die rechtliche dimension - uni-bamberg.de · rechtswissenschaftlichen diskurs) und im weiteren auch...
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DIE RECHTLICHE DIMENSION
EINER NACHHALTIGEN ENTWICKLUNG
IN DER EUROPÄISCHEN UNION
..................................................................................................................................................................................1
EINLEITUNG..........................................................................................................................................................2
1. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG – EINE ARBEITSDEFINITION........................................................ 2
2. ERKLÄRUNGSANSÄTZE DER EUROPAFORSCHUNG........................................................................... 4
2.1 KONZEPT DER RECHTSGEMEINSCHAFT..............................................................................................4
2.2 INTEGRATION – GOVERNANCE – DEMOKRATIE/LEGITIMITÄT.................................................. 6
2.3.1 Der EuGH als Governanceakteur..........................................................................................................8
2.3 ROLLE DES EUGH IM EUROPÄISCHEN POLITIKZUSAMMENHANG............................................ 8
2.3.2 Regulierung durch den EuGH................................................................................................................92.3.3. Vertretung öffentlicher Interessen in der EU......................................................................................112.3.4 Nachhaltige Entwicklung und die Judikative.......................................................................................132.3.5 Marktregulierung durch den EuGH.....................................................................................................14
3. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG IM RECHT.........................................................................................17
3.1 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS INTERNATIONALES RECHTSPRINZIP.......................... 18
3.2.1 Wandel der Verträge............................................................................................................................ 20
3.2 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS EUROPÄISCHES RECHTSPRINZIP..................................20
3.2.2 Kodifizierung des Drei-Säulen-Modells...............................................................................................253.2.3 Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft................................................................................................. 283.2.4 Umweltpolitische (und entwicklungspolitische) Querschnittsklausel.................................................. 303.2.5 Umweltpolitische Einzelprinzipien.......................................................................................................343.2.6 Umweltschutz im Binnenmarkt.............................................................................................................363.2.7 Umweltschutz im Außenhandel............................................................................................................ 40
SCHLUSS/AUSBLICK.........................................................................................................................................41
LITERATUR......................................................................................................................................................... 43
Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs
Stand: 30. September 2003
EINLEITUNG
Für dieses Arbeitspapier wird aus dem Dissertationsprojekt, das sich mit der Implementation
der ‚EU-Strategie für die nachhaltige Entwicklung’ (wie im Jahre 2001 vom Europäischen Rat
in Göteborg beschlossen) beschäftigt, eine Teilfrage ausgekoppelt. Weil der
Nachhaltigkeitsbegriff bereits in die Verträge eingegangen ist, erscheint die Klärung seines
rechtlichen Gehalts wesentlich; dazu soll insbesondere die Rechtsprechung des EuGH befragt
werden. Zugleich kann damit das Zusammenspiel von Politik und Recht in der europäischen
Rechtsgemeinschaft näher bestimmt und für die weitere Untersuchung fruchtbar gemacht
werden. Diese Fassung ist um einen ersten Durchgang durch das Material bemüht, hält sich
aber mit pointierten Schlüssen noch zurück. Inhaltlich konzentriert sie sich aufgrund der
besseren Datenlage überwiegend auf die internale ökologische Dimension der Fragestellung.
1. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG – EINE ARBEITSDEFINITION
Nachhaltige Entwicklung ist ein schillerndes politisches, weit in die Zukunft reichendes –
daher im besten Sinne ‚utopisches’ – Konzept, das sich einer empirischen Analyse im Grunde
entzieht. Um trotzdem Aussagen darüber treffen zu können, wie ‚realistisch’ eine nachhaltige
Entwicklung für die Europäische Union in ihrem bestehenden institutionellen Zuschnitt ist,
bedarf es zunächst einer heuristisch brauchbaren Rekonstruktion des Nachhaltigkeitsbegriffs.
Für die Zwecke dieser Untersuchung wird daher eine Arbeitsdefinition gebildet, die
nachhaltige Entwicklung von den folgenden vier Dimensionen bestimmt sieht: der
wirtschaftlichen, der ökologischen, der sozialen und der institutionellen. Damit wird vom
(klassischen) ‚Drei-Säulen-Modell’ bzw. dem ‚magischen Dreieck’ nachhaltiger Entwicklung
ausgegangen (Wirtschaft, Umwelt und Soziales), dieses aber um eine vierte Dimension
ergänzt (Institutionen).
Was die drei materiellen Dimensionen anbelangt, so richtet sich die Arbeitsdefinition am
Nachhaltigkeitsverständnis der Ökologischen Ökonomie aus: Mit ‚scale’, ‚distribution’ und
‚allocation’ werden diese Dimensionen in einen logischen (Problem- wie Lösungs-)
Zusammenhang gebracht: (1) stofflich-energetischer Umfang der Wirtschaft, (2) gerechte
Verteilung der Ressourcen, (3) effiziente Allokationsmechanismen (Costanza u.a. 2001, 96-
100). Alle drei Dimensionen werden also auf die ‚Wirtschaft’ i.w.S. bezogen, die den
Stoffwechsel der Gesellschaft mit der Natur organisiert: Sie steht im Zentrum der
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Nachhaltigkeitsproblematik. Die institutionelle Dimension wird als Idee dem
‚Nachhaltigkeitsprisma’ des Sustainable Europe Research Institute entlehnt (Spangenberg
2003, 25), jedoch in spezifischer Weise ausgedeutet: Hier soll es um die Institutionen
gesellschaftlicher Steuerung gehen, und zwar insbesondere um (4a) die Politik und um (4b)
das Recht, inklusive ihrer Wechselbeziehung. Die mögliche Rolle des Rechts für eine
nachhaltige Entwicklung steht dabei im Mittelpunkt des Interesses. Unter diesen Prämissen
nimmt die Untersuchung eine wirtschaftliche und rechtliche Ausrichtung an.
Die ökologische Dimension nachhaltiger Entwicklung wird oft auf den Begriff
intergenerativer Gerechtigkeit gebracht, die soziale Dimension wiederum mit dem Begriff
intragenerativer Gerechtigkeit verbunden. Für das Untersuchungsanliegen sollen diese beiden
Begriffe auf ihren Kerngehalt reduziert werden. Dazu ist die Grundidee der UN-Konferenz
von Rio (1992) in Erinnerung zu rufen, Umwelt- und Entwicklungsinteressen miteinander zu
verknüpfen. Für die Industrieländer (d.h. implizit auch für die Europäische Union) lautet die
Aufforderung daher, einerseits den eigenen Umweltverbrauch einzuschränken, andererseits
den Entwicklungsländern die Überwindung der Armut zu ermöglichen. Hinsichtlich der
ökologischen Dimension gilt die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen als
unbedingtes Gebot für Industrieländer wie für Entwicklungsländer; dabei müssen die
Industrieländer den Entwicklungsländern (Umwelt-) Raum für eigenes Wachstum belassen.
Mit der sozialen Dimension nachhaltiger Entwicklung ist ursprünglich der globale
Verteilungskonflikt angesprochen und weniger die Verteilungsproblematik innerhalb
bestimmter Hoheitsgebiete (Murswiek 2002, 3-8). Mit diesen Klärungen ist nicht mehr davon
auszugehen, dass die einzelnen Dimensionen nachhaltiger Entwicklung einer beliebigen
Abwägung freigestellt sind; vielmehr stecken sie einen – gleichwohl abstrakten –
Entscheidungsrahmen ab. Ethischer Maßstab ist die Verallgemeinerbarkeit der eigenen
Wirtschaftsweise und des eigenen Lebensstils in räumlicher (intragenerativer) und zeitlicher
(intergenerativer) Hinsicht.
Mit der konzeptionellen Idee der ‚Integration’ als Inbegriff nachhaltiger Entwicklung –
sowohl in materieller als auch in institutioneller Hinsicht – werden nun die einzelnen
Komponenten zusammengebracht: Ausgehend von der Europäischen Union als
Wirtschaftsgemeinschaft (materiell betrachtet) und als Rechtsgemeinschaft (institutionell
betrachtet) wird nachhaltige Entwicklung für das Untersuchungsvorhaben als Integration von
Wirtschaftspolitik/-recht, Umweltpolitik/-recht und Entwicklungspolitik/-recht konzipiert.
Von empirischem Interesse sind dabei in erster Linie Konflikte zwischen Binnenmarkt- und
Umweltpolitik/-recht (für die internale Dimension der EU) und zwischen Außenhandels- und
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Entwicklungspolitik/-recht (für die externale Dimension der EU) sowie die institutionellen,
insbesondere rechtlichen Ansätze zu ihrer Lösung.
2. ERKLÄRUNGSANSÄTZE DER EUROPAFORSCHUNG
Mit dem Begriff der Rechtsgemeinschaft, der auf den ersten Kommissionspräsidenten Walter
Hallstein zurückgeht, werden dem europäischen Institutionengefüge zum einen
rechtsstaatliche Qualitäten zugemessen: Die Verträge gelten als ‚Verfassungsurkunde’
(EuGH); Legislative, Exekutive und Judikative sind ausdifferenziert (wenn auch wegen der
Doppelrolle der Kommission nicht ‚klassisch’ getrennt); die Ausübung öffentlicher Gewalt
unterliegt gerichtlicher Kontrolle; die Unionsbürger genießen einklagbare Grundrechte
(Nicolaysen 1999, 864-866). Im Verfassungsentwurf des europäischen Konvents wird die
‚Rechtsstaatlichkeit’ ausdrücklich als Grundwert der Union geführt (Artikel I-2). Zum
anderen wird mit dieser Wortprägung die Gemeinschaft als voraussetzungsreiche, vom
Konsens der Mitgliedstaaten getragene Schöpfung des Rechts gewürdigt: Recht – und nicht
Macht – gilt als Garant der europäischen Ordnung; die ‚Wahrung des Rechts’, welche letztlich
dem EuGH obliegt, erhält somit oberste Priorität (Nicolaysen 1999, 867-869).
Doch lässt sich die von Europarechtlern ‚erfundene’ (so oder so ‚konstruierte’)
Rechtsgemeinschaft auch soziologisch fassen; schon der Begriff selbst legt eine
gesellschaftstheoretische Ausdeutung nahe. Unbeschadet der fehlenden Staatseigenschaften
erfüllt die Europäische Union beispielsweise die Kriterien eines Herrschaftsverbandes im
Sinne Max Webers: In weit reichenden Aufgabenfeldern werden – auf Gemeinschaftsebene –
Rechtsnormen, Handlungsorientierungen und Rationalitätskriterien erzeugt und – in den
Mitgliedstaaten – durchgesetzt. So besehen besteht die EU als Rechtsgemeinschaft in einer
spezifischen ‚rechtlichen Konstitution sozialer Verhaltensstrukturierung’ (Lepsius 2000, 289-
292). Legitimation gewinnt dieser europäische Herrschaftsverband jedoch nicht allein aus
dem rechtlichen Verbund der Mitgliedstaaten, sondern auch aus ihrem politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt: Diesen zu fördern ist somit (auch) eine Aufgabe
des Rechts und der Rechtsprechung (Zuleeg 1995, 24-33). So wie die Rechtsgemeinschaft als
Ganze auf gesellschaftliche Kontextfaktoren angewiesen ist, wird auch das Handeln ihrer
letzten Instanz, des EuGH, von strukturellen Zusammenhängen geprägt: Dessen strategisches
Umfeld bestimmt sich durch Mitgliedstaaten (bzw. deren Regierungen); andere europäische
2.1 KONZEPT DER RECHTSGEMEINSCHAFT
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Institutionen, Akteure der Zivilgesellschaft (insbesondere als Rechtsparteien);
mitgliedstaatliche Rechtsordnungen; das europäische Gemeinschaftsrecht selbst (und den
rechtswissenschaftlichen Diskurs) und im Weiteren auch durch international bedeutsame
Ereignisse und Entwicklungen (Wincott 2000, 10). Das eigentlich Soziologische der
Rechtsgemeinschaft liegt jedoch in den gesellschaftlichen Voraussetzungen (bzw. den
Bedingungen der Möglichkeit) des Rechts einerseits und im Beitrag des Rechts zur
gesellschaftlichen Integration andererseits. Dabei zeichnet sich die Integrationsfunktion des
supranationalen Rechts der Gemeinschaft dadurch aus, gesellschaftliche Verhältnisse nicht
nur normativ zu stabilisieren, sondern sie im Hinblick auf die Einigung Europas vor allem
auch zu verändern (von Bogdandy 2001, 23f).
Die auf solche Grundprobleme spezialisierte Rechtssoziologie geht nicht nur auf die
soziologischen Klassiker zurück, die sich in ihren Schriften nebst vielem anderen mit dem
Thema Recht befassen, sondern auch auf eine ‚soziologische Bewegung’ in den
Rechtswissenschaften selbst (sociological jurisprudence; American legal realism), die sich
gegen einen vordergründigen Rechtsformalismus wendet (Treviño 1996, 55-75). In der
ausdifferenzierten Teildisziplin stehen sich zwei Grundpositionen gegenüber: die
Konsensperspektive (zu deren Inbegriff der Strukturfunktionalismus geworden ist) und die
Konfliktperspektive (die sich als Konflikttheorie herauskristallisiert hat). Erstere geht von
einem relativ stabilen, funktional integrierten Gesellschaftssystem aus, das auf einem
grundlegenden Wertekonsens, gemeinsamen Interessen und Kooperation beruht; Letztere
nimmt eine von Interessengegensätzen, Konflikten und Zwang bestimmte Gesellschaft an, in
der die soziale Ordnung stets bedroht ist. Im einen Fall ist Recht eher Bindeglied, im anderen
Fall eher Repressionsmittel (Vago 1997, 20). Trotz dieses Gegensatzes in den
gesellschaftstheoretischen Prämissen bleiben die Themen im Grunde dieselben: In welchem
Zusammenhang stehen Recht und Gesellschaft; wodurch verändert sich das Recht; welchen
Einfluss haben Wirtschaft und Politik, Religion und Sittlichkeit auf das Recht; wie wird Recht
zu einem Instrument der Regulierung? Als Heuristik legt es die Rechtssoziologie nahe, immer
von einer relativen Autonomie des Rechts auszugehen, d.h. es als abhängige und unabhängige
Variable zugleich zu betrachten, und Konsens- und Konfliktperspektive zusammenzuführen,
um zu einer umfassenden Würdigung der ‚positiven’ wie der ‚negativen’ Seiten des
gesellschaftlich konstruierten Rechts zu gelangen (Treviño 1996, 441). Für die Fragestellung
der Untersuchung scheint die Rechtssoziologie allein jedoch nicht ausreichend ergiebig.
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In der ‚klassischen’ sozialwissenschaftlichen, insbesondere der politikwissenschaftlichen
Forschung zur EU stehen sich mit dem Neofunktionalismus und dem
Intergouvernementalismus zwei bedeutende Theoriekomplexe gegenüber, die sich vor allem
darin unterscheiden, welche Bedeutung sie den ‚Herren der Verträge’ – den durch ihre
Regierungen repräsentierten Mitgliedstaaten – für das Voranschreiten des europäischen
Integrationsprozesses beimessen. Die einen erkennen in der Integrationsdynamik ein logisches
Moment, das – bedingt durch funktionale Interdependenzen – die Vernetzung supra- und
subnationaler Akteure begünstigt und Zentralisierungstendenzen befördert; die anderen führen
die Abfolge der Integrationsschritte zurück auf die Präferenzen staatlicher Akteure für einen
supranational gestützten Verhandlungkontext, in dem allseitige Kooperationsgewinne erzielt
werden. In der Geschichte der europäischen Einigung hatten die einen Konjunktur, wenn
‚Europa’ einen Schub machte; die anderen traten hervor, wenn der Integrationsprozess
stagnierte: Wo der Neofunktionalismus in Erklärungsnöte geriet, erwies sich der
Intergouvernementalismus als fruchtbare Alternative – und umgekehrt. Trotz dieser
Theoriekontroverse teilen Neofunktionalismus und Intergouvernementalismus den (in der
politikwissenschaftlichen Subdisziplin ‚Internationale Beziehungen’ geübten) Blick auf die –
empirische – Einzigartigkeit des Integrationsphänomens. Die – normative – Debatte um das
rechte Maß an Integration und die Finalität Europas schließt sich hier direkt an.
Erst die Abkehr vom Integrationsparadigma – die so genannte Governancewende in den
1990er-Jahren – eröffnet eine grundlegend andere (eher in der ‚Vergleichenden
Regierungslehre’ kultivierte) Perspektive auf das europäische Institutionengefüge (Rosamond
2000, 105-106). Governance als neuer Leitbegriff bezeichnet das politikfeldbestimmte
Zusammenwirken gouvernementaler und nicht-gouvernementaler Akteure verschiedener
Handlungsebenen (subnational, national, supranational) bei der Definition und Durchsetzung
europäischer Politiken. Diese Form des ‚Regierens’ ohne exklusive ‚Regierung’ (governance
without government) bzw. des ‚Regierens jenseits der Staatlichkeit’ (governance beyond
states) wird dabei allerdings nicht als europäische Besonderheit gesehen, sondern als
allgemeineres Politikmuster, das sich seit einiger Zeit auch im traditionellen
nationalstaatlichen Rahmen beobachten lässt (Rosamond 2000, 109-111; Armstrong 1999,
746).
Neben den akteurstheoretischen Ansätzen der Politik(netzwerk)analyse (Rosamond 2000,
123-126) umfasst das breite Feld der Governanceforschung verschiedene institutionalistische
2.2 INTEGRATION – GOVERNANCE – DEMOKRATIE/LEGITIMITÄT
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Strömungen (Rational Choice, historischer Institutionalismus, soziologischer
Institutionalismus), die sich zwar in ihrem erkenntnistheoretischen Zugang und in ihrem
Institutionenbegriff eklatant unterscheiden, jedoch sämtlich – unter dem Leitsatz ‚institutions
matter’ – das Eigengewicht von Institutionen im politischen Prozess betonen (Rosamond
2000, 113-122). Als Institutionen im weiteren Sinne gelten dabei „the rules, norms, beliefs,
rhetorics, ideologies, and procedures which shape the interaction between institutional actors
and which orientate the institutional actors to their allotted functions“ (Armstrong 1995, 167).
Institutionelle Akteure üben dieser Auffassung nach nicht nur auf den Prozess der
Politikgestaltung (prozedurale Dimension), sondern auch auf deren Ergebnisse (substanzielle
Dimension) einen originären Einfluss aus. Durch Kombination bewährter und neuartiger
Elemente – Ziele und Mittel, Probleme und Lösungen – zu immer ‚fortschrittlicheren’
Arrangements gelingt ein (pfadabhängiger) institutioneller Wandel, der mit dem jeweiligen
institutionellen Umfeld der Akteure auch diese selbst unter Veränderungsdruck setzt. Als
System betrachtet gewinnt das Institutionengefüge seinen Halt im Wechselspiel von
Selbstreferenzialität und Umweltanpassung.
Das Verhältnis von erster und zweiter Generation europabezogener Theoriebildungen, also
von Integrationsparadigma und Governanceparadigma, muss nicht kompetitiv gedeutet
werden, sondern lässt sich als Differenzierung von ‚grand theory’ (über die Historie des
Einigungsprozesses) und ‚middle-range theory’ (über den europapolitischen Alltag) fassen, so
dass beiderlei Erkenntnisinteressen gewahrt und die jeweiligen Forschungsbeiträge
gegebenenfalls zusammengeführt werden können (Rosamond 2000, 108 u. 111-113). Auch
lässt sich die Integrationsdimension durchaus in die Governanceforschung miteinbeziehen:
etwa wenn zur Klärung der institutionellen Voraussetzungen und Besonderheiten des
Integrationsprozesses auf Argumente des Neofunktionalismus bzw. des
Intergouvernementalismus zurückgegriffen wird oder wenn davon ausgegangen wird, dass mit
zunehmender Vergemeinschaftung von Politikfeldern auch die relative Autonomie
supranationaler Institutionen wächst, in intergouvernemental beherrschten Politikfeldern
hingegen gering bleibt. Schließlich erweisen sich Neofunktionalismus und
Intergouvernementalismus selbst für institutionalistische Argumente aufnahmefähig.
Doch erschöpft sich die sozial- bzw. politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Europa
nicht im Integrationsdiskurs (samt Governancewende), sondern sie hat auch einen davon
weitestgehend unabhängigen Diskurs um die ‚Demokratie/Legitimität’ des europäischen
Institutionengefüges hervorgebracht (Craig 1999, 1-2). Als Verbindungsstück beider Diskurse
eignet sich insofern die Governanceforschung, als sie bereits Übergänge zu normativen,
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demokratietheoretischen Fragestellungen aufweist (Rosamond 2000, 120-121; Craig 1999,
36-42). Um den Zusammenhang von Recht und Politik in Europa herausarbeiten zu können,
bedarf es überdies einer Vermittlung rechts- und politikwissenschaftlicher Forschungsbeiträge
zur EU im Allgemeinen und zum EuGH im Besonderen. Auch hierfür bietet der ‚neue
Institutionalismus’ offenbar einen geeigneten Rahmen (Wincott 1995, 302). Das wird durch
die rechtswissenschaftliche Debatte über das Europarecht unterstrichen, zu deren
Schwerpunktthemen zählen: (a) Staatlichkeit und Verfassung, (b) Recht als
Integrationsinstrument (‚Recht ohne Staat’), (c) Gestalt, Finalität und Legitimität, (d)
Einheitsbildung und Fragmentierung sowie (e) Verfassungsprinzipien. In dieser
Themenvielfalt zeigt sich, dass sich auch die Jurisprudenz vom Integrationsparadigma gelöst
hat. Zum anderen ist die interdisziplinäre Öffnung der Bereiche (b) und (c) augenfällig (von
Bogdandy 2001, 3-43).
In dieser Arbeit soll die rechtliche Dimension einer nachhaltigen Entwicklung in Europa in
den Begriff der „judicial governance“ (Shapiro 1999, 339) übersetzt und institutionalistisch
gedeutet werden. Das Governanceparadigma lässt es dabei zu, sowohl integrationstheoretische
als auch demokratietheoretische Bezüge des Regierens in der Rechtsgemeinschaft
herzustellen.
2.3.1 Der EuGH als Governanceakteur
Die Betrachtung des EuGH als Governanceakteur ist in der aktuellen Debatte nicht
selbstverständlich. Ihr Hauptgegenstand ist die These der Ablösung des ‚judicial activism’
durch ‚judicial restraint’: Nach einer langen Phase des politischen Aktivismus, die von der
EWG-Gründungszeit bis weit in die 1980er-Jahre hineinreichte, wird dem EuGH heute von
vielen Stimmen in Rechts- und Politikwissenschaft eine größere richterliche Zurückhaltung
bescheinigt (als Indizien dafür vgl. Rs. C-109/91, Ten Oever; Rs. C-405/95, Marshall; Rs. C-
267 u. 268/91, Keck; Rs. C-91/92, Faccini Dori sowie die Gutachten 1/94, GATT/WTO; 2/94,
EKMR). Der Verzicht auf politisches Engagement qua Recht wird als Rückkehr zur
Normalität gewürdigt (Rasmussen 1998, 292 und 351-368). Dem Prinzipal-Agenten-Ansatz
zufolge lässt sich diese Entwicklung auf Veränderungen in der Beziehung des EuGH zu den
Mitgliedstaaten zurückgeführen, welche ihm einst das Mandat erteilt haben, auf
Gemeinschaftsebene ihre Interessen wahrzunehmen. Allerdings bleibt der Befund der
2.3 ROLLE DES EUGH IM EUROPÄISCHEN POLITIKZUSAMMENHANG
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Selbstbeschränkung nicht unbestritten, weil der EuGH auch in jüngerer Zeit durchaus
integrationsförderliche Entscheidungen gefällt hat (vgl. nur Rs. C-6 und 9/90, Francovich).
Eine modifizierte These lautet daher, dass in bereits weit entwickelten Bereichen des
Gemeinschaftsrechts eher Zurückhaltung geübt wird, während in weniger entwickelten
Bereichen die Integration durch die Rechtsprechung noch vorangetrieben wird (Beach 2001,
91-97 und 195).
Die in dieser Auseinandersetzung verwendeten Beurteilungskategorien gehen in erster Linie
auf das Paradigma der Integration zurück, d.h., die Rechtsprechung wird hauptsächlich auf
ihre Folgen für die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten geprüft.
Seltener wird auf Bezugsgrößen des Governanceparadigmas oder des Demokratie-/
Legitimitätsparadigmas zurückgegriffen – und wenn doch, dann vor allem, um die Normalität
einer Funktionstrennung und Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative
herauszustreichen, die auch für die europäische Ebene verbindlich gesetzt wird. Erst in eine
(historisch- oder soziologisch-) institutionalistische Perspektive gerückt, wird jedoch die
permanente Politik formende Bedeutung offenbar, die dem EuGH als (konstitutivem) Akteur
im europäischen Governancekontext zukommt.
Dabei ist davon auszugehen, dass der EuGH den politischen Prozess in allen Phasen
beeinflusst: „it can suggest new avenues to be explored, it can legitimate certain choices and
delegitimate others, it can provoke Community legislative intervention, its existence affects
the relationships between the various actors involved in policy debates, it plays a central role
in the implementation of common decisions” (Dehousse 1998, 82). Im institutionalistischen
Ansatz wird argumentiert, dass der EuGH von den Mitgliedstaaten zwar als supranationaler
Agent ihrer Interessen vorgesehen war, sich – einmal institutionalisiert – jedoch ein Stück
weit verselbständigen kann: Er entwickelt sich zu einem selbstbewussten Akteur im
europäischen Governancegefüge, mit dem eigentlich niemand ‚gerechnet’ hat. Die
Mitgliedstaaten werden dieses solange dulden, bis für sie – absolut besehen – die Nachteile
die Vorteile überwiegen. Damit aber eröffnet sich dem EuGH ein gewisser politischer
Entscheidungsspielraum (Shapiro 1999, 327-333). Wie die institutionelle Entwicklung des
EuGH und sein evolvierendes strategisches Umfeld seine politische Funktion prägen und
verändern, lässt sich besonders gut an seinem Beitrag zur (weithin vergemeinschafteten)
regulativen Politik im EG-Binnenmarkt veranschaulichen.
2.3.2 Regulierung durch den EuGH
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Das Konzept des regulativen Staates bezeichnet einen Staat, für den die Markt korrigierende
Regulierungsfunktion von größter Bedeutung ist und Umverteilungsfunktion und
Stabilisierungsfunktion verhältnismäßig schwach ausgeprägt sind. Dieser
regulierungstheoretische Ansatz wurde im Hinblick auf die föderale Ebene der US-Regierung
entwickelt. Auch die Europäische Gemeinschaft lässt sich jedoch als staatsähnliches Gebilde
mit vornehmlich regulativen Funktionen begreifen. Dabei sind der Gemeinschaft von den
Mitgliedstaaten nicht nur die Errichtung und Vollendung des Binnenmarkts (wirtschaftliche
Regulierung), sondern zunehmend auch sozialregulative Aufgaben übertragen worden (soziale
Regulierung i.w.S.). Dazu zählen seit dem EUV-M unter anderem ‚eine Politik auf dem
Gebiet der Umwelt’ und ‚eine Politik auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit’.
In Anlehnung an die (institutionalistische) Regulierungstheorie und den
(institutionalistischen) Governanceansatz kann nun argumentiert werden, dass der EuGH als
Akteur im politischen Prozess innerhalb des ihm übertragenen Aufgabenbereichs
Steuerungsfunktionen wahrnimmt und insbesondere auch (ökonomisch, ökologisch und sozial
i.e.S.) regulierend tätig wird. Dass er als Judikative anders als Legislative und Exekutive im
klassischen Sinne und im Unterschied zu den unabhängigen Regulierungsagenturen, die als
‚fourth branch of government’ im Zentrum der Regulierungstheorie stehen, nicht regulatorisch
agiert, sondern reagiert, ist für den interaktiven Prozess des Regulierens dabei von minderem
Belang. Die institutionellen Voraussetzungen, unter denen unabhängige Agenturen und
Gerichte tätig werden, scheinen überdies sehr ähnlich gelagert: In relativer Autonomie von der
Politik, weder (mehrheits-) demokratisch legitimiert noch kontrolliert, verrichten sie die ihnen
übertragenen Aufgaben; ‚treuhänderisch’ wahren sie das Gemeinwohlinteresse auch dort, wo
dem Gesetzgeber ‚regulatorisches Versagen’ droht (Majone 1996, 47-60 und 284-301;
Majone 2001, 65-75). Diese regulierungstheoretische Rekonstruktion des EuGH ermöglicht es
zum einen, mit dem Begriff des regulativen Staates ein Spezifikum der EU jenseits des
nationalen Wohlfahrtsstaats (und diesseits der global governance) sichtbar zu machen und den
EuGH in diesem regulativen Kontext des Regierens zu platzieren. Zum anderen lassen sich
die Verbindungen der Regulierungstheorie zu demokratietheoretischen Fragestellungen
nutzen, um die Legitimität der politischen Funktionen des EuGH zu ergründen.
Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist, inwieweit der EuGH als Gericht eines
‚wirtschaftlichen Zweckverbandes’, der den Kern der Europäischen Union bildet, überhaupt
öffentliche Interessen (an sozialer Regulierung) verfolgen kann.
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2.3.3. Vertretung öffentlicher Interessen in der EU
In Rechtskonflikten, in denen einzelne Wirtschaftsakteure den Gemeinschaftsorganen
gegenüber stehen, ist das öffentliche Interesse weder mit den Individualinteressen noch mit
dem Gemeinschaftsinteresse identisch. Vor Gericht geht es dann im Grunde um einen
Ausgleich zwischen zweierlei Sonderinteressen. Die Öffentlichkeit kann allerdings ein
Interesse an dem Ergebnis oder der Streitbeilegung als solcher nehmen. In bestimmten Fällen
treten gegen die Gemeinschaft jedoch nicht Einzelne, sondern die Mitgliedstaaten auf, um
zwingende Erfordernisse des allgemeinen Interesses geltend zu machen, die zur Aussetzung
der qua definitione im Gemeinschaftsinteresse liegenden Grundfreiheiten führen können
(Cassis-Formel). Solange keine Gemeinschaftsregelung (Harmonisierung) besteht, die das
Allgemeininteresse wahrt, repräsentieren also die Mitgliedstaaten die Belange des
Gemeinwohls gegenüber der Gemeinschaft, welche wiederum die Interessen der individuellen
Marktteilnehmer vertritt. In dieser vermittelten Form, bisweilen aber auch in direkter Weise,
kehrt auf Gemeinschaftsebene somit die rechtsstaatliche Konstellation wieder, dass eine
Einschränkung der geschützten Interessen Einzelner (Grundrechte) nur im öffentlichen
Interesse zu rechtfertigen ist. In bestimmten Fällen ergreift die Gemeinschaft selber
grundrechtsbeschränkende Maßnahmen, die in einem – supponierten – allgemeinen Interesse
liegen. Insgesamt ist jedoch an einem Unterschied zwischen Gemeinschaftsinteresse und
Allgemeininteresse festzuhalten (Uerpmann 1999, 245-265).
Selbst wenn die Gründungsväter noch annehmen konnten, dass mit der EWG dem
Gemeinwohl am besten gedient ist, das Gemeinschaftsinteresse also mit dem öffentlichen
Interesse zusammenfällt, so hat sich Letzteres in den vergangenen Jahrzehnten doch erheblich
differenziert und verbreitert. Wie sich an der Rechtsprechung in denjenigen Fällen zeigt, in
denen zwecks Ausgleichs von (supranationalem) Gemeinschaftsinteresse und (nationalem)
Allgemeininteresse die Cassis-Formel zur Anwendung kommt, ist die institutionelle Rolle des
EuGH zwiespältig: Zum einen hat er im Hinblick auf den Binnenmarkt die im Vertrag
verankerten Rechte sowohl der Gemeinschaft (Grundfreiheiten) als auch der Mitgliedstaaten
(Schutzanliegen) zu wahren, zum anderen aber bleibt er selbst auf die Vertragsziele
verpflichtet, zu denen mit langer Tradition die Schaffung und Vollendung des Binnenmarkts
zählt. Zu welchem Ergebnis der EuGH bei der Abwägung von Gemeinschaftsinteresse und
Allgemeininteresse gelangt, hängt also auch davon ab, inwieweit die ‚Verfassung Europas’
über die partikularen Interessen eines wirtschaftlichen Zweckverbandes hinaus ein breiteres
Allgemeininteresse in ihre Aufgaben und Ziele einbezieht und inwieweit der EuGH als
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(pfadabhängige) Institution diesen Bestimmungen Folge leisten kann. Die mit dem EUV-M
und dem EUV-A vorgenommenen Veränderungen des Vertrags sind jedenfalls als ein
Hinweis auf eine solche Ausweitung der normativen Basis zu lesen.
Hinzu kommt allerdings eine weitere Voraussetzung: dass Kläger dieses Allgemeininteresse
vor Gericht auch einbringen können. Abgesehen von der Cassis-Formel für die Anerkennung
zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses, repräsentiert durch die Mitgliedstaaten,
und gemeinwohlförderlicher Selbstkontrolle der Gemeinschaftsorgane (wobei das Parlament
jedoch nur in eigener Angelegenheit auftreten kann) besteht auf Gemeinschaftsebene bisher
wenig Raum für Prozesse im öffentlichen Interesse (public interest litigation): Ein Großteil
der möglichen Kläger wird mangels individueller und direkter Betroffenheit vor den
europäischen Gerichten gar nicht zugelassen. Insbesondere betrifft dies Vereinigungen, die
sich dem Schutz diffuser gesellschaftlicher Interessen verschrieben haben (z.B.
Umweltschutz, Verbraucherschutz, Gleichberechtigung). Mit dem Argument, dass gerade in
einem regulativen Staat (bzw. einem regulativen Staatenverbund) das öffentliche Interesse auf
einen zugänglichen und funktionierenden Rechtsweg angewiesen ist, schließt sich der Kreis
zwischen governancetheoretischen und demokratie-/legitimitätstheoretischen Überlegungen:
Fragen des Zugangs zu den Gerichten (access to justice) sind eng verknüpft mit der
Legitimität der Ergebnisse sozialer Regulierung. (In einer Engführung gilt das auch für die
regulatorische Aktivität des EuGH selbst.)
In der Gemeinschaft ist die Erweiterung des Ziel- und Aufgabenkatalogs jedoch nicht mit
einer Verbesserung der Klagemöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Vertreter öffentlicher
Interessen einhergegangen. Demnach ist fraglich, ob die Vertragsrevisionen zu einer
ebenbürtigen Verlagerung (oder Vervielfältigung) der Regulierungsschwerpunkte führen
können, wenn die Voraussetzungen für eine wirksame gerichtliche Kontrolle fehlen. Ein
Ausbau der Klagemöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen (wenn nicht gar für
jedermann) könnte zwar auch im Wege der Rechtsfortbildung geschehen. Wie die jüngsten
Gerichtsentscheidungen zeigen (vgl. Rs. T-177/01, Jégo-Quéré; Rs. C-50/00 P, Unión de
Pequeños Agricultores), führt der sicherere Weg allerdings über den Gesetzgeber, der vom
EuGH auch indirekt zum Handeln aufgefordert wurde. Für den Umweltbereich haben sich die
Klagevoraussetzungen vor kurzem verbessert: Mit der Einführung eines Verbandsklagerechts
im Gültigkeitsbereich der UVP- und der IVU-Richtlinie kommt die Gemeinschaft der
Verpflichtung des 1998 unterzeichneten Aarhus-Übereinkommens nach, in
Umweltangelegenheiten einen weiten Zugang zur Justiz zu gewährleisten (vgl. Richtlinie
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Stand: 30. September 2003
2003/35/EG des EP und des Rates, 26.5.2003) (Reich 1996, 3-7; Krämer 1996, 309-314;
Krämer 2002, 464-465; Nowak 2001, 239).
Unter dem Aspekt nachhaltiger Entwicklung betrachtet genügt es allerdings nicht, den EuGH
zum Treuhänder nicht nur des Gemeinschaftsinteresses, sondern auch des Allgemeininteresses
zu machen, solange dieses wiederum partikularistisch allein auf die jetzigen Unionsbürger
bezogen bleibt: Es fehlen die intragenerative und intergenerative Dimension.
2.3.4 Nachhaltige Entwicklung und die Judikative
Eine (normative) Theorie des Rechts nachhaltiger Entwicklung, die rechtssoziologische
Argumente mit governance- und demokratietheoretischen Argumenten verknüpft, kann
darlegen, dass Richter unter bestimmten Umständen zu Schlüsselfiguren des
gesellschaftlichen Transformationsprozesses werden können. Ausgangspunkt ist – wie bereits
in der (rechts-) ‚soziologischen Bewegung’ – eine Kritik am Rechtsformalismus, der sich dem
sozialen Wandel sperrt, geschweige denn ihn zu gestalten sucht. Dem wird eine
wertbezogene, policy-orientierte Rechtswissenschaft entgegengesetzt, die sich dem Leitbild
nachhaltiger Entwicklung und seinen (substanziellen und prozeduralen) Teilprinzipien
verschreibt (Decleris 2000, 38-48). Drei Fälle sind nun zu unterscheiden: Entweder hat der
Gesetzgeber den Nachhaltigkeitsgrundsatz noch gar nicht in die Rechtsordnung übernommen;
oder er hat ihn zwar (primärrechtlich) übernommen, berücksichtigt ihn aber
(sekundärrechtlich) nicht; oder er hat ihn übernommen und richtet sich im Großen und
Ganzen auch nach ihm. In Fall eins fehlt eine eigenständige Rechtsgrundlage; in Fall zwei ist
Untätigkeit des Gesetzgebers das Grundproblem; in Fall drei können Rechtskonflikte
tatsächlich auftreten und gerichtlich entschieden werden. Die nachhaltigkeitsorientierte
Rechtsprechung bliebe im Grunde auf Fall drei beschränkt; Fälle eins und zwei wären nicht
justiziabel.
An dieser Stelle kommen zum einen governancetheoretische Einsichten über die
institutionellen Eigenarten und die Interaktion von Legislative und Judikative ins Spiel, zum
anderen demokratietheoretische Überlegungen über die Bedingungen der Legitimität
richterlichen Eingreifens in den politischen Prozess. Kurz gefasst: Es lässt sich argumentieren,
dass Richter langfristige (und ‚großräumige’) öffentliche Interessen besser verteidigen können
als Politiker, weil sie weniger abhängig sind vom Auf und Ab der politischen Konjunktur und
weniger beeinflussbar von machtvollen Lobbies; zugleich sind sie umso stärker gebunden an
das (annahmegemäß von nachhaltiger Entwicklung affizierte) Recht. Der Vorzug der
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Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs
Stand: 30. September 2003
Unabhängigkeit der Richterschaft ist zugleich ihr wichtigstes Manko gegenüber Politikern: Im
Gegensatz zur Legislative ist die Judikative demokratisch nicht direkt kontrollierbar.
(Ausgleich könnte in der höheren Legitimität ihrer Interessenrepräsentation durch den
gewählten ‚altruistischen’ Bezugsrahmen liegen.) Im Wege der Rechtsfortbildung kann die
Judikative nun – punktuell – legislative Funktionen übernehmen (Richterrecht) und somit den
Gesetzgeber partiell ersetzen bzw. zum Handeln animieren. Damit aber wären die Richter
prädestinierte ‚Garanten nachhaltiger Entwicklung’ (Decleris 2000, 9-10 und 69-79). Diese
Konstellation ist im Fall zwei am wirksamsten, in dem bereits eine Verfassungsbestimmung
oder andere fundamentale Rechtstitel zur nachhaltigen Entwicklung bestehen, während Fall
eins mangels Nexus vom internationalen soft law zum einzelstaatlichen hard law
rechtsdogmatisch größere Probleme aufwirft.
Dieses Plädoyer für ein Engagement der Judikative zugunsten nachhaltiger Entwicklung weist
starke Ähnlichkeit zu Erklärungskonzepten auf, die sich mit dem richterlichen Aktivismus des
EuGH in den ersten drei Jahrzehnten der E(W)G befassen. Üblicherweise wird davon
ausgegangen, dass der EuGH – legitimerweise – für den Gemeinschaftsgesetzgeber
‚eingesprungen’ ist, als dieser den Integrationsprozess selbst nicht voranzubringen vermochte.
Entsprechend entfällt die Berechtigung zu einer politischen Instrumentalisierung des Rechts,
sobald sich die Gesetzgebungstätigkeit normalisiert hat (Rasmussen 1998, 351-368). Wenn
dem Gemeinschaftsgesetzgeber nun zwar keine generelle Untätigkeit vorgeworfen werden
kann, jedoch eine mangelnde (sekundärrechtliche) Operationalisierung des
Nachhaltigkeitsziels, könnte der EuGH somit zum regulativen Einschreiten legitimiert sein.
2.3.5 Marktregulierung durch den EuGH
Die für die europäische Integration so fundamentale wirtschaftliche Dimension materialisiert,
institutionalisiert und konstitutionalisiert (Weiler 1999) sich zuallererst in der Herstellung und
Regulierung des gemeinsamen Marktes bzw. des Binnenmarkts. Dabei haben drei
Bestimmungen des EG-Vertrags eine hohe Bedeutung erlangt: Artikel 28 verbietet für den
Warenverkehrsbereich mengenmäßige Beschränkungen von Importen sowie Maßnahmen
gleicher Wirkung (Deregulierung); Artikel 30 nennt Rechtfertigungsgründe für Verstöße
gegen Artikel 28 (Regulierung); Artikel 95 enthält die binnenmarktbezogene
Harmonisierungskompetenz der Gemeinschaft (Re-Regulierung). Die Entscheidung über
Deregulierung oder Regulierung treffen die Gerichte; über Re-Regulierung wird im
Gesetzgebungsprozess beschlossen (Armstrong 1995, 173). Die richterliche Auslegung der
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Artikel 28 und 30 hat in der Vergangenheit die Gestaltung europäischer Regulierungspolitiken
entscheidend beeinflusst. Sie führte zu einer effizienteren Implementation des
Binnenmarktziels, warf aber auch Fragen auf nach der Abgrenzung von legislativen und
judikativen Aufgaben (EuGH als Policy-Initiator), dem Verhältnis von negativer und positiver
Integration (Deregulierung als ‚Norm’) und der Zuständigkeit für Regulierungsentscheidungen
(Beschränkung nationalstaatlicher Autonomie). An diesem markanten Beispiel lassen sich
daher ebenso das institutionelle Gewicht und die politische Bedeutung des EuGH innerhalb
der europäischen Governance veranschaulichen wie Bezüge zur Integrations- und zur
Demokratie-/Legitimitätsproblematik herstellen (Craig/de Búrca 2003, 613-614 und 676-677).
Die Rechtsprechung des EuGH zu den Kernbestimmungen der Warenverkehrsfreiheit lässt
sich nach den Leitentscheidungen Dassonville (1974), Cassis de Dijon (1979) und Keck und
Mithouard (1993) in drei Phasen gliedern oder auch – den evolutionären Ablauf betonend –
drei aufeinander folgenden ‚Generationen’ (Weiler 1999) zuordnen: Dassonville steht dann
für die 1960er-/1970er-Jahre; Cassis für die 1970er-/1980er-Jahre und Keck für die 1980er-/
1990er-Jahre. In Cassis und Keck hat der EuGH jeweils in Reaktion auf Problembestände
seiner vorigen Rechtsprechung in einem Präzedenzfall die heranzuziehenden
Entscheidungsgründe revidiert und eine neue Linie von Urteilen vorgezeichnet. Im Zuge
dieser Nuancierungen und Selbstkorrekturen kommt es allerdings auch zu Verschiebungen in
der Interpretation der den Verträgen eingeschriebenen europäischen Wirtschaftsverfassung,
deren Substrat die vier Freiheiten und die Wettbewerbsbestimmungen bilden. Der EuGH fällt
mit seiner Auslegung allgemein gehaltener Vertragsbestimmungen, die letztlich nur durch
intergouvernementale Übereinkunft ‚richtig’ zu stellen ist, jedoch weitreichende
institutionelle Entscheidungen, für die er nicht immer als ausreichend kompetent und
legitimiert anzusehen ist. De facto urteilt er nicht nur über die Zulässigkeit öffentlicher
Eingriffe in die Grundfreiheiten der Marktteilnehmer, sondern auch darüber, wem diese
Regulierungsbefugnisse unter welchen Umständen zukommen: der supranationalen Ebene
oder den Mitgliedstaaten; dem Gemeinschaftsgesetzgeber oder – ihm selbst (Poiares Maduro
1998, 159-160 und 168-169). Dass es dem EuGH möglich wurde, solch weitreichende
regulierungspolitische Funktionen zu übernehmen, ergibt sich in einer institutionalistischen
Betrachtung aus der relativen Autonomie, die er im Verhältnis zu den Akteuren seines
Umfelds gewonnen hat: ob den Regierungen der Mitgliedstaaten, anderen supranationalen
Einrichtungen oder Dritten (z.B. der Privatwirtschaft bzw. Zivilgesellschaft) gegenüber.
Die institutionelle Dynamik von Dassonville über Cassis zu Keck lässt sich folgendermaßen
nachzeichnen: Die Dassonville-Formel untersagt alle mitgliedstaatlichen Handelsregelungen,
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die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel ‚unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich
oder potenziell’ zu behindern und stellt damit weite Bereiche staatlicher Regulierung zur
Disposition. Dem Gemeinschaftsgesetzgeber gelingt es allerdings nicht, durch harmonisierte
(Re-) Regulierungsmaßnahmen einen Ausgleich zwischen Marktfreiheiten und legitimen
Schutzinteressen zu schaffen; eine Regulierungslücke entsteht.
Mit dem Cassis-Urteil eröffnet der EuGH daraufhin den Mitgliedstaaten die Möglichkeit,
neben den Ausnahmeregelungen in Artikel 30 (Gründe der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung
und Sicherheit; Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen;
Schutz des nationalen Kulturguts; Schutz des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums)
auch ‚zwingende Erfordernisse’ (z.B. Verbraucherschutz oder Umweltschutz) geltend zu
machen: Demnach verstoßen Schutzpolitiken mit (potenziell) handelshemmender Wirkung
dann nicht gegen die Bestimmungen des Artikels 28, wenn sie den Kriterien der
Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit genügen. Zudem wird der
Harmonisierungsbedarf auf Gemeinschaftsebene durch das Prinzip der gegenseitigen
Anerkennung (bzw. des funktionalen Parallelismus), das unter Voraussetzung der
Gleichwertigkeit unterschiedlicher nationaler Schutzregime gilt, erheblich herabgesetzt.
Dieser Grundsatz inspiriert die Europäische Kommission Mitte der 1980er-Jahre zu einem
‚Neuen Ansatz’ der Harmonisierung, der zwar den Gesetzgebungsprozess spürbar entlastet,
aber komplexere, undurchsichtigere Governance-Strukturen aufbaut. Mit seiner
Rechtsprechung trägt der EuGH somit entscheidend zur Institutionalisierung der Kontrolle der
Gemeinschaft über die Freiheit des Warenverkehrs bei; mitgliedstaatliche
Regulierungsvorbehalte bleiben die – restriktiv gehandhabte – Ausnahme (Armstrong 1995,
175-178). Institutionell bewegt sich die Binnenmarktregulierung in diesem Zeitraum zwischen
einem kompetitiven Modell (Regulierungswettbewerb; gegenseitige Anerkennung; Primat des
Marktes) und einem zentralisierten Modell (Erosion nationaler Regulierungen;
Harmonisierung; Primat der Politik) der europäischen Wirtschaftsverfassung (Poiares Maduro
1998, 103-143). Integration und (Re-) Regulierung sind gleichlaufend: Beide wirken auf eine
Stärkung der supranationalen Ebene hin.
Dieser Zusammenhang wird im Vorfeld von Keck jedoch zunehmend brüchig; insbesondere
zeigt der EuGH in solchen Fällen Zurückhaltung, in denen er über mitgliedstaatliche
Schutzmaßnahmen von erheblicher innenpolitischer oder kultureller Bedeutung, jedoch mit
nur unsicheren Wirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel zu richten hat. Schließlich
vollzieht er mit Keck, was nationale Sonderregeln über Verkaufs- und Vertriebsmodalitäten
angeht, eine symbolträchtige Wende in seiner Rechtsprechung: Demnach werden
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absatzbezogene Regelungen im Unterschied zu produktbezogenen Regelungen nicht mehr als
(potenzielle) Handelshemmnisse im Sinne des Artikels 28 gewertet. Als institutioneller
Akteur nimmt der EuGH somit den eigenen umfassenden Kontrollanspruch, der ihm im
‚vollendeten’ Binnenmarkt zunehmend zur Bürde geworden ist, zurück (Armstrong 1995,
178-183). Dieser Volte in der juridischen Binnenmarktregulierung entspricht als
institutionelles Pendant wohl am ehesten ein dezentralisiertes Modell der europäischen
Wirtschaftsverfassung (Regulierungswettbewerb; Nichtdiskriminierung; Primat der Politik)
(Poiares Maduro 1998, 143-149).
Insgesamt hat der EuGH mit seiner binnenmarktbezogenen Rechtsprechung entscheidend zur
Erweiterung (Inhalte, Akteure) und Vertiefung (Zentralisierung, Konstitutionalisierung) der
europäischen Governance beigetragen. Die Zurückhaltung, die er sich in der jüngsten
Generation von Artikel-28-Urteilen auferlegt hat, lässt sich allerdings nicht nur auf ein
disziplinierendes Umfeld zurückführen, das keinen richterlichen Aktivismus mehr duldet (was
gerne als Bestätigung des – intergouvernementalistischen – Prinzipal-Agenten-Ansatzes
gesehen wird), sondern ergibt sich auch aus der institutionellen Entwicklung selbst: Zum
einen sind die wichtigsten Hindernisse auf dem Weg zum Binnenmarkt beseitigt;
offenkundigem nationalstaatlichen Protektionismus ist die (normative) Grundlage entzogen;
die großen Entscheidungen sind gefallen. Zum anderen wächst mit dem Erfüllungsgrad des
Binnenmarktziels automatisch der Stellenwert anderer Ziele; auch hat sich das Recht auf den
sozialen Wandel einzustellen (oder diesen mitzugestalten), durch den beispielsweise
Verbraucherschutz und Umweltschutz in der Wertehierarchie aufgerückt sind. Hinzu kommt,
dass die supranationale Ebene für die soziale/ökologische Regulierung des Binnenmarktes
keine ungeteilte Zuständigkeit besitzt und demzufolge Integrations- und
Regulierungsansprüche in Widerspruch zueinander treten. All dies spiegelt sich schließlich in
der nicht auf Effizienzfragen reduzierbaren Demokratie-/Legitimitätsdebatte. Unter diesen
Bedingungen sind die bedachten Fallentscheidungen des EuGH eher Ausdruck eines
institutionell gereiften, gleichwohl potenten Governanceakteurs: Nicht nur die Quantität,
sondern auch die Qualität der Fälle zeugt vom anhaltenden politischen Gewicht des EuGH.
Und selbst wenn dieser die Entscheidung besonders heikler Konflikte an die Politik i.e.S.
zurückgibt, verleiht er ihnen im institutionellen Kontext der Rechtsgemeinschaft doch eine
spezifische (prozedural wie substanziell wirksame) Dimension (Shapiro 1999, 331-345).
3. NACHHALTIGE ENTWICKLUNG IM RECHT
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In der ‚Agenda 21’ (=Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert), einem von mehr als 170
Staaten verabschiedeten Abschlussdokument der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung
(UNCED), die im Juni 1992 in Rio de Janeiro stattfand, wird der (völker-) rechtlichen
Steuerung ein übergreifendes, gleichwohl knapp gehaltenes Kapitel gewidmet (Abschnitt IV
‚Möglichkeiten der Umsetzung’, Kapitel 39 ‚Internationale Rechtsinstrumente und
-mechanismen’). Dieses gibt der internationalen Staatengemeinschaft eine Weiterentwicklung
und Kodifizierung des ‚internationalen Rechts für nachhaltige Entwicklung’ zur Verbesserung
der Integration von Umwelt- und Entwicklungsbelangen auf, wobei internationale
Rechtsbestände auf Konflikte zwischen dem ‚Umweltbereich’ und den ‚Bereichen Wirtschaft
und Soziales’ geprüft und Prioritäten für die künftige Rechtssetzung auf ‚globaler, regionaler
oder subregionaler Ebene’ festgelegt werden sollen. Die Beilegung von Streitigkeiten im
Bereich nachhaltiger Entwicklung soll von den Staaten weiter eruiert werden, und zwar auch
mit Blick auf die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs (welche freilich das
Einvernehmen der Streitparteien voraussetzt). Die Agenda 21 begreift das Recht insofern als
politisches Gestaltungsmittel, als Steuerungsinstrument für den gesellschaftlichen Wandel
(Streinz 1998, 464-465). Insoweit Recht und Praxis der EU als Teil der völkerrechtlichen
Praxis zu verstehen sind (wenn auch nicht darin aufgehen), liefert das internationale Recht
auch erste Anhaltspunkte für den rechtlichen Status des Konzepts nachhaltiger Entwicklung in
der EU (Epiney 1999, 45).
Um den völkerrechtlichen Status nachhaltiger Entwicklung zu klären, ist zunächst zwischen
dem Gesamtkonzept und seinen einzelnen Elementen zu unterscheiden. Als Letztere gelten
vor allem die (nur zum kleineren Teil schon gewohnheitsrechtlich anerkannten) Prinzipien der
Erklärung von Rio (ebenfalls UNCED 1992), welche historisch an die ‚Stockholmer
Erklärung über die menschliche Umwelt’ (1972) anknüpft. In Rio wurden die Prinzipien des
Umweltvölkerrechts erstmals systematisch auf das Leitbild nachhaltiger Entwicklung
ausgerichtet und seither in unterschiedlichen Gremien weiterentwickelt (z.B.
Prinzipienkataloge der UNEP und der CSD); die Johannesburger Erklärung des
Jubiläumsgipfels zehn Jahre nach Rio erbrachte hier allerdings keine Fortschritte. Als
Kernprinzipien können das Integrationsprinzip (Kohärenz von Wirtschafts- und
Umweltpolitik), das Nachhaltigkeitsprinzip i.e.S. (Verhütung von Umweltschäden), das
Vorsorgeprinzip (Vermeidung von Umweltrisiken), das Internationalisierungsprinzip (globale
3.1 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS INTERNATIONALES RECHTSPRINZIP
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Stand: 30. September 2003
Zusammenarbeit), das Solidaritätsprinzip (intra- und intergenerative Gerechtigkeit) und das
Partizipationsprinzip (‚good governance’) gelten (Hohmann 1999, 26-27).
Mindestens zwei Gründe sprechen nun gegen die Verbindlichkeit und Justiziabilität dieser
Prinzipien: (1) Dass sie nicht vertraglich vereinbart wurden und/oder (2) dass sie nicht
operabel sind. Demzufolge beschränkt sich ihre (rechtliche) Funktion darauf, die Auslegung
und Anwendung von Verträgen des Umweltvölkerrechts anzuleiten. Als Verhaltensnormen
für die Staaten bleiben sie jedoch politischer Natur und damit unverbindlich: „Prinzipien sind
nicht das ‚trojanische Pferd’, mit dessen Hilfe der Weg vom Politischen – ‚nachhaltige
Entwicklung’ – zum Rechtlichen – Umweltvölkerrecht – ohne größeres Aufsehen geschafft
wird.“ (Lang 1999, 19). Diese ‚enge Auffassung’ berücksichtigt jedoch unzureichend die
(mögliche) ‚Präzisierungs- und Etablierungsfunktion’ und die (mögliche)
‚Lückenfüllungsfunktion’ solcher Prinzipien. Erstere steht für die Annahme, dass Prinzipien
des soft law durch kontinuierliche Wiederholung und Reformulierung gewohnheitsrechtliche
Wirkung entfalten und damit verbindliche Pflichten etablieren können, auch ohne in
völkerrechtliche Verträge transponiert worden zu sein. Letztere folgt der Auffassung, dass
Prinzipien des soft law die Auslegung vager Rechtsbegriffe erleichtern und – im Falle des sog.
Strukturprinzipien-Ansatzes – eine Weiterentwicklung etablierter Prinzipien anregen können.
Damit aber könnten verbindliche Pflichten zumindest modifiziert (beschränkt oder erweitert)
werden (Hohmann 1999, 30-41).
Je nach dem, welche Argumente als ausschlaggebend erachtet werden, kann das Konzept
nachhaltiger Entwicklung über die Prinzipien von Rio (u.ff.) also keinen, einen (mittelbar-)
mittelbaren oder einen (mittelbar-) unmittelbaren Einfluss auf den Bestand völkerrechtlicher
Pflichten gewinnen: keinen, weil/wenn die Rio-Prinzipien nicht verbindlich bzw. nicht
operabel sind; einen mittelbaren, weil/wenn sie zur Rechtsfortbildung anregen; einen
unmittelbaren, weil/wenn sie selbst gewohnheitsrechtlich etabliert werden. Als ein schneller
erster Umsetzungserfolg des intergenerativen Solidaritätsprinzips in der Rechtsprechung
könnte die – rechtsmethodisch freilich umstrittene – Oposa-Entscheidung des Höchsten
Gerichts der Philippinen gewertet werden, welches ein Jahr nach Rio das (in der
philippinischen Verfassung verankerte) Recht auf eine gesunde Umwelt auch den zukünftigen
Generationen zubilligte, in diesem Fall vertreten durch die Eltern Minderjähriger (Rest 1996,
152f; Streinz 1998, 468).
Der (rechts-) normative Charakter des Gesamtkonzepts ist noch schwerer zu fassen. Im
Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass nachhaltige Entwicklung auf internationaler
Ebene die Schwelle zum Rechtsbegriff nicht überschritten hat. Dementsprechend wird
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Stand: 30. September 2003
bezweifelt, dass sich das Konzept bereits zur Lösung konkreter Rechtsfragen eignet (Streinz
1998, 467). Eine völkerrechtliche Pflicht, sich nachhaltig zu entwickeln, lässt sich in den
Worten und Taten der internationalen Staatengemeinschaft nicht belegen. Insbesondere sind
die Schlüsselkonstrukte intra- und intergenerativer Gerechtigkeit völkerrechtlich nicht
positiviert – weder vertraglich noch gewohnheitsrechtlich (Schröder 1996, 271-273).
Allenfalls gilt das nachhaltige Entwicklung als Prinzip des Völkergewohnheitsrechts, das
selbst keine Pflichten begründet, aber bei der Auslegung völkerrechtlicher Regeln
herangezogen werden kann (Epiney 1999, 47). Zu einem anderen Schluss gelangt man nur im
Hinblick auf die tatsächliche völkerrechtliche Verwendung des Begriffs etwa in der
Klimarahmenkonvention; aber auch dort bleibt sein Rechtscharakter unklar (Calliess 1998,
561).
Trotz verschiedentlicher Operationalisierungsversuche (Teilprinzipien, Managementregeln,
Indikatorensysteme) stehen fundamentale Wertkonflikte und rhetorische Beliebigkeit einer
Kodifizierung des Begriffs und der in ihm angelegten Rechte und Pflichten entgegen. Der
Internationale Gerichtshof hat sich im ersten dort anhängigen ‚Nachhaltigkeitskonflikt’ (den
Gabĉikovo-Nagymaros-Staudamm betreffend) also verständlicherweise eines direkten (Wert-)
Urteils darüber enthalten, was in diesem Fall als nachhaltig oder nicht-nachhaltig anzusehen
ist (Boyle/Freestone 1999, 16). Dennoch sprechen einige Argumente für die rechtliche
Verwendung des Konzepts nachhaltiger Entwicklung, nämlich als Metanorm für den
gerichtlichen Gebrauch. Gemeint sind damit Normen zweiter Ordnung, die den Richtern
Argumentations- und Entscheidungshilfen in solchen Fällen bieten, in denen
(gewohnheitsrechtliche und/oder vertragliche) Normen erster Ordnung konfligieren, also
Abwägungsentscheidungen zu treffen sind. Auch wo das Leitbild nachhaltiger Entwicklung
noch nicht kodifiziert ist, kann es über die Urteilsbegründungen in die Rechtsprechung
einfließen und normative Kraft und institutionelle Wirkung entfalten (Lowe 1999, 31-35).
3.2.1 Wandel der Verträge
Der Europäische Konvent hat im Juni/Juli 2003 seine Arbeit an einen Entwurf des ‚Vertrages
über eine Verfassung für Europa’ abgeschlossen (2003/C 169/01). Siebenmal findet dort der
Ausdruck ‚nachhaltige Entwicklung’ Verwendung. Ein Vergleich dieser Textstellen mit den
entsprechenden Passagen in früheren Vertragsversionen gibt Aufschluss über die Evolution
3.2 NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS EUROPÄISCHES RECHTSPRINZIP
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einer Nachhaltigkeitssemantik im Vokabular der europäischen Legislative. In vier Bereichen
hat sich der Nachhaltigkeitsbegriff mitsamt den Verträgen seit Amsterdam ‚konsolidiert’: in
der Präambel und den allgemeinen Zielen der Union sowie in den Bereichen Umwelt und
Entwicklungszusammenarbeit.
Zur Präambel: Während in den Erwägungsgründen des EWGV (1957) im Wesentlichen auf
den ‚wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt’ der Mitgliedsländer abgehoben wird
(‚beständige Wirtschaftsausweitung’, ‚harmonische Entwicklung’), aber auch die Förderung
des ‚Wohlstands der überseeischen Länder’, denen sich Europa ‚verbunden’ weiß,
herausgestellt wird, ist die Präambel der EEA (1986) zwar vor allem um eine institutionelle
Vertiefung der Gemeinschaft bemüht, aber auch um die Verbesserung der ‚wirtschaftlichen
und sozialen Lage’ durch ‚Verfolgung neuer Ziele’ bestrebt (die allerdings hier – und in den
Zielbestimmungen – nicht genauer genannt werden). Der siebte Erwägungsgrund des EUV-M
(1992) bereitet dann – indem der ‚wirtschaftliche und soziale Fortschritt’ erstmals mit
‚Umweltschutz’ in Verbindung gebracht wird – das Umfeld vor, in das später im EUV-A
(1997) (hier als achter Erwägungsgrund) der Nachhaltigkeitsgrundsatz nur noch eingepasst zu
werden braucht: „In dem festen Willen, im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts
sowie der Stärkung des Zusammenhalts und des Umweltschutzes den wirtschaftlichen und
sozialen Fortschritt ihrer Völker [unter Berücksichtigung des Grundsatzes der nachhaltigen
Entwicklung] zu fördern und Politiken zu verfolgen, die gewährleisten, dass Fortschritte bei
der wirtschaftlichen Integration mit parallelen Fortschritten auf anderen Gebieten einhergehen
[…]“. Während der EUV-N (2001) keine Veränderungen der Präambel bringt, setzt sich die
Präambel des Verfassungsentwurfs (2003) als Neuschöpfung textlich deutlich von ihren
Vorläufern ab und nimmt mit dem Verweis auf die ‚Verantwortung gegenüber den künftigen
Generationen und der Erde nur indirekt auf den Nachhaltigkeitsgedanken Bezug (Absatz 5); in
der Präambel der in die Verfassung eingelassenen Charta der Grundrechte (die ihrerseits von
Nizza datiert) wird die ‚Förderung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung’ jedoch
ausdrücklich benannt und der ‚Sicherstellung des freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs-
und Kapitalverkehrs sowie der Niederlassungsfreiheit’ nebengeordnet (Absatz 2).
Zu den Zielen: Der EWG konzentrierte sich im Interesse an einer ‚harmonischen Entwicklung
des Wirtschaftslebens’, ‚einer beständigen und ausgewogenen Wirtschaftsausweitung’ und
einer ‚beschleunigten Hebung der Lebenshaltung’ auf die ‚Errichtung eines Gemeinsamen
Marktes’. Diese Zielbestimmungen passieren – trotz Einbau eines Umwelttitels in den
Vertragskorpus – unergänzt die EEA und ändern sich erst mit dem EUV-M, der die Union vor
allem auf einen ‚ausgewogenen und dauerhaften wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt’
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ausrichtet (Artikel B) bzw. der Gemeinschaft eine ‚harmonische und ausgewogene
Entwicklung’, ein ‚beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum’ und
die ‚Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität’ aufgibt (Artikel 2); folgerichtig wird
unter den Tätigkeiten der Gemeinschaft ‚eine Politik auf dem Gebiet der Umwelt’ aufgeführt
(Artikel 3k). Eingefügt wird in den Tätigkeitskatalog auch ‚eine Politik auf dem Gebiet der
Entwicklungszusammenarbeit’ (Artikel 3q), die bereits mit der Forderung einer ‚Kohärenz’
der Außenpolitiken der Union, einschließlich Wirtschafts- und Entwicklungspolitik (Artikel
C, Absatz 2), einhergeht. Der EUV-A sieht für die Union nun neben der ‚Förderung des
wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts’ die ‚Herbeiführung einer ausgewogenen und
nachhaltigen Entwicklung’ vor (Artikel 2 EUV). Auch in Bezug auf die Gemeinschaft wird
nachgesetzt: Der EUV-A fordert in Abgrenzung vom EUV-M jetzt eine ‚harmonische,
ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens’, zieht das Attribut
‚umweltverträglich’ überdies vom ‚Wachstumziel’ ab und baut es zum eigenständigen
Umweltziel (‚hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität’) aus
(Artikel 2 EGV). Im EUV-N bleibt es erstmal dabei; der Verfassungsentwurf wartet dann in
einer Neuformulierung der Ziele der EU aber gleich zweimal mit dem Nachhaltigkeitsbegriff
auf, einmal in seiner internalen, einmal in seiner externalen Dimension: „Die Union strebt die
nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen
Wirtschaftswachstums an, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft,
die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an
Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität. […] In ihren Beziehungen zur übrigen
Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen. Sie trägt bei zu Frieden,
Sicherheit, nachhaltiger Entwicklung der Erde, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter
den Völkern, freiem und gerechtem Handel, Beseitigung der Armut und Schutz der
Menschenrechte […].“ (Artikel I-3, Absatz 3 und 4).
Zur Umwelt: Dem Vorherigen lässt sich entnehmen, dass sowohl der Umweltbegriff als auch
der Nachhaltigkeitsbegriff in den variierenden Präambeln und Zielbestimmungen der Verträge
eine je eigene Semantik entfaltet haben: Sie gehen nicht ineinander auf. Dieses bestätigt sich
im Umwelttitel, der das erste Mal in der EEA auftaucht (mit geteilter Zuständigkeit zwischen
Gemeinschaft und Mitgliedstaaten) und ohne große Veränderungen in den kommenden
Verträgen fortgeschrieben wird. Als Ziele gelten seither: ‚Erhalt und Schutz der Umwelt’,
‚Verbesserung der Umweltqualität’, ‚Schutz der menschlichen Gesundheit’; zu den
Handlungsgrundsätzen zählen: ‚rationelle Ressourcennutzung’, ‚Ursprungsprinzip’,
‚Grundsatz der Vorbeugung’, ‚Verursacherprinzip’ (Artikel 130r). Darüber hinaus zielt der
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EUV-M auf ein hohes Schutzniveau, setzt außerdem auf internationale Maßnahmen und fügt
dem Präventionsprinzip das Vorsorgeprinzip hinzu (Artikel 130r). Der EUV-A formuliert
zusätzlich eine Schutzklausel für Mitgliedstaaten, die über das harmonisierte Maß an
Umweltschutz hinausgehen wollen (Artikel 174). Dem hat der EUV-N nichts hinzufügen;
auch der Verfassungsentwurf verzeichnet keine wesentlichen Änderungen (Artikel III-129).
Eine interessante Entwicklung nimmt allerdings die sog. Querschnittsklausel, die bereits in
der EEA unter den umweltpolitischen/-rechtlichen Handlungsgrundsätzen steht und zunächst
lautet: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes sind Bestandteil der anderen Politiken der
Gemeinschaft.“ (Artikel 130r, Absatz 2, Satz 2). Im EUV-M wird der Handlungsauftrag
deutlicher formuliert: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes müssen bei der Festlegung und
Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken einbezogen werden.“ (Artikel 130 r, Absatz 2,
Satz 3). Einen größeren Wandel bringt schließlich der EUV-A mit sich, der die Bestimmung
auf alle Gemeinschaftsmaßnahmen ausdehnt und überdies auf den Nachhaltigkeitsgrundsatz
zuspitzt. Ebenso wichtig wie die inhaltliche Qualifizierung ist aber die Verlagerung der
Querschnittsklausel vom speziellen Umwelttitel in die allgemeinen Grundsätze des EG-
Vertrags, wodurch sie eine größere Ausstrahlungswirkung auf die verschiedenen Teilbereiche
des Vertrags erreicht. Der neue Artikel 6 lautet somit: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes
müssen bei der Festlegung und Durchführung der in Artikel 3 genannten
Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen
Entwicklung einbezogen werden.“ (Die mit dem EUV-A vollzogenen Veränderungen stellen
einen Kompromiss dar zwischen der Kommission, die für eine Art Grundrecht auf Umwelt
plädierte, und den Mitgliedstaaten, die es bei der Aufnahme der nachhaltigen Entwicklung in
die Zielbestimmungen bewenden lassen wollten.) Im EUV-N ändert sich am erreichten Stand
nichts. Auch im Verfassungsentwurf spielt die Querschnittsklausel wieder eine wichtige
Rolle. Praktisch wortgleich steht sie zum einen in den allgemein anwendbaren Bestimmungen
der Union (Artikel III-4), erneut umformuliert zum anderen im Kapitel ‚Solidarität’ der Charta
der Grundrechte (allerdings nicht als Grundrecht, sondern als Programmsatz): „Ein hohes
Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität müssen in die Politiken der
Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt
werden.“ (Artikel II-37). Daraus dass der Umwelttitel des Vertrags ohne den Begriff
nachhaltiger Entwicklung auskommt, der Nachhaltigkeitsbegriff aber immer dort
herangezogen wird, wo wirtschaftliche und soziale Entwicklungsziele unter den Vorbehalt
ökologischer Ansprüche und Begrenzungen gestellt werden und folglich die Integration
unterschiedlicher Politiken (insbesondere Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik)
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Stand: 30. September 2003
geleistet werden muss, geht hervor, dass sich die Vertragsautoren insgesamt von einem
mehrdimensionalen Nachhaltigkeitsbegriff leiten lassen.
Zur Entwicklungszusammenarbeit: Erst seit dem EUV-M zählt zu den Tätigkeiten der
Gemeinschaft auch die entwicklungspolitische Zusammenarbeit (in geteilter Zuständigkeit mit
den Mitgliedstaaten) und erhält – neben dem unverändert übernommenen Abschnitt zur
Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete – einen eigenen Vertragstitel.
Ähnlich wie der Umwelttitel enthält er neben einigen wesentlichen Zielbestimmungen eine
Querschnittsklausel, und auch hier spielt der Nachhaltigkeitsgrundsatz hinein. Bereits im
EUV-M wird die Förderung der ‚nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der
Entwicklungsländer’ als erstes Ziel der Entwicklungszusammenarbeit genannt, andere Ziele
sind die ‚harmonische, schrittweise Eingliederung der Entwicklungsländer in die
Weltwirtschaft’, ‚Armutsbekämpfung’, ‚Fortentwicklung und Festigung der Demokratie und
des Rechtsstaats’ und ‚Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten’ (Artikel 130u).
Gemäß der Querschnittsklausel gilt: „Die Gemeinschaft berücksichtigt die Ziele des Artikels
130u bei den von ihr verfolgten Politiken, welche die Entwicklungsländer berühren können.“
(Artikel 130v). Diese Bestimmungen ändern sich weder im EUV-A (hier kommt allerdings
ein separater Titel zur wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Zusammenarbeit mit
Drittländern hinzu (Artikel 181a), für den der Verfassungsentwurf später präzisiert, dass es
hierbei nicht um Entwicklungsländer geht (Artikel III-221)) noch im EUV-N. Im
Verfassungsentwurf wird der Titel zur Entwicklungszusammenarbeit hingegen neu
strukturiert: Wieder wird die Querschnittsklausel aus dem Spezialtitel ausgegliedert und
verallgemeinert. Diesmal wechselt sie allerdings nicht in die allgemein anwendbaren
Bestimmungen der Union insgesamt (Titel III-1), sondern in die allgemein anwendbaren
Bestimmungen des auswärtigen Handelns der Union (Titel III-V). In Artikel III-193, Absätze
1 und 2 werden dort zunächst außenpolitische Zielsetzungen aufgeführt; dazu zählen – neben
der ‚Gewährleistung der Werte und Interessen der Union’, der ‚Integration aller Länder in die
Weltwirtschaft’, der ‚Förderung des Völkerrechts’ und der ‚multilateralen Zusammenarbeit’ –
auch die Förderung der ‚nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und
Umwelt in den Entwicklungsländern’ mit dem Schwerpunkt ‚Armutsbeseitigung’ (Absatz 2,
Buchstabe d) und die Unterstützung der ‚Entwicklung von internationalen
Umweltmaßnahmen, um eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen’ (Absatz 2, Buchstabe
f). Hierauf bezieht sich dann die allgemein gefasste Querschnittsklausel: „Die Union wahrt bei
der Ausarbeitung und Umsetzung ihres auswärtigen Handelns in den verschiedenen unter
diesen Titel fallenden Bereichen [wie Entwicklungszusammenarbeit] sowie der externen
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Aspekte der übrigen Politikbereiche die in den Absätzen 1 und 2 aufgeführten Grundsätze und
Ziele.“ (Absatz 3, Satz 1). Direkt angeschlossen wird ein Kohärenzgebot für das gesamte
auswärtige Handeln der Union sowie für das Wechselspiel von äußeren und inneren
Politikbereichen (Absatz 3, Satz 2; vgl. bereits EUV, Artikel C, Absatz 2); als Pendant dazu
findet sich das Kohärenzgebot für den Bereich der inneren Politiken der Union wiederum in
den allgemein anwendbaren Bestimmungen des Titels III-I in Artikel III-I. Die materiellen
Bestimmungen im Titel Entwicklungszusammenarbeit beschränken sich nach dieser
Umstrukturierung auf nur wenige Bemerkungen: Als Hauptziel der Unionspolitik in diesem
Bereich wird die Bekämpfung und Beseitigung der Armut angeführt und ansonsten auf die
Ziele und Grundsätze des auswärtigen Handelns der Union verwiesen (Artikel III-218, Absatz
1). Festzuhalten ist, dass die Entwicklungszusammenarbeit sowohl über den
Nachhaltigkeitsgrundsatz als auch das Kohärenzgebot einerseits mit der Wirtschaftspolitik
und andererseits mit der Umweltpolitik (beide mit externaler und internaler Dimension)
verknüpft wird.
3.2.2 Kodifizierung des Drei-Säulen-Modells
Den hier nachgezeichneten begrifflichen Entwicklungen lässt sich zum einen entnehmen, dass
sich ‚nachhaltige Entwicklung’ erst mit dem EUV-A im Vertrag etablieren konnte. Allerdings
findet sich das neue Konzept in Ansätzen und Anspielungen schon im EUV-M, zumal die
Vertragsautoren die durch den Brundtland-Bericht (1987) ausgelöste internationale Debatte
sicherlich rezipiert haben (Frenz/Unnerstall 1999, 153-165). Zumindest setzt zu diesem
Zeitpunkt eine Begriffsverwirrung um die rechte Übersetzung des Adjektivs ‚sustainable’
(engl.) bzw. ‚durable’ (frz.) ein, für das in den übrigen Vertragssprachen z.T. unterschiedliche
Übersetzungen vorgehalten werden, im Deutschen beispielsweise neben ‚nachhaltig’ auch
‚beständig’, ‚dauerhaft’ und ‚umweltverträglich’. Im EUV-M ist das Gemeinschaftssziel eines
‚beständigen [sustainable], nicht-inflationären und umweltverträglichen Wachstums’ überdies
eine Kompromissformel der auseinanderlaufenden Textvorstellungen der vorgeschalteten
parallelen Regierungskonferenzen über die Währungsunion und über die politische Union
(Haigh/Kraemer 1996, 240-242). Im letzten Jahrzehnt hat sich nachhaltige Entwicklung
jedoch in seinem internationalen Bedeutungsgehalt als Standardbegriff durchgesetzt, wie sich
jüngst auch dem Verfassungsentwurf entnehmen lässt.
Damit ist davon auszugehen, dass auf europäischer Ebene das Drei-Säulen-Modell
übernommen wurde, obwohl in den Vertragsrevisionen Umwelt- und Nachhaltigkeitsanliegen
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stets eng verzahnt waren und daher bisweilen miteinander identifiziert werden
(eindimensionales Modell) (Menzel 2001, 225). Der ‚ökonomischen Durchdrungenheit des
Gemeinschaftsrechts’ entspricht es wiederum, dass die ‚nachhaltige Entwicklung des
Wirtschaftslebens’ im EUV-A zum bestimmenden Zielbegriff des Gemeinschaftsrechts
geworden ist (Frenz/Unnerstall 1999, 177). Die Bedenken der ‚Wirtschaftslobby’ auf der
einen und der ‚Umweltlobby’ auf der anderen Seite, dass mit der ‚Dreifaltigkeit’ des
Nachhaltigkeitsbegriffs eine Verwässerung der jeweiligen Grundanliegen einhergeht, sind nur
dann triftig, wenn wirtschaftliche, ökologische und soziale Interessen bis zur Beliebigkeit
gegeneinander abgewogen werden können (Epiney 1999, 46-47). Dieser Streit verliert an
Bedeutung, wenn als Kernanliegen nachhaltiger Entwicklung die Integration unterschiedlicher
Teilbereiche zu einer neuen Einheit verstanden wird; erst dann macht auch die Rede von den
verschiedenen ‚Dimensionen’ nachhaltiger Entwicklung Sinn. Praktisch – im Falle kaum
vermeidbarer Zielkonflikte – bedeutet dies aber, dass Abwägungsvorgänge substanziell
informiert bzw. ‚eingerahmt’ werden müssen. Das erfordert eine anspruchsvolle
Verfahrenskontrolle, die auch auf qualitative Aspekte des Entscheidungsproblems eingeht. Im
EG-Recht eignen sich dazu die Einzelnormen in den Spezialtiteln (für Wirtschafts-, Umwelt-
und Entwicklungspolitik), die über die allgemeinen Zielbestimmungen und die Querschnitts-
(bzw. Integrations-) Klausel unter dem Grundsatz nachhaltiger Entwicklung zueinander ins
Verhältnis gesetzt werden müssen. Eine inhaltliche Orientierung leistet auch die
Wissenschaft, soweit sie die Konzeptualisierung und Operationalisierung des Leitbilds
voranbringt (Calliess 1998, 565-566; Frenz/Unnerstall 1999, 197-198; Schröder 1996, 260-
261, 264 und 275).
Eine genauere, über die obigen Einträge hinausgehende Darlegung des Konzepts nachhaltiger
Entwicklung, fehlt nicht nur im europäischen Primärrecht, sondern auch im Sekundärrecht:
„For the European Union […], so far no Directive has been issued, as it should have been, to
converge the national laws towards any particular system of principles for sustainable
development.“ (Decleris 2000, 14). Ob der Gesetzgeber eine solche Legaldefinition in dieser
Materie vermeiden will oder sie nicht zu leisten imstande ist, ist unerheblich dafür, dass
ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe zwangsläufig mit Beurteilungsspielräumen für die
Gesetzesanwender einhergehen – und für die Judikative (Streinz 1998, 465-466). Damit
entsteht ein gewisser, institutionell umgrenzter Raum für Richterrecht, dessen Nutzung sich in
Abhängigkeit von den zur Entscheidung stehenden Problemen (‚sustainability cases’) mehr
oder minder aufdrängt. Die Kommission scheint eine aktivere Rolle der einzelstaatlichen
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Gerichte bei der Implementation nachhaltiger Entwicklung zu begrüßen und dürfte damit auch
eine Rechtsfortbildung des EuGH auf diesem Gebiet gutheißen (Santer 2000, 5).
Da Präambel und Ziele der Union zwar zur Rechtsauslegung herangezogen werden können,
aber der Kontrolle des EuGH entzogen sind, lassen sich Rechtsprechungserfolge eigentlich
nur über die Querschnittsklauseln in Verbindung mit den Spezialnormen unterschiedlicher
Vertragstitel erzielen. Das gilt jedenfalls, solange das neue Leitbild noch nicht in die
Einzelbestimmungen übersetzt worden ist, denn dann wird es auch auf direktem Wege
wirksam. Für den Umwelttitel ist allerdings schon seit dem EUV-M davon auszugehen, dass
die dort aufgeführten Prinzipien auch ohne Rückbezug auf die umweltbezogene
Querschnittsklausel zumindest Teilgehalte der nachhaltigen Entwicklung widerspiegeln
(besonders anschaulich am Vorsorgeprinzip) (Epiney 1999, 53). Die konzeptionellen
Probleme scheinen darin zu liegen, dass die Umweltprinzipien bereits eine längere
Vertragsgeschichte haben als der Nachhaltigkeitsgrundsatz selbst und noch immer als
unabhängig von ihm wahrgenommen (und als eigener ‚acquis’ verteidigt) werden. Hingegen
erscheint das Verhältnis von Gesamtkonzept und Teilprinzipien, inklusive des
Integrationsprinzips, auf internationaler Ebene weniger problematisch. Überträgt man die
dortige Konstellation – samt ihrer differenziellen Rechtswirkungen – auf die europäische
Ebene, so ist mit der Präambel, den Zielen und vor allem mit den Querschnittsklauseln
nachhaltige Entwicklung als Metanorm (im obigen Sinne) verfügbar, während die
Bestimmungen der Einzeltitel das Nachhaltigkeitsgebot für die verschiedenen Politikbereiche
und ‚Dimensionen’ ausbuchstabieren und Funktionen für die Verrechtlichung des
Gesamtkonstrukts übernehmen. (Augenfällig ist zumindest der Operationalisierungsbeitrag
der Umweltgrundsätze, die ja mit den Rio-Prinzipien eng verwandt sind). Da Vorreiter-,
Lückenfüllungs-, Präzisierungs- und Etablierungsfunktion (Hohmann 1999, 31-34) jedoch
entfallen können, wenn die Prinzipien bereits als Rechtsprinzipien etabliert sind, verbleibt
ihnen einzig die Funktion, pars pro toto bzw. bottom up das Nachhaltigkeitskonzept
insgesamt zu etablieren. Als entscheidende Bindeglieder erweisen sich nunmehr die aus den
Bereichstiteln herausgelösten, allen Einzelbestimmungen vorangestellten
Querschnittsklauseln, die eine institutionelle Weiterentwicklung des Integrationsprinzips der
Rio-Erklärung darstellen. Von ihrem Rechtscharakter hängt schließlich ab, ob die
Einzelprinzipien Stückwerk bleiben oder wirkliche Ausstrahlungswirkungen auf andere
Vertragsbereiche erzielen können. Fraglich bleibt, wie weit die (Vertragsrevisions- und
Rechtsprechungs-) Wirklichkeit diesem Gang der Argumentation folgen kann, will und wird.
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3.2.3 Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft
Die Ziele des Vertrags spielen eine Rolle für das Verständnis des ‚telos’ der Europäischen
Union und somit für die Rechtsfortbildung durch den EuGH. Sie erfahren selbst im Wandel
der Zeit unterschiedliche Ausdeutungen. Mit dem EUV-M hat eine – die erste – ausdrückliche
Erweiterung des Aufgabenkatalogs für die Gemeinschaft stattgefunden, womit sich die Frage
aufdrängt, welche Lösungen (verfassungs-) rechtlich für die zunehmend wahrscheinlichen
Zielkonflikte vorgesehen sind. Insbesondere ist zu prüfen, ob bzw. in welcher Form sich die
unterschiedlichen Ziele innerhalb der Gemeinschaft hierarchisieren lassen, wobei hier
Konfliktfälle zwischen gemeinschaftlichen und mitgliedstaatlichen Interessen ausgeklammert
bleiben. Hinter dieser Frage steht auch das Interesse, die Rechtsgemeinschaft vor Politisierung
zu schützen, indem der Umgang mit Zielkonflikten nicht dem politischen Ermessen der
Gemeinschaftsorgane überlassen bleibt, sondern verbindliche Entscheidungsmaßstäbe dem
Vertrag – der ‚Verfassungsurkunde’ – entnommen werden.
Im EWGV dominierte das Gesamtziel der Marktintegration mit komplementären zoll-,
handels- und wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen und einer darauf bezogenen und
beschränkten Harmonisierungskompetenz. Zielkonflikte ergaben sich jedoch zwischen der
Marktintegration einerseits und der gemeinsamen Agrarpolitik (und der gemeinsamen
Verkehrspolitik) andererseits; ihre Handhabung wurde entweder ins Ermessen der politischen
Organe gestellt oder vom EuGH – zumeist zugunsten der Marktintegration – beschieden
(Basedow 1995, 51-54).
Der EUV-M führt in Artikel 3, d.h. unter den Aufgaben, die die Gemeinschaft anbetrachts der
in Artikel 2 aufgeführten Hauptziele wahrzunehmen hat, erstmals auch die Umweltpolitik
(Artikel 3k) und die Entwicklungspolitik (Artikel 3q) auf. Ob die neuen Zielvorgaben dazu
geeignet sind, dem Ziel der Marktintegration und des Wettbewerbs Beschränkungen
aufzuerlegen, lässt sich u.a. mit Blick auf die (a) Aktualität der Ziele in Artikel 2 (Nahziele vs.
Fernziele), (b) die Genauigkeit der Aufgaben in Artikel 3 (Zustandsziele vs. Bereichsziele vs.
Richtungsziele), (c) die Eigenständigkeit der Gemeinschaftspolitiken (eigene Aufgaben vs.
Koordinierungsaufgaben vs. Unterstützungs- und Ergänzungsaufgaben) und (d) die
Implementationsmechanismen (Zentralisierung vs. Dezentralisierung) eruieren. Diese
Kriterien sprechen ganz überwiegend für eine Nachrangigkeit der Umweltpolitik und der
Entwicklungspolitik gegenüber der Binnenmarkt- und Wettbewerbspolitik: Sie sind weder als
Nahziele noch als Zustandsziele gefasst, liegen in geteilter Zuständigkeit von Gemeinschaft
und Mitgliedstaaten und sind auf zentrale Durchführungskontrollen angewiesen. Das Ziel der
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Marktintegration wird hingegen durch klare Fristen und Ziele, weitreichende
Vergemeinschaftung und dezentrale Umsetzung, auch auf dem Rechtsweg, untermauert. Ein
Einfluss der (gesundheits-, umwelt- und entwicklungspolitischen) Querschnittsklauseln auf
diese Rangfolge wird verneint (Basedow 1995, 55-68).
Dass der EUV-A den Begriff nachhaltiger Entwicklung in die Zielbestimmungen für die
Gemeinschaft und die umweltpolitische Querschnittsklausel eingefügt und die
Querschnittsklausel verallgemeinert und ‚vor die Klammer’ gezogen wird, spielt für die
(zunächst) am EUV-M exerzierte Argumentation keine Rolle: Diese Aufwertung ‚weicher’
Vertragsziele wirkt sich auf die grundlegende Zielhierarchie innerhalb des Vertrags nicht aus.
So plausibel diese Position ist – Vertrag und Rechtsprechung können sie nicht bestätigen; an
keiner Stelle wird eine Rangfolge von Binnenmarkt und Umweltpolitik begründet (Krämer
2002, 46). Somit bleibt Raum für eine Gegenposition, die allerdings anders ansetzen muss:
Dazu werden die im Vertrag enthaltenen Elemente einer ‚Wirtschaftsverfassung’ den
Elementen einer ‚Umweltverfassung’ gegenübergestellt, die Unterschiede interpretiert und
Schlüsse für das Rangverhältnis zwischen beiden Verfassungsmaterien gezogen.
Die Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft ist durch den Grundsatz einer offenen
Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb gekennzeichnet, der im Vertrag nicht näher definiert
wird. Als ‚materiellrechtliche Funktionsgarantien’ dieser Systementscheidung gelten die
Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit,
Dienstleistungsfreiheit, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Freizügigkeitsrecht der
Unionsbürger) und die Wettbewerbsbestimmungen. Während die ‚vier’ Grundfreiheiten
expliziter Vertragsbestandteil sind, wurde der Grundsatz des freien Wettbewerbs erst im
Wege der Rechtsprechung aus den wettbewerbsrechtlichen Einzelbestimmungen des Vertrags
abgeleitet (Nowak 2001, 221-226). Demgegenüber lassen sich die Elemente der
Umweltverfassung der Gemeinschaft seit dem EUV-A zum Grundsatz ökologischer
Nachhaltigkeit zusammenfügen: Die neuen Zielbestimmungen (‚nachhaltige Entwicklung des
Wirtschaftlebens’, ‚hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität’;
Artikel 2) und die aufgewertete und nunmehr explizit auf die Förderung nachhaltiger
Entwicklung gerichtete umweltpolitische Querschnittsklausel (Artikel 6) bestimmen die
Grundrichtung der Umweltverfassung; die Einzelbestimmungen im Umwelttitel (Artikel 174-
176), aber auch z.B. die Vorgabe eines ‚hohen (Umwelt-) Schutzniveaus’ für die
Rechtsangleichung im Binnenmarkt (Artikel 95, Absatz 3) füllen sie – zumindest ansatzweise
– aus. Ein Grundrecht auf Umweltschutz besteht auf Gemeinschaftsebene hingegen nicht,
ließe sich aber auch schwerlich mit den Marktfreiheiten messen (Nowak 2001, 226-230).
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Die Argumentation konzentriert sich dann auf den Normkonflikt zwischen der
Wettbewerbsfreiheit (als objektiv-rechtlicher Grundsatz und subjektiv-rechtliches Grundrecht
der Wirtschaftsverfassung) und dem Umweltschutz (als Zielbestimmung der
Umweltverfassung): „Da nicht ersichtlich ist, daß gemeinschaftliche Verfassungsziele,
Rechtsgrundsätze und Gemeinschaftsgrundrechte innerhalb der gemeinschaftsrechtlichen
Normenhierarchie einen unterschiedlichen Rang einnehmen, hat die Neufassung des Art 2
EGV den bislang im Schrifttum vertretenen Auffassungen vom Vorrang der
Wettbewerbsfreiheit oder vom Vorrang des Umweltschutzes jede Grundlage entzogen.“
(Nowak 2001, 231, o.Fn.). Ausgehend von der verfassungsrechtlichen Gleichrangigkeit beider
müssen Wettbewerbsfreiheit und Umweltschutz im Konfliktfall somit unter Beachtung des
gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gleichberechtigt gegeneinander
abgewogen werden. Das impliziert für die Rechtsprechung, dass die Binnenmarkt- und
Wettbewerbsregeln im Abwägungsvorgang (formell und materiell) nicht mehr ‚schwerer
wiegen’ dürfen als ihre umweltpolitisch rechtzufertigenden Ausnahmen, also dass
Umweltschutz als Rechtfertigungsgrund weniger restriktiv auszulegen ist als bisher üblich
(Nowak 2001, 232-239). Eine Methode zur positiven Zielintegration oder Politikintegration
(im Sinne einer weit verstandenen Querschnittsklausel bzw. des Nachhaltigkeitsgrundsatzes)
ist damit allerdings nicht gefunden.
3.2.4 Umweltpolitische (und entwicklungspolitische) Querschnittsklausel
Die mit der EEA in den Umwelttitel des Vertrags eingefügte Querschnittsklausel stellt – auch
gegenüber den nationalen Verfassungen – eine institutionelle Neuerung dar, die im EUV-M
auf weitere Bereiche übertragen wird: Kultur, Gesundheitswesen, Verbraucherschutz,
Industriepolitik, Regionalpolitik, Entwicklungszusammenarbeit (Everling 2001, 151-155). Mit
ihrer Erweiterung und Neupositionierung im EUV-A wird diese Vorreiterrolle nochmals
bestätigt. In der seither geltenden Fassung, die auch in den Verfassungsentwurf
übernommenen worden ist, kann die umweltbezogene Querschnittsklausel zu einem
entscheidenden Instrument der Umsetzung des Nachhaltigkeitsgrundsatzes werden, sofern sie
als primärrechtliches Gebot zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (als
ökologischer Komponente eines sustainability assessment) für alle geplanten Politiken und
Maßnahmen, einschließlich der Ausgestaltung und Anwendung von Sekundärrecht,
interpretiert wird. Damit läuft die Querschnittsklausel auf eine Abwägung der mit der
fraglichen Maßnahme verfolgten Interessen und der ‚einzubeziehenden Umweltbelange’
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hinaus, wobei der Abwägungsprozess unter materiellen und prozeduralen Vorbehalten steht.
Wenn auch die Rechtsqualität der Querschnittsklausel (Verbindlichkeit des
gemeinschaftlichen Handlungsauftrags, Rechtsfolgen bei Nichtberücksichtigung) in der
Literatur nicht abschließend geklärt ist, wird doch überwiegend davon ausgegangen, dass
zumindest die Ermessensspielräume und Begründungspflichten der Legislative und der
Exekutive durch den EuGH kontrolliert werden können. Damit reichen ihre Funktionen über
die eines politischen Programmsatzes deutlich hinaus (Calliess 1998, 565-568;
Frenz/Unnerstall 1999, 161 und 195-198; Niestedt 1999, Rz. 4-29).
Mit dem EUV-M und seinem neuen Titel ‚Entwicklungszusammenarbeit’ – einem
Verrechtlichungsschub für die europäische Entwicklungspolitik – wird auch eine
entwicklungspolitische Querschnittsklausel bzw. ‚Kohärenzregelung’ in den Vertrag
eingefügt. Sie bleibt zehn Jahre lang unverändert bestehen und wird erst im
Verfassungsentwurf überarbeitet und umorganisiert. Zu den Gemeinschaftspolitiken, ‚welche
die Entwicklungsländer berühren können’, zählen vor allem die Handelspolitik, die
Agrarpolitik und die Umweltpolitik. Indem die Querschnittsklausel postuliert, in diesen
Bereichen die entwicklungspolitischen Ziele (einschließlich der ‚nachhaltigen wirtschaftlichen
und sozialen Entwicklung der Entwicklungsländer’) zu ‚berücksichtigen’, internationalisiert
sie den Bezugsrahmen des europäischen Wirtschaftsrechts zugunsten von Drittstaaten,
nämlich den unterentwickelten und armen Ländern. Wiederum sind begründete, gerichtsfeste
Abwägungsentscheidungen zwischen den berührten Interessen zu treffen und dem politischen
Ermessen der Gemeinschaftsorgane somit äußere Grenzen gesetzt; auch dieser
Querschnittsklausel wird in der Literatur eine – immerhin – begrenzte Justiziabilität
zugestanden (Schmidt 1995, 268-272).
Auf dem Papier der Verträge konnte sich die umweltrechtliche Querschnittsklausel – von
ihrer Erstfassung in der EEA über ihre Zuspitzung im EUV-M und ihre Verallgemeinerung
und Qualifizierung im EUV-A bis zu ihrer Übernahme in den Verfassungsentwurf samt
Variation in der Charta der Grundrechte – gut behaupten; in der Rechtsprechung des EuGH
hat sie allerdings bisher eine eher bescheidene Rolle gespielt. So wird sie in
Kompetenzstreitigkeiten dazu herangezogen, die richtige Rechtsgrundlage für
Gemeinschaftsrechtsakte mit umweltpolitischem Bezug zu bestimmen. Das birgt vor allem
dann einen gewissen Streitwert in sich, wenn die fragliche Maßnahme unterschiedliche
Politikbereiche berührt und sich je nach Zuordnung andere Zuständigkeiten und
Verfahrensregeln für den Rechtsetzungsprozess ergeben. Folglich sind die
Gemeinschaftsinstitutionen oder Mitgliedstaaten immer dann geneigt, vor Gericht zu ziehen,
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wenn eine andere Rechtsgrundlage ihnen mehr Rechte gewährt hätte als die gewählte. Der
Rechtsprechung zufolge gilt nicht alles gleich als Umweltpolitik, was nebst anderem auch
umweltpolitische Belange berücksichtigt. Demnach fallen nur jene Maßnahmen unter den
Umwelttitel des Vertrags, deren Hauptziel der Umweltschutz ist; Maßnahmen mit einem
anderen Schwerpunkt verbleiben in der ihnen angestammten Rechtsmaterie. Diese
Argumentation wird von der Querschnittsklausel gestützt, die ja genau dies vorsieht: dass in
allen Bereichspolitiken Umwelterfordernisse miteinbezogen werden (vgl. Rs. C-300/89,
Titandioxid-Abfälle). Das trifft zwar zu, ändert aber nichts daran, dass die Querschnittsklausel
in Auseinandersetzungen um die Rechtsgrundlage instrumentalisiert oder auch
‚zweckentfremdet’ wird, – geht es ihr doch darum, Umweltbelange in andere Politikbereiche
zu integrieren, nicht aber darum, ihnen im Erfolgsfall womöglich die Rechtsgrundlage streitig
zu machen. Geradezu kontraproduktiv wirkt die Querschnittsklausel dann, wenn sie
umweltrelevanten Regelungen anderer Politikressorts zusätzliche Legitimation verschafft,
ohne dass die Umweltprinzipien dort tatsächlich einbezogen würden (Scheuing 2001, 140-141
und 166; Krämer 2002, 41-48).
Eine spezielle Ausprägung hat die Rechtsgrundlagenproblematik mit dem Cartagena-
Protokoll über biologische Sicherheit angenommen, das im Nachgang der 1992 in Rio
vereinbarten Biodiversitätskonvention im Jahr 2000 erlassen und von Gemeinschaft und
Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde. Hier geht es um die Außenkompetenzen der
Gemeinschaft im Spannungsfeld von Handels- und Umweltpolitik; und wiederum wird mit
der Querschnittsklausel argumentiert, um die Zuständigkeit für ein (prima facie)
Umweltabkommen aus dem Umweltressort abzuziehen. Dieser Auffassung folgte der EuGH
in seinem Gutachten nicht (vgl. Gutachten 2/00, Cartagena).
Aber auch jenseits der Rechtsgrundlagenproblematik gibt es in der Argumentation des EuGH
(Schlussanträge der Generalanwälte und Urteile) einige Hinweise auf das rechtliche Potenzial
der Querschnittsklausel, Umweltbelange in anderen Politikbereichen geltend zu machen. Zwei
zumindest in Ansätzen dokumentierbare Begründungsstrategien lassen sich unterscheiden:
Einmal wird die Querschnittsklausel als Beleg für die vertragliche Aufwertung des
Umweltschutzes angeführt; es wird also von Gewichtsverschiebungen zwischen den
umweltbezogenen und nicht-umweltbezogenen Zielen des Vertrags ausgegangen. In
Rechtsfällen, die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Vertragszielen bearbeiten, also
typischerweise zwischen Liberalisierungs- und (Umwelt-) Schutzpolitiken, gewinnen
Rechtfertigungsgründe für Umweltmaßnahmen daher an Stellenwert. Im Endeffekt
vergegenwärtigt die Querschnittsklausel den Umweltschutz als dem Binnenmarkt
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ebenbürtiges Verfassungsziel (vgl. Rs. C-379/98, PreussenElektra; Rs. C-292/97, Karlsson;
Rs. C-513/99, Concordia Bus). Das andere Mal erfüllt die Querschnittsklausel ihre eigentliche
Scharnierfunktion zwischen den Einzelbestimmungen anderer Vertragstitel und den
spezifischen Normen des Umwelttitels. Im Prinzip wird damit eine
Umweltverträglichkeitsprüfung aller gemeinschaftlichen Maßnahmen verlangt, wobei als
Kriterien die verschiedenen umweltrechtlichen Ziele und Grundsätze heranzuziehen sind.
Beispiele dafür sind offenbar gerade in Fällen zu finden, in denen Umweltschutzbelange auf
öffentlichen Druck hin einen außerordentlichen Stellenwert erlangt haben und sich daher in
den zuständigen Ressorts nicht mehr ohne Weiteres übergehen ließen (vgl. explizit: Rs. C-
180/96, BSE; implizit: Rs. C-6/99, Greenpeace France) (Scheuing 2001, 141-142).
Ob die Orientierung der Querschnittsklausel auf die Förderung einer nachhaltigen
Entwicklung (seit dem EUV-A) von der Rechtsprechung gesondert aufgenommen worden ist,
ist noch nicht ausreichend geprüft. Insofern der Nachhaltigkeitsgrundsatz aber die Auslegung
der einzelnen Umweltbestimmungen prägt und verändert, überträgt er sich – vermittelt über
die Querschnittsklausel – auch in die verschiedenen Sektorpolitiken. Eine Grenze ist der
rechtlichen Durchsetzbarkeit der Querschnittsklausel dadurch gesetzt, dass sie für einzelne
Streitfälle nicht immer den geeigneten Beurteilungsmaßstab liefert: So können einzelne
gesetzgeberische Maßnahmen, die Umwelterfordernisse scheinbar ausblenden, durchaus in
einem größeren Politikzusammenhang stehen, der dem Umweltschutz im erforderlichen Maße
Rechnung trägt. Auch wenn hier Begründungspflichten zu einer größeren Transparenz
verhelfen könnten, so fehlt es der Rechtsprechung doch an eindeutigen Entscheidungskriterien
für den Einzelfall (Krämer 2002, 146). Hinzu kommt, dass sich die politischen
Ermessensspielräume nur schwer abstecken lassen, obwohl (mit der Gleichrangigkeit der
Vertragsziele) von ihrer materiellrechtlichen ‚Einrahmung’ von beiden/allen Seiten
auszugehen ist. Dies in justiziable Mindestanforderungen für die Berücksichtigung der
Umweltbelange zu übersetzen, ist im Dreiecksverhältnis von Recht, Wissenschaft und Politik
offenbar noch nicht geglückt. Aus diesen Gründen bleibt der gerichtliche Nutzen der
umweltbezogenen Querschnittsklausel bisher beschränkt, woraus sich sicherlich auch der
Mangel an einschlägiger Rechtsprechung erklärt. Es fiele wohl leichter, eine Reihe von
Konfliktfällen aufzuzählen, in denen die Einbeziehung der Umweltbelange zwar tatsächlich
den Streitgegenstand ausmacht, aber die Querschnittsklausel mangels (ausreichender)
Justiziabilität nichts zur Lösung beizutragen vermochte.
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3.2.5 Umweltpolitische Einzelprinzipien
Das Gemeinschaftsrecht kennt zehn umweltpolitische Prinzipien: (a) Schutz der Umwelt auf
hohem Niveau, (b) Erhaltung und Verbesserung der Umweltqualität, (c) Schutz der
menschlichen Gesundheit, (d) Schonung natürlicher Ressourcen, (e) Förderung internationaler
Maßnahmen, (f) Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten, (h) Vorsorge, (i) Vorbeugung,
(j) Bekämpfung der Umweltbeeinträchtigungen am Ursprung, (k) Verursacherprinzip. Dabei
handelt es sich zum Teil (a bis e) um Zielfestlegungen, zum Teil um Handlungsmaßstäbe (f
bis k). Ob sie als politische Programmsätze oder als Rechtsprinzipien fungieren, entscheidet
sich empirisch – letztlich also vor Gericht.
Eine rechtliche Bedeutung könnte den umweltpolitischen Grundsätzen in zweierlei Weise
zukommen, und zwar jeweils im Hinblick auf die Gemeinschaftsorgane und im Hinblick auf
die Mitgliedstaaten: Sie könnten ihnen einerseits Handlungskompetenzen zur freien
Ausgestaltung gewähren (‚ermöglichende Funktion’), oder sie könnten ihnen die Ausübung
von Handlungskompetenzen in bestimmter Weise vorschreiben (‚direktive Funktion’). Für die
handlungsermöglichenden Funktionen ist – wie Beispielfälle vor dem EuGH zeigen – von
einer Rechtswirkung der Umweltprinzipien auszugehen. Insbesondere können
Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten auch Eingriffe in die Grundrechte mit den
umweltpolitischen Handlungsgrundsätzen einschließlich des Integrationsprinzips
(Querschnittsklausel) rechtfertigen, vorausgesetzt, sie berücksichtigen die im Umwelttitel
genannten relativierenden Aspekte (Artikel 174, Absatz 3 EG) sowie das allgemeine
Verhältnismäßigkeitsgebot (vgl. für die Gemeinschaftsorgane: Rs. C-293/93, Standley; für die
Mitgliedstaaten: Rs. C-302/86, Dänische Pfandflaschen; Rs. C-473/98, Toolex; Rs. C-67/97,
Bluhme; Rs. C-379/98, PreussenElektra; Rs. C-2/90, wallonisches Mülldekret). Was die
handlungsverpflichtenden Funktionen anbelangt, fehlen im Großen und Ganzen noch
aussagekräftige Fälle (was auch aus der begrenzten Klagebefugnis von Dritten folgt). Es ist
also noch nicht klar, inwieweit etwa auf Gemeinschaftsebene ein Gebot zu effektivem
Umweltschutz besteht oder die Mitgliedstaaten bei der Ausführung von sekundärem
Gemeinschaftsrecht auf die Einhaltung der Umweltprinzipien verpflichtet sind (Winter 2003,
137-142). Insgesamt ist von einer ambivalenten rechtlichen Bedeutung der Umweltprinzipien
auszugehen.
Die Zielfestlegungen haben in der Rechtsprechung eher im ‚umweltverfassungsrechtlichen
Hintergrund’ gewirkt und dem EuGH immer wieder umweltpolitisch anspruchsvolle Urteile
ermöglicht. Durch die Kodifizierung der Umweltziele mit der Einführung des Umwelttitels
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Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs
Stand: 30. September 2003
durch die EEA konnte er seine frühere Rechtsprechung sogar bestätigt sehen. Explizit dämpfte
er jedoch in einigen Fällen die überschießenden Erwartungen an die Umweltschutz- und
Umweltqualitätsziele (vgl. Rs. C-284/95, Safety Hi-Tech; Rs. C-341/95, Bettati). Die
Handlungsgrundsätze gelten – nach Rechtsprechung des EuGH – zwar als rechtsverbindlich,
jedoch sind sie faktisch nur begrenzt justiziabel. Sie machen dem Gemeinschaftsgesetzgeber
Vorgaben, belassen ihm aber auch einen Ermessensspielraum, den der EuGH sich nicht zu
kontrollieren anmaßt. Vor Gericht werden sie daher gerne als Argumente herangezogen,
jedoch nicht zu tragenden Pfeilern des Urteils gemacht (Scheuing 2001, 130-134 und 164-
166; Krämer 2002, 137-139 und 255-257).
Im aktuellen umweltrechtlichen Prinzipienkatalog sind weder der Nachhaltigkeitsgrundsatz
noch das Integrationsprinzip direkt enthalten. Beide nehmen im Vertrag eine übergeordnete
Stellung gegenüber allen Einzelpolitiken ein: Das Integrationsprinzip wird in Gestalt der
umweltbezogenen Querschnittsklausel vorweggenommen (und durch den
Nachhaltigkeitsgrundsatz qualifiziert); der Nachhaltigkeitsgrundsatz wird als Ziel der Union
und Aufgabe der Gemeinschaft in seinem übergreifenden Gehalt gewürdigt (Winter 2003,
137). Der Mehrwert nachhaltiger Entwicklung gegenüber der (klassischen) Umweltpolitik
kann über diese Konstruktion in die umweltpolitischen Prinzipien miteinfließen und mit ihnen
in andere Politikbereiche transportiert werden. (Dieser Vermittlungszusammenhang besteht
im Grundsatz auch für die Entwicklungspolitik, fällt aber schwächer aus, weil sowohl die
entwicklungspolitischen Prinzipien als auch die entwicklungspolitische Querschnittsklausel
‚weicher’ sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH mit Fällen befasst wird, in denen
dieser Zusammenhang eine Rolle spielt, ist vermutlich noch geringer als im Umweltbereich:
aber nicht nur, weil die Bestimmungen noch weniger justiziabel sind, sondern auch, weil aus
rechtssystematischen Gründen noch weniger potenzielle Kläger vorhanden sind.) Weil die
Idee der Nachhaltigkeit auch ohne Umweg über die europäische ‚Verfassung’, und sogar ohne
Umweg über diese alte/neue Vokabel, in die (Auslegung der) umweltrechtlichen Prinzipien
eingehen kann, wird hier nicht weiter unterschieden, ob der Zusammenhang ein expliziter,
impliziter oder kurzgeschlossener ist: Entscheidend ist, ob es überhaupt empirische Hinweise
auf diese Wirkungsrichtung (vom Nachhaltigkeitsprinzip auf die Umweltprinzipien) gibt, die
sich dann – mit der Verfassung im Rücken – in der künftigen Rechtsprechung des EuGH
erhärten könnten.
Zwei Beispiele bieten sich an: der Vorsorgegrundsatz und das Ursprungsprinzip. Von den
umweltbezogenen Rechtsprinzipien ist der Vorsorgegrundsatz derjenige, der von der
Grundidee her am meisten mit dem Nachhaltigkeitsgrundsatz (i.e.S.) gemein hat: Gefahren
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Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs
Stand: 30. September 2003
und Risiken (für Mensch und Umwelt) auf lange Sicht zu vermeiden. Überdies spielt er in die
Vertragsbestimmungen hinein, die ein hohes Schutzniveau (Gesundheit, Sicherheit, Umwelt,
Verbraucher) gewährleisten sollen (insbesondere Artikel 95, Absatz 3 EG), – auch ohne
Inanspruchnahme der Querschnittsklausel, auch außerhalb des Umweltbereichs. Daher scheint
er besonders geeignet, als Teilprinzip des umfassenden Nachhaltigkeitskonzepts
operationalisiert zu werden, bzw. umgekehrt, das Nachhaltigkeitskonzept mit materiellen
Inhalten aufzufüllen. Bisher sind von dem Vorsorgeprinzip, das auf europäischer Ebene eine
eher ‚technische’ Risikoabschätzung beinhaltet, die örtlichen und zeitlichen Fernfolgen, also
Schadenswirkungen im intra- und intergenerativen Maßstab, nur unzureichend erfasst.
Dennoch werden immer wieder Fälle anhängig, in denen mit diesen Größenordnungen
argumentiert wird. Es besteht also ein gewisser (öffentlicher) Druck auf eine substanzielle
Fortbildung des Vorsorgeprinzips in Richtung Nachhaltigkeit (vgl. explizit: Rs. C-180/96,
BSE; Rs. C-6/99, Greenpeace France; implizit: Rs. C-355/90, Santoña). Gleiches kann für den
Umgang mit wissenschaftlicher Unsicherheit gelten, der in der globalen Langzeitperspektive
zur Norm werden wird. Die Rechtsprechung hat bereits Möglichkeiten geschaffen, nach denen
vorsorgliches Handeln nicht an Wissenslücken über die Gefährdungszusammenhänge
scheitern muss (vgl. Rs. T-1/99, Pfizer) (Winter 2003, 143; Icard 2002, 471-497; Scheuing
2001, 136-137; Calliess 1998, 563-564; Frenz/Unnerstall 1999, 187-190; Krämer 2002, 284).
Eine an Stoffkreisläufen orientierte Ausdeutung hat der Ursprungsgrundsatz erfahren,
demzufolge Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen sind.
Dies entspricht dem Nachhaltigkeitsgedanken und ließe sich zum Grundsatz regionaler
Nachhaltigkeit weiterentwickeln, welcher allerdings in Widerspruch zu den
Freiheitsprinzipien des Binnenmarkts zu geraten droht. Genau dieser Konflikt war aber in
diesem Falle Gegenstand der Rechtsprechung und hat über die Behelfskonstruktion mit dem
Ursprungsprinzip zum (Wunsch-) Ergebnis geführt, eine mitgliedstaatliche
Abfallbeseitigungsregelung mit regionalem Bezug nicht am freien Warenverkehr scheitern zu
lassen (vgl. Rs. C-2/90, wallonisches Mülldekret) (Scheuing 2001, .137-139; Frenz/Unnerstall
1999, 190-193).
3.2.6 Umweltschutz im Binnenmarkt
Die Vergemeinschaftung der Umweltpolitik bewegt sich in zwei Spannungsfeldern, die auch
für eine europäische Nachhaltigkeitspolitik erhalten bleiben: „(1) the development of EU
environmental protection standards versus the preservation of free trade policies; and (2) the
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creation of unified Community environmental standards versus preserving a member state
government’s national environmental standards“ (Cichowski 1998, 389). Mit anderen Worten,
Fragen der horizontalen Politikintegration (Verknüpfung von Handels- und Umweltpolitiken)
verbinden sich im Mehrebenensystem nahezu zwangsläufig mit Fragen der vertikalen
Politikintegration (Verknüpfung von einzelstaatlichen und supranationalen Politiken), und die
‚Vervollständigung’ (Integration) einer europäischen Nachhaltigkeitspolitik hängt auch davon
ab, welchen Stellenwert eine weitere Zentralisierung von Kompetenzen unter den
Governance-Akteuren genießt. In Konfliktfällen, die in der Politik liegen geblieben sind, kann
der EuGH mit seinen Urteilen institutionelle Lösungen anbieten und legislative Reaktionen
hervorrufen (Cichowski 1998, 393).
Im Umweltbereich geht es dabei in erster Linie um die Durchsetzbarkeit eines ‚hohen
Schutzniveaus’, wie es als (Umwelt-) Verfassungsziel in der Aufgabenbestimmung der
Gemeinschaft und im Umwelttitel niedergelegt ist. Dies konkretisiert sich in der Frage der
Zulässigkeit mitgliedstaatlicher Alleingänge (bei fehlender Harmonisierung) und
mitgliedstaatlicher Schutzverstärkungen (bei als unzureichend interpretierter
Harmonisierung). Zu fragen ist, ob der verfassungsrechtlich anzunehmenden Gleichrangigkeit
von Binnenmarktpolitik und Umweltpolitik in der Rechtsprechung dadurch Rechnung
getragen ist, dass – je nach Harmonisierungsgrad – beide in Konfliktfällen gleichberechtigt
nebeneinander stehen (Marktfreiheiten und hohes Schutzniveau) bzw. miteinander verknüpft
werden (Marktfreiheiten auf hohem Schutzniveau). Empirisch handelt es sich dabei ganz
überwiegend um Marktregulierungsfälle nach den Artikeln 28, 30 und 95 EG, so dass den
obigen Ausführungen zu folgen ist.
Im Hinblick auf mitgliedstaatliche Alleingänge ist zu unterscheiden, welche Gründe Eingriffe
in die Grundfreiheiten ermöglichen und unter welchen Bedingungen sie gestattet sind. Die
Qualität der Gründe, die als Rechtfertigung von Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit
anerkannt wurden, zeigt eine Entwicklung, die von sehr konkreten Schutzinteressen (‚Schutz
der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen’, so wörtlich Artikel 30)
zu allgemeineren Umweltbelangen wie Artenvielfalt (vgl. Rs. C-67/97, Bluhme) und
Klimaschutz (vgl. Rs. C-370, PreussenElektra) verläuft und sich daher gut in Richtung
abstrakterer Fragen der Nachhaltigkeit verlängern lässt. Auch exterritoriale Schutzanliegen
können in den Umweltbegriff eingeschlossen werden, wie es schon heute bei ‚Tieren’ und
‚Pflanzen’ denkbar ist. In der jüngeren Rechtsprechung (und den – unverbindlichen –
Schlussfolgerungen der Generalanwälte) gibt es eine Reihe von Anzeichen dafür, dass der
EuGH dazu übergeht, den Umweltschutz als eigenständigen, aus dem Umwelttitel und
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Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs
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eventuell der Querschnittsklausel resultierenden Rechtfertigungsgrund zu würdigen (vgl. mit
negativem Ergebnis: Rs. C-203/96, Dusseldorp; Rs. 209/98, FFAD; mit positivem Ergebnis
und einem Verweis auf die völkerrechtlichen Pflichten: Rs. C-370, PreussenElektra). Ob dies
eine Erweiterung des Artikels 30 impliziert (der die Autoren des Verfassungsentwurfs jedoch
nicht gefolgt sind), ein ganz neues Rechtfertigungskonstrukt schafft oder lediglich ein
einzelfallbezogenes Artefakt in der Argumentation des Gerichts darstellt, ist umstritten
(Nowak 2001, 236-237; Winter 2003, 141; Scheuing 2001, 155-156; Krämer 2002, 62-64 und
386-388).
Parallel dazu haben sich die Bedingungen, unter denen Eingriffe in die Grundfreiheiten bei
fehlender Harmonisierung gestattet sind, schrittweise entdifferenziert und verallgemeinert.
Mit Dassonville war und ist davon auszugehen, dass Umweltschutzmaßnahmen mit
(tatsächlich oder potenziell) handelshemmenden Wirkungen bis auf die in Artikel 30
verzeichneten Ausnahmen untersagt sind. In der Anwendung dieser Formel zeigt sich der
EuGH jedoch zurückhaltend. In einem Urteil aus dem Jahre 1985 erkennt der EuGH erstmals
den Schutz der Umwelt als allgemeines Interesse an (vgl. Rs. 240/83, ABDHU) – noch bevor
Umweltbestimmungen in den Vertrag aufgenommen werden (EEA) und der Aufgabenkatalog
der Gemeinschaft erweitert wird (EUV-M, EUV-A). Im Jahre 1988 findet dann die Cassis-
Doktrin ihre erste Anwendung: Seither können Mitgliedstaaten nichtdiskriminierende
Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit als ‚zwingende Erfordernisse’ des
Umweltschutzes geltend machen (vgl. Rs. 302/86, Dänische Pfandflaschen); diskriminierende
Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels bleiben hingegen unbeschadet der
Rechtfertigungsgründe in Artikel 30, unter denen der Umweltschutz als solcher nicht
vorgesehen ist, untersagt. Einige diskriminierende Maßnahmen hat der EuGH in seiner
Rechtsprechung allerdings dann – fallweise – legitimiert bzw. legalisiert, ob durch
Umdeutung der fraglichen Maßnahme in eine nichtdiskriminierende (z.B. unter Zuhilfenahme
des Ursprungsgrundsatzes, vgl. Rs. C-2/90, wallonisches Mülldekret) oder durch
Überdehnung der Ausnahmebestimmungen bzw. Hinzunahme eines eigenständigen
Rechtfertigungsgrundes Umweltschutz (was dem Grundsatz ‚singularia non sunt extendenda’
widerspricht, vgl. Rs. C-67/97, Bluhme; Rs. C-370, PreussenElektra). Daraus lässt sich
schließen, dass die Unterscheidung zwischen diskrimierenden Maßnahmen, die nur unter
Rückgriff auf Artikel 30 gerechtfertigt werden können, und nichtdiskriminierenden
Maßnahmen, die nur auf – ungeschriebene, vom EuGH für Recht befundene – ‚zwingende
Erfordernisse’ gegründet werden können, an Bedeutung verliert. Demzufolge wird künftig in
der Rechtsprechung mehr im Vordergrund stehen, ob die handelsbeschränkenden Maßnahmen
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Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs
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tatsächlich dem Umweltschutz dienen und ob sie überdies dem Verhältnismäßigkeitsgebot
entsprechen (vgl. dazu C-473/98, Kemikalieninspektionen) (Nowak 2001, 233-237; Winter
2003, 141; Scheuing 2001, 152-158; Krämer 2002, 276-278, 292-293 und 321-322).
Was mitgliedstaatliche Schutzverstärkungen anbelangt, unterscheiden sich die
Zulässigkeitskriterien nach der Rechtsgrundlage des bestehenden gemeinschaftlichen
Sekundärrechts. Da die Wahl der Rechtsgrundlage vom inhaltlichen Schwerpunkt des zu
erlassenden Rechtsakts abhängt (wobei die vom EuGH hergeleiteten ‚objektiven’
Zuordnungsmerkmale dem Gesetzgeber einen gewissen Gestaltungsspielraum belassen), sind
Harmonisierungsmaßnahmen für Querschnittskonflikte alternativ auf die Bestimmungen im
Binnenmarkttitel oder im Umwelttitel zu stützen, wo jeweils auch die Ausnahmen geregelt
sind. So werden gemeinschaftliche Beschränkungen oder Verbote umweltschädigender
Produkte im Allgemeinen auf die Binnenmarktregeln gestützt: Die Rechtsangleichung soll in
erster Linie dem Handel zugute kommen – nicht dem Umweltschutz (also entscheidet auch
nicht der Rat der Umweltminister über die Maßnahmen).
Für alle verstärkten Schutzmaßnahmen auf nationaler Ebene gilt, dass sie im Sinne der Artikel
28 und 30 des Vertrags den Handel nicht unnötig beschränken dürfen (Diskriminierungs- bzw.
Beschränkungsverbot; Verhältnismäßigkeitsgebot). Regulierungen, die (hauptsächlich) das
‚Funktionieren des Binnenmarkts’ bezwecken, sollen laut Vertrag ein ‚hohes Schutzniveau’ in
den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz vorsehen.
Mitgliedstaatliche Schutzverstärkungen (Beibehaltung und Neueinführung) sind dann nur
noch unter bestimmten Bedingungen möglich und in besonderer Weise genehmigungs- und
begründungspflichtig; Neueinführungen unterliegen dabei höheren Anforderungen als
Beibehaltungen von Sonderregeln (Artikel 95, Absatz 4-9 EG). Der EuGH folgt in seiner
Rechtsprechung einer engen Auslegung dieser Ausnahmeregelung, die ursprünglich
verhindern sollte, dass der mit der EEA eingeführte Mehrheitsbeschluss bei Maßnahmen der
Rechtsangleichung einzelstaatliche Schutzinteressen gefährdet (vgl. Rs. C-41/93, PCP). Seit
dem EUV-A können mitgliedstaatliche Regelungen, die über das im gemeinschaftlichen
Sekundärrecht festgeschriebene Schutzniveau hinausgehen, auch ‚in Bezug auf den Schutz der
Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz’ gerechtfertigt werden. Zudem gilt die
Querschnittsklausel, die eine Berücksichtigung der umweltrechtlichen Prinzipien vorschreibt
und damit den Möglichkeitsraum für die Verstärkung mitgliedstaatlicher Schutzregeln
absteckt. Wiederum ist allerdings mit einer restriktiven Rechtsprechung hinsichtlich der
Qualität der Gründe und der Bedingungen ihrer Zulässigkeit zu rechnen. Damit aber geht der
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Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs
Stand: 30. September 2003
vom Gemeinschaftsgesetzgeber deregulierte und reregulierte Binnenmarkt tendenziell
zulasten des ‚Wettbewerbs der Rechtsordnungen um den bestmöglichen Umweltschutz’.
Werden die Harmonisierungsmaßnahmen stattdessen auf Grundlage von Artikel 175 EG
erlassen, weil ihr Hauptzweck der Umweltschutz und nicht das Funktionieren des
Binnenmarktes ist, sind die Vorgaben für mitgliedstaatliche Schutzverstärkungen weniger
rigide (Artikel 176 EG) und unterscheiden sich kaum mehr von den Bedingungen für
mitgliedstaatliche Alleingänge bei fehlender sekundärrechtlicher Harmonisierung (was
allerdings die tatsächlich bestehenden Unterschiede verwischt, vgl. C-203/96, Dusseldorp). So
können besondere Schutzmaßnahmen beispielsweise auch ohne vorheriges Plazet der
Kommission veranlasst werden. Außerhalb der auf Grundlage von Artikel 95 und 175
gestützten Sekundärrechtsmaßnahmen sind keine mitgliedstaatlichen Schutzverstärkungen
zulässig (Scheuing 2001, 158-163; Winter 2002, 141-142; Krämer 2002, 65-67, 73-77 und
294-297).
3.2.7 Umweltschutz im Außenhandel
Die internationale Dimension des EG-Verfassungskonflikts zwischen Freihandel und
Umweltschutz deutet sich in der Auseinandersetzung um das Cartagena-Protokoll über
biologische Sicherheit – insbesondere den Umgang mit lebenden genetisch veränderten
Organismen – an, zu dem der EuGH im Jahr 2000 auf Anfrage ein Gutachten zur Bestimmung
der Rechtsgrundlage angefertigt hat (Gutachten 2/00, Cartagena). Streitgegenstand war die
Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss und die Durchführung des Protokolls, und
zwar wiederum in doppelter (Integrations-) Perspektive: im horizontalen Verhältnis der
Ressorts untereinander (Handelspolitik vs. Umweltpolitik) und auf der vertikalen Achse der
Bündelung von Kompetenzen (ausschließliche Zuständigkeit vs. geteilte/konkurrierende
Zuständigkeit). In dem Gutachten geht der EuGH davon aus, dass das Cartagena-Protokoll
seinen Schwerpunkt in der internationalen Umweltpolitik hat und beruft sich dazu auch auf
die UNCED, von der die Rahmen bildende Biodiversitätskonvention stammt: als Konferenz
über Umwelt (und Entwicklung). Die Kommission hatte hingegen argumentiert, dass die
Bestimmungen vor allem den Handel mit lebenden genetisch veränderten Organismen
betreffen, daher im Grundsatz der Handelspolitik zuzuordnen sind, welche vermittels der
Querschnittsklausel wiederum die Umwelterfordernisse einbezieht.
Im Lichte dieser Kompetenzstreitigkeiten wird nicht nur die Verbindung von internaler und
externaler Dimension der Zielkonflikte im Gemeinschaftsrecht deutlich, sondern auch die
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Otto-Friedrich-Universität Bamberg – GRK MSEEntwurf eines Arbeitspapiers von Sabine Frerichs
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Verknüpfung von europäischer und internationaler Handelsordnung augenfällig: Der Kritik
am Gutachten des EuGH lässt sich entnehmen, dass bei der Zuständigkeitsverteilung im
außenpolitischen Schnittfeld von Handel und Umwelt mehr auf dem Spiel steht als ein EU-
internes Machtgerangel zwischen Kommission und Mitgliedstaaten. Darüber hinaus reichen
Befürchtungen, dass die Rechtsauffassung des EuGH zu einer Aushöhlung der gemeinsamen
Handelspolitik führen und die internationale Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft schwächen
könnte. Dem schließen sich Warnungen an, dass die Gestattung ökologisch motivierter
‚technischer’ Handelshemmnisse, wie sie das Cartagena-Protokoll vorsieht, die (Rechts-)
Gemeinschaft in Widerspruch zur Welthandelsorganisation bringen wird, deren Mitglied sie
ist. Damit geht es in dieser Auseinandersetzung aber auch um das Verhältnis zwischen
Welthandelsregime und internationalen Umweltabkommen. Insofern gleicht der
Normenkonflikt in der internationalen Staatengemeinschaft dem in der Europäischen Union,
und die von der europäischen Ebene bekannten Positionen – Hierarchie oder Gleichrangigkeit,
Absonderung oder Integration – wiederholen sich im internationalen Maßstab (Herrmann
2002, 1168-1174; Schwarz 2003, 61-71).
Als Deutung des EuGH-Gutachtens im Sinne des Nachhaltigkeitsleitbilds bietet sich an, dass
die Durchführungskompetenzen für internationale Umweltabkommen derzeit trotz
Querschnittsklausel besser im Umweltressort aufgehoben sind als im Handelsressort, wobei
dies sogar einen Verzicht auf Zentralisierungsvorteile impliziert. Dass sich eine solche
inhaltliche, nicht an den EU-internen Interessendivergenzen festgemachte Interpretation auch
empirisch stützen lässt, ist eher unwahrscheinlich (Kraack 2000, 228-231); durchaus real sind
aber die Wirkungen dieser institutionellen Entscheidung des Gerichts auf die Entwicklung
einer integrierten Wirtschafts- und Umweltverfassung. Schließlich lässt die Interaktion
zwischen Welthandelsrecht und EG-Recht im Allgemeinen vermuten, dass (rechts-)
institutionelle Lösungen für den Zielkonflikt von Wirtschaftsverfassung und
Umweltverfassung zwischen den Ebenen – wie gehabt – ausgetauscht werden bzw. sich
interdependent voneinander entwickeln. Wegen ihres höheren Integrationsniveaus (mit
Nachdruck in vertikaler Dimension, mit Vorbehalten in horizontaler Dimension) kann die
Europäische Union in dieser Beziehung in gewisser Weise Muster bildend wirken. Als
Governanceakteur könnte der EuGH somit maßgeblich zur Verrechtlichung der
Nachhaltigkeitsproblematik beitragen: auf europäischer und sogar auf globaler Ebene.
SCHLUSS/AUSBLICK
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Stand: 30. September 2003
Es hat sich gezeigt, dass sich nachhaltige Entwicklung in der Vertragslyrik der Europäischen
Union einen festen Platz erobert hat. Gleichwohl bleibt das Konzept als Verfassungsziel und
Rechtsprinzip noch sehr unscharf. Während eine theoretische Ausarbeitung möglich erscheint
und zum Teil auch in den Rechtswissenschaften in Angriff genommen worden ist, sind die
empirischen Befunde bisher jedoch dünn. Noch gibt es keinen sicheren Hinweis darauf, dass
nachhaltige Entwicklung in der Rechtsprechung des EuGH einen eigenen Stellenwert erlangt
hat. Schlüsse lassen sich vorerst nur im Hinblick auf einzelne Grundsätze (z.B. das
Integrationsprinzip) und Teilaspekte (z.B. die ökologische Dimension) des Gesamtkonzepts
ziehen. Die Frage, inwieweit der EuGH das Konzept rechtlich ausfüllen kann, bleibt
empirisch daher noch offen. Theoretisch lässt sich das Untersuchungsanliegen hingegen gut
begründen und in den Schnittpunkt verschiedener Diskurse der Europaforschung stellen.
Die Fortführung der Arbeit bewegt sich im – den Europäern wohl vertrauten – Spannungsfeld
von Erweiterung und Vertiefung: Zum einen erscheint die stärkere Einbeziehung der
entwicklungspolitischen Dimension unabdingbar, um den Gehalt des Nachhaltigkeitskonzepts
zu wahren, zum anderen ist eine eingehendere Untersuchung einiger der hier angeschnittenen
EuGH-Fälle wohl dringend erforderlich, um ihre Aussagekraft für die verfolgte Fragestellung
zu sichern.
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