die psyche stärken - topeins.dguv.de · kopfsache bei einer positiv erlebten unter- nehmenskultur...
TRANSCRIPT
Die Psyche stärken
Wie Betriebe psychischen
Belastungen am Arbeitsplatz
vorbeugen und ein gutes Umfeld
kultivieren können.
Das Magazin für Führungskräfte Ausgabe 1/2018
VERKEHRSSICHERHEIT
So können Risiken auf dem Weg zur Arbeit reduziert werden 11
KOMMMITMENSCH
Warum Führungskräfte gute Vorbilder sein müssen 18
ARBEITSSCHUTZ
Dokumentation macht Arbeits - schutz transparent 8
L E X I KO N
Seite 9
R ECH T L I CH E U P DAT ES
Seite 10
W I E D E R L AU F E N L E R N E N
I M R O B OT E R A N ZU G
Seite 14
B U N D ESW E I T E
F Ö R D E R U N G F Ü R
B E T R I E B L I CH E I N K LU SI O N
Seite 16
E M P F O H L E N ZU M . . .
Seite 20
I M B L I CK
Seite 21
AU F D E N P U N K T
G E B R ACH T
Seite 22
M A H L Z E I T!
H AU SM E I ST E R I N CO N N Y
KO M M E N T I E RT
Seite 2 3
G E F Ä H R D U N G S - B E U R T E I L U N G
Ergebnis, Nachweis,
Maßnahme: wie eine gute
Dokumentation gelingt
8
INH A LT
– machen Sie Sicherheit und Gesundheit zu Ihrem Tagesordnungspunkt Nummer eins.
Schon mal in Eile gewesen und auf einer
Treppe gestolpert? Dann haben Sie bereits
am eigenen Leib erfahren, welch handfeste
Konsequenzen psychische Belastungen –
hier Zeitdruck – haben können. Sie selbst
mögen das Ereignis als „menschliches
Versagen“ angesehen oder schlicht als
„eigene Tolpatschigkeit“ verniedlicht haben.
Aus Sicht von Sicherheit und Gesundheit bei
der Arbeit lohnt es sich aber, die Ursachen
für solche Missgeschicke zu hinterfragen.
Vielleicht war tatsächlich nur eine Stufe
defekt und das Thema ist damit erledigt.
Vielleicht zeigt eine Analyse aber auch, dass
Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen es
permanent mit einer hohen Arbeitsintensität
zu tun haben. Dass Multitasking, mangelnde
Pausen und lange Arbeitszeiten das Risiko
für Unfälle und Erkrankungen steigen lassen,
ist wissenschaftlich belegt. Hinzu kommen
die Belastungen in der Freizeit wie stunden-
langes Surfen im Internet oder Fernsehen
und der daraus resultierende Schlafmangel.
Gerade vor diesem Hintergrund sollte die Ge-
fährdungsbeurteilung psychischer Belastun-
gen ganz oben auf der Tagesordnung in Ihrem
Unternehmen stehen. Der Aufwand lohnt
sich. Wer psychische Belastungen im Job
systematisch angeht, darf mit zufriedeneren
und gesünderen Beschäftigten rechnen.
Welche Hilfen Unfallkassen und Betriebs-
genossenschaften Führungskräften zur
Verfügung stellen, lesen Sie in unserer
-Titelgeschichte ab Seite 4.
4
V E R K E H R S - S I C H E R H E I T
Sicher zur Arbeit – sicher
nach Hause – Wege-
unfälle vermeiden
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I M P R E S S U M, 1. Jahrgang, Bezugsentgelt der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten // Herausgeber: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V.
(DGUV), Glinkastraße 40, 10117 Berlin, Tel. +49 30 288763-800, www.dguv.de // Leserservice: topeins.dguv.de, E-Mail-Adresse: redaktion@topeins.
dguv.de // Verlag: CW Haarfeld GmbH, Robert-Bosch-Str. 6, 50354 Hürth, www.cwh.de // Chefredaktion: Stefan Boltz (verantwortlich), Kathrin
Baltscheit (Stellvertretung), DGUV // Redaktion: Kai Stiehl (Redaktionsleiter), Markus Fischer, Monika Geisler, Lena Markmann, Manuela Müller //
Druck: Print- und Medienproduktion Hamburg GmbH, Moorfleeter Deich 312 a, 22113 Hamburg // Grafisches Konzept: CW Haarfeld GmbH // Titel-
bild dieser Ausgabe: Thinkstock/Orla // Stand dieser Ausgabe: 17.01.2017 // Die nächste Ausgabe erscheint am 06.04.2018
Q ualitätsmanagement-
systeme schon jetzt
auf die neue ISO-
Norm 9001:2015 umzu stellen
lohnt sich. Mitte September
2018 endet die dreijährige
Übergangsfrist zur Umstellung auf die neue
ISO-Norm. Unternehmen, die ihr Qualitäts-
managementsystem (QM) bis zum 14.09.2018
nicht an die geänderte Norm angepasst haben,
verlieren ihr Zertifikat. Auch eine während der
Übergangszeit erfolgte Rezertifizierung nach
der vorherigen Version verliert dann ihre Gül-
tigkeit. Zu den wesentlichen Änderungen der
Norm zählt die gestärkte Verantwortung der
Führungskräfte für die QM-Prozesse. Zudem
muss das QM in die strategische Ausrichtung
des Unternehmens eingebunden sein. Beson-
derer Vorteil: Die neue Norm bietet Unterneh-
men an vielen Stellen mehr Flexibilität bei
der Umsetzung des QM-Systems als bisher.
Führungskräfte beziehungsweise QM-Verant-
wortliche sollten daher die Chance nutzen, ihr
Qualitätsmanagement schon vor Ablauf der
Übergangsfrist anzupassen.
dguv.de > Webcode d8098
W arum tödliche Arbeitsunfälle wieder
zunehmen. Die Zahl der tödlichen
Arbeitsunfälle ist im ersten Halbjahr
2017 erstmals wieder gestiegen. Das geht aus
den vorläufigen Zahlen der Deutschen Gesetz-
lichen Unfallversicherung (DGUV) in Berlin
hervor. Danach verloren in den ersten sechs
Monaten des vergangenen Jahres 223 Men-
schen durch einen Arbeitsunfall das Leben.
Im ersten Halbjahr 2016 waren es 198. Die Zahl
der meldepflichtigen Arbeitsunfälle ging im
Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2016 dagegen
um 1.566 auf 433.037 Unfälle leicht zurück. Der
Grund für die Trendumkehr bei den tödlichen
Arbeitsunfällen lässt sich laut DGUV keinem
klaren Schwerpunkt zuordnen. Um die Arbeits-
sicherheit und Unfallprävention weiter zu ver-
bessern und das Ziel einer Welt ohne schwere
oder tödliche Arbeitsunfälle zu erreichen,
müsse daher die Kultur der Prävention in den
Fokus rücken. Mit der neuen DGUV-Kampagne
kommmitmensch sollen so Sicherheit und Ge-
sundheit zu übergeordneten
Werten und zum Gegenstand
allen wirtschaftlichen und
privaten Handelns etabliert
werden.
kommmitmensch.de
Bloße Gesundheitsgefährdung ist für die Mitbestimmung des
Betriebsrats ausreichend. Durch ein Grundsatzurteil des Bun-
desarbeitsgerichts (BAG) wurden die vorübergehend durch ein
anderes BAG-Urteil beschränkten Rechte des Betriebsrats beim Ge-
sundheitsschutz deutlich gestärkt. Seit Vorliegen des aktuellen Urteils
(Aktenzeichen 1 ABR 25/15) ist es nicht mehr erforderlich, eine konkrete
Gesundheitsgefahr im Betrieb nachzuweisen, um tätig zu werden. Die
bloße Gefährdung reicht nunmehr aus. Für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ist das durchaus
vorteilhaft: Für die Stärkung der Präventionskultur im Unternehmen ist die Beteiligung der Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter förderlich.
bundesarbeitsgericht.de > 1 ABR 25/15
31/2018
Psyche
T I T E LT H E M A
4 1/2018
Es geht den einzelnen Beschäftigten nicht anders als dem Unternehmen: Der Alltag ist ein
Ringen um die Balance zwischen Stressoren und Ressourcen. Eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz kann diese Balance systematisch und schrittweise
herstellen. Für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen ist sie Pflicht, für Führungskräfte
eine besondere Herausforderung – aber eine, die sich auszahlt.
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Die
KopfsacheBei einer positiv
erlebten Unter-
nehmenskultur fehlte
nur jeder Sechste im
Betrieb.
ten und deren Wirksamkeit zu prüfen. Der Tatsache,
dass psychische Belastungen – gern fälschlich als
Stress bezeichnet – dazugehören, wurde mit der
Novellierung des Gesetzes vor vier Jahren Nachdruck
verliehen. Trotzdem kann nicht einmal die Hälfte der
deutschen Betriebe laut Betriebsbefragung 2015 der
Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie eine
Gefährdungsbeurteilung vorweisen. Und noch weniger
haben dabei die psychischen Faktoren berücksichtigt.
ZWEITES MISSVERSTÄNDNIS:Es geht um die Prävention von psychischen ErkrankungenStress = Burnout. Auf diese einfache Formel wurde
das Thema psychische Belastungen in den vergan‑
genen Jahren oft verengt. Es stimmt zwar, dass es
Arbeitsbedingungen gibt, die psychische Störungen
hervorrufen können. Aber nicht jede psychische
Erkrankung hat deswegen ihre Ursache am Arbeits‑
platz. Umgekehrt können psychische Belastungen sich
auch auf andere Weise äußern als durch Depressionen
oder Suchterkrankungen. Rückenschmerzen oder
Verdauungsbeschwerden sind klassische Beispiele
für psychosomatische Erkrankungen, deren Ursache
chronischer Stress sein kann. Erkrankt ein Mitarbeiter
an einer Angststörung, sagt das also nicht unbedingt
etwas über Stress bei der Arbeit aus. Umgekehrt ist es
für die Führungskraft kein Anlass zur Zufriedenheit,
wenn die Belegschaft zwar frei von Depressionen ist,
die Arbeitsunfähigkeitstage wegen Rückenschmerzen
aber durch die Decke gehen.
DRITTES MISSVERSTÄNDNIS:Stress kann man nicht messen„Ein Stresspegel‑Messgerät wäre was Schönes, aber
anders als bei Lärm oder Gefahrstoffen gibt es für
psychische Belastungen kein so einfaches Messgerät“,
sagt Professor Dirk Windemuth vom Institut für Arbeit
und Gesundheit der DGUV. „Das heißt aber nicht, dass
man Stress nicht messen kann.“ Mitarbeiterbefragun-
gen, strukturierte Gespräche und Organisationsanaly-
sen seien wissenschaftlich gesicherte Instrumente, um
Risiken auf die Spur zu kommen – und sollten daher
Bestandteil einer GBU Psyche sein. „Mitunter fördern
solche Untersuchungen nicht nur Stressoren zu Tage,
sondern auch ineffiziente Prozesse und unnötige >
5
BestandsaufnahmeGefühlt hat die psychische Belastung in den letzten
Jahren zugenommen: So gab beim Fehlzeitenreport
2016 des wissenschaftlichen Instituts der AOK jede
vierte der befragten Personen an, dass sie ihre Unter-
nehmenskultur als schlecht bewerte und mit der ei-
genen Gesundheit unzufrieden sei. Bei einer schlecht
bewerteten Unternehmenskultur fehlte 2016 nahezu
jeder Dritte mehr als zwei Wochen im Betrieb. Studien
wie die „Wissenschaftliche Standortbestimmung“ der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
(BAuA) stellen zudem Zusammenhänge her zwischen
belastenden Arbeitsbedingungen und Muskel-Skelett-
oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie geminderter
Leistungsfähigkeit. Handlungsdruck besteht also.
Doch wo ansetzen und wie?
Psychischen Belastungen auf der SpurEin Instrument, das sich für die Suche nach den Ur-
sachen anbietet, ist die Gefährdungsbeurteilung psy-
chischer Belastungen (GBU Psyche). Laut DIN EN ISO
10075-1 ist psychische Belastung „die Gesamtheit aller
erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Men-
schen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“.
Klar ist, wer arbeitet, hat zwei „Welten“, die Einfluss
auf die Psyche nehmen: die berufliche und die private.
Und in beiden Welten sind Ressourcen und Stressoren
zu finden. Für die Psyche ist wichtig, dass die Balance
stimmt. Nur dann ist eine Arbeitskraft voll einsatz-
fähig. Im Privatleben können Beschäftigte selbst für
die richtige Balance sorgen. Am Arbeitsplatz sind die
Führungskräfte gefordert.
Wer das Thema psychische Belastungen im Betrieb angeht, räumt am besten drei weit verbreitete Missverständnisse aus dem Weg:
ERSTES MISSVERSTÄNDNIS:Stress ist PrivatsacheBereits seit 1996 verlangt das Arbeitsschutzgesetz,
Gefährdungen von Beschäftigten systematisch zu
ermitteln, zu bewerten, Schutzmaßnahmen einzulei-
stärken
1/2018
Mehr Informationen
Handlungshilfen und „Stimmen
aus der Praxis“ des Arbeitspro‑
gramms Psyche:
gda-psyche.de > Handlungs-hilfen > Stimmen aus der Praxis
Informationen der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung
finden sich unter
dguv.de > Prävention > Themen A–Z > Psychische Belastung
Die Bundesanstalt für Arbeits‑
schutz und Arbeitsmedizin fasst
Studien und Reports unter dem
Schwerpunkt „Psychische Belas‑
tung“ auf der Website zusammen:
baua.de
Zur Rolle der Arbeitsbedingun‑
gen für die Gesundheit gibt es
verschiedene Informationen der
Initiative Gesundheit und Arbeit
(iga) unter:
iga-info.de
Bürokratie. Als Führungskraft erfährt man
so manchmal mehr über seinen Betrieb als
auf andere Weise“, so der Psychologe.
Ein Beispiel aus der PraxisAndreas Bosse hat mit der GBU Psyche
bereits Erfahrungen gesammelt. Der
geschäftsführende Gesellschafter der Ihr
Landbäcker GmbH und Geschäftsführer
der Stendaler Landbäckerei ist das Thema
nach Art eines Familienunternehmens
angegangen: „Ein Schritt nach dem
anderen. Wir haben nebenbei auch noch
ein bisschen Brot zu backen.“ Bosse hat
Erfahrungen und Ressourcen aus dem
Arbeitsschutz genutzt – und er hat sich bei
der Gefährdungsbeurteilung von seiner
Berufsgenossenschaft unterstützen lassen.
Um welche psychischen Belastungen es in
seinem Betrieb geht, hat er systematisch
analysiert: mit einer unternehmensweiten,
anonymen Mitarbeiterbefragung, einer von
Arbeitswissenschaftlern durchgeführten
Studie der anfallenden Belastungen sowie
einer Analyse der Krankenstandparameter
durch eine Krankenkasse.
Hinschauen und HandelnVor allem aber setzt Bosse auf den struk‑
turierten Austausch in seinen Teams: „Die
Vorgesetzten bemerken früh, dass jemand
seine Arbeit nur noch zu 20 oder 30 Pro‑
zent schafft. Jemand leidet – an was auch
immer – und die Leistung fällt ab. Das
schwächt das ganze Team, die anderen
müssen einspringen, die Stimmung kippt.
Das sind genug Anlässe zum Handeln.“
Das Management der Großbäckerei mit
600 Beschäftigten weiß, worauf es zu ach-
ten hat: In den Filialen steht der Kontakt
zum Kunden im Mittelpunkt des Handelns.
Das ist zugleich der größte Stressfaktor.
Bosse: „Immer freundlich und flexibel zu
sein gelingt nur, wenn es den Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern gut geht und sie
sich im Team und von der Führung gut
unterstützt fühlen.“ Dazu zählen regelmä-
ßige Schulungen und Befragungen sowie
Angebote des Betrieblichen Gesundheits-
managements – alles Aktivitäten, die in
die GBU Psyche einfließen.
Geringe FluktuationDie Vorgesetzten führen Teams aus 4 bis
20 Beschäftigten. Sie sind für den Umgang
mit psychischen Belastungen qualifiziert:
Konflikte oder organisatorische Probleme
werden offen angesprochen, Maßnahmen
direkt im Team diskutiert. Die Führungs-
kräfte haben ausreichend Handlungsspiel-
raum, Abläufe zu gestalten, Arbeitszeiten
und Urlaube im Team zu planen und
jemanden, der aus privaten Gründen
weniger arbeiten kann, zu entlasten. Diese
Art des Umgangs tut allen Beteiligten
gut – und fördert die Gesundheit. Für die
Landbäckerei zahlt sich das unter ande-
rem in einer geringen Fluktuation und
niedrigem Krankenstand aus.
„Urkunden für 35 oder 40 Jahre
Betriebszugehörigkeit schrei-
be ich fast jeden Monat“,
berichtet Bosse. Dabei ist
er sich bewusst, dass die
GBU Psyche ein Prozess
ist, den er mit seinem
Team ständig fortsetzt –
damit die Balance erhalten
bleibt.
AUTORIN: Miriam Becker
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Prozessschritte bei der
Gefährdungsbeurteilung
Schritt 1
Festlegen von Tätigkeiten/ Bereichen
Schritt 2
Ermittlung der psychischen
Belastung der Arbeit
Schritt 3
Beurteilung der psychischen
Belastung der Arbeit
Schritt 4
Entwicklung und Umsetzung von
Maßnahmen
Schritt 5
Wirksamkeits- kontrolle
Schritt 6
Aktualisierung/ Fortschreibung
Schritt 7
Dokumentation
T I T E LT H E M A
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Wer ist für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung zuständig?Die Verantwortung liegt beim Arbeit‑
gebenden, dem Unternehmer oder der
Unternehmerin. In den meisten Betrieben
bringen die Fachkraft für Arbeitssicher‑
heit, Betriebsärztlicher Dienst, Personal‑
und Betriebsräte, Personalabteilungen
und Verantwortliche für das Betriebliche
Gesundheitsmanagement den Prozess ins
Rollen – oft ein erweiterter Kreis des Ar‑
beitsschutzausschusses. Je nach Betriebs‑
größe sind das auch externe Kräfte.
Wie fängt man an?Den Anstoß muss die Leitung geben. Bei der
Gefährdungsbeurteilung Psyche einge‑
spielte Abläufe, Kommunikationswege und
Arbeitsgruppen zu nutzen, ist die halbe
Miete. Eine externe Beratung in Sachen
Arbeitspsychologie kann zu Beginn hilfreich
sein, um Begrifflichkeiten zu klären und
das passende Vorgehen festzulegen. Die
Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstra‑
tegie schlägt unterschiedliche Wege für
die Bestandsaufnahme vor: Mitarbeiter‑
befragung, moderierte Besprechung oder
Beobachtungsverfahren. Die oben genann‑
ten Akteurinnen und Akteure legen das
Verfahren für ihren Betrieb fest.
Wie kommt man zu Maßnahmen?Auch da gibt es mehrere Wege. Einige
lassen eine Gruppe Maßnahmen „vorden‑
ken“ und „absegnen“. Andere beziehen
Beschäftigte stark mit ein. Insbesondere
in kleinen Betrieben und Verwaltungen
empfiehlt es sich, direkt mit moderier‑
ten Besprechungsverfahren wie dem
DGUV Ideen‑Treffen zu beginnen.
Auch wenn Beteiligung zunächst
aufwendig erscheint, birgt sie große
Vorteile: Zum einen nutzt sie das
gesamte Wissen der Organisation, zum
anderen sorgt sie für Unterstützung bei
der Umsetzung. Einmal angestoßen, fügt
sich die Gefährdungsbeurteilung Psyche
als ständiger Verbesserungsprozess in die
bestehende Organisation ein.
Was sind Fallstricke?Zum einen die Begrifflichkeiten. Gefähr-
dungsbeurteilung Psyche ist wie eine
Blackbox, angefüllt mit Unsicherheit.
Diese Ängste werden durch Begriffe
abgebaut, die eher beschreiben, worum
es geht: um die gemeinsamen Aufgaben,
Teamarbeit, Ideen, aber auch Konflikte.
Ein anderer Fallstrick ist, die Erwartungen
der Beschäftigten nicht zu erfüllen, dass
mit ihren Antworten aus Befragungen oder
Ideen aus Workshops konstruktiv und fair
umgegangen wird. Also wenn Befragungs-
ergebnisse folgenlos bleiben, Maßnahmen
nicht umgesetzt werden und seitens der
Leitung kein echtes Interesse besteht.
Welche Rolle spielen die Führungskräfte?
Die entscheidende, denn die Führungskul-
tur hat einen extrem hohen Einfluss auf
die psychische Gesundheit von Beleg-
schaften. Eine Gefährdungsbeurteilung
Psyche macht aber niemand im Allein-
gang. Vielmehr geht es um einen Prozess,
der die gesamte Organisation betrifft. Für
betriebliche Vorgesetzte ist die Beurteilung
der psychischen Belastung eine Hemm-
schwelle. Auf der einen Seite verantworten
sie den Prozess in ihrem Bereich, auf der
anderen ist ihr Führungsstil selbst Gegen-
stand der Beurteilung. Deshalb werden
Ergebnisse von Befragungen und Work-
shops zuerst mit den Führungskräften
besprochen und dann mit den Teams. Hier
muss der Prozess sensibel und trotzdem
konsequent begleitet werden. Auch bei
der Umsetzung dürfen Vorgesetzte nicht
alleingelassen werden. Die Schulung von
Führungskräften, regelmäßiges Feedback
zu ihrem Verhalten, ausreichende Ressour-
cen – das sind Faktoren, um gute Führung
zu ermöglichen.
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Roland Portuné, Fragen an
Leiter des Sachgebietes „Psyche und Gesundheit in der
Arbeitswelt“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.
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D O K U M E N TAT I O N
Viele kleine und mittlere Unternehmen sowie öffentliche Einrichtungen sorgen für die
Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten. Wer Maßnahmen jedoch nicht doku-
mentiert, steht mit leeren Händen da, wenn eine Aufsichtsperson nach Dokumenten zur Gefährdungsbeurteilung fragt – sei es bei einem Beratungsgespräch oder nach einem
Unfall. Die Befreiung von der Dokumentationspflicht für Betriebe mit zehn oder weniger
Beschäftigten gilt schon lange nicht mehr.
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Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)Die ArbStättV soll die Sicherheit und den
Schutz der Gesundheit von Beschäftigten
an ihren Arbeitsplätzen gewährleisten. Sie
enthält konkrete Vorgaben, wie Arbeitsstät-
ten dazu eingerichtet und betrieben werden
müssen. Gesundheitsgefährdungen – auch
bei der Arbeit an Bildschirmgeräten – sind
abzustellen oder zu vermindern. Unterneh-
men beziehungsweise den sie vertreten-
den Führungskräften erlegt sie mehrere
Pflichten auf. Unter anderem müssen sie
mit einer Gefährdungsbeurteilung ermit-
teln und dokumentieren, ob das Personal
bei seiner Tätigkeit Unfallgefahren und
Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt ist
oder sein könnte. Bei der Beurteilung sollen
Präventionsexpertinnen und - experten
wie die Fachkraft für Arbeitssicherheit und
der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin
hinzugezogen werden. Vorgesetzte sind
zudem verpflichtet, Beschäftigte vor
Aufnahme oder Änderungen ihrer Tätigkeit
und anschließend regelmäßig, mindestens
einmal im Jahr, zu unterweisen und dies zu
dokumentieren.
Für die Sicherheit und Gesundheit am Arbeits‑
platz ist verantwortlich, wer ein Unternehmen
oder eine öffentliche Einrichtung führt oder aber
gegenüber anderen Beschäftigten weisungsbe-
fugt ist. Die Gefährdungsbeurteilung ist das Werkzeug,
um die Bedingungen des Arbeitsalltags zu erfassen,
die Dokumentation, um sie festzuhalten. So fordert es
das Arbeitsschutzgesetz § 6 (1). Die Sätze 3 und 4, die
sogenannte Kleinbetriebsklausel, gelten bereits seit
Oktober 2013 nicht mehr. Sie hatten die meisten Be-
triebe in Deutschland von der Dokumentationspflicht
freigestellt.
Transparenz und RechtssicherheitDie Dokumentation macht Arbeitsschutz transparent –
nach innen für die eigenen Beschäftigten, nach außen
für Behörden und Versicherer. Zugleich bietet sie
Rechtssicherheit. Wie ausführlich die Dokumentation
ausfällt, hängt von der Art des Betriebes und dem
Gefährdungspotenzial ab. Vorlagen und Handlungsan‑
leitungen der Berufsgenossenschaften und Unfallkas‑
sen sowie beratende Aufsichtspersonen helfen weiter.
Ebenso unterstützen freiberufliche oder überbetrieb‑
liche Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Betrieb‑
särztinnen und Betriebsärzte bei der Dokumentation
zur Gefährdungsbeurteilung.
Den Inhalt der Dokumentation zur Gefährdungsbeur‑
teilung umreißt das Arbeitsschutzgesetz: Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung Maßnahmen des Arbeitsschutzes Nachweis der Wirksamkeitskontrolle
Freie Wahl der FormDie Form der Dokumentation ist frei wählbar. Eine Rei‑
he von Unterlagen können einfließen: Berichte über
Begehungen und Messungen, Betriebsanweisungen,
Unterweisungsmaterialien und Prüfnachweise. Eine
allgemeine Aufbewahrungspflicht nach dem Arbeits‑
schutzgesetz gibt es nicht. Doch mit Blick auf Unfälle
oder Erkrankungen ist es sinnvoll, beweissichernde
Unterlagen aufzubewahren. Die Betriebssicherheits‑
verordnung macht genauere Vorgaben bei prüfpflich‑
tigen Arbeitsmitteln. Bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen
ist die Gefahrstoffverordnung zuständig.
AUTORIN: Miriam Becker
LEXIKON
9
Tipp
Weitere Informationen und Vorlagen für die Doku-
mentation bieten die zuständigen Berufsgenossen-
schaften beziehungsweise Unfallkassen an.
1/2018
Sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt, sind die hier vorge-
stellten Publikationen über die Datenbank der DGUV zu beziehen:
dguv.de/publikationen. Die Suche nach Stichwörtern oder Bestell-
nummern garantiert leichtes Auffinden.
N E U
Zum 01.01.2018 wurde das Mutterschutzgesetz (MuSchG) geändert. Die Verordnung zum Ar‑
beitsschutz für werdende Mütter ist künftig in
das MuSchG integriert, zudem gilt das Gesetz
für einen erweiterten Personenkreis.
gesetze-im-internet.de > MuSchG
Das „Budget für Arbeit“ tritt im Rahmen der
zweiten Stufe des Bundesteilhabegesetzes in
Kraft (siehe ausführlichen Bericht ab Seite 16).
Die DGUV Information 204‑006 ersetzt die
Information BGI/GUV‑I 503 2017. Die Anleitung zur Ersten Hilfe ist im November 2017 erschie‑
nen und seit Januar 2018 als DIN‑A5‑Broschüre
bestellbar. Sie wird mit jeweils einem Plakat
„Erste Hilfe“ geliefert (DGUV Information
204‑003).
Der DGUV Grundsatz 309‑013 zu den „Anforde-
rungen an Fachkundige für die Durchführung
der Gefährdungsbeurteilung“ ist seit Oktober
2017 verfügbar. Der Grundsatz regelt auch die
Anforderungen an die Fachkenntnisse für die
„Messung bei Vibrationsexposition nach § 5
der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzver-
ordnung“.
Die DGUV Information 213‑584 „Verfahren zur
Bestimmung von Kohlenstoffmonoxid“ ist im
Oktober 2017 erschienen. Sie listet zwei von
den Unfallversicherungsträgern anerkannte
Messverfahren.
Z U R Ü C K G E Z O G E N
Die DGUV Information 208‑025 „Damit Sie
nicht ins Stolpern kommen“ wird aufgrund
der veralteten Inhalte ersatzlos zurückgezogen.
Der Inhalt ist in aktualisierter Form Bestandteil
einiger Schriften des DGUV Vorschriften‑ und
Regelwerks.
Die DGUV Information 208‑013 „Merkblatt für
Seilleitern“ wird aufgrund veralteter Inhalte
vollständig zurückgezogen. Seilleitern mit Ab‑
standhalter sind nach heutiger Erkenntnis als
Fluchtweg an Gebäuden ungeeignet.
A K T U A L I S I E R T
Die Inhalte der DGUV Regeln 107‑002 und
DGUV Regel 107‑003 „Desinfektionsarbeiten
im Gesundheitsdienst“ sind obsolet. Die aktu‑
alisierten Inhalte flossen in die DGUV Informa‑
tion 207‑206 „Prävention chemischer Risiken
beim Umgang mit Desinfektionsmitteln im
Gesundheitswesen“ ein.
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Regeln, Vorschriften,
Informationen Grundsätze&
R ECH T L I CH E U P DAT ES
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Sicher & gesund
zur Arbeit
Jahr für Jahr haben mehr als 100.000 Beschäftigte auf dem Weg zur Arbeit
einen Unfall. Lange Fehlzeiten und Produktivitätsverlust sind die Folge. Dass
die vermeintliche Privatangelegenheit Verkehrs sicherheit Führungskräfte
etwas angeht und wie sie diese Aufgabe gestalten können, lesen Sie hier.
V E R K E H R SSI CH E R H E I T
Tag für Tag wälzen sich zur Rushhour morgens
und abends Blechlawinen durch die Innen‑
städte und über die Autobahnen. Mittendrin:
Menschen, die sich über den Verkehr ärgern
und die gestresst sind. Da passiert es schnell, dass
Pendlerinnen und Pendler unaufmerksam sind oder
Situationen falsch einschätzen. Andere sind kurz nach
dem Aufstehen oder nach einem langen Arbeitstag
müde und fallen in einen Sekundenschlaf. Und schon
kommt es zum Unfall. Wie häufig Unfälle auf dem Weg
zur Arbeit sind, zeigt etwa eine Umfrage der gesetz-
lichen Unfallversicherung unter 16- bis 25-Jährigen:
17 Prozent hatten schon einmal einen Wegeunfall,
31 Prozent waren bereits in einer gefährlichen Situa-
tion und 37 Prozent sind unkonzentriert oder abge-
lenkt – zum Beispiel durch das Smartphone.
Gefährdungsbeurteilung „In welchem Maße eine Gefährdung besteht, hängt
unter anderem von Arbeitsabläufen, Arbeitszeiten
und deren Zusammenwirken sowie von psychischen
Belastungen bei der Arbeit ab“, erklärt Dr. Sven Timm,
Stabsbereich Prävention der DGUV. Arbeitgeberinnen
und Arbeitgeber sind verpflichtet, das in einer Gefähr-
dungsbeurteilung zu evaluieren. Viele individuelle
Faktoren spielen eine Rolle, unter anderem die Länge
des Weges, die Fahrtüchtigkeit des Fahrzeuges und
das Fahrverhalten.
Um die Beurteilung zu erleichtern, haben der Deut-
sche Verkehrssicherheitsrat (DVR), die DGUV und die
Friedrich-Schiller-Universität Jena das Online-Tool
GUROM entwickelt. Auf gurom.de erhalten Betriebe
Unterstützung bei der Durchführung von Gefähr-
dungsbeurteilungen im Bereich Mobilität. Arbeitneh-
mende können ihre jeweiligen Risiken einschätzen
lassen und erhalten direkt Vorschläge für passende
Präventionsmaßnahmen.
Fahrtrainings lehren defensives FahrenFahrtrainings können Angestellten anschaulich vermit-
teln, wie sie Gefahren frühzeitig erkennen, vermeiden
Gefahrenpotenzial Smartphone
Eine forsa-
Umfrage unter
16- bis 25-Jährigen
ergab, dass 37 Prozent
beim Autofahren
abgelenkt sind,
etwa durch das
Smartphone.
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und im Notfall bewältigen. Einige Unternehmen
integrieren zum Beispiel die Eco Safety Trainings des
DVR (www.ecosafetytraining.de) in ihre Präventions‑
angebote. Darin wird vor allem das defensive Fahren
vermittelt. „Defensives Fahren bedeutet, im Stra‑
ßenverkehr zu agieren, anstatt zu reagieren, voraus‑
schauend und gleichmäßig zu fahren, Abstände zu
vergrößern und den Schwung auszunutzen“, erklärt
Kay Schulte, Referatsleiter Unfallprävention – Wege
und Dienstwege beim DVR. Auf diese Weise ließen
sich Geschwindigkeitsschwankungen und die Fehler
anderer intelligent ausgleichen. „Langzeitstudien in
Unternehmen haben gezeigt, dass solche Trainings
Haftpflicht‑ und Vollkaskoschäden, Fahrfehler sowie
den Kraftstoffverbrauch deutlich senken können“, so
Schulte. Von den Unfallversicherungsträgern aner‑
kannte Anbieter von Fahrtrainings finden sich auf:
dvr.de/Programme, Trainings, Kampagnen
Sicher mit dem Fahrrad unterwegsStatistiken der DGUV zufolge gab es im Jahr 2016 mehr
als 22.000 meldepflichtige Wegeunfälle mit Fahrrä-
dern. „Auf Fahrrädern, Kleinkrafträdern und Mofas
sind 2016 mehr Menschen ums Leben gekommen als
im Vorjahr“, sagt Timm. Die Unfallkassen, Berufsge-
nossenschaften und der DVR haben deswegen das
Seminar „Sicherheit für den Radverkehr“ entwickelt.
Expertinnen und Experten des DVR vermitteln dabei
in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen, wie
sich Gefährdungen mit dem Rad vermeiden lassen.
Unternehmen können mit dem DVR auch die genauen
Schulungsinhalte abstimmen, die Anmeldung finden
Sie hier:
dvr.de/praevention/seminare/radverkehr
Beschäftigte in technische Hilfsmittel einweisen
Auch technische Hilfsmittel können dazu beitragen,
Unfälle zu vermeiden und Unfallfolgen zu mindern.
V E R K E H R SSI CH E R H E I T
>
Gesamt
116.746
Pkw
59.755
Motorisiertes Zweirad
7.914
Sonstige
19.526
Lkw
2.966
Übrige Landfahrzeuge
2.439
Schienenverkehr
278
Bus
902
Die Zahlen der DGUV zu meldepflichtigen Wegeunfällen
zeigen, dass in mehr als jeden zweiten ein Pkw involviert
ist. Fast jeder fünfte Unfall geschieht mit Beteiligung
eines Fahrrads. Unfälle mit Zug, U-Bahn und Straßen-
bahn wiederum sind extrem selten, sie machen nur
0,2 Prozent der Wegeunfälle aus.
Arbeits-, Dienstwege- und Wege- unfälle im Straßenverkehr nach Art der Verkehrsbeteiligung, 2016
12 1/2018
Fahrerassistenzsysteme zum Beispiel greifen korrigie‑
rend ein, wenn der Abstand zum vorderen Fahrzeug zu
gering wird. „Doch häufig ist Fahrerinnen und Fahrern
die Sinnhaftigkeit und Arbeitsweise der Systeme
nicht bekannt. Sie sind dann manchmal überfordert
oder schalten die Fahrerassistenzsysteme sogar aus,
weil sie nicht zu ihrer gewohnten Fahrweise passen“,
berichtet Kay Schulte. „Verantwortungsvolle Unter-
nehmen sorgen dafür, dass Beschäftigte mit den im
Fahrzeug verfügbaren Systemen und ihren Funktions-
weisen vertraut sind.“
Ähnliches gilt dem DVR-Experten Kay Schulte zufolge
für Informations- und Kommunikationstechnologien,
wie etwa Navigationsgeräte und Freisprechanlagen.
„Diese können unterstützen, aber auch ablenken“,
sagt er. Menschen mit Führungsaufgaben sollten
deswegen den sicheren Umgang mit Informations-
und Kommunikationstechnik vermitteln und vorleben.
Verbindliche Regeln für die Erreichbarkeit sowie
ausreichende Zeitvorgaben für das Weitergeben von
Informationen können zu telefonfreien Autofahrten
beitragen. Die sichersten Transportmittel sind jedoch
unbestritten die Fahrzeuge im öffentlichen Nahver-
kehr. Daher:
Den Umstieg auf ÖPNV fördernBus, Bahn und Straßenbahn sind, statistisch gesehen,
wesentlich sicherer als Pkw und Fahrrad (siehe Info-
grafik). Vor allem in urbanen Regionen können Unter-
nehmen ihre Angestellten mit vergünstigten Jobtickets
für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) dazu
motivieren, den eigenen Pkw öfter einmal stehen zu
lassen.
Sichere Fahrtwege auf dem FirmengeländeGerade bei größeren Betrieben kann es auch auf
Parkplätzen und firmeneigenen Wegen zu Unfällen
kommen. Folgende Maßnahmen helfen dabei, das
Unfallrisiko zu senken: Klare Verkehrsbeschilderung Fahrbahnmarkierungen, zum Beispiel
Pfeile auf dem Asphalt, die Fahrtrichtung und
Ausfahrt anzeigen
Eigene Wege für Fußgänger, gegebenenfalls
auch für Radfahrer Geschwindigkeitskontrollen – zum Beispiel
können Betriebe Stichproben mit einem geliehenen
Radarmessgerät durchführen
Schulungen und Unterweisungen für die
Beschäftigten
Absicherung von Personenausgängen, die
direkt auf eine Straße abgehen
AUTOR: Moritz Kohl
Radwege sicherer machen –
mit Hilfe der Behörden
Vielleicht ergibt die Gefährdungsbeurtei-
lung, dass bestimmte Streckenabschnit-
te für Radfahrerinnen und Radfahrer
besonders gefährlich sind – zum Beispiel
schwer einsehbare Kreuzungen, an
denen viele Lkw rechts abbiegen und
Fahrräder leicht übersehen.
Betriebe können dann mit den Behörden
zusammenarbeiten und zum Beispiel
eine bessere Beschilderung, Geschwin-
digkeitsbegrenzungen für Pkw oder
zusätzliche Ampeln anregen. Ob Stadt,
Gemeinde oder Landkreis zuständig ist,
hängt oft von der Lage der betreffenden
Radwege ab.
Fahrrad
22.966
131/2018
E R F O LG R E I CH E R E H A B I L I TAT I O N
Mit den glänzend weißen
„Knochen“ und Gelenken des
Roboteranzugs, die seinen
Körper von außen stützen, und
dem Surren der Motoren, die seine Knie
beugen, kommt Rolf Kalinski* (Name von
der Red. geändert) sich anfangs vor wie
ein Außerirdischer. Doch schnell gewöhnt
sich der 34‑jährige Architekt an das zwei‑
stündige Training im Exoskelett, das er
nach einem Arbeitsunfall tagtäglich an der
Berufsgenossenschaftlichen Universitäts‑
klinik Bergmannsheil in Bochum absol‑
viert. Kalinski stürzte bei der Besichtigung
einer Baustelle vom Dach und erlitt eine
schwere Verletzung der mittleren Brustwir‑
belsäule und der rechten Hüftgelenkspfan‑
ne. Diagnose: Querschnittslähmung mit
geringer Restfunktion in puncto Bewegung
und Berührungsempfinden. Sein Betrieb
meldete den Unfall dem Unfallversiche-
rungsträger sofort. Arbeits- und Wegeun-
fälle müssen der zuständigen Berufsgenos-
senschaft oder Unfallkasse bei schweren
Gesundheitsschäden oder immer dann,
wenn die Beschäftigten mehr als drei Tage
arbeitsunfähig sind, gemeldet werden.
Der Roboter unterstützt die BewegungsideeIm Fall von Rolf Kalinski kümmerte sich
die zuständige Berufsgenossenschaft um
Heilbehandlung und Rehabilitation. Nach
erfolgter Wirbelsäulen-OP und Heilung der
Knochenbrüche schickte sie den Mitdreißi-
ger knapp zehn Wochen nach dem Unfall
zum Lauftraining mit dem Roboteranzug
HAL nach Bochum. Das Exoskelett HAL
unterstützt die Bewegungsabläufe. Es
nimmt minimale Nervenimpulse in den
Gliedmaßen mit Sensoren auf und inter-
pretiert sie. Motoren an den Robotergelen-
ken liefern die nötige Kraftunterstützung
zum Ausführen der Bewegungsidee des
Menschen. „Wir konnten in mehreren Stu-
dien zeigen, dass regelmäßiges Training
die Bewegungsfähigkeit von Querschnitts-
gelähmten erheblich verbessert“, erklärt
Dr. Mirko Aach, Oberarzt am Bergmanns-
heil.
Keine Wundermaschine„Das Training mit dem Exoskelett kann die
Bewegungsfähigkeit besonders bei frisch
verletzten Querschnittsgelähmten dauer-
haft fördern“, erklärt Dr. Aach. Wunder
vollbringt der Roboteranzug jedoch nicht.
Das Training hat nur Aussicht auf Erfolg,
wenn die Querschnittslähmung nicht kom-
plett ist. Geringe Aktivitäten in den für das
Hüft- und Kniegelenk relevanten Muskeln
müssen vorhanden sein, so dass schwache
neurologische Restimpulse in der Musku-
latur sensorisch erfasst werden können.
Positive Effekte
Am Bergmannsheil wurden über 100
inkomplett querschnittsgelähmte Patien-
tinnen und Patienten mit dem Exoskelett
behandelt. Resultat: deutlich verbessertes
Gehvermögen und gestärkte Muskeln.
Gehen am Rollator, an Gehstützen oder
auch ohne Gehstützen wurde für viele
möglich. Weitere positive Effekte waren:
Rückgang der Nervenschmerzen, weni-
ger Muskelverkrampfungen, Erhöhung
der Hautempfindlichkeit und damit ein
14
LaufenWieder lernen
im RoboteranzugVerletzungen der Wirbelsäule führen meist zu einem
Leben im Rollstuhl. Ein Training im Roboteranzug
kann helfen, die Gehfähigkeit zu fördern. Die gesetz-
liche Unfallversicherung bietet ihren Versicherten
für eine erfolgreiche Rehabilitation diese neue
Therapieform an.
1/2018
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Reha mit allen geeigneten Mitteln
Rehabilitation mit allen geeigneten Mitteln ‑ das ist gesetzlicher Auftrag
und Ziel der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen nach einem
Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit. Die Kosten hierfür tragen allein
die Unternehmen. Warum? In der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt
die Entschädigung von Versicherten nach dem Schadensersatzprinzip.
Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen treten an die Stelle des ur‑
sprünglich zu Schadensersatz verpflichteten Unternehmers. Davon haben
alle etwas: die Versicherten, deren Ansprüche abgesichert sind, und die
Unternehmen, die keinem unwägbaren Haftungsrisiko ausgesetzt sind.
Rehabilitation lohnt sich
Berufliche Eingliederung lohnt sich nicht nur für die Betroffenen, son-
dern auch für Wirtschaft und Gesellschaft. Dies bestätigt die Studie
„The Return on Work Reintegration“ der Internationalen Vereinigung
für Soziale Sicherheit. Betriebe können mit einer durchschnittlichen
Rendite von 3,70 Euro pro investiertem Euro rechnen. Auch die Gesell-
schaft profitiert durch Produktivitätsgewinne.
issa.int
verringertes Risiko des Wundsitzens oder
-liegens. Nach der Therapie bleiben die
Erfolge, wenn sich die Patientinnen und
Patienten im Alltag aktiv bewegen – etwa
aus dem Rollstuhl aufstehen, mit dem
Rollator oder mit Gehstützen gehen.
Nach dreimonatigem täglichen Training
verbesserten sich auch bei Rolf Kalinski
die Muskelfunktionen deutlich. Heu-
te kann Kalinski selbstständig an zwei
Unterarmstützen gehen. Mit Hilfe der
gesetzlichen Unfallversicherung und dank
Exoskelett-Training schaffte der Archi-
tekt die berufliche Wiedereingliederung
und arbeitet wieder an seinem früheren
Arbeitsplatz.
AUTORIN: Christine Speckner
Die Nervenimpulse
der Knie- oder Hüft-
muskulatur werden
über Sensoren an
das Computersystem
des Exoskeletts HAL
übertragen und dann
in Gehbewegungen
umgesetzt.
1/2018
I N K LU SI O N
Bundesweite
Förderung für
betriebliche
Inklusion
16
„Das Budget für Arbeit” trat mit Jahresbeginn
bundesweit in Kraft. Ziel: mehr Menschen aus
den Behindertenwerkstätten den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern.
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Mit dem Budget für Arbeit
wird ab 2018 im Rahmen des
Bundesteilhabegesetzes ein
weiterer Baustein der zweiten
Reformstufe greifen, der schon in einigen
Bundesländern erprobt wurde.
Künftig sollen wesentlich mehr Menschen
mit Behinderung dahingehend unterstützt
werden, aus einer Behindertenwerkstatt
auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln.
Finanzielle und personelle Unterstützung
durch Ämter und Jobcenter soll Arbeitge‑
berinnen und Arbeitgebern die Einstellung
und dauerhafte Beschäftigung von Men‑
schen mit Behinderung erleichtern.
Auf zwei Ebenen soll die Unterstützung
erfolgen: Zum einen gibt es einen finan-
ziellen Zuschuss, der bis zu 75 Prozent
des gezahlten Arbeitsentgelts ausmachen
kann. Zum anderen werden entstehende
Kosten für eine personelle Begleitung,
einen Jobcoach, von den verschiedenen
Leistungsträgern übernommen.
Finanzielle und personelle Hilfe des
Budgets für Arbeit sind die notwendigen
staatlichen Rahmenbedingungen. Doch
gelebte Inklusion ist weit mehr als ein neu-
es Gesetz. Inklusion beginnt im Kopf.
Prof. Dr. Nils Jent, Direktor für angewandte
Forschung am Center for (Dis)ability and
Integration der Universität St. Gallen,
beschreibt es folgendermaßen:
„Zu oft werden Diskussionen zum Thema
Inklusion ohne die tatsächlich Betroffenen
geführt. Wertschätzung und Achtung lässt
sich daran erkennen, dass nicht über eine
Gruppe von Menschen entschieden wird,
sondern dass gemeinsam mit den betrof-
fenen Menschen an Lösungen gearbeitet
wird. Nur der Betroffene selbst kann seine
Bedürfnisse realistisch einschätzen und
wiedergeben.“
Für Jent ist es wichtig, Menschen mit
Behinderung als Teil einer vielfältigen Ge-
sellschaft zu sehen. Die Zusammenarbeit
von Menschen mit und ohne Behinderung
kann gerade durch die unterschiedlichen
Fähigkeiten nicht nur menschlich funk-
tionieren, sondern auch wirtschaftliche
Vorteile bringen:
Das Management der Vielfalt – auch be-
kannt als „Diversity Management“ –
zielt auf den konstruktiven Umgang mit
der Vielfalt und Verschiedenartigkeit von
Menschen ab. So lässt sich beispielswei-
se ein gemeinsam von Sehenden und
sehbehinderten Entwicklerinnen und
Entwicklern durchgestaltetes Induktions-
kochfeld von mehr Menschen gut nutzen.
Unterschiedliche Ansprüche werden von
Entwicklungsbeginn an mit komplementä-
ren Erfahrungshintergründen mitgedacht.
Wenn auch langsam, die Inklusion am
Arbeitsmarkt macht laut dem Inklusions-
barometer der Aktion Mensch und des
Handelsblatt Research Institute (HRI)
Fortschritte. Danach sank die Zahl der
Arbeitslosen mit Behinderung 2016 auf
170.508 (Vorjahr: 178.809). Die Arbeitslo-
senquote verbesserte sich gegenüber 2015
von 13,4 auf 12,4 Prozent. Damit verringert
sich auch erstmals seit Erhebung der
Zahlen vor fünf Jahren der Abstand zur
Arbeitslosenquote von Menschen ohne
Beeinträchtigung (6,1 Prozent). „Mit einer
Verzögerung kommt der Aufschwung auf
dem Arbeitsmarkt damit auch bei den
Menschen mit Handicap an“, sagt Pro-
fessor Bert Rürup, Präsident des HRI, der
Ende 2017 die neuen Zahlen vorstellte.
Nach Aussage der Aktion Mensch scheut
ein Viertel der Unternehmen immer noch
den bürokratischen Aufwand, die staat-
liche Förderung in Anspruch zu nehmen.
Auch hier setzt das Budget für Arbeit an.
Außer finanzieller und personeller Hilfe
innerhalb der Betriebe bieten die Bun-
desagentur für Arbeit und die Integrati-
onsämter der Bundesländer sowohl eine
Beratung vor Ort an, welche Fördermittel
beantragt werden können, als auch Unter-
stützung bei der Antragstellung.
Entscheidend ist, dass Inklusion nur
gelingen kann, wenn sie auch wirklich
gelebt wird. Das bedeutet einen gewissen
Aufwand für das Unternehmen. Sie darf
auch nicht nur auf dem Papier als Unter-
nehmensziel festgehalten werden, weil
es gut klingt und marketingtechnisch das
Unternehmensimage fördert.
AUTORIN: Katharina Münster
Weiterführende Links:
Fragen und Antworten zum Bundes-
teilhabegesetz
bthg.bagwfbm.de/budget-fuer-arbeit
App für Fördermöglichkeiten für Menschen
mit Behinderung und Unternehmen
bagwfbm.de/article/315
Unterstützung für Unternehmen
unternehmens-netzwerk-inklusion.de
Wer das ungekürzte Interview mit
Prof.Dr. Jent lesen möchte
https://cdi.unisg.ch/forschung/
angewandtedisability/news
17
Nils Jent verunfallte als 18-Jähriger schwer.
Seither ist er sprechbehindert, blind, im Rollstuhl
und kann seine Arme kaum bewegen.
Heute ist Nils Jent Professor für Diversity
Management an der Universität St. Gallen.
„Zu oft werden Diskussionen zum
Thema Inklusion ohne die tatsächlich
Betroffenen geführt.“
1/2018
I N T E R V I E W
Frau Scheel, warum sollten Führungskräfte
Vorbilder für ihre Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sein?
Nur so lassen sich sinnvolle Normen durch‑
setzen. Sonst können Führungskräfte Maß‑
nahmen zur Förderung von Gesundheit
und Sicherheit nicht glaubwürdig vermit‑
teln, so dass sich Beschäftigte auch daran
halten. Führungskräfte müssen ihre Rollen
lernen. Ihnen muss bewusst sein, dass sich
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz ge‑
nau anschauen, wie sich ihre Vorgesetzten
verhalten, und sie dieses Verhalten dann
adaptieren.
Was sollten Führungskräfte vermeiden?
Führungskräfte sollten beispielsweise
nicht krank zur Arbeit kommen. Denn
dann denken Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter automatisch, dass das auch
von ihnen erwartet wird. Und aus dieser
Erwartungshaltung entsteht dann Stress.
Präsentismus ist in vielen Unternehmen
ein Problem. Die Arbeitsproduktivität lässt
durch die Leistungseinschränkung nach,
so dass die Beschäftigten nicht rechtzeitig
mit Aufgaben fertig werden. Diese Art von
Stress können Führungskräfte vermeiden,
wenn sie als gutes Vorbild vorangehen und
bei Krankheit zu Hause bleiben. Oftmals
sind Führungskräfte außerdem die Ersten
und Letzten im Büro. Auch das ist schlech‑
tes Vorbildverhalten, weil Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter so das Gefühl bekommen,
ebenfalls Überstunden ableisten zu müs‑
sen. Sie können dann nicht mehr guten
Gewissens pünktlich nach Hause gehen.
Wie sieht die ideale Kommunikation aus?
Führungskräfte müssen lernen, mit ihren
Beschäftigten auf Augenhöhe über die
Arbeit zu sprechen. Sie müssen es ihnen
ermöglichen, auch mal „Nein“ zu sagen,
18 1/2018
Führungskräfte sollten
gute Vorbilder sein„Die Kampagne kommmitmensch hat das Ziel, den Stellenwert von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu erhöhen. Führungskräfte sind dafür eine wichtige
Zielgruppe. Wollen sie Verbesserungen erreichen, müssen sie sich allerdings ihrer
Vorbildfunktion bewusst sein“, erklärt Tabea Scheel, Professorin für Arbeits- und
Organisationspsychologie an der Europa Universität in Flensburg.Fo
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gleichzeitig aber auch dabei helfen,
Stresssituationen zu meistern. Jährliche
Mitarbeitergespräche sind ein wichtiges
Instrument für Feedback von beiden Sei‑
ten. Dabei sollten Führungskräfte darauf
achten, dass sie keine Kritik am Menschen,
sondern an der Arbeit geben, und auch
ihre Wertschätzung aussprechen.
Mitarbeitergespräche finden in den meis-ten Unternehmen jährlich statt. Wie können Führungskräfte über das Jahr verteilt schon
Probleme erkennen?
Es ist auch im Alltag wichtig, das Ge‑
spräch mit den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern zu suchen. Oft sind die Hin‑
tergründe für Stress ganz unterschiedlich.
Die einen sind wegen der Arbeitszeiten ge‑
stresst. Wenn die Führungskraft das weiß,
kann sie gemeinsam mit dem Mitarbeiter
oder der Mitarbeiterin an einem Teilzeit‑
modell arbeiten. Andere brauchen eine
längere Mittagspause oder können sich
nicht gut im Großraumbüro konzentrie‑
ren. Auch hier können im gemeinsamen
Gespräch Lösungen gefunden werden,
wenn der Draht zwischen Führungskräf‑
ten und Beschäftigten funktioniert.
Viele Unternehmen bieten Ermäßigungen
für Fitnessstudios oder Wellnessangebote
an. Können sich Führungskräfte so beliebt
machen?
Im besten Fall ist das ein Ausdruck von
Wertschätzung. Im schlimmsten Fall wirkt
es zynisch, wenn beispielsweise das Klima
schlecht ist, die Arbeitszeiten wahnsinnig
sind und die Entlohnung nicht stimmt.
Führungskräfte sollten deshalb zur Stress‑
bekämpfung und Gesundheitsförderung
nicht als Erstes Gesundheitsmaßnahmen
auskippen. Vor allem, weil das Beschäf‑
tigten auch spiegelt, dass sie möglichst
gesund und fit für das Unternehmen sein
sollen. Da sollten Führungskräfte vor-
sichtig sein, dass Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter nicht das Gefühl bekommen,
eine Nackenmassage soll Probleme im
Unternehmen ausgleichen. Die bekämpft
höchstens die Symptome. Nicht den Kern
des Problems.
Welche Gefahren sehen Sie, wenn Füh-
rungskräfte ihrer Vorbildfunktion nicht
nachkommen?
Für das Unternehmen bedeutet das meis-
tens kurz- und langfristige Ausfälle von Be-
schäftigten. Stress und Unaufmerksamkeit
können leicht zu Arbeitsunfällen führen
und auch psychische Erkrankungen kom-
men immer häufiger vor. Durch hochgradi-
ge Stresskomplexe fallen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter oft sehr lange aus. Wenn
Personal ausfällt, stresst das wiederum
alle anderen, weil so schnell oft kein Ersatz
gefunden wird. Dazu kommen Kündigun-
gen, was sich nochmal schlechter auf das
Arbeitsklima auswirkt.
AUTORIN: Annika Fröhlich
191/2018
Die Kampagne kommmitmensch
startete im Oktober 2017
auf der A+A in Düsseldorf.
Schlagworte sind: „Sicher. Gesund.
Miteinander.“ Die in der DGUV
organisierten Unfallkassen und
Berufsgenossenschaften lenken
den Blick darauf, welchen
Stellenwert Sicherheit und
Gesundheit in einem Betrieb oder
einer öffentlichen Einrichtung
genießen. Ab März 2018 fokussiert
kommmitmensch auf das erste
Handlungsfeld „Führung“ und
stellt dazu Handlungshilfen
bereit. Führungskräfte sind für die
Organisation des Arbeitsschutzes
in ihrem Betrieb zuständig,
als Vorbilder prägen sie den
Stellenwert von Sicherheit und
Gesundheit. Dabei haben die
meisten Führungskräfte eine
Doppelrolle inne: Sie führen
und werden geführt – und
kennen damit beide Seiten der
Medaille. Tabea Scheel,
Professorin für Arbeits- und
Organisationspsychologie an der
Europa Universität in Flensburg,
forscht bereits seit Jahren zu den
Themen Arbeitsbeziehungen,
Veränderungsbereitschaft und
Humor im Arbeitskontext. Sie
kennt die Herausforderungen und
Schwierigkeiten gesunden Führens.
kommmitmensch.de
„Führungskräfte sollten als Vorbild
nicht krank zur Arbeit kommen.“
Arbeitswelt im WandelNicht nur Zahlen und Fakten bietet die neue Broschüre
der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
(BAuA). Sie ist ein Nachschlagewerk, das Trends erken-
nen lässt, Schwerpunkte sieht und Zusammenhänge
herstellt. Die BAuA verfolgt damit verschiedene Ziele.
Für die Praktiker des Arbeitsschutzes werden Fakten und
Entwicklungen kurz und knapp nachgezeichnet. Das hilft
bei der schnellen Suche nach überzeugenden Argumen-
ten ebenso wie beim Nachdenken über zukünftige Ent-
wicklungen im eigenen Betrieb. Für die interessierte Öf-
fentlichkeit bietet diese Broschüre Wissenswertes über
das inzwischen recht weite Feld des Arbeitsschutzes.
Die Zusammenhänge zwischen den Arbeitsbedingungen
und moderner Technik werden ebenso betrachtet wie
das soziale Zusammenleben der Menschen im Betrieb
oder die ökonomische Seite sicherer Arbeit.
baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/ A97.html
Empfohlen zum ...
20
... Studieren:
GrundlagenseminarDas Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV in
Dresden bietet vom 23.04.2018 bis 27.04.2018 und
vom 20.08.2018 bis 24.08.2018 eine Fortbildung zur
betrieblichen Gesundheitsmanagerin beziehungsweise
zum betrieblichen Gesundheitsmanager. Die Inhalte
des Seminars entsprechen der Ausbildungsempfehlung
der DGUV und des Bundesverbands für betriebliches
Gesundheitsmanagement (BGM). Die Anmeldung zu
den optionalen Prüfungen zum Erhalt der BGM-Zerti-
fikate ist vor Ort möglich. Inhalte sind unter anderem:
Aufgaben, Anforderungen und Rolle von Gesundheits-
managerinnen und Gesundheitsmanagern, Ist-Situation
und Projektion zur Arbeitswelt, Arbeit und Gesundheit
und Arbeitssysteme. Fachliche Kenntnisse sollen die
methodischen Fertigkeiten und die sozial-kommuni-
kativen Kompetenzen für die Einführung und Aufrecht-
erhaltung eines wirksamen und erfolgreichen BGM
vermitteln. Grundlagenseminar und Fallstudienseminar
sind nur als Paket buchbar.
dguv.de/iag-seminare
... Mitmachen:
Sicher. Gesund. Miteinander.Die neue Broschüre zur Kampagne kommmitmensch bie-
tet unter anderem Handlungshilfen für den Arbeitsalltag.
Die Kampagne lenkt den Blick darauf, welchen Stellen-
wert Sicherheit und Gesundheit in Betrieben und öffent-
lichen Einrichtungen genießen. Sie ist in sechs Hand-
lungsfelder unterteilt: wie Führung, Kommunikation,
Beteiligung, Fehlerkultur, Betriebsklima, Sicherheit und
Gesundheit. Führungskräfte und Beschäftigte können
Schritt für Schritt mit einem Kurzcheck ermitteln, wie ihr
Betrieb in den jeweiligen Handlungsfeldern aufgestellt
ist. Gemeinsam können sie die Bestandsaufnahme
vertiefen und Ideen für Verbesserungen entwickeln.
Dabei helfen die kommmitmensch-Dialoge, die typische
Alltagssituationen aufgreifen, sowie eine Vielzahl weite-
rer Handlungshilfen und Checklisten. Diese Materialien
können kostenlos über die zuständige Berufsgenossen-
schaft oder Unfallkasse oder unter den Online-Auftritten
der Kampagne bestellt werden. Auf der Website finden
sich viele der Materialien zum Ausdrucken.
kommmitmensch.de Webcode: d1070162
... Lesen:
1/2018
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So
ell
ne
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nci
ci
Jeder zweite Beschäftigte wünscht sich mehr
Sicherheit und Gesundheit im Unternehmen und
nur jeder Fünfte bewertet die Situation im Unter‑
nehmen in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit in
seinem Betrieb überaus positiv. Zu diesem Ergeb‑
nis kommt eine aktuelle Umfrage von Unfallkassen
und Berufsgenossenschaften zum Auftakt ihrer
neuen Präventionskampagne kommmitmensch.
Rund die Hälfte der Befragten war eher unzufrieden
mit den Informationen und Angeboten zu Sicherheit
und Gesundheit. Vor allem von den Führungskräf‑
ten wünschten sich die Beschäftigten mehr Auf‑
merksamkeit für das Thema. Die neue Kampagne
kommmitmensch will deshalb sowohl Führungs‑
kräfte als auch Beschäftigte ins Boot holen, um zu
zeigen: Sicherheit und Gesundheit sind wertvolle
Ressourcen für Unternehmen und Beschäftigte.
So lenkt die Kampagne den Blick darauf, welchen
Stellenwert Sicherheit und Gesundheit in Betrieben
und öffentlichen Einrichtungen genießen.
dguv.de/de/mediencenter/pm
Mehr Sicherheit am Arbeitsplatz gewünscht
21
Inklusions-NewsletterDas Unternehmens-Netzwerk Inklusion brachte 2017
erstmals ein Journal in gedruckter und digitaler Form
heraus, das sich mit sämtlichen Aspekten von Inklu-
sion in der Arbeitswelt beschäftigt. Unter anderem
werden Themen aufgegriffen wie inklusive Führung,
inklusive Vernetzung oder Ausbildung. Darin wird
über die neuesten Geschehnisse im Projekt und über
Veranstaltungen zur Inklusion informiert.
Zusätzlich wird über wichtige Fragen und Entwick-
lungen der beruflichen Inklusion berichtet. Zukünftig
wird der Newsletter dreimal jährlich erscheinen. Vor‑
aussichtlich im Mai 2018 ist der zweite Newsletter zu
erhalten. Herausgeber ist die Bundesarbeitsgemein‑
schaft ambulante und berufliche Rehabilitation.
unternehmens-netzwerk-inklusion.de
Männer erleiden Unfälle, Frauen entwickeln AllergienMänner sind bei der Arbeit wesentlich häufiger
von Unfällen und Verletzungen betroffen, während
Frauen ein höheres Risiko tragen, sich Allergien oder
Atemwegserkrankungen zuzuziehen. Dies ergab eine
neue Studie hinsichtlich geschlechtsspezifischer
Unterschiede bei vier ausgewählten und bestätigten
Berufskrankheiten aus dem Bereich der DGUV (BK-
Dok) und der Sozialversicherung für Landwirtschaft,
Forsten und Gartenbau (SVLFG). Grund dafür sind
sowohl biologische als auch gesellschaftliche Krite-
rien. Da von Männern und Frauen unterschiedliche
Tätigkeiten ausgeübt werden, unterliegen die Arbeiten
unterschiedlichen Gefährdungen. So sind Frauen
zum Beispiel wesentlich häufiger dem Umgang mit
Reinigungs- beziehungsweise Sterilisationsmitteln
ausgesetzt als Männer und müssen öfter Schutzhand-
schuhen tragen. Weitere Infos:
ipa-dguv.de/medien/ipa/publikationen/ ipa-journale/ipa-journale2017/documents/ ipa_journal_1702.pdf
1/2018
Wie heißt es so schön: Platz ist in der
kleinsten Hütte. Am Arbeitsplatz gilt dieses
Motto nicht – bei der Besetzung von Büros
sind Regeln zu beachten.
Der Büroflächenbedarf für Bildschirm‑
arbeitsplätze richtet sich nach der Tätig‑
keitsart. Dabei sollte pro Arbeitsplatz eine
Fläche von acht bis zehn Quadratmetern
zur Verfügung stehen. Weil zur Arbeitsflä‑
che auch Flächen für Maschinen, Tische,
Schränke sowie Ablagen zählen, muss
der Arbeitgeber dazwischen ebenfalls für
ausreichend Bewegungsfläche sorgen.
Achtung, GroßraumbüroDie Mindestbreite der sogenannten Ver‑
kehrswege hängt von der Anzahl der
Raumnutzenden ab und beträgt bei bis
zu 5 Beschäftigten 80 Zentimeter, bei 400
Beschäftigten sind es mindestens 225
Zentimeter. Im Großraumbüro ist pro
Person generell mehr Fläche einzu‑
planen als bei Einzel‑, Zel‑
len‑ oder Gruppenbüros.
Beinfreiheit beachtenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen
auch über ausreichend Beinfreiheit unter
dem Tisch verfügen. Das gilt speziell für
besonders große Menschen. Denn es ist
nicht zulässig, wenn sie ihre Tätigkeit nur
in einer Zwangshaltung ausüben können.
Damit sich die Beschäftigten unge‑
hindert an ihrem Arbeitsplatz bewegen
können, sollte die Bewegungsfläche min‑
destens 1,5 Quadratmeter betragen. Für
ein spontanes Zurückrollen mit dem Stuhl
sollte die Mindestbewegungsfläche an kei‑
ner Stelle weniger als 100 Zentimeter tief
sein.
Die Anordnung der Arbeitsplätze soll‑
te so gestaltet sein, dass Beschäftigte sie
nicht nur sicher erreichen, sondern auch
verlassen können, ohne durch be‑
nachbarte Arbeitsplätze behin‑
dert zu werden.
Flexibilität
schafft Wohlbefinden
Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter sind zufriedener und gesün-
der, wenn sie ihre Arbeitszeiten
selbst flexibel gestalten können.
Davon profitiert neben den Be-
schäftigten auch die Wirtschaft.
Wie Führungskräfte verschie-
dene Arbeitszeitmodelle als
Unternehmensvorteil einsetzen
und gestalten können, ist das
Titelthema in 2/2018.
Neue PSA-Verordnung
Im April 2018 endet die Über-
gangsfrist. Was sind die wich-
tigsten Änderungen? Welche
Konsequenzen hat das für die
Betriebe? Welche PSA-Produkte
sind neu? Antwort auf diese
Fragen bietet Ihnen
2/2018.
Auf den Punkt gebracht
Was sein muss und was sein darf –
Sabine Hockling, Sachbuchautorin und
Wirtschaftsjournalistin (stern, Woche,
Zeit online) bringt es auf den Punkt.
22
Wie viel Platz steht
Beschäftigten zu?
1/2018
Die Mittagspause in Zahlen
Selbst Gemachtes steht in der Mittagspause hoch im
Kurs: 57 % der Erwerbstätigen inklusive Schülerinnen
und Schüler sowie Studierende bringen sich ihr Essen
von zu Hause mit. Nur 20 % gehen dagegen in die
Kantine, 15 % holen sich einen Snack beim Bäcker oder
Schnellimbiss und 5 % nehmen sich die Zeit für einen
Restaurantbesuch. Mit der Verpflegungssituation sind
84 % zufrieden oder sehr zufrieden.
G LOSSE
Waren Sie schon? Ich geh heute nicht. Ich
brauche mal eine Auszeit vom Kanti‑
nen‑Stress. Den gab’s früher ja nicht. Da
hatten wir nur Schweres und Warmgehalte‑
nes. Man hatte gar keine Wahl. Man musste zwangsläufig
zu Currywurst, Hackbraten und Schnitzel mit Pommes
greifen. Ich meine: Unter 700 Kalorien pro Mittagspause
ging gar nichts. Das einzig knackig frische Grün stand im
Übertopf auf der Fensterbank und wenn man mal was Ge-
sundes wollte, bestellte man sich eben Kräuterbutter zum
Schweinenackensteak. Ich hätte vermutlich mehr Nähr-
stoffe zu mir genommen, wenn ich mal über meine Steh‑
leiter geleckt hätte. Nein, das war nicht schön. Deshalb
haben ja alle beim Essen über nichts anderes gesprochen,
als über das miese Essen und dass sie natürlich sofort zum
Rohkostteller greifen würden, wäre nur einer da.
Jetzt servieren die Betriebsküchen, wovon wir immer
geträumt haben, und nun haben wir den Salat. Und nicht
nur den. Es gibt auch Putenschnitzel OHNE Panade, Voll‑
kornbrot, sogar frisches Obst. Ich habe gelesen, in prak‑
tisch allen 14.000 Kantinen hierzulande kann man sich
jetzt für „gesund“ und sogar „bio“ entscheiden. Das muss
man sich mal vorstellen: links der Schimanski‑Teller,
Currywurst mit Pommes rotweiß, rechts der vegane Ro‑
te‑Beete‑Auflauf. Sofort fangen Gesundheitsbewusstsein
und Versuchung doch an, sich so dermaßen zu kloppen,
als wären wir wieder auf dem Schulhof und die eine hätte
der anderen die Selfie-Stange weggenommen.
Und ehrlich, nicht wenigen wird da in der Schlange vor
der Essensausgabe klar, dass selbst der Grünkohlsalat,
den sie gerade für den Hackbraten verschmäht haben,
deutlich vernünftiger sein könnte als sie selbst. Natürlich
bin ich dankbar für die gigantische Auswahl und ja, das
ist echt Wahnsinn. Morgen wieder. Heute gibt es bei mir
Käsestullen mit Weintrauben, selbst mitgebracht. Irgend-
wann muss man sich ja auch mal erholen. Gerade in der
Mittagspause und besonders von der Qual der Wahl.
AUTORIN: Constanze Kleis
MAHLZEIT!
Bestseller-Autorin Constanze Kleis schlüpft für in die Rolle von Hausmeisterin Conny.
Sie betrachtet alltägliche Dinge der Arbeitswelt aus einem ganz speziellen Blickwinkel ...
Quelle: Ernährungsreport 2017, Bundesministerium für Ernährung
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Wie ist die Mittags-
verpflegung in Ihrem
Betrieb geregelt?
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1/2018
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Sicher. Gesund. Miteinander.