das tier vom gotthard · 2009. 10. 6. · gotthard-strecke und den bau ge-eigneter lokomotiven in...
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Ein Märklin-Jubiläum wäre unvollständig ohne eine Würdigung der Schweizer Elloks Ce 6/8 II und III. Als „Krokodile“ wurden sie weltberühmt – und zur bekanntesten Märklin-Modellfamilie.
DAS TIER VOM GOTTHARD
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Die Ursprünge des Krokodils liegen im Jahr 1903. Damals machte sich die „Schweize-rische Studienkommission für elek-trischen Bahnbetrieb“ erste Gedan-ken über die Elektrifi zierung der Gotthard-Linie. Zwei Stromsyste-me kämpften um die Gunst der Kommission: der einphasige Wech-selstrom niedriger Frequenz von der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) und das Drehstrom-System von
Brown, Boveri & Cie (BBC). Das von der MFO favorisierte System hatte die Nase vorn, nach dem Pro-bebetrieb elektrifi zierten die Privat-bahn Bern–Lötschberg–Simplon und die Rhätische Bahn ihr Netz ab 1907 bzw. 1913 mit Einphasen-Wechsel-strom von 15.000 V und 15 Hz.
Die Schweizerischen Bundes-bahnen zauderten. Erst am 8. Feb-ruar 1916 entschieden sie sich – fürs gleiche System, allerdings mit der
Frequenz von 16 2/3 Hz. Damit be-fanden sich die SBB in guter Gesell-schaft: Drei Jahre zuvor hatten Preu-ßen, Bayern und Baden die gleiche Wahl getroffen, kurz darauf Öster-reich, Schweden und Norwegen.
Lokomotiven gesuchtNun galt es, die Elektrifi zierung der Gotthard-Strecke und den Bau ge-eigneter Lokomotiven in die Hand zu nehmen. Am 30. Juni 1917 be-
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stellten die SBB vier unterschied-liche Probelokomotiven, darunter die Gebirgs-Güterzuglokomotive Fc 2 x 3/4 12201. Sie wurde 1920 zur Ce 6/8 I 14201 – damit nahm die Krokodil-Geschichte ihren Anfang. Der elektrische Teil der Lokomoti-ve stammte von BBC, die Mechanik kam von SLM (Schweizerische Lo-komotiv- und Maschinenfabrik). Doch die Zeiten für das Großpro-jekt waren alles andere als günstig: Der erste Weltkrieg tobte, und auch in der neutralen Schweiz mussten die Männer die Grenzen sichern. Zudem wurde das Material knapp und nicht zuletzt hatten die Verant-
wortlichen den Konstruktionsauf-wand für völlig neue Lokomotiven schlicht unterschätzt.
An sich hätte man nun die Proto-typen gebaut, erprobt und dann die Serienloks in Auftrag gegeben. Doch den SBB rannte die Zeit da-von, schon 1920 sollte der elek-trische Betrieb am Gotthard starten.
Bestellung ohne Probe Dieser Not gehorchend bestellten die SBB deshalb mehr als ein Jahr vor (!) Ablieferung der Prototypen u. a. eine erste Serie Gebirgs-Güter-zuglokomotiven. Die Achsfolge blieb, ansonsten schlug man sowohl
mechanisch als auch elektrisch ei-nen anderen Weg als bei der Ce 6/8 I ein. Im November 1919 lieferte die Industrie die erste Lok vom Typ Ce 6/8 II ab – besser bekannt als „Krokodil“. Wie dieser Name ent-stand, ist übrigens bis heute ein Ge-heimnis der Eisenbahn-Geschichte.
Die Ce 6/8 II 14251–14283 stellten einen großen Wurf dar. Anfangs fuhren sie überwiegend auf der Gotthard-Linie. Als dann im Mittel-land die SBB-Strecken mit einer Fahrleitung ausgerüstet waren, traf man die Ce 6/8 II fast in der gesam-ten Schweiz an. Zwischen 1942 und 1947 ließen die SBB 13 der 33 Ce 6/
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Ab 1919 wurden die Krokodile bei der SLM in Winterthur gebaut. Bis 1922 entstanden 33 Ce 6/8 II, Mitte der 20er-Jahre folgten noch einmal 18 Ce 6/8 III. Eine weitere Spielart ist das Seetal-Krokodil (unten). Die Maschinen erwiesen sich als groß-artige Konstruktion, die letzte hielt sich bis 1986 im Rangierdienst (ganz unten).
8 II modernisieren. Ihre Dauerleis-tung stieg von 2.240 auf 3.640 PS, die Höchstgeschwindigkeit von 65 auf 75 Kilometer pro Stunde. Da-durch änderte sich die Typenbe-zeichnung: Die schnellen Krokodile hießen Be 6/8 II und erhielten die Nr. 13251–13259, 13261 sowie 13263 – 13265. So standen sie weiterhin am Gotthard im Einsatz. Erst die star-ken Ae 6/6-Wappenlokomotiven verdrängten sie ins Mittelland.
Dort mutete man ihnen trotz ih-res Alters noch das Schleppen von 1.200 Tonnen schweren Kieszügen zu. Daraufhin begannen sich die Schäden zu mehren und eine Ma-
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schine nach der anderen wurde aus-rangiert – die letzte 1982. Zwölf wei-tere Ce 6/8 II bauten die SBB von 1965 bis 1971 zu Rangierlokomoti-ven um, Leistung und Höchstge-schwindigkeit blieben gleich. Die „Rangier-Krokodile“ fi elen sofort auf: Sie besaßen nur noch einen Stromabnehmer und ihre Stirnfronten waren mit Blechen verunstaltet. Im-merhin verlängerte das die Einsatzzeit der Krokodile, die letzte Ce 6/8 II konnte sich so bis 1986 halten.
Die DreierMitte der 20er-Jahre benötig-ten die SBB weitere Güter-zuglokomotiven mit sechs Treibachsen. Wiederum bei MFO und SLM bestellte sie daher weitere 18 Maschinen. Die als Ce 6/8 III 14301–14318 bezeichneten Loks wiesen zwar ebenfalls die Kro-kodil-Silhouette auf, besaßen jedoch einen SLM-Schrägstangenantrieb. Obwohl die Ce 6/8 III für den Ein-satz im Mittelland gedacht waren, kamen sie lange Zeit vor allem auf der Gotthardstrecke zum Einsatz.
1956 zeichneten die SBB ih re Ce 6/8 III in Be 6/8 III um, es erfolgte aber keine Modernisierung, die Leistung blieb mit 2.460 PS gleich. Fortan galten zwar 75 Kilometer pro Stun-de als Höchstgeschwindigkeit, doch
vor schweren Güterzügen brach ten es die Loks kaum auf Tempo 40.
Mit dem Auftauchen der Ae 6/6 am Gotthard wanderten die Be 6/8 III ebenfalls ins Mittelland, wo sie ab 1970 teilweise die 1.200 Tonnen schweren Kieszüge schleppten. Die letzten Be 6/8 III leisteten jedoch im Raum Basel Dienst – bis 1977.
Parallel zu den Ce 6/8 III bestell-ten die SBB Mitte der 20er-Jahre drei kleine Krokodil-Lokomotiven für die Nebenlinie von Wildegg über Lenzburg und Beinwil nach Luzern (Seetal). Das Trio erhielt die Be-
zeichnung De 6/6, die Nr. 15301–15303 und den Spitzna-men Seetal-Krokodil. Obwohl die Lok wie eine abgespeckte Ce 6/8 III erscheint, lehnt sich die De 6/6 konstruktiv an die Rangierlok-Prototypen Ee 3/4 16301 und 16302 von 1923 an. Hauptsächlich im Seetal lie-fen die De 6/6 dann bis 1983. Zwei wurden ausrangiert, die 15301 an die Oensingen-Bal-stahl-Bahn verkauft.
Mit dem Planeinsatz der Krokodile war ihre Geschich-te aber noch längst nicht zu
Ende. Fast ein Fünftel der 51 Ma-schinen mit der Achsfolge 6/8 hat überlebt. Vier der neun erhaltenen Krokodile kann man im Museums-betrieb noch heute erleben – ganz abgesehen von Zehntausenden Märklin-Lokomotiven, in denen der Mythos der Krokodile weiterlebt.
Ein großes Geschenk: Zum Jubiläum „125 Jahre Gotthardbahn“ wurde ein Krokodil nett verpackt.
Text und Fotos: Chr. Zellweger
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Der Krokodil-Code: Das „C“ im Loknamen steht für die Höchstgeschwin-digkeit bis 65 Kilometer pro Stunde, das „e“ für den Elektroantrieb. Die Zahl 6 bezeichnet die angetriebenen, die 8 die Zahl aller Achsen. Nach dem Umbau erhielten die Loks ein B, weil sie nun Tempo 75 schaff ten.
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