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Page 1: DAS BUCHDAS BUCH In Terre d’Ange,dem Land von alles überstrahlender Schönheit,gilt nur ein einziges Gesetz: Lebe und liebe, wie es dir gefällt! Seit der entscheidenden Schlacht
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DAS BUCHIn Terre d’Ange, dem Land von alles überstrahlender Schönheit, giltnur ein einziges Gesetz: Lebe und liebe, wie es dir gefällt! Seit derentscheidenden Schlacht gegen die Skaldi und der Niederschlagungder Verschwörung gegen den Königsthron, kehrt dort scheinbarwieder Ruhe ein. Doch dann gelingt Melisande, der schönen undäußerst gefährlichen Anführerin der Verschwörer, die Flucht ausihrem Verlies, und alles deutet darauf hin, dass sie dabei Unterstüt-zung aus den Kreisen hochrangiger Adliger hatte. Damit wird klar:Es gibt einen Verräter in Terre d’Ange, der dem Thron gefährlichnahe steht. Gemeinsam mit ihrem Geliebten Joscelin macht sichPhèdre nó Delaunay auf den Weg, die intrigante Melisande zu stel-len. Die Spur führt sie in die geheimnisvolle Stadt La Serenissima,wo Phèdre feststellen muss, dass die Ausmaße der Verschwörungihre schlimmsten Befürchtungen übersteigen …

»Hochklassige Fantasy – elegant, sinnlich und raffiniert kompo-niert. Ein fesselndes Lesevergnügen!«Robert Jordan

Erstes Buch: Kushiel – Das ZeichenZweites Buch: Kushiel – Der VerratDrittes Buch: Kushiel – Die Erlösung

DIE AUTORINJacqueline Carey, 1964 geboren, hat Englische Literatur und Psy-chologie studiert. Mit Kushiel – Das Zeichen, ihrem Debüt-roman,sorgte sie sofort nach Erscheinen international für Furore undwurde mehrfach preisgekrönt. Die Autorin lebt in West Michigan.

Mehr zu Jacqueline Carey und Kushiel unter:www.jacquelinecarey.com

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Jacqueline Carey

Roman

wilhelm heyne verlagmünchen

Aus dem Amerikanischenvon Ann Lecker

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Titel der amerikanischen OriginalausgabeKUSHIEL’S CHOSEN

Deutsche Übersetzung von Ann Lecker

Taschenbuchausgabe 10/2009Copyright © 2002 by Jacqueline Carey

Copyright © 2008 der Übersetzung von Ann Lecker by LYX,verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaft mbH, Köln

Copyright © 2009 dieser Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHPrinted in Germany 2009

Redaktion: Sara RiffelKarte: Erhard Ringer

Umschlagillustration: John Jude PalencarUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, MünchenDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-453-52541-2

www.heyne-magische-bestseller.de

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier

Holmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

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dramatis personae

phèdres haushaltAnafiel Delaunay de Montrève – Phèdres Mentor (verstorben)Alcuin nó Delaunay – Delaunays Schüler (verstorben)Phèdre nó Delaunay – Comtesse de Montrève; AnguisetteBenoit, Gemma – HausangestellteFortun, Remy, Ti-Philippe – Chevaliers, auch genannt

»Phèdres Jungs«Eugènie – Köchin und HaushälterinJoscelin Verreuil – Cassilinischer Mönch (Siovale)Purnell Friote – Seneschall von MontrèveRicheline Friote – Ehefrau von Purnell

mitglieder der königlichen familie:terre d’angeYsandre de la Courcel – Königin von Terre d’Ange,

Gemahlin von Drustan mab NecthanaGanelon de la Courcel – ehemaliger König von Terre d’Ange,

Ysandres Großvater (verstorben)Isabel L’Envers de la Courcel – Ysandres Mutter (verstorben)Rolande de la Courcel – Ysandres Vater (verstorben)Barquiel L’Envers – Isabels Bruder; Duc L’Envers (Namarre)Baudoin de Trevalion – Sohn von Lyonette und Marc;

Prinz von königlichem Geblüt (verstorben)Bernadette de Trevalion – Tochter von Lyonette und Marc;

Gemahlin von Ghislain de SomervilleLyonette de Trevalion – Ysandres Großtante; »die Löwin von

Azzalle«, (verstorben)

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Marc de Trevalion – Gemahl von Lyonette, ehemaligerDuc de Trevalion (Azzalle)

Nicola L’Envers y Aragon – Ysandres Cousine

mitglieder der königlichen familie:la serenissimaBenedicte de la Courcel – Ysandres Großonkel; Prinz von

königlichem GeblütMaria Stregazza de la Courcel – Gemahlin von Benedicte

(verstorben)Etaine de Tourais – zweite Gemahlin von Benedicte de la CourcelImriel de la Courcel – Sohn von Benedicte und seiner zweiten

GemahlinMarie-Celeste de la Courcel Stregazza – Tochter von Benedicte

und Maria; Prinzessin von königlichem Geblüt;mit Marco Stregazza vermählt

Severio Stregazza – Sohn von Marie-Celeste und Marco,Prinz von königlichem Geblüt

Thérèse de la Courcel Stregazza – Tochter von Benedicte undMaria; Prinzessin von königlichem Geblüt, Gemahlin vonDominic Stregazza (verstorben)

adel von terre d’angeIsidore d’Aiglemort – Sohn von Maslin; Duc d’Aiglemort

(Camlach) (verstorben)Marquise Solaine Belfours – Adlige; Geheimsiegelbewahrerin

des ReichesCecilie Laveau-Perrin – Gemahlin des Chevalier Perrin

(verstorben); ehemalige Adeptin des Cereus-Hauses;Lehrmeisterin von Phèdre und Alcuin

Roxanne de Mereliot – Herrin von Marsilikos (Eisande)Quincel de Morhban – Duc de Morhban (Kusheth)Seigneur Rinforte – Vorsteher der Cassilinischen BruderschaftEdmée de Rocaille – Verlobte von Rolande (verstorben)Faragon Shahrizai – Duc de Shahrizai (Kusheth)

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Melisande Shahrizai – Adlige (Kusheth)(Tabor, Sacriphant, Persia, Marmion, Fanchone – Mitglieder des

Hauses Shahrizai; Melisandes Blutsverwandte)Ghislain de Somerville – Percys Sohn, Gemahl von Bernadette

de TrevalionPercy de Somerville – Comte de Somerville (L’Agnace);

Prinz von königlichem Geblüt; Königlicher OberbefehlshaberTibault de Toluard – Marquis de Toluard (Siovale)Gaspar Trevalion – Comte de Fourcay (Azzalle); Marcs CousinApollonaire und Diànne – gemeinsame Inhaber des Marquisates

de FhirzeVivienne Neldor, Marie de Flairs – adlige Hofdamen von YsandreSeigneur Amaury Trente – Hauptmann der Wache der KöniginMadame Denise Grosmaine – Haushofmeisterin

nachtpalaisMoirethe Lereux – Doyenne des Eglantine-HausesFavrielle nó Eglantine – SchneiderinRaphael Murain nó Gentiana – Adept des Gentiana-Hauses

drei schwesternGebieter der Meeresstraße – herrscht über die Meerenge zwischen

Alba und Terre d’AngeHyacinthe – Schüler des Gebieters der Meeresstraße;

Phèdres Freund; Tsingano

alba und eireDrustan mab Necthana – Cruarch von Alba, Gemahl von

Ysandre de la CourcelEamonn mac Conor – Fürst der Dalriada (verstorben)Grainne mac Conor – Eamonns Schwester; Fürstin der

DalriadaNecthana – Drustans Mutter(Breidaia, Moiread (verstorben), Sibeal – Necthanas Töchter)

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la serenissimaCesare Stregazza – Doge von La SerenissimaMarco Stregazza – ältester Sohn des DogenRicciardo Stregazza – jüngerer Sohn des DogenAllegra Stregazza – Gemahlin RicciardosBenito Dandi – Adliger, Mitglied der ImmortaliOrso Latrigan – Adliger, Kandidat für die Wahl zum DogenLorenzo Pescaro – Adliger, Kandidat für die Wahl zum DogenBianca – Priesterin der Auserwählten, Orakel der AsheratVesperia – Priesterin der Asherat, Orakel in AusbildungGiulia Latrigan – AdligeMagister Acco – AstrologeSerena Pidari – Gemahlin von Phanuel BuonardFelicity d’Arbos – ehemalige Kammerzofe von Maria StregazzaDer Aufseher von La DolorosaConstantin, Fabron, Malvio, Tito – Gefängniswärter

illyrienVasilii Kolcei – Ban von Illyrien, der »Zim Sokali«Zabèla Kolcei – Gemahlin des BanPjètri Kolcei – mittlerer Sohn des BanCzibor – Kommandant der Wache des BanKazan Atrabiades – Piratenkapitän(Epafras, Gavril, Lukin, Nikanor, Oltukh, Pekhlo, Spiridon,

Stajeo, Tormos, Volos, Ushak – Kazans Männer)Daroslav – Kazans Bruder (verstorben)Glaukos – Kazans Verwalter, ehemaliger tiberischer SklaveZilje – Ehefrau von GlaukosMarjopí – Kazans HaushälterinNjësa Atrabiades – Kazans MutterJanàri Rossatos – Botschafter Illyriens in La Serenissima

kritiOeneus Asterius – Hierophant des TemenosPasiphae Asterius – Kore des Temenos

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Demetrios Asterius – Archon von PhaistosTimanthes – Adliger, Geliebter des ArchonAlthaia – Adlige, Timanthes’ Schwester

sonstigeMaestro Gonzago de Escabares – aragonischer Historiker;

ehemaliger Lehrmeister von DelaunayThelesis de Mornay – Dichterin der KöniginQuintilius Rousse – Königlicher AdmiralEmile – Mitglied von Hyacinthes ehemaliger MannschaftJacques Brenin – Phèdres TreuhänderNahum ben Isaac – der RebbeHanna – yeshuitische FrauMicheline de Parnasse – Königliche ArchivarinTarren d’Eltoine – Hauptmann der Ehrlosen, Südkastell (Camlach)(Octave, Vernay, Svariel, Fitz, Giles – Soldaten der Ehrlosen)Phanuel Buonard – Wächter von Troyes-le-MontLouis Namot – Kapitän der DarielleBrys nó Rinforte, David nó Rinforte – Mitglieder der

Cassilinischen BruderschaftGregorio Livinius – Principal von PaventoDer Herzog und die Herzogin von MilazzaGilles Lamiz – DichterlehrlingMicah ben Ximon, Sarae, Teppo – Yeshuiten; Joscelins VerbündeteCervianus – Diener im Tempel der Asherat

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1. kapitel

iemand dürfte bestreiten, dass ich in meinem Leben Mühsal er-fahren habe, auch wenn ich in seiner kurzen Spanne schon so

vieles vollbracht habe. Das sage ich ohne jegliche Prahlerei. Selbstwenn ich mich nunmehr Comtesse de Montrève nennen darf undmein Name im Adelsverzeichnis von Terre d’Ange aufgeführt ist,habe ich nicht vergessen, wie es ist, wenn einem alles genommenwird, was man besitzt. Dies ist mir einmal widerfahren, als meineleibliche Mutter mich in den Dienst des Palais der Nachtblumenverkaufte, und ein weiteres Mal, als mein Herr und Mentor AnafielDelaunay ermordet wurde und mich Melisande Shahrizai den Skal-di auslieferte.

Ich durchquerte die Wildnis von Skaldia im tiefsten Winter undstellte mich auf den brodelnden Wassern dem Zorn des Gebietersder Meeresstraße. Ich war das Spielzeug eines barbarischen Kriegs-herrn und habe meinen liebsten Freund an eine Ewigkeit einsamerVerbannung verloren. Ich erlebte die Gräuel des Krieges und habeden Tod meiner Gefährten mit ansehen müssen. Ich wanderte desNachts allein in das riesige Lager der Feinde, wohl wissend, dass ichmich damit der Folter und dem nahezu sicheren Tod auslieferte.

Nichts davon war jedoch so schwierig, wie Joscelin mitzuteilen,dass ich in den Dienst Naamahs zurückkehren würde.

Es war der sangoire-farbene Umhang, der meinen Weg lenkte;Melisandes Herausforderung und das Zeichen meiner Berufung, dasmich als Anguisette auswies, als Kushiels Auserwählte. Beides war soeindeutig wie das rote Mal, das ich seit meiner Geburt in der Irismeines linken Auges trug. Ein Rosenblatt, das auf dunklen Wassernschwimmt, hat ein Verehrer es einmal genannt. Sangoire ist ein noch

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dunklerer Farbton, ein so tiefes Rot, dass es fast an Schwarz grenzt.Ich habe vergossenes Blut bei Sternenlicht gesehen. Wahrlich eineangemessene Farbe für eine wie mich, der es bestimmt ist, Vergnü-gen am Schmerz zu empfinden. Diese Farbe ist allein den Anguisettesvorbehalten. Wir D’Angelines lieben derartige poetische Spitzfin-digkeiten.

Ich bin Phèdre nó Delaunay de Montrève, und ich bin die Einzigemeiner Art. Kushiels Pfeil trifft selten, wenn auch sehr wirkungs-voll.

Als Maestro Gonzago de Escabares den Umhang aus La Serenis-sima mitbrachte, und dazu die Geschichte, wie er in seinen Besitzgelangt war, traf ich meine Entscheidung. Ich wusste es noch in der-selben Nacht. Bei Nacht scheint mein Weg klarer und offenkundi-ger vor mir zu liegen. Es gibt einen Verräter im Herzen von Terred’Ange, einer, der dem Thron so nahesteht, dass er ihn berührenkann, so viel weiß ich. Dass Melisande mir den Umhang überbrin-gen ließ, machte dies unmissverständlich klar. Ich verfügte über dieMittel, die Identität des Verräters aufzudecken, sollte ich mich ent-schließen, an dem Spiel teilzunehmen. Dass es die Wahrheit war, da-ran hegte ich nicht den geringsten Zweifel. Ich habe im Nachtpalaisund bei Delaunay eine hervorragende Ausbildung als Kurtisane undSpionin genossen. Das wusste Melisande, und sie brauchte ein Pub-likum, oder doch zumindest eine würdige Gegnerin. So viel war klar,das dachte ich jedenfalls.

Doch bei Tageslicht, unter dem ernsten Blick von Joscelins blau-en Augen begriff ich erst, welches Leid meine Entscheidung verur-sachen würde. Aus diesem Grund zögerte ich, spielte auf Zeit. MeinVerstand sagte mir klar, was zu tun war, aber mein Herz litt Qua-len. Maestro Gonzago blieb einige Tage in Montrève und genossdie Gastfreundschaft, die ich mich bemühte anzubieten. Zweifellosspürte er meinen Schmerz. Ich sah es in seinem gütigen, freundlichenGesicht. Ohne mich zu drängen, verließ er mich schließlich, gemein-sam mit seinem Schüler Camilo, und machte sich auf den Weg nachAragonia.

Ich blieb zurück, allein mit Joscelin und meiner Entscheidung.

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In Montrève waren wir glücklich gewesen, er und ich. Vor allemer, da er in den Bergen von Siovale aufgewachsen war. Ich weiß, wases Joscelin gekostet hatte, sein Leben an das meine zu binden unddamit seinen Treueschwur als Cassiline zu brechen. Mögen die Hof-schranzen es belächeln, wenn sie wollen, aber er nahm seine Gelübdeernst, auch und nicht zuletzt das des Zölibats. D’Angelines folgendem Gebot des Heiligen Elua, der aus dem Blut Yeshua ben Yosefs,vermischt mit den Tränen der Magdalena, im Schoß der Erde ge-boren wurde. Liebet, wie es Euch gefällt. Von allen Gefährten hattenur Cassiel Eluas Gebot abgeschworen. Cassiel, der die Verdammnishinnahm, um keusch und standfest an Eluas Seite zu bleiben, derVollkommene Gefährte, der den Einen Gott an die Heiligen Pflich-ten erinnerte, die er selbst vergessen hatte.

Ebenjene Gelübde hat Joscelin für mich gebrochen. Montrève hatsehr dazu beigetragen, die Wunden zu heilen, die ihm dieser Bruchzugefügt hatte. Meine Rückkehr in den Dienst Naamahs, die sicheinst freiwillig Elua anschloss und um seinetwillen mit Königen undBauern gleichermaßen das Lager teilte, würde Joscelins Wunden er-neut aufreißen lassen.

Ich sagte es ihm.Und sah, wie sich die weißen Linien der Anspannung, die so lange

verschwunden waren, erneut in seinem schönen Gesicht abzeichne-ten. Ich legte ihm meine Gründe dar, Punkt um Punkt, so wie Delau-nay es getan hätte. Joscelin kannte die Geschichte beinahe so gut wieich selbst. Er war mir schon als Gefährte zugeteilt worden, als Delau-nay noch meine Marque besaß.Er kannte die Rolle,die ich im Diens-te meines Herrn gespielt hatte. Er war bei mir gewesen, als Delaunayermordet wurde und Melisande uns beide hinterging. Und er warauch Zeuge jener schicksalhaften Nacht in Troyes-le-Mont gewesen,als Melisande Shahrizai der Justiz der Königin entkommen konnte.

»Bist du sicher?« Mehr fragte er nicht, als ich zu Ende gesprochenhatte.

»Ja«, antwortete ich flüsternd und hielt mit den Fäusten die wei-chen Falten meines sangoire-farbenen Umhangs umklammert, denich über dem Arm trug. »Joscelin …«

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»Ich muss nachdenken.« Er wandte sich ab, das Gesicht ver-schlossen wie das eines Fremden. Beunruhigt sah ich ihm nach, doches gab nichts, was ich noch hätte sagen können. Joscelin hatte vonAnfang an gewusst, was ich war. Doch er hatte ebenso wenig wie ichdamit gerechnet, dass wir einander lieb gewinnen würden.

Im Garten, den Richeline Friote, die Gattin meines Seneschalls,mit großer Hingabe pflegte, befand sich ein kleiner Altar des Elua.Blumen und Kräuter wuchsen im Überfluss hinter der Villa, woeine knapp einen Meter große Statue Eluas wohlwollend auf unsereOpfergaben hinablächelte. Zu seinen marmornen Füßen waren Blü-tenblätter verstreut. Ich kannte den Garten gut, denn ich hatte vie-le Stunden hier verbracht, auf einer Bank gesessen und über meineEntscheidung nachgedacht. Auch Joscelin suchte diesen Ort auf, umseinen Gedanken nachzuhängen. Er kniete vor der Statue, wie es dasGebot der Cassilinischen Bruderschaft ihm befahl, mit gesenktemHaupt und verschränkten Armen.

Dort verharrte er lange Zeit.Es wurde Abend und leichter Regen setzte ein, doch immer noch

kniete Joscelin vor dem Altar, eine schweigende Gestalt im grauenZwielicht. Die schweren Regentropfen bogen die bunten Blüten-blätter der Blumen herab, während Basilikum und Rosmarin in derfeuchten Luft ihren schweren Duft verströmten. Immer noch knie-te er vor dem Altar. Sein weizenblonder Zopf hing reglos auf sei-nem Rücken, während Regentropfen daran hinabrannen. Das Lichtschwand immer mehr, Joscelin jedoch rührte sich nicht.

»Phèdre, meine Gebieterin.« Beim Klang von Richelines besorg-ter Stimme zuckte ich zusammen. Ich hatte sie nicht kommen hören,was bei mir wirklich etwas heißen wollte. »Wie lange wird er dortverharren?«

Ich wandte mich vom Fenster ab, von dem aus ich die Garten-laube betrachtet hatte. »Ich weiß es nicht. Trage ruhig schon einmaldas Abendessen auf, auch wenn er nicht hereinkommt. Es kann eineWeile dauern.« Joscelin hatte einst in einer verschneiten Winter-nacht in Skaldia bis zum Morgen gewacht, irgendeiner geheimnis-vollen Verpflichtung seiner cassilinischen Ehre gehorchend. Meine

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Entscheidung hatte ihn gewiss noch tiefer getroffen. Ich blickte inRichelines offenes, ernstes Gesicht. »Ich habe ihm gesagt, dass ichvorhabe, in die Cité Eluas zurückzukehren. Und wieder in NaamahsDienst einzutreten.«

Richeline holte tief Luft, ohne die Miene zu verziehen. »Das habeich mir schon gedacht.« Mitfühlend fuhr sie fort: »Er gehört nicht zuder Sorte Mann, die so etwas leichtnimmt, Herrin.«

»Ich weiß.« Meine Stimme klang selbstsicherer, als ich mich fühl-te. »Ich habe diese Entscheidung nicht leichten Herzens getroffen,Richeline.«

»Nein«, sie schüttelte den Kopf, »das habt Ihr gewiss nicht.«Ihre moralische Unterstützung tat mir gut. Ich sah wieder zu Jos-

celins kniender Gestalt hinaus. Tränen brannten mir in den Augen.»Purnell wird als Seneschall hierbleiben, und du selbstverständlichauch. Montrève braucht deine starke Hand, und die Menschen ver-trauen dir mittlerweile. Ich werde keinen Widerspruch dulden.«

»Ja, Herrin.« Ihr freundlicher Blick war kaum zu ertragen, dennich konnte mich in diesem Moment selbst nicht ausstehen. Riche-line legte in einer uralten Geste der Treue die Faust auf ihr Herz.»Purnell und ich werden Montrève für Euch verwalten. Dessenkönnt Ihr sicher sein.«

»Danke.« Ich schluckte trocken und rang meinen Kummer nie-der. »Ruft Ihr die Jungs zum Essen, Richeline? Sie sollten von mei-ner Entscheidung erfahren, und außerdem benötige ich ihre Hilfe.Wenn ich meinen Plan noch vor dem Winter in die Tat umsetzenwill, müssen wir sofort beginnen.«

»Selbstverständlich.«Die »Jungs« waren meine drei Chevaliers, »Phèdres Jungs«, wie

sie sich selbst nannten. Remy, Fortun und Ti-Philippe. Einst ehema-lige Seesoldaten unter dem Kommando des Königlichen AdmiralsQuintilius Rousse, hatten sie sich im Anschluss an unsere Reise nachAlba und die Schlacht um Troyes-le-Mont in meine Dienste be-geben. Ich glaube allerdings, dass es die Königin in Wahrheit amü-siert hat, sie mir zu überlassen.

Ich setzte sie beim Abendessen, das wir in der Halle der Villa

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einnahmen, über meinen Entschluss in Kenntnis. Die Tafel war mitweißem Leinen gedeckt und überall brannten Kerzen. Zunächstherrschte tiefstes Schweigen, bis Remy es nicht mehr aushielt undeinen Freudenschrei ausstieß. Seine grünen Augen funkelten.

»In die Cité, Herrin? Ihr versprecht es?«»Ich verspreche es«, erwiderte ich. Der kleine, blonde Ti-Philippe

grinste, während der kräftige, dunkelhaarige Fortun mich nachdenk-lich musterte. »Zwei von euch sollten vorausreiten und die nötigenVorkehrungen treffen. Ich benötige ein bescheidenes Haus in derNähe des Palastes. Ich gebe euch Empfehlungsschreiben an meinenTreuhänder in der Stadt mit.«

Remy und Ti-Philippe versanken sofort in ein aufgeregtes Ge-spräch über das Abenteuer, während Fortun mich weiterhin mit sei-nen dunklen Augen betrachtete. »Geht Ihr auf die Jagd, Herrin?«,fragte er leise.

Ich schob eine mit Käse überbackene Birne auf meinem Teller hinund her, um meinen Mangel an Appetit zu überspielen. »Was weißtdu darüber, Fortun?«

Sein ruhiger Blick blieb unverwandt auf mich gerichtet. »Ich warin Troyes-le-Mont. Ich weiß, dass sich jemand verschworen hat,Madame Melisande Shahrizai zu befreien. Außerdem weiß ich, dassIhr eine Anguisette seid, die von Anafiel Delaunay ausgebildet wurde.Ebendem, den manche außerhalb der Grenzen von Montrève denHurenbock der Spitzel nennen.«

»Ja.« Als ich das Wort flüsterte, durchfuhr mich ein Schauer,drängend und unleugbar. Ich hob den Kopf, spürte, wie mein Haarauf dem samtenen Netz lastete, mit dem es zusammengebunden war,und trank einen tiefen Schluck des köstlichen Branntweines aus denObstgärten von L’Agnace. »Es wird Zeit, dass Kushiels Pfeil erneutfliegt, Fortun.«

»Dem Herrn Cassilinen wird das nicht gefallen, Herrin«, wandteRemy ein, der von seinem Gespräch mit Ti-Philippe aufsah. »SiebenStunden kniet er bereits im Garten, und ich glaube, ich kenne jetztden Grund.«

»Joscelin Verreuil ist meine Sorge.« Ich schob den Teller von mir

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und gab es auf, so zu tun, als äße ich. »Jetzt brauche ich eure Hilfe,Chevaliers. Wer reitet in die Stadt und sucht mir eine Bleibe?«

Am Ende wurde beschlossen, dass Remy und Ti-Philippe vo-rausreiten würden, um eine Unterkunft zu finden und die Kunde vonmeiner Rückkehr zu verbreiten. Wie Ysandre sie aufnehmen würde,vermochte ich nicht zu sagen. Ich hatte ihr weder von Melisandes Ge-schenk erzählt noch von meiner Sorge über ihre Flucht.Zweifellos be-saß ich die Unterstützung der Königin, aber die Anhänger Eluas undseiner Gefährten können recht launisch sein.Daher hielt ich es für dasBeste, einstweilen im Verborgenen zu arbeiten.Sollten sie sich in demGlauben wiegen, Kushiels Pfeil hätte mich in die Cité zurückgetrie-ben. Je weniger sie wussten, desto mehr mochte ich herausfinden.

Delaunay hatte mich das gelehrt, und es ist ein wertvoller Rat.Man muss mit seinem Vertrauen umsichtig maßhalten.

Meinen drei Chevaliers vertraute ich bedingungslos, sonst hätteich ihnen niemals mitgeteilt, was ich vorhatte. Delaunay hatte michund Alcuin beschützen wollen, indem er uns unwissend hielt, wo-für Alcuin den höchsten Preis bezahlt hatte. Ich würde diesen Feh-ler – denn dafür hielt ich es inzwischen, für einen Fehler – nichtbegehen.

Dennoch gab es einen Menschen,dem ich mit Herz und Seele ver-traute, und dieser kniete stumm im regennassen Garten von Mont-rève. In jener Nacht blieb ich lange wach und las eine Abhandlungder Yeshuiten, die mir Gonzago de Escabares gegeben hatte. Nochhatte ich meinen Traum, Hyacinthe aus seiner ewigen Lehrzeit beimGebieter der Meeresstraße zu befreien, nicht aufgegeben. Hyacin-the, mein ältester Freund, der Gefährte meiner Kindheit, hatte einSchicksal auf sich genommen, das eigentlich mir bestimmt war. Erwar auf einer einsamen Insel zur Unsterblichkeit verdammt, es seidenn, ich fand einen Weg, ihn zu befreien, den geis zu brechen, derihn band. Ich las, bis mir die Augen tränten und meine Gedankenabschweiften. Schließlich döste ich vor dem Feuer ein, das von zweiflüsternden Bediensteten jede Stunde geschürt wurde.

Ich wurde von dem Gefühl wach, dass sich jemand im Raum be-fand und öffnete die Augen.

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Joscelin stand vor mir. Wasser tropfte von ihm auf den mit Tep-pichen bedeckten Steinboden herab. Als ich ihn ansah, verbeugte ersich mit verschränkten Armen vor mir.

»In Cassiels Namen«, seine Stimme klang rau, nachdem er sieStunden nicht benutzt hatte. »Ich beschütze und diene.«

Wir beide kannten uns viel zu gut, um uns etwas vorzumachen.»Nicht mehr als das?«»Nicht mehr«, erwiderte er entschieden, »und nicht weniger.«Ich setzte mich in meinem Stuhl auf und betrachtete sein wun-

derschönes Gesicht, seine blauen Augen, die von der langen Nacht-wache müde waren. »Kann es denn zwischen uns keinen Mittelweggeben, Joscelin?«

»Nein.« Er schüttelte feierlich den Kopf. »Phèdre … Elua weiß,dass ich dich liebe. Aber ich habe Cassiel die Treue geschworen. Ichkann mich nicht zweiteilen, nicht einmal für dich. Ich werde meinGelübde ehren, dich beschützen und dir dienen. Bis zum Tod, wennnötig. Mehr kannst du von mir nicht verlangen, und dennoch tustdu es.«

»Ich bin Kushiels Auserwählte und habe Naamah Treue geschwo-ren«, flüsterte ich. »Ich achte dein Gelübde. Kannst du nicht auchmeines achten?«

»Nur auf meine Art.« Er flüsterte ebenfalls. Ich wusste, wie schwerihm diese Worte fielen, und schloss die Augen. »Phèdre, verlangenicht mehr von mir.«

»So sei es«, sagte ich mit geschlossenen Augen.Als ich sie wieder öffnete, war er verschwunden.

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2. kapitel

ls ich die Cité Eluas das letzte Mal betrat, ritt ich im Triumph-zug im Gefolge von Ysandre de la Courcel, nach ihrem Sieg

über die Skaldi, begleitet von der Königlichen Armee, Drustan mabNecthana und dem Kontingent aus Alba. Diesmal vollzog sich meineRückkehr in meine Geburtsstadt weit weniger dramatisch, obwohlsie mir sehr viel mehr bedeutete.

Nach Hause zu kommen ist eine äußerst bewegende Erfahrung.Ich hatte Montrève liebgewonnen, aber die Cité war meine Heimat,und ich weinte, als ich ihre weißen Mauern sah. Mein Herz wardurch dieses lange Jahr des Lebens auf dem Land ruhiger geworden,doch jetzt regte es sich in meiner Brust und schlug schneller.

Wir waren lange unterwegs gewesen, und der kühle Herbst brach-te bereits die ersten eisigen Vorboten des Winters mit sich. Auf mei-nen früheren Reisen hatte ich nur das mitgenommen, was meine Ge-fährten und ich auf unsere kräftigen Pferde packen konnten. Diesmaljedoch begleiteten uns schwer beladene Karren mit Wolle von derletzten Schur der Saison, dazu ein Wagen mit meinem Hab und Gut,einschließlich der Bände und Schriftrollen der yeshuitischen For-schungen, die ich in diesem Jahr unternommen hatte.

Es waren ihrer nicht wenige, denn die Anhänger Yeshuas sind einsehr fleißiges Volk. Ihre uralte Geschichte reicht weit zurück, bis indie Zeit, als Yeshua ben Yosef, der wahrhaftige Sohn des Einen Got-tes, an ein tiberisches Kreuz geschlagen wurde, wo sich sein Blut mitden Tränen der Magdalena vermischte und den Heiligen Elua zeug-te. Ich hatte zwar in ihren Schriften noch keinen Hinweis darauf ge-funden, wie ich den geis aufheben könnte, der Hyacinthe band, aberich war noch voller Hoffnung.

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Auf einen weiteren Karren waren unsere Ausrüstung, die Zelteund die Lebensmittel geladen, dazu führten wir Packesel mit denHabseligkeiten meiner Diener mit uns. Wir hatten sogar zwei ge-sattelte Ersatzpferde für Remy und Ti-Philippe dabei, die ständigzwischen unserem langsamen Wagenzug und der Stadt hin- und her-ritten.

»Ihr werdet eine Kutsche benötigen«, meinte der praktisch veran-lagte Fortun, als wir uns der Stadt näherten. »Für die Comtesse deMontrève ziemt es sich nicht, zu Pferde durch die Cité zu reiten.Aber das kann warten, bis wir die Wolle verkauft haben.«

»Es wird warten müssen.« Als mich der Schatzkanzler von Ysandredarüber in Kenntnis setzte, dass ich Delaunays Besitz und seinen Ti-tel geerbt hatte, den er selbst nie geführt hatte, war ich davon ausge-gangen, dass alle Adligen der D’Angelines wohlhabend wären. Demwar jedoch nicht so. Ich bezog bescheidene Einkünfte aus meinenBesitzungen in Montrève und hatte eine gewisse Summe als Ent-schädigung für Delaunays Stadthaus erhalten. Es war nach seinemTod gepfändet worden, nachdem man mich in Abwesenheit als seineMörderin verurteilt hatte. Jetzt war dank Ysandres Eingreifen meinName wieder reingewaschen. In der Cité weiß man, dass ich meinenHerrn Delaunay sehr geliebt habe und keinerlei Schuld an seinemTod trug. Da er mich als Erbin eingesetzt hatte, nahm ich seine Hin-terlassenschaft an. Trotzdem wollte ich nicht an dem Ort wohnen,an dem er ermordet worden war.

Also erbte ich seinen Besitz in Montrève und akzeptierte dieSumme aus dem Verkauf seines Stadthauses. Die Einnahmen ausErsterem verbrauchte ich für die Entlohnung meiner Dienerschaftsowie für die Pferde und Karren, und von dem Erlös aus Letzteremerwarb ich ein Haus für uns. Von dem kleinen Rest, der mir blieb,habe ich zugegebenermaßen einen Großteil in meine Bibliothekinvestiert.

Was ich nicht bedauere. Jedes Wissen ist seinen Preis wert, pflegteDelaunay zu sagen. Und ich hatte vor, das Wissen, was ich angesam-melt hatte, auch tatsächlich zu nutzen. Allerdings kostete es michden größten Teil meines Vermögens.

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Ich hatte einmal einen Diamanten besessen, der den Grundstockzum Erwerb eines Salons hatte bilden sollen, um den mich jedeKurtisane beneidet hätte. Als ich daran dachte, berührte ich unwill-kürlich die nackte Stelle an meinem Hals, an dem er einst gehangenhatte. Ich wäre lieber verhungert, als Gewinn aus diesem Stein zuschlagen.

Als wir uns dem Südtor der Stadt näherten, hob Fortun dasBanner von Montrève. In der oberen rechten Ecke befand sich eingoldener Sichelmond auf grünem Grund, und in der linken unte-ren ein gezackter Fels. Die Stadtwachen hoben grüßend ihre Speere,und ein Schrei hallte von den weißen Mauern herab. Ti-Philippehatte auf unsere Ankunft gewartet und mit den Wachen gewürfelt.Ich hörte Fetzen von einem Lied, das mir nur zu vertraut war: dasMarschlied von Phèdres Jungs, das auf unserer verzweifelten Reisenach Alba entstanden war.

Ich warf Joscelin einen Seitenblick zu. Die Haltung seiner breitenSchultern verriet Resignation.

So ritten wir in die Stadt ein.Sie war klein, doch an manchen Orten höher und anmutiger, als

ich sie in Erinnerung hatte. Elegant und stolz. Ti-Philippe stieg vonden Zinnen herunter, um uns zu begrüßen. Er führte uns in die Cité,am gewundenen Lauf des Flusses entlang dem Palast entgegen. DieEinwohner blieben auf den Straßen stehen und blickten uns neu-gierig nach. Ich konnte hören, wie die ersten Gerüchte aufkeimten.Im Osten erhob sich der Mont Nuit. Dort lag das Nachtpalais mitseinen Dreizehn Häusern. In ihm hatte ich meine erste Ausbildungerhalten, im Cereus-Haus, dem besten der Dreizehn Häuser. AmFuß des Mont Nuit lag der Vorhof der Nacht, mein Zufluchtsort,wo Hyacinthe sich als Prinz des Fahrenden Volkes einen Namen ge-macht hatte.

Doch das war Vergangenheit. Vor uns lag die Zukunft. Remyerwartete uns in Sichtweite des Palastes an der Kreuzung zweierschmaler Straßen. Nach einer kurzen Beratung übernahm Ti-Phi-lippe die Wollkarren und lenkte sie in das Viertel der Stadt, in demdie Wollhändlergilde ihren Sitz hatte.

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»Meine Gebieterin.« Remy grinste und verbeugte sich tief imSattel. Dann deutete er die Straße entlang. »Euer Quartier harretEurer!«

Sollte nun jemand Zweifel haben, ob es klug war, meine ungestü-men Matrosen mit der Suche nach einer passenden Unterkunft zubetrauen, so sind seine Befürchtungen unbegründet. Phèdres Jungswaren eifrigst auf meine Ehre bedacht und gestatteten niemandem,mich zu verspotten, freilich mit Ausnahme von ihnen selbst. DasHaus lag versteckt im Schatten des Palastes. Es war ein hübschesAnwesen. Der winzige Garten war von wildem Wein nahezu über-wuchert und es gab einen Stall. Das Grundstück wirkte schmal, warjedoch recht lang gezogen und bot für uns alle mehr als genug Platz.

»Ich habe eine Köchin angestellt«, sagte Remy eifrig. »Und eineDienerin,die tagsüber kommt.Wir haben einen jungen Stallburschenund ich denke, wir drei …«, er warf Joscelin einen raschen Seitenblickzu, »wir vier können uns um alles kümmern, was es sonst noch zu er-ledigen gibt. Gefällt es Euch, Herrin?«

Ich stand im Eingang, beschienen von der Wintersonne, derenLicht durch die robusten Ranken des Weins fiel. »Es gefällt mir«,antwortete ich und lachte. »Es gefällt mir außerordentlich, Cheva-lier!«

So ließ ich mich als Comtesse de Montrève in der Cité Eluasnieder.

Meine erste Einladung traf ein, noch bevor wir uns häuslich ein-gerichtet hatten. Wenig verwunderlich, denn ich hatte Cecilie in ei-nem Brief meine Rückkehr angekündigt. Während meiner Zeit inMontrève hatten wir in regem Briefwechsel gestanden, denn abge-sehen davon, dass sie eine meiner ältesten Freundinnen war, einer derwenigen Menschen, dem ich beinahe ebenso vertraute wie Joscelin,war sie außerdem eine höchst unterhaltsame Korrespondentin. Inihren Briefen, die ich mit größtem Vergnügen verschlang, mischtesie auf entzückendste Weise Neuigkeiten und Klatsch. Ich nahm ihreEinladung sofort an.

»Phèdre.« Cecilie Laveau-Perrin empfing mich an der Tür undumarmte mich herzlich, ein Gruß, den ich ohne Zögern erwider-

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te. Ihre hellblauen Augen glühten, als sie mich auf Armeslänge vonsich schob. Selbst die ersten Anzeichen des Alters schmälerten dieSchönheit ihres Gesichtes in keinster Weise. »Du siehst gut aus. DasLandleben ist dir offenbar wohl bekommen.« Sie lachte und begrüß-te Joscelin mit einem höflichen Kuss. »Joscelin Verreuil! Ich bin im-mer noch eifersüchtig auf Cassiels Anspruch auf Euch.«

Joscelin errötete bis in die Haarwurzeln und antwortete mit ei-nem unverständlichen Murmeln. Bei ihrer letzten Begegnung warer ein wenig herzlicher gewesen. »Mit Eurer Erlaubnis«, wandte ersich steif an mich. »Ich möchte die Halle der Gelehrten aufsuchen,die Seth ben Yavin erwähnte. Ich kehre in ein paar Stunden zurück.Gewiss habt Ihr und Madame Cecilie viel zu besprechen.«

»Wie Ihr wünscht.« Die Förmlichkeit zwischen uns war schreck-lich. Ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen, als ich meinenTonfall hörte, aber er war nicht kühler als der seine.

Cecilie hob die Brauen, sagte jedoch nichts, bis wir in ihrem klei-nen Salon saßen, einem sehr behaglich eingerichteten Gemach, indem sie ihre engsten Freunde empfing. Eine Dienstmagd servierteWein und reichte ein Tablett mit Naschwerk. Sie verschwand so voll-kommen unauffällig, wie nur jene es vermochten, die für die Arbeitim Dienst einer Adeptin des Cereus-Hauses ausgebildet worden wa-ren. »Ist die Last eurer von den Sternen begünstigten Vereinigung zugroß geworden, meine Liebe?«, erkundigte sie sich dann freundlich.

»Nicht in Montrève, nein.« Ich schüttelte den Kopf, trank einenSchluck Wein und holte tief Luft. »Ich kehre in den Dienst Naa-mahs zurück.«

»Ah.« Cecilie stützte ihr Kinn auf ihre Fingerspitzen und betrach-tete mich. »Und Messire Joscelin grämt sich deswegen. Nun, ich warohnehin nicht der Meinung, dass Naamah bereits mit dir fertig ist,Phèdre«, fuhr sie zu meiner Überraschung fort. »Es ist deine Be-stimmung, eine der ganz Großen zu werden, nicht, deine Jugend mitSchafschur und Scheunentänzen zu verschwenden. Wie alt bist du?Zwanzig?«

»Zweiundzwanzig.« Sie lächelte über den Hauch von Empörungin meiner Stimme.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Jacqueline Carey

Kushiel - Der VerratRoman

Taschenbuch, Broschur, 864 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-453-52541-2

Heyne

Erscheinungstermin: September 2009

Brillant, düster, erotisch Nachdem die Verschwörung gegen die Königin von Terre d’Ange aufgedeckt wurde, kehrtwieder Ruhe in das Land ein. Doch dann gelingt der ebenso schönen wie gefährlichenAnführerin der Verschwörer die Flucht, und Phedré muss sich auf die Suche nach ihrerWidersacherin begeben. Ihr Weg führt sie in die geheimnisvolle Stadt La Serenissima. Nach „Das Zeichen“ der zweite Roman der vielfach preisgekrönten amerikanischen Kultserie.