das recht im denken der sophistik () || ix. zusammenfassung

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IX. Zusammenfassung Nach allgemeiner Vorstellung besteht das wesentliche Merkmal des sophistischen Rechtsdenkens darin, lebenspraktische Fragen frei von religiösen und konventionellen Vorgaben zu untersuchen 1 . Angesichts der bei den Sophisten beobachtbaren Neigung, menschliche Eigenarten und gesellschaftliche Strukturen empirisch zu betrachten, könnte man geneigt sein, dem sophistischen Rechtsdenken wie der Sophistik überhaupt schon deswegen eine gewisse Einheitlichkeit zu bescheinigen, weil empirisches Vorgehen dazu veranlaßt, bestimmte Prinzipien und bestimmte Grundgedanken (z.B. den praktischen Nutzen) zu beachten. In Wirklichkeit weist jedoch - wie die voraufgehenden Einzelinterpretationen gezeigt haben - das sophistische Rechtsdenken eine Vielfalt auf, die es verbietet, etwa nach dem sophistischen Rechtsbegriff zu suchen. Ebenso schwierig ist es, exakt die Herkunft der sophistischen Rechts- vorstellungen zu bestimmen 2 und die Abhängigkeiten nachzuzeichnen, die zwischen den einzelnen Sophisten untereinander und zur zeitgenössischen Literatur bestehen. Auf wie wenig zuverlässigem Boden sich die Wissenschaft diesbezüglich befindet, sei am Beispiel Antiphons verdeutlicht: 1. Die Frage, ob der Sophist Antiphon und der Redner und Politiker Antiphon von Rhamnus eine oder zwei verschiedene Personen waren, ist bis heute ungeklärt und kann anhand der überlieferten Schriften und Zeugnisse nur vermutungsweise in letzterem Sinne beantwortet werden. 1 Trotz gewisser auffälliger Gemeinsamkeiten (beispielsweise der Skepsis gegenüber überkommenen Vorstellungen und einer säkularen Grundhaltung) ist es nicht ratsam, die Sophistik vorbehaltlos mit der neuzeitlichen Aufklärung zu verbinden, denn im Gegensatz zu dieser entsprang die Sophistik nicht dem Drang, bestehende Autoritäten zu überwinden (wie die abendländische Kirche und die sich auf das Gottesgnadentum berufenden Herrschaften). Vgl. dazu auch Taureck 1995,35-42. Tenbruck 1984, 27f. folgt zwar der Tradition, die Sophistik als Aufklärung zu bezeichnen, erkennt aber treffend, daß sie gerade dem Fehlen eines „organisierten Priestertum[s]" (ebd. 28) ihre Entstehung verdankte. Es ist daher angebracht, statt die Sophistik an der modernen europäischen Aufklärung zu messen, beide Epochen unter das Lemma „Überwindung überkommener Tradition" zu fassen. Man würde so den Gemeinsamkeiten beider Bewegungen gerecht, ohne ihre z.T. erheblichen historischen Unterschiede zu leugnen. Vgl. Einleitung, S.6f. 2 Das würde zudem den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/4/13 2:28 PM

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IX. Zusammenfassung

Nach allgemeiner Vorstellung besteht das wesentliche Merkmal dessophistischen Rechtsdenkens darin, lebenspraktische Fragen frei vonreligiösen und konventionellen Vorgaben zu untersuchen1.

Angesichts der bei den Sophisten beobachtbaren Neigung, menschlicheEigenarten und gesellschaftliche Strukturen empirisch zu betrachten, könnteman geneigt sein, dem sophistischen Rechtsdenken wie der Sophistiküberhaupt schon deswegen eine gewisse Einheitlichkeit zu bescheinigen,weil empirisches Vorgehen dazu veranlaßt, bestimmte Prinzipien undbestimmte Grundgedanken (z.B. den praktischen Nutzen) zu beachten. InWirklichkeit weist jedoch - wie die voraufgehenden Einzelinterpretationengezeigt haben - das sophistische Rechtsdenken eine Vielfalt auf, die esverbietet, etwa nach d e m sophistischen Rechtsbegriff zu suchen.

Ebenso schwierig ist es, exakt die Herkunft der sophistischen Rechts-vorstellungen zu bestimmen2 und die Abhängigkeiten nachzuzeichnen, diezwischen den einzelnen Sophisten untereinander und zur zeitgenössischenLiteratur bestehen. Auf wie wenig zuverlässigem Boden sich dieWissenschaft diesbezüglich befindet, sei am Beispiel Antiphonsverdeutlicht:1. Die Frage, ob der Sophist Antiphon und der Redner und PolitikerAntiphon von Rhamnus eine oder zwei verschiedene Personen waren, istbis heute ungeklärt und kann anhand der überlieferten Schriften undZeugnisse nur vermutungsweise in letzterem Sinne beantwortet werden.

1 Trotz gewisser auffälliger Gemeinsamkeiten (beispielsweise der Skepsisgegenüber überkommenen Vorstellungen und einer säkularen Grundhaltung) ist es nichtratsam, die Sophistik vorbehaltlos mit der neuzeitlichen Aufklärung zu verbinden, dennim Gegensatz zu dieser entsprang die Sophistik nicht dem Drang, bestehende Autoritätenzu überwinden (wie die abendländische Kirche und die sich auf das Gottesgnadentumberufenden Herrschaften). Vgl. dazu auch Taureck 1995,35-42. Tenbruck 1984, 27f. folgtzwar der Tradition, die Sophistik als Aufklärung zu bezeichnen, erkennt aber treffend, daßsie gerade dem Fehlen eines „organisierten Priestertum[s]" (ebd. 28) ihre Entstehungverdankte. Es ist daher angebracht, statt die Sophistik an der modernen europäischenAufklärung zu messen, beide Epochen unter das Lemma „Überwindung überkommenerTradition" zu fassen. Man würde so den Gemeinsamkeiten beider Bewegungen gerecht,ohne ihre z.T. erheblichen historischen Unterschiede zu leugnen. Vgl. Einleitung, S.6f.

2 Das würde zudem den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen.

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2. Gemeinhin gilt der Einflu Antiphons auf die Wolken des Aristophanesals erwiesen (s.o. S.268f.). Doch weil sich bei Aristophanes eherallgemeine Ankl nge an die νόμος-φύσις-Debatte finden, die nichtnotwendig Antiphons Wirken zugeschrieben werden m ssen, taugen dieWolken allenfalls dazu, allgemein den terminus ante quern fur die νόμος-φύσις-Debatte zu bestimmen. M glicherweise griff Antiphon selbst aufSchriften oder Vorl ufer zur ck, die wegen der d rftigen berlieferungheute unbekannt sind.3. Antiphon mag sich mit seinem Buchtitel 'Αλήθεια bewu t an Protagorasanlehnen und gegen ihn abgrenzen. Doch w re es einseitig, seine Schrift imwesentlichen als Polemik gegen den Abderiten zu deuten3, und die Deutungauf einen Vergleich beider - so n tzlich er auch sei - zu beschr nken, zumaldem Begriff der αλήθεια in der eleatischen Philosophie und bei allenDenkern, die gegen diese polemisieren4, eine Schl sselstellung zukommt.Demzufolge ist mit vielschichtigen Verflechtungen zu rechnen.

Diese Einzelfragen m gen verdeutlichen, welche Schwierigkeiten demVersuch entgegenst nden, das sophistische Rechtsdenken historisch getreuin seiner Entwicklung darzustellen. Im wesentlichen sind es drei:1. Die berlieferungslage ist h ufig zu d rftig, als da sie zuverl ssigeSchlu folgerungen gestattete.2. Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen sophistischen Texten oder mitder zeitgen ssischen Literatur beweisen oftmals nicht mehr als eingemeinsames geistiges Klima. Allenfalls l ngere w rtliche bereinstim-mungen sind von h herem Beweiswert.3. Monokausale Erkl rungen (Autor ,x' h ngt von Autor ,y' ab bzw.wendet sich gegen ,y') sind im allgemeinen zu einseitig, um einen Textwesentlich auszusch pfen. Selbst wenn eine Beziehung nachweislichbesteht, so schlie t sie andere Abh ngigkeiten nicht aus - selbst dann nicht,wenn solche bislang nicht nachgewiesen sind.

Deswegen sei im folgenden im wesentlichen keine chronologische,sondern eine systematische Zusammenschau des sophistischenRechtsdenkens versucht, so wie es sich nach den voraufgehenden

3 Vgl. Bignone 1938, 72ff. u. Regenbogen 1940, lOlf.4 Vgl. Gorgias VS 82 B 3.

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Einzelinterpretationen darstellt5. Unzweifelhafte Kenntnisse über diechronologische Abfolge der einzelnen relevanten Autoren6 dienen selbst-verständlich als Stütze, doch muß sich die dargestellte systematische Abfol-ge - sofern sich eine solche erkennen läßt - nicht notwendig mit derchronologischen decken. Der Vollständigkeit halber sei im Anschluß einechronologische Skizze geboten, die allerdings nicht den Anspruch erhebt,das sophistische Rechtsdenken erschöpfend zu erfassen.

1. Versuch einer systematischen Übersicht

Im Rahmen einer systematischen Übersicht ist es sinnvoll, die für dassophistische Rechtsdenken zentralen Begriffe herauszugreifen und zuverfolgen, wie die jeweiligen Vertreter sie verstanden und verwandt haben.Dazu bieten sich acht Begriffe in folgender Reihenfolge an:

Um auch die theoretischen Grundlagen des sophistischen Rechtsdenkenszu erfassen, ist es durchaus angebracht, mit dem Begriff W a h r h e i t zubeginnen. Auf den ersten Blick scheint er mit dem Rechtsdenken im engerenSinne nichts zu tun zu haben. Tatsächlich fußt aber das Rechtsdenken -sowohl das sophistische, als auch das anderer Zeiten -, selbst wenn es sichnur darauf beschränkte, zu bestimmen, was gerecht ist, immer aufbestimmten philosophischen Voraussetzungen und ist mit bestimmtenImplikationen verwoben. Wer beispielsweise Gerechtigkeit definierenmöchte, setzt ihre Definierbarkeit voraus und sieht sich daher vor dieAufgabe gestellt, den wahren Gerechtigkeitsbegriff herauszufinden. Er

5 In der neueren Forschung wird allenfalls der Versuch unternommen, die Sophistikals solche systematisch darzustellen (vgl. z.B. die Kapiteleinteilung bei Guthrie III 1969u. Kerferd 1981), wobei einzelne Gesichtspunkte des sophistischen Rechtsdenkens (v.a.

, , Vertragstheorie und Gleichheit der Menschen) mit erfaßt werden. EineZusammenschau jedoch, die sich auf das sophistische Rechtsdenken konzentriert und eszudem nach den im folgenden genannten acht Begriffen gleichermaßen untersucht, wurdebislang nicht unternommen.

6 Beispielsweise gilt Protagoras unstrittig als der Archeget der eigentlichenSophistik, auch wenn er selbst so manchen Vorläufer hatte (vgl. Plat. Prot. 316d u.Simonides frgg. 542 Page u. 15 West; dazu Jaeger I 1934, 375, Nestle 21942, 253f.,Lesky 31971, 224) und sein erklärtes Ziel, zu vermitteln, sich an denFähigkeiten einflußreicher Vorläufer wie Themistokles orientiert (vgl. Naddaf 1992,274f.).

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setzt sich also nolens volens ebenso mit der Frage nach der Wahrheitauseinander, wie derjenige, der die Definierbarkeit der Gerechtigkeitbestreitet.

Dar ber hinaus bed rfen beide eines Prinzips, auf das sie ihreAuffassung von Wahrheit gr nden k nnen, und im Rahmen dessophistischen Rechtsdenkens dient vielfach der Begriff φ ύ σ ι ς dazu,diese Grundlage zu bieten. Als Gegenbegriff zur φύσις verdientanschlie end der ν ό μ ο ς eine eingehende Erw hnung, derbemerkenswerterweise keineswegs von allen Vertretern des sophistischenRechtsdenkens als Inbegriff von Willk r und Schein abgelehnt wird, selbstwenn sogar seine Bef rworter aus der Zeit der Sophistik ihn alsMenschenwerk begreifen. Eine zentrale Stellung nimmt selbstverst ndlichder Begriff δ ί κ α ι ο ν ein, und er sollte deswegen im Anschlu an denνόμος besprochen werden, weil sowohl seine Bef rworter als auch seineGegner ihn in der Regel nicht losgel st vom νόμος betrachten. Nichtweniger zentral f r das sophistische Rechtsdenken ist die Frage nach demN u t z e n , denn da die Sophisten sich als Praktiker verstehen, orientierensie gerade ihre rechtsphilosophischen und ethischen Anschauungen an ihmals festem Ma stab. Schlie lich f hren Nutzenerw gungen in der Sophistikzu Spekulationen ber einen G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g als demtheoretischen Ursprung der menschlichen Gemeinschaft, wobei die Fragenach der besten V e r f a s s u n g sich unweigerlich anschlie t.Abschlie end ist zu untersuchen, ob etwaige Vorstellungen von einerpolitischen Gleichheit der Mitglieder einer Gemeinschaft nicht auch denAnsto dazu gegeben haben k nnten, grunds tzlich die G l e i c h h e i ta l l e r M e n s c h e n zu behaupten.

Eine nach diesen acht zentralen Begriffen geordnete Zusammenschauvermag m glicherweise die Vielschichtigkeit des sophistischenRechtsdenkens zu erhellen.

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a) Wahrheit und Relativismus

Den Zeugnissen zufolge befaßten sich von den uns bekannten SophistenProtagoras, Gorgias7 und möglicherweise auch Antiphon explizit mit derWahrheit als Grundlage der menschlichen Erkenntnis8. Von diesen zogenbekanntlich Protagoras und Gorgias die Möglichkeit objektiver Wahrheits-erkenntnis in Zweifel. Gorgias ging sogar so weit, die Mitteilbarkeit vonAussagen zu bestreiten9, dies aber wohl eher in der Absicht, scherzhaft dieeleatische Ontologie anzugreifen10.

Weniger scherzhaft beschäftigt sich Protagoras mit dem Wahrheitsgehaltmenschlicher Wahrnehmungen und Vorstellungen. Zwar nicht begrifflich,aber der Sache nach unterscheidet er zwischen einem subjektiven und einemobjektiven Wahrheitsbegriff: Den meisten diesbezüglichen Zeugnissenzufolge erklärt er mit seinem Homo-Mensura-Satz alle Urteile, die eineinzelner aufgrund seiner Wahrnehmungen und Vorstellungen fällt, fürsubjektiv richtig: Wer einen Wind als kalt empfindet, für den ist er kalt, werHonig für bitter hält, hat nicht weniger recht, als derjenige, für den er süßschmeckt, und was ein Mensch oder eine Polis für gerecht erachtet, verhältsich für die Betreffenden tatsächlich so11. Im Unterschied zu Gorgias ebneter damit aber nicht einem reinen Skeptizismus das Feld, sondern verhilftallen subjektiven Vorstellungen gleichermaßen zu ihrem Recht, indem er sie

7 Auch wenn Gorgias sich eher als Redner und Redelehrer hervortat, sind dochseine Beziehungen zur Sophistik eng genug, um ihn in diesem Zusammenhang zuberücksichtigen.

8 VS 80 B l (Protagoras), VS 82 B 3 (Gorgias), VS 88 B l (Antiphon). MagAntiphon B l in seiner Bedeutung auch umstritten sein, so bezeugt doch wenigstens derfür ihn gesicherte Buchtitel sein erkenntnistheoretisches Interesse.

9 VS 82 B 3 (VS II p. 279,34f.)10 Gorgias stellt in B 3 drei offenkundig inkonsistente Sätze auf, von denen

wenigstens der dritte (sc. wenn etwas erkennbar wäre, wäre es nicht mitteilbar) ihm inseiner Inkonsistenz allein deswegen nicht entgangen sein dürfte, weil er sich selbst jadarum bemüht, genau diesen Sachverhalt mitzuteilen. Wer diese Gedanken als ernst zunehmenden Angriff auf die eleatische Seinslehre (Hösle 1984, 244ff.) oder gar als derenRadikalisierung wertet (Buchheim 1986, 53 Anm. 29; vergleichbar auch Solmsen 1975,20f. u. 47), unterstellt Gorgias nicht nur eine gewisse Naivität, sondern übersieht, daß erandernorts zugibt, ein bloßes zu betreiben (vgl. VS 82 B 11,21). Angesichtsdieses Bekenntnisses ist eine eher spielerische Absicht auch für B 3 nicht auszuschließen.

1l Vgl. Plat. Theaet. 152aff. u. 166dff.

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unterschiedslos für wahr erklärt12. Im Grunde vertritt er lediglich einenrelativistischen Standpunkt, indem er einen objektiven Maßstab dermenschlichen Erkenntnis leugnet, der es ermöglichen könnte, wahrereVorstellungen gegen weniger wahre oder sogar definitiv falscheabzugrenzen. Stattdessen gesteht er jedem einzelnen Menschen den Rangeines solchen Maßstabes zu - der aber natürlich für niemanden außer demBetreffenden selbst verbindlich sein kann.

Um nun angesichts der Gleichberechtigung in Sachen »Wahrheit* seinenAnspruch aufrechtzuerhalten, ein zu sein, behält Protagoras im Feldedes Nutzens die Vorstellung einer objektiv gültigen und allgemeinerkennbaren Wahrheit bei13. Der zeichnet sich gegenüber den

12 Aus dieser Gleichberechtigung aller Vorstellungen folgern manche Gelehrte, derHMS begründe philosophisch das demokratische Prinzip; vgl. Huss 1996, 248f.Möglicherweise verbirgt sich dahinter aber ein anderes Motiv: Indem Protagoras alleVorstellungen für gleichermaßen wahr erklärt, braucht er sich nicht um das wahre Weseneiner Sache zu sorgen, von dem ja alle Vorstellungen abwichen, wenn sie falsch wären.Außerdem ist er Sensualist genug, um die Wirklichkeit jeder Empfindung - sei es dieeines Gesunden oder eines Kranken - anzuerkennen. Jedoch liegt wohl das stärksteArgument gegen die demokratische Deutung in der Fähigkeit des , ggf. a l l e i ndas wahrhaft Nützliche zu erkennen.

13 Daß Protagoras die Möglichkeit absolut wahrer Vorstellungen und Empfindungenbestreitet, ist in der Forschung hinreichend anerkannt. Selbst Buchheim 1986, 53, der sichbemüht, den HMS ohne die seit Platon übliche philosophische Unterscheidung von,Ding' und .Eigenschaft' zu verstehen und feststellt, erst dadurch, daß der HMS „dieZugänglichkeit der ganzen Wirklichkeit konstatiert, ist ... der Mensch überhaupt erstwieder fähig zur vollen Wahrheit", spricht von einer „wahren Inflation" der Wahrheit beiProtagoras (ebd. u. Anm. 29) - offenkundig, weil auch seiner Ansicht nach der Homo-Mensura-Satz die Möglichkeit bestreitet, wahre Vorstellungen von weniger wahren odergar falschen zu unterscheiden.

Hingegen geht - wenn ich recht sehe - niemand auf den objektiven Wahrheitsbegriffein, den Protagoras der .Apologie' in Platons Theaitetos zufolge in der Frage des Nutzenseinräumt, wenn er beispielsweise den Arzt mit dem auf eine Stufe stellt, weil ereinem Kranken, dem Süßes bitter schmeckt, zu einer gesunden und .besseren'verhelfe (Plat. Theaet. 167a3-6). Da der Arzt schwerlich auf das achtet, was dem Krankennach seiner Auffassung lediglich nützlich zu sein s c h e i n t , sondern er diesem nachden Worten des .Protagoras' tatsächlich hilft, erkennt er offenbar das für den Krankeno b j e k t i v Nutzliche. Gleiches gilt für den Gärtner, der schwache Pflanzengesundpflegt, und den Redner als Ratgeber der Stadt. Man mag diesen Anspruch des

, die anderen von dem für sie selbst Nützlichen zu überzeugen, de facto als bloßenE r s a t z für Objektivität ansehen und sich fragen, ob eine derartige Position, diegleichzeitig eine subjektive Erkenntniswahrheit und eine objektive Nutzenwahrheitbehauptet, p h i l o s o p h i s c h vertretbar ist, doch läßt sich insbesondere mit der sog..Apologie' in Platons Theaitetos hinreichend belegen, daß Protagoras de facto den

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anderen Menschen durch die Fähigkeit aus zu erkennen, was jeweils einerbestimmten Person in einer bestimmten Situation nützt. So sieht der Arzt als

, was für einen Kranken von Nutzen ist, und der gute Redner vermagdie dazu zu bewegen, dasjenige für gerecht zu halten, was ihrnützt14. Weit entfernt davon, einem schrankenlosen Relativismus Tür undTor zu öffnen, hält Protagoras in Fragen des Nutzens an der Möglichkeitobjektiver Wahrheitserkenntnis fest und behält dem die Rolle desdarin kompetenten Fachmannes vor. Objektiv Wahres offenbart sich wederjedem von selbst, noch kann es auf demokratischem Wege perMehrheitsentscheid erkannt werden15.

Nun hat es den Anschein, als verträte Protagoras in der Frage desNutzens insofern einen relativistischen Standpunkt, als er ,an sich' nützlicheDinge leugnet, weil ein und dieselbe Sache teils nützen, teils aber auchschaden könne16. Doch ist diese Auffassung weniger relativistisch als esscheint, denn Protagoras kennt einen objektiven Maßstab, der esermöglicht, das jeweils Nützliche zu erkennen: Das objektive Maß bildet derjeweilige Nutznießer: Da das, was dem Menschen nützt, nicht notwendigauch für ein Tier von Vorteil ist und umgekehrt, läßt sich nur mit Blick aufden Nutznießer objektiv entscheiden, was ihm jeweils nützt. DieseVerfahrensweise hat zudem den Vorteil, individuellen Ansprüchen gerechtzu werden, statt apodiktisch festzulegen, worin Nutzen inhaltlich besteht.Festhalten läßt sich, daß Protagoras neben der subjektiven, unverbindlichenWahrheit der Vorstellungswelt eine objektive Nutzenwahrheit mitverbindlichem Maßstab behauptet, die es ihm ermöglicht, auch inrechtsphilosophischen Fragen definitive Entscheidungen zu treffen: Dennmag es auch schwierig sein zu bestimmen, was gerecht und was ungerecht

Anspruch erhebt, als eine von dem für sie t a t s ä c h l i c h Nützlichen zuüberzeugen. Die eigentliche Anmaßung des Protagoras besteht vielmehr darin, dieFähigkeit, das tatsächlich Nützliche zu erkennen, dem vorzubehalten. Einzig Apelt41920, 165 scheint Protagoras' Unterscheidung einer subjektiven Sinnen- und einerobjektiven Nutzenwahrheit im Ansatz zu erkennen, wenn er von einem „Übergang von dersubjektiven Wahrheit der Sinnesanschauung zu einer objektiven Beurteilung des Gutenund Nützlichen (166df.)" spricht. Dazu s.o. Kap. I l a, S.25f., Anm. 39.

14 Vgl. Plat. Theaet. 167c.15 Deswegen ist es entgegen der v.a. in jüngerer Zeit vertretenen Forschungs-

meinung schwierig, den Homo-Mensura-Satz als Beleg für Protagoras' demokratischeGrundhaltung in Anspruch zu nehmen; vgl. Huss 1996, 248f.

16 Vgl. Plat. Prot. 334a-c.

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ist, so l t sich doch entscheiden, was einem Menschen oder einer πόλιςobjektiv n tzt.

Demgegen ber sind in den Fragmenten des Sophisten Antiphon keinerelativistischen, sondern allenfalls sprachkritische Bemerkungen erkennbar.M glicherweise17 zweifelt er, ob die menschliche Sprache sich immereignet, den Wahrheitsgehalt der Dinge zu vermitteln, oder ob sie nichtvielmehr Gefahr l uft, Begriffe zu pr gen, denen im Extremfall nichtsTats chliches entspricht18. Angesichts der Kritik, die Antiphon an denνόμοι als rein willk rlicher Vereinbarung u ert19, w re ihm ein derartigerStandpunkt zuzutrauen, zumal anderen Zeugnissen zufolge manche seinerZeitgenossen die Sprache tats chlich als blo e Konvention ansahen, dienicht notwendig dasjenige, was sie bezeichnet, getreu abbildet20.

Unzweifelhaft kennt Antiphon eine grunds tzlich erkennbare undobjektiv g ltige Wahrheit, die er eindeutig auf die φύσις gr ndet21. Wie f ralle Vertreter der νόμος-φύσις-Debatte, so ist auch f r Antiphon die φύσιςder Garant objektiver Wahrheiten, dem die νόμοι als Inbegriff des Scheinsentgegenstehen22. Mag die eleatische Philosophie mit ihrem Seinsbegriffnach Ansicht der Sophisten auch wirklichkeitsfremd sein, so ist doch dasBestreben mancher Sophisten beachtlich, die φύσις zu einer hnlichunumst lichen Gr e zu erheben, die allerdings gegen ber einemumfassenden Seienden in der Regel empirisch greifbar bleibt - sei es alskosmische All-Natur, sei es als menschliche Natur23. Daher ist es nurkonsequent, wenn Platon den Kallikles mit ihrer Hilfe den .wesentlichen'Gerechtigkeitsbegriff begr nden l t24.

17 Diese Deutung h ngt davon ab, ob man Morrisons Rekonstruktion von frg. B lund die von mir daraus abgeleiteten Schlu folgerungen teilt.; s.o. Kap. V 6, S.246ff.

18 Ein Beispiel daf r bietet f r Antiphon m glicherweise der Begriff δίκαιον, dennwenn Morrisons Deutung zutrifft, ist es nicht unzul ssig, Antiphon zuzutrauen, da erGrundgedanken von B l auch anwandte. S.o. Kap. V 6, S.246ff.

19 VS 87 B 44 A I 29 u. 33f. όμολογηθέντα und III 18-2520 Vgl. Hermogenes in Platons Krat. 384c8ff.21 Vgl. B 44 A II 21-23 (Schaden auf seilen der Natur ist δν' άλήθειαν) und IV 8-

14 (Nach der .richtigen Rede' [όρθφ γε λόγο)] schadet Schmerzliches der Natur mehr alsAngenehmes).

22 Zum φύσις-Begriff im einzelnen s.u. S.368ff.23 Abstrakt ist der φύσις-Begriff der Sophistik allenfalls dann, wenn er das Wesen

einer Sache bezeichnet.24 Plat. Gorg. 483c8-d2

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Wie daraus folgt, kann weder Antiphon noch irgendein andererAnhänger der einen Relativismus vertreten, der wahrheitsgemäßeErkenntnis a priori für ausgeschlossen erklärt. Zieht noch Protagoras dieMöglichkeit einer verbindlichen Wahrheitserkenntnis in Zweifel (außer inFragen des Nutzens), so beschränkt Antiphon sich darauf, dasMenschenwerk der und insbesondere die Sprache als teilweiseunbrauchbar anzusehen.

Der Verfasser der hingegen wittert sogar in dem nurscheinbaren Relativismus, den Platon für Protagoras in der Frage desNutzens bezeugt (s.o.), die Gefahr, daß seiner Auffassung nach deutlichvoneinander geschiedene Größen wie ,gut' und .schlecht', ,schön' und.schändlich', »gerecht' und .ungerecht' gänzlich durcheinander geraten25.Auch wenn er diese zeitgenössischen vermeintlichen Relativisten dabeianscheinend mißversteht, indem er deren Behauptung, ein und dieselbeSache könne teils .gut', teils .schlecht' sein etc., auf die jeweiligenEigenschaften überträgt, als setzten sie ,gut' und »schlecht* ausdrücklichmiteinander gleich, so sind seine Ausführungen dennoch insofernbemerkenswert, als sie gerade in sittlichen und rechtlichen Fragen objektiveWahrheitskriterien wünschen26. Weil er letztlich nicht aus dem Kreiskonventioneller Alltagsmoral heraustritt, bereitet es ihm keine Schwierig-keiten, auch das Gerechte für eine feste Größe zu halten.

Insgesamt bietet die Sophistik selbst sämtliches Rüstzeug, mit dem sichder ihr zugeschriebene Relativismus überwinden läßt. Keiner ihrer Vertreterteilt den Skeptizismus des Gorgias (B 3), Protagoras bezweifelt zwar, obsich generell wahrere von weniger wahren Vorstellungen unterscheidenlassen, hält aber wenigstens im Bereich des Nutzens objektive Erkenntnisfür möglich; Sprachkritiker - wie möglicherweise Antiphon der Sophist -bestreiten lediglich die Aussagekraft der menschlichen Sprache27 und

25 Vgl. VS 90 insb. 1-5 (VS II p.405-415)26 Bislang wurde zu wenig beachtet, daß die . . dem protagoreischen Relativimus

eindeutig widersprechen und gerade in sittlichen Fragen feste Maßstäbe postulieren; dazus.o. Kap. VIII l, S. 334-50.

27 Allerdings ist nicht bekannt, ob einer der Sophisten das Problem der Inkonsistenzerkannte: Für Gorgias läßt sich das allenfalls vermuten, denn wenn er beispielsweise dieMitteilbarkeit einer Erkenntnis bestreitet, so muß wenigstens diese Erkenntnis mitteilbarsein. Ähnlich kann sich kein Sprachkritiker sicher sein, ob er mit seiner sprachlichformulierten Kritik das Wesentliche trifft. Letzteres träfe aber nur auf rigorose

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gerade die - -Debatte scheint aus dem Bedürfnis erwachsen zusein, angesichts der wandelbaren und unzuverlässigen menschlichenKonventionen mit der wieder festen Boden unter den Füßen zugewinnen.

Generell gilt in der Sophistik die Wahrheitserkenntnis als erreichbaresund erstrebenswertes Ziel, auch (oder gerade) wenn sie überkommeneRechts- und Moralvorstellungen auf den Kopf stellt. Eine Ausnahme vondieser Regel bildet möglicherweise das sog. Sisyphos-Fragment: In ihmbezeichnet der Sprecher die Erfindung des Götterglaubens zwar als eineLüge ( , v.26), doch erweist diese sich in dem berichtetenZusammenhang als durchaus nützlich, gelingt es einem klugen Menschendoch mit ihrer Hilfe, das heimliche Unrecht zu beseitigen. Der erhalteneText bietet leider keinen Hinweis darauf, wie der Sprecher oder gar derVerfasser diesen Betrug bewertet. Die Tatsache des Betruges allein istjedoch kein hinreichender Grund, die Erfindung des Götterglaubens zuverurteilen, denn nach der in dem Sisyphos-Fragment geschildertenSituation müßten die Menschen, wenn die Wahrheit über die Gottesfurchtans Licht käme, wieder in den Zustand des heimlichen Unrechtszurückfallen28. Der Text zeigt sich demnach möglicherweise von einer ganzneuen Seite: Da der Sprecher die Überwindung des anarchischenUrzustandes begrüßt, wäre die Erkenntnis bzw. die Verbreitung derWahrheit in diesem Falle dem gesellschaftlichen Fortschritt sogarhinderlich, solange sich kein Mittel fände, das die Leistung des

Sprachkritiker zu. Die uns bekannten diesbezüglichen Äußerungen der Sophistik(Antiphon Inbegriffen) gehen jedoch keineswegs so weit, die Aussagekraft der Sprachegenerell in Frage zu stellen.

Im 5. Jh. könnte nach unserer Kenntnis lediglich Demokrit mit seiner Kritik des HMSdas Problem der Inkonsistenz erkannt haben; vgl. Sext. Emp. adv.math. VII 389/90.

28 Wenn man - nach der in der modernen Forschung Üblichen Lesart (s.o. Kap. VIl, S. 275, Anm. 9 u. 10) - den fiktiven Charakter des Götterglaubens, den frg. B 25 offeneinräumt, lediglich als rationalistische Religionskritik deutet, ist man geneigt zuübersehen, daß die Religion nach den Worten des Sprechers von B 25 (insb. v.40) einenüberaus sinnvollen Zweck erfüllt. So gesehen muß der Sprecher nicht notwendigunumschränkte Wahrheitserkenntnis begrüßt haben. Eine ausschließlich religionskritischeDeutung von B 25 läuft Gefahr, die nach modernem Verständnis selbstverständlicheWertschätzung von Wahrheit und ihre Zugänglichkeit für jeden auf einen Text zuübertragen, der möglicherweise die modernen Prämissen nicht teilt.

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G tterglaubens angemessen ersetzen k nnte. So gesehen bezeugt B 25schon f r das 5. Jh. die Ansicht, da Wahrheitserkenntnis nicht immer diemenschliche Entwicklung f rdert.

b) Physis

In rechtsphilosophischen Fragen berufen sich einige Vertreter derSophistik nachweisbar auf die φύσις, wenn sie wahre Aussagen treffenwollen. Angesichts dieser offensichtlichen Gemeinsamkeit ist es sinnvoll zuuntersuchen, ob und inwiefern ihr jeweiliges φύσις-Verst ndnisvoneinander abweicht. Dazu sei zun chst der urspr ngliche Sinn diesesBegriffes skizziert:

In seiner etymologischen Grundbedeutung bezeichnet φύσις29 das.Wachstum' einer Sache und dies in dreifachem Sinne: Als Ursprung, alsEntwicklung und als Ergebnis einer Entwicklung30. Da es zudem einnat r l i c h e s Werden bzw. Gewordensein bezeichnet, dasmenschlichen Zutuns nicht bedarf, steht sein Sinn seit jeher dem Echten undUnverf lschten nahe31, und dieser Sinn , Wesen' ist denn auch in den dreigenannten Bedeutungen erkennbar.

29 Es geht auf die indogermanische Wurzel ,bheu', ,bhu' zur ck, die urspr nglichwohl .schwellen', dann .wachsen, gedeihen' bedeutete; vgl. Pokorny I 146 u. Chantraine1235.

30 Vgl. Chantraine 1234.3! Das gilt bereits f r die einzige Belegstelle in den homerischen Epen, κ 303, wo

φύσις anscheinend den Wuchs des Zauberkrautes μώλυ bezeichnet, dessen u ereMerkmale im einzelnen κ 304 nennt. Wenn Heubeck, in: Heubeck/Hoekstra: ACommentary on Homer's Odyssey II, Oxford 1989, 60 φύσις in κ 303 auf die innerenMerkmale des Krautes bezieht, so schl gt er nur eine Alternative vor, die sich ebenso imBedeutungsbereich des .Wesentlichen' und .Echten' bewegt.

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Zusammenfassung 369

Einer j ngeren Deutung zufolge entfalten nun die vorsokratischenPhilosophen und die Sophisten die genannten Bedeutungen der φύσις indrei Bereichen: In der Kosmologie, der Anthropologie und der Entstehungder menschlichen Gesellschaft32. Es w re aber unangemessen, daraus zufolgern, sie unterschieden auch drei verschiedene φύσις-Begriffevoneinander, die den genannten drei Bereichen entspr chen. Denn zwarlassen sich in der vorsokratischen Philosophie und der Sophistik ohneweiteres analog zu den kosmologischen Interessen ein kosmischer φύσις-Begriff und analog zu den anthropologischen Studien ein menschlicherφύσις-Begriff erkennen, aber es findet sich kein eindeutiger Beleg, demzufolge der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft im griechischenDenken ebenfalls ein eigener φύσις-Begriff zugekommen w re33.

Vielmehr st tzen sich vorsokratische und sophistische Studien ber dieEntstehung der menschlichen Kultur und der Gesellschaft auf denmenschlichen φύσις-Begriff und wandeln ihn insofern ab, als sie ggf.weniger den einzelnen Menschen mit seinen biologischen Eigenschaften inden Blick nehmen, als den Menschen, wie er sich in der Auseinander-setzung und in der Gemeinschaft mit Seinesgleichen verh lt. Denn wie einMensch in der Gruppe auftritt, geht zwar im wesentlichen auf Eigenschaftenzur ck, die der φύσις des einzelnen zuzurechnen sind (z.B. Triebhaftig-keit), doch werden diese oftmals erst daran sichtbar, wie ein einzelnerMensch mit seinen Mitmenschen umgeht. Insofern ist es zwar durchausberechtigt, zwischen der φύσις des Einzel- und der des Gruppenmenschenzu trennen, doch lassen sich beide als Spielarten der menschlichen φύσιςschlechthin begreifen. Demnach sind f r die Vorsokratiker und dieSophistik zwei φύσις-Begriffe zu unterscheiden, von denen der eine - dermenschliche - in zwei Varianten auftritt:1. φύσις als kosmische All-Natur2. φύσις als menschliche Natur

32 Vgl. Naddaf 1992, 61 ff. insb. 62 u. 269ff.33 Man k nnte an Thuk. V 105,2 denken, doch selbst wenn die dort beschworene

φύσις αναγκαία etwa die .Natur der Geschichte' o.a. bezeichnen sollte, so f hrte auchdiese letztlich wieder zu dem Menschen zur ck, aus dessen Wesen sich ja dieGesetzm igkeiten der Geschichte entwickeln. Es w re nicht angebracht, in derThukydides-Passage etwa eine φύσις als .Eigengesetzlichkeit der Geschichte' erkennen zuwollen.

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370 Zusammenfassung

a) bezogen auf den einzelnen Menschenb) bezogen auf den Menschen in der GemeinschaftBeide Begriffe bezeichnen jeweils konkret greifbare Dinge, zielen aber

nicht auf deren zuf llige Eigenschaften, sondern auf das dahinter befindlicheWesen (s.o.S.368). Φύσις als kosmische All-Natur steht ebenso f r dasDauerhafte des Kosmos, wie die menschliche φύσις all das zusammenfa t,was den Menschen als Menschen auszeichnet. Da dabei - wie insbesonderedie Zeugnisse des 5. Jh. belegen - die drei anfangs genannten Bedeutungen.Ursprung', .Entwicklung' und .Ergebnis einer Entwicklung' miteinanderverschmelzen und der Eindruck des Proze -haften, sich Entwickelndenzugunsten des Dauerhaften zur cktritt, ist es nicht verwunderlich, wennφύσις zuweilen losgel st von den beiden ge-nannten konkretenBedeutungen schlechthin das Wesen jeder beliebigen Sache bezeichnet. AlsAbstraktion aus den bekannten Bedeutungen ergibt sich folglich eine dritteBedeutung:3. φύσις als das Wesen jeder Sache

Wegen ihres umfassenden Charakters bewegt sie sich aber vor allem inder N he des kosmischen All-Natur-Begriffes, und auch die menschlicheNatur l t sich u.U. als Bestandteil der kosmischen Natur begreifen.34

Im folgenden gilt es, die genannten Bedeutungen in den rechtsphilo-sophisch relevanten Zeugnissen der Sophistik zu verfolgen und zu fragen,welchen Zweck sie jeweils erf llen: Was den Umgang mit der φύσις alskosmischer All-Natur betrifft, so seien drei Stufen voneinander unterschie-den:1. Alle Vertreter der Sophistik d rften diesen Begriff kennen, dochKenntnis allein bedeutet nicht, da sie ihn auch verwenden.2. Ein engerer Kreis erhebt diese φύσις zum Gegenstand wissenschaftlicherBetrachtungen. Sp testens auf dieser Stufe ist eine bewu te Auseinander-setzung mit dem Begriff anzunehmen.

Eindeutig auf dieser Stufe anzusiedeln sind Prodikos (B 3 u. 4)35,Antiphon (B 22-43) und auch Hippias, insofern seine enzyklop dischen

34 Das gilt insbesondere f r den in der medizinischen Literatur des 5./4. Jh.verwandten menschlichen φύσις-Begriff; vgl. auch Prodikos VS 84 B 4.

3 5 M glicherweise ist der Kreis der Sophisten, die sich wissenschaftlich mit der All-Natur befa ten, wesentlich umfangreicher, denn Galen (Prodikos B 3) bezeugt dieseBesch ftigung au er f r Prodikos auch f r Thrasymachos und Protagoras. Prodikos B 4

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Zusammenfassung 371

Interessen sich auf dieses Gebiet erstrecken. M glicherweise l t Platon ihnin seinem Protagoras mit den Worten την φύσιν των πραγμάτων εΐδέναι36

auf seine Besch ftigung mit der All-Natur anspielen. Einen Reflex -vielleicht sogar des Hippias - bieten zudem die Δισσοί Λόγοι, indem sie dieKenntnis der ,φύσις aller Dinge' (φύσις των απάντων) als eine derVoraussetzungen des guten Redners nennen37.3. Rechtsphilosophisch interessant ist erst die dritte Stufe, auf der einSophist die All-Natur bem ht, um mit ihr bestimmte Rechtsvorstellungen zubegr nden. Eine derartige Inanspruchnahme der kosmischen φύσις ist f rKallikles und Alkidamas bezeugt:

Kallikles leitet aus der φύσις, die Menschen und Tiere gleicherma enumfa t, die Auffassung ab, es sei gerecht, wenn der St rkere sichdurchsetze38. Da er dabei aber das Recht des St rkeren mehr fordert alsempirisch begr ndet39, fungiert bei ihm die All-Natur als h heres Prinzipund berschneidet sich mit dem abstrakten φύσις-Begriff, der das Wesenschlechthin bezeichnet. Dieser Sinn ergibt sich zwangsl ufig deshalb, weildie blo e Tatsache, da im Bereich der Natur das Recht des St rkeren gilt,noch keinen hinreichenden Grund f r den Menschen darstellt, sich ebenfallsso zu verhalten. Also geht Kallikles zweifelsohne urspr nglich von demkosmischen φύσις-Begriff aus.

F r Alkidamas beweist die kosmische All-Natur die Gleichheit allerMenschen. Sie gilt ihm dabei als derartig umfassende Macht, da er sichnicht scheut, sie auf eine Ebene mit Gott zu stellen: Gott habe die Menschenals Freie in die Welt entlassen, und die φύσις niemanden zum Sklavengemacht40. Offensichtlich genie t die φύσις nach Alkidamas unbedingteAutorit t und vertritt das konkret greifbare Gegenst ck zur g ttlichen

belegt zudem den flie enden bergang von der kosmischen zur biologischen menschlichenφύσις.

36 Plat. Prot. 337d3f.37 Δ.Λ. 8,1+2 (VS II p. 415,18f.)38 Plat. Gorg. 482c8-d6; vgl. auch 491e7.39 So f hrt er beispielsweise aus der Tierwelt keine Beispiele an.40 Σ Arist. Rhet. 1373bl8: ελευθέρους άφήκε πάντας θεός, οΰδένα δοΰλον ή

φύσις πεποίηκεν.

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372 Zusammenfassung

Macht, ja sie ist ihr gleichberechtigt zur Seite gestellt41. Da θεός und φύσιςzwei Seiten derselben Sache bezeichnen, bewegt sich auch die φύσις desAlkidamas im Bereich des .Wesentlichen' schlechthin.

Wie Kallikles und Alkidamas belegen, k nnen programmatischeAussagen nur auf einem als wesentlich erkannten Prinzip fu en. Es ist dabeiinteressant zu beobachten, zu welch unterschiedlichen Zwecken sie sich aufein und dieselbe Sache, die kosmische All-Natur, berufen.

Um zu belegen, welch flie ender bergang von der soebenbesprochenen dritten Art, sich mit der kosmischen Natur zu besch ftigen,zu der Verwendung der φύσις als Wesen schlechthin besteht (s.o.Bedeutung 3), empfiehlt es sich, zun chst auf die f r den abstrakten φύσις-Begriff relevanten Zeugnisse des sophistischen Denkens einzugehen:

Es lassen sich auch hier wenigstens zwei Stufen unterscheiden:1. Rechtsphilosophisch wenig ergiebig ist Gorgias' Versuch, mit einemBlick in das Wesen der Dinge die eleatische Seinslehre auf den Kopf zustellen42, denn er leitet daraus keine diesbez glich bedeutenden S tze ab.2. Rechtsphilosophisch interessant sind hingegen die Versuche desplatonischen Hippias und des Glaukon, ihre Kritik an dem νόμος bzw. ander Gerechtigkeit mit der φύσις als abstraktem , Wesen' zu begr nden:

Der platonische Hippias begr ndet seine Aussage, Gleiches sei mitGleichem verwandt43, nicht mit dem kosmischen φύσις-Begriff, sondernbehauptet eine generelle Wesensverwandtschaft zwischen mehreren όμοια.Wenn φύσει ein όμοιο ν zu Seinesgleichen strebt, so beruht das nicht aufeinem unab nderlichen Gesetz in der physikalischen oder biologischenNatur; vielmehr streben die όμοια dank ihrer gleichgearteten Wesenzueinander. Dieser Zusammengeh rigkeit wirke aber der νόμος entgegen.

hnlich behauptet Glaukon in Platons Politeia - gleichwohl alsadvocatus diaboli -, Unrechttun sei seinem Wesen nach gut44, und erhebt

41 Diese Gleichberechtigung schl gt sich auch in der grammatischen Strukturnieder, denn φύσις ist ebenso handelndes Subjekt mit eigenem Verb (sc. πεποίηκεν) wieθεός.

42 Vgl. Gorgias VS 82 B 3, das nach Sext. Emp. adv. math. VII 65 der SchriftΠερί του μη δντος ή περί φ ύ σ ε ω ς entstammt.

43 Plat. Prot. 337dlf. το γαρ ομοιον τφ όμοίφ φύσει συγγενές εστίν.44 Plat. Rep. 358e3/4 πεφυκέναι ... το μεν άδικείν αγαθόν, το δε άδικεΐσθαι

κακόν.

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Zusammenfassung 373

sogar den Anspruch, das Wesen der Gerechtigkeit dargelegt zu haben45.Die kosmische φύσις zu beobachten ist nicht n tig, sondern es gen gt einscharfer Blick in das .Innere' von Unrecht und Gerechtigkeit, um derenWert bzw. Unwert zu erkennen.

Damit erf llt die ,Wesen-<pOOiq' von Hippias und Glaukon den gleichenZweck wie die kosmische All-Natur des Kallikles und des Alkidamas, undzeigt deren N he zu ihr: Beide dienen als sichere Instanzen, um letztg ltigeAussagen zu treffen. Zugleich teilt sie mit ihr eine weitere Gemeinsamkeit,die sich im Grunde von selbst versteht. Mit diesen beiden φύσις-Begriffen(sc. kosmische All-Natur und φύσις als das Wesen schlechthin) setzen sichdie Sophisten entweder wertneutral auseinander - etwa aus wissen-schaftlichem Interesse -, oder aber sie berufen sich auf sie als zuverl ssigeMa st be. Nirgends hingegen findet sich ein Zeugnis, das sie in irgendeinerWeise abwertete.

Dagegen bleibt der menschliche φύσις-Begriff nicht grunds tzlich vonden Angriffen des sophistischen Rechtsdenkens verschont. Denn von ihrenVarianten (sc. (a) der φύσις des einzelnen Menschen und (b) der desMenschen in der Gemeinschaft) steht letztere zuweilen im Mittelpunktdeutlicher Kritik. Doch sei zun chst auf (a) die φύσις des einzelnenMenschen eingegangen:

Der Umgang mit ihr l t sich wiederum in verschiedene Stufen einteilen:l. V llig unabh ngig von irgendwelchen Rechtsvorstellungen bezeichnetφύσις die menschliche Begabung: So z hlen Protagoras und der Anonymuslamblichi sie zu den notwendigen Voraussetzungen daf r, eine Sacheerfolgreich zu erlernen46. Auch Kallikles verwendet φύσις in diesemSinne47.

Rechtsphilosophisch interessant ist dieser Begriff erst dann, wenn er -wie im Falle des Mythos des Protagoras - die Grundlage bietet nicht nur f rdie technische, sondern auch f r die sittliche Begabung, ohne die keinmenschliches Gemeinschaftsleben beginnen und weiterentwickelt werden

45 Plat. Rep. 359b4f. ή ... φύσις δικαιοσύνης ... αυτή τε και τοιαύτη ... ως όλόγος

46 Protagoras VS 80 Β 3, Α.Ι. VS 89 1,2 (VS II p.400,4f.)47 Plat. Gorg. 484a2f. εάν ... φύσιν ίκανήν γένηται έχων άνηρ

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374 Zusammenfassung

kann. Doch k me man damit schon in den Bereich der φύσις (b), die denMenschen in der Gemeinschaft kennzeichnet.2. Dem wissenschaftlichen Interesse entspringt die medizinische Weise, diemenschliche φύσις zu betrachten. Strenggenommen hat erst die Medizin des5. Jh. den Blick f r die empirisch feststellbaren Merkmale des Menschengesch rft, wie sie sich an jedem einzelnen Menschen stellvertretend f r diegesamte Menschheit feststellen lassen, und sich dabei im wesentlichen aufdie biologischen Kennzeichen konzentriert48. Zwar besch ftigen dieMediziner sich wertneutral mit der menschlichen Natur, doch ist ihr Bildvon dieser deswegen auch rechtsphilosophisch bedeutsam, weilverschiedene sophistische Rechtsansichten (v.a. all jene, die von einertriebhaften Natur des Menschen ausgehen) auf medizinische Vorstellungenzur ckgreifen.3. Antiphon bietet nun ein gutes Beispiel daf r, wie der in der Medizinentscheidend gepr gte φύσις-Begriff, insofern er den einzelnen Menschenkennzeichnet, den Rang eines g ltigen Prinzips erlangt: Er beruft sich aufsie als den Bereich sicherer Notwendigkeiten49, um den willk rlichen undeinengenden Charakter der menschlichen Konvention blo zustellen50. Auchbeweist die organische Gleichheit ihm die grunds tzliche Gleichheit allerMenschen51. Mag sie auch triebhaft und potentiell gewaltt tig sein, so ist siedennoch nicht unvollkommen, denn sie ist auf gr tm gliche Freiheit undgr tm glichen Nutzen ausgerichtet und bietet angesichts ihrerDurchschaubarkeit und Zuverl ssigkeit eine sichere Grundlage, Grunds tzef r das menschliche Handeln zu gewinnen (etwa den der Schadens-minimiemng), die jedem Menschen zu seinem Recht verhelfen52.

48 Vgl. [Hipp.] nat.hom. insb. Kap. 3 (VI 36ff. Littr6), wo der Verfasser allgemeinebiologische Merkmale aller Lebewesen auf den Menschen bertr gt; da diese Schrift denEleaten Melissos (Kap. 2, VI 34,6f.) erw hnt und den Gegensatz zwischen νόμος undφύσις (noch) nicht kennt (Kap. 2, VI 36,12f.), d rfte sie als eine der lteren Schriften desCorpus Hippocraticum anzusehen und ins f nfte Jh., wahrscheinlich in die Zeit von 440-430, zu datieren sein.

49 VS 87 B 44 A I 25-750 B 44 A I 27-30, II 26-30, IV l -851 B44B52 Wenn Antiphon in B 44 A von Notwendigkeiten der φύσις spricht (I 25-7) und

ihr das Leben und den Tod als Wesensmerkmale zuordnet (ΠΙ25-8), scheint er den Bereichder rein menschlichen φύσις zu verlassen, weil die genannten Charakteristika sich nichtnur an der Natur des Menschen beobachten lassen. Dennoch treffen sie a u c h auf diese

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Zusammenfassung 375

Auch andere Vertreter der Sophistik gehen mit der Vorstellung einestriebhaften, nach greifbarem Nutzen strebenden Menschen von dem biolo-gisch-medizinischen Bild seiner Natur aus, doch erheben sie sie nicht zudem Range eines Prinzips wie Antiphon53.

Wie insgesamt unschwer zu erkennen, wird der φύσις-Begriff, sofern erden einzelnen Menschen stellvertretend f r seine Gattung bezeichnet,wertneutral oder als zuverl ssiges Prinzip verwandt.

Der φύσις als Wesen des Menschen in der Gemeinschaft hingegenbegegnen einzelne Vertreter des sophistischen Rechtsdenkens durchausdistanziert. Allerdings zeigen auch diese Stellungnahmen ein differenziertesBild:1. Gemeinhin gilt der Mythos des Protagoras als Zeugnis f r dieUnvollkommenheit der menschlichen φύσις, wie sie sich in dermenschlichen Gemeinschaft zeigt54. Dieser Eindruck entsteht aber nurdann, wenn man den Menschen des Mythos so versteht, als sei er vonNatur unf hig, menschliche Gemeinschaften zu bilden, und bed rfeinfolgedessen der Hilfe von au en (sc. des Eingriffs von Zeus). DaProtagoras jedoch weniger die tats chliche Genese der Gemein-schaftsf higkeit der Menschen beschreibt, als vielmehr deren Bedeutung(und damit auch die der πολιτική αρετή) hervorhebt, indem er mit einerfiktiven Stufenfolge in der Entwicklung der Menschheit vorf hrt55, wie dieMenschen sich verhielten, wenn ihnen die Gemeinschaftsf higkeit abginge,w re es voreilig, ihm zu unterstellen, er gehe von einer grunds tzlich

zu, so da es angebracht erscheint, die genannten Textstellen als Beleg f r den flie endenbergang von der menschlichen biologischen φύσις zur umfassenden All-Natur zu

verstehen. Dennoch beruft Antiphon sich in B 44 im wesentlichen auf die φύσις, wie siesich in jedem einzelnen Menschen findet. Das geht eindeutig aus den Passagen hervor, indenen er von dem Nutzen f r die φύσις spricht, denn wem sollen bestimmte angenehmeDinge zugute kommen, wenn nicht der φύσις des einzelnen Menschen (vgl. IV 11 f. u.22-4)?

53 Vgl. das Menschenbild von Thrasymachos, Glaukon und Kallikles. Allerdingssetzen sie diese menschliche φύσις unausgesprochen voraus, statt sie explizit dem νόμοςentgegenzustellen.

54 Plat. Prof. 320c8-d555 Es sei an dieser Stelle betont, da Protagoras keineswegs - wie vielfach

angenommen wird (s.o. Kap. I 2 a, S. 44f. Anm. 70) - eine tats chliche Stufenfolgebeschreibt, sondern nur zu einem Kunstgriff greift. Wer hingegen auf einer w rtlich zunehmenden Abfolge beider Stufen beharrt, hat mit nicht unerheblichen Widerspr chen zuk mpfen, die das Verst ndnis des Mythos entscheidend erschweren.

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mangelhaften menschlichen Natur aus. Eher scheint er neben dertechnischen auch eine naturgegebene soziale Begabung anzunehmen, die esdem Menschen erm glicht, Gemeinschaften zu gr nden und dauerhaft zuerhalten56. Allerdings mu der einzelne diese Begabung umsetzen und zuwirklich sozialem Verhalten ausbilden, so wie auch die Menschheit aus dersozialen Begabung s mtliche gemeinschafts- und staatstragende Institu-tionen (auch die νόμοι) und aus der technischen Begabung die technischenErrungenschaften noch zu entwickeln hatte. Insofern ist die Annahmeberechtigt, da der Mensch derartiger, von anderen Sophisten (z.B. vonAntiphon) als reine Konvention verurteilter Einrichtungen (sc. all dessen,was unter den Begriff νόμος f llt) bedarf, doch hat er sie aus seiner φύσις,wie sie im gmeinsamen Leben der Menschen zutage tritt, selbstentwickelt57.2. Demgegen ber zeichnet das Sisyphos-Fragment58 das Bild einestriebhaften, zur Anarchie neigenden menschlichen Wesens, das nur berwirksame Abschreckung davon abgehalten werden kann, ffentliches undheimliches Unrecht zu begehen. Allerdings scheint der Sprecher diesesBruchst ckes den Menschen eine gewisse soziale Begabung durchauszuzutrauen, denn immerhin sind sie nach seiner Darstellung in der Lage, mitselbst erlassenen Gesetzen das ffentliche Unrecht zu unterbinden. In einer

56 In der neueren Forschung wurde bislang bersehen, da Plat. Prot. 321d4f. mit... την δε πολιτικήν (sc. σοφίαν) ουκ είχεν einen deutlichen Hinweis auf eine sozialeBegabung bietet. Da n mlich in diesem Zusammenhang ή περί τον βίον σοφία nichtmehr als die technische B e g a b u n g bezeichnet, liegt es nahe, in 321d4f.auchπολιτική (σοφία) entsprechend als reine (sc. sittliche) B e g a b u n g zu verstehen.Demnach verleiht Zeus in 322c2f., indem er den in 321d4f. genannten Mangel derMenschheit behebt, mit der Vergabe von αιδώς und δίκη wenigstens a u c h (nicht nur)die sittliche B e g a b u n g (s.o. Kap. I 2 a, S. 51 ff.).

Was die Frage betrifft, ob Protagoras diese Begabungen als φύσει gegeben ansieht, soist zwar zuzugeben, da Protagoras in seinem Mythos den Begriff φύσις nicht explizitverwendet, doch l t er sich erschlie en, wenn man die technische und die sittlicheBegabung als a priori gegeben versteht und den Mythos .entmythologisiert'. LediglichM ller 1975, 247f. erkennt im Ansatz die Notwendigkeit einer naturgegebenen sittlichenBegabung, bem ht sich allerdings nicht darum, diese am Text des Protagoras-Mythos zubeweisen; s.o. Kap. I 2 a, S. 61, Anm. 113.

57 Die Straftheorie, die Protagoras in Plat. Prot. 324a6-b5 vortr gt, ist durchausgeeignet, die Vorstellung zu unterst tzen, der Mensch sei wegen der a priori in ihmangelegten sozialen Begabung grunds tzlich erziehbar; s.o. Kap. I 2 a, S. 54f.

58 VS 88 B 25

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Zusammenfassung 377

gesicherten Gemeinschaft k nnen sie aber erst dann leben, wenn einau ergew hnlich findiger Kopf mit einem Kunstgriff (in diesem Falle derG tterfurcht59) auch das heimliche Unrecht beendet.

Demnach scheint das Sisyphos-Fragment von einer zwar unvoll-kommenen, doch aus eigener Kraft immerhin verbesserungsf higenmenschlichen Gemeinschafts-φύσις auszugehen.3. Schlie lich sind dem Anonymus lamblichi zufolge die Menschen auf dieHilfe von νόμοι und δίκαιον angewiesen, ja ohne sie nicht ber-lebensf hig60. Allerdings deutet er mit keinem Wort an, da die Menschendiese Hilfsmittel von fremder Hand erhalten h tten, sondern stellt nur fest,sie seien mit der Natur (sc. der Menschen) bzw. von Natur mit denMenschen fest verwachsen61. Ob er hnlich wie Protagoras von einersozialen Begabung ausgeht, die es den Menschen erm glicht, selbst ndigdie n tigen Hilfsmittel f r das Gemeinschaftsleben in hinreichendem Ma ezu entwickeln, dar ber bietet der Text keine Auskunft. Er stellt vielmehr dieνόμοι einerseits und die φύσις andererseits, sofern sie den Menschen alsGemeinschaftswesen bezeichnet, als eigenst ndige Bereiche nebeneinander,wobei die φύσις eindeutig des Korrektivs der νόμοι und des δίκαιονbedarf.

Wie aus diesem berblick ersichtlich, finden der kosmische φύσις-Begriff, die φύσις als Wesen schlechthin und die φύσις, wie sie deneinzelnen Menschen kennzeichnet, problemlos Verwendung als sicherePrinzipien, aus denen sich letztg ltige S tze ableiten lassen62. Der φύσις-Begriff, der f r den Menschen als Gemeinschaftswesen steht, gilt hingegen

59 Entgegen der verbreiteten Annahme, der Verfasser dieses Textes k r i t i s i e r eden G tterglauben, erf llt dieser in dem erhaltenen Bruchst ck eine Aufgabe, die derSprecher als sinnvoll begr t. Damit ist die nur religionskritische Deutung des Sisyphos-Fragmentes unwahrscheinlich; dazu s.o. Kap. VI 2, S. 274f. u. S. 281-6.

60 VS 89 6,1 (p.402,24-30)6J Ebd. VS II p.402,29f. φύσει γαρ ισχυρά ένδεδέσθαι ταΰτα; zur Deutung dieser

Stelle s.o. Kap. VII l, S. 304f. u. Anm. 40.62 Darin zeigt sich die F higkeit der Sophistik, die aus Angriffen auf die eleatische

Philosophie resultierende Unsicherheit zu berwinden. Entgegen neueren Tendenzen (vgl.insb. H sle 1984, 225ff. u. 244ff.) w re es voreilig, die Sophistik im wesentlichen alsReaktion gegen die eleatische Seinslehre zu verstehen. Diese - vor allem in dem HMSund Gorgias VS 82 B 3 greifbare - Reaktion stellt vielmehr nur einen Teil der Sophistikdar, den sp tere Sophisten selbst ndig berwinden.

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378 Zusammenfassung

als mangelhaft und hilfsbed rftig. Lediglich der Mythos des Protagorastraut dem Menschen die Kraft zu, sich diese Hilfe in hinreichendem Ma eselbst zu verschaffen.

c) νόμος

Nicht anders als im Falle der φύσις l t sich auch die Stellung des νόμοςinnerhalb des sophistischen Rechtsdenkens anschaulich darstellen, wennman a) seine inhaltlichen Bedeutungen von b) dem Umgang der jeweiligenSophisten mit ihm unterscheidet.

Zu a) Die Sophistik verwendet νόμος im wesentlichen in zweiBedeutungen:1. νόμος als geschriebenes Gesetz2. νόμος als menschliche Konvention, von der die geschriebenen Gesetzeeinen Teil darstellen.

Zu b) Im Umgang mit dem νόμος stehen die Sophisten ihm teilsanerkennend, teils kritisch bis ablehnend gegen ber. Ob dabei einZusammenhang zwischen den genannten inhaltlichen Bedeutungen und demVerh ltnis der jeweiligen Sophisten zum νόμος besteht, sei im folgendenuntersucht, indem zun chst die Gegner, anschlie end die Bef rworter desνόμος zu Wort kommen:1. Die Gegner des νόμος: Diejenigen Sophisten, die den νόμοςgrunds tzlich angreifen, verstehen ihn als willk rliche menschlicheSatzung, die teils ohne R cksicht auf, teils sogar gegen die Interesseneinzelner Menschen oder gar der φύσις berhaupt erlassen werde. Dabeiwenden sie sich nicht nur gegen geschriebene Gesetze, sondern gegenmenschliche Konventionen berhaupt, denn beide beruhen letztlich nur aufmenschlichen Vereinbarungen und nicht auf absolut g ltigen Prinzipien.

Wenn der platonische Hippias dem νόμος vorwirft, er stehe dem Strebendes δμοιον zu Seinesgleichen entgegen und tue der φύσις vielfach Gewaltan63, so bezieht er sich innerhalb des Dialoges Protagoras m glicherweise

63 Plat. Prot. 337dl-3. Da der xenophontische Hippias (Xen. Mem. IV 4,5ff.) allzuoffensichtlich den Argumenten des xenophontischen Sokrates in die H nde spielt, taugt er- entgegen einer verbreiteten Annahme - wenig, um die νόμος-Vorstellungen deshistorischen Hippias zu ermitteln; s.o. Kap. IV 2, S. 164ff. u. Anm. 37.

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Zusammenfassung 379

auf die Angewohnheiten von Sokrates und Protagoras (sc. Sokrates'best ndiges Fragen und Protagoras' weitschweifiges Reden), mit der sie ihreigenes Gespr ch und damit auch die Verwandtschaft, die zwischen ihnenals σοφοί besteht, empfindlich st ren64. Da diese Angewohnheiten jedochkeine Gesetze darstellen, sondern eher willk rliche Konventionen vertreten,liegt die Annahme nahe, da Hippias auch in dem originalenZusammenhang, dem Platon m glicherweise seine Rede im Protagorasnachempfand, den νόμος qua Konvention und nicht ausschlie lich quaGesetz angriff.

hnlich wirft Antiphon dem νόμος als Inbegriff blo er Vereinbarungen(όμολογηθέντα65) vor, der φύσις feindlich zu sein. Mag auch in manchenPassagen der betreffenden Papyrusfragmente die Bedeutung »Gesetze'vorherrschen66, so wendet er sich doch unverkennbar nicht nur gegen dasgeschriebene Gesetz, sondern gegen alle Formen menschlicher Satzungen,weil sie ohne R cksicht auf die Notwendigkeiten der menschlichen φύσιςerlassen werden67.

Auch Kallikles richtet seinen Vorwurf, die νόμοι seien eigens dazuerfunden, die von Natur aus Starken einzuengen, gegen den νόμος alsKonvention, die unzweifelhaft auch geschriebene Gesetze umfa t, sich abernicht auf sie beschr nkt. Dies ist um so wahrscheinlicher, als er mit seiner

64 Au er Rankin 1983, 56 und Dreher 1983, 66f. bem ht sich - wenn ich rechtsehe - in der neueren Literatur niemand hinreichend darum, die Rede des platonischenHippias auch aus dem unmittelbaren inhaltlichen Umfeld zu verstehen, statt sie alsFremdk rper zu betrachten, den Platon einem g nzlich anderen Zusammenhang entnahm.

65 VS 87 B 44 A I 29f.66 Vgl. B 44 A I 7-23, II 8 (dort spricht er von der Strafe der νόμιμα).67 So schwingt wohl, wenn er von der Schande (αισχύνη) spricht, die ein

ffentlicher Versto gegen die νόμοι nach sich zieht (B 44 A II 7), der Gedanke an diekonventionelle Moral mit. Zudem bieten die IV 31 ff. aufgef hrten Beispiele nur F lle f rnach konventionellen Vorstellungen, nicht nach Gesetzesvorschrift anst ndiges, aberletztlich der φύσις zuwiderlaufendes Verhalten. Schlie lich ist der Begriff όμολογηθέντα(s.o.) allgemein genug, um auch Konventionen zu umfassen.

Antiphons grunds tzliche Feststellung, die Gebote und Verbote der νόμοι seiengleicherma en ohne R cksicht auf die φύσις erlassen (B 44 A III 18-25), widersprichtdenn auch der in j ngerer Zeit v.a. von Wiesner favorisierten Auffassung, Antiphonerkenne auch φύσις-gem e νόμοι an. Dazu s.o. Kap. V 2a, S. 185f. u. 194.

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Page 23: Das Recht im Denken der Sophistik () || IX. Zusammenfassung

380 Zusammenfassung

Forderung, der St rkere solle herrschen, in erster Linie konventionelle, undnicht rein gesetzliche Moral- und Rechtsvorstellungen auf den Kopf stellt68.

M glicherweise reiht auch Alkidamas sich ein in die Schar der νόμος-Kritiker, wenn die Aussage, die Aristoteles in Rhet. 1406bllf. von ihm

berliefert, so zu verstehen ist, als bezeichne er die Philosophie alsBollwerk gegen den νόμος69. In diesem Sinne lie e sie sich gut mit der f rAlkidamas andernorts bezeugten Behauptung verbinden, Gott und die Naturunterschieden nicht zwischen Sklaven und Herren70, denn die Erkenntniseiner φύσει bestehenden Gleichheit kann mit einigem Recht als Ergebnisphilosophischer Einsicht gelten, die dem νόμος, dem Urheber willk rlicherUnterscheidungen wie ,frei' und ,unfrei', den Kampf ansagt. Endg ltigeSicherheit l t sich in dieser Frage jedoch nicht gewinnen.

Einzig Glaukon scheint den νόμος nur in seiner Eigenschaft als Gesetzzu kritisieren, wenn er die Festlegung der νόμοι zu einer bereinkunft ausSchw che erkl rt71. Sein vermeintlicher Spott zielt allerdings nicht allein aufdie Vereinbarung von Gesetzen, sondern wendet sich ebenso gegen diekonventionelle Rechtsvorstellung, die letztlich ebenfalls nur der Unf higkeitentspringe, sich ber die Mitmenschen zu erheben72. So gesehen sind auchseine νόμοι Bestandteil einer umfassenderen Konvention, die er mindestensebenso ablehnt.

68 Zwar spielt er in der Passage Plat. Gorg. 483M-6 mit οι τιθέμενοι τους νόμουςeher auf die Vereinbarung von Gesetzen als von Konventionen an, doch gerade in derGegen berstellung von φύσει und νόμφ (482e4f.) zeigt sich der allgemeinere Sinn vonνόμος.

69 Der ebd. berlieferte Text lautet... ως Άλκιδάμας την φιλοσοφίαν έπιτείχισματων νόμων. Es ist allerdings nicht klar, ob der Genetiv των νόμων als ,f r' oder .gegen'die νόμοι zu verstehen ist. Nach Sext.Emp. adv.math. I 297f. έπιτείχισμα ...ανθρωπίνων παθών ή ποιητική, wo Sextus die Dichtkunst als H ter menschlicher πάθηversteht, liegt sprachlich f r Alkidamas .Bollwerk zugunsten der νόμοι' nahe. Da sichjedoch die Aussage, die Philosophie sei ein Bollwerk g e g e n die Konvention (sc. dieνόμοι), besser mit Alkidamas' These von der Gleichheit der Menschen vertr gt, empfiehltes sich, mit Bywater τφ νόμφ zu lesen, denn die Verwendung von έπιτείχισμα belegt, dadas- oder derjenige in den Dativ gesetzt wird, gegen den das έπιτείχισμα sich wendet; vgl.Dem. VIII 66 άλλα και κατασκευάζοντας ύμΐν έπιτείχισμα την Εΰβοιαν und Jos. BJI448 Ηρώδης ώσπερ έπιτείχισμα τοις υίοΐς κατάγει τον ... Άντίπατρον.

70 Σ Arist. Rhet. 1373bl871 Plat. Rep. 359a372 Plat. Rep. 359a4-bl

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Zusammenfassung 381

Folglich beschr nkt sich keiner der Gegner des νόμος darauf, nur diemenschlichen Gesetze anzugreifen. Das deutlichste Indiz daf r bietet ihreVerfahrensweise: Indem sie n mlich den νόμος der φύσις entgegen-stellen73, erweitern sie ihren νόμος-Begriff stets zu der allgemeinenBedeutung .menschliche Konvention', denn es ist nicht einzusehen, wes-halb das Menschenwerk der geschriebenen Gesetze, nicht aber das Men-schenwerk der Konvention der φύσις entgegenstehen sollte.2. Die Bef rworter des νόμος: Umgekehrt genie t bei den Sophisten, dieden νόμος nicht grunds tzlich ablehnen, in der Regel der νόμος qua Gesetzdie gr ere Anerkennung. Als einzige Ausnahme kommt hier Protagoras inBetracht. Insofern er n mlich Gesetze und Konventionen als Ausdruck derin den Menschen a priori angelegten sittlichen Begabung deutet, versteht erbeide gleicherma en als sinnvolle, gemeinschaftstragende Einrichtungen.Zwar spricht er sich in den erhaltenen Texten nirgends explizit f r denνόμος als Gesetz und Konvention aus, doch darf er f r diese Ansicht wohlwegen der Bedeutung in Anspruch genommen werden, die sein Mythos denGr en αιδώς und δίκη beimi t. Im Grunde nimmt Protagoras insoferneine Zwischenstellung ein, als auch er den konventionellen und, was seineInhalte im einzelnen angeht, unverbindlichen Charakter des νόμος erkannthaben d rfte74. Immerhin ist seiner Ansicht nach der νόμος an sich (sowohlqua Konvention als auch qua Gesetz) f r ein gedeihliches Gemeinschafts-leben unverzichtbar. Und wenn Protagoras den νόμος letztlich auf eine apriori (und das hie e doch wohl φύσει75) gegebene sittliche Begabung

73 Dabei ist es irrelevant, ob sie den νόμος an der kosmischen, der menschlichenoder der .wesentlichen' φύσις messen.

74 Vgl. seinen νόμος-Relativismus in Plat. Theaet. 167c4-6 u. 172a2-4.75 Wenn man eine derartige soziale Begabung annimmt, ist es nur konsequent,

Protagoras die Annahme zuzutrauen, sie sei in der menschlichen Natur angelegt und somitφύσει gegeben. Insofern αιδώς und δίκη diese sittliche B e g a b u n g implizieren (siestehen zugleich aber auch f r deren Umsetzung, die konkrete Sittlichkeit), ist damit gegenKerferd 1953, 43 u. ders. 1981, 134f. anzunehmen, da αιδώς und δίκη auf einer φύσειbestehenden Grundlage (sc. der Begabung) beruhen; s.o. Kap. I 2 a, S. 59f. u. Anm. 108.

Die zweifache Bedeutung von αιδώς und δίκη ergibt sich aus dem Aufbau desMythos: Protagoras trennt k nstlich zwischen der technischen und der gesellschaftlichenEntwicklung der Menschheit und l t Zeus erst zu dem Zeitpunkt Hermes beauftragen, dieMenschen mit αιδώς und δίκη zu begaben (322c), als diese - im Mythos - bereits alletechnischen Errungenschaften entwickelt und damit ihre technische B e g a b u n g von321d4 (περί τον βίον σοφία) in konkrete technische F e r t i g k e i t e n umgesetzthaben. Da die Menschen in dieser fiktiven Abfolge, wenn Zeus sie in 322c nur mit der

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382 Zusammenfassung

zur ckf hrt, w re es voreilig, ihn zu den Vertretern der νόμος-φύσις-Debatte zu z hlen76.

Die brigen Bef rworter des νόμος gestehen berwiegend denG e s e t z e n eine mehr oder weniger hinreichende Leistungsf higkeit zu.So sieht Thrasymachos in ihnen ein geeignetes Mittel, mit dem eineRegierung durchzusetzen vermag, was ihr jeweils n tzt77. (Demnach z hltauch er schwerlich zu den Vertretern der νόμος-φύσις-Debatte.)

Auch das Sisyphos-Fragment spricht sich - entgegen der verbreitetenAnnahme78 - nicht rigoros gegen den νόμος aus, sondern gesteht ihm quaGesetz die F higkeit zu, wenigstens ffentliches Unrecht zu verhindern,ohne ihm - anders als Antiphon - diese Wirksamkeit etwa als .Fessel derφύσις' anzukreiden.

Mit weniger Vorbehalten als das Sisyphos-Fragment sieht der Anonymuslamblichi in dem νόμος den Garanten der gesellschaftlichen und politischenOrdnung. Da er die strafende Wirkung der νόμοι nennt79, Sittliches aberunter die Begriffe αγαθός und δίκαιος fa t, ist auch in seinem Falle dieAnnahme berechtigt, sein Lob gelte in erster Linie den Gesetzen und nichtder Konvention. Zudem ist in den aus seinem Traktat erhaltenenBruchst cken keine Verwendung von νόμοι erkennbar, die nicht mit derBedeutung .Gesetze' hinreichend verst ndlich w re80.

sittlichen B e g a b u n g ausstatten lie e, im sittlichen Bereich auf die Anfangsstufevon 321d4 zur ckfielen, auf der ausschlie lich die technische und die sittlicheB e g a b u n g in Rede standen (sc. περί τον βίον σοφία und πολιτική [σοφία]), in322c von Zeus jedoch im Bereich der Sittlichkeit nicht nur das Vers umnis desPrometheus von 321df., sondern auch die gesamte E n t w i c k l u n g nachgeholtwerden mu , die die Menschen - nach dem Mythos - im technischen Bereich bereitshinter sich haben, ist es durchaus angebracht, αιδώς und δίκη als sittlicheF e r t i g k e i t zu verstehen, die die sittliche B e g a b u n g impliziert; dazu s.o.Kap. I 2 a, S. 51 ff.

76 Anders Guthrie III 1969, 48 m. Anm. 1.77 Plat. Rep. 338el-3. Thrasymachos erkl rt nicht blo , die Gesetze w rden in der

A b s i c h t erlassen, der jeweiligen Regierung zu n tzen, sondern weil er dieRegierenden in der betreffenden Passage als die realiter St rkeren versteht, d rfte er keinenZweifel an der Wirksamkeit von deren Gesetzen hegen.

78 S.o. Kap. VI 2, S. 279, insb. Anm. 20.79 VS 89 4,3 (p.402,4f.)80 Selbst in 3,1 (p.401,17f.) ist mit αγαθά και ν ό μ ι μ α das Gesetzliche

wenigstens mit einbezogen. Aber auch wenn diese Passage eher auf Sittliches anspielen

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Zusammenfassung 383

Schlie lich erkl rt Lykophron den νόμος zum Garanten (εγγυητής) derGerechtigkeit f r die B rger, weil er ihnen von Staats wegen Rechts-sicherheit bieten k nne81. Indem Lykophron damit dem νόμος einebegrenzte, aber trotzdem - wie der Begriff εγγυητής nahelegt - f r denZusammenhalt der menschlichen Gemeinschaft hinreichende Wirksamkeitzutraut, engt er ihn eindeutig auf die Bedeutung .Gesetz' ein, und dieserlaubt es, auch ihn zu den eindeutigen Bef rwortern des νόμος qua Gesetzzu z hlen.

Im Unterschied zu den Gegnern des νόμος, die mit ihm haupts chlich diemenschliche Konvention ablehnen und die Gesetze davon nicht ausnehmen,sprechen sich seine Bef rworter vor allem f r ihn als Gesetz aus. Damitsind sie nat rlich keine Gegner sittlicher Konventionen, besonders deshalbnicht, weil diese oftmals in den Gesetzen ihren Ausdruck finden. Doch istihre Vorliebe f r das Gesetz deswegen verst ndlich, weil es einen Vorzuggenie t, den es per se der blo en Konvention voraus hat: Es hat mehrAutorit t. Ein Versto gegen das Gesetz kann strafrechtlich geahndetwerden82, und infolgedessen stellt es eine wirksamere, zuver-l ssigere undberechenbarere Gr e dar als die Konvention es je sein k nnte. In diesemSinne kann das Gesetz der Sitte Geltung verschaffen, niemals jedoch dieSitte dem Gesetz.

sollte (was nicht zwingend der Fall ist), so w rde das die sittliche Bedeutung nur f rνόμιμον und nicht f r νόμος belegen.

81 Arist. Pol. 1280b8-12, insb. blOf. εγγυητής άλλήλοις των δικαίων. Aristotelesstellt diese Aussage Lykophrons in einen sittlichen Zusammenhang, indem er fortf hrt,der νόμος sei nicht in der Lage, die B rger zu Tugend und Gerechtigkeit zu erziehen: ...ούχ οίος ποιεΐν αγαθούς και δικαίους τους πολίτας. Es ist nicht eindeutig zuentscheiden, ob er damit wirklich eine Schlu folgerung Lykophrons referiert (so GuthrieJHI40 1979,128) oder nicht vielmehr Lykophrons knappe Bestimmung des νόμος in denDienst seiner eigenen Zwecke stellt (So Mulgan 1979, 125-7 und nach ihm Sch trumpf II1991, 486). Jedenfalls kann als sicher gelten, da Lykophron keine erzieherische Leistungdes νόμος behauptet, denn wenn Aristoteles in 1280bl2 Lykophrons Ansicht referiert,dann hat dieser den νόμοι die erzieherische Leistung ausdr cklich abgesprochen, und wenndiese berlegung nur auf Aristoteles zur ckgeht, hat Lykophron dergleichen ohnehinnicht gesagt.

82 Vgl. Anon. Iambi. VS 89 4,3 (p. 402,4f.); das erkennt sogar Antiphon an,macht aber die Wirksamkeit des Gesetzes davon abh ngig, ob Zeugen zugegen sind; vgl.VS 87 B 44 A I 12-23 u. II 3-9.

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384 Zusammenfassung

d) δίκαιον

Das Verh ltnis der Sophisten zur Gerechtigkeit l t sich in f nf Stufendarstellen:l. Es finden sich Vertreter, die konventionelle Gerechtigkeitsvorstellungenbernehmen und anerkennen. Dazu z hlen von den uns bekannten

Sophisten eindeutig der Anonymus lamblichi, Lykophron und der -gleichwohl zu den interessierten zeitgen ssichen Laien zu z hlende -Verfasser der sog. Δισσοί λόγοι.

Der Anonymus definiert nirgends in dem erhaltenen Text seine eigeneAuffassung von Gerechtigkeit, sondern verwendet den Begriff δίκαιον miteiner Selbstverst ndlichkeit, die beweist, da er ihn nicht f rdefinitionsbed rftig h lt. Will man ihn dennoch inhaltlich bestimmen, solassen sich aus seiner Schilderung des Urzustandes der Menschheit und derευνομία, desjenigen Zustandes, in dem die Gesetze uneingeschr nkteGeltung genie en, Kriterien gewinnen, die seine Gerechtigkeitsvorstellungerhellen helfen83. Da nach seiner Auffassung die νόμοι gemeinsam mit demδίκαιον den Zustand des reinen Faustrechts berwinden84, h lt er esoffensichtlich f r gerecht, auf gewaltsame bergriffe gegen dieMitmenschen zu verzichten. Die enge Verbindung zwischen νόμοι undδίκαιον erlaubt zudem die Annahme, da letzteres auch in der ευνομίαunumschr nkte Geltung genie t. Folglich kann es nur gerecht sein, wennjeder B rger seinem privaten Gl ck nachgeht, ohne anderen zu schaden,und der Reichtum der Verm genden, ohne deren Enteignung, ber denGeld verkehr allen zugute kommt85. Da der gesamte ,Wohl(zu)stand' derευνομία auf der Einhaltung der Gesetze beruht, ist es berdies gerecht, diebestehenden Gesetze zu beachten (νόμιμον = δίκαιον). All dieseVorstellungen bewegen sich zweifelsohne im Bereich traditionellerGerechtigkeitsauffassungen, und so ist es nicht abwegig, den Anonymusals deren Vertreter in Anspruch zu nehmen.

83 VS 89 6,1 (p.402,24-30) und 7,1-7 (p.403,15-404,3)84 In diesem Sinne ist wohl καν ανομία διαντάσθαι (6,1; p.402,26f.) zu

verstehen. In 7,6ff. (p.403,32ff.) bezeichnet ανομία einen hnlichen Zustand, der abernicht - wie in 6,1 - auf die Abwesenheit von Gesetzen, sondern auf deren Mi achtungzur ckzuf hren ist.

85 Vgl. 7,2-5.

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Zusammenfassung 385

hnlich eng verbindet auch Lykophron das δίκαιον mit dem νόμος,wenn er letzteren als Garanten des Gerechten bezeichnet (s.o. S.383). Erscheint dabei den Gesetzen nur insofern zuzutrauen, den δίκαια Geltung zuverschaffen, als τα δίκαια den Verzicht auf gewaltsame bergriffe und dieWahrung der pers nlichen Interessen der einzelnen B rger bezeichnet.Sollte die Behauptung, der νόμος sei unf hig, die B rger zur Tugend undG e r e c h t i g k e i t zu erziehen86, nicht auf Aristoteles, sondern ebenfallsauf Lykophron zur ckgehen, dann verwendete er sogar einen Gerechtig-keitsbegriff, der ber reinen Gewaltverzicht u.a. hinausginge und dengesamten Bereich von Sittlich- und Anst ndigkeit umfa te. Denn als ein derαρετή gleichgestelltes Ziel einer sittlichen Erziehung geht Gerechtigkeit berdie M i n d e s t anforderungen, die das menschliche Zusammenlebenerm glichen, hinaus. Doch auch wenn dieser sittliche Zusammenhang wohleher auf Aristoteles zur ckgehen d rfte, so bernimmt Lykophron bereitsmit seinem engeren und n chterneren Verst ndnis von δίκαιον in 1280bllbereits eine v llig traditionelle Gerechtigkeitsauffassung.

Der Verfasser der Δ.Λ. schlie lich zweifelt ebenfalls nicht an derBestimmbarkeit des Begriffes δίκαιον87 und d rfte angesichts seiner imallgemeinen an dem sog. ,gesunden Menschenverstand' des Alltagsorientierten Stellungnahmen88 auch allt gliche Vorstellungen von .gerecht'und .ungerecht' kritiklos bernehmen. Wenn er im erhaltenen Text keinenVersuch unternimmt, den Begriff δίκαιον inhaltlich zu bestimmen89, so nurdeshalb, weil er ihn f r hinreichend bestimmt h lt.

Insgesamt vertreten die genannten Autoren diejenige Richtung derSophistik, die die traditionelle Gerechtigkeitsauffassung als g ltigbernimmt und infolgedessen die Frage nach der Gerechtigkeit nicht neu

stellt.2. Protagoras befa t sich auf einer anderen Ebene mit der Gerechtigkeit: Dersog. »Apologie4 zufolge, die Platon im Theaitetos den Sokrates f r den

86 Arist. Pol. 1280M287 In VS 90 8,9 (p.416,4-6) erkl rt er den Prozessierenden zum Fachmann in

Sachen δίκαιον. Offensichtlich h lt er eine genaue Kenntnis dessen, was gerecht und wasungerecht ist, f r m glich.

88 Vgl. seine Kritik an vermeintlich relativistischen Standpunkten in denAbschnitten 1-5; dazu s.o. Kap. VIII l, S. 334ff.

89 Selbst in Abschnitt 3 περί του δικαίου και αδίκου unterl t er es.

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386 Zusammenfassung

Abderiten halten l t, bernimmt er formal eine traditionelleGerechtigkeitsauffassung, ohne sich inhaltlich n her festzulegen. Ihmgelingt dieser Spagat, indem er mit der Behauptung, was eine πόλις f rνόμιμον und δίκαιον halte, das sei es auch f r sie, Gerechtigkeit als νόμος-Gehorsam bestimmt und das δίκαιον mit dem νόμιμον gleichsetzt90. Dajedoch die einzelnen πόλεις in ihren Rechtsauffassungen erheblichvoneinander abweichen, ihre jeweiligen Auffassungen hingegengleicherma en berechtigt sind, ist es nach Protagoras nicht mehr m glich,.Gerechteres' von .weniger Gerechtem' zu unterscheiden. Infolgedessenunterl t er jeden Versuch, das δίκαιον auch inhaltlich zu bestimmen.Einzig der Blick auf das der jeweiligen πόλις N tzliche kann alsUnterscheidungskriterium dienen.

Dem widerspricht nicht, da Protagoras in seinem Prometheus-Mythosαιδώς und δίκη als die gemeinschaftstragenden Kr fte vorstellt. Denn auchsie sind nicht mehr als die F higkeit und die Fertigkeit des Menschen,dauerhaft Gemeinschaften zu bilden, ohne spezielle inhaltliche Spezi-fikation. Zwar schlie t diese Gesellschaftsf higkeit des Menschen gegen-seitige bergriffe aus, sollen doch αιδώς und δίκη gerade das gegenseitigeάδικεΐν unterbinden, doch ist fraglich, ob Protagoras diesen Gewaltver-zicht und den gegenseitigen Respekt der Menschen voreinander als definitivgerecht bezeichnet h tte. Mit αιδώς und δίκη greift er lediglicharchaisierend ein aus der fr hen griechischen Dichtung bekanntesBegriffspaar auf91. Und wenn er im Anschlu an seinen Mythos diesesBegriffspaar durch σωφροσύνη und δικαιοσύνη ersetzt92, so bedeutetauch das nicht mehr, als da er den Begriff der Gerechtigkeit kennt, nichtaber, da er au er der formalen Bestimmung νόμιμον = δίκαιον (d.h.gerecht ist, sich an die Spielregeln der jeweiligen Gemeinschaft zu halten)eine eigene g ltige Gerechtigkeitsauffassung b te. Dar ber hinaus mag dieWortwahl durchaus auf Platon zur ckgehen. Protagoras' formaler Gerech-tigkeitsbegriff bewegt sich jedenfalls im Rahmen traditioneller Vorstel-lungen.

90 Plat. Theaet. 167c4-61l Vgl. Hesiod Erg. 192f. und Thegnis 291f.92 Plat. Prot. 323alf.

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Zusammenfassung 387

3. Auf einer dritten Stufe befindet sich die Art des platonischenThrasymachos, mit der Gerechtigkeit zu verfahren: Zwar formuliert er inPlatons Politeia seine Eingangsthese93 so, da man sie auch f r eine neueDefinition des Gerechten halten k nnte (sc. es ist gerecht dem St rkeren zun tzen)94, doch teilt er inhaltlich die konventionelle Auffassung vonGerechtigkeit. Wie sich n mlich aus dem weiteren Verlauf seines Gespr chsmit Sokrates ergibt, h lt er Gesetzesgehorsam f r ebenso gerecht wieGewaltverzicht, Ehrlichkeit bei der Abgabe der eingeforderten Steuernsowie Anst ndigkeit im Gesch ftsleben und bei der Bekleidung ffentlicher

mter95. Doch weist er diese Gerechtigkeit entschieden zur ck, weil sienicht dem Gerechten selbst, sondern stattdessen nur anderen, vor allem demSt rkeren zugute komme. Sie sei nicht mehr als ein άλλότριον αγαθόν96.

hnlich bezeichnet er in frg. B 8 die Gerechtigkeit - entgegen derherrschenden Meinung - lediglich als das bedeutendste der G ter, die dieMenschen f r G ter halten97. Statt das δίκαιον auf eigene Weise zudefinieren, bernimmt Thrasymachos also inhaltlich traditionelle Auffas-sungen von Gerechtigkeit, beurteilt sie aber nach eingehender und selb-st ndiger Pr fung als wertlos.

Die genannten drei Stufen sophistischer Gerechtigkeitsauffassunggelangen damit nicht ber den traditionellen Gerechtigkeitsbegriff hinaus.

93 Plat. Rep. 338clf.94 Das zeigt der Vergleich mit der Musterdefinition von σχήμα aus Platons Menon

76a7 στέρεου πέρας σχήμα είναι und Sokrates' zwischenzeitliche Deutung in Plat. Rep.339dl-3. Gleichwohl mu Plat. Rep. 338clf. auch formal nicht als Definitionverstanden werden. Zudem beabsichtigt Thrasymachos - wie der weitere Verlauf desGespr chs zwischen Sokrates und ihm zeigt - nichts anderes, als die traditionelleAuffassung von Gerechtigkeit neu zu bewerten. Dennoch deuten viele GelehrteThrasymachos als Verfechter der These, es sei gerecht, dem St rkeren zu n tzen; hingegen

bersehen diejenigen Gelehrten (Neschke-Hentschke, Johnson, Boter), die ThrasymachosThesen treffend nicht als neue Definition, sondern als Bewertung einer bereits definiertenGerechtigkeit deuten, da Thrasymachos seine Eingangsthese in eine Formulierungkleidet, die es durchaus erm glicht, sie (auch) als D e f i n i t i o n der Gerechtigkeit zuverstehen; s.o. Kap. II l, S. 72f., Anm. 5.

95 Plat. Rep. 338el-339a4 und 343d6-e796 Plat. Rep. 343c3f.97 VS 85 B 8 (p.326,16). Von der neueren Forschung wurde bislang nicht beachtet,

da die Formulierung το μέγιστον των εν άνθρώποις αγαθών wohl als ,das gr te derin den A u g e n der Menschen existierenden G ter' zu verstehen ist; s.o. Kap. II 2,S. 96.

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388 Zusammenfassung

Lediglich Protagoras weicht ihn mit seinem Relativismus insofern auf, alsbei einer nur noch f o r m a l als νόμιμον = δίκαιον bestehendenGerechtigkeit inhaltlich gerechtere Handlungen nicht mehr von wenigergerechten unterschieden werden k nnen.4. Erst Kallikles scheint sich zu bem hen, die traditionelle Bestimmung desδίκαιον zu berwinden. Er stellt ihr als der blo vermeintlichen seine wahreund φύσει bestehende Auffassung entgegen, es sei gerecht, da derSt rkere sich durchsetze98. Damit pr gt er in der Tat einen neuen und zudemeindeutigen Begriff von Gerechtigkeit, der deswegen allgemeine G ltigkeitbeansprucht, weil er sich auf die φύσις als letztg ltiges Prinzip beruft.Genau genommen handelt es sich sogar um einen Natur-rechtsbegriff, dermodernen Vorstellungen allerdings als Naturrecht fremd erscheint, weil ernicht etwa gleiche Menschenrechte, sondern die Macht des St rkerenfordert". Und doch erf llt Kallikles' inhaltlich eigenwillig bestimmtesφύσει δίκαιον die n tigen formalen Kriterien eines Natur-rechts, weil eraus einer als letztg ltiges Prinzip aufgefa ten φύσις eine Verhaltensregelableitet und diese gerecht nennt.

In der eindeutigen Form, in der Kallikles das Recht des St rkerenpropagiert (sc. es ist von Natur gerecht, da der St rkere sich durchsetzt),tritt es in der zeitgen ssischen Literatur auffallend selten auf. Zwar mangeltes nicht an Belegen, die f r das 5. Jh. die Verherrlichung der reinen Gewaltnachweisen oder unter Berufung auf die φύσις verbreitete Moralvor-stellungen auf Schw che und Willk r zur ckf hren, doch stimmen siei.d.R. nicht exakt mit Kallikles' These berein, es sei von Natur gerecht,da der St rkere sich durchsetze. Offenkundig fand zwar die Macht viele,aber die These des platonischen Kallikles weniger Anh nger als allgemeinangenommen wird100.5. Antiphon schlie lich schl gt einen Weg ein, der m glicherweise zurendg ltigen berwindung herk mmlicher Gerechtigkeitsauffassungen

98 Plat. Gorg. 483c8-d299 Entgegen einer verbreiteten Auffassung l t sich der Begriff des Naturrechts

durchaus auf Kallikles anwenden; s.o. Kap. III 3, S. 144, Anmm. 98 u. 99.10° Nach den erhaltenen Zeugnissen scheint das Recht des St rkeren in der

kallikleischen Form weniger eine sophistische T h e o r i e als vielmehr den Versuchv.a. bestimmter Staatsm nner darzustellen, ihre eigenen Machtanspr che zu rechtfertigen;vgl. Alkibiades in Thuk. VI 16f.; dazu s.o. Kap. III 4, S. 146-50.

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Zusammenfassung 389

f hren soll. In den seiner Schrift Αλήθεια entstammendenPapyrusfragmenten VS 87 B 44 A und C beschr nkt er sich zun chstdarauf, verschiedene traditionelle Meinungen ber »gerecht* und .ungerecht'zu untersuchen und miteinander zu vergeichen101. Anstatt sich jedoch f reine von ihnen zu entscheiden, weist er entweder empirisch ihreNutzlosigkeit oder logisch ihre Unvereinbarkeit miteinander nach. Zwarscheint er mit dem Grundsatz der Schadensminimierung102 eine Auffassungzu unterst tzen, die ebenfalls zu den traditionellen Gerechtigkeits-bestimmungen z hlt, doch lassen die erhaltenen Zeugnisse nirgendserkennen, da er sie wirklich f r .gerecht' erachtet103. Soweit ersichtlichpr gt er aber auch keinen eigenen neuen Gerechtigkeitsbegriff.

Infolgedessen ist es nicht abwegig zu folgern, Antiphon weise denBegriff des δίκαιον als unbrauchbar zur ck104 und orientiere sich eher andem gr tm glichen Nutzen f r alle Beteiligten. Es scheint, als ziehe erdamit die letzten Konsequenzen aus der Gerechtigkeitsauffassung und derEthik des Protagoras.

Insgesamt orientiert sich die Mehrzahl der Vertreter des sophistischenRechtsdenkens an allt glichen Gerechtigkeitsauffassungen. Selbst einKritiker wie Thrasymachos unterl t es, den traditionellen eine eigeneinhaltliche Deutung entgegenzuhalten. Lediglich Kallikles (in PlatonsGorgias) und Antiphon lassen die herk mmliche Moral insofern hinter sich,als der eine einen eigenen Gerechtigkeitsbegriff pr gt, der andere denBegriff als solchen f r bedeutungslos erachtet und stattdessen einen chterne Nutzenethik entwirft.

101 Vgl. VS 87 B 44 A I 6ff., IV 31ff„ und B 44 C.102 vgl. VS 87 B 44 C II 19-21, wo er den Grundsatz des μήτε άδικεΐν, μήτε

άδικεΐσθαι als eine Gerechtigkeitsauffassung bespricht.103 Der Vergleich von VS 87 B 58 (p.364,1-3) mit Eur. Ion 1247-9 zeigt, da

Antiphon den Grundsatz der Schadensminimierung anerkennt, es aber vermeidet, ihngerecht zu nennen, obwohl die in ihrem Wortlaut mit B 58 beinahe bereinstimmendePassage des Ion denselben Gedanken ausdr cklich δίκαιον nennt; s.o. Kap. V 4, S. 232f.

104 Die moderne Forschung l t Antiphon entweder anarchische Lehren, die sichgegen herk mmliche Gerechtigkeitsauffassungen wenden, oder aber eine .nat rlicheGerechtigkeit' vertreten. Der Text insb. von VS 87 B 44 A und C legt jedoch nahe,Antiphon zwar jeglichen eigenen Gerechtigkeitsbegriff, nicht aber sittliche Maximenabzusprechen; s.o. Kap. V 4, S. 230-234.

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390 Zusammenfassung

e) Nutzen

Trotz ihrer im einzelnen oft sehr unterschiedlichen Auffassungen messendie Sophisten generell dem praktischen Nutzen hohe Bedeutung bei.Stellvertretend sei der Anspruch des sog. Archegeten der Sophistik,Protagoras, genannt, seinen Zuh rern f r das private und das ffentlicheLeben in der πόλις ausgesprochen n tzliche Lehren zu vermitteln105.Angesichts der hohen Bedeutung des Nutzens ist es nicht verwunderlich,wenn die einzelnen Sophisten mit Blick auf ihn auch Fragen des Rechts undder Moral beantworten.

Dabei ist es f r die Frage, wie sie ,Nutzen' inhaltlich verstehen,unerheblich, ob sie ihn als αγαθόν, ώφέλιμον oder συμφέρον bezeichnen.Allenfalls scheint die Gleichsetzung von αγαθόν mit συμφέρον einsprachliches Indiz f r die Unf hig- bzw. Unwilligkeit der betreffendenSophisten zu sein, endg ltige Werte anders denn als unmittelbar greifbarenNutzen zu verstehen106. Wenn allerdings Polos - der nicht zu denSophisten im engeren Sinne zu z hlen ist - in Platons Gorgias sich inseinem Gespr ch mit Sokrates gerade deshalb in Widerspr che verwickelt,weil er nicht zwischen αγαθόν, ώφέλιμον und καλόν zu trennen wei 107,so ist das nicht grunds tzlich auf die Gleichsetzung von αγαθόν undσυμφέρον, sondern auf seine begriffliche Ungenauigkeit zur ckzuf hren,die darin besteht, sich nicht ber die Bedeutung der benutzten Begriffe imklaren zu sein.

Es empfiehlt sich daher weniger, auf die Begriffe, als vielmehr darauf zuachten, wem die einzelnen Vertreter des sophistischen Rechtsdenkens ihrenNutzen zugute kommen lassen. Zwar sind sich alle insofern einig, als sieniemals den Nutzen des einzelnen Menschen aus dem Blick verlieren, dochlassen sich grob zwei Richtungen unterscheiden: Die einen tendieren dazu,

105 Vgi piat prot 3i8e5-319a2: το δε μάθημα εστίν ευβουλία περί των οικείων,όπως αν άριστα την αύτοΰ οΐκίαν διοικοΐ, και περί των της πόλεως, όπως τα τηςπόλεως δυνατώτατος αν εΐη και πράττειν και λέγειν.

1 °6 Schon bei Homer finden sich Belege f r die quivalenz von .gut' und .n tzlich';vgl. dazu Snell 61986, 151ff.

107 Vgl. Plat. Gorg. 468b/c u. 474cff. Er unterliegt Sokrates nicht etwa deshalb,weil er - wie allgemein angenommen wird - das Unrechttun zwar besser, aber h licher(αΐσχιον) nennt als Unrechtleiden, sondern weil er sich ber seine eigenen Begriffe nichtim klaren ist. S.o. Kap. III 2, S. 113f. u. S. 118-123.

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Zusammenfassung 391

den Nutzen des einzelnen ohne Rücksicht auf den seiner Mitmenschen inden Vordergrund zu stellen (a), die anderen, ihn mit den Interessen derGemeinschaft zu verbinden (b).

Zu (a): Eindeutig zu (a) neigen diejenigen Denker, die einen triebhaftenMenschen voraussetzen und herkömmliche Moral- und insbesondereGerechtigkeitsvorstellungen als unnütz ablehnen. Wenn Polos dasUnrechttun für zwar schändlicher ( ), aber letztendlich doch fürbesser erklärt als das Unrechtleiden108, so orientiert er sich eindeutig andem Nutzen für einen einzelnen Gewalttäter. Ähnlich weist auchThrasymachos die Gerechtigkeit mit der Begründung zurück, sie kommeletztlich nur einem anderen, dem Stärkeren, zugute, und mißt sie demnachan dem Nutzen, den ein einzelner Mensch für sich erstrebt und mitgerechtem Handeln kaum wird erreichen können109. Nach der Ansichtbeider ist die Gerechtigkeit kein geeigneter Weg, auf dem ein einzelnerMensch seine egoistischen Bedürfnisse befriedigen kann. Währendallerdings Polos die für den einzelnen nützliche Ungerechtigkeitausdrücklich zu empfehlen scheint110, sind die provozierenden Thesen desThrasymachos bereits als analytische Kritik an herkömmlichen Gerechtig-keitsvorstellungen hinreichend verständlich111.

Kallikles geht insofern einen Schritt weiter, als er explizit dieÜberlegenheit und damit den größten Nutzen für den sog. .Stärkeren'f o r d e r t 1 1 2 . Auch scheut er sich nicht, Angenehmes, insoweit estatsächlich und nicht nur scheinbar angenehm ( ) ist, als zubezeichnen113, dies jedoch, ohne das des größtmöglichen Nutzensfür den Stärkeren zu verwässern oder gar aufzugeben114. Gemeinsam mit

108 Plat. Gorg. 474c4-d2109 Plat. Rep. 343d/e110 Plat. Gorg. 471 a4-d21 1 1 S.o. Kap. II l, S. 71ff., insb. S. 86-9.1 1 2 plat. Gorg. 483c8-d2; darin besteht der wesentliche Unterschied der Thesen des

Kallikles zu sonstigen Befürwortern von Macht und Ungerechtigkeit.113 Plat. Gorg. 495a5f.114 In Plat. Gorg. 499b8 unterscheidet Kallikles bessere von schlechteren Lüsten und

räumt in 499dl sogar schädliche Lüste ein. Insgesamt vertritt er - entgegen gängigerForschungsmeinung (s.o. Kap. III 3, S. 133, Anm. 66, u. S. 137, Anm. 80) - keinenreinen Hedonismus und eine widerspruchsfreie Position, weil der Stärkere nach seinerAuffassung nicht t a t s ä c h l i c h allen Lüsten nachgeht, sondern lediglich f ä h i gist, allen Lüsten nachzugehen (vgl. Plat. Gorg. 494c3 [com.

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392 Zusammenfassung

Polos beachtet er nämlich nicht den Nutzen des einzelnen Menschenschlechthin, sondern konzentriert sich auf die Dinge, die einem bestimmteneinzelnen, sc. dem Stärkeren und seinem Streben nach zugutekommen. Defacto beschränken beide die Zahl der tatsächlichen Nutznießeralso auf einen sehr engen Kreis.

Thrasymachos hingegen verliert die Interessen der gewöhnüchen Durch-schnittsmenschen insofern nicht aus den Augen, als er die Gerechtigkeitdeswegen kritisiert, weil sie nicht in der Lage sei, gerade dem gewöhn-lichen einzelnen Menschen zu nützen115. Allerdings weist seine polemischeDiagnose keinen Ausweg aus dieser Misere, sondern scheint sich auf dieFeststellung zu beschränken, daß gerechtes Handeln sich nicht lohne, weiles letztlich nur dem Stärkeren zugute komme.

Einzig Antiphon versteht es, die egoistischen Interessen der auch vonihm als triebhaft verstandenen Einzelmenschen miteinander zu versöhnen,indem er die Möglichkeit absoluter Stärke leugnet116 und stattdessen wegender Verletzlichkeit jedes einzelnen Menschen das Streben nachSchadensminimierung zur notwendigen Voraussetzung dafür erhebt,größtmöglichen Nutzen zu erlangen117. Wie Kallikles behauptet auch ereine enge Verbindung zwischen dem Angenehmem und demNützlichem118. Seiner in gewissem Sinne atomistischen Soziallehre liegtzwar nichts ferner, als die Interessen des einzelnen einem etwaigenGemeinwohl zu opfern, doch läßt sich aus den erhaltenen Ausführungendas Bild eines stabilen Gleichgewichts einander fürchtender Einzel-interessen gewinnen, in dem der größtmögliche Nutzen der Gemeinschaftsich aus der Summe des größtmöglichen Nutzens a l l e r einzelnen ergibt.Gerade indem Antiphon die Interessen j e d e s einzelnen Menschenbeachtet, scheint er de facto den Gemein- aus dem Eigennutz abzuleiten.

Stephanus]). Damit läßt Kallikles dem Stärkeren genügend Spielraum, auf das eigentliche, den Nutzen, zu achten; s.o. Kap. III 3, S. 138f. u. Anm. 85.

115 Dieser Aspekt der Polemik des Thrasymachos wird i.d.R. nicht beachtet, weil erauf den ersten Blick nur den Nutzen des Stärkeren im Auge zu haben scheint. Er wirft aberSokrates und dessen Anhängern deswegen Einfältigkeit ( ) vor (Plat. Rep. 343d 1-3,348cl2), weil diese nach seiner Auffassung ihrem eigenen Nutzen zuwiderhandeln.

116 Vgl. VS 87 B 58; vgl. Anon. Iambi. 6,3 (VS II p. 403,3f.).117 VS 87 B 44 AI 12-23118 VS 87 B 44 A IV 14-22

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Zusammenfassung 393

Möglicherweise entspricht dieser Zustand seinem Verständnis von -119.

Da Antiphon demnach ein nüchtern-realistisches Menschenbild vertrittund die Möglichkeit absoluter Stärke leugnet, ist es zumindest möglich,seine Thesen als eine konstruktive Kritik auch an der Lehre vom Recht desStärkeren zu verstehen. Seine Schriften wären möglicherweise später zudatieren, als üblicherweise angenommen wird120. (Sollte er tatsächlich denBegriff als sinnlos zurückgewiesen und den Versuch unternommenhaben, eine ,Ethik' zu entwerfen, die ohne jeglichen Gerechtigkeitsbegriffauskommt, so steht dieser Umstand einer späteren Datierung nicht imWege.)

Insgesamt ergibt sich ein differenziertes Bild derjenigen Sophisten, dieden Nutzen des einzelnen (a) in den Vordergrund stellen: Da Polos undKallikles nur von dem sog. .Stärkeren' ausgehen, widerspricht für sie derEigennutz zwangsläufig dem Nutzen der anderen Menschen. AuchThrasymachos scheint keine Verbindung zwischen beidem zu kennen, daauch er die Möglichkeit absoluter Stärke nicht bestreitet. LediglichAntiphons Eigennutz (a) läßt sich mit dem Nutzen der anderen Menschenverbinden, allerdings nicht etwa, weil der einzelne die Interessen seinerMitmenschen respektieren, sondern weil er in seinem e i g e n e n InteresseSchaden - etwa von seilen der von ihm geschädigten Personen - vermeidensollte.

Immerhin scheinen diese nüchternen Überlegungen nicht ohne Einflußauf Sokrates geblieben zu sein: Denn indem dieser das Unrechttundeswegen verurteilt, weil der Übeltäter seiner Seele schade121, verurteiltauch er Übergriffe mit Rücksicht auf den persönlichen Vorteil des Täters.Allerdings gewinnt der Eigennutz in der Lehre von Platon/Sokrates eine

1!9 Zu diesem Buchtitel Antiphons vgl. VS 87 B 44a.120 Nach der üblichen - allerdings nicht gesicherten Chronologie - gilt das Jahr 418

(2. Fassung der Wolken des Aristophanes) als terminus ante quern für Antiphons. Doch deuten Parallelen zu Thukydides und Euripides (Orest und Ion)

möglicherweise auf die Zeit nach 413. Dieser Befund verträgt sich durchaus mit derAnnahme, Antiphon greife eher auf die Lehre vom Recht des Stärkeren zurück, anstatt ihrden Weg zu bereiten; dazu s.o. Kap. V 7 u. 8, S. 250-272.

121 Vgl. z.B. Plat. Gorg. 477aff.

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394 Zusammenfassung

neue Qualit t, weil er sich von den Vorstellungen materieller Vorteileweitestm glich entfernt und an deren Stelle eine harmonische Seelenver-fassung treten l t122.

Zu (b): Andere Sophisten hingegen bem hen sich, die Interessen deseinzelnen Menschen mit denen seiner Mitmenschen zu verbinden und darausein wirkliches gemeinschaftliches Interesse zu entwickeln: So betrachtetProtagoras in seinem Mythos die Mitmenschen keineswegs alsKonkurrenten, die dem Willen des einzelnen im Wege stehen. Vielmehr seider einzelne Mensch auf die Hilfe seiner Mitmenschen angewiesen, weil erstdie Gemeinschaft ihm Schutz vor wilden Tieren und aggressivenArtgenossen biete123 und zudem die Arbeitsteilung erm gliche124, dienotwendige Voraussetzung f r kulturellen, technischen und wirtschaftlichenFortschritt. Man k nnte darin eine einfache Verquickung von Eigen- undGemeinnutz sehen, insofern der Zweck der menschlichen Gemeinschaft innichts anderem bestehe, als das berleben des einzelnen zu sichern. Dochgeht Protagoras einen Schritt weiter: Die Bed rftigkeit des Menschen alleinbef hige ihn noch nicht dazu, Gemeinschaften zu bilden, sondern es bedarfdazu eigens einer sozialen Begabung und deren Umsetzung125. Obwohl erdurchaus den Nutzen erkennt, den der einzelne Mensch aus der Gemein-schaft zu ziehen vermag, gen gt er ihm keineswegs, um zu erkl ren,weshalb der Mensch mit Erfolg Gemeinschaften gr ndet: Der Mensch istnicht etwa deshalb .gesellschaftsf hig', weil er erkennt, da seine undseiner Mitmenschen Interessen einander trefflich erg nzen. Vielmehrbegreift Protagoras den Menschen schon von seiner Anlage her alsgesellschaftliches Wesen. Gleichwohl unterstreicht er den Nutzen, den dereinzelne aus dem gemeinschaftlichen Leben zieht. Dieser Standpunkt magverglichen mit dem eines Antiphon unscharf erscheinen. Er wird jedochverst ndlich, wenn man zwei Umst nde ber cksichtigt:l. Protagoras kommt es - jedenfalls im platonischen Protagoras - daraufan, die Bedeutung und die Lehrbarkeit der πολιτική τέχνη zu beweisen,deren Lehrer zu sein er von sich als einem σοφός behauptet. Infolgedessenist f r ihn von vornherein der Gedanke ausgeschlossen, das Streben der

122 Plat. Gorg. 504d5-505d3123 Plat. Prot. 322blf. u. 322b7f._124 Das impliziert 322c5-7 insb. εις έχων ίατρικήν πολλοίς Ικανός ίδιώταις.125 vgl. Plat. Prot. 321d4f. πολιτική (σοφία) u. 322c2 αιδώ τε και δίκην.

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Zusammenfassung 395

einzelnen Menschen nach Nutzen reiche aus, um Gemeinschaften zubegr nden. Vielmehr findet der σοφός seine Berechtigung darin, eine inallen Menschen potentiell angelegte F higkeit mehr als andere umsetzen undweiterentwickeln zu helfen.2. ,Nutzen* bedeutet f r ihn in erster Linie Nutzen f r den Menschenschlechthin126: f r den einzelnen Menschen genauso wie f r dieGemeinschaft und f r den Menschen als Menschen. Infolgedessen w re eseinseitig, Protagoras als Verfechter ausschlie lich des Eigennutzes zuverstehen. Das geht m.E. aus dem Homo-Mensura-Satz hervor, wenndieser tas chlich den Menschen auch insofern zum Ma der χρήματαernennt, als der Mensch (als einzelner, als Gemeinschafts- und alsGattungswesen127) die ihm zur Verf gung stehenden Dinge seinenZwecken dienstbar macht. In diesem Sinne lie e sich der Nutzenbegriff desProtagoras nicht mit den Kategorien des Einzel- bzw. Gemeinnutzensfassen, sondern m te als Nutzen f r den Menschen schlechthin begriffenwerden. Immerhin ergibt sich daraus, da der Nutzen des einzelnenMenschen dem Gemeinnutzen (wenn man diesen Begriff f r Protagorasannehmen darf) i.d.R. nicht entgegenstehen kann, sind doch beide nurSpielarten dessen, was f r den Menschen schlechthin n tzlich ist.

Was den Anonymus lamblichi betrifft, so scheint er das Interesse derGemeinschaft eindeutig aus dem des einzelnen Menschen abzuleiten: Ererkl rt die Entstehung der menschlichen Gemeinschaft aus der Unf higkeitder Menschen, einzeln zu ( ber)leben128. Zudem spricht er sich daf r aus,da die Menschen ihren eigenen Interessen nachgehen, ist doch nach seinerAuffassung der Zustand der ευνομία u.a. deswegen erstrebenswert, weil erden B rgern gestattet, sich auf die ihnen vorteilhaften und angenehmenAngelegenheiten (έργα) zu konzentrieren129. Auch bed rfe es, um dieArmen im Staate zu unterst tzen, keiner altruistischen Spenden, sondern imZustand der ευνομία komme durch den gesicherten Geld- und

126 Nat rlich leugnet er nicht, da bestimmte Dinge Pflanzen und Tieren ebenson tzen k nnen (vgl. Plat. Prot. 334a-c u. Theoet. 167b7-c2), doch stellt er den Nutzen f rden Menschen in den Mittelpunkt. Ihm - und nicht etwa anderen Lebewesen - m chte derSophist n tzen; s.o. Kap. I l a, S. 27f.

127 S.o. Kap. I l a, S. 33f. zu den Bedeutungen von άνθρωπος im Homo-Mensura-Satz.

128 VS896.1 (p. 402,24f.)129 VS 89 7,3/4 (p. 403,22-6)

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Warenverkehr der Wohlstand der Reichen den Armen von selbst zugute,ohne da jene auf den Genu ihres Verm gens verzichten m ten130. Erwarnt sogar ausdr cklich davor, anderen mit Geldgeschenken zu helfen,weil dies dem eigenen Vorteil abtr glich sei: Nur allzu leicht k nne man sich

bernehmen und gezwungen sein, auf ble Weise neues Geld zubeschaffen131. Offenkundig liegt Altruismus dem Anonymus fern;stattdessen ist er bem ht, ein Gesellschaftsmodell zu entwerfen, das denEigeninteressen aller Beteiligten weitestm glich entgegenkommt, ja ererkl rt - hnlich wie Protagoras - die Notwendigkeit der menschlichenGemeinschaft aus der Bed rftigkeit des einzelnen Menschen. Allerdingsentsteht nach seiner Auffassung eine menschliche Gemeinschaft nicht schondann, wenn jeder jeweils f r sich nach seinem eigenen Vorteil strebt, selbstwenn er die Interessen seiner Mitmenschen nicht verletzt132. Vielmehr fu tdie Gemeinschaft des A.I. - hnlich wie die protagoreische auf αιδώς undδίκη fu t - auf einem gesonderten, unabh ngig vom Nutzen bestehendenPrinzip. Im Unterschied zu Protagoras greift der A.I. allerdings nicht aufden Gedanken einer a priori bestehenden sozialen Begabung zur ck, diedann zu entwickeln w re, sondern setzt die νόμοι und das δίκαιον als zweieigenst ndige, den Menschen bergeordnete Gr en ein, die der Gemein-schaft als Regulative dienen133. Demnach erf llt f r den A.I. der Eigen-nutz, obwohl er in den erhaltenen Bruchst cken die Rolle eines nicht zuvernachl ssigenden τέλος genie t, - anders als im Falle Antiphons - keinehinreichende soziale Funktion.

Immerhin erachtet der A.I. den Nutzen als solchen f r bedeutend genug,um ihn mit dem h chsten Ziel menschlichen Strebens, der vollkommenenαρετή zu verbinden: Ein άριστος n mlich, der die gesamte αρετή erlangthat, zeichnet sich dadurch aus, m glichst vielen Menschen n tzlich zusein134. Auch dieses auf den ersten Blick altruistische Verhalten ist nicht

130 VS 89 7,2 (p. 403,18-22); die Parallele zu Antiphon VS 87 B 54 beachtet -wenn icht recht sehe - niemand au er Dumont 1971, 208; s.o. Kap. V 3, S.222f., Kap.VII l, S.311 Anm. 57 u. S.331.

131 VS893.3 (p. 401,24-8)132 Eine derartige Vorstellung k me Antiphon dem Sophisten sehr nahe.133 Das ist deswegen paradox, weil die νόμον de facto blo es Menschwerk sind. Der

A.I. scheint die Selbst ndigkeit, die das δίκαιον nach seiner Auffassung als absoluteGr e genie t, auch auf die νόμοι auszuweiten, die ja auf das δίκαιον ausgerichtet sind.

134 VS 89 3,3 (p. 401,21-3)

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frei von Eigennutz, n tzt doch der άριστος nach der Auffassung des A.I.dann den meisten, wenn er sich f r die νόμοι und das δίκαιον alsGrundlagen der menschlichen Gemeinschaft einsetzt135, und dabei insofernauch seinem privaten Gl ck den Weg bereitet, als der im Idealfalleeintretende Zustand der ευνομία, der ja notwendige Voraussetzung ist f rdas Gedeihen des allgemeinen Wohlstandes, auch ihm selbst zugutekommen d rfte. Schlie lich weist der A.I. - wie bereits besprochen -eigens darauf hin, da niemand in dem Bem hen, anderen zu helfen, sichselbst schaden solle136.

Nicht anders verh lt es sich, wenn der A.I. als Lohn f r das Strebennach vollkommener αρετή δόξα und ευλογία in Aussicht stellt137,kommen doch diese beiden Werte ausschlie lich dem άριστος selbstzugute. Auch wenn es sich dabei um immaterielle Werte handelt, somotiviert dennoch der A.I. das Streben nach αρετή mit bestimmten Formenvon Eigennutz, indem er mit δόξα und ευδοξία begr ndet, weshalb mannach der αρετή streben soll.

Insgesamt ist das Verh ltnis der Vertreter des sophistischen Rechts-denkens zum Nutzen in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einenorientieren sich nicht nur rigorose, sondern auch - wie Protagoras beweist -moderate Kritiker, oder - wie der A.I. - sogar Anh nger herk mmlicherMoralvorstellungen an dem Eigennutzen. Allerdings erheben nur dierigorosen Kritiker wie Polos, Kallikles, Thrasymachos und Antiphondiesen zu einer hinreichenden Triebfeder menschlichen Handelns.

Zum anderen beweist jedoch Antiphon, da am Eigennutz orientiertescharfe Kritik an konventionellen Rechts- und Moralvorstellungen nichtnotwendig zu destruktiven bzw. anarchischen Grunds tzen f hren mu ,wenn man - wie er - den Eigennutz nicht nur bestimmter, sondern allerMenschen in den Mittelpunkt stellt.

135 VS 89 3,6 (p. 401,30-3)136 VS 89 3,4f. (p. 401,23-30)137 VS 89 2 u.4,6-5,2

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f) Vertragstheorie

Eng mit der Nutzenlehre verkn pft sind diejenigen Vorstellungen dessophistischen Rechtsdenkens, die oftmals mit dem neuzeitlichen Begriff der.Vertragstheorie' belegt werden. Ihr Ursprung wird wohl mit Recht in das5. vorchristliche Jahrhundert gelegt138, denn in verschiedenen Zeugnissenjener Zeit finden sich zum ersten Mal Modelle, die den Ursprung dermenschlichen Gesellschaft als einen Zusammenschlu beschreiben, zu demdie Menschen sich angesichts ihrer Hilflosigkeit gezwungen sahen. ImUnterschied zu den neuzeitlichen Vertragstheorien stellen die antikenModelle aus der Zeit der Sophistik allerdings weniger die Frage nach derVerfassung als die nach der Ursache der Vereinigung in denVordergrund139.

Um die antiken Modelle zu klassifizieren, schl gt Kahn vor, sie jeweilseinem der drei Typen T, T l oder T2 zuzuordnen, wobei T lediglich dieAnsicht bezeichnet, die νόμοι seien blo es Menschenwerk, Tl dieEntstehung gemeinschaftlicher Regeln auf gesonderte Gesetzgeberzur ckf hrt und T2 als die eigentliche Form der Vertragstheorie die νόμοιals Ergebnis einer gemeinsamen bereinkunft erkl rt140. Zwar eignet sichdiese Einteilung, die Genese der Vertragstheorie im 5. Jh. zu erkl ren,bezieht aber zwangsl ufig auch solche Vorstellungen mit ein, die dereigentlichen Vertragstheorie nicht zuzurechnen sind. So bereitet die im 5.Jh. verbreitete Ansicht, die νόμοι seien Menschenwerk, nicht einfach der

138 vgl. Kahn 1981, 92ff.; ob ihre Entstehung allerdings auf die νόμος-φύσις-Debatte zur ckzuf hren ist, wie Mulgan 1979, 122 annimmt, ist fraglich, da sich schonbei Protagoras die Merkmale einer Vertragstheorie erkennen lassen, obwohl dieser dieνόμος-φύσις-Debatte weder direkt vorbereitete, noch gar zu ihren Vertretern gez hltwerden kann.

139 Die neuzeitlichen Modelle eines Althusius, Hobbes, Pufendorf, Locke,Thomasius und Kant erkl ren den Zusammenschlu entweder als freiwilligen Vertraggleichberechtigter Partner (pactum unionis), die dann ggf. ein Oberhaupt ernennen, oderals erzwungene Unterwerfung unter einen Souver n (pactwn subiectionis). Demgegen berheben die vergleichbaren Vorstellungen aus der Zeit der Sophistik die Ursache f r denZusammenschlu hervor, die sie in der Bed rftigkeit des Menschen erkennen, und befassensich nicht weiter mit der Struktur bzw. der Verfassung der betreffenden Gemeinschaft.

140 Kahn 1981, 94

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Zusammenfassung 399

Vertragstheorie den Weg, sondern dient in erster Linie dazu, die νόμοι ihrerh heren, ggf. g ttlichen Autorit t zu entkleiden141. Auch die Ansichten, dieKahn dem Modell T l zuordnet, entpuppen sich oftmals als νόμος-kritische

u erungen, die haupts chlich der νόμος-φύσις-Debatte zuzurechnen sind,und deshalb sogar denjenigen vertragstheoretischen Modellen entge-genstehen, die die νόμοι nicht kritisieren142. (Es gibt durchaus Modelle, diedie νόμοι ablehnen; s.u.) Zudem z hlt Kahn mit dem sog. Sisyphos-Fragment ein Modell zu Tl, das eher die Kriterien von T2 erf llt,beschr nkt doch der Sprecher dieses Textes die berredungsgabe seines,klugen Erfinders' auf die Erfindung der G tterfurcht, wohingegen dieMenschen ihre νόμοι in gegenseitiger bereinkunft festzulegenscheinen143. Dar ber hinaus zeigt sich eine weitere Schwierigkeit: Nicht alleModelle aus dem Bereich der Sophistik, die die Kriterien erf llen, die eineVertragstheorie auszeichnen, entsprechen formal Kahns Modell T2144, ohnedeswegen aus der Gruppe der eigentlichen Vertragstheorien ausgeschiedenwerden zu d rfen.

Es empfiehlt sich daher zun chst, die Kriterien zu nennen, die ein Modellinhaltlich erf llen mu , um zu den sog. echten Vertragstheorien gez hlt zuwerden, und zus tzlich nach Merkmalen zu suchen, die diese eigentlichenVertragstheorien klassifizieren helfen:

Um als Vertragstheorie zu gelten, sollte ein Modell zwei Voraus-setzungen erf llen: :1. Es sollte einen anarchischen oder sonstwie problematischen (Ur)Zustandder Menschheit erkennen lassen, der der Abhilfe bedarf.2. Es sollte auf bereinkunft beruhende Regeln (νόμοι) mit der Aufgabebetrauen, Abhilfe zu schaffen.

Wie sich bei der folgenden Besprechung zeigen wird, gen gt es, wenndie in Frage kommenden Texte diese Voraussetzungen i n h a l t l i c herkennen lassen. Dazu kann es n tig sein, auf andere Zeugnisse des

141 Vgl. z.B. Heraklit VS 22 B 114 τρέφονται γαρ πάντες οι ανθρώπειοι νόμοιυπό ενός του θείου und dagegen Archelaos VS 60 A 4,6 (VS II p. 46,21-4).

142 Vgl. Aristoph. Nub. 1421-24.143 VS 88 B 25 v. 5f. καπειτά μοι δοκοϋσι άνθρωποι νόμους / θέσθαι...144 Beispielsweise versteht der Anon. Iambi, die νόμοι zwar nicht anders denn als

menschliche Gesetze, f hrt sie aber in seinen berlegungen ber den Urzustand derMenschheit wie eine unabh ngige Gr e ein, ohne explizit ihre menschliche Herkunft zubesprechen; vgl. VS 89 6,1.

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betreffenden Autors zur ckzugreifen. Die Bedingungen sind aber auch dannhinreichend erf llt, wenn die Annahme ihres Gegenteils den sonstigenAussagen des Autors widerspr che.

Die diesen Kriterien gen genden eindeutigen Vertragstheorien lassen sichin einem weiteren Schritt voneinander unterscheiden, wenn man sie nicht -wie blich - als blo e mehr oder weniger entwickelte Vertrags-modellebegreift, sondern in νόμος-freundliche (a) und νόμος-feindliche (b) Modelleeinteilt.Zu (a): Trotz seiner relativistischen νόμος-Vorstellung kann Protagorasdurchaus als Vertreter des νόμος-freundlichen Vertragsmodells gelten. Zwarl t er offen, wie die νόμοι einer menschlichen Gemeinschaft im einzelnenauszusehen haben, indem er erkl rt, was eine jede πόλις f r νόμιμον undδίκαιον halte, das sei es auch f r sie, doch beruhen menschlicheGemeinschaften - wie sein Mythos in Platons Protagoras beweist - aufeinem aus der Not geborenen Zusammenschlu , in dem die νόμοι als solcheeine tragende Funktion erf llen d rften. Allerdings gr ndet Protagoras diemenschliche Gemeinschaft nicht unmittelbar auf die Verein-barungbestimmter νόμοι, sondern beginnt einen Schritt fr her, indem ermenschliche Gemeinschaften aus der sozialen F higkeit und Fertigkeitableitet, die er in der Gestalt von αιδώς und δίκη einf hrt. Infolgedessenk nnen in seinem Modell die νόμοι - sei es als Konvention, sei es alsGesetze - nur sekund ren Rang beanspruchen und finden deshalb in seinemMythos von der Gesellschaftsentstehung keine ausdr ckliche Erw h-nung145. Da sich jedoch kein Beleg findet, nach dem Protagoras behaupteth tte, menschliche Gemeinschaften k nnten de facto ohne νόμοι bestehen,sondern er diese vielmehr als (dann wohl auf bereinkunft beruhende)Konventionen der jeweiligen πόλεις (aner)kennt146, ist es durchausangebracht, Protagoras zu den Vertretern der νόμος-freundlichen Vertrags-theorie zu z hlen. Diese Annahme findet zudem eine Best tigung in derNachricht, Protagoras habe f r die 444/3 von Perikles gegr ndete panhel-lenische Kolonie Thurioi eine Verfassung entworfen.

145 Ausgenommen Plat. Prot. 322d4f., wo Zeus dem Hermes gebietet, einen νόμοςaufzustellen, der den Ausschlu .sozial Unf higer' anordnet.

146 Vgl. Plat. Theaet. 167c4-6 u. 172a2-4

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Zusammenfassung 401

Ein weiterer Vertreter findet sich mit dem Anon. Iambi. Zwar gleichenseine Ausf hrungen ber den Urzustand der Menschheit auff llig demProtagoras-Mythos, doch betraut er im Unterschied zu Protagoras die νόμοι(qua Gesetze) explizit mit der Aufgabe, menschliche Gemeinschaftendauerhaft zu erm glichen. Allerdings unterl t er es, diese ausdr cklich alsErgebnis menschlicher bereinkunft zu bezeichnen, sondern f hrt sie alsselbst ndige und selbstt tige Gr e ein, die gemeinsam mit dem δίκαιονber den Menschen thront147. Da es jedoch abwegig w re, ihm angesichts

fehlender Belege und der Gefahr, ihm damit anachronistische Ansichtenunterzuschieben, zu unterstellen, er leite den νόμος aus h heren,m glicherweise g ttichen Prinzipien als absolute Gr e ab, ist es wohlangebracht, auch ihm die Annahme zuzutrauen, die νόμοι seien Menschen-werk. Denn wer den νόμοι die Leistung zuschreibt, die menschlicheGemeinschaft zusammenzuhalten, mu sie deswegen noch nicht notwendigauf g ttliche M chte zur ckf hren.

Selbst das Sisyphos-Fragment scheut sich nicht, trotz der in ihm deutlichausgesprochenen Schw che der νόμοι, diesen wenigstens die F higkeitzuzusprechen, ffentliches Unrecht zu unterbinden148. Da es zudem dieνόμοι als aus der Not entstandene bereinkunft der Menschenbezeichnet149, besteht hinreichender Grund, B 25 zu den νόμος-freundlichen Vertragstheorien zu rechnen. Allerdings unterscheidet es sichinsofern von den brigen Modellen dieser Gruppe, als es ausdr cklichbestreitet, die νόμοι allein gen gten bereits, um menschliche Gemeinschaf-ten dauerhaft zusammenzuhalten.

Lykophron schlie lich scheint sich ebenfalls in die genannte Gruppeeinzureihen, denn indem er den νόμος als Garanten der Gerechtigkeit f r dieB rger bezeichnet150, schreibt auch er ihm die Aufgabe und die F higkeitzu, einen ohne ihn anarchischen Zustand zu verhindern und stattdessen denMenschen ein geregeltes Gesellschaftsleben zu erm glichen. Es w refolglich verst ndlich, wenn Lykophron den νόμος .menschliche

bereinkunft' nennen w rde, zumal Aristoteles im unmittelbaren

147 Vgl. A.I. VS 89 6,1 (p. 402,28f.) δια ταύτας τοίνυν τάς άνάγκας τον τενόμον και το δίκαιον έμβασιλεύειν τοις άνθρώποις.

148 VS88B25 ν. 9f.149 ebd. v.5f.150 Arist. Pol. 1280bll

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402 Zusammenfassung

Zusammenhang mit ό νόμος συνθήκη auf derartige Vorstellungenanspielt151. Allerdings weist Aristoteles dem Lykophron ausdr cklich nurdie Worte ό νόμος εγγυητής άλλήλοις των δικαίων zu, und somit ist esfraglich, ob Lykophron als Vertreter der Vertragstheorie in Anspruchgenommen werden kann152. Immerhin widerspr che es nicht dem ihm vonAristoteles eindeutig zugewiesenen Gedanken des .Garanten derGerechtigkeit', wenn Lykophron den νόμος als eine bereinkunft begriffe,die dazu diente, einen anarchichen Urzustand zu berwinden, und sichdamit deutlich zur Vertragstheorie bekennte.

Insgesamt verstehen die Vertreter der νόμος-freundlichen Vertragstheorieden νόμος als zwar von Menschen,hand* geschaffenes, aber angesichts derBed rftigkeit des Menschen notwendiges Mittel, Gemeinschaften dauerhaftzusammenzuhalten. Im einzelnen treten allerdings einige Differenzierungenzutage: Protagoras betrachtet den νόμος hinter αιδώς und δίκη als ehersekund re Gr e und dem A.I. zufolge besteht er nur im Verbund mit demδίκαιον, und da dieses ihm keineswegs als Menschenwerk gilt, scheint derνόμος des A.I. seine Autorit t aus dem δίκαιον zu beziehen. Schlie licherkennt das Sisyphos-Fragment ihn nur als teilweise wirksames Mittel an,die menschliche Gemeinschaft zu st tzen.Zu (b): Einigen - insb. platonischen - Zeugnissen zufolge findet in derSophistik auch eine νόμος-feindliche Vertragstheorie Anh nger: So greiftKallikles in Platons Gorgias auf das Modell der Vertragstheorie zur ck,nicht etwa um die gemeinschaftsstiftende Funktion des νόμος darzustellen,sondern um ihn als willk rliche bereinkunft der Schwachen zubrandmarken, die einzig dem Zweck diene, den von Natur zur Herrschaftberufenen St rkeren einzuengen und zu unterdr cken153. Dabei bleiben dietypischen Merkmale der sog. Vertragstheorie hinreichend erkennbar: Die.Gesetzgeber' sind bem ht, ihrer Schw che abzuhelfen, und vereinbarendeshalb die νόμοι. Allerdings versuchen sie keineswegs, gegenseitige

151 ebd.blO152 Vgl. Guhtrie III1969, 139, Kerferd 1981, 128; zur ckhaltend auch A. Mazaraki-

Christodulidi: Lycophron's Protectionist Theory of the State and the Platonic Critique,in: ΣΟΦΙΣΤΙΚΗ 1984, 197-204 und Sch trumpf II 1991, 485f.; anders Nes e 21942,343, Wolf II 1952, 136f., Hofmann 1974, 269f. (obwohl auch er nur die Worte ό νόμοςεγγυητής άλλήλονς των δικαίων als Zitat des Lykophron bewertet) u. Demandt 1993,49.

153 Plat. Gorg. 483b4-c6

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Zusammenfassung 403

bergriffe zu unterbinden, sondern, sich vor der Gewalt eines anderen, desSt rkeren, zu sch tzen. Auf diese Weise sondert Kallikles den St rkerenaus der Gemeinschaft der brigen Menschen ab und l t nicht alleMenschen an der besagten vertraglichen bereinkunft teilhaben, denn dieseentspringt nicht dem Interesse aller, sondern nur dem einer bestimmtenGruppe. Folglich ist es verst ndlich, wenn er die Vorstellung vonGerechtigkeit ebenfalls als Willk r ablehnt, weil sie gerade in den genanntenνόμοι gegen die Macht des St rkeren verankert wird.

Auf vergleichbare Weise erkl rt in Platons Politeia Glaukon die νόμοι zueiner bereinkunft aus Schw che154. Im Unterschied zu Kalliklesbegr ndet er allerdings den Entschlu der Schwachen, Gesetze zuvereinbaren, nicht allein mit dem Wunsch der Vertragspartner, sich vor den

bergriffen St rkerer zu sch tzen, sondern mit deren Einsicht, selbst nichtin der Lage zu sein, sich ber die anderen zu erheben. Hierdurch ger t derVertrag Glaukons zu einer Notl sung, zu der sich die Beteiligtengezwungen sehen, obwohl sie einen anderen Weg (sc. den der Gewalt)vorz gen.

Beide Vorstellungen - sowohl die des Kallikles als auch die des Glaukon- teilen mit den unter (a) besprochenen Modellen den Gedanken, daletztlich die Schw che der e i n z e l n e n Menschen diese dazu bewegt,gemeinsam nach einem Ausweg zu suchen. Doch w hrend die νόμος-freundlichen Vorstellungen besagten , Gesellschafts vertrag' als Fortschritt inder Entwicklung der Menschheit begr en (selbst das Sisyphos-Fragmentbildet da keine Ausnahme), bedeutet dieser Vertrag f r Kallikles undGlaukon nicht mehr als eine willk rliche Vereinbarung, die teils demInteresse der Besseren zuwiderl uft, teils nicht dem entspricht, was dieBeteiligten selbst w nschen.

Schlie lich k nnten in Antiphons Bezeichnung der νόμοι als ,Ergebnissegemeinsamer bereinkunft' (όμολογηθέντα)155 auf den ersten Blickebenfalls vertragstheoretische Vorstellungen anklingen, die angesichts vonAntiphons rigoroser νόμος-Kritik den νόμος-feindlichen Modellenzugeschlagen werden m ten. Da dieser aber in keinem der erhaltenen

154 Plat. Rep. 358e3-359b5155 VS 87 B 44 A I 29f. u. 33f.

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404 Zusammenfassung

Texte auf einen Urzustand der Menschheit eingeht, noch feststellt, dieBeteiligten hätten in der Absicht, sich selbst zu schützen (o.a.), dievereinbart, genügt es, Antiphons ,bloße Vereinbarungen' ( )als Gegenbegriff zu gewachsenem' ( )156 zu erklären, der nicht denVertragscharakter der , sondern ihre w i l l k ü r l i c h e undwidernatürliche Herkunft unterstreicht. Es wäre folglich voreilig, auchAntiphon zu den »Vertragstheoretikern' zu zählen157.

Hingegen sind - wie aus dieser Übersicht hervorgeht - die echtenVertragstheorien der Sophistik deswegen interessant, weil sie nicht einfachpauschal den Zusammenschluß bedürftiger Menschen zu funktionierendenGemeinschaften als Fortschritt begrüßen. Vielmehr findet die eigentlicheVertragstheorie im Rahmen des sophistischen Rechtsdenkens zweientgegengesetzte Verwendungen (sc. (a) und (b)), von denen die zweite (b)sie als Ausdruck von Schwäche oder gar als Versuch, die wahrhaftBesseren einzuengen, darstellt. Dies ist um so bemerkenswerter, als beideRichtungen gerade wegen ihrer Gegensätzlichkeit einen gemeinsamenUnterschied zu neuzeitlichen Modellen aufweisen: Sie vernachlässigen dieFrage, wie die entstehende Gemeinschaft sich organisiert und welcheVerfassung sie jeweils wählt, und konzentrieren sich stattdessen auf denZ w e c k , dem die Zusammenschlüsse dienen sollen.

g) Verfassungen

Zweifellos sind für die Zeit der Sophistik verfassungstheoretischeÜberlegungen belegt. Das früheste Zeugnis bietet Herodot, der denPersischen König Dareios mit Otanes und Megabyzos über dieVerfassungsformen Demokratie, Oligarchie und Monarchie debattieren läßt,und dabei möglicherweise auf sophistisches Gedankengut zurückgreift158.Mag der athenfreundliche Herodot selbst auch die attische Demokratiebefürwortet haben, so gestattet dieser Umstand keine eindeutigen

156 ebd. I 30f. u. 32f.157 So aber Kahn 1981, 94 u. 95 Anm. 3; auch Mulgan 1979, 122 bringt Antiphon

mit der Vertragstheorie in Verbindung.158 Her. III 80-4

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Zusammenfassung 405

R ckschl sse auf die zeitgen ssischen Sophisten; deren politische Haltungist im Detail weniger leicht zu ermitteln, als es zun chst den Anschein hat.

Gemeinhin gelten besonders die sog. fr hen Sophisten (z.B. Protagoras)als Anh nger der attischen Demokratie159. Diese Ansicht scheint sich aufden ersten Blick wenigstens f r diejenigen Sophisten zu best tigen, die derνόμος-freundlichen Vertragstheorie anh ngen, nimmt diese doch mit derVorstellung einer gemeinsamen bereinkunft gleichberechtigte Vertrags-partner an160. (Die νόμος-feindlichen setzen zwar ebenfalls gleichberechtig-te Partner voraus, lehnen den von diesen vereinbarten .Vertrag' jedoch ab.)Da aber - wie bereits besprochen - die echten vertragstheoretischen Modelleweniger die Verfassungsform als den Zweck der Gemeinschaft in denVordergrund stellen, ist eine demokratische Grundhaltung anhand einessolchen Modells allein nur schwer zu begr nden. Jedenfalls schlie en die inFrage stehenden Modelle der Sophistik nicht per se den Gedanken aus, dadie Beteiligten .Vertragspartner' den oder die Besten aus ihrer Mitte mit derHerrschaft beauftragen und sich somit einer aristokratischen oder garmonarchischen Herrschaft anvertrauen161.

Da diese allgemeinen berlegungen keine eindeutige Antwort zu gebenverm gen, empfiehlt es sich, die einzelnen Vertreter des sophistischenRechtsdenkens anhand der erhaltenen Zeugnissen jeweils f r sich nach ihrerbevorzugten Verfassung zu befragen. In der Sophistik findet jede der beiHerodot besprochenen Verfassungen mehr oder weniger deutlicheBef rworter, wobei die eindeutigen Bef rworter der Monarchie allerdingsnicht die Alleinherrschaft als solche, sondern vielmehr die Tyrannis favori-sieren.l. Demokratie:a) M gliche Bef rworter:Protagoras gilt mit einigem Recht als Freund der attischen Demokratie,scheint er doch in Platons nach ihm benannten Dialog gerade deshalb auf

159 Vgl. z.B. Demandt 1993, 49; s.o. Kap. I l b, S. 41 u. I 2 a, S. 63f.160 Eine derartige Vorstellung von Gleichberechtigung k nnte auch Antiphons

ό μ ο λογηθέντα zugrunde liegen, ist aber nicht zu beweisen.161 Diese an Althusius und Hobbes erinnernde Vorstellung klingt bei Herodot in dem

Vorschlag des Otanes an, den persischen K nig ggf. vom Volk w hlen zu lassen; vgl.Her. III 83,2 ... η έπιτρεψάντων τφ Περσεων πλήθεν τον αν εκείνο εληταν... Das magzwar auf seine Vorliebe f r die Demokratie zur ckzuf hren sein, doch w re eine derartigeVerfassung auch in seinen Augen de facto eine Monarchie.

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406 Zusammenfassung

die attische Volksversammlung zu rekurrieren, weil sie sich f r ihnbesonders eignet, die Teilhabe aller an der πολιτική αρετή bzw. τέχνη undzugleich ihre Lehrbarkeit nachzuweisen162. hnlich k nnte man die ihm inder sog. .Apologie' in Platons Theaitetos in den Mund gelegte Erkl rung,was eine jede πόλις f r gerecht erachte, das sei es auch f r sie163, alsBekenntnis zu kollektiver Meinungsbildung und kollektiven Entschei-dungen verstehen164. Auch lassen seine T tigkeit in Athen, seine Freund-schaft zu Perikles und sein Mitwirken an der Gr ndung der attischenKolonie Thurioi auf eine gewisse Sympathie seinerseits f r die attischeDemokratie schlie en.

Andererseits bieten diese Indizien allein noch keinen eindeutigen Beweis,weil sich gegen jeden der genannten Hinweise begr ndete Einw ndeerheben lassen: So ist der Protagoras-Mythos als solcher verfassungs-indifferent, und wenn Protagoras in seiner »gro en Rede' auf die attischeVolksversammlung zur ckgreift, dann erkl rt sich das m glicherweisehinreichend daraus, da er ein seinem Zweck (die Lehrbarkeit der πολιτικήτέχνη zu beweisen) dienliches Gremium ben tigt, und nicht, weil es inseiner Absicht l ge, sich ausdr cklich zur attischen Verfassung zubekennen. Die Kunst der πολιτική αρετή setzt zwar zugegebenerma eneinen verantwortlichen B rger voraus, doch mu dieser nicht notwendigdirekt an den Regierungsgesch ften beteiligt sein. Auch f hrt Protagoras inder , Apologie' des Theaitetos die Auffassung, die eine jede πόλις ber dasGerechte hegt, nicht in ihrer Eigenschaft als demokratische Kollektiv-meinung an, sondern er bem ht sie, um die inhaltliche Relativit t desBegriffes .gerecht' nachzuweisen und gleichzeitig zu dem Bereich der Poli-tik berzuleiten, weil er darin das bedeutendste Bet tigungsfeld f r denσοφός - und damit f r sich selbst - sieht. Dabei stellt er die jeweils unter-schiedlichen Ansichten einer jeden πόλις ber das δίκαιον auf eine Stufemit den jeweils unterschiedlichen Wahrnehmungen einzelner Menschen, umdie Bedeutung der Homo-Mensura-Satzes zu illustrieren, und behandelt

162 Vgl Plat> Proli 322d5-323a4.163 Plat. Theaet. 167c4-6164 Vgl. D ring 1981, 111 und hnlich Classen 1989, 19.

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Zusammenfassung 407

folglich die πόλεις als geschlossene Einheiten, die einzelnen Individuenentsprechen165.

Die Bedeutung des σοφός - zu denen Protagoras sich zweifelsohneselbst z hlt - rechtfertigt er in der .Apologie' zudem mit einem eherundemokratischen Argument: Nach seiner Ansicht beruht die Existenz-berechtigung eines σοφός auf seiner F higkeit, einer πόλις den Weg zudem zu weisen, was ihr tats chlich n tzt. Demnach schlie t er in derwichtigen Frage des Nutzens demokratische Mehrheitsentscheide aus undl t stattdessen nur die F higkeit des σοφός gelten, das objektiv wahrhaftN tzliche zu erkennen (s.o. S.362ff.). Die Stellung des protagoreischenStaatsmannes entspricht damit durchaus der Position des .Ersten Mannes',die Perikles in Athen einnahm, und die Thukydides zu der u erungveranla te, die attische Verfassung sei unter Perikles nur dem Worte nacheine Demokratie gewesen166. Protagoras' enge Beziehung zu Perikles stehtjedenfalls der Annahme nicht im Wege, auch der Sophist selbst habe dessenRegiment f r beispielhaft gehalten, selbst wenn es de facto wenigdemokratisch war. Demnach l t sich f r Protagoras allenfalls eine gewisseVorliebe f r Athen, die St tte seines Wirkens, behaupten, die aber nichtnotwendig eine unvoreingenommene Vorliebe f r die attische Demokratieund die Demokratie berhaupt gewesen sein mu .

Aus hnlichen Gr nden wie den oben genannten gilt auch der Anonymuslamblichi gemeinhin als Vorl ufer des .demokratischen Rechtsstaates'167.Zwar geht er eindeutig mit der Tyrannis hart ins Gericht168 und tr gt denB rgern einer πόλις die Verantwortung auf, mit ihrem Einsatz f r die νόμοι

165 Classen 1989, 19f. postuliert, die Ansichten einzelner πόλεις k nnten nur alsKollektivmeinungen aufgefa t werden, und folgert daraus, es handle sich bei diesemBeispiel (167c4-6 u. 172a2-4) um eine Zugabe Platons. Doch vermag gerade das Beispielder πόλις auf ganz protagoreische Weise zu zeigen, worin die h chste Aufgabe des σοφόςbesteht, der ja den Anspruch erhebt, die πολιτική αρετή zu lehren, und infolgedessen -wie gerade der in Frage stehende Zusammenhang aus der .Apologie* zeigt - sich darumbem ht, einer jeden πόλις das als gerecht erscheinen zu lassen, was ihr objektiv n tzt;s.o. Kap. I l a, S. 27f. u. Kap. I 2 a, S. 63f.

166 Thuk. II 65,9 έγίγνετό τε λόγφ μεν δημοκρατία, εργφ δε υπό του πρώτουανδρός αρχή. Vgl. dazu auch Kerferd 1981, 145 u. O'Sullivan 1995, 21.

167 Vgl. Bitterauf 1909, 501, Menzel 1922, 25, Nestle 21942, 426 (allerdingsbezeichnet er ihn nicht als Freund der radikalen Demokratie), Wolf II1952,146f., GuthrieIII 1969, 72, Isnardi Parente 1977, 26, Kyrkos 1988, 130 und Demandt 1993,49.

168 VS 89 6,2-5, 7,12-3

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408 Zusammenfassung

und das δίκαιον zur ευνομία beizutragen, doch setzt er die ευνομίαkeineswegs mit einer demokratischen Verfassung gleich, sondern bestimmtsie nur als den Zustand, in dem das Gemeinwesen deswegen zu Wohlstandund die einzelnen B rger zu ihrem Recht finden, weil alle die νόμοι und dasδίκαιον beachten169. ber den Inhalt der νόμοι geht aus dem erhaltenenText zu wenig hervor, als n tig w re, um sie eindeutig demokratisch zunennen. Zudem ist verantwortliches Handeln der B rger auch inoligarchischen Verfassungen m glich und sogar geboten, wenn derenGesetze den Grunds tzen der ευνομία entsprechen, d.h. wenn sie dasWohlergehen jedes B rgers f rdern. Der A.I. scheint die νόμοι und dasδίκαιον sogar im Ernstfalle der Obhut eines Alleinherrschers anzuver-trauen, wenn das Gros des B rger sich von ihnen abwendet und in dieAnarchie abzugleiten droht. Dieser Fall stellt zwar f r ihn eine Ausnahmedar, doch spricht er sich insgesamt eher gegen die Tyrannis als f r dieDemokratie aus. Er k nnte ohne Schwierigkeiten auch aristokratische Ver-fassungen bef rworten.

Schlie ch mag auch Lykophron der Demokratie nahegestanden haben,doch ist die von ihm berlieferte Aussage, der νόμος garantiere den B rgernuntereinander die Gerechtigkeit, im Grunde verfassungs-indifferent170. Ergeht lediglich von der M glichkeit sinnvoller νόμοι aus, die nur dann ihrenZweck erf llen k nnen, wenn alle Staatsmitglieder sie einhalten. Um aberdiese Aussage, der νόμος garantiere die Gerechtigkeit, f r unvereinbarerkl ren zu k nnen mit undemokratischen Staatsformen, bed rfte es n hererKenntnisse ber Lykophrons Gesetzes- und Gerechtig-keitsbegriff.

G nzlich problematisch ist es, Phaleas von Chalkedon, dessenStaatsmodell Aristoteles in seiner Politik kritisiert171, zu den Bef rwortern

169 Diese Verantwortung der B rger gegen ber den νόμοι liegt auch Sokrates'u erungen in Plat. Kriton SOaff. zugrunde.

170 Anders Hofmann 1974, 270, der die Aufgabe, die Lykophron dem νόμος beimi t,als eine „fast liberal zu nennende Konzeption" bezeichnet, und sie mit der in VS 83 frg.4f r Lykophron bezeugten Adelskritik verbindet. Doch l t sich auch aus der Adelskritiknicht zwingend eine Vorliebe Lykophrons f r die Demokratie ableiten; ebensogut kann eraristokratische Verfassungen guthei en, in denen ein zwar nicht aus Adligen, aber ausFachleuten zusammengesetzter enger Kreis die Regierungsgesch fte betreibt.

171 Arist. Pol. 1266a31-67b21

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Zusammenfassung 409

der Demokratie zu zählen; für ihn lassen sich anhand des Referates, welchesAristoteles bietet, lediglich die Forderungen nach gleichem Besitz undgleicher Bildung belegen. Eine politische Gleichheit folgt darausebensowenig zwingend wie aus Lykophrons -Vorstellung172, ist aberandererseits nicht auszuschließen.

Aufgrund der beschriebenen Bedenken ist es demnach schwierig, diegenannten Vertreter des sophistischen Rechtsdenkens ohne weiteres alsDemokraten zu bezeichnen. Da freilich insbesondere Protagoras mit seinemAnspruch, die zu lehren und der Anonymus mit seinerTugendlehre einen in gewissem Rahmen selbsttätig und verantwortlichhandelnden Bürger voraussetzen, wäre die Annahme wohl abwegig, siehätten ernsthaft die Monarchie erstrebt. Eine Vorliebe für die aristokratischeVerfassung, in der Fachleute nach Maßgabe dessen, was der Gemeinschaftobjektiv nützt, die Regierungsgeschäfte leiten, ist für sie hingegen nichtohne weiteres auszuschließen,b) Eindeutigere Befürworter:Eindeutiger scheint der Sophist Antiphon demokratischen Verfassungenzuzuneigen, denn streng genommen ist keine andere Staatsform mit seinemMenschenbild vereinbar. Da er nämlich von grundsätzlich einandergewachsenen Individuen ausgeht, nirgends die Möglichkeit einräumt, einMensch könnte einem anderen dauerhaft überlegen sein, und zudem mit der

die Gleichheit aller Menschen begründet173, dürfte er schwerlichundemokratische Verfassungen für realistisch gehalten haben. Allerdingskritisiert er die menschlichen am Beispiel bestimmter Einrichtungender attischen Demokratie (z.B. dem Gerichtswesen)174, offenkundig, weildie attische Demokratie auf in seinen Augen ebenso willkürlichen

172 Vgl. dazu auch Saunders 1995, 135ff. Wolf II 1952, 367f. vergleicht Phaleasdenn auch mit Hippodamos von Milet und wirft ihm vor, die individuelle Freiheit„zugunsten eines starren Wohlfahrtssystems" vernichtet zu haben. Da Phaleas nichtgemeinsamen, sondern nur gleichen Besitz fordert, ist es nicht einmal möglich, ihn alsKommunisten oder Sozialisten zu bezeichnen; vgl. die Diskussion bei Schütrumpf II1991,240f.

173 VS 87 B 44 B; ob allerdings Alkidamas, der ja ebenfalls die Gleichheit derMenschen behauptet, der Demokratie zuneigte, kann nur vermutet werden. Da er nämlichnur die Unterscheidung von Herren und Sklaven als widernatürlich brandmarkt, ist nichtauszuschließen, daß er manche Menschen für ungeeignet hält, politische Ämter zubekleiden, und diese eher Fachleuten anvertrauen möchte.

174 VS 87 B 44 A VI

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beruht wie andere Verfassungen. Antiphons Gesellschaftsvorstellung dürftedemnach demokratischen Formen v e r g l e i c h b a r sein, ohne mit einerder zu seiner Zeit tatsächlich bestehenden Demokratien gleichgesetzt werdenzu können175.c) Kritiker der Demokratie: Es versteht sich von selbst, daß die Befürworteroligarchischer und monarchischer Verfassungen der Demokratie abgeneigtsind, und deswegen nicht eigens als deren Gegner genannt zu werdenbrauchen. Doch verdient der Verfasser der sog. an dieserStelle Erwähnung, weil er zwar die Demokratie, wie sie beispielsweise inAthen bestand, als mangelhaft kritisiert, dies jedoch, ohne sich zu eineranderen Verfassungsform zu bekennen. Er wirft den ihm bekanntenDemokratien vor, durch die Verlosung der öffentlichen Ämter ungeeignetePersonen und möglicherweise sogar Feinde der Demokratie inentscheidende Positionen einzusetzen176. Vielmehr scheint er - wie aus demTextzusammenhang hervorgeht - die Politik mit anderenF a c h kenntnissen gleichzusetzen und für die Aufgabe von Fachleuten zuhalten177.

Er könnte folglich - was zudem seiner dorischen Herkunft nichtwiderspräche - oligarchische oder gar monarchische Verfassungenbefürwortet haben. Doch möglicherweise lehnt er nicht die Demokratieschlechthin ab, sondern kritisiert lediglich die Praxis, Ämter perLosentscheid zu vergeben; dies ist deswegen wahrscheinlich, weil er selbstempfiehlt, das Volk müsse stets solche Leute in die entsprechenden Ämterwählen, die ihm wohlgesonnen seien178. Eine endgültige Entscheidung istallerdings wohl nicht möglich.2. Oligarchie:Sofern die Darstellung des Hippias, die Platon in seinem Protagoras bietet,Rückschlüsse auf die politischen Vorstellungen des Eleers erlaubt179,befürwortet dieser aller Wahrscheinlichkeit nach aristokratisch verfaßteStaaten. Jedenfalls ist sein Grundsatz, von Natur strebe Gleiches zuGleichem, mit der Vorstellung vereinbar, auch unter den Menschen

175 S.o. Kap. V 5, S. 245f. u. Anm. 217.176 VS 90 7,1-5177 VS907.3178 VS907.5179 Vgl. Plat. Prot. 337c7ff.

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Zusammenfassung 411

bestünden natürliche Unterschiede, denen zufolge nicht alle gleichermaßenfür jede Tätigkeit, somit auch nicht unbedingt für politische Geschäftegeeignet seien. Da er zudem in seiner Rede die elitäre Gemeinschaft derweisesten Männer Griechenlands beschwört und mit politischen Begriffenausschmückt, als wollte er eine ,Republik des Geistes'180 entwerfen,scheint es erlaubt zu sein, Hippias zu den Freunden der Oligarchie bzw. derAristokratie zu zählen. Inwieweit jedoch in seinen Worten konkretepolitische Vorstellungen anklingen, ist fraglich181.3. Monarchie:In Platons Gorgias sprechen Polos und Kallikles sich eindeutig für diemonarchische, genauer gesagt, die tyrannische Herrschaftsform aus, diesinteressanterweise aber nicht, weil sie sie für die im Interesse derAllgemeinheit beste Verfassung hielten, sondern weil sie dem egoistischenEigeninteresse am meisten entgegenkomme. So preist Polos denMakedonenkönig Archelaos als glücklichen Menschen, weil er straflosUnrecht habe begehen und auf diesem Weg sogar den Königsthron habebesteigen können182. Er bemüht die Vorstellung des Gewaltherrschers nurdeshalb, weil sie am ehesten erweise, wie sehr es sich lohne, Unrecht zubegehen, und wie sklavisch derjenige handle, der stets auf andere und aufdie konventionelle Moral Rücksicht nehme.

Kallikles seinerseits fordert zwar ausdrücklich die Herrschaft desStärkeren und Besseren, weil dieser von Natur dazu berufen sei, dochunterscheiden seine Motive sich ansonsten nicht von denen des Polos. Stattetwa - was durchaus denkbar wäre - den Stärkeren wegen seiner gegenüberden Durchschnittsmenschen hervorragenden Eignung in das höchste Amteinzusetzen, damit er so sein Talent in den Dienst der Gemeinschaft stelle,zeichnet Kallikles mit ihm lediglich das Bild eines Menschen, der in derLage ist, seinen Eigeninteressen ungehindert nachzugehen. Auch wenndieser Tyrann nicht notwendig jeder Lust nachgibt183, so kennt er dochk e i n e n a n d e r e n H i n d e r u n g s g r u n d u n d ke in

180 Ygj Manuwald ad loc.181 Zuweilen wird in der modernen Forschung der politische Gehalt der Rede des

platonischen Hippias überbewertet; dazu s.o. Kap. IV l, S. 154 Anm. 12, u. S. 161-3.182 Plat. Gorg. 471 a4-d2183 Vgl. Plat. Gorg. 494c3 ; zu dieser Lesart s.o. Kap. III 3, S.

138, insb. Anm. 85.

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anderes als seinen persönlichen Nutzen. Die Tyrannen des Polos unddes Kallikles sind im Grunde nichts anderes als der Inbegriffgrößtmöglicher individueller Freiheit, und verkörpern das, was beide selbstzu sein wünschen184.

Thrasymachos hingegen bemüht in Platons Politeia die Vorstellung desTyrannen, um mit seiner Hilfe anhand eines extremen Beispiels dieWertlosigkeit der Gerechtigkeit nachzuweisen185. Ihm kommt es wenigerdarauf an, seine eigenen Wünsche zu hypostasieren, als vielmehr analytischzu zeigen, wie wenig gerechtes Handeln dem Gerechten nützt. WährendKallikles die Herrschaft des Stärkeren fordert, zeichnet Thrasymachos einschonungsloses Bild der Realität.

Freilich hegt keiner dieser drei Anhänger der Tyrannei dabei die Absicht,ein ideales Staatsmodell zu entwerfen. Vielmehr trachten sie danach, einenWeg zu beschreiben, der größtmöglichen Eigennutz verspricht bzw. denUnwert herkömmlicher Moral beweist. Weil sie aber nirgends den Horizontdes egoistischen Eigeninteresses verlassen und in ihren Ausführungennirgends auf die Interessen einer politischen Gemeinschaft eingehen, sindsie nicht zu den Staatstheoretikern im eigentlichen Sinne zu zählen186.

Folglich ist es insgesamt zwar problematisch zu behaupten, die Mehrzahlder Vertreter des sophistischen Rechtsdenkens befürworte die Demokra-tie187, doch sind diejenigen Denker, die solche Staatsmodelle entwerfen, dieden Bedürfnissen einer Gemeinschaft genügen, nicht unbedingt derMonarchie, sondern ihrer entarteten Form, der Tyrannis, deutlich abgeneigt.Wenn die Staatstheoretiker der Sophistik ein Staatsmodell eindeutigbefürworten, scheinen sie eher aristokratische oder demokratischeVerfassungen zu bevorzugen. Jedenfalls spricht sich nach den erhaltenenZeugnissen keiner der sophistischen Rechtsdenker eindeutig für dieAlleinherrschaft als gewöhnliche Form aus. Man mag allenfalls vermuten,daß diejenigen, die sich nicht mit letzter Sicherheit auf eine der anderen

184 Kallikles scheint mit dem ,Recht des Stärkeren' nur seine eigenenMachtansprüche zu rechtfertigen; dazu s.o. Kap. III4, S. 150

185 Vgl. Plat. Rep. 344a3-c8.186 Es ist selbst im Falle des Thrasymachos irreführend, von einer .politischen

Theorie' zu sprechen; vgl. dagegen Döring 1993, 13ff.187 Diese Ansicht läßt sich gerade für Protagoras und den Anonymus lamblichi

weniger eindeutig beweisen als in der modernen Forschung allgemein angenommen wird;s.o. Kap. I l b, S. 41,1 2 a, S.63f., und Kap. VII l, S. 310f.

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Zusammenfassung 413

Verfassungen festlegen lassen, die Monarchie in bestimmten Fällen gebilligthätten188. Eindeutige sophistische Befürworter findet die Alleinherrschaftnur in der entarteten Form der Gewaltherrschaft, wo sie jedoch als Inbegriffgrößtmöglicher individueller Freiheit oder als Gegenbild zu unrealistischenMoral Vorstellungen fungiert189.

h) Gleichheit der Menschen

Wie bereits besprochen, setzen die Vertragstheorien der Sophistik jeweilseine Gruppe von im Prinzip gleichberechtigten Vertragspartnern voraus. Dadiese Vorstellungen jedoch nur dazu dienen, ohne Anspruch auf historischeGenauigkeit sozusagen in vitro zu erklären, weshalb die Menschen sichbereit fanden, Gemeinschaften zu gründen, ist es problematisch, die eherzweckgebundene Vorstellung gleichberechtigter Vertragspartner alsprogrammatisches Bekenntnis zu verstehen. Man kann weder die Vorliebefür ausschließlich demokratische Verfassungen, noch die Forderung nachder grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen aus diesen Modellen ableiten.Allenfalls stellen sie ähnlich wie die Erkenntnisse über die Sitten andererVölker und das eher biologische (d.h. von Herkunft und Sitten absehende)Menschenbild der zeitgenössichen Medizin einen Schritt dar, derkosmopolitische Vorstellungen vorbereitete. Letztere lassen sich denn auchnur für wenige Sophisten eindeutig beweisen.

Protagoras leistet sicherlich der Behauptung, alle Menschen seien gleich,insofern Vorschub, als er mit seinem Homo-Mensura-Saiz den Menschen

188 Vgl. Anon. Iambi. VS 89 7,14. Der Ausgang der herodoteischen Debatte (III 80-4) zugunsten der Monarchie erklärt sich hinreichend aus der tatsächlichen VerfassungPersiens und läßt deshalb nicht auf eine eindeutig pro-monarchische sophistische Quelleschließen.

189 Zwar wäre es unangebracht, sämtliche ernst zu nehmenden Staatsvorstellungender Sophistik zu demokratischen Entwürfen hochzustilisieren, doch ist nach den obigenAusführungen Demandts Ansicht (Demandt 1993, 69) zu widersprechen, wonach „dieStaatslehre der Sophistik ... eine Instrumentalisierung der Politik zugunsten jederbeliebigen Herrschaftsform" legitimiere.

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414 Zusammenfassung

als solchen und zugleich unterschiedslos jeden einzelnen Menschen zumMaßstab aller Wahrnehmungen und Zwecke erhebt, ohne etwa Menschenedler Herkunft oder Angehörigen eines bestimmten Volkes (etwa desgriechischen) eine Sonderstellung einzuräumen190. ProgrammatischeÄußerungen dieser Art sind für ihn allerdings nicht bezeugt.

Hippias gilt aufgrund seiner Rede in Platons Protagoras191 zuweilen alsWegbereiter panhellenischer oder gar kosmopolitischer Anschauungen192,doch läßt sich für ihn nicht mehr als die Ansicht beweisen, der tueder vielfach Gewalt an, indem er die natürliche Nähe des Gleichenzum Gleichen störe. Da diese These offenkundig auch die natürlicheUngleichheit behauptet und Hippias mit seiner Hommage an dieGemeinschaft der sogar innerhalb der Menschheit wesentliche Unter-schiede anerkennt, dürfte er weder panhellenische noch kosmoplitischeAnsichten vertreten haben.

Lykophron scheint wenigstens die auf Herkunft beruhendenStandesunterschiede zwischen Edel- und niedrig Geborenen angegriffen zuhaben193. Ob er aber eine umfassende soziale Umwälzung forderte oder gardie Unterschiede zwischen Griechen und Barbaren aufgehoben wissenwollte, läßt sich nur vermuten. Zwar sind derartige Vorstellungen für ihnnicht auszuschließen, doch folgen sie auch nicht zwingend aus denüberlieferten Zeugnissen.

Phaleas von Chalkedon schließlich greift zwar eindeutig Besitz- undBildungsunterschiede an, doch da sich selbst seine diesbezüglichenVorstellungen einem exakten Verständnis entziehen, ist es um soproblematischer, ihm gar kosmopolitische Ansichten zu unterstellen.Möglicherweise fordert er mit dem Gedanken gleicher Bildung immerhin,man sollte Männern und Frauen dieselben Bildungsmöglichkeiteneröffnen194. Doch schon mit seinem Vorschlag, die Handwerker alsStaatssklaven zu halten195, widerspricht er deutlich dem Wunsch, die

190 Die Sonderstellung, die Protagoras dem in der Nutzenerkenntnis einräumt,ist natürlich ebensowenig auf ein bestimmtes Volk beschränkt.

191 Plat. Prof. 337c7ff.192 Dazu s.o. Kap. IV l, S. 153, Anm. 11.193 VS83frg. 4194 Selbst diese Annahme geht aus Arist. Pol. 1266b31ff. nicht eindeutig hervor.195 Arist. Pol. 1267bl3ff.

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Zusammenfassung 415

Unterscheidung von »frei* und ,unfrei' aufzuheben. Umfassende Forderun-gen nach der Gleichheit aller Menschen sind f r Phaleas folglich nicht zubelegen.

Lediglich Antiphon der Sophist und Alkidamas k nnen eindeutig alsZeugen daf r in Anspruch genommen werden, da bereits in der Zeit derSophistik umfassende Forderungen nach der Gleichheit der Menschen lautwurden. Antiphon geht nicht nur von der Annahme aus, alle Menschenseien einander im wesentlichen gewachsen, und es sei deshalb angebracht,im eigenen Interesse auf bergriffe zu verzichten, sondern er leugnetausdr cklich jeglichen nat rlichen Unterschied zwischen Griechen undBarbaren. Man k nnte zun chst einwenden, Antiphon vertrete demnachnicht mehr als die rein biologische Gleichheit der Menschen, doch geht ereinen Schritt weiter: Da er n mlich die Gleichheit der Menschen anhand derbiologischen Merkmale aus der φύσις ableitet, die φύσις aber dem νόμοςentgegenstellt und zum einzigen g ltigen Prinzip erhebt, mit dem sichletztg ltige Aussagen begr nden lassen, trifft er mit der These, alleMenschen seien φύσει gleich, ebenfalls eine letztg ltige Aussage, die allegegenteiligen Ansichten deswegen entkr ften mu , weil diese nur auf demwillk rlichen νόμος fu en k nnen. Infolgedessen d rfte er nicht nur derUnterscheidung Hellene-Barbar, sondern auch der von ,frei'-,unfrei'widersprochen haben. Seine demokratische Grundhaltung folgt bereitshinreichend aus seinem Menschenbild, demzufolge sich die Menschheit ausgleichstarken triebhaften Individuen zusammensetzt.

Alkidamas hingegen widerspricht ausdr cklich nur der Unterscheidungzwischen Herren und Sklaven196. Da die Griechen aber vielfach Barbarengerade wegen ihrer fremden Herkunft als Sklaven einsetzten und Alkidamasseine Forderung - hnlich wie Antiphon - mit der φύσις begr ndet, um sieals allgemeing ltig zu erweisen, spricht einiges f r die Annahme, auchAlkidamas widerspreche der Unterscheidung von Hellenen und Barbaren.Ob er allerdings auch die p o l i t i s c h e Gleichheit aller Menschen fordertund sich f r die Demokratie ausspricht, ist fraglich. Mit seinem Angriff aufdie Unterscheidung zwischen Herren und Sklaven behauptet Alkidamasm glicherweise nur die Gleich W e r t i g k e i t , nicht die gleiche politischeF higkeit aller Menschen.

196 ZArist. Rhet. 1373 b!8

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416 Zusammenfassung

Wie das geistesgeschichtliche Umfeld zeigt, ist es nicht allzubefremdlich, daß mit Antiphon dem Sophisten und Alkidamas bereits in derSophistik zwei eindeutige Zeugen für die Gleichheit aller Menschennachweisbar sind197, die zudem unabhängig voneinander ihre Forderungenformulieren198; ihre Forderungen sollten freilich erst im Hellenismus (insb.in der Stoa) größere Bedeutung erlangen. Für das Verständnis der Sophistiksind sie jedoch schon deswegen von Bedeutung, weil sie beweisen, daß inder Sophistik einer radikalen These (z.B. Kallikles' Ansicht, die Menschenseien von Natur nicht gleich) - mit der gleichen Begründung - eine nichtminder radikale These entgegengestellt wurde: Die Menschen sind vonNatur gleich.

2. Chronologische Skizze

Angesichts der Vielschichtigkeit des sophistischen Rechtsdenkens kannder Versuch, über die gezeigte systematische Übersicht hinaus einenchronologischen Abriß seiner Entwicklungen und Tendenzen zu bieten, nurunter Vorbehalt gelingen. Dennoch lassen sich anhand der wenigenbekannten Daten bestimmte Entwicklungslinien erkennen und skizzieren.

Protagoras, der gemeinhin als Archeget der Sophistik gilt199 undwarscheinlich bereits in den 40er und 30er Jahren des 5. Jh. in Athenwirkte, dürfte einen maßgeblichen Einfluß sowohl auf radikale Strömungenals auch auf eher konservative spätere Sophisten (wie den Anon. Iambi.)ausgeübt haben. Indem er seine relativistische Kritik an der eleatischenPhilosophie und ihrem Wahrheitsbegriff auch auf die Begriffe und

ausdehnte und diese inhaltlich für unbestimmt und relativ erklärte,leistete er möglicherweise der radikalen Kritik an Recht und Konvention

197 S.o. Kap. V 5, S. 234-46198 Auch wenn Alkidamas sicherlich auf Antiphon folgte, muß er nicht notwendig

auf ihn bzw. auschließlichauf ihn zurückgegriffen haben, denn aus dem geistigen Umfelderklärt sich hinreichend, weshalb die Gleichheit der Menschen im 5./4. Jh. ausgesprochenwerden konnte.

199 De Romilly 1988, 9 nennt Protagoras und Gorgias „les deux premierssophistes". Wenn man jedoch - wie de Romilly selbst - Athen als wesentlicheWirkungsstätte der Sophisten betrachtet, dürfte Gorgias erst in den 20er Jahren größerenEinfluß erlangt haben.

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Zusammenfassung 417

Vorschub, die im letzten Viertel des 5. Jh. im Rahmen der νόμος-φύσις-Debatte und von den Vertretern des Rechtes des St rkeren ge u ert wurde.Andererseits konnten auch sp tere Bef rworter des νόμος auf ihnzur ckgreifen, hatte er doch Sitte und Gesetz zu zwar inhatlich relativen, f rdas menschliche Zusammenleben aber dennoch notwendigen Regulativenerkl rt und sie aus einer a priori bestehenden sittlichen Begabung desMenschen abgeleitet. So bietet der Anon. Iamb l. m glicherweise einBeispiel daf r, da sich auch konservative Sophisten des ausgehenden 5.Jh. auf Protagoras beriefen.

Hingegen ist es schwierig, Protagoras auch als Wegbereiter der νόμος-φύσις-Debatte in Anspruch zu nehmen200, denn da es naheliegt, die seinerAuffassung nach a priori bestehende sittliche Begabung auf die menschlicheφύσις zur ckzuf hren, scheint er von einer wenigstens mittelbaren Verbin-dung zwischen φύσις und νόμος auszugehen, insofern die menschlicheφύσις die Entwicklung und Festlegung der νόμοι berhaupt erst erm glichtund notwendig macht.

Das Auftreten des Gorgias in Athen im Jahre 427201 mag ma geblich zuder Entwicklung radikaler Angriffe auf Gesetz und Konvention beigetragenhaben. Jedenfalls f llt auf, da Platon in seinem Dialog Gorgias mit Polosund Kallikles zwei ausgewiesene Anh nger des Gorgias sich f r denNutzen der Ungerechtigkeit und das Recht des St rkeren einsetzen l t.Nat rlich w re es abwegig, Gorgias selbst zu den Vertretern des Rechts desSt rkeren zu z hlen, und mit dem Ausbruch der ersten Phase desPeloponnesischen Krieges m gen radikale Str mungen auch ohne Gorgias'Auftreten an Attraktivit t gewonnen haben, doch ist Gorgias' Lehre von derMacht des Wortes ein gewisser st rkender Einflu auf diese Bewegungendurchaus zuzutrauen, zumal die Datierung seines Aufenthaltes in Athen aufdas Jahr 427 einer derartigen Annahme nicht widerspricht.

Die Lehre vom Recht des St rkeren ist zwar nur eine von verschiedenenνόμος-kritischen Bewegungen, die wohl in den 20er Jahren aufkamen, abervon besonders nachhaltiger Wirkung: Sie d rfte bis in das letzte Jahrzehntdes 5. Jh. Anh nger gefunden haben, denn zum einen findet sich

200 Vgl. z.B. Guthrie III 1969, 48 m. Anm. 1; da seine Vorstellungen der νόμος-φύσις-Debatte vorausgehen, ist wohl auch die Annahme von Duproel 1948, 25unangebracht, Protagoras ergreife in der ν.-φ.-Debatte Partei f r den νόμος.

10l Vgl. Diod. XII 53,2 (Gorgias VS 82 A 4,3) und dazu Thuk. III 86.

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418 Zusammenfassung

wenigstens in Alkibiades eine Figur, deren Anspr che auffallend denen desKallikles gleichen202, zum anderen bietet Platon in seinem Gorgiasm glicherweise einen Hinweis auf die Dauer dieser Bewegung, wenn erPolos den Makedonenk nig Archelaos (414/11-399) als Beispiel einesgl cklichen Machtmenschen nennen l t.

Insgesamt sind die νόμος-kritischen Bewegungen des ausgehenden 5.Jh. eingebettet in die sog. νόμος-φύσις-Debatte, deren fr heste Belege ca.430/28 als terminus post quern vermuten lassen203. Wie die Argumentationdes Kallikles beweist, diente die Antithese von νόμος und φύσις auch denVertretern des Rechtes des St rkeren als Grundlage ihrer Beweisf hrung.Lediglich Thrasymachos beruft sich - nach den erhaltenen - Zeugnissen,nicht ausdr cklich auf diese Antithese, mu aber nicht notwendig demRecht des St rkeren zugerechnet werden, weil seine Thesen sich m glicher-weise hinreichend als radikale Kritik an herk mmlichen Gerechtigkeits-auffassungen verstehen lassen. Allerdings d rfte er den eindeutigenForderungen nach einem nat rlichen Recht des St rkeren, wie Platon esKallikles in den Mund legt, zumindest den Weg bereitet haben.

Die νόμος-φύσις-Debatte selbst l t sich schwerlich nur als radikaleνόμος-Kritik begreifen: Mit Hippias findet sie einen eher ma vollen Kritikerdes νόμος, der zwar an ihm grunds tzliche Schw chen bem ngelt, ihn abernach den erhaltenenen Zeugnissen nicht rigoros abgelehnt haben d rfte.

Antiphon seinerseits scheint die beipielsweise f r Hippias bezeugte Art,den νόμος deswegen zu kritisieren, weil er der φύσις Gewalt antue, auf dieSpitze getrieben zu haben, indem er den νόμος zu einem grunds tzlichenFeind der φύσις erkl rte, dessen Regelungen der φύσις allenfalls zuf lligentsprechen. Es ist infolgedessen sinnvoll, ihn zeitlich auf Hippias folgenzu lassen204. Doch trotz seiner im Vergleich mit Hippias sch rferen Kritikbeweist auch er, da die Berufung auf den Gegensatz zwischen νόμος undφύσις nicht notwendig in anarchische Forderungen m nden mu , dennseine Lehre von der Notwendigkeit des einzelnen, seinen Schaden zu

202 S.o. Kap. III 4, S. 149f.203 S.o. Kap. V 8, S. 267f., Anm. 265.204 Anders Heinimann 1945, 143, der die M glichkeit erw gt, Hippias habe

Antiphons Thesen verbreitet.

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minimieren, l t sich durchaus als Versuch verstehen, die radikalenVorstellungen vom Recht des St rkeren als unrealistisch zur ckzuweisenund durch ein Konzept zu ersetzen, das die Interessen aller einzelnenMenschen - statt blo die einer vermeintlich elit ren Minderheit -ber cksichtigt und sich deswegen eher in die Tat umsetzen l t. Allerdingswar es ihm angesichts der durchaus berechtigten Angriffe, die seineVorl ufer gegen die konventionellen Moral- und Gerechtigkeits-vorstellungen vorgebracht hatten, nicht m glich, hinter deren Leistungenzur ckzugehen, und so entwickelte er m glicherweise ein Gesellschafts-modell, das ausgehend von einem an der zeitgen ssischen Medizinorientierten Menschenbild Eigennutz und Schadensminimierung als Trieb-federn menschlichen Verhaltens anerkennt, auf jeglichen eigenen Gerechtig-keitsbegriff - sei es ein konventioneller, sei es ein eigens gepr gter - jedochverzichtet. Damit verband Antiphon Ans tze der Medizin und dieErkenntnisse ber die Grenzen herk mmlicher Moralauffassungen mit demprotagoreischen Gedanken, der Mensch stehe im Mittelpunkt desGeschehens und sei der wesentliche Nutznie er; gleichzeitig trachtete erdanach, die Positionen allzu radikaler Zeitgenossen (sc. der Vertreter vomRecht des St rkeren) zu berwinden. Mit seiner Forderung nach derGleichheit aller Menschen scheint er dar ber hinaus seiner Zeit in gewissemSinne voraus gewesen zu sein205.

Obwohl Antiphon in den erhaltenen Zeugnissen nirgends νόμος undφύσις als antithetisches Begriffspaar verwendet, zeigt sich in seinenSchriften die gesamte Leistungsf higkeit dieser Antithese: Einerseits l tsich mit ihr die konventionelle Moral endg ltig als menschliche Willk rbegreifen, andererseits bietet sie mit ihrem φύσις-Begriff eine stabileGrundlage, um letztg ltig wahre Aussagen zu treffen. So gesehen liefert dieνόμος-φύσις-Debatte (wie sie sich am Beispiel Antiphons als ihremvielleicht typischsten Vertreter erkennen l t), hinreichendes R stzeug, umdie seit den Angriffen des Protagoras und des Gorgias gegen die eleatischeSeins- und Wahrheitslehre verbreitete Unsicherheit zu berwinden206. Vor

2°5 Wie oben (Kap. V 5, S. 234ff.) besprochen, waren kosmopolitische Ansichtenim Athen des ausgehenden S. Jh. zwar m glich, aber nicht die Regel.

2°6 Da auch Zeitgenossen den Relativismus (beispielsweise des Protagoras)f rchteten, weil er angeblich jedes sichere Urteil untergrabe, beweisen die Δισσοι Λόγοι(VS 90, insb.1-5). In der Forschung fand aber die gerade an der Verwendung des Begriffes

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diesem Hintergrund w re denn auch verst ndlich, weshalb Antiphon mitseiner Schrift Αλήθεια m glicherweise gegen Protagoras, dem erhinsichtlich der Nutzenlehre einiges verdankte, polemisiert haben k nnte.Wer jedenfalls der Sophistik und dem sophistischen Rechtsdenken vorwirft,es habe bestehende Grundlagen angezweifelt und damit eine allgemeineUnsicherheit geschaffen207, bersieht, da gerade diejenigen Sophisten, dieim Rahmen der νόμος-φύσις-Debatte den νόμος mit Hilfe der φύσιςangriffen, mit der φύσις wieder festen Boden unter den F en gewannen.Auch hierbei ist der Einflu der zeitgen ssichen Wissenschaft (insb. derMedizin) nicht zu untersch tzen.

Diese Leistung bescherte der Antithese νόμος-φύσις eine Bedeutung, diebis ins 4. Jh. hinein nachweisbar ist208 und m glicherweise sogar Platonsφύσις-Begriff pr gte209. Allerdings bleibt zu bedenken, da die Vertreterdieser Antithese bereits selbst auf den sp testens seit der eleatischenPhilosophie bekannten Gegensatz zwischen Sein und Schein zur ckgreifenkonnten und da gerade Platon sich nat rlich enger an Parmenides als anAntiphon orientiert haben d rfte.

Wie nicht zuletzt Antiphons Bem hen zeigt, allzu radikale Vorstellungenzu berwinden, ohne dabei in herk mmliches Moral- und Rechtsdenkenzur ckzufallen, treibt die von ihm repr sentierte und wohl in die Zeitdeutlich nach 420, vielleich sogar in das letzte Jahrzehnt des 5. Jh. zuverlegende Richtung des sophistischen Rechtsdenkens recht paradoxeBl ten. Ein Reflex - wenngleich ohne ausdr ckliche Anspielung auf dieνόμος-φύσις-Debatte - mag in dem sog. Sisyphos-Fragment erhalten

φύσις erkennbare F higkeit der Sophistik, die von ihr gef rderte Unsicherheit selbst zuberwinden, zu wenig Beachtung; vgl. Einleitung S. 7ff.

207 Zu diesen schon in der Antike zu findenden Urteilen vgl. z.B. Demandt 1993,47f.

208 vgi [Hipp.] de arte 2,14ff. (VI,4): αλογον γαρ από των ονομάτων ήγεΐσθαι ταεϊδεα βλαστάνειν, και αδύνατον τα μεν γαρ ονόματα νομοθετήματα εστί, τα δεεϊδεα ου νομοθετήματα, άλλα βλαστήματα. Ob Alkidamas die Antithese bewu tverwendet, kann man allenfalls nur vermuten. Es ist aber nicht auszuschlie en. Dazu s.o.S. 368ff.

209 vgl. Plat. leg. 890d; zu Platons φύσις-Begriff vgl. A. Neschke-Hentschke:.Politischer Platonismus und die Theorie des Naturrechts. Zur Arch ologie derMenschenrechte', Vortrag K ln 26.10.1995. Allerdings l t sie die Ans tze eines demmodernen Natur r e c h t hnlichen Denkens erst mit Platon beginnen, obwohl bereits dieThesen den Kallikles dessen Kriterien gen gen.

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geblieben sein: Sein Sprecher gesteht jedenfalls den νόμοι teilweise unddem G tterglauben vollends die F higkeit zu, die Menschen aus ihremanf nglichen anarchischen Urzustand zu befreien. Gleichwohl bestreitet erweder die Schw chen der νόμοι, noch verheimlicht er, da letztlich beide,die νόμοι und der G tterglaube, nicht mehr sind als blo e Erfindungen desMenschen. Offenkundig befindet sich der Sprecher in der zwiesp ltigenLage, den aus der Not geborenen Sinn bestimmter Einrichtungenanerkennen zu m ssen, ohne jedoch deren konventionellen Charakterignorieren zu k nnen. Sp testens seit Antiphon scheint das sophistischeRechtsdenken sein Interesse auf umsetzbare Gesellschaftsmodelle zurichten210.

Um die Wende des 5. zum 4. Jh. - nach dem Zusammenbruch Athens -gewinnt eine konservative Richtung des sophistischen Rechtsdenkens anBoden, die sich nicht mehr zur νόμος-φύσις-Debatte bekennt. Soverwenden der Anon. Iambi, und die der Sophistik nahestehenden sog.Δισσοί Λόγοι v llig konventionelle Rechts- und νόμος-Begriffe und lassenkeinen Zweifel an der Notwendigkeit sittlicher Ma st be. Auch derGorgianer Lykophron211 hat - soweit wir wissen - die Notwendigkeit derνόμοι nicht in Zweifel gezogen und sie sogar zum Garanten derGerechtigkeit (offenkundig auch in konventionellem Sinne) erhoben. DieseR ckbesinnung auf die Brauchbarkeit herk mmlicher Institutionen magnach den Wirren des zerm rbenden Dualismus zwischen Athen und Spartaauf das Bed rfnis nach nicht nur theoretischen, sondern auch in derLebenspraxis greifbaren Ma st ben zur ckgehen. Es w re jedoch falschanzunnehmen, die .konservative Sp tsophistik' - so es sie denn gab - habeden Relativismus und den νόμος-φύσις-Gegensatz b e r w u n d e n 2 1 2 :Selbst die u erungen des A.I., die am ehesten auf dessen Bem henschlie en lie en, die von manchen seiner Zeitgenossen aufgerissene Kluftzwischen νόμος und φύσις zu berbr cken213, erkl ren sich hinreichend

Es sei nicht vergessen, da Antiphon im Unterschied zum Sisyphos-Fragmentden νόμος grunds tzlich ablehnt. Die Gemeinsamkeit zwischen ihm und dem.G tterfragment' besteht wohl eher in dem Versuch, radikale Positionen zu ihrem Rechtkommen zu lassen, ohne dabei in unrealistische Vorstellungen abzugleiten.

211 Vgl. Guthrie III 1969, 313f. u. Hofmann 1974, 266; zu Lykophrons Lebenszeitvgl. ebenfalls Hofmann 1974, 266f.

212 Zu dieser schwer begr ndbaren Ansicht s.o. Kap. VII l, S. 306, Anm. 44.213 Vgl. VS 89, 6,1 (p. 402,29f.).

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als R ck griff auf Vorstellungen, die bereits vor dem Aufkommen derνόμος-φύσις-Debatte bekannt waren: So gleicht seine Ableitung des νόμοςaus der menschlichen φύσις auffallend dem Versuch des Protagoras, einenat rliche Anlage des Menschen zur Gemeinschaftsbildung anzunehmen(sc. im Protagoras-Mythos). hnlich greifen auch andere Zeugnisse, die aufden ersten B ck νόμος und φύσις bewu t wieder miteinander zu vers hnenscheinen, m glicherweise einfach auf vorsophistische Anschauungenzur ck214.

Noch weniger belegen die Δισσοί Λόγοι eine berwindung des νόμος-φύσις-Gegensatzes - vielmehr gehen sie gar nicht auf ihn ein. Darausjedoch zu folgern, das Schweigen der Δ.Λ. erkl re sich daraus, da dieAntithese zur Zeit der Abfassung der Δ.Λ. an Bedeutung verloren habe,w re unangemessen; schlie lich handelt es sich bei den Δ.Λ. um einen nur inAusz gen erhaltenen Traktat m glicherweise eines Laien, der keinenrepr sentativen Querschnitt der zeitgen ssischen Sophistik bieten kann,sondern nur auf die Fragen eingeht, die den Verfasser unmittelbarinteressieren. Zudem belegt gerade die freim tige These des Alkidamas, essei wider Gott und die Natur, Herren und Sklaven voneinander zuunterscheiden, da Vorstellungen, die erstmalig in der eher radikalen Phaseder Sohistik und wahrscheinlich im Rahmen der νόμος-φύσις-Debatteaufkamen, im 4. Jh. durchaus noch von Interesse waren.

Somit l t sich in groben Z gen das Bild einer dreistufigen Entwicklungdes sophistischen Rechtsdenkens erkennen: Auf Protagoras' relativistischeKritik an den νόμοι, die ihnen gleichwohl ihren Sinn nicht abspricht, folgteine radikale Phase, die die νόμοι rundweg ablehnt und z.T. eherprovozierende als ernst zu nehmende Auffassungen (z.B. das Recht desSt rkeren) ans Licht bringt. Doch ist diese radikale Phase insoferninteressant, als sie mit der Berufung auf die φύσις eine feste Argumenta-tionsgrundlage gewinnt und selbst die Grundlage daf r schafft, allzuunrealistische Standpunkte wieder zu berwinden (Antiphon). Die

214 So scheint Eur. Ba. 895-6 mit το τ'έν χρόνφ μακρφ νόμιμον / αεί φύσει τεπεφυκός, das Gegensatzpaar νόμος-φύσις wieder miteinander zu verbinden. Bei n heremHinsehen zeigt sich jedoch, da Euripides ebd. beide Begriffe als selbst ndige Gr ennebeneinanderstellt und dabei nicht anders verf hrt als bereits [Hipp.] aer. 14 (II 58),[Hipp.] nat.hom. 2 (VI 36,12f.) und Herodot II 35,2 u. 45,2. Gleiches gilt auch f r Eur.Ion 643f.

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Zusammenfassung 423

Sophisten des ausgehenden 5. und beginnenden 4. Jh. schlie lich wendensich eher konservativen Anschauungen zu, wobei sie freilich diewesentliche Leistung der radikalen Sophistik - die νόμος-φύσις-Antithese -nicht berwinden, sondern einfach auf fr h- oder gar vorsophistischesGedankengut zur ckgreifen. Zudem finden sich deutliche Hinweise, damit der νόμος-φύσις-Antithese, der φύσις als fester Grundlage und derForderung nach der Gleichheit aller Menschen bestimmte Errungenschaftender eher radikalen Phase des sophistischen Rechtsdenkens das Ende des 5.Jh. z.T. weit berdauert haben.

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