damien hirst herausgegeben von ann gallagher thomas crow...
TRANSCRIPT
Damien Hirst
Herausgegeben von Ann Gallagher
Mit Beiträgen von
Ann Gallagher
Thomas Crow
Michael Craig-Martin
Nicholas Serota
Michael Bracewell
Brian Dillon
Andrew Wilson
PRESTELMünchen ˙ London ˙ New York
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6 Vorwort des Sponsors
7 Vorwort des Direktors
8 Dank
11 Einleitung Ann Gallagher
21 Hässliche Gefühle Brian Dillon
30 Tafeln I
38 Damien Hirst: Die frühen Jahre Michael Craig-Martin
40 Tafeln II
91 Nicholas Serota im Gespräch mit Damien Hirst, 14. Juli 2011
100 Tafeln III
180 Beautiful Inside My Head Forever Michael Bracewell
191 In der Glasmenagerie: Damien Hirst und Francis Bacon Thomas Crow
203 Der Glaubende Andrew Wilson
218 Chronologie
230 Literatur
232 Ausgestellte Werke
235 Bildnachweis
236 Register
244 Impressum
Inhalt
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Vorwort des Sponsors
Wenn die Welt später in diesem Jahr in London zu den Olympischen Spielen und den Paralympics
zusammenkommt, werden wir daran erinnert werden, wie wichtig der Aufbau von Beziehun-
gen mithilfe sportlicher und kultureller Veranstaltungen ist. Wie der Sport verbindet die bilden-
de Kunst die Kulturen. Als universelle Sprache, die von allen gesprochen und verstanden wird,
ist sie ein einzigartiges Medium, in dem sich die unterschiedlichen Stimmen Gehör verschaffen
können. Die Arbeit der Qatar Museums Authority wird von der Überzeugung getragen, dass
Kunst – auch kontroverse Kunst – Missverständnisse beseitigen und den Austausch zwischen
den verschiedenen Nationen, Menschen und Traditionen anregen kann.
Wir waren daher sehr erfreut, als Damien Hirst uns um die Unterstützung seiner Ausstellung
in der Tate Modern bat. Hirsts Werk steht für einen wichtigen Moment der britischen Kunst,
und an diesem kulturellen Ereignis teilzuhaben entspricht zutiefst dem Kern des Auftrags der
Qatar Museums Authority, Brücken der Hoffnung, des Verständnisses und der Freundschaft
zu bauen.
Damien Hirst ist der Höhepunkt des Veranstaltungsprogramms, das wir für 2012 in London
geplant haben. Es freut uns besonders, dass diese Ausstellung, als erster bedeutender Über -
blick über Hirsts Arbeit in Großbritannien, in einer der größten Kulturinstitutionen unserer
Zeit stattfi ndet, zudem in einem für London ungeheuer wichtigen Jahr.
Darüber hinaus ist sie uns Inspiration, da die Qatar Museums Authority im Herbst 2013 in
Doha eine Retrospektive zu Hirst ausrichten wird – seine erste im Mittleren Osten. Doha ist
ein aufstrebendes Zentrum der bildenden Künste. Unser aufsehenerregendes Museum für
islamische Kunst, entworfen von I. M. Pei, wurde 2008 eröffnet und hat dem kulturellen Erbe
unserer Region internationale Beachtung verschafft. Seither haben wir die Grundlage dafür
geschaffen, dass Katar zu einem der führenden Länder in der bildenden Kunst wird – für
Künstler selbst wie auch für Ausstellungen und Diskussionen. Wir sind überzeugt, dass der
Kunst bei den Herausforderungen guter Bildung eine entscheidende Bedeutung zukommt und
dass die zeitgenössische Kunst eine wichtige Rolle dabei spielt, unsere Umgebung, unsere Zeit
und uns selbst zu verstehen. Daher errichten wir in der arabischen Welt Museen, in denen die
Menschen ganz unterschied liche Werke betrachten können, während sich die Kunst weiter
wandelt und entwickelt.
Diese Londoner Ausstellung eines britischen Künstlers – gesponsert von einer arabischen
Institution und zu sehen in einem ehemaligen, von Schweizer Architekten umgebauten Kraft-
werk – erinnert uns daran, dass wir in einer wahrhaft globalisierten Welt leben und dass die
Vielfalt uns stärken und einander annähern wird.
Die Qatar Museums Authority weiß die Freundschaft zu schätzen, die sich über die Jahre
zur Tate entwickelt hat, insbesondere zu Nicholas Serota aufgrund seiner Initiativen zur Aus-
weitung des Programms der Tate und seiner vorbildlichen Arbeit zur Förderung zeitgenössi-
scher Kunst, nicht nur in Großbritannien, sondern in der ganzen Welt. Wir sind sehr erfreut,
an dieser außerordentlichen Ausstellung der Tate Modern beteiligt zu sein, und hoffen, dass
sie auch I hnen Vergnügen bereiten wird.
Sheikha Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani
Vorsitzende der Qatar Museums Authority
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Vorwort des Direktors
Kunst ist populär. Seit meiner Generation.
Vorher war sie es nicht – ist das nicht fantastisch?
Damien Hirst
Ein breites Grinsen und lautes Gelächter – das ist meine Erinnerung an meine erste Begegnung
mit Damien Hirst im Hof einer Berliner Galerie während seines DAAD-Stipendiums 1993.
Fast zwei Jahrzehnte später scheint er etwas leiser geworden zu sein, aber die Herzlichkeit und
Großzügigkeit sind geblieben, wie auch das Bedürfnis, die Umgebung herauszufordern.
Lachen – die damit verbundene Störung des Friedens – kann Veränderungen befördern.
Das altgriechische »metabole«, das Wandel oder Transformation bedeutet, schließt auch die
end gültige Veränderung des Seinszustandes ein und wird so zum Euphemismus für den Tod.
Unsere begrenzte Lebensspanne und die Wege, wie unsere Kultur – durch Wissenschaft,
Kunst, Religion oder Geld – mit dieser unangenehmen Wahrheit umgeht, sind von Hirst zum
Thema seiner Kunst auserkoren worden. Ihm geht es um das »Metabolische«. Darüber hinaus
kennt mittlerweile auch ein Publikum jenseits von Galerien und Museen die von ihm geschaf-
fene Bilderwelt. Hirst ist als Künstler mit Talent zum Unternehmer bekannt geworden. Diesen
Aspekt seiner Persönlichkeit kann man nicht von seiner Kunst trennen, vielmehr ist sie ein
wesentlicher Teil davon. Davon sollten wir uns aber nicht den Blick auf das Werk, dessen Leis-
tung und Entwicklung verstellen lassen. Die Ausstellung bietet dem Besucher die Gelegenheit,
sich auf Schlüsselaspekte von Hirsts Werk zu konzentrieren und dessen ganze emotionale
Bandbreite zu erleben; sie folgt der Entwicklung von Hirsts bekanntesten Werkreihen, wie
den Spot Paintings, den Arzneischränken, der Natural History-Serie mit den in Formaldehyd
eingelegten Tieren und den Schmetterlingsbildern, von deren eher unbekannten Anfängen an.
Zum ersten Mal vor zwanzig Jahren in London gezeigte Werke werden jetzt in der Tate
Modern erstmals mit solchen zusammengebracht, die an anderer Stelle präsentiert wurden.
Die Tate hat seit langer Zeit das Ziel verfolgt, einen umfassenden Ausschnitt aus Hirsts
reichem Werk zu zeigen. Die Ausstellung ist Teil des Festivals London 2012, dem Höhepunkt
der Kultur-Olympiade, und die Auswahl der Werke verdankt sich einem jahrelangen Austausch
mit dem Künstler. Der Kuratorin Ann Gallagher sowie ihren Kolleginnen Sophie McKinlay
und Loren Hansi Momodu wurde eine außergewöhnliche Zusammenarbeit mit dem Künstler
und seinem Studio zuteil, und wir schulden ihnen allen großen Dank. Die Ausstellung wäre
ohne den großzügigen Beitrag von Sheikha Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani
und der Qatar Museums Authority nicht möglich gewesen. Für ihre verständnisvolle Unter-
stützung sind wir ihnen ausgesprochen dankbar.
Chris Dercon
Direktor, Tate Modern
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Dank
Ganz herzlich möchten wir Damien Hirst für sein anhaltendes Engagement bei der Zusammen-
stellung der Ausstellung danken, für seine Bereitschaft, an allen Aspekten ihrer Realisierung
mitzuwirken, sowie für seine Großzügigkeit und Geduld während der gesamten Zeit. Die um-
fangreiche Unterstützung durch Hirsts Studio und seine Firma Science Ltd war bei einem der-
art ambitionierten Projekt unverzichtbar. Unser besonderer Dank gilt Hugh Allan, Jason Beard,
James Kelly, Debbie Lamming, Oliver Playne, George Taylor Massey und Jude Tyrrell sowie
darüber hinaus Jack Addis, Mark Azancot, Vicky Bentham-Green, Rachel Cartwright, Hugh
Childs, Toby Cobb, Pat Craven, Alison Crosbie, Kate Davies, Simon Davis, Brenda Fontalio,
Peter Geissler, Emily Good, Milly Hale, John Harkins, Neil Harper, Alice Jeffreys, Tom Lindow,
Ashley Lugg, Rachael McNabb, Jinya Mizuno, David Montgomery, Andry Moustras, Jess Orr,
Madeleine Osbourne, Sylvia Park, Will Potter, Kirk Reay, Adam Reynolds, Cabe Rice, Josh
Richards, Gemma Rolls-Bentley, Simon Sawyer, Lynsey Scott, Mat Sheldon, Ness Shellard,
Traci Smith, Hannah Speller, George Taylor, Joel Wallace und Steve Wilson.
Jay Jopling von der Galerie White Cube und Millicent Wilner von der Gagosian Gallery be-
teiligten sich mit wertvollen Anregungen an den Beratungen mit dem Künstler; wir sind sehr
dankbar für ihre wie auch für die Hilfe ihrer Kollegen: Tina Carmichael, Daniela Gareh,
Susannah Hyman, Honey Luard, Sara Macdonald, Tim Marlow, Susan May und Del Ruby
Winter von White Cube sowie Robin Vousden und Christina Beckett von Gagosian in London.
Außerdem möchten wir Oliver Barker von Sotheby’s, Francis Outred von Christie’s und Leila
Saadai von L & M Arts für die Unterstützung danken, mit der sie Leihgaben ermöglicht haben.
Wir danken allen Leihgebern, institutionellen wie privaten, für die Großzügigkeit, mit der
sie sich für die Dauer der Ausstellung von ihren Arbeiten trennten: Mr. Shane Akeroyd, Artmon
Collection, Astrup Fearnley Museum of Modern Art, Oslo; Bayerische Staatsgemäldesamm-
lungen, München; Bill und Maria Bell (Bill Bell Collection); Hezi Bezalel; Mr. und Mrs. Nor-
man Braman (Collection of Irma and Norman Braman, Miami); The Broad Art Foundation,
Santa Monica; Collection Bischofberger, Schweiz; Frank und Lorna Dunphy; Stefan Edlis und
Gael Neeson (Stefan T. Edlis Collection); Fairbank Holdings Services Limited; Gagosian Gal-
lery, London; Stephen Hanson (The Hanson Collection, New York); Frederick B. Henry; Jay
Jopling; Vicki und Kent Logan; Mayfair Oeuvres d’Art Ltd; Anna Machkevitch; Jose Mugrabi
(Mugrabi Collection); Francois Pinault; Victor Pinchuk (PinchukArtCentre, Kiew); Miuccia
Prada (Prada Collection, Mailand); Murderme Ltd; San Francisco Museum of Modern Art;
Science; Robert Tibbles (Robert Tibbles Collection); Fondation Louis Vuitton Pour La Creation;
White Cube, London; Yale Center for British Art, New Haven, USA, sowie all jene, die un-
genannt bleiben möchten.
Neben Sheikha Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani möchten wir Edward Dolman
und Jean-Paul Engelen aufseiten unseres Sponsors, der Qatar Museums Authority, für die gute
Zusammenarbeit danken. Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die Versicherung im Rah-
men des Government Indemnity Scheme. Für Bereitstellung und Abschluss der Versicherung
bedankt sich die Tate Gallery beim Department for Culture, Media and Sport und dem Arts
Council of Great Britain.
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Den Aufbau der Ausstellung in der Tate Gallery hat Phil Monk in Zusammenarbeit mit Glen
Williams mit größter Genauigkeit beaufsichtigt. Caroline McCarthy hat die Ausleihen koor-
diniert und Patricia Smithen das Team der Konservatoren geleitet, dem Elizabeth McDonald,
Elisabeth Andersson, Rachel Barker, Annette King, Rosie Freemantle, Kevin Miles und wei-
tere Mitarbeiter angehörten.
Nicholas Serota war von Beginn an eng in die Planung einbezogen, und wir danken ihm
ebenso wie Chris Dercon, Sheena Wagstaff, Vicente Todoli und Helen Sainsbury für ihre maß-
gebliche Unterstützung und Beratung. Amy Dickson, Kerryn Greenberg, Maeve Polkinhorn
und Elena Zapata leisteten wertvolle Hilfe.
Rebecca Fortey war als Lektorin bei Tate Publishing für den Katalog verantwortlich und hat
ihn in all seinen Teilen mit der für sie üblichen Effi zienz und Einsatzfreude betreut. Unser
Dank gilt auch Emma Woodiwiss und Roz Young für die Herstellung und die Bildrecherche.
Ein großer Dank geht an Paul Neale und Julie van Severen von Graphic Thought Facility für
ihre elegante und durchdachte Gestaltung des Katalogs, der die Ausstellung begleitet und sich
zugleich Hirsts Werk diskursiv nähert. Wir danken allen Autoren – Michael Bracewell, Michael
Craig-Martin, Thomas Crow, Brian Dillon, Nicholas Serota und Andrew Wilson – für ihre
vielfältigen und aufschlussreichen Beiträge.
Zu Dank verpfl ichtet sind wir außerdem all den anderen Personen, die bei der Realisierung
der Ausstellung und des Katalogs halfen, darunter Guy Morrey und das Team von Momart,
Bentley and Skinner, Lucy Askew, Richard Aydon, David Batchelor, Helen Beeckmans,
Simon Bolitho, Luke Brown, Jane Burton, Mario Codognato, Sadie Coles, Sacha Craddock,
Helen Craggs, Marko Daniel, Emelia Fellows, Angela Green, Duncan Holden, Rachel Kent,
Anna Killat von Coreth, Abigail Lane, Melissa Larner, Billie Lindsay, Gregor Muir, Kate
Parsons, Richard Riley, Johnnie Shand Kydd, Alan Swanson, Paul Terry, Peter Terry, Aisling
Roycroft, Marc Sands, Lucy Sherwood, Kate Vogel, Clarrie Wallis, Steve Warner, Gillian
Wilson und Phil Young.
Ann Gallagher
Kuratorin und Sammlungsleiterin (Britische Kunst)
Tate
Sophie McKinlay
Projektleiterin der Ausstellung
Tate Modern
Loren Hansi Momodu
Kuratorische Assistentin
Tate Modern
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Abb. 1 Hirst, fotografi ert von Anton Corbijn (2011)
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Wie kein anderer Künstler seiner Generation hat Damien Hirst das kulturelle Bewusstsein
unserer Zeit durchdrungen. Kennzeichnend für sein Werk sind dessen Direktheit und hohe An-
sprüche; es ist sowohl von trockenem Humor wie emotional bewegend und ruft gleichermaßen
Ehrfurcht wie Wut hervor. Jedoch kennen die meisten Menschen das Werk nur aus fotografi schen
Reproduktionen und schlagzeilenträchtigen Meldungen, daher wird es Zeit für die Gelegenheit,
sich ein eigenes Bild von Hirsts Schaffen zu machen. Diese Ausstellung bietet den ersten um-
fassenden Überblick zum Werk des Künstlers in London und enthält Arbeiten aus vierundzwan-
zig Jahren. Den Einstieg bilden Werke aus Hirsts Studienzeit am Goldsmiths College, während
der er die heute legendäre Ausstellung Freeze (1988) organisierte; daran anschließend widmet
sich die Retrospektive den Jahren, in denen sich Hirsts künstlerisches Vokabular ausgebildet
hat, und stellt die Entwicklung verschiedener Werkgruppen während des darauffolgenden
Jahrzehnts vor. Die in Schaukästen und Vitrinen präsentierten Objekte, die in Formaldehyd
eingelegten Tiere, der anhand von Schmetterlingen und Fliegen dargestellte Lebenszyklus, die
Skulpturen mit schwebenden Bällen – all diese Werkserien stehen neben den zum Marken-
zeichen gewordenen Spot Paintings, den abstrakten Spin Paintings, den monochrom schwarzen
Bildern aus einer aus toten Fliegen gewonnenen dichten Masse und den ausladenden Kompo-
sitionen mit schillernden Schmetterlingen. Hirst erkundet in seiner Kunst kompromisslos die
Zerbrechlichkeit der Existenz, und dafür nutzt er eine Sprache, die der jüngeren Kunstgeschichte
ebenso ihre Reverenz erweist wie der westlichen Ästhetik der Objektpräsentation.
Hirst wurde 1965 in Bristol geboren und wuchs in Leeds auf, wo er am Jacob Kramer College
sein Kunststudium begann. Teil des britischen Kunsthochschulsystems ist ein einjähriger vor-
bereitender Grundlagenkurs, ehe man ein weiterführendes Kunststudium aufnimmt. Dieses
Modell geht auf Initiativen fortschrittlich gesinnter Kunstdozenten in den 1950er-Jahren zu-
rück, die die Einführung von Grundkursen für Gestaltung forderten. Die bekanntesten dieser
Kurse leiteten Victor Pasmore und Richard Hamilton am King’s College in Newcastle sowie
Harry Thubron an der Leeds School of Art (dem späteren Jacob Kramer College), wo er von
1955 bis 1965 Leiter des Bereichs bildende Kunst war. Sie alle setzten sich für eine rationale,
systematische Kunstausbildung ein, in der Refl ektion und sprachliche Ausdrucksfähigkeit
gefördert wurden. Im Katalog einer Ausstellung zu zwei Kursen am Londoner Institute of
Contemporary Arts (ICA) äußerte sich Harry Thubron 1959: »Derartige Kurse werden sich
immer stärker einer analytischen und wissenschaftlichen Herangehensweise an Farbformen,
Raum und Natur widmen – sowie, komplementär dazu, einem lebendigeren und freieren
Streben nach dem Intuitiven und Instinktiven.«1
Als Hirst 1983 in Leeds mit dem Grundlagenkurs begann, war dort offensichtlich noch ein Echo
von Thubrons Bauhaus-inspirierten Lehrmethoden zu vernehmen. Im Gespräch mit Nicholas
Serota hier im Katalog2 schildert Hirst seine Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Form und
welch ein Kampf es war, bis er Farbe einzusetzen wusste. Wie Thubron selbst, zog auch ihn die
Collage als ein Medium an, in dem sich die gegensätzlichen Erfordernisse von Malerei und Skulp-
tur versöhnen ließen. Die Arbeit an den Collagen setzte er bis 1987 fort, und auch danach blieben
Assemblage, formale Anordnung und Serialität gestalterische Merkmale von Hirsts Arbeit.
Unweit des Gebäudes im Arts-and-Crafts-Stil, in dem die Kunstakademie von Leeds ihren
Sitz hat, liegt die City Art Gallery, die Hirst in seiner Jugend oft besucht hat. Hier begegnete
EinleitungAnn Gallagher
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er neben zeitgenössischer Kunst auch den naturgeschichtlichen Exponaten des City Museum,
das über Jahrzehnte im angrenzenden Bibliotheksbau untergebracht war. Er verbrachte Stun-
den damit, Bücher durchzublättern, in ihnen zu lesen und die Abbildungen anzuschauen, um
etwas über Kunsttheorie zu lernen und sich die Kunstgeschichte anzueignen. Mehrere Jahre
besuchte Hirst das Anatomiemuseum der Universität, an dessen Exponaten er das Zeichnen
übte. Hier entstand die Fotografi e, die seinem ersten momento mori, With Dead Head (Abb. 10,
S. 20) zugrunde liegt. In seinem Beitrag »Hässliche Gefühle« untersucht Brian Dillon Hirsts
»frühe Faszina tion für die Wirklichkeit des Todes und die medizinisch-wissenschaftlichen
Apparate, die ihn umgeben«.3
Obwohl seine ersten Bewerbungen um einen Studienplatz in London keinen Erfolg hatten,
zog Hirst dennoch dorthin und arbeitete auf Baustellen, während er versuchte, »in [seinem]
Zimmer Kunst zu machen«. 1986 fi ng er dann ein dreijähriges Bachelorstudium am Goldsmiths
College in South East London an. Das Goldsmiths verfügte nicht über einen Ruf wie den der
l egendären Colleges Slade und Saint Martins, aber aufgrund seiner ungewöhnlichen, halb un-
abhängigen Stellung und der daraus folgenden Möglichkeiten zu Reformen bot der Studiengang
für bildende Kunst in den 1980er-Jahren seinen Studenten einen außergewöhnlichen Lehrplan,
den Jon Thompson, zu jener Zeit Dekan der Kunstfakultät, rückblickend so zu sammenfasst:
Die traditionelle, auf dem Handwerk basierende Trennung von Malerei, Skulptur und gra-
fi scher Kunst wurde aufgehoben und von einem integrativen, konzeptuellen Modell er-
setzt, in dem alle neuen künstlerischen Verfahren gleichberechtigt waren. Es gab keine
verpfl ichtenden Zeichenkurse mehr. Klassen und Kurzlehrgänge wurden abgeschafft und
ein Tutoriensystem eingeführt, zu dem erstmals auch Kunsttheorie als wesentlicher Be-
standteil künstlerischer Praxis gehörte ... Goldsmiths’ Lehrplan brachte überaus engagier-
te junge Künstler mit kompromissloser Einstellung hervor, die zudem selbstbewusst und
wortgewandt waren und von den wichtigsten Aufbaustudiengängen als »zu vorgeprägt«,
»zu schlau« oder, am vernichtendsten, als »zu professionell« abgelehnt worden waren.4
Für den Kritikpunkt »zu professionell« verantwortlich war zum Teil der Umstand, wie rasch
die Studenten nach ihrem Abschluss in Galerien ausstellten. Julian Opie beendete 1983 das
Goldsmiths, und noch im gleichen Jahr wurden seine Arbeiten in der Lisson Gallery gezeigt,
die in den 1960er- und 70er-Jahren Positionen des Minimalismus und der Konzeptkunst vertre-
ten hatte und sich in den 1980er-Jahren für eine neue Generation von Bildhauern einsetzte.
Ebenfalls hier hatte Grenville Davey, auch er ein Goldsmiths-Absolvent, 1987 seine erste Aus-
stellung. Trotz allem stellte es eine neue Ebene dar, als 1988 in den Londoner Docklands die
über Sponsoren fi nanzierte Ausstellung mit Werken von Goldsmiths-Studenten stattfand, für
die man auch unter Sammlern und Kuratoren warb.
Damals wurde ich zum ersten Mal auf Hirst aufmerksam. Im Juli 1988 tauchten er und An-
gus Fairhurst im Buchladen der Nigel Greenwood Gallery auf, den ich damals leitete; mitge-
bracht hatten sie Kataloge zu jener Ausstellung, die zum meistdiskutierten Ereignis des Som-
mers wurde. Der Titel des professionell gestalteten Katalogs bestand aus nur einem Wort; in
strahlendem Grün mit weißem Schlagschatten gedruckt lautete er: Freeze (Abb. 3).5 Das Vor-
satzblatt verkündete, dass Damien Hirst die Ausstellung konzipiert und kuratiert hatte (»con-
ceived and curated by Damien Hirst«) – welches Ausmaß Hirsts Arbeit annahm, beschreibt
hier im Katalog Michael Craig-Martin in einem persönlichen Rückblick. Die aus drei Teilen
bestehende Ausstellung6 fand in den halb verlassenen Docklands in einem leer stehenden La-
gerhaus statt, das die Künstler ausräumten und dessen Wände sie weiß anstrichen. Laut Hirst
kam der Anstoß hierzu von der Umwandlung eines Industriegebäudes, die Max Gordon für
den ersten Ausstellungsraum des Sammlers und Werbemagnaten Charles Saatchi durchgeführt
hatte. Dort hatte Hirst in den beiden Jahren zuvor Arbeiten von Künstlern wie Donald Judd,
Abb. 2
Harry Thubron
Red Circle, 1964
Malerei auf Holz
68,5 � 71 � 21 cm (27 � 28 � 8 1∕4 in)
Leeds Museums & Galleries
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Abb. 3
Umschlag des Ausstellungskatalogs
Freeze (1988)
Andy Warhol, Sol LeWitt, Anselm Kiefer, Richard Serra, Sigmar Polke und Jeff Koons gese-
hen. Hirsts Beiträge zu Freeze – eine Installation aus Pappkartons in kräftigen Farben (S. 37)
und zwei Arbeiten aus direkt auf die Wand aufgetragenen Farbpunkten (S. 40–41) – wurden
zu wichtigen Vorläufern seines späteren Werks. Doch im Gegensatz zu diesem war ihnen et-
was Vorläufi ges zu eigen, wodurch sie zunächst nicht leicht verkäufl ich waren. Den Versuch,
die Kartons aneinander zukleben – Hirst hatte das Angebot erhalten, sie als eine Skulptur zu
verkaufen –, gab er auf. Allerdings stellte er improvisierte Zertifi kate für die Punkte-Wand-
bilder aus.
In Hirsts Werk gab es erstmals Anklänge an eine wissenschaftliche Bilderwelt, als er in sei-
nem zweiten Jahr am Goldsmiths College, 1987–1988, einfache, weiße Schauschränke mit
Glasfronten baute, die Arzneipackungen, Fläschchen und andere Gegenstände aus dem medizi-
nischen Bereich enthielten (S. 43, 58–71). Thomas Crow zufolge kündigte sich in Hirsts ersten
Arzneischränken an, was zu »bestimmenden Kennzeichen seines sich herausbildenden Werks«7
werden sollte. Anfangs eine Art pharmazeutische Collage, entwickelten sich diese frühen
Arbeiten zu einer unverkennbaren Serie, welche auf den kranken und leidenden Körper ver-
weist – mit einem Vokabular, das die grafi schen Formen des Pop, die Strenge und formale
Ordnung des Minimalismus und den Einfl uss von Jeff Koons’ konsumbezogenen Arbeiten ver-
bindet. Die Farbgebung der Arzneipackungen ermöglichte es Hirst, sich seinem Ziel der Ein-
bindung von Farben in eine minimalistische Ästhetik anzunähern; auch wiesen ihm die Arz-
neischränke den Weg, wohin die Entwicklung seiner Bilder voller Reihen von tablettenartigen
Punkten gehen konnte, deren Erstes er 1986 fertiggestellt hatte, ein großes weißes Bild mit Farb-
klecksen, das Hirst an die Wand angelehnt zeigte. Mithilfe eines vom Künstler so genannten
»wissenschaftlichen An satzes in der Malerei« wurden die nun perfekten Farbkreise auf Lein-
wand übertragen, und binnen Kurzem stellten Assistenten die Bilder her. Hirst gab ihnen phar-
mazeutische Titel, und während die Farbe der Punkte dem Zufall unterlag, wurde die Größe
und Verteilung einer regelmäßigen, eingeschränkten Systematisierung unterworfen.
Hirsts Erfolg als Kurator von Freeze – und weiterer Ausstellungen zu Beginn der 1990er-
Jahre – ließ ihn überlegen, seine Laufbahn als Künstler zu beenden. Doch stattdessen übertrug
Abb. 4
Blick in die Ausstellung Gambler im
Building One, Bermondsey (1990);
zu sehen: Hirsts A Thousand Years, 1990
(siehe S. 44– 45)
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er seine kuratorischen Fähigkeiten auf sein Werk, wo bald großformatige räumliche Anordnun-
gen einen immer wichtigeren Platz einnahmen – in Form eines Mise-en-scène in Bodenvitrinen
und Rauminstallationen. Obwohl er sich als Ko-Kurator der Ausstellung Gambler (1990) zu-
rückzog, zeigte er dort eine lang geplante Arbeit, A Thousand Years (1990, Abb. 4 und S. 44–45),
eine großformatige Installation aus zwei Vitrinen mit einem verwesenden Kuhschädel als Brut-
stätte für Fliegen, von dem sie sich zudem nährten, ehe sie ihrem Tod im »Insect-O-Cutor«
entgegenfl ogen. Ein wahres Tableau vivant, das nur wenige ignorieren konnten, von dem kaum
jemand unberührt blieb und mit dem Hirst ein Medium für den Ausdruck seiner Ideenwelt
gefunden hatte, das nicht nur das Wesen der menschlichen Existenz verkörperte, sondern das
Leben selbst einschloss.
Da Hirst ungeduldig wurde bei der Suche nach einer Galerie, die seine wachsenden Ambi-
tionen unterstützt, fand seine erste Londoner Einzelausstellung 1991 in leer stehenden Geschäfts-
räumen statt.8 In and Out of Love (S. 84–87) war eine ehrgeizige Rauminstallation, die sich
über zwei Stockwerke einer ehemaligen Reiseagentur im Londoner West End erstreckte, un-
weit der Galerie von Anthony d’Offay, für die der Künstler als Techniker gearbeitet hatte. Im
oberen Stockwerk befanden sich fünf weiße Leinwände mit Schmetterlingspuppen; die schlüp-
fenden Schmetterlinge nährten sich in ihrem kurzen Leben von Blumen und Zuckerwasser, sie
paarten sich, legten Eier und fl atterten durch die feuchtwarme Luft, wobei sie oft auf erstaunten
Besuchern landeten. Im unteren Stockwerk befanden sich acht monochrome Leinwände, auf
deren leuchtenden Farboberfl ächen tote Schmetterlinge gepresst waren. Daneben standen in
der Mitte des Raumes auf einem Tisch vier volle Aschenbecher; als Kontrast zur ausgesuchten
Schönheit der Bilder verwiesen sie auf die Gegenwart des Menschen. Ebenso kühn und ver-
unsichernd wie A Thousand Years – und ähnlich aufgeladen mit Symbolen des Positiven/Nega-
tiven, von Leben/Tod, Schönheit/Schrecken, Bewahrung/Zerbrechlichkeit – erweiterte dieses
Werk den begrenzten Raum der Doppelvitrine der vorangegangenen Arbeit auf zwei Stock-
werke. In and Out of Love (Butterfl y Paintings and Ashtrays) fand noch in der Ausstellung
einen Käufer und wird hier erstmals wieder gemeinsam mit In and Out of Love (White Paintings
and Live Butterfl ies) gezeigt.
Hirsts Einzelausstellung von 1991 im ICA, London – eine frühe institutionelle Würdigung –,
zeigte, wie schnell er sein Repertoire ausweitete.9 Mit The Acquired Inability to Escape (1991,
S. 77), einer Doppelvitrine, griff er erneut das Zigarettenmotiv auf; das Werk umfasst einen
Tisch, einen Bürostuhl, einen Aschenbecher sowie ein Päckchen Silk-Cut-Zigaretten. Seine
Kraft erhält es durch die Spuren menschlicher Anwesenheit und die mächtige, wenngleich
widersprüchliche Symbolik der Zigaretten – sie stehen zum einen für die zum Tod führende
Abhängigkeit und den letzten Wunsch des zum Tode Verurteilten, zugleich aber haftet ihnen
das glamouröse und weltläufi ge Image an, das die Werbung bis Ende des letzten Jahrhunderts
so nachdrücklich förderte. Gordon Burn, ein verstorbener Freund Hirsts, dem er die meisten
Interviews gab, sagte zu diesem Werk: »Die Wirkung war, wie beabsichtigt, die einer Atopie –
also wörtlich der Ortlosigkeit; ein steriler Platz, der zugleich Festung und Käfi g war.« Francis
Bacons malerisches Mittel des dreidimensionalen Rahmens, innerhalb dessen er seine Figu
ren isolierte – von David Sylvester »spaceframe« genannt –, war hierfür ebenso sehr Bezugs -
punkt wie der industrielle Minimalismus.10 In einer weiteren großformatigen Arbeit des
Jahres, I Want to Spend the Rest of my Life Everywhere, with Everyone, One to One, Always,
Forever, Now (1991), schwebt ein Tischtennisball auf einer Luftsäule über der gefährdeten,
frei stehenden Konstruktion aus zwei Glasscheiben (Abb. 5). Mit leicht anthropomorpher
Färbung balanciert die Arbeit schalkhaft zwischen Verspieltheit und Gefahr und weist auf
Werke voraus wie die Parkett-Edition What Goes Up Must Come Down (1994, S. 35), Loving
in a World of Desire (1996, S. 101) und das potenziell tödlichere The History of Pain (1999,
Abb. 18, S. 29).
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Abb. 5
I Want to Spend the Rest of My Life
Everywhere, with Everyone, One to One,
Always, Forever, Now, 1991
Glas, Kompressor, Gummischlauch,
Druckluftpistole und Tischtennisball
Maße variabel
Im Besitz des Künstlers
In dem für Hirst produktiven Jahr 1991 entstanden auch die ersten Arbeiten mit in Form al-
dehyd eingelegten Tieren. Hirst wusste, dass Formaldehyd bei Schaustücken von anatomi-
schen und naturgeschichtlichen Sammlungen verwendet wird, und unter dem Titel The Lo-
vers (The Committed Lovers) (The Spontaneous Lovers) (The Detached Lovers) (The
Compromising Lovers) (1991) produzierte er eine Gruppe von vier Schaukästen, die in Pro-
bengefäßen Tierorgane enthielten. Die beiden Arbeiten Isolated Elements Swimming in the
Same Direction for the Purpose of Understanding (Left) und (Right) (beide 1991, S. 46–47)
bestehen aus einzeln in Plexiglaskästen eingeschlossenen Fischen, die in einem Schrank aus
Glas und lackierten MDF- Platten in mehreren Reihen angeordnet sind und sich zu einem
schwimmenden Schwarm zu formieren scheinen. Ging es hier zunächst nur um eine prakti-
kable Lösung, tote Wesen in einer Flüssigkeit zu präsentieren, die sie lebendig wirken lässt,
wurde dies schnell zu einem unverkennbaren Element im Werk des Künstlers. Eine maka-
brere Arbeit als die Fische ist Stimulants (and the Way They Affect the Mind and Body) (1991,
S. 48–49), zwei Schafsköpfe mit abgezogener Haut in getrennt auf dem Boden stehenden
Glaskästen. Zudem wurde 1991 im Katalog zur Ausstellung des ICA sowie in der ersten
Ausgabe der Zeitschrift Frieze bereits ein von Charles Saatchi in Auftrag gegebenes Werk
beschrieben,11 das gleichwohl noch nicht fertiggestellt war und erstmals im folgenden Jahr
präsentiert werden konnte: The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone
Living (1991, S. 73–75).
War »der Hai« schon zum Gegenstand von Gerüchten in der Kunstwelt geworden, bevor er
in der Saatchi Gallery gezeigt wurde, so stieg er bald nach der offi ziellen Präsentation zu einer
der größten Ikonen der Kunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts auf. Seine Bedeutung erschöpft
sich nicht in der Geste der Aneignung eines einst lebenden Wesens, welche in seiner Zurschau-
stellung in einem Aquarium – als Kunstwerk – steckt. Der Tigerhai wurde zum In begriff der
von Hirst Natural History genannten Werkgruppe, und er strahlt eine Bedrohlichkeit aus, die
der verwegenen Vorgabe seines Titels gerecht wird. In der Folge wuchs Hirsts Bestiarium der
Werke mit Tieren weiter an. 1993 wurde die in dem Jahr entstandene Arbeit Mother and Child
Divided (S. 113–115) auf der Biennale von Venedig gezeigt, zu einem Zeitpunkt, als Hirst noch
keine dreißig war. Eine Kuh und ihr Kalb schweben, längs halbiert, in vier separaten Glasbe-
hältern, sodass der Betrachter sowohl die Außenkörper der Tiere als auch im Querschnitt ihr
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Inneres sehen kann. In Away from the Flock (1994, S. 50–51), von dem vier Versionen existieren,
schwebt in einem kleinen Behälter ein einzelnes Schaf, das, wie der Künstler meint, »beinahe hei-
ter« wirkt. Es folgte später noch ein schwarzes Schaf (Abb. 159–161).12 Als bei Sotheby’s 2008 an
dem so folgenschweren Datum das Spektakel Beautiful Inside my Head Forever (S. 180–181)
stattfand, hatte sich die Bandbreite der Tiere, ob ganz oder zerteilt, vom heimatlichen Stall über
exotischere Tiere bis hin ins Mythologische erweitert: zu Kühen, Schafen, Schweinen und ei-
nem Zebra gesell ten sich Einhorn und Goldenes Kalb (Abb. 7).
So wie Hirst bald in Städten wie Paris, Köln oder New York ausstellte, dauerte es auch nicht
lange, bis seine Spot Paintings – in wechselnden Kompositionen auf Leinwänden verschiede-
ner Gestalt und Größe – allgegenwärtig waren. Durch ihre klinische Ausstrahlung passten die
Punkte gut zur Rauminstallation Pharmacy (1992, S. 88–89)) mit ihren Reihen von Arznei-
schränken, farbigen Apothekengläsern, Tritthockern sowie einem Ladentisch – innerhalb der
verwirrenden Nachahmung einer Apotheke, einschließlich des »Insect-O-Cutor«. Während
manche Autoren den Vitrinen und Schaukästen in Hirsts Werk einen distanzierenden Effekt
zuschreiben, erreichen Rauminstallationen wie In and Out of Love oder Pharmacy die entgegen-
gesetzte Wirkung, befi ndet sich dort der Betrachter doch regelrecht innerhalb des Kunstwerks.
Später hat Hirst Einzelausstellungen so gestaltet, dass der Eindruck eines zusammengehören-
den Ganzen entsteht: 2000 nutzte er in der New Yorker Gagosian Gallery das vergrößerte
Raster von Millimeterpapier und schuf damit einen einheitlichen Rahmen für die Ausstellung
Theories, Models, Methods, Approaches, Assumptions, Results and Findings (Abb. 6), die Ele-
menten der wissenschaftlicher Forschung gewidmet war. 2004 dekorierte er bei Sotheby’s die
Wände mit der Tapete seines vormaligen Restaurants – auch dieses hieß Pharmacy –, während
die Einrichtung des inzwischen geschlossenen Lokals verkauft wurde. Wie Michael Bracewell
in seinem Katalogbeitrag darlegt, wurde auch die Versteigerung Beautiful Inside my Head
Forever 2008 als zusammenhängendes Kunstwerk inszeniert, mit Blattgold als wiederkehren-
dem Leitmotiv bei den in 223 Losen angebotenen 244 Arbeiten, die größtenteils aus jenem
Jahr stammten und neue Versionen all seiner bisherigen Werkgruppen – oder Anspielungen
darauf – waren.13
Abb. 6
Blick in die Ausstellung Theories,
Models, Methods, Approaches,
Assumptions, Results and Findings,
Gagosian Gallery, New York (2000)
Abb. 7
The Golden Calf, 2008
Glas, Gold, vergoldeter Edelstahl,
Silikon, Kalb, Formaldehydlösung
und Sockel aus Carrara-Marmor
398,9 � 350,5 � 167,6 cm
(157 1∕16 � 138 � 66 in)
(einschließlich Sockel)
Privatsammlung
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Die frühen Arzneischränke enthielten Verpackungen, außerdem Probengefäße, Anatomiemo-
delle und Objekte, die selbst wiederum zum Thema einzelner Werkreihen wurden – wie die chi-
rurgischen Instrumente und die Skelette. Auch das Auftauchen der Anatomiemodelle be-
schränkte sich mit der Zeit nicht auf die Arzneischränke; aus ihnen wurde eine eigene Serie
großformatiger Skulpturen. Beispielhaft hierfür ist Hymn (1999–2005, S. 153), der vergrößerte
Abguss eines als Lernspielzeug gedachten männlichen Torsos, bei dem Muskeln und Organe
teilweise freigelegt sind. Andere frühe Schaukästen sind mit Reihen von Objekten bestückt, die
in ihrer Anordnung an die klassifi zierende Präsentation in einem Museum erinnern, so die
kunstvollen Muscheln in Forms Without Life (1991, Abb. 8) und das verwandte, auf einem Tisch
platzierte Muschelarrangement Life Without You (1991). Eine weitere kleine Serie bilden an einer
Wand angebrachte rahmenlose Plexiglaskästen mit einfachen, billigen Wurstketten. 11 Sausages
(1993, S. 34) ist eine deutliche Hommage an die Bildwelt des Pop, insbesondere an Sigmar Polkes
Wurstesser von 1963. Zigarettenstummel wiederum fanden ihren Weg in makellose Schau-
kästen; in Arbeiten wie Dead Ends Died Out, Examined (1993, S. 79–81) sind sie, gleichmäßig
auf Regal böden angeordnet, dem prüfenden Blick dargeboten. 1996 erreichte das Thema des
Rauchens einen Höhepunkt mit Crematorium (1996, S. 116–117), einem obszön großen Aschen-
becher, der die stinkenden Reste Hunderter echter Aschenbecher enthielt, und selbst nachdem
Hirst 2006 mit dem Rauchen aufgehört hatte, verschwanden Zigaretten nicht vollends aus
seinem Werk.
Mit der Zeit kamen Schaukästen in anderen Größen und Formen hinzu, die sich manchmal
den Vitrinen annäherten und deren Rahmen zunehmend aus lackiertem, rostfreiem oder ver-
goldetem Stahl bestanden. In Schaukästen mit chirurgischen Instrumenten aus Glas und Stahl
wurde die Untersuchung der Wissenschaft als eines Glaubenssystems über das Pharmazeuti-
sche hinaus betrieben; der Reiz der Instrumente verdankte sich dabei auch ihrer Verbindung
zum Horror – man mag an Filme wie David Cronenbergs Die Unzertrennlichen oder reißerische
Meldungen von gewaltsamen Verstümmelungen denken. Die Gynäkologie, ein für Männer
oft unheimliches Thema, war Gegenstand mehrerer Werke. Einige der Schauschränke tragen
Titel, die sich auf Religion ebenso wie auf Wissenschaft beziehen, so zum Beispiel Trinity –
Abb. 8
Forms Without Life, 1991
Glas, MDF lackiert, Kiefer, Ramin,
Stahl und Muscheln
182,9 � 274,3 � 30,5 cm (72 � 108 � 12 in)
Tate. Schenkung der Contemporary
Art Society (1992)
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Pharmacology, Physiology, Pathology (2000, S. 138–139). Viele Arbeiten sind in ihren religiö-
sen Motiven noch sehr viel deutlicher, so die Schaukästen von Jesus Christ and the Disciples
und die The Cancer Chronicles-Reihe mit Fliegenbildern, in denen das Martyrium der zwölf
Apostel und Christi Himmelfahrt dargestellt wird. Von Mother and Child Divided bis zur
Skulpturenserie der geschundenen beziehungsweise mit freigelegten Organen gezeigten Hei-
ligen und Engel bezieht sich Hirsts Werk immer wieder auf die religiöse Ikonografi e – in ihm
sind, wie Andrew Wilson feststellte, »Fragen des Glaubens und Vertrauens, ob religiös oder
säkular, zentral«.14
In einer 1999 begonnenen Serie von fl achen Schaukästen aus Edelstahl sind Nachbildungen
von Pillen in vielfachen Reihen sorgfältig angeordnet, wie Bonbons in einem kostbaren Juwelen-
schrank. Hier wird wohl die Verwertung der wissenschaftlichen Bilderwelt folgerichtig fort-
geführt, zudem markiert die Serie die Rückkehr zu den Pillen, die Hirst erstmals in den späten
1980er-Jahren in einer Serie von Gemälden zu verarbeiten versuchte – dort im ganz wört -
lichen Sinne. Einer Gruppe von vier der Schaukästen gab er den bittersüßen Titel Lullaby, the
Seasons (2002, S. 107–111), ein Verweis auf ein kunstgeschichtliches Motiv, das traditionell
die Vergänglichkeit des Lebens symbolisiert. Geologisches Material, in Form von Diamanten,
ergänzte als Nächstes das Repertoire der in den Schaukästen gezeigten Objekte. Wie Hirst
gegenüber Nicholas Serota erklärte, war er schon lange von Diamanten fasziniert.15 For the
Love of God (2007, S. 187–189), der diamantenbesetzte Platinabguss eines aus dem 18. Jahr-
hundert stammenden Schädels, ist nach Dillons Beschreibung »nicht weniger als ein alche-
mistischer Gegenstand: der Kopf eines Toten, der aus gemeiner organischer Materie durch
Sublimation (wie die Alchemisten sagen) in den Stoff von Reichtum und Glanz verwandelt
wurde«.16
Ähnlich, wie Hirst die Formen und Inhalte seiner Schaukästen und Vitrinen ausgeweitete,
neu zusammenstellte und veränderte, hat er auch seine Bildserien variiert und sie dabei teil-
weise mit Elementen seines übrigen Werks kombiniert. Mehrfach änderte und erweiterte er die
Größe, Form und Komplexität der Bilder, dies betraf die Spot Paintings ebenso wie die seit
1992 produzierten Spin Paintings, die Andrew Wilson hier im Katalog als »Gedenkbilder,
Erinnerungen an fl üchtige Momente von Unmittelbarkeit und Intensität«17 beschreibt. Die
schillernden Schmetterlinge – bei ihrem ersten Auftritt sparsam verstreut auf monochromen
Leinwänden – wurden Teil einer komplexen Serie in verschiedensten Größen und Proportionen.
Dichte, an Insektenkästen erinnernde Kompositionen wurden ausgebaut zu dekorativen Ent-
würfen, die in ihren Formen und Proportionen farbigen Glasfenstern ähneln. Ihre überwältigende
Schönheit lässt beinahe den in ihnen verborgenen Tod vergessen. Dualität und Symmetrie sind
allgegenwärtig in Hirsts Werk mit seiner Fülle an Paarbildungen, Teilungen, Umkehrungen,
Kontrasten und Gegenüberstellungen. Weiß wird in Schwarz verkehrt, so in den kontrastie-
renden Versionen eingelegter Schafe oder in den weißen Kompositionen aus Schmetterlingen
oder Punkten und den schwarzen Bildern. Die Fliegen, die nach Hirsts Vorstellung zunächst, in
A Thousand Years, einen den Raum defi nierenden Punkt darstellen sollten, geraten später zum
Bildmaterial, in der Reihe von Fliegenbildern, die mit Untitled Black Monochrome (Without
Emotion) 1997 ihren Anfang nahm. In diesen monochrom schwarzen Bildern verschmelzen
Abstraktion und Natur zu einer erschreckenden, überraschenden, nahezu perfekten Mischung.
Die Museumsvitrine und ihr Vorläufer, das Kuriositätenkabinett; die Ästhetik der Verkaufs-
auslagen und die Werbung; wissenschaftliche und medizinische Bilderwelten; religiöse Moti-
ve – dies alles verbindet sich in Hirsts visueller Syntax mit der offenen Bezugnahme auf eine
Reihe künstlerischer Vorbilder und einer gänzlich eigenständigen Vorstellungswelt. Es ist auch
in einer Retrospektive nicht möglich, den überwältigenden Umfang von Hirsts Werk darzustel-
len, wie er über die Jahre weltweit sichtbar wurde. In unserer umfänglichen Ausstellung möch-
ten wir den Besuchern die Gelegenheit eröffnen, eine Reise auf den Spuren von Hirsts künstle-
Abb. 9
Blick in die Ausstellung The Acquired Inability
to Escape, Divided. The Acquired Inability
to Escape, Inverted and Divided and Other
Works, Galerie Jablonka, Köln (1993);
zu sehen: The Acquired Inability to Escape,
Inverted and Divided, 1993
Glas, Stahl, Silikongummi, Stuhl, Aschen-
becher, Feuerzeug und Zigaretten
238,8 � 213,4 � 304,8 cm (94 � 84 � 120 in)
Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Turin
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1 Harry Thubron, »Possibilities in Art Teaching«, in: The Developing Process, Ausst.-Kat. Institute
of Contemporary Arts, London, hrsg. v. King’s College, University of Durham, 1959.
2 Siehe S. 91–99.
3 Siehe S. 21–29.
4 Jon Thompson, »The Economics of Culture: The Revival of British Art in the 1980s«, in: Public Offerings,
Ausst.-Kat. The Museum of Contemporary Art, Los Angeles, London 2001. (Wiederabdruck in: The
Collected Writings of Jon Thompson, London 2011.)
5 Der Katalog zur Ausstellung Freeze, zu dem auch Ian Jeffrey einen Textbeitrag beisteuerte, wurde in
den 1990er-Jahren von Tony Arefi n (1962–2000) gestaltet.
6 An Freeze nahmen folgende Künstler teil: Steven Adamson, Angela Bulloch, Mat Collishaw, Ian
Davenport, Angus Fairhurst, Anya Gallaccio, Damien Hirst, Gary Hume, Michael Landy, Abigail Lane,
Sarah Lucas, Lala Meredith-Vula, Stephen Park, Richard Patterson, Simon Patterson und Fiona Rae.
7 Siehe S. 191–201.
8 Die Ausstellung wurde von Tamara Chodzko kuratiert.
9 Von Hirsts britischen Zeitgenossen erfuhr nur Rachel Whiteread ebenfalls solch eine frühe
institutionelle Würdigung.
10 Hirst machte 1993 drei weitere Versionen der Arbeit, eine »divided«, eine »inverted« und eine
»inverted and divided«, wie jeweils dem ursprünglichen Titel hinzugefügt wurde. Und noch 2008
griff er diese Arbeit erneut auf, in einer Version mit weißem Rahmen, bei der er dem Titel ein
»purifi ed« hinzufügte.
11 Gespräch von Stuart Morgan mit Hirst, »Damien Hirst, Life and Death«, in: Frieze, Nullnummer
(Sommer 1991), S. 22–25.
12 Als Hirst Away From the Flock 1994 in der von ihm kuratierten Ausstellung Some Went Mad, Some
Ran Away in der Londoner Serpentine Gallery zeigte, kippte Mark Bridger, ein fünfunddreißigjähriger
Künstler aus Oxford, schwarze Tinte in den Glasbehälter und benannte das Werk um in Black Sheep.
Die Skulptur wurde wiederhergestellt.
13 Siehe S. 180–181.
14 Siehe S. 203–217.
15 Siehe S. 91–99.
16 Siehe S. 21–29.
17 Siehe S. 203–217.
rischer Entwicklung zu unternehmen. Erstmals werden die Schlüsselwerke vom Anfang seiner
Laufbahn vereinigt, um so die Entstehung seiner Themen und Motive innerhalb der grund-
legenden Werkgruppen darzulegen und deren weiterer Entfaltung in sich wandelnden und neuen
Formen folgen zu können. In ihren Beiträgen zu diesem Katalog erläutern Michael Bracewell,
Michael Craig-Martin, Thomas Crow, Brian Dillon und Andrew Wilson kompetent die Viel-
schichtigkeit von Hirsts Vorstellungswelt. Und das Gespräch von Hirst mit Nicholas Serota
offenbart uns ein faszinierendes Bild des Künstlers, zu einem Zeitpunkt, an dem er bereit und
gewillt ist zu einem ersten Rückblick.
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Abb.10 With Dead Head, 1991
Fotografi e auf Aluminium
57,2 � 76,2 cm (221∕2 � 30 in) (Aufl age: 15)
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Schock
Die vergrößerte, aber nicht übertrieben proportionierte Schwarz-Weiß-Fotografi e – sie misst
57 x 76 cm – wurde auf eine Aluminiumaufl age montiert, sodass sie als Mittelding zwischen
Bild und Skulptur gelten könnte. Als Komposition ist sie unscheinbar: Zweifellos wurde sie in
aller Eile aufgenommen, aus Gründen, die aus dem Motiv hervorgehen. Links zeigt sie einen
jungen Mann (er war zum damaligen Zeitpunkt siebzehn Jahre alt) mit dunklen zerzausten
Haaren und einem unförmigen Rippenpullover, der sich über eine glänzende Stahlfl äche beugt;
die hohe Umlaufkante verrät, dass es sich um einen Seziertisch handelt. Der junge Mann blickt
direkt in die Kamera, mit einem breiten Grinsen, vielleicht ein wenig zu breit, um uns von
seiner Ungezwungenheit zu überzeugen, denn neben ihm auf dem Tisch befi ndet sich der
schwammige, kahle, abgetrennte Kopf eines Mannes in den späten mittleren Jahren. Die Wangen
werden von den Überresten des Halses gestützt, obwohl man anhand des Fettgewebes, der
Knochen und Knorpel, Sehnen und geplatzten Blutgefäße nur schwer erkennen kann, was
genau man vor sich hat (vielleicht der verstörendste Aspekt der ganzen Szene). Diese nicht ein-
deutig zu identifi zierende Masse ist in ein wirres Knäuel weißer Tücher gebettet – vielleicht
war der Kopf während der Lagerung darin eingewickelt –, das an der unteren rechten Ecke
über den Rahmen des Tisches hinausragt, als wollte es den Betrachter mit den beiden Köpfen
verbinden, die ihrerseits durch die perfekt übereinstimmende Ausrichtung der Augenlinien
mit einander verbunden sind. (Die Augen der radikal zerteilten Leiche sind geschlossen, die
Gesichtszüge verkniffen, ein seltsamer Ausdruck des Abscheus spiegelt sich darin.) Der grin-
sende junge Mann und sein frisch verstorbener Bekannter muten wie die traditionellen Per-
sonifi zierungen von Komödie und Tragödie an, die der Veranschaulichung dienen: Der eine
grinst wie verrückt oder lacht schallend, der andere trägt eine fi nstere, schmollende Miene zur
Schau, die Mundwinkel herabgezogen.
Damien Hirsts With Dead Head (1991, Abb. 10) dokumentiert die schon früh beginnende
Faszination, die der Tod in seiner ganzen Realität und die damit einhergehenden gerichtsmedi-
zinisch-wissenschafl ichen Räume und Gerätschaften auf den Künstler ausübten. (In späteren
Jugendjahren legte er sich, nicht zuletzt unter dem Einfl uss von Francis Bacon, eine umfang-
reiche Sammlung von Pathologie-Lehrbüchern zu, die er meistens ›mitgehen‹ ließ, wobei er
von den Bänden, die das Thema Verbrennungen behandelten, besonders angetan war. Nach
eigenen Aussagen fühlte er sich zu der Mischung aus hässlichem Lernstoff und makelloser,
emotional unbeteiligter Fotografi e magisch hingezogen; die Bücher enthielten für ihn »her-
vorragende, erstrebenswerte Aufnahmen«. Als Vorläufer späterer Kombinationen aus Tier-
kadavern – oder Darstellungen der toten menschlichen Materie – und glänzenden Metall-und-
Glas-Schaukästen ist With Dead Head beinahe zu schön, um wahr zu sein (das heißt, eine
Spur zu schaurig und zu launig für einen typischen »Hirst«). Dieses Dokument scheint zu ver-
künden: Damien Hirst tut genau das, was er unserer Meinung nach tun sollte – er konfrontiert
uns mit der trübseligen, wenngleich faszinierenden Aktualität des Todes und hat eine heiter-
gelassene (aller Wahrscheinlichkeit nach von ›Galgenhumor‹ geprägte) Einstellung zur Sterb-
lichkeit entwickelt. Hirst erinnerte sich 1992, dass dieses Grinsen in der Tat das Ergebnis einer
panischen Anwandlung war, die ihn angesichts der Realität des Todes überkommen habe: »Bei
genauerem Hinsehen kann man an meinem Gesicht ablesen, was ich wirklich denke, nämlich
Hässliche Gefühle
Brian Dillon
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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE
Ann Gallagher
Damien Hirst
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 224 Seiten, 23,0 x 27,5 cm140 farbige AbbildungenISBN: 978-3-7913-4703-5
Prestel
Erscheinungstermin: April 2012
Eine breite Übersicht über einen der weltweit wichtigsten zeitgenössischen Künstler Mit seinem in Formaldehyd eingelegten Tigerhai eroberte er schlagartig die Kunstwelt undist seitdem nicht mehr aus ihr wegzudenken: Damien Hirst, gefeierter und ebenso kontroversdiskutierter Superstar der Szene. Der vorliegende Band gibt einen weitreichenden Überblicküber das Schaffen Hirsts, von seinen Anfängen als Leitfigur der „Young British Artists” bis zumaufsehenerregenden Verkauf seines diamantbesetzten Schädelabgusses mit dem Titel „For theLove of God”. Zahlreiche Essays, großzügige Bildstrecken und ein Interview mit dem Künstlermachen das Buch zu einem unentbehrlichen Standardwerk.