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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 27.11.2012 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 – 20.00 Uhr
„Ich vermisse die Sonne und das Meer“
Familie Isik auf der Suche nach ihrem Leben in Deutschland
Von Thomas Hartwig
URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. � Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -
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O-TON KEMAL ISIK
Von Anfang an eigentlich wollte ich in Deutschland leben, als ich nach Deutschland
eingereist war. Ich habe miterlebt, wenn man sich bemüht hier in Deutschland,
erreicht man was. Das ist bei uns nicht so gewesen. Das ist nicht das Land, wo ich
gerne lebe. Da ist Korruption, da ist Vetternwirtschaft. Da hatte man keine freie
Meinungen. Ich wollte einfach weg.
O-TON SUSAM ISIK
Also, die Türkei war für mich ein Heimat gewesen, aber jetzt seit achtzehn Jahren
lebe ich hier. ... ich hab’ viele Freunde hier. Ich bin politisch engagiert. Ich hab’ meine
Familie hier. Also, Deutschland ist immer noch so Sehnsucht sozusagen. (Lachen)
Also, während meine Kindheit war immer Deutschland für mich Sehnsucht nach
meinem Vater gewesen.
Ansage
„Ich vermisse die Sonne und das Meer“
Familie Isik auf der Suche nach ihrem Leben in Deutschland
Ein Feature von Thomas Hartwig
Atmo: Fahrgeräusche im Auto: Blinker tickt
AUTOR
Susam und Kemal Isik sind beide 42 Jahre alt. 1993 haben sie in Ankara geheiratet.
Zwei Jahre später gingen sie nach Deutschland. Seit 2003 sind sie deutsche
Staatsbürger. Das Paar hat zwei Kinder. Arda, der Junge, ist neun, Tochter Arsu
gerade ein Jahr alt.
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Man hat meistens schlechte Karte, wenn man mit ausländischen Namen eine
Bewerbung hinschickt. Ich hab’ mehrmals erlebt. Zum Beispiel, mein Bruder schickt
eine Bewerbung, Shell hier in Deutschland. Er kriegt sofort Absage. Aber er schickt
nach England mit gleichem Bewerbung und er kriegt sofort eine
Vorstellungsgespräch. Wie konnte das der Fall sein?
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Atmo: Wohnung von Familie Isik: leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche. Entfernter Straßenverkehr
AUTOR
Die Familie Isik habe ich 2009 kennengelernt. In diesen Zeiten, in denen so viele
Vorurteile über muslimische Familien die Runde machen, über Integration und
Verweigerung gestritten wird, wollte ich mehr über den Alltag, die Erfahrungen und
Einstellungen eines in Deutschland lebenden Paares mit türkischen Wurzeln wissen.
Über einen Zeitraum von sechs Monaten konnte ich am Leben der Isiks teilhaben
und wurde oft in ihre Wohnung eingeladen.
O-TON KEMAL ISIK
Selbst wenn man alle Konzessionen hat, also, was die Papiere angeht, hat man
immer noch nicht die gleichen Chance. Ich hab’ gesehen, aber ich hab’ auch
versucht, ich hab’ viele Freunde, die kriegen nicht entsprechend ihrer Qualifikation
eine Stelle, keiner hat’s geschafft. Ich kenne Informationswissenschaftler seit Jahren,
die kriegen keine entsprechende Stelle, die kriegen irgendwas. Es ist ganz schwierig.
Das ist mir inzwischen bewusst geworden. Also, da mache ich mir keine großen
Hoffnungen.
Atmo: Wohnung von Familie Isik: leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche. Entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Kemal hat in Ankara als Veterinärmediziner seinen Abschluss gemacht, der in
Deutschland nicht anerkannt wurde, obgleich er später in Leipzig promovierte.
Er arbeitet als Hygienebeauftragter und Sozialarbeiter in einem privaten
Unternehmen. Seine Frau Susam studierte Agrarwissenschaften in der Türkei und
promovierte 2001 als Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Deutschland. Auch
sie hat bis heute keine adäquate Stelle gefunden, die ihrer Qualifikation entsprechen
würde.
Atmo : Fahrgeräusche im Auto
4
AUTOR
Susam ist viel unterwegs, und oft bleibt uns nur Zeit unsere Gespäche im Auto zu
führen.
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Meine Vergangenheit ist nur Erfolgsgeschichte. Ich hab’ so viel erreicht. Und ich hab’
Anerkennung von meiner Community, von der türkischen Community.
Atmo: Fahrgeräusche im Auto
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Ich hab’ zwei Kinder, und ich möchte meine Kinder sollen erfolgreich sein. Sie
werden gute Bildung bekommen. Mein Sohn möchte Richter werden. Er wird das
sein. Er wird das sein. Dafür muss er sich Mühe geben. Wenn ich als Mutter verliere,
als Vorbilder oder Looser vor ihm stehe. Das geht nicht.
Atmo: Fahrgeräusche im Auto
AUTOR
Damals, als ich Susam Isik kennenlernte, war sie Pressesprecherin des
Fußballvereins Türkiyemspor in Berlin. Inzwischen ist sie dort wegen
unterschiedlichen Auffassungen über die Integrationsarbeit ausgeschieden.
Kemal und Susam begreifen sich beide als politische Menschen und möchten sich
„einmischen“, wie sie sagen. Dieses Bedürfnis hat auch mit ihren Erfahrungen unter
der Militärdiktatur in der Türkei zu tun.
O-TON SUSAM ISIK
Es war sehr schwere Zeit gewesen. Damals war auch anders zu denken verboten,
irgendwie alevitisch zu sein, war verboten. Ich hatte Freunde, die haben immer
versteckt, dass sie Aleviten sind. Oder ich hatte Freunde die schlecht behandelt
wurde von der Schule oder von der Gesellschaft, weil er sozialistisch gedacht haben.
Solche Geschichte das hat mich ehrlich gesagt, sehr berührt.
Atmo: im Verein „Gesicht zeigen“. Stimmen, allgemeine Geräusche
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AUTOR
Heute hat Susam Isik ein Vorgespräch mit Rebecca Weis vom Verein „Gesicht
zeigen“, der gegen Antisemitismus und Rassismus kämpft. Ende Mai 2012 soll
Susam hier auf einer öffentlichen Veranstaltung von ihren Erfahrungen bei
Türkiyemspor berichten, dem Fußballverein, der sich um die Integration von
ausländischen Jugendlichen verdient gemacht hat.
O-TON SUSAM ISIK
Also, ich hab’ nur Positives erlebt bei Türkiyemspor. Ich habe miterlebt, wie die
Mädchen motiviert Fußball gespielt haben. Für sie war überhaupt nicht wichtig, ob sie
arabischen Hintergrund haben oder türkischen Hintergrund haben. Das ist auch bei
der jugendlichen oder ersten Männermannschaft bei Türkiyemspor. Am Ende für sie
war wichtig gewesen, ein Team zu sein und Spiel gewinnen. Für uns war nie eine
Regel gewesen, ob wir integriert sind oder nicht, ob wir sprachliche Probleme haben
oder nicht.
Atmo im Verein von „Gesicht zeigen“: Stimmen, allgemeine Geräusche
AUTOR
Unter den S-Bahn-Bögen in Berlin-Tiergarten hat sich der Verein „Gesicht zeigen“
eingerichtet. Oben fahren die S-Bahnen drüber. Dann kann man kaum sein eigenes
Wort verstehen. Das junge Team hat ein Konzept erarbeitet, das bei Kindern und
Jugendlichen Interesse wecken soll, sich mit Fragen des Rassismus
auseinanderzusetzen, sagt Rebecca Weis.
O-TON REBECCA WEIS
Wir haben in der Gruppe immer ein Problem mit Ausgrenzungen oder mit
Diskriminierungen oder mit Unterschiedlichkeit. Und das wollen wir hier
thematisieren. Und wir nehmen Geschichten, kleine Geschichten, erzählen von
Menschen, die in den dreißiger Jahren jugendlich waren.
Atmo im Verein von „Gesicht zeigen“: Stimmen, allgemeine Geräusche
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AUTOR
In sogenannten Werkstattgesprächen werden die Jugendlichen an die Thematik
herangeführt.
O-TON REBECCA WEIS
Und die kommen hier immer rein und wissen nur, wir gehen in ne Ausstellung, wir
haben kein besseres Wort gefunden. Aber eigentlich haben wir sieben Räume
geschaffen, sieben Erlebnisräume. Die haben auch immer Platz für Gruppen. Die
sind bunt und sehen sehr modern aus und man soll sich hier wohlfühlen, das ist uns
total wichtig.
Atmo im Verein von „Gesicht zeigen“: Stimmen, allgemeine Geräusche, S-Bahn
donnert vorbei.
AUTOR
Erinnerungssplitter von Lebensgeschichten junger Menschen aus der NS-Zeit
erzählen von Ausgrenzung, Unterdrückung und Hass, aber auch von Freundschaft,
Unterstützung, Aufbegehren und Solidarität, erklärt ein Faltblatt des Vereins.
O-TON REBECCA WEIS
Hier sind zwei Geschichten erzählt von Menschen, die heute beide noch leben. Das
eine ist die Möglichkeit, ihr Vater war in der Kommunistischen Partei, und das andere
ist Robert Goldmann, der kommt aus einer jüdischen Familie. Und die haben beide
erlebt, dass ihre Wohnungen durchsucht haben von der SA. Und alles wurde
zerstört.
Und das sieht so aus, als wären sie gerade da gewesen. Die haben die Bettwäsche
aufgeschlitzt (im Hintergrund donnert die S-Bahn vorbei) und haben irgendwie alles
kaputt gemacht und alles zerstört. Und da arbeiten wir mit den Kindern oft dran, wie
wär denn das, wenn es bei euch zuhause passiert.
Atmo im Verein von „Gesicht zeigen“: Stimmen, allgemeine Geräusche, S-Bahn
donnert vorbei.
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AUTOR
Susam fühlt sich an ihre Erfahrungen mit der türkischen Militärdiktatur während der
Studentenbewegung erinnert.
O-TON SUSAM ISIK
Eine Nacht kamen die Polizisten zu uns, so um vier Uhr oder so, ganz morgen früh.
Und die klopften an die Tür. Ich war mit meiner Mutter zuhause gewesen, mit meinen
Geschwistern. Sie haben überall nachgesucht, überall, als ich Terroristin wäre oder
so. Sie haben gesagt, dass ich mitkommen soll. Ich war zehn Tage in der Zelle, und
meine Eltern konnten von mir gar nichts hören. Die wussten nicht, ob ich lebe, wo ich
bin, was ich mache. Die hatten gar keine Ahnung.
Atmo im Doppeldecker-Bus: Straßenverkehr, vorbeifahrende Autos, Ansage im
Lautsprecher.
O-TON KEMAL ISIK (im Bus)
Ich fahre zum Landesamt für Gesundheit und Soziales, um nach diesem neuen
Gesetz, Anerkennungsgesetz, meinen Abschluss anerkennen zu lassen. Heute
haben sie Sprechstunde von 15 – 18 Uhr. [...] Ich möchte mich erst informieren, und
die dazu gehörigen Unterlagen mir holen ... [...] Ich hoffe, dass ich [...] ein paar
weniger Prüfungen absolvieren soll. Sonst muss ich in 16 Fächern [...] noch mal
Prüfungen machen, diese Kenntnisstandprüfung.
Atmo GERÄUSCHE (INNEN)
Schritte auf dem Gang im Landesamt für Gesundheit und Soziales, Stimmen und
Türenklappen.
AUTOR
Am 1. April 2012 trat in Deutschland ein neues Gesetz in Kraft, das erlaubt berufliche
Abschlüsse, die im Ausland gemacht wurden, unter gewissen Bedingungen
anzuerkennen. Kemal Isik macht sich nun Hoffnungen, endlich in seinem Beruf hier
Fuß fassen zu können. Auf den langen Fluren der Behörde herrscht ein ständiges
Kommen und Gehen. Verschiedene europäische Sprachen sind zu hören. Das
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Gespräch zwischen der zuständigen Sachbearbeiterin und Kemal durfte ich nicht
aufzuzeichnen
O-TON KEMAL ISIK
Das neue Anerkennungsgesetz hat für mich nichts mitgebracht, weil ich jetzt
deutsche Staatsbürgerschaft habe.
Ja, das ist bisschen merkwürdig für mich, persönliches Schicksal sozusagen.
Als ich die Berufserlaubnis beantragt hatte, sie haben mir gesagt, ich muss
Kenntnisstandprüfung machen, weil ich türkische Staatsbürgerschaft hatte, damals.
Und jetzt kommt ein neues Gesetz, und weil ich inzwischen die deutsche
Staatsbürgerschaft habe, kann ich von diesem Gesetz auch nicht profitieren.
Atmo vor der Schule: Vogelgezwitscher, Unterhaltungen von Kindern, Straßenlärm.
AUTOR
In der Nähe der Behörde ist auch Ardas Schule. Bis 4 Uhr nachmittags dauert der
Unterricht. Dann holt ihn meistens seine Mutter ab. Heute aber kommt sein Vater,
weil er frei hat. Kemal wartet mit der kleinen Arsu im Kinderwagen. Es ist ein warmer
Frühlingstag. Die Luft riecht schon nach Sommer.
O-TON
ARDA ISIK
Papa, ich bin hungrig!
KEMAL ISIK
Was hältst du von einer Banane?
ARDA ISIK
Nein.
KEMAL ISIK
Hab’ ich schon geschält.
ARDA ISIK
Hm.
KEMAL ISIK
Hast kein Wasser getrunken?
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ARDA ISIK
Hm, hm...
KEMAL ISIK
...wie lebst du denn ohne Wasser?
ARDA ISIK
Ganz einfach.
KEMAL ISIK
Was trinkst du?
ARDA ISIK
Ich trinke meine Milch.
KEMAL ISIK
Arda, kannst du ein Stück Apfel beißen und Arsu geben, groß, ganz groß beißen in
Hand nehmen?! Das ist zu groß, Arda!
Atmo vor der Schule, Vogelgezwitscher, Unterhaltungen von Kindern, Straßenlärm.
AUTOR
Wir gehen die laute Hauptstraße entlang bis zur Bushaltestelle. Kemal schiebt den
Kinderwagen und Arda erzählt, dass der Lehrer seine Handschrift kritisiert habe.
O-TON
ARDA ISIK
Weil meine Arbeit nicht so gut ist.
KEMAL ISIK
Nicht so gut ist?
ARDA ISIK
Doch, eigentlich mach ich sehr gut, also ausreichend. Aber er sagt, du musst besser
schreiben lernen.
KEMAL ISIK
Ach so, schreiben üben.
ARDA ISIK
Ja, ich hab’ schon eine saubere Schrift.
KEMAL ISIK
Ja, dann sollst du zuhause ein bisschen üben, wie man besser schreibt.
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ARDA ISIK
Ich gesagt, wie meine Meinung ist, dass er eine schlechte Lehrererziehung hat. Und
seine Schrift ist krakelig.
KEMAL ISIK
Hast du das gesagt?
ARDA ISIK
Hm, seine Schrift ist noch krakeliger als meine.
KEMAL ISIK
Aha...
ARDA ISIK
Papa, ich kann besser schreiben, wenn ich einen Brief schreiben muss oder
irgendetwas Wichtiges, nicht so einen blöden Mathe-Test.
Atmo im Doppeldecker-Bus: Straßenverkehr, vorbeifahrende Autos, Ansage im
Lautsprecher.
AUTOR
Der Bus kommt und bringt uns in zwanzig Minuten nach Zehlendorf, wo die Isiks
wohnen.
Atmo: Türklingel, Öffnen der Tür, Schritte, Ardas Stimme, Fahrstuhl, Wohnungstür
aufschließen.
O-TON
SUSAM ISIK
Kommt rein! Hallo, Arda!
ARDA ISIK
Hallo.
SUSAM ISIK
Hallo, Thomas! Kemal, was hast du gemacht?
KEMAL ISIK
Ich hab’ mich informieren lassen.
SUSAM ISIK
Hm,..
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KEMAL ISIK
... und da gibt’s nicht was Besonderes. Das ist einfach...
SUSAM ISIK
...was heißt das?
KEMAL ISIK
Ich muss erst den Antrag stellen, Unterlagen erneut einreichen. Und dann bekomme
ich einen Bescheid in welchen Fächern, wie viele Prüfungen ich noch absolvieren
soll.
Atmo: Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Susam und Kemal gehen liebevoll mit ihren Kindern um. Man hört sich zu, nimmt
sich gegenseitig wichtig, laute Worte sind selten, Schläge gar verpönt.
Susam stammt aus einem Dorf in Zentralanatolien mit etwa fünfhundert Einwohnern.
O-TON SUSAM ISIK
Also, meine Kindheit bedeutet für mich Geborgenheit, Liebe, viel Kuscheln, viel
spielen, freie Land und auch unsere Großeltern natürlich bei uns gewesen. Das war
auch toll gewesen.
Mein Vater war Lehrer gewesen. Er arbeitete von Osttürkei bis zu Mittelanatolien.
Er wollte, dass die Mädchen auch in die Schule geht, etwas lernt, zu schreiben, zu
lesen. Und die sollen nicht unbedingt mit 12 oder 14 Jahren heiraten damals.
Atmo : Wohnung von Familie Isik: leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Der Vater versuchte andere Eltern zu überzeugen, ihre Töchter auch in die Schule zu
schicken.
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O-TON SUSAM ISIK
Und dann, er schafft das, er war sehr erfolgreich. Er sah auch die Menschen, die da
leben, wie sie unter Hunger gelitten haben.
Atmo: Wohnung von Familie Isik. leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Den Anspruch von Mädchen auf Bildung fand der örtliche Großgrundbesitzer
gefährlich, erzählt mir Susam, und wollte, dass ihr Vater verschwindet.
O-TON SUSAM ISIK
Und ein Mensch vom Dorf, der mein Vater so schätzt und mochte, ging zum
Gendarmen und er sagte, heute Abend wird Cevat Duendar getötet. Und ganz
schnell eine ganze große Truppe von Gendarmen kamen ins Dorf und sie sagen,
mein Vater soll sofort ins Dorf mit mir und mit meiner Mutter verlassen. Also, wir
haben nur unser Leben gerettet, sozusagen.
Atmo : Wohnung von Familie Isik. leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Einige Monate lebte die sechsköpfige Familie Duendar in der Stadt Dyarbakir, in der
Osttürkei.
O-TON SUSAM ISIK
Aber dann merkte er, dass die Menschen, die nach Deutschland gehen, wenn sie
zurückkommen, dann haben sie bessere Lebenschancen.
Atmo : Wohnung von Familie Isik. leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
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AUTOR
Susams Vater verpachtete seine Felder in Anatolien, von deren Ertrag seine Familie
ohnehin nicht leben konnte und machte sich allein auf den Weg.
O-TON SUSAM ISIK
Als ich drei Jahre alt war, kam mein Vater nach Deutschland. ....(fängt an zu weinen)
Atmo , Wohnung von Familie Isik. leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
1973 ging er zu seiner Schwester, die schon in München lebte, und fand Arbeit in
einem Reisebüro. Damals war er 24 Jahre alt.
O-TON SUSAM ISIK
Er erlebt sehr viele Schwierigkeiten. Er schläft über die Stuhl in einem Reisebüro,
also, ganz bitter, was er erzählt. Und am Ende er kämpft, er lernt Deutsch, er arbeitet
als Lehrer, also, das ist positive Seite.
Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Später fing er in Berlin-Kreuzberg als Lehrer an, unterrichtete Mathematik und Sport.
Susams Vater arbeitete immer auf der Basis von Zeitverträgen, so dass er nie länger
als zwei Jahre im Voraus planen konnte.
O-TON SUSAM ISIK
Er wollte meine Mutter mitnehmen. Wir hatten so großen Widerstand gezeigt, dass
wir nicht nach Deutschland kommen möchten. Und meine Mutter hat gesagt, ‚ich, ich
kann nicht meine Kinder allein lassen. Das geht nicht.’ Also, sie hat eigentlich auf ihre
Leben sozusagen verzichtet, mit ihrem Mann zu leben. Das ist auch sehr bitter, so.
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Atmo: Fahrgeräusche im Stehen (Auto), leise Hintergrundmusik, Blinker tickt, Autos
fahren laut vorbei, Auto fährt wieder an, Blinker tickt.
AUTOR
Mit Susam fahre ich nach Kreuzberg. Sie will sich dort mit vier arbeitslosen
Akademikerinnen in einem kleinen Café treffen. Sie wollen Erfahrungen austauschen
und sich Tipps geben, wo man sich noch bewerben kann, unter ihnen eine russische
Übersetzerin und eine ehemalige Personalchefin.
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Deswegen war ich in den letzten zwei Wochen bei einem Kurs für die Akademiker,
Selbstvermarktungkurs für die Akademiker. Was mich eigentlich traurig gemacht hat?
Ich habe studiert, dann hab’ ich auch meine Doktorarbeit geschrieben.
Atmo: Fahrgeräusche im Stehen (Auto), leise Hintergrundmusik, Blinker tickt, Autos
fahren laut vorbei
AUTOR
‚Was unterscheidet mich eigentlich von Menschen, die gar keine Ausbildung haben
und deshalb arbeitslos sind?,’ fragt sich Susam. Gleichzeitig überlegt sie, wie wäre
es ihr wohl ergangen, wenn sie in der Türkei geblieben wäre. Vielleicht könnte sie
dort in einer Führungsposition arbeiten? Unwahrscheinlich, sagt sie, und verwirft
diesen Gedanken wieder.
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Aber jetzt, also irgendein Arbeit zu finden, damit man leben kann. Das ist ganz
unfassbar, finde ich einfach schade, schade für mich, schade für meine Mühe, dieser
Kampf, einfach Erfolg zu haben und Gutes zu erreichen, das schafft man hier, hier
nicht.
Atmo: Fahrgeräusche im Stehen (Auto), leise Hintergrundmusik, Blinker tickt, Autos
fahren laut vorbei, Auto fährt wieder an, Blinker tickt.
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AUTOR
Susam ist wieder auf dem Weg nach Hause. Von dem Gespräch hatte sie sich mehr
erhofft. In der Zwischenzeit hat ihr Mann auf die kleine Arsu aufgepasst. Kemal
unterstützt seine Frau bei ihren vielfältigen Aktivitäten. Sie ist Mitglied der SPD und
der Arbeitsgemeinschaft Migration. Ohne seine Bereitschaft, sich an der
Familienarbeit zu beteiligen, könnte sie an manchen Abendveranstaltungen gar nicht
teilnehmen.
O-TON SUSAM ISIK
Als Frau möchte ich gleichberechtigt sein. Ich möchte mein Geld selber verdienen.
Ich möchte arbeiten. Ein Mann hat mich gefragt: „Fühlen Sie sich ehrlich
gleichberechtigt mit Ihrem Mann?“ Ich sagte ‚ja’, weil ich hier bin und mein Mann
kümmert sich jetzt um meinen Sohn, obwohl Arda, ich glaube, ein Jahr alt war.
Dementsprechend habe ich mir einen Mann gewählt, ausgewählt, er kann mich
vertragen kann, so. Das ist wichtiger Punkt gewesen für mich.
Atmo: Fahrgeräusche im Stehen (Auto), leise Hintergrundmusik, Blinker tickt, Autos
fahren laut vorbei, Auto fährt wieder an, Blinker tickt
AUTOR
In den vergangenen fünf Jahren hat sich Susam Isik als wissenschaftliche
Mitarbeiterin über fünfhundert Mal beworben, bei Bildungseinrichtungen,
Bundestagsabgeordneten, der Deutsche Bahn AG und anderen Firmen. Meistens
hat sie nicht einmal eine Antwort auf ihre Bewerbungen erhalten, oder es wurden ihr
nur zeitlich befristete Beschäftigungen angeboten.
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Zum Beispiel, früher habe ich immer gedacht, ja, nach meiner Doktorarbeit wird mein
Leben besser sein. Ich werde bessere Arbeit finden, ich kann besser leben, und
vielleicht wenn ich Kinder bekomme, dann kann ich für sie bessere Zukunft anbieten.
Und das ist nicht der Fall.
Atmo: Fahrgeräusche im Stehen (Auto), leise Hintergrundmusik, Blinker tickt, Autos
fahren laut vorbei, Auto fährt wieder an, Blinker tickt
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AUTOR
Heute ist der Himmel über Berlin grau in grau, was Susam zusätzlich deprimiert.
Später beginnt es auch noch zu regnen.
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Jetzt kommt Sommer. Viele Menschen gehen einfach in Urlaub. Also, ich möchte
auch einmal, einmal in zwei Jahren in der Türkei sein. Ich vermisse, ich vermisse
einfach die Sonne, ehrlich ich vermisse die Sonne und das Meer.
Atmo vor der Schule: Vogelgezwitscher, Unterhaltungen von Kindern, Straßenlärm.
AUTOR
Kemal hat einige frei Tage und kann Arda von der Schule abholen. Ich stehe mit dem
Vater vor dem Eingang, während Schülerinnen und Schüler herausstürmen.
O-TON KEMAL ISIK
Diese Schule ist eine zweisprachige Schule. Und hier werden die Kinder in Deutsch
und Englisch unterrichtet. Zwei Sprachen von Anfang an, also, ab erster Klasse. Wird
staatlich gefördert, je nach Einkommen muss man zuzahlen. Das ist eine gute
Schule. Die Kinder werden ganz frei erzogen. Besonders was ich zum Beispiel
gestern erlebt hatte, was Arda mir erzählt hatte. Für mich war das unvorstellbar, dass
ein Drittklässler offen zum Beispiel die Lehrer kritisiert. Bei uns war das unmöglich.
Atmo vor der Schule, Vogelgezwitscher, Unterhaltungen von Kindern, Straßenlärm.
AUTOR
Wir gehen wieder langsam die laute Straße bis zur Haltestelle hoch.
Atmo: Im Doppeldecker-Bus: Straßenverkehr, vorbeifahrende Autos, Ansage im
Lautsprecher.
17
AUTOR
Im Doppeldeckerbus setzt sich Arda mit mir nach oben. Sein Vater bleibt mit dem
Kinderwagen und der kleinen Arsu unten. Woher stammen seine Mitschüler, möchte
ich von Arda wissen.
O-TON ARDA ISIK
Die kommen aus verschiedenen Ländern. Manche kommen aus Türkei, manche
kommen aus Thailand, manche kommen aus Amerika. Die Lehrer sind sehr streng.
Aber die Schule ist schon gut.
Atmo: Im Doppeldecker-Bus. Straßenverkehr, vorbeifahrende Autos, Ansage im
Lautsprecher.
AUTOR
„Türkisch zu sprechen ist einfach,“ sagt Arda, „aber besser bin ich in Mathematik.“
O-TON ARDA ISIK
Wenn wir Deutsch haben, dann Deutsch. Die Englischlehrerin ist böse, wenn wir in
ihrer Klasse Deutsch sprechen, dann sie sagt ‚You have to speak English!!’ Die
englischmuttersprachigen Kinder, die nennt man die ‚dollies’. Die können jetzt nicht
mehr so richtig Englisch sprechen; denn die haben so viel Deutsch gesprochen.
(Lautsprecheransage im Bus)
Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Arda hat ein eigenes Zimmer und macht dort seine Schularbeiten. Kemal und ich
setzen uns ins Wohnzimmer. Es gibt schwarzen türkischen Tee und „Baklava“, die
berühmte türkische Süßigkeit.
O-TON KEMAL ISIK
Meine Familie sind Aleviten. Bei uns gibt es kein Kopftuch. Damals wusste ich, dass
wir anders sind als die Mehrheit. Die Mehrheit, also die Sunniten, fasten im Jahr
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dreißig Tage im Ramadan, wir fasten nicht im Ramadan. Nur zwölf Tage, aber in
einer anderen Monat. Und gehen nicht in die Moschee.
Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Das Alevitentum hat sich aus dem schiitischen Islam entwickelt, gilt in der Türkei als
laizistisch, ist aber als religiöse Minderheit offiziell dort nicht anerkannt.
Kemal stammt aus einem Dorf, in der Nähe von Siwas, in Südostanatolien.
O-TON KEMAL ISIK
Also, wer im Dorf lebt, ist arm. Aber im Dorf waren wir Reichste. Aber, das heißt
nicht, dass wir reich waren. Da ist kein Strom, da ist kein Telefon, kein Fernsehen.
Keine Schulen, nur Grundschule weiter nicht. Also, wir hatten immer saubere
Kleidungen.
Reich zu sein, hängt nicht vom Geld ab. Das habe ich sehr schnell begriffen.
Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Die Familie zog nach Siwas erzählt Kemal weiter, damit er und seine Geschwister
das Gymnasium besuchen konnten. In seiner Familie legte man Wert auf gute
Bildung.
O-TON KEMAL ISIK
Immer noch bin ich darauf stolz, ich hab’ nie mein Papa und Mama beim Streiten
gesehen. Das war für mich also Reichtum. Die waren immer höflich mit uns. Zum
Beispiel, alle, also sieben Geschwister, keiner sagte, dass irgendwie Papa oder
Mama einen geschlagen hatte. Wir haben selbst mit eigenen Augen gesehen, wie
andere Kinder von ihren Eltern geschlagen werden.
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Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Auf dem Gymnasium verheimlichte Kemal, dass er Alevit ist, aus Angst vor
möglichen Benachteiligungen. Mit 17 Jahren machte er das Abitur und wollte Medizin
studieren. Im Sommer 1987 nahm er an einer Aufnahmeprüfung teil.
O-TON KEMAL ISIK
Ich weiß ganz genau, wie ich diese Nachricht bekommen hatte. Das war
Sommerferien natürlich. Damals gab’s noch kein Telefon bei uns im Dorf. An diesem
Tag wusste ich, dass die Ergebnisse bekannt gegeben wurden. Nachmittag bin ich
zur Straße gegangen und dort auf den Bus gewartet. Stundenlang. Und dann endlich
ist der Bus gekommen, ohne anzuhalten, bisschen langsam gefahren, und Fenster
aufgemacht und mir gesagt: ’Kemal, du hast Veterinärmedizin in Ankara gewonnen.’
Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Erstmal war er enttäuscht.
O-TON KEMAL ISIK
Meine Punkte haben nicht dafür gereicht zum Medizinstudium. Für Veterinärmedizin
hat es gereicht. Hab’ ich gedacht, Hauptsache damals wollte ich in einer Großstadt
studieren entweder in Istanbul, Ankara oder Izmir.
Ich hatte keine Beziehung zur Veterinärmedizin, aber wie gesagt, ich hatte keinen
Luxus noch ein Jahr zu warten, weil wir finanziell nicht in der Lage war. Ich musste
weiter.
Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
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AUTOR
Für die Isiks bedeutet Bildung den Schlüssel zum gesellschaftlichen Aufstieg. Dieses
Motiv verbindet die beiden. Ihren Traum von Chancengleichheit, glaubten sie aber in
der türkischen Gesellschaft nicht verwirklichen zu können.
Deshalb gingen sie nach dem Studium in Ankara nach Deutschland. Hinzu kam,
dass Kemal nicht zur türkischen Armee wollte.
O-TON KEMAL ISIK
Vom Flugzeug konnte ich Berlin von oben beobachten. Und der erste Blick war für
mich entsprechend meinen Vorstellungen. Ganz ordentliche Stadt, ganz ordentlicher
Stadtbau, Straßen, Häuser, konnte man deutlich erkennen, weil es nach einem Plan
war, die Stadt gebaut hat. Das war sehr, sehr angenehm für mich. Du bist auf dem
richtigen Weg. Die Menschen auch, auf der Straße. Die waren sehr respektvoll und
ruhig. Das hat mich auch beeindruckt am Anfang sehr. Jeder machte sein Ding, was
die anderen machten, interessiert keinen.
Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
O-TON SUSAM ISIK
Also, ich hatte ein Deutschlandbild eigentlich von meinem Vater. Und er erzählte
immer sehr Gutes über Deutschland. Also, über sozialen Staat, Sozialdemokratie,
über die Menschenrechte, weißt du, Gleichberechtigung von Männern und Frauen,
Bildungschance, Aufstiegschance. Das hat mich eigentlich nach Deutschland
gezogen.
Atmo : Wohnung von Familie Isik, leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche, entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
In ihrer Kindheit hatte sie ein eher zwiespältiges Verhältnis zu Deutschland.
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O-TON SUSAM ISIK
Wenn mein Vater kommt, dann war ich der glücklichste Mensch, aber gleichzeitig der
traurigste Mensch bin ich gewesen. Weil ich an dem Tag, als er gekommen war,
dachte ich wieder, wann er geht. Also glücklich zu sein und Schmerzen waren immer
so miteinander drin... sozusagen.
Ich hasste immer so am Freitag, weil mein Vater konnte am Freitag kommen. Es gab
nur ein Flugzeug, nur am Freitag. Und er durfte wieder am Freitag nach Berlin
zurückfliegen. Also, ich liebte am Freitag, aber ich hasste auch am Freitag,
sozusagen.
Atmo im Türkischen Haus: Stimmengewirr in Türkisch und in Deutsch.
AUTOR
Susam lässt keine Gelegenheit aus, sich um eine ihrer Ausbildung entsprechende
Arbeit zu bemühen. Deutsche und ausländische Unternehmen, wie die Axel-
Springer-AG, die Deutsche Bahn, Procter & Gamble und BP haben ins Türkische
Haus in Berlin eingeladen. Auf dieser Veranstaltung soll gezielt um Arbeitskräfte mit
sog. Migrationshintergrund geworben werden. Johannes Bohr vertritt die Axel-
Springer-AG.
O-TON JOHANNES BOHR
Wir haben eine Situation, wo junge gut ausgebildete Studenten, Schüler, Akademiker
auf Unternehmensvertreter treffen, und man die Chance hat, sich auch selber zu
präsentieren durch seine Mini-Bewerbungssituation.
Diese Herausforderung, diese sich neu bietende Chance gerne ergreift, das ist
jemand der unternehmerisch ist. Integrität lässt sich übersetzen mit Gutes tun, den
eigenen Mitarbeitern gegenüber, der Gesellschaft gegenüber. Und Kreativität lässt
sich am besten übersetzen vielleicht mit Spaß haben.
O-TON JOHANNES BOHR, Rede läuft im Hintergrund weiter
AUTOR
Etwa sechzig Frauen und Männer hören der Rede zu.
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O-TON JOHANNES BOHR
Und anhand dieser drei Unternehmenswerte, Unternehmertum, Integrität, Kreativität,
würden wir in den nächsten paar Minuten entlang hangeln, beginnen mit erfolgreich
sein, Erfolgsgeschichten schreiben.
Atmo im Türkischen Haus: Stimmengewirr in Türkisch und in Deutsch.
AUTOR
Schnell wird klar, dass es den Unternehmen nur darum geht, junge Auszubildende
anzuwerben. An älteren Mitarbeitern besteht kein Interesse – auch wenn der
türkische Konsul allen empfohlen hatte: ‚Nutzt diese Gelegenheit und gebt eure
Bewerbung und euren Lebenslauf ab’.
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Also, mein Leben ist eine verlorene Leben hier in diesem Land. Das tut mir so weh.
Das ist so schade. Obwohl ich mit allen Händen und Füßen hier in dem Land Fuß zu
fassen, das schaffe ich nicht. Manchmal bin ich fix und fertig. Ehrlich dann kommt
natürlich diese Burn-out-Syndrom. Ehrlich, wenn man nichts erreicht, dann muss
man irgendwie die Antenne zumachen. Das merke ich bei mir. Manchmal ich möchte
gar nichts hören, gar nichts machen. (Seufzer)
Atmo in der Wohnung von Familie Isik, leise Geräusche.
AUTOR
Als Susam nach Hause kommt, ist Kemal mit den Kindern eingeschlafen. Ein
anrührendes Bild, wie sich die Kinder an ihn kuscheln. Susam bekommt manchmal
bei einem solchen Anblick ein schlechtes Gewissen, weil sie abends mal wieder nicht
zuhause war. Vor einigen Tagen habe ich Kemal darauf angesprochen.
O-TON KEMAL ISIK
Mir ist wichtig, wirklich, wirklich, wirklich, dass die Kinder genug Zeit bekommen. Und
so lang ich lebe, werde ich das immer tun. Also, wenn man sagt, die Entscheidung ist
für die Kinder, das meint, dass man qualitative Zeit hat. Und das möchte ich für
meine Kinder mache, weil ich diese Meinung vertrete. Deswegen ist mir nicht wichtig,
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was meine Frau macht, sie denkt anders, sie lebt so, ich akzeptier das, weil meine
Frau das so will.
Atmo MUSIK
Etüde auf dem Klavier mit Applaus
AUTOR
Arda spielt nach Noten eine Etüde. In der kleinen Aula der Schule hören Kinder und
ihre Eltern dem Klavierspiel zu. Jedes Kind spielt ein kleines Stück, das die
Musiklehrerin mit ihm einstudiert hat. Susam ist auch gekommen.
Atmo : Fahrgeräusche im Auto, Blinker tickt, im Hintergrund Radiomusik.
AUTOR
Auf der Fahrt nach Hause unterhalten sich Susam und ihr Sohn Arda über die
Schule.
O-TON
SUSAM ISIK
Also, ich finde die Mädchen von deiner Klasse sehr nett, sehr nett.
ARDA ISIK
Die sind böse, sehr böse.
SUSAM ISIK
Warum denn? Welchen Unterschied gibt es zwischen Mädchen und Jungs?
ARDA ISIK
Dass sie böse sind.
SUSAM ISIK
Okay, erster Unterschied, sagen wir mal so, zweite?
ARDA ISIK
Dass sie auf andere Toiletten gehen.
AUTOR
Neben Arda sitzt seine kleine Schwester Arsu, die ab und zu quengelt.
24
O-TON
SUSAM ISIK
Und was denken eigentlich Mädchen über Jungs?
ARDA ISIK
Dass sie gegeneinander sind.
SUSAM ISIK
(lacht) Echt?
ARDA ISIK
Jaa...
SUSAM ISIK
...also, die Mädchen mögen auch die Jungs nicht?
ARDA ISIK
Ja, (Pause) jetzt wie Krieg, die Mädchen kämpfen gegen die Jungs, die (Jungs)
gegen die Mädchen...
SUSAM ISIK
...mein Gott, Krieg sogar?
ARDA ISIK
Jaa...
SUSAM ISIK
...wow.
ARDA ISIK
… mit echten Gabeln und Messern und so.
SUSAM ISIK
Nein.
ARDA ISIK
Doch, und manchmal werfen sie den Tisch um.
SUSAM ISIK
Ach, Arda, du übertreibst wieder.
ARDA ISIK
Doch, doch tun sie.
SUSAM ISIK
Ja, ja. (Lachen)
Atmo: Klassische Musik im Vordergrund, im Hintergrund Geräusche, dann Applaus
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AUTOR
Am 23. April 2012 spielt zum Auftakt des Internationalen Kindertages ein Trio vor
dem Berliner Reichstag. Susam Isik hat die anschließende Veranstaltung als
Vertreterin des türkischen Vereins Nisan e.V. in Zusammenarbeit mit der türkischen
Gemeinde und dem deutschen Bundestag organisiert. Nisan ist der türkische Name
für den Monat April. Kinder aus verschiedenen Berliner Schulen sind gekommen. Ali
Yildirim von der türkischen Gemeinde eröffnet das Treffen in einem Sitzungszimmer
des Deutschen Bundestages.
O-TON ALI YILDIRIM
Wir wollen hier mit der Arbeit des 2008 ins Leben gerufenen Kinderparlaments
weitermachen und haben dafür erneut den 23. April gewählt, denn heute vor 92
Jahren wurde in der Türkei der erste Schritt hin zu einer modernen demokratischen
Republik getan. (Applaus.)
Atatürk stellte diesen Tag unter das Motto „Unsere Kinder sind unsere Zukunft“.
(Applaus)
Seit 1997 ist aus diesem türkischen Feiertrag ein Feiertag für alle Kinder geworden
und trägt den Titel „Internationales Kinderfest“ (Applaus).
Leise Atmo im Sitzungszimmer des Bundestages: Lachen, lautes Husten, Stimmen.
AUTOR
Im überfüllten Sitzungszimmer gruppieren sich Kinder, Eltern und Lehrer, darunter
auch Arda und Susam, um einen runden Tisch mit Mikrofonen. Alle sind aufgeregt
und warten gespannt.
O-TON ALI YILDIRIM
Wir haben uns auch gedacht, wie man Kinder stärker in die Gesellschaft einbinden
kann. Perspektivlosigkeit und Misserfolg in der Schule, Jugendkriminalität,
Ziellosigkeit und das Gefühl von der Gesellschaft nicht akzeptiert zu werden, sind
Entwicklungen, die uns auch in Berlin Sorgen bereiten.
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Das Kinderparlament möchte Kinder und Politiker zusammenbringen, einen
Austausch herstellen und damit auch den Politikern die Möglichkeit geben, den
Wünschen und Anregungen von Kindern näher zu kommen.
Leise Atmo im Sitzungszimmer des Bundestages
AUTOR
Der Berliner CDU-Abgeordnete Kai Wegner zeigt als Vater Verständnis für die
Fragen der Kinder. Anfangs wirkt er etwas hölzern und unsicher, wenn er ihnen
seinen Alltag als Politiker beschreibt, mit Sitzungen und vielen Terminen.
O-TON KAI WEGNER
Sind die Spielplätze in Berlin schön? Ist der Schulweg sicher? Wie sind die Schulen?
Sind die Klassen zu groß? Habt ihr ausreichend Lehrer? All so was hört man ja sehr
gern. [...] Probleme hört man eigentlich nicht so gern. Aber [...] wenn ich die höre,
dann versuche ich immer für Verbesserungen zu sorgen und versuche zu helfen, da
wo es mir möglich ist. Und wenn man dann helfen kann, macht Politiker sein ganz
doll Spaß.
AUTOR
Wegner nahm an der zentralen Trauerfeier in Berlin zum Gedenken an die Opfer der
NSU-Morde teil.
O-TON KAI WEGNER
Es hat mich sehr bewegt, wie die Kerzen für junge Männer und Mädchen
reingetragen wurden. Noch schlimmer war es für mich, als ich die Eltern gesehen
habe. Ich hoffe, dass ich niemals erleben muss, mein Kind zu verlieren.
Leise Atmo im Sitzungszimmer des Bundestages
AUTOR
Arda hat da praktischere Probleme:
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O-TON ARDA ISIK
Also, ich bin Arda, bin acht Jahre alt. Warum gibt’s so wenige Kindergärten in Berlin?
O-TON KAI WEGNER
Also, ich glaube, wir brauchen auf jeden Fall viel mehr Kindergärten. Und die Politik
hat sich ja festgelegt, dass, ich glaube ab nächstem Jahr, alle Eltern, die wollen, dass
ihr Kind in die Kita geht, dass die einen Rechtsanspruch haben und damit auch einen
Platz bekommen müssen.
Atmo vor dem Bundestag: vorbeifahrende Autos
O-TON SUSAM ISIK
Also, das war ein Chaos gewesen, zu viele Kinder, ist unglaublich. Ich hätte mir
gewünscht, dass eigentlich die Kinder mehr Zeit finden können, mehr reden können.
Aber das ist andersrum gut, dass die hier zusammengekommen sind. Und einfach
Bundestag gesehen haben, so drin und mit einem Abgeordneten gesprochen haben.
Atmo vor dem Bundestag: vorbeifahrende Autos, quietschende Bremsen.
Kinderlärm, „Hallo!“ und Geschrei.
AUTOR
Dennoch bleibt bei Susam auch ein Unbehagen zurück.
O-TON SUSAM ISIK
Was ist Demokratie? Warum muss man eigentlich für Demokratie jeden Tag
kämpfen? Was heißt das? Was heißt Freiheit eigentlich?
Atmo: Flughafen Schönefeld (innen)
AUTOR
Am Abend des 25. April auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Susam, ihr Sohn Arda
und einige befreundete Eltern mit ihren Kindern kommen aus Brüssel zurück. Dort
fand ein Internationales Kinderparlament statt, unter anderem organisiert vom
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türkisch-stämmigen Abgeordneten des Europa-Parlaments, Ismail Ertug.
Verschiedene deutsche Sponsoren haben das Treffen finanziert.
O-TON SUSAM ISIK
Lasst uns nachhause fahren. Ich bin müde(Kofferrollen). Ich kann nicht mehr laufen,
meine Füße tut weh.
Atmo: Fahrgeräusche im Auto, leise Hintergrundmusik im Radio, Blinker tickt, Autos
fahren laut vorbei.
AUTOR
Monika Sachs-Wilde war mit ihrer kleinen Tochter auch in Brüssel und nimmt Susam
und Arda in die Berliner Innenstadt mit.
O-TON
SUSAM ISIK
Aber, wenn ich ehrlich bin, ohne mein Engagement konnte das nicht klappen.
MONIKA SACHS-WILDE (im Auto)
Ja, ja. Und wer hat den Kontakt gemacht zu dem Herrn...na, der heute der
Veranstalter, der Moderator war. Wie heißt der?
SUSAM ISIK (im Auto)
...Herr Ertug.
Er kommt aus Bayern. Er ist Abgeordneter, aber niemand kannte ihn in Berlin,
sozusagen. Und er hat mit mir gesprochen, ob ich für ihn politische Arbeit hier in
Berlin durchsetzen könnte.
Ich sagte ‚ja’. Ich habe sehr viele Kontakte, das ist kein Problem. Ich kenne fast alle
Vereine und Verbände. Dann haben wir angefangen zusammen zu arbeiten.
Und er fragte, ob Möglichkeit besteht, dass wir das Kinderparlament in Brüssel...
MONIKA SACHS-WILDE
...ja...
SUSAM ISIK
... tagen könnten...
MONIKA SACHS-WILDE
...ja.
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Atmo: Vorbeifahrende Autos, Türe klappen, Dialog zwischen Susam und Frau
Sachs-Wilde.
AUTOR
Arda ist längst auf dem Rücksitz eingeschlafen, als wir am Olivaer-Platz halten, wo
Susam ihr Auto abgestellt hatte.
Ende Juni 2012 war Familie Isik für drei Wochen in die Türkei geflogen, um
Verwandte zu besuchen und Urlaub zu machen. Nun sind sie wieder zurück.
O-TON SUSAM ISIK
Hauptsache, ich hab Mittelmeer um ... gehabt, sozusagen. Es war ganz toll auch mit
der Sonne, wie sagt man das ‚kuscheln’. Und das war ganz toll und richtig schwitzen
bis zum Knochen. Diese Wärme zu fühlen, das war für mich sehr sehr toll gewesen.
AUTOR
Kemal hat in der Zwischenzeit viel über seine berufliche Zukunft in Deutschland
nachgedacht und will noch mal einen neuen Anlauf nehmen.
O-TON KEMAL ISIK
Ich hab’ immer noch ein paar Probleme. Ich hab nicht geschafft, was ich schaffen
wollte. Manchmal, vielleicht habe ich nicht so die Gelegenheit gefunden natürlich.
Ich hab’ immer das Problem verschoben, diese Prüfung zu machen. Das ist eine
Approbation. Aber nicht gemacht damals. Es fehlen noch einige Unterlagen, die ich
vom Veterinärmedizinfakultät in Ankara angefordert habe. Die aber noch nicht
bekommen habe.
Atmo : Stimmen im kleinen Sitzungszimmer in Neukölln.
AUTOR
Im August 2012 nimmt Susam an einem Diskussionsabend des Arbeitskreises
Migration in Neukölln teil. Der Hauptreferent ist Kazim Erdogan, 60 Jahre alt, ein
ehemaliger Hauptsschullehrer in Berlin. Vierzehn Jahre lang hat er als
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Schulpsychologe in Neukölln gearbeitet. Seit 39 Jahren lebt er in Deutschland. Seine
beiden Töchter wurden hier geboren.
O-TON KAZIM ERDOGAN
Menschen mit Zuwanderungsgeschichte haben das Gefühl bekommen, 99,9 Prozent
der Deutschen sind ausländerfeindlich. Wie kommt es, wie entsteht so ein Gefühl,
wenn man miteinander nicht kommuniziert und sich nicht kennt.
Warum verlassen jährlich 10 000 gut ausgebildete Akademiker, Akademikerinnen mit
türkischer Zuwanderungsgeschichte Deutschland? Auf einer Seite haben wir Leute,
die wirklich keine guten Abschlüsse haben, klar, 40 Prozent verlassen immer noch
die Hauptschule ohne Hauptschulabschluss.
Atmo : Stimmen im kleinen Sitzungszimmer in Neukölln
AUTOR
Kazim Erdogan macht sich Gedanken darüber, warum die Einwanderer sich oft von
den Einheimischen nicht angenommen fühlen und erzählt von einer
siebenundzwanzigjährigen Türkin. Sie erzieht allein drei Kinder.
O-TON KAZIM ERDOGAN
Und sie lebt von HARTZ IV und schämt sich. Und die Schule, die Kita bescheinigt ihr
‚KM’, Kindesmutter, Doppelpunkt, ist ‚bildungsfern’. Statt diese Mutter vom Positiven
ausgehend lobend zu sagen, ‚Frau Aysche, Sie haben drei Kinder, alle kommen
pünktlich in die Schule. Sie sind sauber angekleidet, sie haben ihre Pausenbrote mit.
Warum kommen Sie nicht in die Schule, übernächste Woche ist ein Schulfest, bitte,
können Sie mal auch was zu essen mitbringen?’
AUTOR
Kazim Erdogan stellt in den Raum, wie das wohl wäre, wenn Frau Aysche für das
Schulfest kochen würde. Danach könnte die Direktorin sagen:
O-TON KAZIM ERDOGAN
‚Frau Aysche, das hat so toll geschmeckt.’
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Und sie bekommt das Gefühl, dass sie mal nach zehn Jahren ist sie einmal lobend
erwähnt worden. Und wir müssen über die Gründe der Abkapselung von Menschen,
von manchen Menschen, gründlich nachdenken.
Atmo : Stimmen im kleinen Sitzungszimmer in Neukölln
AUTOR
Meistens reden in dieser Runde nur Männer, Susam ist da eher eine Ausnahme:
O-Ton SUSAM ISIK
Wir reden immer so schlecht qualifizierte Migrantenkinder, die entweder gar keinen
Hauptschulabschluss hat, oder höchstens Realschulabschluss haben. Es gibt so
viele gut ausgebildete Migranten, die hier Jura studiert oder einige Fachbereiche wie
Naturwissenschaften studiert haben, die finden keine Arbeit.
Hier gibt es ehrlich Diskriminierung und Ausgrenzung. Und wo Diskriminierung und
Ausgrenzung gibt, gibt es auch Rassismus. Dagegen muss man immer kämpfen.
Atmo: Fahrgeräusche im Auto, Hintergrundmusik
AUTOR
Das Hauptproblem von Migranten ist nach wie vor, dass viele von ihnen nur
unzureichend, manche gar nicht, Deutsch lernen. Auch Susam ist in dieser Frage mit
sich nicht ganz zufrieden.
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Erstens, ich hab’ bestimmte Lücken, die ich nicht überwinden kann, obwohl ich hier
promoviert habe, sprachliche Defizite beim Schreiben, grammatische Defizite und
auch beim Sprechen. Aber am Ende das ist großes Problem für jeden Deutsche,
dass man nicht perfekt Deutsch spricht. Das ist das Problem in diesem Land. Zum
Beispiel in der Politik, was ich mache, das ist in einer Fremdsprache, auch im
Arbeitsmarkt, was ich suche. Ich hab’ andere Kapazität, die türkische, ich bin so fit,
ich kann supergut schreiben, egal was ich mache. Aber beim Deutsch kann ich nicht,
weil … seit vielen Jahren ich schreibe nicht mehr so viel.
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Atmo: Wohnung von Familie Isik: leises Vogelgezwitscher von draußen, leise
Geräusche. Entfernter Straßenverkehr.
AUTOR
Susam will trotzdem nicht aufgeben. Sie überlegt, sich selbstständig zu machen und
eine Kindertagesstätte zu gründen.
O-TON SUSAM ISIK
Das ist mein Traum, eigentlich, dreisprachige Kita zu eröffnen. Weil ich gerade die
gleichen Probleme habe für Arsu, ich suche englisch-deutsche Kita. Wir kriegen
keinen Platz.
Die Kinder sollen über Werte zusammenkommen in meiner Kita. Also, ...
Menschlichkeit, Solidarität, Zusammenhalt. Einfach in der friedlichen Zustand
aufwachsen sollen und Vertrauen. Also, Zuwendung aufwachsen die Kinder. Einfach
verschiedene Farben, verschiedene Kulturen zusammenkommen und miteinander
respektieren.
Musik
Atmo: Fahrgeräusche im Auto
O-TON SUSAM ISIK (im Auto)
Mein Ziel: bessere Lebenschancen für die Menschen zu schaffen, damit sie ihren
Traum verwirklichen können. Jeder hat nur ein Leben. Ich bin immer noch hungrig zu
lernen. Ich brauche immer Neuigkeiten. Wenn ich lerne, fühle ich mich glücklich.
Musik
Absage:
„Ich vermisse die Sonne und das Meer“
Familie Isik auf der Suche nach ihrem Leben in Deutschland
Ein Feature von Thomas Hartwig
Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2012.
Es sprach: Frank Arnold
Ton und Technik: Ernst Hartmann und Anne Bartel