definition psychische störung
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Klassifikatorische Diagnostik, Psychopathologie und AMDP-
Training
Online Kurs 2021
Michael BernerKlinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin
Städtisches Klinikum Karlsruhe
Definition psychische Störung
Keine allgemein akzeptierte Definition, jedoch übereinstimmende Merkmale:
Devianz (anders, extrem, ungewöhnlich, evtl. sogar bizarr)
Leidensdruck
Beeinträchtigung / Dysfunktionalität
Gefährdung (Eigen-/Fremdgefährdung)
Kleine Psychiatriegeschichte 1
Prähistorische Psychiatrie: Trepanation
– Die erfolgreichste Trepanationsmethode waren kreisförmige Öffnungen. Dieser Patient überlebte fünf Operationen und litt wahrscheinlich unter chronischen Kopfschmerzen.
Hiob, Léon Bonnat (1833-1922), Louvre
Hippokrates (ca. 460 - 377 v.Chr.)
Kleine Psychiatriegeschichte 2
Exorzismus
Hippokrates: Krankheit hat eine Ursache im individuellen Kranken, wird u. U. verursacht (Umwelteinflüsse, Säfte) (460-377 v. Chr.!)
Kleine Psychiatriegeschichte 3
„Narrenschiffe“ (Mittelalter, bis 16./17. Jhdt.)
Kleine Psychiatriegeschichte 4
Irrenhäuser des 16.-19. Jahrhunderts(Bethlehem Hospital [„Bedlam“], London)
Thomas Sydenham (1624 - 1689)
ICH
ICH
ICH
Psychische Gesundheit
VerschiedenheitIndividualität
ICHICH
ICHPsychische Krankheit
ÄhnlichkeitSyndrom
Symptom
Symptom
Symptom Symptomebene
SymptomSymptomSymptom
Psychische Krankheit
SyndromebeneSyndrom
DiagnoseDiagnose Diagnose
Vergeßlich
desorientiert
Affekt-schwankung
Symptomebene
Affekt-schwankungdesorientiertdesorientiert
Psychische Krankheit
SyndromebeneDemenz
VaskuläreAlzheimer M. Binswanger
Vergeßlich
desorientiert
Affekt-schwankung
Symptomebene
Affekt-schwankungdesorientiertdesorientiert
Psychische Krankheit
SyndromebeneDemenz
VaskuläreAlzheimer M. Binswanger
Entwicklung des Krankheitsmodells
Hippokrates: Krankheit hat eine Ursache im individuellen Kranken, wird u.Uverursacht (Umwelteinflüsse, Säfte) (4.Jh. V. Chr.)
Sydenham: Kranke mit derselben Krankheit sind ähnlich (Syndrom) (17. Jahrhundert)
1900 Antoine Laurent Bayle
Ursachenklassifikation
Karl Jaspers (1883-1969):
„Triadisches System“: Postulierte
Klassifikation nach Krankheitsursachen (1923)
Körperlich begründbare „organische“ Psychosenz.B. bei Enzephalitis, Hirntumoren, Multipler Sklerose
Endogene Psychosen (noch) nicht körperlich begründbare Psychosen
z.B. Schizophrenie, manisch-depressive Erkrankung
Abnorme Variationen seelischen Wesens z.B. Neurosen, Süchte, sexuelle Deviationen, Persönlichkeitsstörungen
Klassifikation nach
Psychopathologie und Verlauf
Emil Kraepelin: erstes Klassifikationssystem für gestörtes Verhalten (1883)
Sammlung Tausender Fallstudien
psychiatrischer Patienten
Identifikation verschiedener
Syndrome inkl. ihrer
Verläufe und Ursachen
Klassifikation nachPsychopathologie und Verlauf
ICD-9
(Ursache)
• Reaktive Depression
• Neurotische Depression
• Endogene Depression
ICD-10(Psychopathologie / Verlauf)
• Depressives Syndrom
• Leicht
• Mittel
• Schwer
• rezidivierende depressive Störung
Ursachenklassifikation
Karl Jaspers (1883-1969):
„Triadisches System“: Postulierte
Klassifikation nach Krankheitsursachen (1923)
Körperlich begründbare „organische“ Psychosenz.B. bei Enzephalitis, Hirntumoren, Multipler Sklerose
Endogene Psychosen (noch) nicht körperlich begründbare Psychosen
z.B. Schizophrenie, manisch-depressive Erkrankung
Abnorme Variationen seelischen Wesens z.B. Neurosen, Süchte, sexuelle Deviationen, Persönlichkeitsstörungen
Klassifikation nach
Psychopathologie und Verlauf
Emil Kraepelin: erstes Klassifikationssystem für gestörtes Verhalten (1883)
Sammlung Tausender Fallstudien
psychiatrischer Patienten
Identifikation verschiedener
Syndrome inkl. ihrer
Verläufe und Ursachen
ICH
ICH
ICH
Psychische Gesundheit
VerschiedenheitIndividualität
ICHICH
ICHPsychische Krankheit
ÄhnlichkeitSyndrom
Symptom
Symptom
Symptom Symptomebene
SymptomSymptomSymptom
Psychische Krankheit
SyndromebeneSyndrom
DiagnoseDiagnose Diagnose
Vergeßlich
desorientiert
Affekt-schwankung
Symptomebene
Affekt-schwankungdesorientiertdesorientiert
Psychische Krankheit
SyndromebeneDemenz
VaskuläreAlzheimer M. Binswanger
Vergeßlich
desorientiert
Affekt-schwankung
Symptomebene
Affekt-schwankungdesorientiertdesorientiert
Psychische Krankheit
SyndromebeneDemenz
VaskuläreAlzheimer M. Binswanger
Psychopathologie
• „Lehre von den Leiden der Seele“
• intersubjektiv und interkulturell kommunizierbare Erfassung, Beschreibung und Benennung möglicher Erlebens- und Verhaltensweisen
• psychischer / psychopathologischer Befund:
Zuordnung der in einem oder mehreren Gesprächen mit dem Patienten erhobenen Informationen zu verschiedenen funktionellen Ebenen
• psychopathologische Symptome:
kleinste Beschreibungseinheiten abweichender psychischer Phänomene
Warum Psychopathologie?
• Deskription: Querschnitt / Verlauf
• Zuordnung von Patienten zu diagnostischen Gruppen (Kategorien)
• Therapeutische Interventionen
- Indikation
- Evaluation der Effektivität
• Gemeinsame Sprache
Ausgangssituation
Keine Einigung in der Beschreibung psychopathologischer Begriffe („Privatpsychopathologie“): Gerade ältere Darstellungen sind nicht zu verstehen
Oft unpräzise Begriffe (z.B. „Patient ist verwirrt“)
Oft keine Symptome, sondern Syndrome
Oft Stilblüten (z.B. „Patient ist depressiv herabgestimmt“)
Merkmalsgruppen psychischer Befund
BewusstseinsstörungOrientierungsstörungenAufmerksamkeits- und GedächtnisstörungenFormale DenkstörungenBefürchtungen und ZwängeWahn
Sinnestäuschungen
Ich-Störungen
Störungen der Affektivität
Antriebs- und psychomotorische Störungen
Circadiane Besonderheiten
Andere Störungen
Beispiel:
Stimmenhören
Definition:
Wahrnehmung menschlicher Stimmen, ohne dass jemand tatsächlich spricht.
Beispiel: Stimmenhören
Erläuterungen und Beispiele:
Die Stimmen können den Kranken direkt ansprechen, sein Handeln kommentieren, in Rede und Gegenrede über ihn sprechen. „Ich habe die Stimme meiner toten Mutter gehört. Sie hat mich immer gelobt oder getadelt, je nachdem, was ich gemacht habe.“ – „Ich habe die Stimmen mehrerer Männer gehört, die sich über mich unterhalten haben. Eine davon hat mir dann den Befehl gegeben, nach Homburg zu fahren.“ Die Stimmen müssen nicht immer von außen wahrgenommen werden, haben auch nicht immer die Qualität des „Hörens“ von außen.
Beispiel:
Stimmenhören
Hinweise zur Graduierung:
„leicht“: Der Patient berichtet, dass er seinen gelegentlichen Stimmen keinerlei Bedeutung beimesse.
„schwer“: Die Patientin gibt an, ganz deutlich die Stimme Gottes gehört zu haben, der ihr befohlen habe, „das Familiensilber zu verkaufen und das Geld den Armen zu spenden.“
Abzugrenzende Merkmale:
Gedankeneingebung
Bewusstsein
Schichten des Bewusstseins
Bewusstseinsstörungen (AMDP)
Quantitative Bewusstseinsstörungen
–Bewusstseinsverminderung
Qualitative Bewusstseinsstörungen
–Bewusstseinstrübung
–Bewusstseinseinengung
–Bewusstseinsverschiebung
Orientierungsstörungen
Qualitäten
• Orientierung zur Zeit
• Orientierung zum Ort
• Orientierung zur Situation
• Orientierung zur Person
Orientierung
• Situationsabhängig
• Kann fluktuieren
• Reihenfolge des Ausfalls
• Bedingungsfaktor für Bewusstsein
• Voraussetzung für praktische Lebensführung
Aufmerksamkeits-/ Gedächtnisstörungen
Prüfung der Auffassung
Allgemeiner Gesprächskontext
Sprichwörter
Sprichwörter
• Morgenstund hat Gold im Mund
• Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Prüfung der Auffassung
Allgemeiner Gesprächskontext
Sprichwörter
Fabeln
Fabel vom Salzesel
Ein Esel ist mit zwei Satteltaschen mit Salz schwer beladen. Er ist müde und ein bisschen faul. Da kommt er an einen Fluss und watet durch das Wasser. Die Taschen werden nass, das Salz löst sich im Wasser und der Esel ist am anderen Ufer befreit von seiner Last. Beim nächsten mal, wieder schwer beladen, freut sich der Esel auf den Fluss und watet erwartungsfroh durch das Wasser. Er hat aber dieses mal Schwämme gepackt, die sich mit Wasser vollsaugen und seine Last am anderen Ufer ist schwer geworden.
Prüfung der Auffassung
Allgemeiner Gesprächskontext
Sprichwörter
Fabeln
Bildgeschichten
Bildgeschichten erklären Prüfung der Auffassung
Allgemeiner Gesprächskontext
Sprichwörter
Fabeln
Bildgeschichten
Gemeinsamkeiten/Unterschiede
Gemeinsamkeiten/Unterschiede
Baum / Strauch
Zwerg / Kind
Aufmerksamkeit und Konzentration
Definition
Aufmerksamkeit meint die Ausrichtung (aktiv/passiv) des Bewusstseins auf ein Erfahrenes,
Konzentration das versammelte Dabeibleiben
Konzentrationsprüfung
• Monatsnamen vorwärts (relativ stark automatisiert)
• Monatsnamen rückwärts (Modifikation eines automatisierten Vorgangs)
• Von 100 immer 5 abziehen (abstrakte Leistung mit einfachem System)
• Von 100 immer 7 abziehen (abstrakte Leistung mit häufigem 10er-Sprung)
• Achtung unterscheide DD: Dyskalkulie!
Mnestische Störung im AMDP
Bis 10 Minuten:Merkfähigkeitsstörung
Ab 10 Minuten:Gedächtnisstörung
Formale Denkstörungen
Dimensionen (1)
Schnelligkeit
– gehemmt (subjektiv gebremst)
– verlangsamt (fremdbeobachtet langsam)Geradlinigkeit
– umständlich (viel nebensächliches)
– perseverierend (haftenbleibend)
–Grübeln (im Kreis)
– Ideenflüchtig (assoziativ)
–Gesperrt /Gedankenabreissen
Fehlende Gradlinigkeit
Frage Antwort
umständlich
Fehlende Gradlinigkeit
Frage Antwort
ideenflüchtig
Fehlende Gradlinigkeit
Frage Antwort
vorbeireden Antwort
Fehlende Gradlinigkeit
Frage Antwort
Perseverieren
Frage Antwort
Frage Antwort
Zwänge
Zwänge
• Imperativ sich aufdrängende Erlebnisse
• Zwänge werden in selbstreflexiver Stellungnahme als unsinnig, unangemessen (d.h. ohne Grund beherrschend) erkannt
• Trotz Widerstands der PatientInnen
• Mit dem Gefühl der Unausweichlichkeit und der Machtlosigkeit des eigenen willentlichen Widerstrebens
Erlebensbereiche von Zwängen
• Denken
• Vorstellen
• Fragen
• Sprechen
• Zählen
• Antrieb zu Handlungen
• Vermeidungen
Befürchtungen
DD: Zwänge und Phobien
• Gemeinsam ist der Verlust der Handlungsfreiheit bei erhaltener selbstreflexiver Stellungnahme.
• Viele Zwangshandlungen geschehen auf Grund von bestimmten Befürchtungen.
• Zwänge und Phobien bestehen (oft zusammen) bei ähnlichen Persönlichkeiten.
Wahn
Kriterien des Wahns
Private Wirklichkeitsauffassung
Persönlich gültige Überzeugung
Starre Überzeugung
Lebensbestimmende Wirklichkeit
Häufiger Verlauf
Erste Verunsicherung durch einzelne „Anzeichen“
Wahnstimmung
Wahngedanken
Wahnarbeit
Wahnsystem
Langsame Rückführung in die Realität
Distanz
Korrektur
Sinnestäuschungen
Wahrnehmungsstörungen
Was sehen Sie hier?
Ichstörungen
Ichstörungen
• Derealisation
• Depresonalisation
• Gedankenausbreitung
• Gedankenentzug
• Gedankeneingebung
• Andere Fremdbeeinflussungserlebnisse
Störungen der Affektivität
Einzelne Affekte (AMDP)
• Störung der Vitalgefühle
–Herabsetzung des Gefühls von Kraft und Lebendigkeit, vor allem der körperlichen Frische und Ungestörtheit
• Deprimiert
• Ängstlich
• Euphorisch
• Gereizt
• Hoffnungslos
Antriebs- und psychomotorische
Störungen
Einzelne Begriffe (AMDP)
• Antriebsarm
– Mangel an Energie, Initiative, Anteilnahme
• Antriebsgehemmt
– Energie, Initiative und Anteilnahme werden als gebremst/blockiert erlebt („alles ist so mühsam“, „ich will, bringe aber die Kraft nicht auf“)
• Antriebsgesteigert
– Zunahme an Energie, Initiative, Anteilnahme
Einzelne Begriffe (AMDP)
• Motorisch unruhig
– Gesteigerte und ungerichtete motorische Energie
• Mutistisch
– Wortkargheit bis hin zum Nichtsprechen (Verstummen, Kommunikationslosigkeit)
• Logorrhoisch (Logorrhoe)
– Verstärkter Redefluss
Einzelne Begriffe (AMDP)
• Maniriert/bizarr
– Alltägliche Bewegungen und Hanklungen (auch Gesti, Mimik und Sprache) erscheinen dem Beobachter verstiegen, verschroben, posenhaft und verschnörkelt.
– Auch geziert, affektiert, gekünstelt
• Theatralisch
– Auffällig selbstdarstellerisch
Landesübliches Temperament beachten
Haltungsstereotypien Flexibilitas cerea
(Wächserne Biegsamkeit)
Zirkadiane Besonderheiten
Schwankungen von Befindlichkeit und
Verhalten
• Relativ regelmässige Schwankungen der Befindlichkeit und des Verhaltens während einer 24-Stunden-Periode
• Gesamtbefindlichkeit, nicht nur Einzelaspekte
• Morgens schlechter
• Abends schlechter
Andere Störungen
Störungen des sozialen Kontakts
• Sozialer Rückzug
– Einschränkung der Gemeinschaftsfähigkeit
– Soziale Phobien
• Soziale Umtriebigkeit
– Normenproblematik
– Störung eher in der Art als der Menge der Sozialkontakte
– kritiklos anklammernd, distanzlos, querulatorisch
Krankheitsgefühl und -einsicht
Mangel an Krankheitsgefühl
– Der Patient fühlt sich nicht krank, die Einschätzung von Therapeut und Patient gehen über den Schweregrad auseinander.
Mangel an Krankheitseinsicht
– Der Patient erkennt die an sich wahrgenommenen Symptome nicht als krankheitsbedingt an.
Ablehnung der Behandlung
Pflegebedürftigkeit
– Patient ist bei Aktivitäten des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen
Psychopathologie und das
AMDP-System
juhuu ! Geschafft !!
Klassifikation, Psychopathologie
und das
AMDP-System
juhuu ! Geschafft !!