die nachwuchslücke (quelle:personalmagazin)

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15 TITEL 08 / 10 personalmagazin AUSBILDUNG © SERGIO HAYASHI; IVELLY Manche sprechen bereits von einer Nach- wuchslücke. Das Wort Lehrstellenlücke dagegen ist inzwischen fast aus dem Sprachgebrauch verschwunden.

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In der August Ausgabe 2010 widmet sich das Personalmagazin dem demografischen Wandel und der daraus resultierenden Nachwuchslücke. Wie Ausbildungsbetriebe damit umgehen sollen, um im War for Talents zu bestehen und was sie in Zukunft erwartet komprimiert in sehr guten Beiträgen und Interviews. Mit freundlicher Genehmigung des Personalmagazins.

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TITEL

08 / 10 personalmagazin

AUSBILDUNG

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Manche sprechen bereits von einer Nach-wuchslücke. Das Wort Lehr stellenlücke dagegen ist inzwischen fast aus dem Sprachgebrauch verschwunden.

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AUSBILDUNG

Die NachwuchslückeTREND. Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt hat sich gedreht, Azubis werden knapp. Höchste Zeit, das eigene Ausbildungsmarketing zu überdenken.

Trotz Krisenjahr 2009 entwickelt sich der Ausbildungsmarkt 2010 erfreulich positiv: Ende Mai registrierten die Industrie-

und Handelskammern 131.531 neu ge-schlossene Ausbildungsverträge und die Handwerkskammern zählten 36.757 neue Ausbildungsverträge. Zwar gehen Prognosen des Bundesinstituts für Be-rufsbildung (BIBB) für 2010 von einem weiteren Rückgang des Ausbildungs-platzangebots um rund 20.000 Plätze aus. Allerdings wird aufgrund sinkender Schulabgängerzahlen auch das Nachfra-gepotenzial um 69.000 zurückgehen. Der aktuelle Berufsbildungsbericht fol-gert: „Bei einer wirtschaftlichen Erho-lung wird für die kommenden Jahre ein Anstieg des Angebotspotenzials der Be-triebe erwartet, der auf einen Rückgang des Nachfolgepotenzials treffen wird. Probleme von Betrieben bei der Beset-zung von Ausbildungsplätzen dürften dementsprechend zunehmen.“

Nachwuchslücke erwartetIm Vergleich: Im Jahr 2009 wurden bundesweit insgesamt 566.004 neu ab-geschlossene Ausbildungsverträge ge-zählt. Das waren 8,2 Prozent weniger als im Vorjahr. Aber demografi ebedingt sank die Zahl der ausbildungsinteres-sierten Jugendlichen auf 575.607 (minus 8,8 Prozent). Die Ausbildungsplatzlücke, die im Jahr 2006 von Verbänden und Gewerkschaften heiß diskutiert wurde, war also schon 2009 deutlich kleiner geworden. Im laufenden Jahr wird sie

den aktuellen Vorzeichen zufolge weiter abnehmen, sodass manche Stellen sogar von einer Nachwuchslücke sprechen. Zum Beispiel sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK): „Nicht Lehrstellen, sondern Be-werber sind knapp.“

Etwas anders sieht die Situation aus Sicht der Gewerkschaften aus: Der DGB sieht auch für 2010 keine Entwarnung bei der Ausbildungsplatzsituation und spricht aktuell von rund 80.000 feh-

lenden Ausbildungsplätzen. Diese unterschiedliche Wahrnehmung des Aus-bildungsmarkts ist auf unterschiedliche Betrachtungsweisen – wann gilt ein Ju-gendlicher als Ausbildungsplatzsuchen-der – zurückzuführen (siehe Interview Seite 17). Aber auffallend ist, dass auch auf Gewerkschaftsseite das Wort „Aus-bildungsplatzabgabe“ aus dem Jahr 2006 kaum mehr ausgesprochen wird. Jetzt geht es vielmehr um Aspekte wie die Übernahmequote nach der Ausbildung oder um Bildungsthemen allgemein.

Wer zuerst kommt …Schon jetzt reagieren Unternehmen laut DIHK-Präsident Hans Heinrich Drift-mann auf die veränderte Situation, in-dem sie Verträge früher abschließen,

„um sich die besten Azubis und damit die Fachkräfte von morgen zu sichern.“ So ist es nicht verwunderlich, dass die Bundesagentur für Arbeit bereits im Mai von 381.600 gemeldeten Ausbildungs-stellen berichtete – 9.900 mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Ausbildungs-verträge werden also in der Tat immer früher unter Dach und Fach gebracht. Das zeigte sich auch auf den zweiten A-Recruiter-Tagen, die im Mai in Solingen stattfanden und sich gezielt an Ausbil-dungs- und Recruitingverantwortliche

richteten: Wie frisch der Wind auf dem Azubi-Markt bereits weht, wusste unter anderem Richarda Sartory, Referentin Personalentwicklung der Repower AG, Hamburg, zu berichten.

Noch frischer weht der Wind derzeit im Handwerk. Denn kaufmännische Be-rufe, bei denen man sich nicht die Hände schmutzig macht, soziale oder medizi-nische Berufe erscheinen den Jugend-lichen attraktiver als eine Ausbildung zum Sanitär-, Heizungs- und Klimatech-niker oder der gering bezahlte Friseur-beruf. Der Zentralverband des deutschen Handwerks startete deshalb zusammen mit dem DIHK und weiteren Verbänden die Initiative „Aktiv für Ausbildung“, mit der gezielt ausländische Jugendliche angesprochen werden sollen. Im Zuge

Von Daniela Furkel (Red.)

Schon jetzt reagieren Unternehmen auf die sich verändernde Situation: Sie schließen die Verträge früher ab, um sich die besten Azubis zu sichern.

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dieser Initiative fördert das Bundesbil-dungsministerium Ausbilderseminare für Fachkräfte und Unternehmer mit Migrationshintergrund, um den Jugend-lichen qualifi zierte Ansprechpartner in den Firmen zur Seite zu stellen. Und die Handwerkskammer Cottbus plant, pol-nische Jugendliche drei Monate lang in einem Intensivkurs auf eine Ausbildung in Deutschland vorzubereiten.

Marketing, Marketing, MarketingDoch was können die Unternehmen selbst tun, damit sie nicht nächstes Jahr ganz ohne neue Azubis dastehen? Werner Wiersbinski, Bereichsleiter Stel-lenmärkte bei Meinestadt.de, em pfi ehlt ein gezieltes Ausbildungsmarketing: „Unternehmen müssen auf sich und auf das, was sie zu bieten haben, aufmerk-sam machen. Betriebe, die früher noch über Mund-zu-Mund-Empfehlungen ih-re Azubis gefunden haben, müssen nun ebenfalls Employer Branding und Marke-ting betreiben“, sagt er. Das Städteportal hat bereits diese Notwendigkeit erkannt und bietet Unternehmen nicht nur die

Möglichkeit, ihre freien Ausbildungs-stellen im Zuge der Lehrstellenaktion „Perspektive Jugend“ im kostenlosen Standard-Textlayout auf dem lokalen Lehrstellenmarkt zu veröffentlichen. Seit Herbst 2009 können Firmen zu-dem sogenannte Premium-Lehrstellen buchen, um sich besser hervorzuheben, unter anderem mit Unternehmenslogo oder auch mit einem eingebundenen Vi-deo. „Als ‚Tipp der Woche‘ haben sie au-ßerdem die Möglichkeit, noch deutlicher für sich zu werben und sich mit ihrer Arbeitgebermarke von anderen abzuhe-ben“, so Wiersbinski.

Auch Andreas Diehl, Gründer und Ge-schäftsführer des Ausbildungsportals Azubister, nutzt alle Möglichkeiten, um Unternehmen über die Nachwuchslü-cke aufzuklären. „Nicht Unternehmen suchen die Bewerber aus, die guten Be-werber suchen sich das Unternehmen aus. Und diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch verschär-fen“, sagt er. Bis 2020 werde die Zahl der Schulabgänger um etwa 23 Prozent zurückgehen. Um auf diese Entwick-

lung zu reagieren, bietet Azubister Un-ternehmen die Möglichkeit, ein Profi l einzurichten, um Schüler frühzeitig im Internet auf sich aufmerksam zu ma-chen. „Viele Ausbildungsbetriebe sitzen auf einem sehr hohen Ross und sehen keinen Anlass, ihre Strategie der ver-gangenen Jahrzehnte zu ändern“, sagt Andreas Diehl.

Noch fataler ist seiner Ansicht nach, dass die Ausbildungsbetriebe das verän-derte Medienverhalten ihrer Zielgruppe bisher komplett verschlafen haben. Eine gute Chance auf eine komfortable Posi tion im Kampf um den besten Nachwuchs hätten allein diejenigen Firmen, die vor allem in von Jugendlichen genutzten Me-dien kommunizierten und die Antwor-ten auf die Fragen lieferten, die einen Schüler beschäftigen. Und diese seien: Welcher Beruf passt zu mir? Was erwar-tet mich in der Ausbildung? Deshalb rät er den Unternehmen: „Unterstützen Sie Schüler frühzeitig bei der Berufswahl, seien Sie erreichbar und ansprechbar, bauen Sie Vertrauen und einen guten Kontakt auf. Wenn Ihre Stellen vakant werden, haben Sie gute Chancen, diesen Kontakt in einen qualifi zierten und moti-vierten Bewerber zu verwandeln. Wer in letzter Sekunde teure Anzeigen schalten muss, hat schon verloren.“

Auch Außenseiter können Erfolg habenÜbrigens: Was ein gezieltes Ausbil-dungsmarketing bringen kann, zeigt das Beispiel der Bundeswehr – per se nicht unbedingt der beliebteste Arbeitgeber in Deutschland. Im Frühjahr 2010 stand die Bundeswehr an der Spitze des „Mar-kenmonitors Ausbildungsbetriebe“ – als meistgenannter Betrieb in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken rund um das Thema Ausbildung. Noch vor der Deut-schen Bank und Siemens. Es zeigt sich: Durch eine gute Kommunikationsstra-tegie, die auch soziale Medien mit be-rücksichtigt, können auch „untypische“ oder unbekanntere Ausbildungsbetriebe Aufmerksamkeit bei den Jugendlichen erreichen.

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Gefragte Berufsfelder

Der kaufmännische Bereich ist bei Azubis beliebt. Andere Berufsfelder haben zunehmend mit einem Nachwuchsmangel zu kämpfen.

2.507 Befragte, Mehrfachnennungen möglich

Quelle: Meinestadt.de, 2010

kaufmännischer Bereich

Handwerk

53 %

26 %

sozialer Bereich 29 %

23 %Medien

14 %sonstiges

Technik und IT

Gastgewerbe

19 %

11 %

medizinischer Bereich 20 %

Landwirtschaft und Gärtnerei

Logistik und Verkehr 16 %

9 %

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„Vom Blickwinkel abhängig“INTERVIEW. Lehrstellenlücke oder Azubimangel? Beides lässt sich durch eine entsprechende Statistik belegen. BA-Vorstand Raimund Becker erklärt, warum.

personalmagazin: Herr Becker, worauf füh-ren Sie zurück, dass 2009 die Zahl der neuen Ausbildungsverträge trotz Krise nicht deutlich gesunken ist?Raimund Becker: In den Jahren 2007 und 2008, also in Zeiten guter Wirtschafts-lage, haben viele Unternehmen unan-genehme Erfahrungen mit dem Thema Fachkräftemangel gemacht. Und sie haben noch gut in Erinnerung, was es bedeutet, verzweifelt qualifi ziertes Per-sonal zu suchen, aber vielleicht nicht zu bekommen. Das hat sich bei vielen ins Gedächtnis eingebrannt. Dazu wissen sie um die demografi sche Entwicklung. Der Fachkräftebedarf dürfte dadurch enorm werden. Deshalb haben viele Betriebe trotz Wirtschaftskrise an ihren Ausbildungsbemühungen festgehalten, um sich ihren eigenen Fachkräftenach-wuchs zu sichern.

personalmagazin: Die BA registrierte 2009 mehr offene Ausbildungsplätze als Be-werber. Der DGB spricht von 77.000 feh-lenden Ausbildungsplätzen. Wie kommt es zu so unterschiedlichen Zahlen?Becker: Es kommt auf den Blickwinkel an. Wir unterscheiden zwischen Jugend-lichen, die keinen Ausbildungsplatz und auch keine Alternative wie eine ausbildungsvorbereitende Maßnah-me oder ein freiwilliges Soziales Jahr gefunden haben, und Jugendlichen, die eben solch eine Alternative angetreten haben. Trotz Alternative behalten diese jungen Menschen aber die Suche nach einem Ausbildungsplatz im Auge, die spätestens in einem Jahr sowieso wieder anstehen würde. Viele von ihnen sind

daher auch bereit, die Alternative aufzu-geben und sofort mit einer Ausbildung zu starten, wenn sich die Möglichkeit bietet. In unserer Bilanz fi nden sich nur die Jugendlichen wieder, die gar nichts gefunden haben. Daher die unterschied-lichen Betrachtungsweisen.

personalmagazin: Mit welchem Verhältnis von Ausbildungsplätzen zu Bewerbern rechnen Sie für 2010/11?Becker: Wir nehmen erfreut wahr, dass die Betriebe ihr Angebot an Ausbil-dungsplätzen halten. Gleichzeitig geht demografi sch bedingt die Zahl der Bewerber zurück, in den östlichen Bundesländern sogar im zweistelligen

Bereich. Angaben zur Bilanz können wir noch nicht machen. Die Situation dürfte sich aber weiter entspannen, wenngleich das noch lange nicht bedeu-tet, dass jeder Jugendliche in seiner Re-gion in einem zu ihm passenden Beruf einen Ausbildungsplatz in Aussicht hat. Wir appellieren daher an Betriebe und Jugendliche, sich frühzeitig an uns zu wenden, sodass wir beide Seiten unter-stützen können, zusammenzufi nden.

personalmagazin: Handwerksbetriebe klagen über einen Mangel an Bewer-bern. Bei anderen Firmen kommen auf eine Ausbildungsstelle 100 Bewerber. Was unternimmt die BA, um dieses Ungleichgewicht zu mildern?Becker: Die Bundesagentur für Arbeit kann Ausbildungsberufe nicht at-traktiver machen, das ist Aufgabe der Betriebe. Wir unterstützen Jugendliche bei ihrer Berufswahl. Dabei beraten wir nicht nur, sondern informieren auch über arbeitsmarktliche Perspektiven. Dazu sind wir auch verstärkt präventiv tätig. Wir setzen in Vorabgangs-Schul-klassen an und helfen beim Übergang von der Schule in den Beruf. Hier kön-nen sich Betriebe ebenfalls engagieren, indem sie Praktikumsplätze bereitstel-len und sich dadurch für eine spätere Ausbildung empfehlen. Wichtig ist, entsprechend der sinkenden Schulabgän-gerzahlen umzudenken: Nicht nur der Einser-Kandidat kann ein guter Azubi sein, sondern auch ein Jugendlicher mit schwierigen Voraussetzungen.

ist seit 2004 Mitglied des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit. Der Jurist startete seine Laufbahn 1988 im Landes-arbeitsamt Rheinland-Pfalz-Saarland.

Raimund Becker

Das Interview führte Daniela Furkel.

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Engagiert gegen LeerstellenPRAXIS. Der demografi sche Wandel betrifft alle Unternehmen – auch bei der Besetzung der Lehrstellen. Wir zeigen, wie vier von ihnen diese Misere meistern.

geht. Insbesondere im gewerblich-tech-nischen Bereich spüren wir einen deutlichen Rückgang“, erklärt Hamers. In diesem Bereich hat das Kraftwerk für das Lehrjahr 2010 nur noch etwa zehn Bewerbungen je Ausbildungsplatz erhal-ten. Im Vergleich zu den Vorjahren ent-spricht dies einem Minus von zirka 30 Prozent. Im kaufmännischen Bereich ist diese Tendenz noch nicht zu spüren.

Derzeit erhalten sechs von den 65 Azu-bis im Unternehmen Nachhilfeunterricht in den Fächern Mathematik, Deutsch so-wie in Wirtschafts- und Gemeinschafts-kunde. Teilnehmen können daran Azubis, deren Noten in der Berufsschule zu wün-

schen übrig lassen (Note 4 und schlechter).Dies teilen entweder die Lehrer dem Un-ternehmen mit oder die Auszubildenden fragen direkt bei ihrem Meister an. Bis-her zeigt diese Nachhilfe Erfolg: „Unsere Maßnahmen tragen dazu bei, dass jeder Azubi in der Regel mindestens einen be-friedigenden Facharbeiterbrief erhält“, so Hamers. Auf diese Weise kann das Unter-nehmen den eigenen Nachwuchs sichern. Jeder fertige Azubi erhält zunächst einen auf ein Jahr befristeten Vertrag. Danach liegt die Übernahmequote in ein unbe-fristetes Arbeitsverhältnis zwischen 70 und 80 Prozent. „Seit etwa drei Jahren ist die Übernahmequote bei uns wieder

Von Kristina Enderle (Red.)

Damit aus Lehr-stellen keine Leerstellen wer-den, müssen

sich die Unternehmen für ihre Auszubildenden engagieren. Während die Zahl der Bewerbungen zurückgeht, sinkt oft auch ihre Qualität. Die Auszu-bildenden, die eingestellt werden, benötigen teils noch Starthilfe. Unterneh-men sollten davor nicht zurückschrecken, denn sie müssen diese Talentquelle anzapfen, um Nachwuchs für eine ausgewogene Al-tersstruktur zu gewinnen. Wir zeigen in vier Beispie-len, wie Unternehmen das umsetzen können.

Großkraftwerk Mannheim AG: Zusätzliche Nachhilfe organisieren„Einer nicht unerheblichen Anzahl von Bewerbern mangelt es inzwischen an der Ausbildungsreife“, erklärt Jochen Hamers, Personalleiter der Großkraft-werke Mannheim AG. Das war ein Grund dafür, dass das Unternehmen mit etwa 580 Mitarbeitern schon im Jahr 2000 eine zusätzliche individuelle unterneh-mensinterne Nachhilfe für Auszubilden-de im Unternehmen eingeführt hat. Ein zweiter Grund ist die demografi sche Ent-wicklung. „Seit etwa acht Jahren merken wir, dass die Zahl der Bewerber zurück-

Im Großkraftwerk Mannheim erhalten Auszubildende im gewerblich-technischen Bereich besondere Unterstützung.©

GKM

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so hoch“, sagt Hamers dazu. „Wir stellen wieder mehr junge Mitarbeiter ein, da wir möglichst vielen jungen Menschen einen sicheren Arbeitsplatz bieten möch-ten und eine sehr hohe Altersstruktur haben. Damit reagieren wir auch bereits auf die demografi sche Entwicklung.“ Finanziell ist dieses Projekt von einem Mehraufwand begleitet. „Monetär ist das aber nur schwer zu bewerten“, erklärt Hamers. Die Zeit für die Nachhilfe fehlt für die praktische Ausbildung in den Meistereien und in der Ausbildungsstät-te. Aber das Unternehmen erhält für die Nachhilfe auch Unterstützung von der Arbeitsagentur, die über einen externen Bildungsträger einen Nachhilfelehrer be-reitstellt.

Deutsche Telekom AG:Einstiegsqualifi zierung ausweitenSeit September 2009 läuft bei der Tele-kom ein neues Programm zur Einstiegs-qualifi zierung. Darin werden junge Leute mit Hartz-IV-Hintergrund in die Aus-bildung des Unternehmens integriert, um so im Zuge des demografi schen Wandels Talente in das Unternehmen

zu holen, die bisher wenig gefördert wurden. 61 Jugendliche haben das An-gebot angenommen und absolvieren ein Jahrespraktikum. Dabei durchlaufen sie dieselben Stationen in Berufsschule und Betriebseinsatz wie die Azubis. Begleitet werden sie von 60 Ausbildern, die sich alle als Lernprozessbegleiter weiterqua-lifi ziert haben. Außerdem unterstützt ein externer Bildungsanbieter die Ausbilder im sozialpädagogischen Bereich und bei ausbildungsbegleitenden Hilfen.

„Der fi nanzielle Mehraufwand ist bis-her gering, da Integration und Lernpro-zessbegleitung von jungen Menschen schon zuvor Bestandteil der Ausbildung gewesen sind“, erklärt Christian Fischer, Pressesprecher der Deutschen Telekom. Der Betreuungsaufwand und die Intensi-tät der persönlichen Betreuung nehmen aber zu. Dieser Aufwand besteht teilwei-se darin, Defi zite im Sozialverhalten oder Mängel in der Ausbildungsreife, wie zum Beispiel eine Rechtschreibschwäche, auszugleichen. Auch bei Problemen im persönlichen Umfeld hilft ein Coach – die Unterstützung beschränkt sich nicht auf den Arbeitsalltag.

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Bisher nehmen die Jugendlichen die Einstiegsqualifi kation gut an. Auf die anfängliche euphorische Phase trat mit dem Arbeitsalltag etwas Ernüchterung ein: Alte Verhaltensmuster wie noto-rische Unpünktlichkeit kamen wieder an den Tag. Ein Azubi verließ das Unter-nehmen daraufhin; andere klärten ihre Probleme in persönlichen Gesprächen mit ihren Ausbildungsbegleitern. Wer bis zum Ende des Praktikumsjahres alle erforderlichen Qualifi kationen erreicht, kann direkt ins zweite Ausbildungsjahr starten. „Unser Projekt ist bisher von einem Erfolg gekrönt, den wir so nicht erwartet hätten“, urteilt Fischer. Das Unternehmen könne auf diese Weise Talente nutzen, die sonst brach liegen würden.

Roman Mayer GmbH: Neue Ausbildungsplätze schaffenEtwa 20 Prozent der derzeitigen Fachar-beiter in der Transport- und Speditions-branche werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Bislang haben die Unternehmen in dieser Branche aber die Ausbildung neuer Fachkräfte

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vernachlässigt. „Aufgrund der demogra-fi schen Entwicklung fehlen immer mehr Fachkräfte. Dadurch wird die Ausbildung ein noch zentraleres Thema“, erklärt Pe-ter Müller, Ausbildungsbeauftragter bei der Roman Mayer GmbH, die Teil der mittelständischen Roman Mayer Logistik Group ist.

Das Unternehmen ging deswegen im Jahr 2008 einen außergewöhnlichen Weg, um in der Öffentlichkeit ein größe-res Bewusstsein für die Ausbildung zum Kraftfahrer zu schaffen. Im Rahmen des Förderprogramms „Jobstarter – Für die Zukunft ausbilden“ des Bundesministe-riums für Bildung und Forschung sowie des Europäischen Sozialfonds startete die Roman Mayer GmbH zusammen mit der RBA Regionalbus Augsburg GmbH das Projekt „Kraffi ttis“ (Kraftverkehrfi t-ness in Schwaben). Die Projektleiter aus den beiden Unternehmen gingen zusam-men in Betriebe aus der Region Schwa-ben, die bisher noch keine Lehrstellen für Kraftfahrer angeboten hatten. Dort warben sie für neue Ausbildungsplätze. „Wegen der demografi schen Situation müssen wir gemeinsam – auch in den konkurrierenden Unternehmen – dafür sorgen, dass mehr Schulabgänger eine Ausbildung in unserer Branche aufneh-men“, erklärt Müller, warum er sich für das unternehmensübergreifende Projekt engagiert. „Wir waren das erste Unter-nehmen aus der freien Wirtschaft, das sich an diesen Förderprogrammen betei-ligt hat.“ Bisher waren daran ausschließ-lich Bildungsträger beteiligt.

Im persönlichen Gespräch versuchten sie die Firmen davon zu überzeugen, weitere Lehrstellen zu schaffen. Das häu-fi gste Gegenargument: Die hohen Kos-ten. Eine Ausbildungsstelle kostet bis zu 80.000 Euro pro Azubi. Außerdem man-gelt es vielen Unternehmen an Personal und Zeit für die Ausbildung. Trotzdem konnte „Kraffi ttis“ innerhalb von zwei Jahren 45 Stellen in Schwaben akquirie-ren. „Damit haben wir unser Ziel sogar übertroffen“, so Peter Müller. „Die Lehr-stellenlücke werden wir dadurch zwar

noch nicht schließen können. Aber es lohnt sich, denn die Situation wird lang-fristig nicht besser werden.“

Trotz des Erfolgs mussten die beiden Unternehmen das Projekt im Februar auslaufen lassen. Der bürokratische Auf-wand, um die Fördermittel zu erhalten, war zu hoch. „Wir mussten alle Stunden, die wir für das Projekt aufgewandt ha-ben, dokumentieren und Beleghefte so-wie Fahrtenbücher führen“, sagt Müller.

Doch das Unternehmen wirbt weiter um neue Auszubildende – „jetzt eben nur noch in unserem eigenen Interes-se“, erklärt der Ausbildungsbeauftragte. Er gehe nun verstärkt in die Schulen, um die potenziellen Azubis direkt über den Ausbildungsweg und den Beruf als Kraftfahrer zu informieren.

Deerberg Versand GmbH: Mehr Eigenverantwortung bietenDas Versandunternehmen Deerberg mit Sitz in Hanstedt in der Lüneburger Heide wirbt um Azubis mit dem Angebot, dass sie viel Eigenverantwortung in der täg-lichen Arbeit bekommen. Mit insgesamt elf Auszubildenden in fünf verschiedenen Berufen liegt die Ausbildungsquote un-ter den Festangestellten bei 40 Prozent. Für die Bürokaufl eute und Kaufl eute im Einzelhandel hat das Unternehmen ein Geschäft, das „Lindgrenhus“, gegründet, das drei Azubis in einem eigens gebauten Gebäude leiten. Dafür hat Deerberg mit Wohnaccessoires ein Teilsortiment neu aufgenommen, das ausschließlich über den Laden und das zugehörige Internet-Portal vertrieben wird.

Die Idee, eine Filiale von Azubis leiten zu lassen, ist nicht neu. Viele Einzel-händler bieten ihren Azubis diese ei-genverantwortliche Aufgabe als Teil der Ausbildung an – dann aber meist nur für

einen kurzen Zeitraum. Bei Deerberg lei-ten die Azubis ein ganzes Geschäft mit eigenem Sortiment für sechs bis zwölf Monate. Sie haben dafür eine Mitarbei-terin im Verkauf eingestellt, führen mit ihr Mitarbeitergespräche und Gehalts-verhandlungen. Zudem vergeben sie an die anderen Azubis interne Aufträge.

„Im Moment fi nanziert sich der Laden noch nicht eigenständig“, erklärt Antina Wolff, Generalmanager bei der Deerberg

Versand GmbH. Doch der Aufwand lohnt sich für die Azubis, die so von Anfang an lernen, eigenständig zu arbeiten. Sie werden gecoacht und können sich bei Problemen an die Ausbilder wenden.

Darüber hinaus hat Deerberg für dieses Projekt in die Ausbildungsverordnung eingegriffen und eine Sondergenehmi-gung von der Industrie- und Handelskam-mer (IHK) erhalten. Die Auszubildenden müssen kein Berichtsheft führen, wie es sonst Vorschrift ist. Stattdessen schrei-ben sie ein „Ausbildungstagebuch“: Da-rin tragen sie ein, welche Tätigkeiten sie insbesondere in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen in dieser Zeit neu erlernt und umgesetzt haben. Sie be-schreiben, was genau sie dabei gemacht haben, beispielsweise wie sie Azubis anderer Abteilungen für einen internen Auftrag gebrieft haben, und erläutern, wo genau sich ihre Arbeit überschneidet. Auf diese Weise erstellen sie ein Nach-schlagewerk, das sie nutzen können, um sich auf ihre IHK-Prüfung vorzubereiten. Zusätzlich füllen sie einmal im Monat ei-nen klassischen Monatsbericht aus, wie er für die Ausbildungsnachweise üblich ist. „Selbst für die Azubis, die außerhalb des Gebiets der für uns zuständigen IHK ihre Ausbildung absolvieren, haben wir die Ausnahmegenehmigung erhalten“, erklärt Antina Wolff.

„Es fehlen immer mehr Fachkräfte. Dadurch wird die Ausbildung ein noch zentraleres Thema.“Peter Müller, Ausbildungsbeauftragter bei der Roman Mayer GmbH

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Was Azubis wollenSTUDIE. Worauf Schüler bei der Wahl eines Aus-bildungsbetriebs Wert legen und wie sie sich informieren, das war das Thema einer Diplomarbeit.

Wie können Unternehmen potenzielle Azubis auf sich aufmerksam machen? Die Antwort: Indem sie zu-

nächst in Erfahrung bringen, welche An-forderungen junge Menschen an einen Arbeitgeber stellen und welche Wege sie nutzen, um sich über einen Arbeitgeber zu informieren. Und genau diese Frage-stellungen standen im Fokus der Diplom-arbeit von Nadja Kölbl an der Universität Hohenheim, unterstützt durch das Aus-bildungsportal azubister.net. Sie hatte 525 Schüler zu ihren Anforderungen an einen Arbeitgeber befragt.

Schüler wollen akzeptiert werdenVor allem die Faktoren „Akzeptanz und Wertschätzung“, „Sicherheit“ und das „Arbeitsklima eines Unternehmens“ sind den Schülern bei der Wahl eines Ausbil-dungsbetriebs besonders wichtig, ergab die Befragung. Auch weitere Aspekte wie ein „geregeltes Arbeitsleben“ sowie der „Berufseinstieg und Entwicklungschan-cen“ und die „Identifi kation mit dem Unternehmen“ haben für die befragten Schüler eine hohe Bedeutung. Auffällig hierbei ist, dass dies sowohl für Haupt- und Realschüler als auch für Gymnasi-asten gilt. In deren Aussagen fi nden sich nur marginale Unterschiede.

Weniger wichtig für die künftigen Azubis sind dagegen die Reputation und der Standort eines Unternehmens, des-sen Kreativität und Modernität. Auch die Entlohnung steht nur an siebter Stelle

der Einfl ussfaktoren für die Arbeitge-berwahl. Studienautorin Nadja Kölbl rät daher den Arbeitgebern, insbesondere Aspekte wie eine sichere Übernahme, zum Beispiel Übernahmezahlen der vergangenen Jahre, aber auch Aussagen der Mitarbeiter über das Arbeitsklima im Unternehmen und Berichte über Programme zur Weiterentwicklung und die Aufstiegsmöglichkeiten nach Ausbil-dungsabschluss gezielt an die Schüler zu kommunizieren. „Wichtig ist, dass die Aussagen authentisch sind und das Beschriebene im Unternehmen auch ge-lebt wird“, ergänzt sie.

95 Prozent gehen ins NetzBleibt die Frage, auf welchem Weg diese Informationen am besten kommuniziert werden. Wo informieren sich die Schüler in erster Linie über einen Arbeitgeber? Hierfür liefert die Studie eine eindeutige Antwort: Das Internet steht an erster Stelle, gefolgt von den Freunden und der Familie. Weiterhin holen die Schü-ler Informationen zur Berufswahl beim Berufsinformationszentrum (BIZ) der Arbeitsagenturen, bei Lehrern, bei Aus-bildungsmessen und in der Presse ein (siehe Grafi k). „Insgesamt nutzen über 95 Prozent der befragten Schüler das Internet zur Information über einen Ar-beitgeber und nur knapp fünf Prozent nicht“, berichtet Nadja Kölbl. „Der Kom-munikationsweg über das Internet ist al-so besonders geeignet, um eine Vielzahl von Schülern über ein Unternehmen und seine Ausbildungsmöglichkeiten zu in-formieren“, folgert sie.

Dies beschränke sich nicht nur auf gezielte Informationen über die angebo-tenen Ausbildungen, die Bewerbungs-fristen und -abläufe auf der Webseite des Unternehmens, so die Studienautorin. Gerade wer jetzt Web-2.0-Instrumente einsetze, beispielsweise Azubi-Foren, Chats mit Unternehmensvertretern oder Podcasts, könne sich als Arbeitgeber von anderen Unternehmen gut abheben. Zudem könnten sich Unternehmen in sozialen Netzwerken darstellen und den direkten Kontakt zu potenziellen Azubis herstellen. Nadja Kölbl: „Das Austau-schen von Meinungen und Informatio-nen im Netz bietet somit neue Chancen für Unternehmen, mit den Jugendlichen in Kontakt zu treten.“

Die Familie mit einbeziehenEin weiteres Fazit der Studie: Da Schüler ihr soziales Umfeld, das heißt Familie und Freunde, stark in die Informations-suche einbeziehen, müssen auch diese im Azubi-Marketing und der Kommuni-kation berücksichtigt werden. Für diese Zielgruppe sind vor allem Botschaften wie die Ausbildungsqualität und -si-cherheit in einem Unternehmen ent-scheidend. Zudem bietet es sich an, die Familien zu speziellen Veranstaltungen wie Azubi-Tagen mit einzuladen.

Von Daniela Furkel (Red.)

Info-Quellen

Schüler binden ihr soziales Umfeld stark in die Informationssuche rund um das Thema „Ausbildung“ ein.

Quelle: Nadja Kölbl, 2009

Internet

Freunde und Familie

84 %

72 %

BIZ

Lehrer und Schule

62 %

56 %

Ausbildungsmessen

Zeitung / Zeitschriften

54 %

46 %

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Wichtige Botschaft an die ElternPRAXIS. Wenn sie Azubis suchen, vergessen Firmen oft die Sekundärzielgruppe der Eltern und Lehrer. Doch diese entscheidet meist über die Berufswahl.

Das ist auch die Erkenntnis von An-dreas Thierig, der unterstützt vom baye-rischen Kultusministerium Konzepte für ein besseres Ausbildungsmarketing er-arbeitet, unter anderem das „BauCamp“ für den Bayerischen Bauindustriever-band. „Der grundlegende Fehler der meisten Maßnahmen ist, dass gegenüber einem sehr langfristigen, einem extrem trägen und mit einem extrem guten Lang-zeitgedächtnis ausgestattetem Markt kurzfristig, schnell und unzuverlässig gehandelt wird. Der Ausbildungsmarkt funktioniert allerhöchstens regional, normalerweise aber lokal“, so Thierig.

Die Fehler beim Azubi-MarketingTypische Mängel sind seiner Erfahrung nach zu kurzfristige Maßnahmen und

eine reine Informationsschlacht mit aus-ufernden Worten oder viel gedrucktem Papier. Selbst Videos bringen selten die erhoffte Aufmerksamkeit. „Berufsinfor-mationen, egal in welcher Form, sind für die Zielgruppe meist langweilig. Zu viele fachliche Details, wo es eigentlich darum ginge, Faszination oder Begeisterung zu wecken“, erklärt er und zitiert ein Bonmot von Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaf-fen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben

zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.“

Vertrauen als Arbeitgeber gewinnenWeitere Fehler in klassischen Azubi-Marketingkampagnen sind, dass diese keine Verbindung zu den lokalen Ausbil-dungsbetrieben knüpfen. Zum Beispiel, wenn ein Verband an der Schule nur über den Beruf informiert, aber keine Prakti-ka oder Schnuppertage beim Bäcker oder Metallunternehmen vor Ort anbietet. Und letztlich führen laut Thierig auch Aus-bildungsplatzbörsen im Internet nicht dazu, dass sich mehr Schüler für einen bestimmten Beruf interessieren. Sein Fa-zit: „Vor allem für die Ausbildungsberufe, die außerhalb der Wahrnehmung durch Jugendliche und Multiplikatoren stehen, sind solche Stellenmärkte wirkungslos. Außerdem vermeiden Multiplikatoren meist die Arbeit mit Ausbildungsplatz-börsen, weil diese zu zahlhreich, zu unü-bersichtlich und zu unverbindlich sind.“

Mit dem Begriff „Multiplikatoren“ meint er die Zielgruppe der Eltern, Leh-rer und sonstigen Personen, die beim Übergang von Schule zu Beruf helfen. Nach seiner Erfahrung sind es vor allem diese Personen, deren Vertrauen es zu gewinnen gilt. „Ist ein Unternehmen in den Augen der Erwachsenen glaubwür-dig und verlässlich, dann empfehlen sie dieses Unternehmen an die Jugend-lichen“, so Thierig. Deshalb rät er zu Un-ternehmensevents, mit denen sowohl die Begeisterung der Jugendlichen (im Sinne von Saint-Exupéry) als auch das Informa-tionsbedürfnis der Erwachsenen geweckt

Von Daniela Furkel (Red.)

Der Rat und die Meinung von Freunden und Familie sind für Jugendliche das wichtigste Ent-scheidungskriterium bei der

Wahl einer Ausbildung. Das zeigt eine Repräsentativumfrage der Bertelsmann-Stiftung, die zwar aus dem Jahr 2005 ist, aber deren Aussagekraft auch aktuell nicht anzuzweifeln ist: Die Berufswahl ist laut der Studie einer der wenigen Be-reiche, in dem Jugendliche ihre Eltern noch um Rat fragen und in dem sie ihnen noch Kompetenz einräumen.

Informationsquellen, die keinen so na-hen persönlichen und keinen so individu-ellen Kontakt ermöglichen, sind weniger beeinfl ussend. So sind Berater der Agen-

tur für Arbeit (39 Prozent) und Mitarbei-ter von Unternehmen, die in die Schule kommen (31 Prozent) deutlich weniger wichtig. Freunde (27 Prozent) und Lehrer (29 Prozent) fallen ins hintere Feld, wobei die Meinungen der Lehrer als erwachsene Ratgeber noch wichtiger genommen wer-den als die der Freunde. So gut wie keinen Einfl uss weist die Studie Werbespots und Werbeplakaten zu: „Sie machen vielleicht aufmerksam, aber als wichtige Einfl uss-größe auf die eigene Berufsentscheidung werden sie nicht gesehen.“

Die Berufswahl ist einer der wenigen Bereiche, in dem Jugendliche ihre Eltern noch um Rat fragen und in dem sie ihnen noch Kompetenz einräumen.

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werden, die einen direkten Kontakt zum Ausbildungsbetrieb ermöglichen und die langfristig wirken. Sein Fazit: „Das Er-folgsgeheimnis solcher Events ist deren Authentizität und die lockere Aktivie-rung der Gäste. Unterm Strich gewinnt das Unternehmen damit mehr Ansehen und Vertrauen und es gewinnt auf allen Ebenen neue Mitarbeiter.“

Vor Ort Begeisterung weckenAndreas Thierig realisierte 2009 ein Konzept namens „Anbaggern“, bei dem sich ein Bauunternehmen in Sonthofen Jugendlichen und Erwachsenen präsen-

tierte. In Technikparcours konnten die Besucher die Faszination der Bautechnik selbst erleben. So wurde ein positives Bild des Unternehmens vermittelt – und zwar an rund 1.000 Besucher. Als Ergeb-nis entstanden neue Multiplikatoren-kontakte, die für stete Nachfrage nach den Ausbildungsberufen sorgen. Kon-kret wurden im Direktkontakt Ferien-jobs und Praktikumsplätze vergeben.

Ein weiteres Beispiel, das sich gezielt an Multiplikatoren wendet, trägt den Namen „BauDynamik“. Hierbei geht es darum, Lehrern, Schulsoziologen und ehrenamtlichen Mitarbeitern verschie-

dener Initiativen vor Ort erlebbare Infor-mationen über die Branche und Ein- und Aufstiegsmöglichkeiten zu vermitteln. Offenbar mit Erfolg. „Im vergangenen Jahr hatten sich 70 Teilnehmer angemel-det. Anschließend haben sich 40 Jugend-liche auf deren Empfehlungen hin für das ‚BauCamp 2010‘ beworben“, so Thierig. Die Beispiele zeigen, dass Unternehmen je nach Größe entweder allein oder im Verbund viele Möglichkeiten haben, Be-geisterung bei Jugendlichen zu wecken und vor allem die Sekundärzielgruppe Erwachsene anzusprechen. Und dass sie damit auch das Interesse für weniger attraktive Ausbildungsbranchen wecken können.

Recruiting im Schnellrestaurant Wie wichtig die Sekundärzielgruppe ist, hat auch das Systemgastronomie-Unter-nehmen McDonald’s erkannt. In seinem aktuellen TV-Spot der Mitarbeiter-Kam-pagne 2010 spricht das Unternehmen gleich im Einstieg die Sekundärziel-gruppe Eltern an: „Meine Mutter war total geschockt. Eine Ausbildung bei McDonald’s. Pommes schütteln. Aber jetzt ist sie richtig stolz auf mich“, be-richtet eine Auszubildende.

Das Unternehmen hat sich den Wer-bespot, in dem reale Mitarbeiter über ihre Tätigkeit berichten, einiges kosten lassen. Ein kleineres Unternehmen hat dafür sicherlich kein Budget. Aber für das Unternehmen McDonald‘s, das im laufenden Jahr 1.000 Ausbildungsplät-ze zu besetzen hat und insgesamt 2.208 Azubis zählt, ist es nicht einfach, genü-gend gute Kandidaten zu fi nden. „Der Wettbewerb um die besten Bewerber ist groß und wir müssen mit vielen anderen Arbeitgebern konkurrieren“, sagt Perso-nalvorstand Wolfgang Goebel. Außerdem sei es schwer, ausreichend qualifi zierte Nachwuchskräfte zu gewinnen. Viele Bewerber hätten einfach noch nicht die erforderlichen Qualifi kationen, um er-folgreich in den kaufmännischen Beruf Fachmann/Fachfrau für Systemgastro-nomie zu starten, erklärt er.

McDonald‘s spricht in seiner aktuellen Mitarbeiterkampagne gezielt die Zielgruppe „Eltern“ an.

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Aber das Unternehmen hat auch einen Vorteil: Jeder kennt es und seine Pro-duktpalette. Das kann es für die Azubi-Rekrutierung gut nutzen. „Wir setzen vor allem auf das Recruiting vor Ort in einem der 1.361 Restaurants in Deutsch-land oder durch lokale Stellenanzeigen“, sagt Wolfgang Goebel. „Außerdem haben wir unser Ausbildungsangebot deutlich ausgeweitet und fi t für die Zukunft ge-macht“, ergänzt er. So gibt es neben der kaufmännischen Ausbil-dung seit Anfang 2010 eine Ausbildung als Fachkraft im Gastgewerbe in der System-gastronomie für Hauptschul-abgänger sowie für junge Menschen mit Hochschulrei-fe ein duales Studium an der Berufsakademie.

Infos für Schüler und Eltern Für das Azubi-Marketing setzt McDonald’s auf ein ganzes Bündel an Maßnah-men, um Eltern und Lehrer besser über die Einstiegs- und Karrieremöglichkeiten zu informieren. „Das sind Informationsmaterialien im Restaurant oder Publikati-onen wie ein Beihefter in der ‚Bravo‘, aber auch gesonderte Veranstaltungen“, erklärt der Personal-vorstand. „Bei Ausbildungsmessen, an denen wir regelmäßig teilnehmen, kom-men wir nicht nur mit Schülern, sondern auch mit interessierten Eltern in Kon-takt“, berichtet er.

Darüber hinaus nimmt das Unterneh-men an Informationsveranstaltungen für Berufsanfänger, zum Beispiel bei den IHK oder den Arbeitsagenturen teil. Lehrkräfte können über das Netzwerk „Schule-Wirtschaft“ mit dem Unterneh-men in Kontakt treten und werden als Sekundärzielgruppe über die „Bravo-Job-Attacke“ angesprochen, die mit Stars wie der Band Monrose und DSDS-Gewinner Daniel Schumacher auf Tour geht und Schulen besucht.

Da Eltern und Lehrer das Beste für ih-re Schützlinge wollen, sind die Kernbot-schaften an die Sekundärzielgruppe laut Wolfgang Goebel die gleichen wie an die Jugendlichen selbst. Und diese lauten: „Bei McDonald’s warten nicht nur eine solide Ausbildung und sichere Arbeitsplätze, sondern auch ein abwechslungsreicher, anspruchsvoller Beruf mit hervorra-genden Gestaltungs- und Aufstiegsmög-lichkeiten für die persönliche Zukunft.

Dabei sollte jedoch nicht vergessen wer-den, dass der Weg dorthin über die Aus-bildung bei McDonald’s anspruchsvoll ist und auch stressig sein kann.“

Ansätze mit Optimierungsbedarf Auch in anderen Branchen gibt es einige Ansätze, um Schüler und Eltern/Lehrer gleichzeitig für einen Ausbildungsberuf zu begeistern. So veranstalten die baye-rischen Metall- und Elektro-Arbeitgeber in sieben bayerischen Städten eine soge-nannte „Fingerboard Challenge“, zu der beide Zielgruppen gleichzeitig eingeladen sind. Doch noch ist die Ansprache beider Zielgruppen nicht optimal. So werden die Einladungen zu diesem Geschicklich-keits-Wettbewerb gezielt für Jugendliche

getextet. Und ob diese ihre Eltern mitbrin-gen, wenn sie mit ihren Freunden zum Wettbewerb antreten, erscheint eher frag-lich. Mit dem BayME Info-Truck, der die Schulen anfährt, werden immerhin auch die Lehrer in die Berufsinformation inte-griert. Doch fehlt hier die Integration lo-kaler Ausbildungsunternehmen in dieses Konzept. Auch die Nachwuchskampagne „Macher gesucht!“ des Bayerischen Hand-werkstags, für die insgesamt zehn Schul-

preise ausgelobt sind, bindet über diesen Weg die Lehrer als Meinungsbildner mit ein. Aber auch bei dieser Kampa-gne konzentriert sich die An-sprache auf die Jugendlichen. Die Eltern bleiben mehr oder weniger außen vor.

Mehr MultiplikatorenarbeitLaut Personalmarketing-Ex-perte Andreas Thierig werde auf diese Weise noch zu we-nig Nutzen gestiftet. Aber er glaubt, dass sich diese zu ein-seitige Kommunikation von Firmen und Verbänden bald ändern wird. „Medienunter-nehmen, Werbeagenturen, immer mehr Verbände und zunehmend auch die Unter-nehmen selbst werden fest-

stellen, dass Multiplikatorenarbeit die ökonomischste und wirksamste Methode ist, um nachhaltig geeignete Bewerber zu gewinnen“, sagt er.

Übrigens: Aus einem weiteren Grund tun die Unternehmen gut daran, sich intensiver mit der Sekundärzielgruppe auseinanderzusetzen. Laut der Studie der Bertelsmann-Stiftung sind diejeni-gen Jugendlichen, die stärker in die Fa-milie eingebettet sind und ihren Eltern mehr vertrauen, auch diejenigen, die motivierter sind, mehr Aktivität und Interesse zeigen. Wer also gezielt die Eltern im Azubi-Marketing für sich ge-winnt, erreicht auf diesem Weg Jugend-liche, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch berufl ich vorankommen wollen.

Ein schönes Beispiel für Multiplikatorenarbeit: Lehrer lernen Baggerfahren.

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