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DEUTSCHLANDFUNK
Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel
Redaktion: Sabine Küchler
Feature
Stimme der Stimmlosen
Die Schriftstellerin Mahasweta Devi
von Christoph Burgmer
Produktion: DLF 2012
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- unkorrigiertes Exemplar -
Sendung: Freitag, 16. November 2012, 20.10 - 21.00 Uhr
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Regie: Gesang Santal Lied von Taharam (ab 2´45´´-4´ 05´´)
Dritte Sprecherin:
„Am Anfang existierte das Wasser. Und Gott saß auf der Wasseroberfläche. Nur die
Geistwesen huldigten ihm und brachten ihm Erde aus der Tiefe. Nach und nach
entstand so die Welt. Dann erschuf Gott die Meereslebewesen, Fische, Krabben und
alle anderen Meeresbewohner. Aber die Meerestiere konnten keine Erde an die
Oberfläche bringen. Jedes Mal, wenn sie die Erde ablegten, fiel sie zurück in die
Tiefe des Wassers. Da beschloss Gott, die Landwesen zu erschaffen. Und er erschuf
sie als Körper, die schon Erde in sich tragen.“
Regie: Gesang Santal Lied von Taharam (ab 2´45´´-4´ 05´´)
Vierter Sprecher:
Stimme der Stimmlosen. Die indische Schriftstellerin Mahasweta Devi. Feature von
Christoph Burgmer
O-Ton Devi (ohne Übersetzung 41´10´´)
„…continue, continue, continue….have your tea first!“
Dritter Sprecher:
Mahasweta Devi, Schriftstellerin, Journalistin, politische Aktivistin, Feministin, wurde
am 14. Januar 1926 geboren. Sie lebt in Kalkutta, ist heute 86 Jahre alt und hat mehr
als einhundert Romane, Essays, Kurzgeschichten, Dramen und Kinderbücher
veröffentlicht, dazu zahllose Artikel. Ihre Werke sind fast alle in bengalisch
geschrieben, der nach Hindi mit 215 Millionen Muttersprachlern am weitesten
verbreiteten Sprache auf dem indischen Subkontinent.
O-Ton Devi (35´):
“No. I did not write to change the world. It´s my bread and butter. It´s the only source
of my income. But many writings surely had an impact, discussed“
Zweite Sprecherin:
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„Ich habe nicht geschrieben, um die Welt zu verändern, sondern um davon zu leben.
Es ist meine einzige Einnahmequelle. Aber viele meiner Bücher haben Einfluss
gehabt und Diskussionen angestoßen.“
Erster Sprecher:
Dass Mahasweta Devi in Indien so berühmt ist wie in Deutschland nur große
Sportidole, kann nicht an der Verbreitung ihrer Literatur liegen. Im indischen
Buchmarkt gilt schon der Verkauf von 5000 Exemplaren in drei Jahren als Erfolg.
Wird ein Buch mehr als 5000mal verkauft, ist es ein Bestseller. Und Mahasweta Devi
schreibt keine Bestseller.
Dritter Sprecher:
Auch wenn ihre Geschichten ins Hindi, Assamese, Telegu, Malayalam, Marathi,
Oriya, Punjabi, Gujarati und die Adivasisprachen Ho und Santali übersetzt vorliegen.
Und auch im Englischen, Schwedischen, Italienischen, Spanischen und Deutschen?
Erster Sprecher:
Es sind doch nur Kleinverlage wie der Draupadi Verlag in Heidelberg. Sie verkaufen
ein Buch von Mahasweta Devi nur einige hundert Mal.
O-Ton Devi (ohne Übersetzung 41´10´´)
„…continue, continue, continue….have your tea first!“
Erster Sprecher:
Und Literatur wird in Indien offiziell in 22 Sprachen geschrieben. Dazu kommt das
Englische. Daneben werden über 100 Sprachen gesprochen, in denen weitere orale
Literaturtraditionen existieren.
Dritter Sprecher:
Im Westen ist man überzeugt, dass die beste indische Literatur in Englisch
geschrieben wird. Man denkt an den Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul und an
Salman Rushdie. Aber wer könnte behaupten, Literatur in allen 22 indischen
Sprachen gelesen zu haben.
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Erster Sprecher:
Der westliche Blick: Eine bunt-exotische Kolonialphantasie. Man will glauben, die
unbekannte Welt wäre so, wie die Literatur, die sie beschreibt. So lässt sich
Nützliches und Unnützes scheiden. Der Ausbeutung geht immer die Ansicht über das
Fremde voran.
Dritte Sprecherin:
Mahasweta Devi ist Herausgeberin der literarischen Vierteljahreszeitschrift Bortika,
Fackel, die sich um die mündlich überlieferten Literaturen bemüht, hauptsächlich die
der Adivasi, der Ureinwohner Indiens.
Erste Sprecherin (Bengali Mahasweta Devi, kein O-To n):
Folgendes Zitat Devi in Bengali unterlegt
Zweite Sprecherin (Übersetzung Bengali):
„Seit 1980 gebe ich die Zeitschrift „Bortika“ heraus, in der ich regelmäßig
Schriftstücke von Ureinwohnern und auch anderen, nur wenig gebildeten Menschen
veröffentliche. Hier schreiben Bauern, Schuldknechte, Rikschafahrer, Fabrikarbeiter
und Dorffrauen über ihr Leben, ihre Erfahrung, ihr Leid, ihre Dörfer etc. vielleicht zum
ersten Mal. Ich veröffentliche ihre Erzählungen, damit die vermittelnde Position des
gelehrten Schreibers konterkariert wird.“
Erster Sprecher:
Aber diese Zeitschrift ist in keinem Buchladen in Delhi, Bombay oder Kalkutta zu
finden. Wie wird man trotzdem in einer Gesellschaft von Analphabeten zur
Gewissensinstanz?
Dritter Sprecher:
Die indische Gesellschaft verehrt drei Typen moderner Helden. Da sind zunächst die
populären Bollywoodschauspieler, Sänger und Tänzer. Sie setzen sich durch Kino
und Fernsehen bis zur entferntesten Hütte des Subkontinents in Szene und
bevölkern die Träume der Menschen. Die Sadhus dagegen beschwören die tiefe
Sehnsucht nach den alten asketischen spirituellen und religiösen Idealen. Sadhus
sind Männer, die auf dem Weg der Askese zur Erleuchtung gelangen wollen. Die
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Geschichten über ihre wundersamen Fähigkeiten werden von Mund zu Mund
weitererzählt. Und zuletzt der dritte Typus. Er steht für die Emanzipation des
modernen Indien. Es sind jene, die sich ohne Selbstschutz und Karriereambitionen
für die Benachteiligten und Unterdrückten in der indischen Gesellschaft einsetzen. Ihr
öffentlicher Kampf gegen Korruption und Ausbeutung begründet die Hoffnung auf
Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie.
Erster Sprecher:
Dazu muss man absolut unbestechlich sein.
Dritter Sprecher:
Mahasweta Devi ist unbestechlich.
O-Ton Devi (ohne Übersetzung 41´10´´)
„…continue, continue, continue….have your tea first!“
Dritter Sprecher:
Mahasweta Devi reiste jahrzehntelang in die Dörfer der Adivasi. Dort hörte und
sammelte sie die Erzählungen der Ureinwohner, ohne ethnologische Interessen zu
haben, ohne wissenschaftliche Ambitionen zu verfolgen. Dann schrieb sie Briefe an
Politiker, hunderte, tausende, forderte Gerechtigkeit. Als nichts passierte,
prozessierte sie gegen den indischen Staat, und gewann. Als auch das nichts
änderte, organisierte sie den Widerstand der Adivasi gegen Großprojekte, wie
Staudämme und Industrieanlagen in Stammesgebieten.
O-Ton Devi (25´30´´):
“If India wants to build up industry, it´s all right…We call them uncivilized.“
Zweite Sprecherin:
„Indien wollte sich industrialisieren, das ist verständlich. Aber warum auf Kosten
anderer, der Adivasi, auf ihrem Boden, in ihrem Wald, mit ihrem Wasser. Heute
reden alle von einer intakten Umwelt. Dabei sind die Adivasi die tatsächlichen
Umweltspezialisten. Ich war beeindruckt, als ich erfahren habe, dass, wenn ein
Adivasi einen Baum fällt, er im Gegenzug fünf neue Bäume pflanzen muss. Alles
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bestimmt die Dorfgemeinschaft gemeinsam. Das ist nicht primitiv. Die Adivasi sind
die Zivilisiertesten aller Inder. Bei ihnen existiert kein Kastensystem. Dafür, dass man
zwischen verschiedenen Kasten heiraten kann, haben unsere Intellektuellen lange
gekämpft. Bei den Adivasi kann jeder jeden heiraten und eine Frau kann sich nach
der Scheidung wieder verheiraten. Alles, wofür wir gekämpft haben und Gesetze
benötigen, haben sie schon seit tausenden von Jahren. Und das nennen wir
unzivilisiert.“
Dritter Sprecher:
In Kalkutta ist Mahasweta Devi kürzlich ein Denkmal gesetzt worden. Damit ist die
Schriftstellerin und politische Aktivistin endgültig zur lebenden Ikone geworden. Zur
indischsten aller indischen Schriftstellerinnen.
Erster Sprecher:
Was bedeutet das? Vielleicht, dass eine Literatur ohne politisches und soziales
Engagement purer Hedonismus oder einfach nur bequem ist…
Dritte Sprecherin:
„Das Thema ist faszinierend. Ich bin mir nicht sicher, ob ich kompetent genug bin“,
beginnt Mahasweta Devi einen Essay über die Bedeutung oraler Überlieferungen für
die indische Literatur. Oder mehr noch: Für die indische Selbstwahrnehmung. Nur
die Indische?
Erste Sprecherin (Bengali Mahasweta Devi, kein O-To n):
Folgendes Zitat Devi in Begali unterlegt
Zweite Sprecherin (Übersetzung Mahasweta Devi):
„Es mag viele Analphabeten in Indien geben. Aber die Menschen sind nicht
unkultiviert oder naiv. Noch fehlt es ihnen an Bewusstsein. Trotzdem vernachlässigt
die indische Geschichte, wie sie heute verfasst wird, die ungeschriebenen,
mündlichen Überlieferungen der einfachen Leute. Ich aber bin voll und ganz davon
überzeugt, dass die lokal überlieferten Erzählungen unerschöpfliche Reichtümer
sind. Sie werden in vielen Sprachen erzählt und sind reich an phantastischen
Einfällen. Wir sind wie einäugige Rehe, die die Bedeutung des Erbes an Mythen,
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Glaubensvorstellungen, Bräuchen, Liedern und Geschichten nicht erkennen. Aber in
ihnen verbirgt sich die Geschichte der einfachen Leute, ihre Version der historischen
Ereignisse. Das macht sie zu einer bedeutenden Geschichtsquelle und einer
Bereicherung für die Literatur. In diesem Erbe, und ich gebrauche es nicht als
Dekoration, habe ich mein Seelenheil gefunden.“
Vierter Sprecher:
Die Adivasi
Regie: Atmo Bahnhof o.ä.
Zweiter Sprecher:
Stellen Sie sich Reisen vor, kreuz und quer durch Indien. Reisen, die in zehn Jahren
immer mal wieder unternommen wurden, nicht einmal, wie ein Urlaub etwa: Drei oder
vier Wochen Indien, mit Rucksack oder all inclusive, Goas Technoparties, Taj Mahall,
Rajastans Wüstenschlösser, Ayurveda-Kuren in Kerala, Tigersafari, Trekking Touren,
Aschrams, Darjeeling und Ladakh, Bombay, New Delhi, Kalkutta, und so weiter. Kein
Unterschied.
O-Ton Devi (ohne Übersetzung 41´10´´)
„…continue, continue, continue….have your tea first!“
Zweiter Sprecher:
Reisen vielmehr, die immer erst dann begannen, wenn mich die stickigen, mit
Menschen vollgestopften Züge mit zahllosen anderen Reisenden an den indischen
Bahnhöfen ausgespuckt hatten. Jetzt könnte ich die indischen Bahnhöfe
beschreiben: Die Händler, die Bettler, die Diebe, die streunenden Kinder und Hunde,
die Huren, die ohrenbetäubende Lautstärke der Ansagen, die Farben, die wilden
Gerüche nach Schweiß, Urin, und süßlichen Körperölen, den Staub und den
feuchten, modrigen Müll, der Ratten, Mäusen und anderem Getier ausreichend
Lebensraum bietet, die aufgetürmten Berge an Koffern, Kisten und Reisetaschen und
das nicht zu entschlüsselnde Durcheinander der Gespräche in allen möglichen
Sprachen, kurz, das sensibel im Gleichgewicht gehaltene Chaos des indischen
Bahnhofsalltags. Aber dafür bleibt keine Zeit. Kaum am Bahnhof eingetroffen, stopfte
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man mich in einen Ambassador. Seit über 50 Jahren wird das Auto in Indien
produziert. Auf den Rücksitz dieses im allgemeinen Sprachgebrauch als
„schwangerer Büffel“ bekannten Gefährts, eingezwängt zwischen weiteren
Mitfahrern, war ich, noch bevor ich über das heutige Indien nachdenken konnte,
schon auf dem Weg in den Dschungel.
Dritte Sprecherin:
Die Adivasi haben Mahasweta Devi den Namen „Didi“ „ältere Schwester“ gegeben.
Sie nennt sie „Meine Leute“.
Erster Sprecher:
Die Adivasi verehren Mahasweta Devi, vielleicht wegen ihres politischen
Engagements, vielleicht auch aufgrund ihrer literarischen Arbeit. Vielleicht aber auch,
weil sie nicht korrumpierbar ist.
Zweiter Sprecher:
Mit Sozialarbeitern, Missionaren und Wissenschaftlern war ich oft stundenlang im
„schwangeren Büffel“ unterwegs. Über staubige oder je nach Jahreszeit vom
Monsunregen geflutete Landstraßen. Häufig führte der Weg durch
verkehrschaotische Provinzstädte. Durch überfüllte Dörfer, deren Bewohner in den
bis zum Horizont reichenden Feldern für einen Hungerlohn schuften müssen. Und
damit das Überleben der indischen Milliardenbevölkerung sichern. Zuletzt ging es nur
noch zu Fuß weiter. Mit Adivasiführern. Über schmale Wege durch den Dschungel.
O-Ton Devi (ohne Übersetzung 41´10´´)
„…continue, continue, continue….have your tea first!“
Zweiter Sprecher:
Ich stelle mir Mahasweta Devi vor. Wie sie vor 50 Jahren alleine durch den
Dschungel von einem Dorf zum nächsten wandert. Keine Straßen, nur kleine Wege,
eigentlich nur kleine Trampelpfade. Es ist die Zeit nach der Unabhängigkeit Indiens.
Niemand beachtet die Adivasi. Und ihre Sicht der Geschichte Indiens.
O-Ton Devi (27´30´´)
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„I have been to tribal houses….they know me as a friend.”
Zweite Sprecherin (Übersetzung Devi)
„Ich bin in den Häusern der Adivasi gewesen. Als ich noch gut zu Fuß war, konnte
ich lange Reisen unternehmen. Jetzt kann ich kaum einige Schritte weit gehen. Aber
damals bin ich jeden Tag 10 bis 15 Kilometer weit gelaufen. Da ich immer über die
Adivasi geschrieben hatte, haben sie mich in den Dörfern und auch außerhalb
gekannt. Sie haben gewußt, dass ich ihr Freund bin.“
Dritter Sprecher:
Adi heißt „ursprünglich“ und vasi „Bewohner“. Adivasi: „die ursprünglichen
Bewohner“. Als man 1947 die neue indische Verfassung schrieb, wollte man den
Ureinwohnern eigene Rechte garantieren.
Erster Sprecher:
Die Verwendung der Selbstbezeichnung Adivasi wurde jedoch abgelehnt. Denn das
Wort Adivasi enthält den Hinweis, dass die hinduistischen „Arier“ vor 2500 Jahren,
als sie in den Subkontinent einwanderten, auf die seit wahrscheinlich schon seit
zehntausend Jahren dort lebenden Stammesgesellschaften der Munda, Oraon,
Santal, Kurmi, der Ganju und anderer trafen.
Dritter Sprecher:
Die indischen Arier gründeten also nicht die erste Zivilisation Indiens, das
Kastensystem ist nicht die ursprüngliche Kultur des Subkontinents.
Erster Sprecher:
Diese Geschichtsauffassung gehört bis heute zur Selbstbegründung des modernen
Indien. Um die kastenlosen Adivasi in das traditionelle Kastensystem einzubinden
erfand man den Begriff „scheduled tribes“ und registrierte 645 unterschiedliche
Ureinwohnergemeinschaften. Und garantierte ihnen erstmalig in der Verfassung
besondere Rechte.
Dritter Sprecher:
Die Entwicklung hat gezeigt, dass sich niemand daran gehalten hat.
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Regie: Atmo
Zweiter Sprecher:
Eine Reise führte mich in den indischen Bundesstaat Jharkhand in den Distrikt
Hazaribagh. Eine Stunde lief ich mit dem Adivasiführer durch den Dschungel. Immer
wieder kamen uns Männer entgegen, Säcke mit Holzkohle auf ihren Schultern. Das
Holz hatten die Adivasi tagelang im Wald gesammelt und in Kohlenmeilern zu
Holzkohle verarbeitet. Ein wirtschaftlich aufstrebendes Land wie Indien braucht
Unmengen Energie, egal welcher Art.
Die jungen, starken Männer schleppten die Holzkohle kilometerweit zur Straße, wo
sie an vorbeifahrende Arbeiter verkauft wurde. Jeder Gewinn wird seit
Menschengedenken an alle Familien gleichberechtigt verteilt. Das Dorf lag mitten im
Wald. Es bestand aus etwa dreißig aus Lehm gebauten Häusern. Sie waren von
kleinen parzellierten Feldern umgeben. Ein alter Mann pflügte mit seiner Kuh einen
kleinen Acker um.
O-Ton Adivasi Führer (53´17´´):
„He is ploughing. They plough up till ten or eleven o´clock when the sun is up. Than
they stop….They sell the flowers, makes liquer out of the fruits and oil out of the
seats.”
Vierter Sprecher:
“Er pflügt bis zehn, elf Uhr. Dann ist es zu heiß. Die Felder müssen für die
kommende Saat vorbereitet werden. Zweimal werden die Äcker mit dem Holzpflug
umgegraben. Für den alten Mann ist dies eine langwierige Arbeit, weil die Kuh ihren
eigenen Willen hat. Die Familien bewirtschaften die Felder gemeinsam. Hier wird
später Reis gesät. Es gibt zahlreiche Sorten. Je nach dem, wo das Feld ist, ob es
höher oder tiefer liegt, feuchter oder sonniger ist, wird eine Sorte gewählt. Es sind
Erfahrungen, die von Generation zu Generation weiter gegeben werden. Hier, das
hier ist ein Mahuabaum. Die Adivasi verkaufen die Blüten, aus den Früchten wird ein
Schnaps und aus den Samen ein Öl hergestellt.“
Zweiter Sprecher:
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Die Außenwände der Adivasihäuser waren bemalt. Ich erkannte Tiere und Pflanzen:
Erdbewohner, Bäume, Vögel und die Tiere des Dschungels.
Dritter Sprecher:
Die Adivasikunst erinnert an Graffiti. Man benutzt eine eigene Gravurtechnik: Zuerst
wird eine schwarze Schicht Manganerde auf eine Lehmwand aufgebracht, die man
trocknen lässt. Danach kommt eine Schicht weißen Kalks darauf, die noch im
feuchten Zustand ausgekratzt wird. Die dunkle Schicht kommt wieder zum Vorschein.
Zweiter Sprecher:
Eine andere Reise führte mich im Winter in die Grenzregion der Bundesstaaten
Jharkhand und Westbengalen. In der Nacht war die Temperatur auf wenige Grad
gefallen, und auch tagsüber kletterte die Januarsonne kaum über 15 Grad. Die
kleinen Felder waren schon lange abgeerntet. Die Männer waren auf der Jagd. Das
Gesetz gestattet es ihnen, kleinere Tiere zu jagen, größere, wie Rehe, Hirsche oder
Bären jedoch nicht. Aber der Hunger fragt nicht nach Gesetzen. Von einer älteren
Frau wurde ein Plastikstuhl mitten auf den Dorfplatz gestellt. „Johar“, Friede: Zur
Begrüßung beugt man Kopf und Oberkörper nach Vorne und die zu einer Faust
gemachte Hand wird mit der flachen Seite des Handballens an die eigene Stirn
geführt.
Regie: Gesang zur Begrüßung
Zweiter Sprecher:
Zwei Trommler gaben den Rhythmus vor. Die Dorffrauen tanzten zu meiner
Begrüßung. Die meisten Kinder waren barfuß oder trugen billige Plastiksandalen.
Einige hatten aufgeblähte Hungerbäuche, anderen fehlten Gliedmaße, Finger,
Hände, Füße. Die vom Staat errichtete Schule war verwaist, weil der Lehrer in der
sechzig Kilometer entfernten Provinzhauptstadt geblieben war. Niemand hatte ihn
jemals im Dorf gesehen. Der Dorfälteste fragte, ob ich gekommen sei, um den vor
einigen Jahren von einer christlichen Hilfsorganisation gebohrten Brunnen instand zu
setzen. Das Wasser würde die Kinder zusätzlich krank machen. Neben dem Hunger.
Vierter Sprecher:
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Die Herkunft
Dritte Sprecherin:
Mahasweta Devi wuchs in einer bengalischen Intellektuellenfamilie auf. Ihr Großvater
unterhielt in Dhaka, der Hauptstadt des heutigen Bangla Desh, Mahasweta Devis
Geburtsort und damals Teil Britisch-Indiens, eine Anwaltskanzlei. Er wollte das
indische Bildungs- und Sozialsystem nach westlichen Bildungsvorstellungen
reformieren. Als aufgeklärter Intellektueller sah er in der Förderung einer modernen
bengalischen Literatur eine geeignete Ausdrucksmöglichkeit.
Erster Sprecher:
Es ist die Zeit der so genannten „Bengalischen Renaissance“. Seit Beginn des 19.
Jahrhunderts hatte man schon begonnen, die klassischen Texte, die Veden und
Upanishaden, neu zu interpretieren. Im Zentrum stand das aus den Texten
herausinterpretierte Subjekt, dessen Aufgabe nicht mehr der Dienst innerhalb einer
„göttlichen Ordnung“ ist.
Dritter Sprecher:
Die Vernunft gilt als wichtigste Handlungsmaxime. So soll die indische Gesellschaft
erneuert werden.
Erster Sprecher:
Als man feststellte, dass die britische Kolonialherrschaft nicht bereit war, die neuen
einheimischen Eliten politisch und ökonomisch partizipieren zu lassen, wurde die
bengalische Renaissance seit Ende des 19. Jahrhunderts durch indisch-
nationalistische Vorstellungen ergänzt.
Dritte Sprecherin:
Mahaswetas Devis Vater gehörte in den Zwanziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts einer Gruppe von Schriftstellern an, die die Literatur revolutionierten.
Sie rückten das Leben der Slumbewohner und die Analphabeten des ländlichen
Indien ins Zentrum ihrer realistischen Erzählungen.
Dritter Sprecher:
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Dies bedeutete einen Bruch mit den jahrhundertelang dominierenden literarischen
Traditionen.
O-Ton Devi (1h18´50´´-1h20´)
„I show you this thing. This is extremely interesting I find…published. It is something
really important and a tribal thing.”
Zweite Sprecherin (Übersetzung Devi):
“Ich möchte Ihnen etwas sehr Interessantes zeigen. Mein Vater hat viele Jahre lang
in einem Dorf eine kleine Literaturzeitschrift herausgegeben. Als er starb, war ich
leider nicht anwesend. Später bin ich dann in dieses Dorf gegangen und habe seine
Beerdigung organisiert. Sofort sind die Bewohner auf mich zugekommen und haben
gefragt, ob ich die Zeitschrift meines Vaters nicht weiter herausgeben könnte. Ich
habe sie dann weitergeführt. Aber ich wollte keine normalen Geschichten und
Gedichtsammlungen veröffentlichen. Ich habe damals schon mit den Adivasi
zusammengelebt. Die Zeitschrift sollte sich ab jetzt mit ihrem Leben
auseinandersetzen. Ich habe also die Adivasi gebeten, in der Zeitschrift ihre eigenen
Lebensgeschichten zu veröffentlichen. Das ist das erste Mal gewesen, dass Adivasi
in Indien etwas schriftlich veröffentlicht haben.“
Dritte Sprecherin:
Auch Mahasweta Devis Mutter, Dharitri Devi, hat schon literarische und soziale
Arbeit miteinander verbunden. Einerseits lehrte sie Kinder armer Familien lesen und
schreiben. Daneben hat sie Romane der Amerikanerin Pearl S. Buck ins Bengalische
übersetzt. Pearl S.Buck, heute fast vergessen, war 1938 für ihre „reichen und
wahrhaften Schilderungen des chinesischen Bauernlebens“ mit dem
Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden.
Erster Sprecher:
Durch Kunst, Literatur, Malerei und Musik, als wichtige Bestandteile einer
emanzipatorischen Pädagogik, sollten Kinder unabhängig von Kaste, Religion und
Herkunft gefördert werden. Das Ziel bestand in der Formung einer neuen
aufgeklärten Elite. Sie sollte die indischen Gesellschaft von ihren jahrhundertealten
religiösen oder sozialen Fesseln befreien.
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Dritter Sprecher:
Ideengeber und geistiges Zentrum dieser letzten Phase der „bengalischen
Renaissance“ war der erste asiatische Literaturnobelpreisträger, Rabindranath
Tagore. In Shantinekatan, auf dem Familiensitz 150 Kilometer nordöstlich von
Kalkutta, hatte er 1901 eine Muster- Bildungseinrichtung eröffnet.
Dritte Sprecherin:
Hierhin wurde auch Mahasweta Devi geschickt.
O-Ton Devi (21´05´´-
„You see, when I was a child…
Zweite Sprecherin (Übersetzung Devi):
„Als ich ein Kind war, bin ich in Shantinekatan zur Schule gegangen. „Rabi“, wie man
Rabindranath Tagore nannte, hat dort noch selbst unterrichtet. Wir Kinder sind immer
zu ihm gegangen und haben mit leuchtenden Augen ihm gegenüber gesessen.
Damals war ich zehn Jahre alt und Shantinekatan ist ganz anders gewesen als
heute. Aber 1936 ist außerhalb von Shantinekatan die gemeinsame Erziehung von
Jungen und Mädchen völlig undenkbar gewesen. Diese Freiheit hat es nur dort
gegeben. Wir sind so in völliger Freiheit aufgewachsen. Wir durften schwimmen
gehen, sind überall frei herumgesprungen, und natürlich haben wir zusammen mit
den Jungen gespielt. Und die Jungen mit uns. Muslims, Hindus, das war egal. Selbst
die Kastenunterschiede sind ignoriert worden.“
Dritter Sprecher:
Damals war Kalkutta das kulturelle und intellektuelle Zentrum Indiens. Noch heute
finden sich hier die meisten und wichtigsten Verlage. Man träumte von einem
unabhängigen indischen Staat, der allen Indern gleiche Rechte und Wohlstand
garantieren sollte.
Erster Sprecher:
Katastrophen erschütterten diese Vision.
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Dritter Sprecher:
1943 kam es zu einer Hungersnot, als in Folge des Zweiten Weltkriegs
Reislieferungen aus Birma ausblieben und indische Bauern und Großhändler die
knappen Lebensmittel horteten, um die Preise zu erhöhen. 700.000 Menschen
verhungerten. In Kalkuttas Straßen wurden die Leichen öffentlich verbrannt.
Zweiter Sprecher:
Ich sehe die junge College Studentin Devi vor mir, wie sie die Straßen Kalkuttas
nach Überlebenden absucht und die Verhungerten mit gleichaltrigen
Kommilitoninnen auf Holzkarren lädt, um sie zu den Verbrennungsorten zu bringen.
Früher hat sie manchmal davon erzählt, wie sie sich durch diese Ereignisse
veränderte. Als sie ein Baby neben der verhungerten Mutter fand, es ins
Krankenhaus brachte und wie entsetzt sie war, als es dort nach kurzer Zeit ebenfalls
verstarb. Heute spricht sie nicht mehr davon.
Dritte Sprecherin:
1946 wurde Mahasweta Devi Mitglied in der Kommunistischen Partei Indiens und
begann, in bengalischen Zeitschriften zu veröffentlichen.
Dritter Sprecher:
Bengalen wurde im August 1947 geteilt, in ein hinduistisches Westbengalen und ein
muslimisches Ostpakistan, aus dem später der unabhängige Staat Bangla Desh
hervorging. Als im Zuge der Teilung Bengalens und der Gründung Indiens Millionen
von Menschen ermordet wurden, waren auch die Ideen der „bengalischen
Renaissance“ gescheitert.
Erster Sprecher:
[ Der indische Staat ist nicht in Vernunft, sondern in Bluttaufe entstanden. ]
Dritte Sprecherin:
Bis heute betrachtet Mahasweta Devi das unabhängige Indien als ein in der
Gründungsphase gescheitertes Experiment.
Vierter Sprecher:
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Das literarische Verfahren
Erster Sprecher:
Und wieder muss man der westlichen Indienwahrnehmung eine etwas andere
Geschichte hinzufügen.
Dritter Sprecher:
In dem kleinen Dorf Naxalbari in Westbengalen rief am 18. Mai 1967 eine kleine
Gruppe radikaler Linker zum Volksaufstand gegen die Landakquisition der
Großgrundbesitzer auf.
Erster Sprecher:
Die Geschichte, wie und warum Maos kulturrevolutionäre Ideen in Indien an Einfluss
gewannen.
Dritter Sprecher:
Linksintellektuelle in Kalkutta, Bombay und Delhi unterstützen den als „naxalitisch“
bezeichneten Aufstand.
Erster Sprecher:
Die Geschichte von dem bis heute andauernden Krieg gegen den indischen Staat,
von den zehntausend bewaffneten Naxaliten, den Bombenanschlägen auf
Güterzüge, den Entführungen von Ausländern und Überfällen auf Polizeistationen mit
zahlreichen Toten. Und von den Einsätzen der indischen Armee und den
korrumpierten politischen Versuchen, dem Widerstand durch Entwicklung der
ländlichen Regionen den Nährboden zu entziehen.
Dritter Sprecher:
In Indien jemanden als Naxaliten zu bezeichnen ist genauso gefährlich, als wenn im
Westen jemand als Islamischer Fundamentalist oder Terrorist bezeichnet wird. Jeder,
der die Adivasi in Jharkhand, Westbengalen, Orissa und sogar im 2000 Kilometer
entfernten Gujarat unterstützt, ist verdächtig.
Dritte Sprecherin:
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Mahasweta Devi ist doch nur Schriftstellerin.
Dritter Sprecher:
Aber wenn man so deutlich Partei ergreift wie sie, ist man verdächtig. Nicht nur in
Indien.
Vierter Sprecher (Literaturzitat):
„Name Dopdi Mejen. Alter 27 Jahre, Ehemann Dulna Majhi (tot), wohnhaft in
Cherakhan, Kreis Bankrajharh; an der Schulter von einer Schusswunde stammende
Narbe. Einhundert Rupien für Angaben ob tot oder lebendig und für Hinweise, die zur
Ergreifung führen…“
Erster Sprecher:
Devis Erzählung Draupadi nimmt Bezug auf das berühmteste indische Epos, das
Mahabharata. Dieses 2500 Jahre alte Epos enthält für strenggläubige Hindus bis
heute gültige Ethikvorstellungen zu den Aufgaben der Kasten und den Pflichten von
Frauen.
Dritte Sprecherin:
Mahasweta Devi setzt dies in Beziehung zur Adivasifrau Dopdi Mejen. Ihr Schicksal
wird mit dem Schicksal der Prinzessin Draupadi aus dem Mahabharata gleichgesetzt.
Dopdi Mejen wird zur Draupati, Draupati ist Dopdi Mejen.
Vierter Sprecher (Literaturzitat):
„Der Hintergrund: Dulna und Draupadi waren als Erntehelfer ständig unterwegs.
1971, als bei der berühmten „Operation Bakuli“ drei Dörfer abgeriegelt und unter
Maschinengewehrfeuer genommen wurden, entkamen die beiden, indem sie sich zu
den Leichen legten und totstellten. In Wahrheit waren sie die Rädelsführer. Sie
steckten dahinter, als die Dorfbewohner während der Dürre die Brunnen, die den
höheren Kasten vorbehalten sind, in Besitz nahmen. Und als der Hauptmann Arjun
Singh am nächsten Morgen die Leichen nachzählte und das Paar nicht darunter war,
schoss sein Blutzuckerspiegel in ungeahnte Höhen, was einmal mehr beweist:
Zuckerkrankheit hat viel mit Angst und Aufregung zu tun. Diabetes hat zwölf
Ernährer, darunter die Angst.“
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Dritte Sprecherin:
Der Vorwurf der Kritiker: Mahasweta Devis Literatur sei zu „realistisch“. Aber kann
Literatur überhaupt realistisch sein?
Vierter Sprecher:
„Draupadi Mejhen wird um 18.57 Uhr festgenommen. Eine Stunde dauert es, sie zum
Camp zu bringen. Eine Stunde genau dauert das Verhör. Niemand rührt sie an, und
sie darf auf einem Feldstuhl aus Leinwand sitzen. 20.57 Uhr ist die Zeit für
Senanayaks Abendessen gekommen. „Tut das Notwendige. Richtet sie schön
zurecht“, sagt er beim Hinausgehen.“
Erster Sprecher:
Während in dem indischen Epos die Prinzessin Draupadi aufgrund der strikten
Befolgung von traditionellen Verhaltensregeln gleichzeitig von fünf Brüdern
geheiratet wird, wird die gefangene Adivasi Dopdi Mejen bei ihrer Folterung von
zahllosen Soldaten vergewaltigt.
Vierter Sprecher:
„Dann gehen eine Million Monde vorüber. Eine Million Mondjahre. Als sie nach
Tausenden von Lichtjahren die Augen öffnet, sieht Draupadi, wie sonderbar, den
Himmel und den Mond. Langsam driften die blutigen Stecknadelköpfe aus ihrem
Gehirn. Sie versucht sich zu bewegen und begreift, dass ihre Arme und Beine an vier
Pflöcken festgebunden sind. Unter Hintern und Hüften ist etwas Klebriges. Ihr
eigenes Blut. Nur den Knebel hat sie nicht mehr im Mund… Schrecklicher Durst. Um
nicht „Wasser“ zu rufen, beißt sie sich mit den Zähnen in die Unterlippe. Aus ihrer
Scheide läuft Blut. Wie viele haben sie „zugerichtet“?“
O-Ton Devi (ohne Übersetzung 41´10´´)
„…continue, continue, continue….have your tea first!“
Vierter Sprecher:
„Sie schämt sich, weil ihr die Tränen aus den Augenwinkeln rinnen. Im trüben
Mondlicht senkt sie ihre glanzlosen Augen, erblickt ihre Brüste und begreift, dass sie
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Senanayaks Befehl vollends ausgeführt haben. Jetzt müsste sie ihm gefallen. Ihre
Brüste sind von Bissen zerfleischt, die Brustwarzen zerfetzt. Wie viele? Vier, fünf,
sechs, sieben, dann hatte Draupadi das Bewusstsein verloren. Sie blickt zur Seite
und sieht etwas Weißes. Ihre eigene Bekleidung, sonst nichts. Plötzlich hofft sie auf
ein Wunder. Vielleicht hatte man sie aufgegeben und zum Fraß für die Schakale
nach draußen gebracht. Aber da hört sie schon das Scharren von Füßen. Sie wendet
sich zur Seite und erkennt den Wachposten, der sich auf sein Bajonett stützt und sie
angrinst. Draupadi schließt die Augen. Sie braucht nicht lange zu warten. Wieder
machen sie sich über sie her. Endlos. Der Mond speit noch ein paar Brocken Licht
aus und geht dann schlafen. Zurück bleibt nur Dunkelheit. Ein Leib, der mit
gewaltsam gespreizten Beinen reglos daliegt. Über ihm heben und senken sich
eifrige Kolben aus Fleisch, heben und senken sich. Dann wird es Morgen.“
Erste Sprecherin (Bengali):
Zweite Sprecherin (Übersetzung des Bengali):
„Es ist notwendig, existierende Mythen wiederzubeleben und sie an die Gegenwart
anzupassen und, der oralen Tradition folgend, genauso auch neue zu kreieren. Die
Heldin meiner Geschichte „Draupadi“ ist eine Santal-Frau und eine Aktivistin der
Naxaliten-Bewegung der 1970er Jahre. Da die Santals und viele andere
Stammesgruppen dem Mondkalender folgen, ist das Auf- und Untergehen des
Mondes sehr bedeutsam für sie. Draupadi wird verhaftet, die Kleider werden ihr vom
Leib gerissen, und sie wird von mehreren Polizisten vergewaltigt. Sie aber weigert
sich, ihre Blöße zu bedecken. Ihre letzte aufsässige Begründung ist, dass ihre
Folterer gar keine Männer seien und sie sich nicht schäme, sich ihnen nackt zu
zeigen. Denn eine Stammesfrau glaubt, dass ein richtiger Mann niemals eine Frau
herabwürdigen würde. Dadurch erlangt sie eine bedeutende Größe als Königin wie
im indischen Mahabharata Epos und legt eine brutale Wahrheit über die indische
Männlichkeit bloß.“
Erster Sprecher:
Draupadi behauptet sich im altinidischen Epos „Mahabharata“. Als einer ihrer fünf
Ehemänner sein Königreich im Würfelspiel an einen anderen Herrscher verliert,
verweigert sich Draupadi dem siegreichen Fürsten. Der Sari, den der neue Herrscher
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bei dem Versuch der Vergewaltigung Draupadis herunterreißen will, erneuert sich
mit göttlicher Hilfe.
Dritte Sprecherin:
Die vergewaltigte Draupadi bei Mahasweta Devi dagegen lässt sich ihre
Selbstachtung nicht rauben, indem sie sich weigert, ihren vergewaltigten Körper zu
bedecken.
Vierter Sprecher:
„Wo ist ihre Kleidung?“ „Die zieht sie nicht an, Sir, sie hat sie zerrissen.“ Draupadis
schwarzer Körper kommt noch dichter an ihn heran. Sie wird, völlig unverständlich für
Senanayak, von einem unbändigen Lachen geschüttelt. Ihre zerschundenen Lippen
bluten bei diesem Lachen. Sie wischt das Blut mit dem Handrücken ab und sagt mit
schriller, scharfer Stimme, einer Stimme, gleich einem Heulen, das den Himmel
zerreißt: „Kleidung, kann Kleidung das zudecken? Ausziehen kannst du mich. Aber
anziehen? So was will ein Mann sein!“ Draupadi sieht sich um, sucht sich
Senanayaks weißes Buschhemd als Ziel, um einen Klumpen blutige Spucke darauf
zu platzieren, und sagt: „Hier gibt es keinen richtigen Mann, dass ich mich schämen
müsste. Von euch lass ich mich nicht anziehen. Was wollt ihr machen? Los, richtet
mich zurecht, na los!“
Vierter Sprecher:
Entwicklung ohne Fortschritt
O-Ton Santal Song ab 3´26´´ (Alter Mann)
Dritte Sprecherin (Übersetzung Santal Song) :
„1855 hat die Ausbeutung begonnen. Geschützt von bewaffneten Polizisten sind
skrupellose Händler und blutsaugende Geldverleiher zu den Santal gekommen.
Siddu und Kanhu haben uns damals in den Kampf geführt. Auch heute stellen wir
uns wieder die Frage, wohin wir gehen sollen? Wie können wir überleben? Wie wird
unsere Kultur überleben? Denn heute sind diese üblen Elemente zurück. Sie beuten
unsere Mutter-Erde aus. Gleich irre gewordenen Wildkatzen greifen sie unsere Kultur
an, mit gewaltigen Pranken entreißen sie dem Land unserer Vorfahren das Metall
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und verkaufen es in aller Welt. Unsere Bäume werden abgeholzt. Von unseren
Wäldern entblößt ist die Erde nackt. Unser Land ist unfruchtbar. Schützt unsere
Mutter-Erde. Seid bereit für den Kampf. Hört den Rhythmus des Widerstands.“
Regie: Gesang Santal
Zweiter Sprecher:
Ich erinnere mich. Mahasweta Devi hatte mir einmal erzählt, dass es für die
britischen Kolonialherren der in Kalkutta residierenden East India Company völlig
unbegreiflich gewesen sei, dass es Stämme gab, die so etwas wie „Landbesitz“ nicht
kennen. So sehr sich britische Ethnologen, Religionswissenschaftler, Archäologen
und Offiziere mit indischen Traditionen beschäftigten, die Adivasi blieben ihnen
fremd.
O-Ton Devi (8´00´´- 10´)
„They never thought of the tribes….
Zweite Sprecherin (Übersetzung Devi)
„Die Briten haben sich niemals mit den Stämmen beschäftigt. In Westbengalen leben
die Shawar-Lodha. Sie fertigen für sich sogar individuell Schuhe an. Die Briten haben
gewusst, dass es so etwas gibt, aber sie haben die Adivasi absichtlich ignoriert. Weil
sie überhaupt nicht verstehen konnten, dass manche Stämme kein Land besaßen
und keinen Ackerbau betrieben, dagegen jedoch alles über den Dschungel wussten.
Bis heute hängt das Überleben dieser Stämme vom Dschungel ab. Vor neun Tagen
habe ich Vertreter aller dieser Stämme aus Westbengalen und Jharkhand hier in
meinem Haus empfangen. Sie haben ihre Geschichten erzählt. Das ist fantastisch.
Wenn ich ihnen die Vielfalt der Namen nennen würde, sie könnten wahrscheinlich
nichts damit anfangen. Die Baigars, die Bihors, die Logars, die Schawas, alle sind
gekommen.“
Dritter Sprecher:
Als Indien britische Kronkolonie wurde, begann man, industriell Bergbau zu
betreiben. Kohlen-, Eisenerz- und Asbestminen wurden in Adivasigebiet errichtet.
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Erster Sprecher:
Wer der Industrialisierung im Wege stand, sich dem Takt der Produktion nicht
unterordnete, wurde als genetisch kriminell stigmatisiert. Die Nomadenstämme
haben die Briten in Umerziehungslager gesteckt und zur Zwangsarbeit verpflichtet.
Dritter Sprecher:
Die Adivasi, die im Dschungel lebten, sind einfach vertrieben worden. Im Verlauf von
150 Jahren hat sich so die Kohle und Eisenindustrie immer tiefer in die Wälder
Bengalens und Jharkhands gefressen.
Zweiter Sprecher:
Die Reise führte nach Rourkela. Mitten im Dschungel steht ein von Deutschland
gebautes Stahlwerk. Irgendwann traf ich Manfred Tiefensee aus Wilhelmshaven. Er
war 1959 im Januar bis zum September 1959 als Monteur für die Firma Krupp Adelt
in Rourkela und baute im Stahlwerk die Kräne auf.
O-Ton Tiefensee (1´-2´ und 11´34´´- 14´11´´)
„Es war das bildhaft schöne Indien, was ich in Gedanken hatte und die Träume vom
Tiger a la Eschnapour. Und wenn ich dann an den Tag im Januar dachte als ich
dann Rourkela betrat, da sah das Leben dann schon ein bisschen anders aus. Der
erste Tag auf der Planzeit, da hatte ich einen der gravierendsten Eindrücke gehabt,
schon auf der Fahrt dorthin, dass die Frauen dort die Erdarbeiten gemacht haben.
Als ich die tausenden von Frauen gesehen habe, wie sie die Körbe auf den Köpfen
hatten und dort diese Lasten trugen. Es waren zu meiner Zeit etwa 1000 Deutsche
da. Das wichtigste war natürlich die Arbeit unter schweren Bedingungen. Das Klima
war das größte Problem. Wir hatten Tage gehabt, da hatten wir 46 bis 50 Grad im
Schatten und eine Luftfeuchtigkeit von 98 Prozent. Wir konnten unsere Leute damals
selbst einstellen. Im Prinzip sind wir nach Rourkela gekommen um Anweisungen zu
geben und Einheimische einzustellen. Und diese Leute waren nur selten Adivasis,
sondern es waren aus ganz Indien zusammengepferchte Leute. Es bestand damals
eine Auflage und die Auflage bestand darin, dass ca. 15 Einheimische auf einen
Deutschen eingestellt werden sollten. Aber es stand nicht drin, dass es nur Adivasi
gewesen sind, sondern die sah man draußen für die, schlechter Ausdruck, niederen
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Arbeiten gedacht. Aber die technisch komplizierteren, wie die Fachkräfte etwa,
wurden in ganz Indien rekrutiert.“
Dritte Sprecherin:
Für Mahasweta Devi war der erste Besuch bei Adivasis im Bezirk Palamau 1965 ein
Schock. Auf ihren Streifzügen von Dorf zu Dorf hat sich ihr immer wieder das gleiche
Bild geboten. Die Umwelt ist zerstört, für die Adivasi hat es weder Bildung, noch
medizinische Versorgung gegeben. Das Land war enteignet worden und die
Bewohner lebten unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Zweiter Sprecher:
Eine Reise führte mich in das 90 Kilometer entfernt von Rourkela liegende Dorf
Latchera. Die letzten 30 Kilometer fuhren wir mit dem allradgetrieben Jeep auf der
Piste durch den Dschungel. Vor mir fuhr ein Führer mit einem kleinen Moped. Der
Weg in das Dorf verändert sich ständig, mit jedem Regen.
Regie: Atmos
Vierter Sprecher:
„Vor 50 Jahren bin ich auf einen LKW geladen und hier herausgeschmissen worden.
Damals ist hier nichts als dichter Dschungel gewesen. Am Anfang hat man uns noch
Wasser und Essen gebracht. Aber wenn der Monsun kommt, sind die Wege
unpassierbar. Und so hat sich niemand mehr um unser Schicksal gekümmert. In
dieser Zeit sind viele von uns an Cholera und Windpocken gestorben. Die anderen
haben überlebt, weil sie Blätter von Bäumen und Blumen gegessen haben.
Manchmal müssen wir dies heute auch noch tun. Es ist schwierig, hier zu überleben.
Es gibt noch nicht einmal sauberes Trinkwasser. Aber wohin sollen wir gehen. Vor 50
Jahren ist uns als Entschädigung für unser Land Arbeit im Stahlwerk versprochen
worden. Aber die gibt es bis heute nicht. Wir gehören unterschiedlichen Stämmen
an. Einige sind Oráon andere Múnda, Khária oder Kissán. Damals, als man mich
hierher gebracht hat, bin ich erst neun Jahre alt gewesen. Deshalb kann ich mich
nicht mehr an die Namen derjenigen erinnern, die gestorben sind. Es sind zu viele
gewesen.“
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Zweiter Sprecher:
An einer Stelle am Rande des Dorfes war eine Grabstelle angelegt. Die
Dorfbewohner sagten, hier lägen diejenigen, die 1958 nach ihrem Abtransport in den
Dschungel starben. Über 500 Adivasi sollen es gewesen sein. Weiter hinten im Wald
wurden noch einmal 200 begraben, Christen und Animisten. Heute ist es ein heiliger
Platz für die Adivasi.
O-Ton Tiefensee (28´30´´- 31´50´´)
„Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass der Herakut Staudamm, der vorher
schon gebaut wurde und auch mit deutscher Hilfe, mit Hoch-Tief und später mit der
BBC, dass die schon zur Stromgewinnung für Rourkela bestimmt waren. Auch dort
sind damals jede Menge Adivasi vertrieben worden und dann ging es erst in
Rourkela los. Von der Vertreibung selbst wussten wir nichts. Aber wer länger da
gelebt hatte, der konnte sich aufgrund des riesigen Areals, was da zur Verfügung
stand, der musste sich einfach Gedanken machen: Hier haben ja vorher Menschen
gelebt. Es gibt zwar in Indien in der Verfassung einen Minderheitenschutz, bloß, der
zählt nicht viel, der steht mehr auf dem Papier und die Ansiedlung, die
Industrieansiedlungen laufen immer nach dem gleichen Schema ab mit Vertreibung
und Enteignung. Und Versprechungen, die nicht eingehalten werden. Mir ist relativ
schnell klar geworden, dass es dort so abgelaufen sein musste. Das Allerwichtigste
ist, dass man nicht an die Ausbildung der Adivasi gedacht hat, sondern sie sind eben
eine Unterschicht und man hat sie als Minderheit anerkannt und lässt sie dort leben
und verdrängt sie immer weiter und nimmt ihnen den Lebensraum aber an die
Ausbildung denkt niemand.“
Vierter Sprecher:
Das kulturelle Erbe
Erste Sprecherin (Bengali)
Zweite Sprecherin (Übersetzung Bengali):
„Die lebendige Sprache der einfachen Leute ist ein Muss für meine Literatur. Der
Reichtum der Sprache ist nicht genügend ausgeschöpft worden. Will man aber über
das alltägliche Leben der Menschen schreiben, muss man die Menschen kennen,
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über die man schreiben möchte. Unter Schriftstellern besteht aber nur geringes
Interesse, etwas über das ländliche Indien und seine Bevölkerung zu erfahren. Eine
gewaltige Fülle an Material bleibt dadurch ungenutzt. Ich versuche mein Bestes. Eine
Lebenszeit des Schreibens und der Feldforschung reichen nicht aus, und eine
Punarjanma, eine Wiedergeburt, gibt es nun einmal nicht. Wir müssen verstehen,
was die Menschen zu sagen haben.“
Atmo: Gehen und Vogelgeräusche
O-Ton Autor: (57 / ab 9´56´´ – 13´25´´)
„How many….in India“
Zweiter Sprecher (Übersetzung Autor):
„Wie viele Sprachen sind in Gefahr auszusterben?“
O-Ton Ashok Chaudhari:
„More than 600.“
Vierter Sprecher (Übersetzung):
„Mehr als 600.“
O-Ton Autor: (57 / ab 9:56
„Do you have…vanished?“
Zweiter Sprecher (Übersetzung Autor):
„Sind schon Sprachen ausgestorben?“
O-Ton Ashok Chaudhari:
„Yes,…Mesoran“
Vierter Sprecher (Übersetzung):
„Ja, einige. 52 kleinere Adivasigesellschaften sind bedroht. Sie könnten jederzeit
verschwinden… Jeder Baum hier steht für eine andere Sprache Indiens. Eines
Tages werden diese Bäume der Adivasi-Akademie Schatten spenden. Dies sind die
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Sprachen des Himalaya, wie die Dhiva Sprache oder das Ulushai aus dem
Nordosten Indiens aus der Provinz Mesoran.“
Zweiter Sprecher:
Eine Reise führte ins Dreiländereck der indischen Bundesstaaten Gujarat, Madhya
Pradesh und Maharashtra. Am Dorfrand von Tejgadh lag die aus luftgetrockneten,
roten Ziegelsteinen errichteten Gebäude der Adivasi-Akademie: Eine Art kulturelles
Labor der Adivasi Kulturen der Gegenwart. Es ist der größte und Einzige Ort seiner
Art.
Dritter Sprecher:
Unsoziales Verhalten bedeutet für die Adivasi den Untergang der Gemeinschaft. Die
Tradition erachtet soziales Verhalten als Nutzen und Vorteil bringend. Die
Ahnenverehrung und die beseelte Natur mahnen eine Lebensführung an, in der sich
jeder der Folgen seines Tuns bewusst sein muss.
Zweiter Sprecher:
Im Zentrum befindet sich die Bibliothek mit ihren 28.000 Büchern und 185
Fachzeitschriften zur Kultur, Geschichte und Gegenwart der 70 Millionen Adivasi
Indiens. Wie alle Gebäude des Campus ist auch sie architektonisch traditionellen
Adivasi Häusern nachempfunden. Die bis zu zehn Meter hohen Räume mit ihrer an
gotische Kreuzrippengewölbe erinnernde Dachkonstruktion aus Backsteinen kühlen
die heiße Luft.
Dritte Sprecherin:
Mahasweta Devi ist monatelang mit dem Englischprofessor Ganesh Devy durch den
westindischen Bundesstaat Gujarat gefahren. Sie haben einen Ort gesucht, an dem
eine Akademie gebaut werden könnte. In ihrer Vorstellung wird es ein Ort, der von
den Ureinwohnern selbst verwaltet wird, an dem das vom Untergang bedrohte
Wissen versammelt wird.
Zweiter Sprecher:
Der Direktor des Adavisi Instituts führte mich auf die Anpflanzung mit einigen
Hundert kleinen Bäumchen. Um jeden Stamm war mit einer Schnur ein Schild
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gebunden. Darauf war der Name einer Adivasisprache geschrieben, in lateinischer
Schrift. Der „Wald der Sprachen“ ist ein Symbol für die zahlreichen Sprachen des
indischen Subkontinents. Und eine Mahnung der Adivasi, die kulturelle und
sprachliche Vielfalt als kulturelles Erbe der gesamten Menschheit zu betrachten.
Regie: Gesang Adivasikinder
Dritte Sprecherin: (Übersetzung Gesang der Waisenki nder)
„Wir sind die Kinder der Sonne
Auch wenn wir klein sind,
werden wir euch in der Dunkelheit leuchten
Und auch
wenn es immer dunkler wird auf der Erde
Das schreckt uns nicht
Wir werden immer ein Licht
in der Dunkelheit sein.“
Vierter Sprecher:
Epilog: Mahasweta Devi in Kalkutta
Zweiter Sprecher:
In einer englischsprachigen indischen Tageszeitung ist ein Bild von Mahasweta Devi
abgedruckt. Die Schriftstellerin trägt eine dicke Brille. Mahasweta Devi kennt keine
Eitelkeiten. In dem Artikel beschimpft sie den Staatssekretär der regierenden
Kommunistischen Partei im südindischen Bundesstaat Kerala. Sie würde seiner
Einladung nicht nachkommen, da er in einem Palast lebe. Mahasweta Devi ist
gefürchtet.
O-Ton Devi (ohne Übersetzung 41´10´´)
„…continue, continue, continue….have your tea first!“
Zweiter Sprecher:
Die letzte Reise führte nach Kalkutta in das Haus von Mahasweta Devi. Zwei Tage
dauerte die Suche. Niemand wusste, wo die berühmte Schriftstellerin lebt. Alle
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Adressen und Telefonnummern waren falsch. Endlich erhielt ich den entscheidenden
Hinweis. Hinter einer Polizeistation führte ein staubiger Weg zwischen Feldern von
der Hauptstraße weg aus der Stadt. Nach einem Kilometer stand ich vor einem
kleinen dreistöckigen Haus. Warum sollte gerade hier eine Hausnummer und ein
Name an der Tür zu finden sein, wenn dies in Indien niemals der Fall ist.
O-Ton Devi (57´-59´)
„It was a rented house and I was sick of….
Zweite Sprecherin (Übersetzung Mahasweta Devi):
„Ich habe in einem Mietshaus gewohnt und habe genug davon gehabt. Dann habe
ich dieses Stück Land bekommen. Als das Haus gebaut worden ist, bin ich kein
einziges Mal hierher gekommen. Nachdem es fertig war, bin ich eingezogen. Ich
habe den Platz für meine Bücher gebraucht. Überall sind meine Bücher, hier, im
Keller und im unteren Stockwerk, überall. Ich habe entschieden, dass ich eine
Mahasweta-Devi-Stiftung gründen werde. Sie soll dazu dienen, über meine Literatur
und über alles, was ich über die Adivasi gesammelt habe, zu forschen. Außerdem
soll meine Literatur in andere Sprachen übersetzt werden. Ich habe geschrieben und
war politische Aktivistin. Alles ist in meinem Haus vorbereitet. Bücher sind so wichtig
und es gibt immer wieder Anfragen von Forschern…“
Regie: Atmo: Telefon klingelt und sie telefoniert
Zweiter Sprecher:
Unablässig klingelte das Telefon, kamen Besucher, Hausangestellte geisterten
gleichzeitig ständig um die alte Frau herum. Sie meinten wohl, Mahasweta Devi
beschützen zu müssen. Das Gespräch war der Schriftstellerin sichtlich unangenehm.
Was sollte sie auch einem Journalisten erklären wollen, der in einem anderen Erdteil
lebt. Was er wohl verstanden hätte?
O-Ton Devi (1h 15´-1h 18´46´´)
„How does it feel..
Zweite Sprecherin (Übersetzung Mahasweta Devi):
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„Wie man sich mit 86 fühlt? Toll! Was ich noch vorhabe? Ich schreibe, schreibe,
schreibe. Ich habe keine festen Zeiten. Denn schon ab dem frühen Morgen kommen
Leute aus den Dörfern. Leute, die in einer misslichen Lage sind, kommen immer zu
mir. Ich kenne die Adivasi-Dörfer, aus denen sie kommen. Sie fühlen, dass sie den
Weg zu mir gehen können. Ich helfe ihnen, wo ich kann. Sie rufen mich auch ständig
an. Aber ich bin kein Anwalt für sie. Ich bin nur ich selbst, ich denke, ich bin nur ich
selbst.“
ENDE