die reflexbahnen für die ohr-augenbewegungen

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Die Reflexba, hnen fiir die 0hr-Augenbewegungen. Von Prof, Dr. Martin Bartels St~dtische .A-ugenklinik Dortmund. ~Iit 5 Textabbildungen. Im naehfolgenden ist versueht, unsafe jetzigen Kenntnisse fiber die anatomiseh festgestellten trod die physiologiseh zu fordernden Bahnen darzustellan und dabei gMehzeitig die noch strittigen Fragen zu er- 5rtern. 1. Die anatomisch bekannten Bahnen. Es sind anatomiseh nerv6se Bahnen vom Ohr bis zu den Augen sichergastellt; a,ber die so histologiseh nachgewiesenen nerv6sen Ver- bindungan beruhen zum grSl3ten Tefl auf Beobaehtungen an Tieren, deren Ergebnisse nieht ohne weit, eres auf den Mensehen ~ber~ra, gen werden k6nnen. Dies geht sehon aus dem einfaehan Grunde nicht, wail bei Tiered mit seitlieh stehenden Augen die Verbindungen adders sain mfissen als beim Menschen mit frontal stehenden Augan. Werden z. B. bei eider Taube beide Bulbi nach oben gerollt, dadurch, dab der Sehna- hal naeh vorn unfed gasenkt wird, so warden (abgesehen yon der Er- sehlaffung) beide Obliqui inferiores maximal kontr~hiert. ]i~fihren abet beim Mensehan beide Bulbi eine Rollbewegung aus, so werden niemals beide Obliqui inferiores gMahzeitig kontrahiert, sondern beim Neigen des Kopfes auf die linke Sehulter rollen baide Bulbi entgegen dem Uhr- zeiger, dabai wird reehts der Obliquus inferior kontrahiert und links der Obliquus superior. Es lassen sich also die z. B. yon Wallenberg ~) an der Taube gewonnenen Beobachtungen fiber die Verbindungan zwisehen Vestibularis und Auge nieht ohne weiteres auf den Mensehen fibertragen. Durch diese versehiedene physiologische Funktion der Mus- ketn bei frontal und seitlich s~ehenden Augen erklgrt sieh vielleieht auch ein Tell der ~Tiderspriiehe fiber die anatomisch gefundenen Bahnen, denn hier besteht keine ~bereinstimmung zwisehen den Forsehern. Eigentlieh einheitlieh sichergestellt ist nur dar Weg yore Labyrinth bis in die Medulla oblongat.a, and yon den Augenmuskelkernen na,eh den Augenmuskeln, wghrend alle Bahnen innerhMb der Medulla oblongata noch nicht geld~rt sind oder genauer ausgedrfiakt, es sind eine Anz~hl Bahnen histologiseh naehgewiesen, abet ihre Stgrke und ihr feinerer

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Page 1: Die Reflexbahnen für die Ohr-Augenbewegungen

Die Reflexba, hnen fiir die 0 h r - A u g e n b e w e g u n g e n .

Von Prof, Dr. Martin Bartels

St~dtische .A-ugenklinik Dortmund.

~Iit 5 Textabbildungen.

Im naehfolgenden ist versueht, unsafe jetzigen Kenntnisse fiber die anatomiseh festgestellten trod die physiologiseh zu fordernden Bahnen darzustellan und dabei gMehzeitig die noch strittigen Fragen zu er- 5rtern.

1. Die anatomisch bekannten Bahnen. Es sind anatomiseh nerv6se Bahnen vom Ohr bis zu den Augen

sichergastellt; a,ber die so histologiseh nachgewiesenen nerv6sen Ver- bindungan beruhen zum grSl3ten Tefl auf Beobaehtungen an Tieren, deren Ergebnisse nieht ohne weit, eres auf den Mensehen ~ber~ra, gen werden k6nnen. Dies geht sehon aus dem einfaehan Grunde nicht, wail bei Tiered mit seitlieh stehenden Augen die Verbindungen adders sain mfissen als beim Menschen mit frontal stehenden Augan. Werden z. B. bei eider Taube beide Bulbi nach oben gerollt, dadurch, dab der Sehna- hal naeh vorn unfed gasenkt wird, so warden (abgesehen yon der Er- sehlaffung) beide Obliqui inferiores maximal kontr~hiert. ]i~fihren abet beim Mensehan beide Bulbi eine Rollbewegung aus, so werden niemals beide Obliqui inferiores gMahzeitig kontrahiert, sondern beim Neigen des Kopfes auf die linke Sehulter rollen baide Bulbi entgegen dem Uhr- zeiger, dabai wird reehts der Obliquus inferior kontrahiert und links der Obliquus superior. Es lassen sich also die z. B. yon Wallenberg ~) an der Taube gewonnenen Beobachtungen fiber die Verbindungan zwisehen Vestibularis und Auge nieht ohne weiteres auf den Mensehen fibertragen. Durch diese versehiedene physiologische Funktion der Mus- ketn bei frontal und seitlich s~ehenden Augen erklgrt sieh vielleieht auch ein Tell der ~Tiderspriiehe fiber die anatomisch gefundenen Bahnen, denn hier besteht keine ~bereinstimmung zwisehen den Forsehern. Eigentlieh einheitlieh sichergestellt ist nur dar Weg yore Labyrinth bis in die Medulla oblongat.a, and yon den Augenmuskelkernen na,eh den Augenmuskeln, wghrend alle Bahnen innerhMb der Medulla oblongata noch nicht geld~rt sind oder genauer ausgedrfiakt, es sind eine Anz~hl Bahnen histologiseh naehgewiesen, abet ihre Stgrke und ihr feinerer

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M. Bartets: Die Reflexbahnen fiir die Ohr-Augenbewegungen. 539

Verlauf ist noch nicht erhellt. Von den Sinneszellen der Maculae und Cristae des Labyrinthes gehen Nervenfasern im Nervus oetavus s. acusticus zu in diesem liegenden bipolaren Ganglienzellen (Ganglion vestibulare s. Searpae), deren peripheren Fortsatz sie bilden; die zen- tralen Fortsgtze der Zellen bilden den Ramus anterior des N. octavus s. vestibularis, d. h. den eigentliehen Vestibularnerv, siehe Abbl 1 u. 2. Er fiihr~ stgrkere Fasern als der R. coeh]earis und t r i t t in die Medulla oblongata ein zwisehen Corpus restiforme und Radix spinalis trigemini (Quinti) unterhalb der Brficke. Der Vestibu]aris fasert sich pinsel- f6rmig in der Medulla auf, die Fasern teilen sieh in aufsteigende und ab-

....... . .... ~ int,......,... _ .......B.

Abb, 1, .Keeuzung get Bah~en in der Po~s, v o m rechten Labyr in th ausgezogen, vom l inken ge- strichelt , 1 = Membrana t y m p a n i ; 2 = Fenes t ra oval is ; 3 = Labyr in th ; 4 = Gangl ion Scarpae; 5 = Vest ibular is ; 7 = Fasziculus longi tud , post . ; I I I = Oculomotor iuskern ; V I = Abducenskern ;

V I I I = Vest ibular iskern; J5 = Laqueus ; P y = Pyramide.

steigende Aste IS. _Ramon y Ca]a119, 2o)], letztere bilden den gTSBten Tell, es ist die sog. spinale Aoustiouswurzel. Naeh Kaplan 11) und Leidler 1~) verlaufen die Fasern erst eine Streeke welt in der Medulla, ehe sie sich teilen, die dorsoorale Wurzel des Vestibularis, die ffir die Verbindung mit den Augenmuskelkernen in Betracht kommt, entsteht nach obigen Autoren nicht, wie Ca]al anninmmt, durch Dichotomie, sondern sie sind teilweise direkte Fasern, die zum N. Beehterew gehen. Uber den weiteren Verlauf der Fasern gehen die Ansichten nun st.ark auseinander. Naeh Wattenberg 2~) (und Dejerine und van Gehuchten) ziehen bei der Taube Vestibularisfasern direkt zum gekreuzten Abducenskern, zum ge- kreuzten Oculomotorius und Trochleariskern. Die in den Vestibularis- kernen unterbrochenen Fasern konnte Wallenberg in groBer St~rke zum

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gleichseitigen Abducens ~xnd beiden Oeutomotoiiuskernen nachweisen, s. Abb. 2, die gleichseitigen zum 6. Kern gehenden Bahnen liegen lateral im hinteren Lgngsbiindel, medial die zum gekreuzten Oeulomotorius- und Troehleariskern ziehenden Bahnen. Diese histologischen Befmade sind, wie gesagt, an V6geln erhoben. Leidler konnte bei S~ugern direkte Fasern zu den Augenmuskelkernen nicht naehweisen, aueh .Marburg

~d cer'e~el/u,.r:

A b b . 2. Anatomisch bekannte Bahnen f~,r die Seitenbewegung der Augen yore rechten Lctbyrinth aus. Be. = N u c l e u s B e c h t e r e w ; Tr. = ~ . t r i a n g u l a r i s s. d o r s a l i s ; Deit. = N. D e i t e r s .

leugnet sie ganz, sondern die wichtigsten Verbindungen gehen erst yon den Endkernen des Vestibul~ris aus. Uber die Endkerne des Vestibutaris nun und die yon ihnen ausgehenden Bahnen bestehen weiter erhebtiche 5{einungsversehiedenheiten. Es kommen als Endkerne in Betraeht : 1. der Nucleus terminales vestibularis s. descendens N. Roller (yon einigen aueh als ventrocaudaler Deiters, Meinzelliger Deiters bezeieh- net); 2. N. triangularis s. dorsalis s. internus; 3. N. Deiters s. externus

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Die Reflexbahnen ifir die Ohr-Augenbewegungen. 541

s. Hauptkern; 4. N. Bechterew s. angularis. Die frfihere Anschauung, d ~ der N. Deiters der Hguptendkern des Vestibularis sei, ist nicht mehr aufrech~ zu erhalten. Als echte Endkerne des Vestibularis sind naeh Kaplan und Leidler mi~ Sicherheit nur der N. triangalaris und ~. Beehterew (angularis) aufzufassen, ferner Kleinhirnkerne (~. Teeti nnd N. Globosus) (in letzteren marklose Fasern) und die Rinde des Kleinhirns.

Wenn uuch nach den genannten Autoren der grS~te Teil der Vesti- bularisfasern sieh eaud~lwarts wendet (spinale Acusticuswurzel) und der Rest medial sich in 1~. Deiters, triangularis und Beehterew aufsplittert, so ist doch der 2v T. Bechterew yon ihnen aIs der eigentliche End/~err~ des Vestibularls bezeichnet. Dieser Kern liegt am Rande des 4. Ventrikels, ist caudal gegen den N. Deiters abgegrenzt, oral gegen den sensiblen und motorischen Trigeminuskern. Beim ~Ienschen sell er naeh Kaplan ~1) und Fuse s) seine h6ehste Entwicklung erreichen. Die yon einigen Autoren (jtingst von KSllner erw/~hnte) ge~u/~erte Meinung, dab bei den VSgela kein Beehterew existiere, ist m. E. nicht riehtig, ieh 4) konnte ihn bei allen VSgel (aueh bei den Eulen, we ieh ihn anfanglich vermiBte) nachweisen. Den Nucleus triangularis (s. dorsalis) reehnet Ca]al nieht zu dem Vestibulariskern, Wallenberg sah nur wenige Fasern in ihn ein- treten, Marburg 16) reehnet ihn zu den grSBten Endkernen. Ohne tiber die Stellung dieses Kernes bei den S~ugern ein Urteil abgeben zll wollen, kann vielleieht eine Beobaehtung, die ieh an Eulen maehte, seine Zu- gehSrigkeit und Funktion etwas abgrenzen. Die Eulen (ich untersuehte : Syrnium aluco, Athene noetua und Bubo bubo) sind ausgesprochene ,,ttSrtiere", d .h . sie suehen ihre Nahrung nach dem GehSr, das ganz auBerordentlieh rein ist. Ihre H6rkerne (Cochleariskerne) land ich nun im Gegensatz zu dem Befund bei allen ~ndern VSgeln ganz enorm stark in der Medulla oblongata entwickelt; der sog. Laminariskern reioht bis an den Troehleariskern; die Vestibulariskerne (N. DeiCers, N. deseen- dens und Xq. Beohterew) sind ebenfa]ls kr~ftig ausgebildet. Dagegen ist der 1~. triangularis nur als ganz kleines verlagertes Gebilde vorhan- den [Barrels4)], Daraus geht wohl zun~chst hervor, dab er nieht zu den It6rkernen (Coohle~ris) gehSrt. Wenn er aber zu den Vestibulariskernen zu z/~hlen ist, weshalb ist er dann allein bei sonst normalen fibrigen Vestibu]ariskernen so stark verkiimmert, wie bei keinem anderen Vogel, soweit ieh sie untersuchen konnte ? Vielleieht steht dies mit der Tat- sache im Zusammenhang, dab bei den Eulen alle vestibularen Augen- bewegtmgen fehlen, denn die Bulbi der Eulen sind unbeweglich lest in den Augenh6hlen verankert und kSnnen selbst passiv nioht bewegt werden (Bartels3)]. Daraus kSnnte man vielleicht mit aller Vorsioht sehlieBen, dab dieser Kern, d .h . also der Triangularis vorwiegend bei den vestibularen Augenbewegungen eine Rolle spielt, lqatiirlieh miiBte

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dies noch genau verfolgt werden. Jedenfalls stehen alle die genannten 4 Endkerne des Vestibularis miteinander in Verbindm~g, yon ihnen gehen die sekand/~ren ~'asern aus und verlaufen anf dem Wege des hinteren Lgngsbiindels in der 5[edulla aufwgrts zu den AugenmuskeI- nervenkernen, und stellen so die uns hier interessierende Verbindung her. Abet es ist sehr strittig, yon welchen Endkernen diese sekund/~ren VestibuIarisbahnen zu den Augenkernen ausgehen, nnd wieweit sie ge- kreuzt und ungekreuzt verlaufen. Nach van Gehuchten, ~amon y Ca]al, Kohnstamm und Quensel sollen die Augenfasern des Vestibularis h~upt- sgehlich dem N. Bechterew entstammen; van Gehuchten land ein diekes gleichseitiges Biindet, das er Fa~cicutus vestibulo~mesencephaticus nannte, es wiirde sich teilweise mit Wallenbsrgs Resultaten decken. Nach Fuse und Leidler hat der N. Bechterev( dagegen, wenn iiberhaupt, nur sehr geringe Beziehungen zum hinteren Lgngsbiindel. Naeh den letztgenann- ten Autoren gehen via Faseic. longitudinalis post. zu den Augennerven- kernen Fasern ~us Zellen des ventroca, udalen Deiters und N. tria.ngu- laris. Diese sekundaren Fasern (Bogenfasern) endigen unter Kreuzung mit den Bogenfasern der anderen Seite (s. Abb. 2) in dem medialen Tell des kontralatera]en hinteren Lgngsbiindels und splittern sich im Oeulo- motorius und Troehleariskerne auf. Die Verbindung mit dem Riicken- mark wird dutch den aus dem Deiters entspringenden mgehtigen Trae- tus vestibulospinalis hergestellt. Von den Zellen der Augenmuskel- kerne verlaufen dam1 die yore Abdueens zum gleiehseitigen Auge, yore Trochlearis ganz gekreuzt, yore Oculomotorius die ftir den Muse. in- ternus gekreuzt. Wir kennen somit histologiseh Bahnen yore Labyrinth bis zum Augapfel, wissen aueh histologiseh, dab sieh Bahnen in der Medulla kreuzen, aber Stgrke und Einzelheiten dieser Bahnen kSnnen wit noeh nicht mit unseren physiologischen Experimenten und patho- logischen Erfahrungen restlos in Einklang bringen. Somit miissen wir die physiologiseh erforsehten Bahnen noch gesondert darstellen.

Beziiglich der feineren Innervation zwischen Labyrinth and Auge sind folgende Beobachtungen wiehtig: I~aeh Voit ~) und Oort ~s) wh'd die Maeula des Utrieulus yore Ramus utrieularis 1N'ervi octavi inner- viert, der Hauptteil der Saeeulusmaeula vom Ramus saecularis, die vordere Eeke des Sacculus erhglt dagegen eine eigene Innervation dtLreh einen Zweig des R. utrieularis, was auf eine funktionelle Sonderstellung dieses Sacculusteiles hindeuten wiirde.

Burlet ~) land fiir Xaninehen und andere untersuehten S~uger fol- gende Verh~tltnisse: Die proximale Octavuswurzel innerviert die Macula utriculi und die Ampulla ant. horiz , die distale des Vestibularis die Maeula saceuli und die Ampulla post. ; der Dorsallappen der Macula saceuli ist aber innerviert yon einem Aste der proximaten V~urzel, w~ilxrend die distale auch ein Xstehen zum 1~. Coehle~ris fiir das Cortisehe Organ abgibt.

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Die geflexbahnen far die Ohr-Augenbewegungen. 543

Schepmann 21) hat Fasern aus einzelnen Teilen des Labyrinthes bei ihrem Ver]auf im ZentrMnervensystem ver~olgt bei VSgeln. Die Fasern aus Utrieulus und Saeeulus teilen sieh bei Eintr i t t in die Medulla, die absteigenden gehen zum N. descendens vest., die aufsteigenden endigen in den Vestibulariskernen Deiters und Beehterew. Fasern aus der hin- tersten Ampulle endigen im N. tangentiMis. Dies ist ein yon Ca]al bei V6geln entdeckter Vestibulariskern, der bei S~ugern etwa einem peri- pheren und caudalen Anteil des 1~. Deiters entspreehen wiirde, ich 4) konnte ihn nieht bei allen V6geln nachweisen. Die Achsenzylinder aus dem N. tangentiMis ziehen kontralateral im hinteren L~ngsbfindel auf- w~rts zu den Augenmuskelkernen und a.bw/~rts zum Traetus vesti- bulospinalis.

Winkler 2~) sah auch Wurzelfasern des Vestibularis im Coehlearis- kern endigen.

2. Die physiologischen Reflexbahnen fiir die 0hr-Augenbewegungen.

Wenn wit uns auf Grund der Ergebn~sse der Tierexperimente und der Beobachtungen der menschlichen Pathologi% die physiologisehen ]~eflexwege klar zu machen suchen, so stoBen wir hier besonders auf auBerordentlich verwiekelte VerhMtnisse und eine groBe Anzahl unge- 16ster Fragen. Doch l~Bt sich auf Grund der bisherigen Forsehung sehon ein Umrigbild zeichnen. Dies hat schon deswegen Wert, weil die m6g- lichst genaue Festlegung des bisher Erreiehten erst die 1%iehflinien fiir weitere Forsehungen abgibt. DeshMb sind auch die frtiher auf- gestellten Schemata (H6gyes, Barany, Bartels), wenn sic aueh fehler- haft waren, die Grundlage weiterer Experimente geworden, dureh die dann viele Ansehauungen riehtig gestellt werden konnten.

Bei der zeichnerischen Darstellung ist der Einfaehheit hMber yon den Seitenwendern ausgegangen. Zun~ehst mfissen wir annehmen, wie H6gyes zuerst naehwies, dab sich die Buhnen~fiir die Ohr-Augenbewe- gungen mindestens teilweise in der Medulla oblongata kreuzen (s. Abb. 1 und 3). Denn nach einem L~ngssehnitt in der Raphe oberhMb der Abdueenskerne h6ren Mle Ohr-Augenbewegungen auf [Hdgyes~°)]. Da ferner yon jedem Ohr aus beide Augen nach beiden Richtungen be- wegt werden, so erfordert eine einfache 1Jberlegung, dab sieh min- destens teilweise die Bahnen kreuzen m/issen. Durchschneidet man seitlich die Medulla, so hSrt der Nystagmus nach der Schnittseite auf , es t r i t t nut noch langsame Bewegung nach dieser Seite ein, also um- gekehrt wie nach Durehsehneidung des Acusticus einer Seite [Hdgyes, Bartels, Bauer und Leidlerla)]. Wenn letztere. Autoren die Ersehei- nungen nach hMbseitiger Durchsehneidung der Medulla dureh l~eizung zu erkl~ren suehen, so widersprieht dies unseren Erfahrungen in der mensehlichen Pathologie und aueh bei Tierexperimenten. Bei einem

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meiner Versuchskaninchen konnte ich einen Tefl der sofort ~ufgetretenen Symptome nach Aeusticusdurchsehneidung fiber 2 Jahre be0bachten, so lange dauert aber doeh kein Reizzustand. Es ergeben sieh somit zu- nachst ffir die langsame Phase die in der Abb. 3 wiedergegebenen Bahnen. Naeh den Experimenten yon Bauer und Leidler und Marburg verlaufen die Bahnen fiir die verschiedenen Ohr-Augenbewegungen wohl aIle in der Deitersgegend, aber nieht alle in gleieher ttShe. Die Bahnen ffir die rotatorischen Bewegungen wahrscheinlich caudal; oral- wi~rts die horizontalen, und noch welter oralwiirts vom Fasciatisknie die

2

3 Abb. 3. B a h n e n fi ir l a n g s a m e (ausge- zogen) und sehnel le P h a s e (gestr iehel t) . 1 = Vestib. sin. ; 2 = V e s t . dext r . ; 3 = Ko- o rd ina t i onszen t rum fiir die l angsame P h a s e (Ves t ibular i skerne) ; d u. 5 = fl i t

die schnel ie Phase .

fiir die verti/salen. Wie aus allen Be- obaehtungen, besonders aus den Mus- kelkurven hervorgeht, erfo]gt die Zu- sammenarbeit der Augenmuskeln, die veto Ohr in ihrem Spannungszustand ver~ndert werden, in ~ul~erst exakter Weise. Eine bestimmte Muskelgruppe ersehlafft zun~ehst; w~hrend sie noeh ersehlafft, fangen die Antagonisten an, sieh zu kontrahleren. Dies Zu- sammenspiel der Muskeln, das die Labyrintherregung hervorruft, ist bei jeder Bewegung der Aug~.pfel so wohl geordnet, da{] wir irgendwo im Zen- tralnervensystem eine Zusammen- fassung, eine Koordination (Synergie nach Barany), wenn man will, ein Koordinationszentrum (s. Abb. 3) an- nehmen miissen. Hier erhebt sich die Frage, wird das Zusammenspiel dieser MuskeIn zentral so abgestimmt oder peripher. Wir haben eine zentrale

Koordination angenommen, man kSnnte ~ber aueh daran denken, daft diese vielleieht sehon im Bogengang stattf~nde, man kSnnte ffagen: Gibt es eine sti~ndige Verbindung (unter Umsehaltung in den Vestibularis- kernen) der Ampullen des horizontalen Bogenganges mit den Kernen der linken und rechten Seitenwender ? Barany und Ohm 17) haben mi~ vieler Mfihe ein Schema der Verbindungen der Bogeng~nge mit den einzelnen l~uskeln gezeiehnet. Ich glaube eher, dal~ yon jedem Bogengang aus je nach Xopfstellung bestimmte Augenbewegungen nieht bestimmte Mus- tceln innerviert werden. ~¥ie dem aueh sei, jedenfalls wird das Zusam- menspiel zwischen Erschlaffung und Kontraktion doch hSchstwahr- seheinlieh im Zentralnervensystem geordnet. Gerade aueh Barany 2) hat sehon darauf hingewiesen, dai~ beim Kaninehen bei gleieher Rei-

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Die Reflexbahnen flit die Ohr-Augenbewegungen. 545

zung derselben Bogeng~nge je naeh Kopfs~ellung ganz versehiedene Muskeln den Nystagmus verursachen. Es sprieht manches daffir, dab eben jeder Bogengang irgendein Zen~rum reizt, das horizon~alen, ver- tikalen, rotatorischen usw. Nystagmns in einer bestimmten Ebene macht; auch die Beobaehtnng, dag man nach Durchschneidung einer bestimm- ten Anzahl yon Muskeln nnd dadureh bedingter Lagever~tndernng des Anges in der Orbita doeh noah immer Nystagmus in der Drehebene bekommt. Ebenso bekam Marina, s. Barrels3), der den Rectus su- perior mit dem Rectus externus vertausehte, denselben Drehnystagmus wie vorher. Ferner sprechen die Experimente Leidlers daffir, dab in der Medulla tatsgchlich solche Zentren existieren, die vorwiegend Nystag- runs bestimmter Richtnng auslSsen. Diese Zentren fiir eine bestimmt~ vestibulare Bewegung der Aug~pfel liegen mit groger Wahrscheinlich- keit in den Vestibulariskernen (Marburg, Leidler). Hier finder also eine Koordination der NuskeIbewegnng statt, es ist das die SteNe, die ieh Ms in/ranudeares Koordinationszentrum (s. Abb. 3, 3) in meinen friiheren Arbeiten bezeichnete. Es mfissen ja wohl fiir Mle konjugierten Augen- bewegungen, seien sie nun psychisch, cortical, vestibulgr oder durch tIalsreflexe ausgelSst, solche Zusammenfassungen vorhanden sein. Die Trennung der willkfirtichen und reflektorischen Bewegungen bei be- stimmten Fi~llen yon ~Blickl~hmung machen es uns sehr wahrschein- lieh, dab die Zusammenordnung ffir Mle diese Erregungen nicht auf denselben Bahnen verlaufen. Uber ein Koordinationszentrum hin mfissen jedenfal]s Verbindungen zwischen jedem Labyrinth und jedem Augenmusket bestehen (s. Abb. 3), denn nach einseitiger Labyrinth- zerst6rung und Abklingen der stfirmischen Nacherscheinungen k6nnen wir wieder veto einzig erhaltenen Labyrinth Beweg~mgen beider Augen nach allen l%ichtungen erzielen, wenn auch nicht gleich stark, das kemmt hier nicht in Betracht, und zwar mfissen sowohl Erschlaffungs- wie Kontraktionsbahnen yon jedem Lab~-rinth zu jedem Augenmuskel gehen, wie die Kurven zeigen. Suchen wir uns an einem Schema die Balmen fiir den horizontalen Nystagmus Mar zu machen. Lassen wir die Erschlaffung der Einfachheit halber zungchst unberiicksichtigt, Wit hgtten dann ffir die langsame Phase des vom rechten Labyrinth erzeugten Nystagmus nach rechts, der mit einer Linkswendung der Augen beginnt, folgende Bahnen, s. Abb. 4 (ausgezogene Linien). Veto rechten Labyrinth geht der Reiz zu den Koordinationszentren (Vesti- bulariskern ?) fiir die langsame Phase, und yon da fiber den linken Ab- dueenskern zum l%ectus laterMis des linken Auges gMchzeitig fiber den linken Oculomotoriuskern zum Rectus media[is rechts, also zusammen zu den Seitenwendern nach links. Die Bahnen kreuzen demnaeh auf die andere Seite, We und wie erfolgt nun der Umschlag nach rechts, Mso die schnelle Seitenwendung nach rechts ? Es ist ein bis heute noch

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5 4 6 M. B~rtels :

ungelSstes Problem, woher der Reiz zu dieser Umkehr yon der lang- samen in die schne]le Phase stammt, und welche Bahnen er benutzt. Wir k6nnen trotz aller Bemtihungea nut mit Hypothesen uns behelfen. Zungchst m6ehte ieh hervorheben, dab die sehnelle Phase, also das Zu- rfickschnellen des Muskels stets pl6tzlich, explosionsartig eintritt. Wenn hierfiir ein besonderes Zentrum existiert, so hat es die Eigenschaft eines Zentrums, bei dessen tgeizung ,,alles oder nichts" eintritt; sowohl die Ersehlaffung wie Kontraktion erfo]gen btitzartig sehnell. Bei der !ang- samen Phase sind veto 0hr her alle Abstufungen der Kontraktion bzw. der Ersehlaffung yon St~rke o bis Stgrke n m6glich, bei der schnellen Phase zeig~ sieh wohl je naeh der vora, ngegangenen Stgrke der lang-

, , samen Phase ein gr51~erer Weg bis zur Umkehr (an Kurven),

I aber jedesmal tritt v61tige blitz- "~.. ~ artige Umkehr ein, wenn die erste

~ ~ Phase eine gewisse Stgrke er- reicht hat, oder sie bleibt vS]lig a.us wie in Narkose; tritt sie aber ein, so springen Kontraktion und

4 --~ ' Ersehlaffung der langsamen Phase

\ stets sehnell v611ig urn. Am ver- ,~ ~ hgttnismgl~ig einfachsten Igl~t sich

der Umschlag erklgren, wenn man annghme, daI~ der in der lang- samen Phase sich kontrahierende Muskel sensible Reize aussende [Bar te l s , CoppezT) , B r u n n e r S ) ].

Die Verschiebung im Orbita- gewebe braucht nieht berfiek- sichtigt zu werden, da auch ein vSllig isoHerter Muskel beide

Phasen zeigt (Barre ls ) . Ich h~be seinerzeit aueh die Wege zu zeigen versucht, ~uf denen diese zentripetalen Reflexe verlaufen kSnnten, ngmlieh wahrseheinlich in den motorisehen Augenmuskelnerven selbst. Einen Einwurf machte ieh mir selbst, da~ ja nieht bei allen veto Ohr ausgelSsten Muskelkontraktionen, n~mlieh nieht bei den tonischen Lagereflexen solche schnelle Phase eintritt, trotzdem bei den tonischen Reflexen die Muskeln sich doeh auch in gleicher Weise kontrahieren bzw. erschlaffen. Fiir einen muskulgren, sensiblen geiz sprgehe die Tatsaehe, dai~ der Umsehlag, sowohl bei Erschlaffung wie Kontraktion stets auf der ttShe der Muskelvergnderung erfolgt, also stets bei dem Maximum, wie die Kurven zeigen. I~atiirlich kSnnte sowohl das Maxi- mum des zentralen Impulses wie das M~ximum der peripheren Muskel-

/ t /

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Abb. 4. Kontra~tions- (ausgezogen) und Er - schla]fungsbahnen (gestrichelt) ]i~r die Seit~n- bewe~ung nach links veto T. Labyr~nth. 3 = Ko- ordinationszen~rum fiir die langsame, g = fiir

die schnelle Phase.

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Die l~eflexbahnen fiir die Ohr-Augenbewegungen. 5~7

vergnderung den l~eiz abgehen. Um die ]giehtigkeit der Anschauung zu priifen, dab der sensible Mnske]reiz AnlaI3 zttr schnellen Phase g~be, babe ieh seinerzeit (1909) sehon versueht, den Mnskel Iediglieh sensibel mit Coeain zu l~hmen in der Hoffnung, daft bei Anwendung yon einem derartigen Anaestheticum in irgendeinem Zeitpunkt lediglich oder vor- wiegend die sensiblen Endignngen gelghmt w~ren, ehe die motorische Lghmung eintrete. Es ergab sich aber, daft dabei entweder Nystagmus oder gar niehts auftrat, aber niemals wie bei der Allgemeinnarkose die langsame Phase allein. De Kleyn 15) hat dann den Versneh genauer durehgefiihrt und erhielt noch Nystagmus nach Entfernung des GroB- hirns, Kleinhirns, beider Oeulomotoriuskerne, der Troehleariskerne, Durchsehneidung beider Trigemini and aller Augenmuske]nerven mit Ausnahme des Abdueens. Er seh]ieBt daraus, dab peripher sensible Erregungen nicht in Betraeht k~men. Nun kSnnten erstens noeh sen- sible Erregungen im Faeialis verlaufen, wie ieh sehon friiher angab, es bestehen ja aueh enge Beziehungen zwisehen Facialis und Augenmus- kulatur (Bells Ph~inomen). Abet wenn aueh dies nieht in Betraeht k~me, go w~ren die sensiblen Fasern im allein erhaltenen Abdueens zur zentri- petalen Leitung zu beriicksiehtigen. Naeh Tozer und Sherrington ver- laufen sensible Fasern in den motorischen Augenmuskelnerven. Urn sie zu lghmen, wandte de Kleyn Novocaineinspritzungen an wie ieh frtiher Coeaineinspritzungen, and glaubt auf Grund yon Erfahrungen der Pharmakologie zu einer gewissen Zeit die sensiblen Erregungen da- mi t alIein gel~hmt zu haben, jedenfalls eher wie die motorischen. Der Beweis dafiir wird abet sehwer zu erbringen skin, da doeh die sensiblen Fasern anscheinend eng vermischt mit den motorisehen im Abdueens verlaufen, somit kaum naehzuweisen ist, ob erstere zu irgendeiner Zeit wirktich gel~hmt waren ohne motorisehe Paresen. Das i~esultat des Versuehes war jedenfatls dasselbe wie mein Cocainversueh, es t ra t ent- weder I~ystagmus auf oder gar niehts, hie die langsame Phase allein. Die Annahme einer sensiblen Muskelerregung ist nach dem Versuch yon de Kteyn sehr zweifelhaft. Auch die graphisehe Registrierung des Ak- tionsstromes zeigte, dab mechanisehe Spannungsgnderungen des Mus- kels ohne Einfluf~ auf Eintr i t t and Verlauf der schnellen Phase sein kSnnte [KSllner and Ho]/mannl~)]. Andererseits wiirde wieder die t typothese tier sensiblen Muskelerregung uns sehr viel leichter aueh .den Nystagmus erklaren lassen, der auftritt, wenn ein Labyrinth ein- seitig zerstSrt wird. Es tr i t t dann bekanntlieh sofort Nystagmus naeh der Gegenseite auf. Wit erklgren uns diesen Nystagmus zur Zeit durch Lahmung der stgndigen Reize, die vom zerstSrten Labyrinth aui die Augen ausgeiibt wurden, and Oberwiegen der Reize des erhaltenen Labyrinthes. Was tritt sofort ,naeh ZerstSrung des Labyrinthes einer Seite ein ? Beide Augen weiehen langsam nach der Seite der Vertetzung

v. Graefes Archiv fiir Ophthalmologie. Bd. 117. 36

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und schnellen dann zurfick. Sicher ist, dab in diesem Fall ein Labyrinth ausgeschaltet ist, und dal~ das erhaltene nicht erregt ist, also ein beson- derer Impuls des letzteren kaum vorliegt. Naeh dem friiher Gesagten iiberwiegt nach Ausschaltnng eines Labyrinthes die Wirkung des er- haltenen, es sendet also, nicht mehr gehemmt durch das andere La- byrinth, seine tonischen und klonischen Impulse aus. Es kontrahieren bzw. ersehlaffen also naeh der ZerstSrung eines Labyrinthes dutch die P~eize des erhaltenen die dem Nystagmus dienenden Muskeln bis zu einer gewissen Starke, ebenso wie bei Drehungen, calorischen Reizen usw., dann erst erfolgt ein Umsehlag. Diesen Umsehlag kSnnte man am einfaehsten erklaren, wenn man aueh hier annahme, da~ die nm~ kontrahierten oder ersehlafften Muskeln sensible ]~eize ausfibten n~ch dem Zentralorgan, das dann eine schnelle Phase innerviert. Schwerer ist es, sich vorzustellen, dab dieser Umschlag erst eintritt, wenn der zentrale Reiz der langsamen Phase eine bestimmte Stgrke erreicht hat, da ja diese Reize doeh anch am Tier vet der einseitigen Labyrinthzer- stSrung sehon vorhanden waren. Evtl. mtil~te :man annehmen, dal3 sich normalerweise st~ndig 2 rhythmische Nystagmuszentren die Wage hielten, wogegen wieder vieles sprieht (s. u.). Die Experimente yon de Kleyn erschfittern die Annahme sensibler peripherer lgeize aim Ur- saehe der sehnellen Phase so stark, dal~ aueh ich reich der M6glichkeit einer indirekten zentralen Ausl6sung, wie sie Barany und de Kleyn, Kgltner u.a. annehmen, znneige, und zwar in der Medulla oblongata. Nur finde ich, da~ fiber die Art der zentralen Entstehung keine klare Vorstellungen ausgesprochen Mind. Welcher Reiz ist es denn nun, der im Zentratorgan setbst diesen Umsehlag ausl6st ? Es erheben sieh da die sehwierigsten Fragen der Physiologic der ZentrumMfunktionem Nehmen wir eine zentrale Ansl6sung an, so mul~ der periphere laby- rinthere Reiz indirekt die sehnelle Phase veranlassen, da ja nicht jeder Muskelreiz ~om Labyrinth Nystagmus verursaeht, sondern wir tonisehe und Nystagmusreize unterscheiden mfissen (s. Physiologie). Vielleicht erregt der vom Ohr ffir Nystagmuserregung gesandte Reiz zugleich mi t der Muskelveranderung far die langsame Phase irgendein anderes Zen- trum, das, wenn der Impuls, der in dasselbe gesandt ~n~rde, sine gewisse St~trke erreicht, die Muskelaktion far die sehnelle Phase herbeiffihrt (s. Abb. 4). Denn in der schnellen Phase finder ja dasselbe wunderbare Zusammenspiel der ~iuskeln start, wie es ffir die langsame geschildert. ist. Dieses Zentrnm far die sehnelle Phase hgtte dann die oben genannte Eigenschaft des ,,Alles oder Nichts". Suchen wit uns dies in einem Sehe- ma klarzumaehen. In unserer Abb. 4 geht der Reiz far die langsame Phase veto reehten Labyrinth zu dem Koordinationszentrnm (Vesti- bnlariskerne ?) far diese Phase, def t wird das Zusammenspie] der Mus- keln far die Linkswendung veranlaf3t. Man kSnnte nun denken, das

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Einfachste sei doch, die zentrale AuslSsung der schnellen Phase eben- falls in diesem selben Zentrum vor sieh gehen zu lassen. Leidler und Coppez nehmen ja ein rhythmisches Zentrum an. Dagegen sprich~ aber, da[~ wir klinisch und tierexperimentell sehr leieht dutch Lgsion der Medulla einen Ausfall der schnellen Phase erzeugen kSnnen, w~hrend die langsame erhalten bleibt, was bei einem gemeinsamen rhythmischen Zentrum fiir beide Phasen sehwerer zu erkl~ren w/ire, in bestimmten Zustg,nden besteht auch die ]angsame Phase allein, so bei Friihgeburten, tiefstehenden Idioten, Bewul~tlosen usw. Diese Beobaehtung sprieht natiirlich nicht unbedingt gegen ein solches rhythmisches Zentrum, es kSnnte ja dem Zentrum die Eigensehaft der schnellen Phase noch fehlen oder sie allein ge]ghmt sein. Doch erscheint mir das eine gezwungenere Annahme wie die Trennung in zwei Zentren.

Ferner ist in der schnellen Phase die Muskelaktion anders wie i1~ der langsamen Phase, wenn aueh He~/mann und Kgllner i2) die Zahl der Tetanuszuekungen nieht ver inder t fanden, sondern ~ nur die Aussehlag- grSl~e. Es ist doch etwas g~nz]ich Verschiedenes, wie ieh oben aus- einandersetzte, ob ieh eine Muskelaktion babe, die ich langsam yon Stgrke o---n anschwellen lassen kann, oder eine explosionsartige Zuk- kung. Es ware immerhin auffallend, dal3 diese an derselben Stelle aus- get6st werden sollte wie die langsame Phase. V~%iter sehen wir, da~ eine schne]le Phase, wie wir sie bei dem vestibulgren Nystagmus sehen, in der gleichen Muskelweise auftrit t wie beim optomotorischen Nystag- mus, und wissen dutch Barany und Wirths, dal~ die sehnelle Phase dieses l~ystagmus gleichzeitig mit der sehnellen des vestibuliren fehlen kann. Das Koordinationszentrum ffir die langsame Phase verlegen wir in die Vestibulariskerne derselben Seite wie die Zeichnung (s. Abb. 4) ergibt. Wenn aueh das Zentrum der sehne]len Phase auf derselben Seite lige, miil~te es, wie die Zeichnung ergibt, mSglieh sein, auch naeh Durchschneidung der Medulla lings der Raphe Nystagmus auszul6sen, was aber, wie gesagt, nach Itoegyes nieht der Fall ist. Mir ist der Versuch nicht gelungen, ohne TStung des Tieres die Raphe in der Lgngsriehtung zu durchschneiden. Somit sprechen mehrere Griinde fiir eine Trennung der Koordinationszentre.n der langsamen und der schnellen Phase und an- dere Uberlegungen, die bier zu weir f/ihren wilrden, dafiir, dal~ das Zentrum der langsamen gleichseitig liegt und das der schnellen au] der Gegenseite. Dieses Zentrum fiir die vestibul~re sehnelle Phase liegt wahr- scheinlich nahe bei dem angenommenen pontinen Bliekzentrum, wei4 wie ausgefiihrt, bei Blietflghmung nach einer Seite meist (aber nieht immer) auch die schnelle Phase des optomotorischen Nystagmus fehlt. Da nach klinischen Erfahrungen das Bliekzentrum nicht in den Vesti- bulariskernen liegt, so miissen wir auch das Koordinationszentrum ftir die schnelle Phase an eine andere Stelle verlegen. Es wird nun, wie wir

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annehmen, gleichzeitig mit dem ffir die langsame Phase erregt, und zwar entweder indirekt veto Labyrinth aber das Zentrum ffir die lang- same Phase (s. Abb. 4) her, oder gleichzeitig veto Labyrinth her, am ehesten k6nnte man sieh den l~ervenreizverlauf vielleicht so vorstellen:

Erreieht die Erregung im Zentrum ffir die langsame Phase einen be- st immten Grad, so wird sein Reiz, den es auf die Linkswender ausiibt, jah unterbroehen und gleichzeitig bzw. zur Zeit unmel~bar darsuf das Zentrum ffir die schnelle Phase so erregt, dal3 dureh dieses die Rechts- wendung ansgelSst wird (s. Abb. 5). Man mul~ ja immer bedenken, dal~ erst doeh die Muskelaktion der langsamen Phase wirklieh unterbroehen werden muir, ehe die ftir die schnelle Phase beginnen kann. Es miissen also 2 versehiedene Aktionen eingeleitet werden. Der l%eiz ffir die sehnelle Phase mu~ sieh gewisserma~en *eilen in erstens: jahe Unter- brechung der 3iusketvergnderung der langsamen, und zweitens: blitz- artige aktive Kontraktion und Erschlaffung der schnellen. Diese beiden l%eize kSnnten so mitein~nder abgestimmt sein, wie z. B, in der ein- zelnen Phase die Kontraktion nnd Ersehlaffung, in dem immer erst die letztere beginnt, ehe die erstere anfgngt. In unserem Schema (s. Abb. 3) kreuzten dann yon dem angenommenen Koordinationszentrum far die sehnelle Phase (s. Abb. 3) die Bahnen fiir die Kontraktion wieder auf die andere Seite, und zwar fiber den rechten Abducenskern zum reehten ~Iuskulus Iateralis und gleichzeitig aber den rechten Oeulomo~rius- kern zum linken Mnsculus medialis, die bei der schnellen Kontrakt ion das Zurfickzucken der Augen nach rechts hervorrufen, d~I~ ist die schnetle Phase des l~Iystagmus vom reehten Labyrinth aus. In gleieher Weise kreuzen dann die Bahnen veto linken Labyrinth nach der reehten Seite herfiber (s. Abb. 3). Dies ware gewisserma[~en die grebe Darstellung, so umstandlieh sic schon erscheint, in Wirklichkeit ist das Zusammen- spiel ja noah viel komplizierter, wenn wir die gleishzeitige Kontraktion und Erschla//ung uns ~n einem anderen Schema klarm~ehen (s. z. B. Abb. 4 und 5) ffir den Nystag~mus na~h reehts yore reehten Labyrinth aus. In der langsamen Phase werden zun~ehst die Augen nach links gedreht. Vom reehten Labyrinth geht der Reiz dazu naeh dem ange- nommenen Koordinationszentrum (s. Abb. 4, 3), yon da welter ffir die Ersehlaffung zum gleiehseitigen Abdueens- und 0culomotoriuskern, und bewirkt Erschlaffung des reehten Lateralis nnd des linken Me- dialis. Gleichzeitig wird yon derselben Stelle aus fiber den linken Ab- ducens und den linken Oenlomotorinskern ein Reiz znr Kontraktion fiir den linken Latera.lis und den reehten Medialis geleitet. Ha t die Ersehlaffung bzw. Kolltraktion einen gewissen Grad erreicht, so springt plStztich das Verh/~ltnis urn, d. h. die Linkswender ersehlaffen plStzlich, w~hrend sieh die Reehtswender pl6tzlich kontrahieren. Naeh unserer Ansicht wird, wie oben auseinandergesetzt ist, gleichzeitig mit der lang-

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samen Phase ein Koordinationszentrum fiir die schnelle gereizt (s. Abb. 4, 4), das den Erschlaffungsreiz fiir die schnelle Phase an den linksseitigen Abducens- und 0cuIomotoriuskern fiir den linken Latera.Iis und den rechten )~Iedialis und den Kontraktionsreiz ffir die rechts- seitigen Kerne, ffir den rechten Lateralis und linken Medialis abgibt (s. Abb. 5). Wie die Muskelkurven verlaufen, zeigen gleichzeitige Auf- nahmen atler 4 Seitenwender (s. Barrels Arch. f. Ophtalmol. 80). Sie be- weisen die hier auseinandergesetzte gleiehzeitige Ersehlaffung und Kon- traktion der Links- bzw. I~echtswender (Bartels). Wir haben hier schon der Ubersicht halber die Bahnen nnr yon einem Labyrinth aus in 2 Ab- bildungen zerlegen miissen. Sie kreuzen sich mit analogen Bahnen yore tinken Labyrinth her, so d oinWi i ein guBerst verwickeltes System yon I~eizbahnen ~ bestehen muB. Aus der q~: \ ' ~ T / ~ /

5 . . . . ~. ' Abb. 4 geht hervor, dab ~ : ~ , " '~ ,.-/ ' die Bahnen fiir die Er- ~ sehlaffung kiirzer verlau- ', i fen ~de die fiir die Kon- __2'~_-,'_~ traktion (s. Abb. 4). Das 4 wiirde gut mit der aus den

Muskelkurven hervor- ~ ~ gehenden T~tsache iiber- einstimmen, d~I~ die Er- schlaffung der Rechts- wender bei der dargestell- ten Augenbewegung eher eintritt wie die Kontrak-. Lion der Linkswender. Ob dabei die Kontraktionsbahnen ftir das dem Labyrinth n~chstliegende Auge noch starker ausgebildet sind, entsprechend der st~rkeren Bewegung dieses Anges, ist @~glich. Wie erw~hnt, gehen yore Labyrinth einerseits Reize ans, die zu unbegrenzten dauernden )~uskelkontraktionen fiihren (kompensatorische Augenstellungen, Re/lexe au] Lage), andererseits solche, die nur voriibergehende Bewegungen veranlassen~ Re/lexe au/Bewegung. Es lragt sich, ob hierfiir yon jedem Labyrinth gesonderte Bahnen zur Medulla ziehen oder ob nur verschiedene lYervenerregungen (anders abge- stimmte Wellen) die Muskelbewegung verursachen. Es sprieht vieles Ifir erstere Annahme, Nach den Untersuchungen yon Magnus, de Kleyn, van der Hoeven 9) u. a. kSnnen wir annehmen, dab die tonischen Lage- re]lexe haupts~ichlich yon den Otolithen ausgehe.n. D~ nun fi~ die VorhSfe besondere Nervenbahnen nachgewiesen sind, so werden aueh hSchst-

Abb. 5. Kontraktions- (ausgezogen) und Erschla]]ungsbahnen (gest~ichelt) ]/Zr die schnelle Phase des 2Vystagmus nach rechts yore r. Labyrinth, g = Koord inu t ionszen t rum f l i t die schnelle

Phase ; 5 = Cortex cerebri.

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wahrseheinlieh die Reize /iir die tonischen Re/lexe nicht nur besonders abges t immt sein, sondern schon im Octavus a u[ besonderen Bahneu ver- laufen. Die Reize miissen dann zu allen 5[uskeln gehen kSnnen, da, wie erw~hnt, derselbe Muskel, z . B . beim Kaninchen der reehte Superior und Inferior sowohI tonische wie ~ys~agmusreflexe bekommen kann. MSglicherweise existieren in der Medulla besondere Zentren fiir die tonisehen und ftir die klonisehen Reflexe, wie es einige Autoren an- nehmen, z. B. Bauer und Leidler und Coppez; auch die Erseheinungen bei Vergif tungen spreehen fiir solche Trennungen. Fiir die tonisehen Reflexe w~re der Weg verhi~ltnismi~gig einfach, ~hnlich dem in Abb. 1 und 3 beschriebeuen. Vom LabyMnth geh~ die Erregung zur Dauer- ver~ndernng der Muskelkontrakt ion in die Deitersgegend und zu dem oben angenommenen K0ordinat ionszentrum, das dauernd ein ent- spreehendes Zusammenziehen der Muskeln veranlaBt. ~Verden bei dieser Dauervergnderung sensible Reize im kontrahier ten und erschlafften 3/Iuskel ausgel6st tmd zentrM geleitet, so fiihren sie jedenfalls niemals zu einer Reaktionsphase, mag der Zus tand aneh noch so lange dauern. Dies ist der prinzipielle Untersehied gegenfiber den Bewegungsreflexen, deren Bahnen vorher gesehildert sind. Es fragt sieh nun, gehen die Er- regungen fiir die tonisehen und Bewegungsreflexe zn demsetben Ko- ordinat ionszentrum und erregen es nu t jedesmal in anderer Weise oder zu einem getrennten. I m ersteren Fatle mfiBte, das Koordinat ionszen- t r u m jedesmal andere ~uskeler regungen aussenden, je nachdem es to- nisch oder ftir die langsame Phase des Nys tagmus erregt wird. Die Frage mul3 noeh unentsehieden bteiben. Unsere Schemata sind nu t ein Versuch, sieh die Probleme klarzumaehen. Vielleicht gelingt es auf diese Weise dureh Nachprfifung der vorgezeichneten Bahnen die end- giiltigen Verhgltnisse einmal aufzukl£ren und auf einfachere zuriick- zuffihren.

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