cognitive computing also update 2/2014 de

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Das Computersystem Watson wurde natür- lich nicht primär für die Teilnahme an der US-amerikanischen Quizshow Jeopardy! entwickelt. Es markiert den Beginn einer neuen Entwicklungslinie so genannter ler- nender oder kognitiver Computersysteme. Mit Watson wurde eine Technologie-Platt- form für eine Vielzahl von Einsatzmöglich- keiten geschaffen – ein praktisches Werk- zeug, das die menschlichen Fähigkeiten im Zeitalter von Big Data ideal ergänzen und erweitern kann. Drei Jahre nach dem Auftritt des Watson-Computers in der Quiz- show wird die Technologie nun im Rahmen zahlreicher Pilotprojekte etwa im Gesund- heitswesen, im Finanzbereich oder im Kun- dendienst erprobt und erbringt somit den Beweis, dass Cognitive Computing Reali- tät wird. Mehr noch: Watson ist kein reines Forschungsfeld mehr. Im Januar 2014, erst das vierte Mal in der mehr als 100 jährigen Geschichte von IBM, wurde mit der Watson Group eine neue Geschäftssparte gegrün- det. Sie macht Watson-basierte Produkte und Lösungen für Kunden verfügbar. Eine Architektur für evidenzbasierte Entdeckung Als die Watson-Technologie bei IBM Rese- arch konzipiert und entwickelt wurde, ent- schieden sich die Forscher bewusst gegen ein starres, streng definiertes System von Regeln zur Analyse von Daten, sondern implementierten viele einfache Algorith- men, die sich je nach Aufgabenstellung zusammenstellen und kombinieren liessen. So entstand eine leistungsfähige Analy- tik-Plattform, die es ermöglicht, unabhän- gig vom Fachgebiet die vorhandene Evi- denz bezüglich konkreter Fragestellungen auszuwerten und Schlussfolgerungen dar- aus zu ziehen. Dr. Eric Brown, Leiter des Watson-Teams bei IBM Research, sieht da- rin eine «Architektur der Entdeckung». Im Dialog zu einer besseren Antwort Um Watson alltagstauglich zu machen, wur- de gleich zu Beginn der Anwendungsent- wicklung auf eine Eigenschaft besonderer Fokus gelegt: die Dialogfähigkeit. Bei Jeo- pardy! erhielt Watson einen Hinweis, auf den es die richtige Frage formulieren musste. Heute können Benutzer in einen Dialog mit dem System treten. Der Watson Engage- ment Advisor ist die erste bereits verfügba- re praktische Lösung mit dieser Funktion. Sie ermöglicht es, Personalisierung und Qualität in der Kundenberatung zu stei- gern. Abrufbar als Dienstleistung aus der Cloud in Form eines Online-Chat-Dialogs können Kunden mit Watson kommunizie- ren, um personalisierte Antworten auf ihre Fragen zu erhalten – direkt oder über einen Mitarbeiter des Kundendienstes, der auch Zugriff auf den Watson Advisor hat. Das Verstehen von natürlicher Sprache und Kontext sind essentiell für die Analy- tikfähigkeiten von Watson. Dabei entsteht ein wichtiger Effekt: Daten schaffen selbst- ständig neue Daten. Man nennt dies den Multiplikatoreffekt des Kontextes. Er ergibt sich durch die Anzahl der Verknüpfungen innerhalb von Datenmengen und daraus wie schnell diese zunimmt. Kontext verste- hen bedeutet auf Ebene der Daten nichts anderes, als Beziehungen zwischen ihnen zu erstellen. Anwendungen in der medizi- nischen Diagnostik stellen das System in dieser Hinsicht vor besonders hohe Anfor- derungen. Kein Expertensystem, sondern ein System für Experten In einem gemeinsamen Projekt mit dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center (MSKCC), einem der weltweit führenden Krebsforschungszentren, und der US-ame- rikanischen Krankenversicherung Well- Point wird die Watson-Technologie zu einer Anwendung weiterentwickelt, die Onkolo- gen bei der Diagnosestellung und der Aus- wahl der geeignetsten Krebsbehandlungen unterstützt, indem sie immense Mengen an medizinischem Wissen in Sekundenschnel- le verarbeiten kann, um evidenzbasierte Vorschläge zu erstellen. Für Ärzte ist es unmöglich, die Flut an neuen Erkenntnis- sen zu bewältigen, denn das medizinische Wissen verdoppelt sich alle fünf Jahre. Hier soll die «Interactive Care Insights for On- cology»-Anwendung Abhilfe schaffen. Ak- tuell hat Watson bereits mehr als 600 000 Seiten mit medizinischen Daten, 2 Millionen Textseiten aus 42 medizinischen Fach- zeitschriften und klinischen Studien sowie Tausende von Krankengeschichten erfasst. Im Alltag verwenden Ärzte die Anwendung zum Beispiel über einen Tablet-PC. Nach- dem der Arzt das elektronische Patien- tendossier aufgerufen und grundlegende Symptome und andere Faktoren eingege- ben hat, kann er in den Dialog mit Watson treten und die Analyse präzisieren. Watson analysiert die Eingaben, hebt besonders wichtige Informationen hervor und nutzt das ganze verfügbare digitale medizinische Wissen, um adäquate evidenzbasierte Di- agnoseresultate und individuell optimierte Behandlungsoptionen vorzuschlagen. Dr. Mark Kris vom MSKCC sieht in der Anwen- dung eine fundierte zweite Meinung. Noch befindet sich die Anwendung im Pilotbetrieb und wird weiter verbessert, aber in Zukunft könnten Patienten auf der ganzen Welt über die Watson-Anwendung als Cloud-basierte Dienstleistung von der Spitzenforschung und Expertise der Onkologen am MSKCC profitieren. Eine Welt von Cog-Apps Drei Jahre nach Watsons Auftritt in der Quizshow Jeopardy! ist das dereinst raum- füllende Computersystem heute eine kom- merzielle Cloud-basierte Analytik-Platt- form. Sie ist 24-mal schneller, 2400 Prozent leistungsfähiger und 90 Prozent kleiner. Um die Entwicklung und Vermarktung von Watson-basierten Lösungen und Dienst- leistungen voranzutreiben, wurde im Janu- ar 2014 eine eigene IBM-Geschäftsspar- te gegründet. Über 1 Milliarde US-Dollar investiert IBM in den Geschäftsbereich, wovon 100 Millionen US-Dollar als Beteili- gungskapital für die Entwicklung von neu- en Watson-basierten Anwendungen durch Dritte – so genannte «Cog-Apps» oder Co- gnitive Apps – vergeben werden. Die Um- gebung hierfür ist die Watson Developer Cloud, die Zugriff auf die Watson-Tech- nologie und Watson APIs gibt. Mehr als 1500 Ideen für neue Apps wurden bereits eingebracht und drei IBM Business Partner in den USA, MDBuyline, Welltok und Fluid, planen noch in diesem Jahr erste Anwen- dungen anzubieten. IBM WATSON AT WORK EIN LERNENDES SYSTEM IN DER PRAXIS von Haig A. Peter, Executive Briefing Consultant, IBM Research – Zürich ALSO NEWS 8

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Cognitive Computing ALSO Update 2/2014 DE

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Page 1: Cognitive Computing ALSO Update 2/2014 DE

Das Computersystem watson wurde natür-lich nicht primär für die teilnahme an der uS-amerikanischen Quizshow Jeopardy! entwickelt. es markiert den Beginn einer neuen entwicklungslinie so genannter ler-nender oder kognitiver Computersysteme. mit watson wurde eine technologie-Platt-form für eine Vielzahl von einsatzmöglich-keiten geschaffen – ein praktisches werk-zeug, das die menschlichen Fähigkeiten im Zeitalter von Big Data ideal ergänzen und erweitern kann. Drei Jahre nach dem auftritt des watson-Computers in der Quiz-show wird die technologie nun im rahmen zahlreicher Pilotprojekte etwa im Gesund-heitswesen, im Finanzbereich oder im Kun-dendienst erprobt und erbringt somit den Beweis, dass Cognitive Computing reali-tät wird. mehr noch: watson ist kein reines Forschungsfeld mehr. im Januar 2014, erst das vierte mal in der mehr als 100 jährigen Geschichte von iBm, wurde mit der watson Group eine neue Geschäftssparte gegrün-det. Sie macht watson-basierte Produkte und Lösungen für Kunden verfügbar.

eine architektur für evidenzbasierte entdeckungals die watson-technologie bei iBm rese-arch konzipiert und entwickelt wurde, ent-schieden sich die Forscher bewusst gegen ein starres, streng definiertes System von regeln zur analyse von Daten, sondern implementierten viele einfache algorith-men, die sich je nach aufgabenstellung zusammenstellen und kombinieren liessen. So entstand eine leistungsfähige analy-tik-Plattform, die es ermöglicht, unabhän-gig vom Fachgebiet die vorhandene evi-denz bezüglich konkreter Fragestellungen auszuwerten und Schlussfolgerungen dar-aus zu ziehen. Dr. eric Brown, Leiter des watson-teams bei iBm research, sieht da-rin eine «architektur der entdeckung».

im Dialog zu einer besseren antwortum watson alltagstauglich zu machen, wur-de gleich zu Beginn der anwendungsent-wicklung auf eine eigenschaft besonderer Fokus gelegt: die Dialogfähigkeit. Bei Jeo-pardy! erhielt watson einen hinweis, auf den es die richtige Frage formulieren musste.

heute können Benutzer in einen Dialog mit dem System treten. Der watson engage-ment advisor ist die erste bereits verfügba-re praktische Lösung mit dieser Funktion. Sie ermöglicht es, Personalisierung und Qualität in der Kundenberatung zu stei-gern. abrufbar als Dienstleistung aus der Cloud in Form eines online-Chat-Dialogs können Kunden mit watson kommunizie-ren, um personalisierte antworten auf ihre Fragen zu erhalten – direkt oder über einen mitarbeiter des Kundendienstes, der auch Zugriff auf den watson advisor hat.

Das Verstehen von natürlicher Sprache und Kontext sind essentiell für die analy-tikfähigkeiten von watson. Dabei entsteht ein wichtiger effekt: Daten schaffen selbst-ständig neue Daten. man nennt dies den multiplikatoreffekt des Kontextes. er ergibt sich durch die anzahl der Verknüpfungen innerhalb von Datenmengen und daraus wie schnell diese zunimmt. Kontext verste-hen bedeutet auf ebene der Daten nichts anderes, als Beziehungen zwischen ihnen zu erstellen. anwendungen in der medizi-nischen Diagnostik stellen das System in dieser hinsicht vor besonders hohe anfor-derungen.

Kein expertensystem, sondern ein System für experten in einem gemeinsamen Projekt mit dem memorial Sloan-Kettering Cancer Center (mSKCC), einem der weltweit führenden Krebsforschungszentren, und der uS-ame-rikanischen Krankenversicherung well-Point wird die watson-technologie zu einer anwendung weiterentwickelt, die onkolo-gen bei der Diagnosestellung und der aus-wahl der geeignetsten Krebsbehandlungen unterstützt, indem sie immense mengen an medizinischem wissen in Sekundenschnel-le verarbeiten kann, um evidenzbasierte Vorschläge zu erstellen. Für Ärzte ist es unmöglich, die Flut an neuen erkenntnis-sen zu bewältigen, denn das medizinische wissen verdoppelt sich alle fünf Jahre. hier soll die «interactive Care insights for on-cology»-anwendung abhilfe schaffen. ak-tuell hat watson bereits mehr als 600 000 Seiten mit medizinischen Daten, 2 millionen

textseiten aus 42 medizinischen Fach-zeitschriften und klinischen Studien sowie tausende von Krankengeschichten erfasst. im alltag verwenden Ärzte die anwendung zum Beispiel über einen tablet-PC. nach-dem der arzt das elektronische Patien-tendossier aufgerufen und grundlegende Symptome und andere Faktoren eingege-ben hat, kann er in den Dialog mit watson treten und die analyse präzisieren. watson analysiert die eingaben, hebt besonders wichtige informationen hervor und nutzt das ganze verfügbare digitale medizinische wissen, um adäquate evidenzbasierte Di-agnoseresultate und individuell optimierte Behandlungsoptionen vorzuschlagen. Dr. mark Kris vom mSKCC sieht in der anwen-dung eine fundierte zweite meinung. noch befindet sich die Anwendung im Pilotbetrieb und wird weiter verbessert, aber in Zukunft könnten Patienten auf der ganzen welt über die watson-anwendung als Cloud-basierte Dienstleistung von der Spitzenforschung und expertise der onkologen am mSKCC profitieren.

eine welt von Cog-apps Drei Jahre nach watsons auftritt in der Quizshow Jeopardy! ist das dereinst raum-füllende Computersystem heute eine kom-merzielle Cloud-basierte analytik-Platt-form. Sie ist 24-mal schneller, 2400 Prozent leistungsfähiger und 90 Prozent kleiner. um die entwicklung und Vermarktung von watson-basierten Lösungen und Dienst-leistungen voranzutreiben, wurde im Janu-ar 2014 eine eigene iBm-Geschäftsspar-te gegründet. Über 1 milliarde uS-Dollar investiert iBm in den Geschäftsbereich, wovon 100 millionen uS-Dollar als Beteili-gungskapital für die entwicklung von neu-en watson-basierten anwendungen durch Dritte – so genannte «Cog-apps» oder Co-gnitive apps – vergeben werden. Die um-gebung hierfür ist die watson Developer Cloud, die Zugriff auf die watson-tech-nologie und watson aPis gibt. mehr als 1500 ideen für neue apps wurden bereits eingebracht und drei iBm Business Partner in den uSa, mDBuyline, welltok und Fluid, planen noch in diesem Jahr erste anwen-dungen anzubieten.

IBM WaTSON aT WORK ein LernenDeS SYStem in Der PraXiS

von Haig A. Peter, Executive Briefing Consultant, IBM Research – Zürich

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Der expert Personal Shopper der Firma Fluid ist eine app, die in der watson Developer Cloud entwickelt wird. Sie nutzt watsons Fä-higkeiten, nuancen der menschlichen Sprache im Kontext zu verstehen, um als persönlicher, kognitiver Shopping-assistent Kunden bei der auswahl der am besten ihren wünschen und Vorstellungen entsprechenden Produkte zu helfen.

videos zum Thema

https://ibm.biz/cognitivebyhaighaig a. Peter, experte am Client Center bei iBm research – Zürich, über Cognitive Computing und den watson oncology advisor

https://ibm.biz/watsonpathseine kurze Demonstration von watsonPaths

https://ibm.biz/watson4mskccÜber die Zusammenarbeit mit dem memorial Sloan-Kettering Cancer Center

https://ibm.biz/watson4genomicmedicineGemeinsam mit dem new York Genome Center wird watson für Dna-basierte personalisierte Krebstherapien weiterentwickelt. mitte märz angekündigt, ist es das neueste anwendungsprojekt für das lernende System.

Haig a. peterstellt im Client Center bei iBm research – Zürichverschiedene watson-basierte Lösungen und Prototypen vor.

Der watson engagement advisor hilft als di-gitaler assistent im Kundenservice und ist etwa über das Smartphone nutzbar. Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein haus kaufen und ein watson-System kann ihnen helfen, die eigenschaften des hauses zu beurteilen. es kann ihnen auch sagen, ob Sie sich das haus leisten können und welche Kreditoptionen Sie haben. und all das in kürzester Zeit und auf Basis aller verfügbaren informationen.

watsonPaths, ein Projekt mit dem Lerners College of medicine der Cleveland universität, dient der ausbildung von Ärzten. Die anwen-dung visualisiert in echtzeit entscheidstruktu-ren, mithilfe derer Ärzte in komplexen Fällen zu einer Diagnose gelangen. mit watsonPaths können die Studenten per Fingerzeig auf die für die jeweiligen Visualisierungen relevanten medizinischen Quellen zurückgreifen, um den Verlauf nachzuvollziehen und die ergebnisse der analyse auszuwerten.

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