei höherer Dosierung und der Anwendung von hochpotenten Neuroleptika ist auch die spezifische neuroleptische Wirkung nicht zu vermeiden. Die erreichbare Entspannung der sozialen Situation kann zum Umlernen genutzt werden. Auf der Seite der Bezugsgruppe einschließlich der pädagogischen Mitarbeiter kann zum Beispiel Entängstigung eintreten, und es können sich so neue Erwartungen an den Betroffenen herausbilden. Auf der Seite des Betroffenen ergeben sich Möglichkeiten, sich in anderen, weniger störenden Interaktionsmustern zu erleben. Dies sind die Voraussetzungen für eine

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Aufgabe gewohnter Verhaltensweisen. Diese Zielsetzung ist nur erreichbar, wenn die medikamentöse Behandlung in einen pädagogisch-therapeutischen Gesamtplan eingebettet ist.

Erfolge sind schwer zu erreichen und hängen weniger von der Pharmakotherapie als von den anderen Maßnahmen ab. Von vornherein ist eine langwierige Behandlung einzuplanen. Vor Ablauf eines halben Jahres wird sich kein Erfolg erreichen lassen. Ein- bis zweijährige Behandlungen sind die Regel. Es besteht die Gefahr, daß bei unklarer Erfolgseinschätzung für eine Beendigung keine aus- reichenden Gründe vorliegen und die Medikamente auch dann weitergegeben werden, wenn sie nicht erfolgreich waren. Dies ist eine spezifische Gefahr bei der Anwendung von Neuroleptika. Sie vermitteln über die sedierenden Effekte auch dann den Eindruck, daß sie wirksam sind, wenn die angestrebten Veränderungen nicht erreicht werden, also zum Beispiel aggressive Tendenzen weiter bestehen. In Hinblick auf die oft ungünstigen Voraussetzungen für eine Weiterbehandlung ohne Medikamente, ist dieser inkorrekte Umgang mit den Neuroleptika kaum zu verhindern.

2. Antidepressiva

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Da die Antidepressiva bei Menschen mit geistiger Behinderung wesentlich seltener angewandt werden als die Neuroleptika, liegen auch weniger Erfahrungen mit diesen Mitteln vor. Die klassische Indikation ist die endogene Depression bzw., im modernen Sprachgebrauch, die "major depression". Soweit die diagnostischen Kriterien zur Erfassung depressiver Störungen bei geistig Behinderten anwendbar sind, kann man davon ausgehen, daß man mit ihnen die gleichen Erfolge erzielen kann, wie in der allgemeinen Psychiatrie. Das Problem ist, daß die üblichen Symptomlisten zumindest bei schwerer geistig Behinderten modifiziert werden müssen (Sovner, 1986; Sovner u. Hurley, 1990; Meins, 1995). Da allgemein anerkannte diagnostische Kriterien noch fehlen, gibt es keine abgesicherte Verordnungspraxis. Sovner und Hurley (1983) betonen, daß die depressive Symptomatik bei diesem Personenkreis sich hauptsächlich in aggressivem Verhalten, Rückzug und körperlichen Beschwerden zeigen kann. Kastner und Mitarbeiter (1993) nutzten zur Diagnose vier Symptome, nämlich Reizbarkeit, Schlafstörungen, aggressives oder autoaggressives Verhalten und periodenhaft auftretende Verhaltensstörungen. Meins (1995) empfiehlt, daß neben den klassischen depressiven Symptomen auch reizbare Stimmung, aggressives und autoaggressives Verhalten, Stereotypien, Schreien und unvermittelt auftretendes Weinen berücksichtigt werden sollten. Mit dieser notwendigen Erweiterung der Symptomlisten geht viel an diagnostischer Sicherheit verloren, um die man

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sich in der allgemeinen Psychiatrie erfolgreich bemüht hat. Damit wird die Grenze zu Verhaltensstörungen mit anderer Ursache wieder unscharf.

Die Hoffnungen, mit Antidepressiva Verhaltensstörungen in einem allgemeinen Sinne positiv beeinflussen zu können, haben sich nicht erfüllt. Diese Hoffnung bezog sich insbesondere auf aggressives und selbstverletzendes Verhalten bei schwerer geistig behinderten Menschen, weil man dieses als möglichen Ausdruck einer depressiven Störung ansah. Die Literatur zu diesem Thema verweist auf widersprüchliche Tendenzen, ist im Ganzen jedoch nicht ermutigend, zumal auch Hinweise auf Verschlechterung des Verhaltens unter Behandlung mit Antidepressiva vorliegen (Lit. bei Gadow u. Poling, 1988, S216 f, Schaal u. Hackenberg, 1994, S.128). Diese Untersuchungen beziehen sich vorwiegend auf Imipramin, einen klassischen Vertreter der trizyklischen Antidepressiva. Allerdings gibt es in der Forschung ein wachsendes Interesse an Dysfunktionen im Serotoninstoffwechsel, denen man eine bedeutsame Rolle bei der Entstehung von Aggression und Depression zuschreibt (Deb u. Fraser,1994). Man erhofft sich einen positven Effekt von bestimmten Antidepressiva, die als spezifische Serotonin Re-uptake-Hemmer gelten (z.B. Fluoxetin). Dies würde der Hoffnung wieder Auftrieb geben, Antidepressiva gezielt gegen Aggression und selbstverletzendes Verhalten (SIB) einsetzen zu können.

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Imipramin als trizyklisches Antidepressivum wurde auch zur Behandlung von nächtlichem Einnässen bei geistig behinderten Personen eingesetzt. Die bei nicht geistig behinderten Kindern und Jugendlichen unbestrittenen Erfolge konnten hier nicht beobachtet werden (Lit. siehe Gadow u. Poling, 1988, S.220). Enttäuschend sind auch die Erfahrungen bei der Behandlung von Verhaltensstörungen in Zusammenhang mit autistischem Syndrom (Gadow u. Poling, S.216). Über den Einsatz dieser Mittel bei Zwangsstörungen (z.B. mit Clomipramin) liegen keine Erfahrungen vor. Auch die Anwendung als angstlösendes Mittel (z.B. Doxepin) spielt keine nennenswerte Rolle.

Es bleibt also die Indikation bei depressiven Verstimmungen. Hier sollte man sich auf die klinischen Bilder beschränken, die mit einiger Sicherheit als "major depression" oder als somatogene Depressionen identifiziert werden können. Eventuell ist ein Versuch bei schweren chronischen depressiven Syndromen gerechtfertigt, die nicht in das Schema der "major depression" passen, sondern eher als Dysthymia (vgl. ICD 10) eingeordnet werden könnten. Abzuraten ist der Einsatz bei schwer geistig behinderten Personen, bei denen der Zusammenhang mit einer depressiven Störung nicht mit genügender Sicherheit hergestellt werden kann. Die Auswahl unter den verwirrend vielfältigen antidepressiven Medikamenten wird dadurch

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erleichtert, daß pharmakospezifische Eigenschaften, die unter verschiedenen Bedingungen einen Therapieerfolg oder Mißerfolg voraussagen lassen, bisher nicht gefunden werden konnten (Schmidt, Grohmann u. Rüther, 1994, S.13). Außerdem zeigt die spezifische antidepressive Wirksamkeit der einzelnen Antidepressiva überraschenderweise keine überzeugenden Unterschiede (z.B. Berger u. Emrich, 1989; zit. n. Dose, S.39). Die antidepressiven Mittel können daher nach ihrem Begleitwirkungsspektrum ausgesucht werden. Wegen der sedierenden Wirkung bietet sich Amitriptylin an. Erfahrungsgemäß haben sedierende trizyklische Antidepressiva weniger ernsthaft störende Nebenwirkungen als die Mittel mit aktivierender Wirkung (Schmidt, Grohmann u. Rüther, 1994, S.10). Dies betrifft insbesondere das Symptom "innere Unruhe". In Hinblick auf die eingeschränkte Fähigkeit geistig Behinderter, Veränderungen des inneren Erlebens richtig einzuordnen und zu verarbeiten, ist diese Nebenwirkung ernst zu nehmen. Aber auch andere Nebenwirkungen sind geringer, wie zum Beispiel Hypotonie, Übelkeit, Schwitzen. In der zusammenfassenden Übersicht (Tabelle 3) sind die Nebenwirkungen von Amitriptylin und Clomipramin gegenübergestellt (Schmidt, Grohmann u. Rüther, 1994, S.10). Sollen die vegetativen Nebenwirkungen minimiert werden, so sollte Desipramin bevorzugt werden oder auf ein neueres Mittel übergegangen werden (z.B. Fluvoxamin) Wie bei den Neuroleptika ist auch hier der Eintritt der spezifischen Wirkung verzögert. Er ist erst nach 10 bis

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14 Tagen zu erwarten. Schneller - meist schon am ersten Tag - tritt die dämpfende Wirkung ein. Die Nebenwirkungen der trizyklischen Antidepressiva sind vielfältig, führen aber selten zu einem Abbruch der Behandlung. Trizyklische Antidepressiva können delirante Zustände auslösen, z. B. in Zusammenhang mit einem schwachpotenten Neuroleptikum oder mit einem Anticholinergikum. Das ist bedeutsam, weil die Kombination von Neuroleptika und Antidepressiva wegen der begleitenden Depression bei psychotischen Erkrankungen häufig ist und Stoffwechselinteraktionen zu einem gesteigerten Plasmaspiegel führen können. Bei Menschen mit geistiger Behinderung besteht die Gefahr, daß sie durch eine durch das Antidepressivum hervorgerufene gesteigerte Schweißneigung in Verbindung mit einer reduzierten Trinkmenge (Appetitmangel) in einen chronischen Flüssigkeitsmangel geraten, der ebenfalls das Risiko für die Auslösung eines Delirs erhöht. Wie die meisten Neuroleptika senken auch die trizyklischen Antidepressiva die Schwelle für das Auftreten cerebraler Anfälle; hier gelten die gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie bei der Anwendung von Neuroleptika. Bei älteren und gehbehinderten Personen ist zu beachten, daß diese Medikamente auch Schwindel hervorrufen können, so daß Sturzgefahr bestehen kann. Dies ist besonders wichtig, weil hypotone Kreislaufstörungen mit Kollapsgefahr als Nebenwirkungen häufig sind und das Sturzrisiko verstärken. Die Häufigkeit cardialer Nebenwirkungen wird gewöhnlich - auch im Vergleich

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mit den neueren Antidepressiva - überschätzt. Sie wird aber immerhin mit 0,4% angegeben, wobei Rhythmus- und Reizleitungsstörungen am häufigsten genannt werden (Schmidt, Grohmann u. Rüther, 1994, S.12).

Tab. 3: Vergleich der Häufigkeiten von unerwünschten Arznemittelwirkungen, die zum Absetzen des Medikamentes geführt haben, von Amitriptylin und Clomipramin in ihrer Anwendung bei endogenen Depressionen (die angebenen Zahlen sind Prozentangaben)Aus Schmidt, Grohmann u. Rüther (1994), verändert.

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Amitriptylin Clomipramin

Delirante Syndrome 1,6 0,7

Psychotische Syndrome 0,2 0,8

Unruhe 0,3 1,6

Müdigkeit 0,7 0,3

Tremor 0,8 1,3

Hypotonie 0,5 1,7

Übelkeit 0,1 1,0

Schwitzen 0,5 1,6

Miktionstörungen 0,9 0,7

Allergie 0,3 0,7

Leberwerterhöhung 0,8 0,8

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Insbesondere bei Risikopatienten sind daher EKG-Kontrollen notwendig. Wichtig ist auf regelmäßigen Stuhlgang zu achten, da eine häufig bereits bestehende Obstipationstendenz durch trizyklische Antidepressiva - bis hin zum Ileus - verstärkt werden kann. Schwer zu erkennen sind auch Blasenentleerungsstörungen. Bei Patienten, die nicht sprechen können, muß man auf Verhaltensauffälligkeiten achten, um auf diese Störung aufmerksam zu werden. Eine häufige Nebenwirkung ist die Mundtrockenheit. Manchmal ist es nötig, zur Vermeidung von Speichelsteinen und Soorbesiedelung eine spezielle Mundhygiene zu betreiben.

3. Stimmungsstabilisierende Medikamente

In der Behandlung von depressiven und manischen Syndromen findet zur Zeit ein tiefgreifendes Umdenken statt. Neben Lithiumsalzen gewinnen Valproat und Carbamazepin, beides bewährte Antiepileptika, eine zunehmende Bedeutung. In der Therapie akuter manischer Phasen und als prophylaktisch wirkende Medikamente in der Latenzphase bei unipolaren und bipolaren affektiven Störungen sollen sie eine bessere Wirksamkeit haben als Lithiumsalze. Außerdem wird ihre Anwendung bei Verhaltensstörungen bei dementen Patienten und bei geistig behinderten Menschen geprüft.

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Die Hoffnung auf Wirksamkeit dieser Medikamente bei verhaltensgestörten Menschen mit geistiger Behinderung beruhen auf der Annahme, daß viele affektive Störungen sich bei diesem Personenkreis in einer anderen Weise manifestieren und deshalb nicht diagnostiziert werden. Mit einer verbesserten Diagnostik könnte man die Erkrankung besser erkennen und behandeln. Kastner u. Mitarbeiter (1993) gehen zum Beispiel unter Berufung auf Sovner von diesem Konzept aus. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß diese Mittel unabhängig von dem Vorliegen einer definierten affektiven Störung über den stimmungsstabilisierenden Effekt wirksam werden und so eine breitere Anwendung finden könnten. Die Behandlung von unruhigen Patienten mit einem Demenz-Syndrom (Mellow, 1993) ist ein Beispiel hierfür. Die bisherigen Ergebnisse sind erfolgsversprechend. Allerdings wurde Carbamazepin schon seit seiner Einführung als Antiepileptikum auch zur Behandlung von Verhaltensstörungen empfohlen. Die Erfolge bei geistig behinderten Menschen waren nicht so überzeugend, daß Carbamazepin den Verbrauch von Neuroleptika wesentlich hätte einschränken können. Das spricht allerdings nicht unbedingt für eine schlechtere Wirksamkeit, zumal die Wirkung von Neuroleptika bei dieser diffusen Indikation auch nicht überzeugend ist. Möglicherweise sind hier irrationale Faktoren bedeutsam und neuere kontrollierte Studien können das Verordnungsverhalten verändern, was in Hinblick auf

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die Wirkung und Nebenwirkungen der Neuroleptika wünschenswert wäre. Es fehlen jedoch noch Kriterien, die eine rationale Anwendung dieser Medikamente ermöglichen.

Bei der Anwendung der Antikonvulsiva zur Behandlung von affektiven Störungen gibt es auch ein juristisches Problem. Weder Carbamazepin noch Valproat sind in Deutschland für diese Indikationen uneingeschränkt zugelassen. Finzen (1993, S. 146) verweist darauf, daß es sich hier um schon lange eingeführte Medikamente handelt, deren Nebenwirkungen gut bekannt sind; nach seiner Ansicht unterliegt die Anwendung in diesen Fällen dem "kritischen Urteil des Arztes" ("ärztliche Kurierfreiheit"). Allerdings müssen in diesen Fällen die Betroffenen bzw. die gesetzlichen Vertreter darauf aufmerksam gemacht werden, daß es sich um eine noch nicht vom Bundesgesundheitsamt zugelassene Indikation handelt.

ValproatValproat ist zur Zeit als Psychopharmakon in Deutschland noch nicht gebräuchlich. Die Wirksamkeit bei der Behandlung akuter Manien, insbesondere bei manischen Syndromen bei bipolaren Psychosen vom "rapid cycling"-Typ ist bewiesen (Lit. bei Van Calker u. Walden, 1994). Ebenso abgesichert ist die prophylaktische Wirksamkeit in der Latenzphase von affektiven Psychosen. Auch zur Akutbehandlung eignet sich Valproat, ist jedoch hier den traditionellen Antidepressiva unterlegen. Es gibt Untersuchungen,

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die auf eine Wirksamkeit bei geistig behinderten Menschen mit depressiver Symptomatik und Verhaltensstörungen hinweisen (Sovner u. Hurley, 1988; Kastner u. Miarbeiter,1993).

Ein Vorteil von Valproat bei der Behandlung manischer Symptome ist die Möglichkeit des schnellen Aufdosierens. Im Vergleich zu Lithium und Carbamazepin hat es weniger Nebenwirkungen. Ernstzunehmen ist eine selten auftretende toxische Schädigung der Leber, die nicht dosisabhängig ist und sich nicht immer an veränderten Laborwerten erkennen läßt. Wichtig sind daher Verhaltensbeobachtungen in den ersten sechs Wochen (Schwäche, Teilnahmslosigkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Unruhe u. a.). Patienten mit mehreren Medikamenten haben offenbar ein höheres Risiko. Noch seltener ist eine Pankreasaffektion. Bei anhaltender Übelkeit und Abdominalbeschwerden sollte daher die Serumamylase kontrolliert werden. Valproat kann auch zu einem erhöhten Ammoniumspiegel führen. Für diese Nebenwirkungen werden Medikamenteninteraktionen (z.B. mit Diphenyhydantoin) verantwortlich gemacht. Die Hyperammonämie manifestiert sich u. a. durch apathisches Verhalten, Brechreiz und Nahrungsverweigerung (Gadow u. Poling, 1988, 175). Beobachtet werden auch Gewichtsprobleme, Müdigkeit, vorübergehender Haarausfall, Tremor, Parästhesien und Blutungsneigung. Valproat verstärkt die dämpfende Wirkung von Neuroleptika und

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Barbituraten. Weitere Nebenwirkungen sowie die vorgeschriebenen Laboruntersuchungen sind den entsprechenden Handbüchern über antikonvulsive Medikamente zu entnehmen.

CarbamazepinEbenso wie Valproat ist auch Carbamazepin bei Manien therapeutisch wirksam und wird erfolgreich prophylaktisch bei affektiven und schizoaffektiven Psychosen eingesetzt. Außerdem ist eine antidepressive Wirksamkeit nachgewiesen (Lit. siehe Wunderlich, 1990). In der Behandlung von hypomanischen Zuständen und als Prophylaxe bei bipolaren affektiven Störungen hat sich Carbamazepin auch bei Menschen mit geistiger Behinderung bewährt (Lit. siehe Deb u. Fraser, 1974, S.263). Überwiegend positiv sind auch die Berichte über Behandlungsversuche bei verhaltensgestörten Menschen mit geistiger Behinderung. Unter den behandelten Störungen finden sich unter anderem folgende Auffälligkeiten: Überaktivität, Stimmungsschwankungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Reizbarkeit und Aggressivität (Lit. siehe Deb u.Fraser, S.264; Schaal u. Hackenberg, 1994, S.130). Auffallenderweise wurden in ca. 6% paradoxe Effekte beobachtet (erhöhte Impulsivität, Aggression, Reizbarkeit, emotionale Labilität).

Eine wichtige Nebenwirkung der Carbamazepinbehandlung ist ein Abfall der

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Leukozyten. Wenn die Leukozytenzahl unter 3000/mm3 bzw. die Zahl der Granulozyten unter 1000/mm3 fällt, muß die Therapie abgebrochen werden (Dose, 1993). Das gleiche gilt, wenn die Zahl der Erythrozyten oder der Thrombozyten einen kritischen Wert unterschreiten. Häufig sind allergische Hautreaktionen (Rötung, Juckreiz; vorwiegend an den lichtexponierten Stellen). Für diese Hautreaktion wird eine Häufigkeit von 2,17% angegeben (Sillanpää, zit.n. Dose, S.49). Tritt die Reaktion kurz nach Behandlungsbeginn auf ("Soforttyp") so muß die Behandlung abgebrochen werden, da sich sonst schwerste Hautveränderungen entwickeln können (Dermatitis exfoliativa). Bei einem späteren Auftreten kann man versuchen, durch vorübergehende Dosisreduktion Abhilfe zu schaffen. Durch seine enzyminduzierende Wirkung senkt Carbamazepin den Blutspiegel vieler Pharmaka. Praktische Bedeutung kann dies zum Beispiel bei der oralen Kontrazeption haben. Weitere unerwünschte Nebenwirkungen sind zum Beispiel Appetitlosigkeit, Übelkeit, Verstopfung oder Durchfall. Bezüglich der notwendigen Laborkontrollen muß auf die einschlägigen Handbücher verwiesen werden.

LithiumDie klassische Anwendung von Lithium ist die Prophylaxe bei uni- und bipolaren affektiven Psychosen und schizoaffektiven Psychosen sowie zur Behandlung akuter manischer Zustände. Als

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Zweitmedikament wird es neben Antidepressiva auch bei der Behandlung von depressiven Zuständen verabreicht. Lithium ist nicht zu empfehlen, wenn die Symptomatik mit einem "rapid cycling" verbunden ist, da es in diesen Fällen zu einer Verkürzung der Phasen kommen kann (Dose, S.41). Zu der Gruppe der "rapid cycler" gehören Patienten, die mindestens vier Krankheitsphasen bzw. zwei vollständige bipolare Zyklen pro Jahr angeben (siehe Finzen, S.134). In bis zu 30% soll die Lithium-Therapie ohne befriedigenden Erfolg bleiben (Woggon, 1988, zit. n. Finzen, S.133).

Bipolare affektive Störungen und manische Syndrome sind auch eine anerkannte Indikation für Lithium bei Menschen mit geistiger Behinderung (Lit. bei Gadow u. Poling, 1988, S. 212). Die Erfolge sind befriedigend. Dabei werden allerdings Blutspiegel von bis zu 1,5 mÄqval/l in Kauf genommen, was die Gefahr einer Intoxikation erhöht (s.u.).

In seiner Anwendung bei Verhaltensstörungen bei Menschen mit geistiger Behinderung ist Lithium eines der am meisten untersuchten Medikamenten. Befriedigende Ergebnisse erzielte Lithium bei aggressivem Verhalten, selbstverletzendem Verhalten, Hyperaktivität, antisozialem Verhalten (Lit. bei Deb u.Fraser, 1994, S. 263; Gadow u.Poling, 1988, S. 212; Schaal u. Hackenberg, 1994, S. 128).

Es verwundert, daß bei der langjährigen Erfahrung mit Lithium und den guten Ergebnissen von

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wissenschaftlichen Untersuchungen die Verbreitung dieses Medikamentes nicht größer ist. Schaal und Hackenberg weisen darauf hin, daß auf Grund der schwierigen Methodik die Untersuchungsergebnisse möglicherweise einen zu positiven Eindruck vermitteln. Ein anderer

Grund könnte sein, daß Lithium wegen seiner Nebenwirkungen zu schwer zu kontrollieren ist.

Zunächst muß betont werden, daß Lithium keine Nebenwirkungen hat, die die kognitiven Funktionen herabsetzen. Problematisch ist jedoch die Gefahr einer Intoxikation und die relativ enge therapeutische Breite. Aus diesem Grund muß der Blutspiegel regelmäßig - mindestens einmal im Monat - kontrolliert werden. In der allgemeinen Psychiatrie hält man heute einen Serumspiegel zwischen 0,8-1,0 mmol/l auch für die therapeutische Phase für ausreichend. Zur Prophylaxe reichen wesentlich niedrigere Werte aus; auch Werte von 0,4 mmol/l werden als prophylaktisch wirksam angesehen. Bei diesen im Vergleich zu früher niedrigen Serumspiegelwerten ist das Risiko der Entwicklung einer Intoxikation (>1,5 mmol/l) gering. Dies gilt auch für die Intoxikationsgefahr bei der Kombination mit Neuroleptika. Finzen (S.132) mahnt allerdings noch zur Vorsicht bei der Kombination mit Haloperidol. Wichtig zur Vermeidung von Intoxikationen ist eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten,

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was bei Menschen mit geistiger Behinderung bei fieberhaften Erkrankungen oder bei warmem Wetter besonders zu beachten ist. Durchfall ist ein weiterer Faktor, der das Risiko erhöht. Auch eine Kontrolle der Nierenfunktion ist in diesem Zusammenhang wichtig. Klinisch kündigt sich eine Intoxikation durch Übelkeit, Erbrechen und Durchfall an. Später entwickeln sich ein grobschlägiger Tremor, verwaschene Sprache und ataktische Gangstörungen. Auch Muskelzuckungen, Steigerung des Muskeltonus und cerebrale Anfälle kommen vor. Schließlich kann sich über eine Phase der Verwirrtheit und Somnolenz ein Koma entwickeln. Eine Intoxikation muß immer stationär intensiv-medizinisch behandelt werden.

Wichtige andere Nebenwirkungen sind Übelkeit, Völlegefühl, vermehrte Flüssigkeitsaufnahme und -ausscheidung (Diabetes insipidus), Schilddrüsenfunktionsstörungen, Ödeme, verstärkte Akne und Psoriasis, cardiale Arrhythmien und Gewichtsabnahme. Nähere Hinweise auf die Nebenwirkungen, auf Kontraindikationen und die notwendigen Vor- und Kontrolluntersuchungen finden sich in den entsprechenden Handbüchern.

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4. Tranquilizer

Als Tranquilizer werden heute praktisch nur noch Benzodiazepine verordnet. Bei besonderen Indikationen werden auch Beta-Blocker, sowie dämpfende Neuroleptika oder Antidepressiva als Tranquilizer angewandt. Benzodiazepine wirken entspannend, angstlösend, schlafanstoßend und antiaggressiv. Außerdem haben sie noch eine muskelentspannende und eine antikonvulsive Wirkung. Auf Grund des weiten Spektrums positiver psychischer Effekte ist es nicht verwunderlich, daß Tranquilizer in der Normalbevölkerung - im Gegensatz zu dem Personenkreis geistig behinderter Menschen - zu den am häufigsten verordneten Medikamenten gehören. Dabei verschwimmt bei der Indikation oft die Grenze zwischen "krankhaften" und "nicht krankhaften Störungen" . Die Vermutung liegt nahe, daß die Funktion, die die Neuroleptika bei Menschen mit geistiger Behinderung haben, in der übrigen Bevölkerung von den Benzodiazepinen übernommen wird.

Bei der Auswahl der Medikamente wird man konfrontiert mit den Hinweisen auf mittelspezifische Wirkungsspektren von Seiten der Hersteller und den nüchternen Einschätzungen von Praktikern. So meint zum Beispiel Finzen aus der klinischen Perspektive, daß alle Benzodiazepine prinzipiell die gleichen Wirkungen haben und das Erreichen einer spezifischen

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Wirkung nur von der gewählten Dosis abhängt. Diese Ansicht wird von Experten weitgehend gestützt (vgl. Rickels, 1986, S.85). Unterschiede gibt es bezüglich der Wirkdauer, in der Zeit bis zum Wirkungsbeginn und in der Wirkungsintensität. Die Wirkdauer hängt von der Halbwertszeit ab (Diazepam z. B über 50 Stunden; Bromazepam ca. 20 Stunden, Midazolam ca. 3 Stunden) und von der Frage, ob das Mittel in einen aktiven Metaboliten verwandelt wird, der dann wieder seine eigene Halbwertszeit hat (wie zum Beispiel Diazepam). Mittel mit raschem Wirkungseintritt sind zum Beispiel Lorazepam und Bromazepam. Mittel mit raschem Wirkungseintritt und kurzer Halbwertszeit stehen unter dem Verdacht, eher eine Abhängigkeit zu erzeugen als andere. Für alle Benzodiazepine gilt, daß ihre Wirkungen innerhalb von Monaten abnehmen. Für die anxiolytische Wirkung allerdings behauptet Rickels (S.85), daß kein Wirkungsverlust auftritt.

Die Abhängigkeit zeigt sich nicht unbedingt in einer Steigerung der Dosis. Bei der sogenannten "low dosis dependency" nehmen die Betroffenen über lange Zeiträume unabhängig vom Weiterbestehen der zugrundeliegenden Störung gleichbleibende relativ niedrige Dosen zur Absicherung ihres Wohlbefindens. Auf Absetzversuche reagieren sie mit Schlaflosigkeit, Angst und Unruhe. Da diese Form der Abhängigkeit schon nach wenigen Wochen auftreten kann, müssen Benzodiazepine grundsätzlich langsam abgesetzt werden. Das gilt insbesondere für Menschen mit geistiger Behinderung, bei denen die Form der

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Abhängigkeit noch nicht erforscht ist und bei denen man die Symptome schwerer erkennen kann. Neben dem Wirkungsverlust ist die Entwicklung einer Abhängigkeit ein zweiter Grund, die Anwendung von Benzodiazepinen zeitlich zu beschränken.

Bei der Anwendung von Benzodiazepinen können - als Sofortreaktion oder um Wochen verzögert - "paradoxe Reaktionen" auftreten. Diese sind in der Regel durch aggressive Erregtheit und Schlaflosigkeit gekennzeichnet. Wie bei älteren Menschen, so kann man auch bei Menschen mit geistiger Behinderung von einem erhöhten Risiko für diese Reaktion ausgehen. Bei langzeitiger Anwendung, zum Beispiel im Rahmen einer antiepileptischen Behandlung mit Clonazepam, sind häufig Verhaltensstörungen mit aggressiven Tendenzen beobachtet worden, die auch als "paradoxe Reaktion" oder als Wirkungswandel von Benzodiazepinen aufgefaßt werden können. Ein weiteres Risiko, das allerdings nur bei i.v. Applikation besteht (z.B. zur Sedierung oder zur Unterbrechung eines Anfalls) ist eine Funktionsstörung des Atemzentrums. Insbesondere bei hirngeschädigten Kindern sind entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Eine Sedierung zur Erzielung einer "Kurznarkose" z.B. mit Midazolam) ist prinzipiell wie eine Anästhesie vorzubereiten und abzusichern.

Benzodiazepine gelten als nebenwirkungsarme Medikamente. Trotzdem können unerwünschte Wirkungen auftreten. Neben Müdigkeit finden sich

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Appetitsteigerung, Obstipation, und neurologische Störungen wie Ataxie und Schwindel. Intoxikationen sind, wenn nicht andere Komplikationen hinzukommen, nicht lebensgefährlich. Sie manifestieren sich durch eine allgemeine Apathie, delirartige Symptome, muskuläre Schwäche, Gangstörungen und Schwindel.

Benzodiazepine werden bei Menschen mit geistiger Behinderung eher selten angewandt. Im Rahmen einer Psychopharmakotherapie werden sie bei folgenden Störungen verordnet: reaktive Erregungszustände , Akathisie unter neuroleptischer Behandlung, Angstzustände bei psychotischen Störungen (als unterstützende Medikation) und bei Schlafstörungen. Außerhalb der Psychopharmakotherapie werden Benzodiazepine zur starken Sedierung vor schwierigen Untersuchungen und Behandlungen sowie zur Anfallsunterbrechung angewandt. Die Auswahl bestimmt sich nach den speziellen Erfordernissen. Für eine Sedierung vor einer Untersuchung wird man ein sehr schnell und sehr kurz wirkendes Mittel (z. B. Midazolam) und zur Regulierung des Schlafes ist ein Mittel mit geringem "hang-over" wählen (z. B. Lormetazepam), wobei die Nachwirkungen prinzipiell auch über die Dosierung zu regeln sind. Zur Unterbrechung eines epileptischen Anfalls haben sich Diazepam und Clonazepam bewährt, wobei Clonazepam stärker wirkt und Diazepam den Vorteil hat, als Rectiole verabreicht werden zu können. Diazepam ist zum Beispiel auch für eine zeitlich

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befristete Gabe zum Zweck einer länger dauernden Sedierung geeignet. Für den oft notwendigen langfristigen Gebrauch zur Behandlung einer Akathisie oder einer Angstsymptomatik ist im Prinzip kein Mittel besonders gut geeignet.In der Praxis sind neben Diazepam oft Bromazepam und Clotiazepam üblich. Die undifferenzierte Anwendung von Benzodiazepinen bei "Verhaltensstörungen" wird in der Literatur als nicht erfolgreich dargestellt (Lit. siehe Gadow u. Poling, 1988, S.208)

5. Stimulantien

Stimulantien - in Deutschland wird meist Methylphenidat angewandt - haben in der Kinder- und Jugendpsychiatrie einen festen Platz im Rahmen der Therapie des Aufmerksamkeit-Defizit-Syndroms und es gibt Tendenzen, die Anwendung auf Erwachsene auszuweiten. Bei Menschen mit geistiger Behinderung ist die Behandlung mit Stimulantien umstritten. Das betrifft sowohl ihre Anwendung beim Aufmerksamkeit-Defizit-Syndrom als auch bei nicht näher definierten Verhaltensstörungen (Lit. siehe Deb u. Fraser, 1994, S. 266). Die ablehnende Haltung wird am schärfsten durch Aman (1982, S. 485) ausgedrückt, wenn er sagt, "daß gegenwärtig kein zwingender Beweis vorliegt, daß Stimulantien eine bedeutsame Rolle bei der Behandlung geistig behinderter Personen spielen sollten." Eine etwas positivere Bewertung finden

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dagegen, gestützt auf eine umfangreiche Literaturauswertung, Gadow und Poling (1988, S. 59).

In Deutschland hat sich die Stimulantienbehandlung bei geistig behinderten Menschen nicht durchgesetzt. Eine Schwierigkeit ist sicherlich, daß Methylphenidat den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegt. Zum anderen sind die Nebenwirkungen im Verhältnis zu den Erfolgsraten zu schwerwiegend. Gadow und Poling (S.75f) schätzen Stimulantien als "sichere" Medikamente ein, weisen aber auf folgende Nebenwirkungen hin: Schlafstörungen, Appetitverlust, negatives Aussehen ("amphetamine look"), starres Verhalten, (wie "Zombies"), Apathie, sozialer Rückzug, Schwindelgefühl, unwillkürliche Muskelbewegungen,, Stereotypien, Anfallsprovokation, Provokation psychotischer Symptome, cardiovaskuläre Störungen (z.B. arterieller Bluthochdruck) und Wachstums- störungen.

7. Andere Medikamente

Neben den aufgeführten Medikamentengruppen gibt es eine Fülle von verschiedenen Pharmaka, bei denen man einen psychotropen Effekt nachgewiesen hat und deren Wirksamkeit bei Verhaltensstörungen oder bestimmten definierten Syndromen überprüft werden. Hierzu gehören zum Beispiel Opiatantagonisten (gegen selbstverletzendes Verhalten), Phenytoin (gegen aggressive Tendenzen), Beta-Blocker (gegen aggressive Tendenzen), Serotoninantagonisten (bei

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aggressiven Verhaltensstörungen) und Amantadine (gegen aggressive Verhaltensstö

rungen). Diese Medikamente spielen zur Zeit in Deutschland mit der angegebenen Indikation keine Rolle.

Gesetzliche Grundlagen zur Anwendung von Psychopharmaka - Absicherung einer humanen Verordnungspraxis

In Hinblick auf die häufige Anwendung von Psychopharmaka bei Menschen mit geistiger Behinderung ohne eindeutige psychiatrische Indikation besteht ein besonderes Schutzbedürfnis für diesen Personenkreis. Das 1992 in Kraft getretene Betreuungsgesetz (Bundesgesetzblatt, 1990) hat in diesem Bereich eine höhere Sensibilität geschaffen. Die Probleme werden besser erkannt und Nachlässigkeiten sind kontrollierbar geworden.

Die durch das Betreuungsgesetz bewußt gestärkte emanzipatorisch wirkende Tendenz hat allerdings in diesem Zusammenhang eine fragwürdige Konsequenz. Bei der Abschätzung gesundheitlicher Risiken eines psychotropen Medikaments und des erreichbaren Erfolgs ist ein Mensch mit geistiger Behinderung prinzipiell überfordert. Die Einwilligungsfähigkeit ist mehr als "natürliche Handlungsfähigkeit" (Münchner Kommentar, Familienrecht) und darf nicht

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überstrapaziert werden. Insofern ist die zu beobachtende Tendenz bedenklich, unter Berufung auf die zu respektierende Eigenverantwortlichkeit die Gabe von Psychopharmaka durch die Zustimmung der Betroffenen juristisch abzusichern. Wenn derartig schwierige Fragen zur Entscheidung anstehen, muß eine Betreuung eingerichtet werden (vgl. hierzu Stolz, 1995).

Im Betreuungsgesetz finden sich zwei Paragraphen, die die Anwendung von Psychopharmaka bei Erwachsenen in zwei ganz unterschiedlichen Zielsetzungen regeln. Durch den Paragraphen 1904 BGB wird festgelegt, unter welchen Bedingungen die Verabreichung eines Medikaments als Heilmittel einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf. Durch den Paragraphen 1906, 4 BGB werden Medikamente freiheitsentziehenden Maßnahmen (z.B. Fixieren) gleichgestellt, wenn sie diesem Zweck dienen. In dieser Zweiteilung findet sich die weiter oben angesprochene Unterscheidung zwischen "krankheitsbedingten" und "nicht-krankheitsbedingten" Indikationen wieder. Daß die Gabe eines Medikamentes unter Umständen als "freiheitsentziehende Maßnahme" einzuschätzen ist, muß als ein bedeutsamer Schritt zum Schutz der Betroffenen angesehen werden. Denn mit dieser Gleichstellung sind entsprechende gerichtliche Kontrollen verbunden, die tendenziell mehr Transparenz und Sicherheit bringen als die Regelungen durch Paragraph 1904 BGB. Die Prüfung

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der gesundheitlichen Konsequenzen nach Paragraph 1904 BGB ist übrigens dadurch nicht unnötig geworden (vgl.Münchner Kommentar). Leider kann diese Bestimmung leicht umgangen werden. Bei enger Auslegung des Betreuungsgesetzes ergibt sich dafür sogar unter Umständen ein gewisser "Sachzwang" (Gaedt u. Lang, 1992).

Die Regelungen des Paragraphen 1904 BGB beziehen sich auf Maßnahmen, die zum Tode oder zu einem schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden führen können. In der Rechtspraxis wird diesen Regelungen ein sehr eingeengter Gesundheitsbegriff zugrunde gelegt. Die angestrebten, in die Persönlichkeit eingreifenden Wirkungen der Neuroleptika zum Beispiel werden dabei nicht berücksichtigt. Man überprüft gewöhnlich nur die Nebenwirkungen und kommt zu dem Schluß, daß Psychopharmaka, wenn nicht zusätzliche Risiken hinzukommen, nicht genehmigungspflichtig sind. Damit wird gleichzeitig die bei Neuroleptikabehandlung so wichtige Frage nach dem langfristigen Nutzen für die Betroffenen einer gerichtlichen Überprüfung entzogen. Vor allem aber wird dadurch die Verantwortung auf die Betreuer abgewälzt, die - insbesondere wenn es sich um nicht-professionelle Betreuer handelt - mit diesen Fragen überfordert sind. Es gibt sicherlich Richter, die eine andere Auffassung vertreten, die geschilderte Praxis ist jedoch weit verbreitet (vgl. hierzu auch Stolz, 1994). Das Risiko ist groß, daß der erhoffte

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Kontrollaspekt in den Hintergrund tritt. Im Falle von Psychopharmaka, die mit einer medizinischen Indikation verabreicht werden, bedeutet das allerdings keine Benachteiligung geistig behinderter Menschen im Vergleich zu anderen psychiatrischen Patienten.

Anders ist es zu beurteilen, wenn es sich bei der Verabreichung des Psychopharmakons um eine angestrebte freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne des Paragraphen 1906, 4 BGB handelt. Hier sind die durch das Gesetz vorgegebenen gerichtlichen Kontrollen unentbehrlich, weil es um Disziplinierungsmaßnahmen oder möglicherweise um Anpassungsstrategien an unangemessene Lebensbedingungen geht, also um prinzipiell schwere Eingriffe in die Grundrechte geistig behinderter Menschen. Mit diesen Zielsetzungen werden Psychopharmaka nicht geistig behinderten Menschen, zumindest im Erwachsenenalter, nicht verabreicht. Um so kritischer ist es zu bewerten, wenn die Regelungen des Paragraphen 1906, 4 BGB umgangen werden und so eine vom Betreuungsgesetz eingeführte Kontrolle unwirksam gemacht wird. Das aber ist, wie nicht anders zu erwarten, die Regel. Es widerspricht dem Selbstverständnis der Ärzte, Medikamente zum Zweck einer Freiheitsentziehung zu verordnen. Verständlicherweise werden sie versuchen, in den gewohnten Begründungszusammenhängen zu bleiben und auch in diesen Fällen eine krankhafte Störung diagnostizieren. Damit sind die nach Paragraph 1906 BGB für freiheitsentziehende Maßnahmen

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Page 80: Christian Gaedtchristian-gaedt.com/doc/PSYCHOP2.doc · Web viewSo gibt es eine Fülle von praxisrelevanten Tips, die sich allerdings nicht immer als richtig erweisen. Trotzdem wird

vorgesehenen Kontrollen nicht notwendig und als Heilmittel sind Pychopharmaka in der Regel nach Paragraph 1904 BGB nicht genehmigungspflichtig. Die angestrebte freiheitsentziehende Maßnahme kann trotzdem durchgeführt werden, weil sie als nicht intendierter Nebeneffekt einer therapeutischen Maßnahme aufgefaßt werden kann (vgl. Münchner Kommentar).

Es kommt hinzu, daß nach der herrschenden Rechtsauffassung das Betreuungsgesetz nicht für Maßnahmen zum Schutze Dritter oder von Sachwerten herangezogen werden kann (vgl. Münchner Kommentar). Nur wenige Richter vertreten offensiv die Rechtsauffassung, daß das Betreuungsgesetz flexibel angewandt werden muß, wenn es seine Zielsetzung erreichen will. Nach dieser Außenseiterposition ist die Genehmigung solcher drittschützender Maßnahmen auch nach dem Betreuungsgesetz zulässig (Pardey, 1995, a u. b). Nach der herrschenden Rechtssprechung kann jedoch zur Zeit eine medikamentöse Beeinflussung nicht krankheitsbedingter aggressiver Verhaltensweisen, um die es bei freiheitsentziehenden Maßnahmen häufig geht, nicht über das Betreuungsgesetz genehmigt werden, selbst wenn man sie beantragen würde. Dies wäre nur im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach dem jeweiligen Landesunterbringungsgesetz ("PsychKG") möglich. In einigen Bundesländern, so zum Beispiel in Niedersachsen, können diese Maßnahmen nur in

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psychiatrischen Kliniken durchgeführt werden. Zwangsläufig entstünde dann die paradoxe Situation, daß man einen geistig behinderten Menschen mit einer nicht-krankheitsbedingten Verhaltensstörung in die Psychiatrie einweisen müßte. Das ist unzumutbar und wird deshalb umgangen, indem man die Verabreichung des Psychopharmakons in den Rahmen einer Heilbehandlung stellt.

Es ist jedoch auch fraglich, ob eine Absicherung der Rechte behinderter Menschen durch die Gerichte ausreicht. Vielmehr erscheint es notwendig, neben der gerichtlichen Absicherung eine humane Praxis im Umgang mit Psychopharmaka aufzubauen und zu pflegen (vgl. Gaedt u. Lang, 1992 u. Gaedt, 1993). Zu dieser Praxis gehört als ein erster und wichtigster Schritt der Verzicht auf das ärztliche Entscheidungsmonopol. Der Arzt ist sicherlich der Experte, der die gesundheitlichen Risiken der Psychopharmaka, aber auch ihren möglichen Nutzen am besten kennt. Die Anwendung eines psychotropen Medikaments ist jedoch nur selten eine rein gesundheitliche Maßnahme. Bei der Verstrickung von Interessen, die immer bei der Verordnung von Psychopharmaka zu beachten ist, ergibt sich die Notwendigkeit, alle von der Entscheidung Betroffenen in die Diskussion und die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das betrifft die Person, die das Medikament erhalten soll, die pädagogischen Mitarbeiter, die Angehörigen und die gesetzlichen Betreuer. Entscheidungen sollten nur auf

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Konsensbasis gefällt werden. Das Expertenwissen des Arztes muß in einem kontinuierlichen Prozeß an die anderen Beteiligten weitergegeben werden. Aus diesem Grunde sind Fortbildungsveranstaltungen anzubieten, an denen insbesondere auch die Betreuer und Betreuerinnen sowie die Angehörigen teilnehmen können. Schließlich ist es notwendig, alle Medikamentengaben, die in ihrer Zielsetzung freiheitsentziehende Maßnahmen sind, also den Regelungen des Paragraphen 1906, 4 BGB unterworfen sind, öffentlich zur Diskussion zu stellen. Öffentlich heißt hier, daß diese Maßnahmen in einem Gremium besprochen werden, in dem neben den verordnenden Ärzten und pädagogischen Mitarbeitern auch Vertreter der Angehörigen und der gesetzlichen Vertreter mitarbeiten.

Empfehlungen zum Umgang mit Psychopharmaka

Wegen der vielen Risiken, des oft fraglichen Nutzens und der juristischen Implikationen sind beim Umgang mit Psychopharmaka besondere Regeln zu beachten. Wünschenswert wären hierbei Richtlinien, die dem Praktiker eine Orientierung geben können. Seidel (1994, S. 244) hat auf diese Notwendigkeit hingewiesen und in diesem Zusammenhang Einfeld (1990) zitiert, der ähnlich wie Sovner und Hurley

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(1985) für den englischen Sprachraum entsprechende Vorschläge gemacht hat.

Eine solche Orientierung sollte folgende Punkte berück- sichtigen:

1. Bevor es zur Diskussion über möglichen Einsatz eines psychotropen Medikamentes kommt, muß geprüft werden, ob das angestrebte Ziel nicht über andere Maßnahmen erreichbar ist. Zu diesen Diskussionen ist der Arzt in seiner Rolle als Experte für Möglichkeiten, Risiken und Grenzen einer Pharmakotherapie hinzuzuziehen.

2. Offene Diskussion aller unterschiedlichen Interessen. Diese Klärung ist notwendig, damit nicht der falsche Eindruck entsteht, es würde sich um eine rein medizinische Maßnahme handeln. Nur auf diese Weise ist die Mitverantwortung der Beteiligten an der Verordnung deutlich zu machen. Auf diesem Wege entsteht ein gemeinsames Interesse, die Maßnahme erfolgreich zu gestalten und negative Auswirkungen zu minimieren. Die Betroffenen sollen in diese Gespräche soweit als möglich einbezogen werden.

3. Es ist darauf zu achten, daß Entscheidungen nur auf Konsensbasis sinnvoll sind. Anderenfalls ist das Risiko eines Mißerfolgs zu groß. Der angestrebte Konsens sollte auch die Betroffenen mit einbeziehen. Dabei

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spielt es keine Rolle, ob man sie als "einwilligungsfähig" ansieht oder nicht.

4. Vor Beginn der Psychopharmakotherapie muß ein umfassender Gesamtplan erstellt werden. Je nach aktueller Situation können zusätzliche Maßnahmen eher in den Hintergrund treten oder aber zur Vorbedingung der geplanten Therapie werden. Im Falle einer Verordnung im Sinne einer freiheitsentziehenden Maßnahme (§ 1906, 4 BGB) sind zusätzliche Maßnahmen unverzichtbar. Hier muß deutlich werden, wie man die medikamentöse Wirkung im Interesse der Betroffenen nutzen will.

5. Verordnungen von Psychopharmaka müssen zeitlich befristet sein. Schon bei Behandlungsbeginn muß ein Zeitplan für Kontrollen sowie für Reduktions- und Absetzversuche festgelegt werden. Vor der geplanten Beendigung sind erneut Gespräche mit allen Beteiligten zu führen.

6. Zur Kontrolle des Erfolgs der Pharmakotherapie ist eine sorgfältige Dokumentation durchzuführen. Diese Dokumen- tation muß neben einer Diagnose auch eine Beschreibung der Zielsymptome enthalten. In regelmäßigen Abständen muß die Wirkung einschließlich der unerwünschten Wirkung eingeschätzt werden. In der Anfangsphase oder nach Änderung der Dosis bzw. des Medikaments muß diese Einschätzung wöchentlich durchgeführt werden. Nach vier Wochen sind größere Abstände möglich.

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Entsprechend einem festgelegten Schema müssen auch die notwendigen klinischen und Laboruntersuchungen durchgeführt werden.

7. Eine Pharmakotherapie muß beendet werden, wenn sie nicht innerhalb von einem Jahr den angestrebten Erfolg erzielt hat bzw. wenn die Nebenwirkungen in einem ungünstigen Verhältnis zum erreichten Erfolg stehen.

8. Soweit es sich um eine Behandlung im Sinne von §1906, 4 BGB handelt, ist der Verlauf in einem übergeordneten Gremium zu diskutieren, in dem neben Ärzten und pädagogischen Mitarbeitern auch Vertreter von Angehörigen und der gesetzlichen Betreuer mitarbeiten.

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Kurzbezeichnung Indikationsgruppe Präparatename

Amitriptylin Antidepressivum Amitryptilin, Laroxyl, Novoprotect,

Saroten, Syneudon

Bromazepam Tranquilizer durazanil 6, Gytil 6, Lexotanil 6,neo

OPT, Normoc

Biperiden Anticholinergikum Akineton

Carbamazepin Antikonvulsivum Carbagamma, Finlep- sin, Sirtal,Fokalepsin, Tegretal, Timonil

Chloralhydrat Hypnotikum Chloraldurat

Chlorpromazin Neuroleptikum Propaphenin

Clomethiazol Hypnotikum Distraneurin Antikonvulsivum

Clomipramin Antidepressivum Anafranil, Hydiphen

Clonazepam Antikonvulsivum Rivotril

Clonidin Antihypertonikum Catapresan, Dispacloni- din Dixarit, Haemiton, Isoglaucon, Mirfat,

Paracefan

Clotiazepam Tranquilizer Trecalmo

Desipramin Antidepressivum Pertofran

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Page 93: Christian Gaedtchristian-gaedt.com/doc/PSYCHOP2.doc · Web viewSo gibt es eine Fülle von praxisrelevanten Tips, die sich allerdings nicht immer als richtig erweisen. Trotzdem wird

Diazepam Tranquilizer duradiazepam, Faustan Lamra, Stesolid, Vali-

quid, Valium

Clozapin atyp. Neuroleptikum Leponex

Doxepin Antidepressivum Aponal, Doxepin, Do-

xepin dura, Mareen 50,

Sinquan

Kurzbezeichnung Indikationsgruppe Präparatename

Flunitrazepam Hypnotikum Rohypnol

Fluoxetin Antidepressivum Fluctin

Flupentixol Neurroleptikum Fluanxol

Fluphenazin Neuroleptikum Dapotum, Lyogen, Om-

ca, Lyorodin

Fluvoxamin Antidepressivum Fevarin

Haloperidol Neuroleptikum Buteridol, duraperidol,

Haldol,Haloperidol-

GRY, Sigaperidol

Imipramin Antidepressivum Pryleugan, Tofranil

Levodopa Parkinsonmittel Dopaflex, Dopamin

Levomepromazin Neuroleptikum Neurocil, Tisercin

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Page 94: Christian Gaedtchristian-gaedt.com/doc/PSYCHOP2.doc · Web viewSo gibt es eine Fülle von praxisrelevanten Tips, die sich allerdings nicht immer als richtig erweisen. Trotzdem wird

Lithium Stimmungsstabilisator Hypnorex, leukomine-

Rase Li 450,

Quilonum

Lorazepam Tranquilizer duralozam, Laubeel

Lormetazepam Hypnotikum Ergocalm, Loretam,

Lormeta, NoctamidRepocal,

Kurzbezeichnung Indikationsgruppe Präparatename

Maprotilin Antidepressivum neural, Deprilept, Kano- -

pan, Ludiomil, MaproGRY, Mirpan,

Methylphenidat Psychoanaleptikum Ritalin

Periciazin Neuroleptikum Neuleptil (in Deutsch-

land nicht registriert)

Perphenazin Neuroleptikum Decentan

Pimozid Neuroleptikum Antalon, Orap

Pipamperon Neuroleptikum Dipiperon

Propranolol Rezeptorenblocker Beta-Timelets, Dociton, EfektololIndobloc, Ob -

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Page 95: Christian Gaedtchristian-gaedt.com/doc/PSYCHOP2.doc · Web viewSo gibt es eine Fülle von praxisrelevanten Tips, die sich allerdings nicht immer als richtig erweisen. Trotzdem wird

- siddan, Prophylux, Pro

pranolol-GRY, Propra nur

Sulpirid atyp. Neuroleptikum Arminol. Dogmatil, Me-

resa, Neogamma

Temazepam Hypnotikum Neodorm SP, Norkotral

Tema, Planum, Remestan

Thioridazin Neuroleptikum Melleretten, Melleril

Tiaprid Antihyperkinetikum Tiapridex

Valproat (Vaproinsäure) Antiepileptikum Convulex, Convulsofin

Ergenyl,Leptilan, Myl-

proin, Orfiril

Zuclopenthixol Neuroleptikum Ciatyl Z

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