die sorgenkinder der deutschen 2020: trump und … · 2020. 9. 14. · pathologischer „german...
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Die Sorgenkinder der Deutschen 2020:
Trump und Wirtschaftsprobleme –
erst mit Abstand Klima, Flüchtlinge und Corona
Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred G. Schmidt
Institut für Politische Wissenschaft
der Ruprecht Karls-Universität Heidelberg
9.September 2020
Endbericht
1. Profil der „Ängste-Studie 2020“
Die „Ängste-Studie 2020“ von R+V ist eine bundesweite Studie über Sorgen der
deutschsprachigen Wohnbevölkerung ab dem Lebensalter von 14 Jahren. Durchge-
führt wurde die Umfrage in der Zeit vom 8. bis 16.Juni, vom 22. Bis 30. Juni und vom
13. bis 21. Juli 2020 im Auftrag von R+V vom Marktforschungsinstitut Ipsos Operati-
ons GmbH in einer repräsentativen Mehrthemenumfrage auf der Basis einer compu-
terunterstützten persönlichen Befragung. 1 Die von Ipsos dokumentierten Daten be-
ruhen auf einer Fallzahl von rund 2400 Befragten.
Themen der Ängste-Studie 2020
Wie ihre 28 Vorläufer ist die Studie von 2020 eine national und international konkur-
renzlose Dauerbeobachtung der Probleme, welche die deutschsprachige Bevölkerung
besonders bekümmern.
Die Ängste-Studie 2020 dokumentiert die Sorgen der Befragten erneut umfassend:
- Sie erfasst persönliche Ängste, wie Furcht vor Kriminalität, vor Zerfall der Partner-
schaft oder schwerer Erkrankung.
- Sie ermittelt zudem Bedrohungsgefühle wirtschaftlicher, politischer und ökologi-
scher Art.
- Die Studie von 2020 informiert ferner erneut über die Ängste, die von der Schul-
denkrise in Mitgliedstaaten der Europäischen Union hervorgerufen werden.
- Mögliche schwere Störfälle in Atomkraftwerken und der Ausstieg aus der Atom-
energie werden ebenfalls abgefragt, ebenso Bedrohungen durch terroristische An-
schläge.
1 Ipsos Methodenbericht zu den Ängsten der Deutschen 2020.
Manfred G. Schmidt: Die Ängste-Studie 2020
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- In der 2020er-Studie wurde erneut gefragt, ob die deutsche Bevölkerung befürchte,
dass die Zuwanderung von Asylantragstellern und Wirtschaftsflüchtlingen die Bür-
ger und die Behörden in Deutschland überfordere.
- Wie im Vorjahr wurde auch in der diesjährigen Ängste-Studie die Politik des US-
amerikanischen Präsidenten Trump berücksichtigt, insbesondere ihre Auswirkungen
auf die internationale Politik.
- Überdies wurde – wie 2019 erstmals – nach den Folgen des Klimawandels gefragt.
- Zudem sollte geklärt werden, wie die Befragten auf die Corona-Pandemie reagier-
ten, die 2020 auch Deutschland mit voller Wucht traf.
Gliederung des Berichts zur Ängste-Studie 2020
Der vorliegende Bericht zur Ängste-Studie 2020 informiert im ersten Abschnitt über
die größten Ängste in Deutschland im Jahr 2020, über Sorgen mittlerer Größe und
nennt die Felder, in denen die Bevölkerung wenig Anlass zu Ängsten sieht. An-
schließend wird berichtet, wie sich die Ängste von 2020 gegenüber 2019 verändert
haben. Dabei sticht ein drastischer Zuwachs an Wirtschaftsängsten hervor. Zugleich
bleibt die Top-Angst die vor Trumps Politik. Stagnation bzw. Bedeutungsrückgänge
haben demgegenüber die Umwelt- und Klimasorgen sowie die Zuwanderungs-
Ängste erfahren. Überraschend zurückhaltend sind die Antworten der Befragten auf
die 2020 erstmals gestellten „Corona-Fragen“, wie die Angst vor einer Infektion
durch das Coronavirus. Daraus ergibt sich die als Überschrift des diesjährigen Be-
richtes gewählte Botschaft: Die Sorgenkinder der Deutschen 2020 heißen Trump und
Wirtschaftsprobleme – erst mit Abstand folgen Klima, Flüchtlinge und Corona.
Anlässe und Ursachen der Ängste von 2020 werden im nächsten Abschnitt erörtert.
Dieser Teil des Berichts basiert auf der Auswertung von Daten der Ängste-Studie
2020 durch den Verfasser, auf Materialauswertungen von Ipsos und auf R+V-
Analysen. In die Interpretation der Ängste-Studie 2020 fließen zudem Befunde ein-
schlägiger sozialwissenschaftlicher Studien zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in
Deutschland ein.2
Abschließend wird diskutiert, ob die Ängste der Deutschen größtenteils ein Werk
pathologischer „German Angst“ oder Reaktionen auf reale Anlässe und reale Ursa-
chen sind. Letzteres bestätigt sich, während die „German Angst“ sich als wenig pas-
sende Deutung entpuppt.
2 Beispielsweise Conradt, David P. und Eric Langenbacher 2017, 11. Aufl.: The German Polity, New York; For-
schungsgruppe Wahlen 2020 (2-wöchentlich): Politbarometer, Mannheim; Schmidt, Manfred G. 2020/21, 4. Aufl.:
Das politische System Deutschlands. Institutionen, Willensbildung, Politikfelder, München; Statistisches Bundesamt
(Destatis) und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung u.a. (Hg.) 2018: Datenreport 2018. Ein Sozialbericht
für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn.
Manfred G. Schmidt: Die Ängste-Studie 2020
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2. Befunde der Ängste-Studie 2020 im Überblick
Wie in allen Ängste-Studien bis 2019 ist auch 2020 die Bandbreite der Sorgen groß.
Sie reicht von den großen bis zu den kleinen Sorgen. Davon zeugen die auf der
Ängste-Skala abgetragenen Antworten der Befragten. Diese Skala reicht von 1 bis 7. 1
steht für keine Angst, 7 für sehr große Angst. Die Skalenwerte 5, 6 und 7 bilden ins-
gesamt große Ängste ab.
Im Spiegel dieser Messlatte gibt es auch 2020 wieder eine auffällige Reihung – mit
etlichen Überraschungen.
Die Top-Ängste der Deutschen von 2020 – große Ängste bei mehr als der Hälfte der
Befragten – sind in der Tabelle 1 zusammengestellt. Wer erwartet hätte, dass die
größten Ängste 2020 Corona betreffen, wird überrascht sein. An der Spitze liegt 2020
vielmehr – wie in den beiden letzten Jahren – wieder ein großes Problem der Politik:
Die Politik des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump,
wird von der Mehrheit der Deutschen erneut – Corona hin oder her – als das Haupt-
problem eingestuft. Von Trumps Politik befürchtet die Mehrheit der Befragten eine
schwerwiegende Verschlechterung der internationalen Beziehungen: 53 Prozent der
Befragten treibt diese Sorge 2020 um – das ist der höchste Wert auch in der diesjähri-
gen Umfrage.
Tabelle 1: Die größten Ängste 2020
Top-Ängste 2020 (> 50 %)
Prozentanteil der Befragten
Trumps Politik macht die Welt gefährlicher 53 %
Wirtschaftliche Sorgen: Lebenshaltungskosten 51 % Anm. zu Tab. 1: Reihung der Ängste nach dem Anteil der Befragten mit ziemlich großen, großen oder sehr große Ängsten
(Werte von 5, 6 oder 7 auf der Ängste-Skala, die von 1 bis 7 reicht). Alle anderen Ängste liegen 2020 unter der 50 %-Marke.
Die Zahlen in der Tabelle spiegeln den bundesweiten Trend wider – ohne Differenzierung nach Ost und West.
Fast gleichauf mit den Sorgen, die Trumps Politik bereitet, liegen einheimische
Kümmernisse. Im Zentrum steht dabei allerdings nicht länger die „Flüchtlingskrise“,
die insbesondere von 2015 bis 2019 umstrittene Zuwanderung von Asylbewerbern
und Wirtschaftsflüchtlingen. 2020 ist die kritische Sicht auf die Zuwanderung nach
wie vor weit verbreitet. Doch angesichts der 43 Prozent der Befragten, die das so se-
hen, handelt es sich hierbei bundesweit um Ängste mittlerer Stärke, nicht länger um
eine Top-Angst.
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Wichtiger als in den Vorjahren werden 2020 wieder wirtschaftliche Ängste. Fragen
wie steigende Lebenshaltungskosten treiben viele Leute nun wieder viel mehr um als
in den Jahren zuvor (Tabelle 1).3 Und Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft des
Landes sind 2020 viel größer als in den Jahren zuvor (siehe Tabelle 2). Die Sorgen um
die Wirtschaft spiegeln den schweren Wirtschaftseinbruch wider, den das Corona-
Krisenmanagement mit seinen großflächigen Ausgangssperren hierzulande und an-
dernorts zur Folge hatte. Wirtschaftliche Ängste ruft 2020 erneut auch die Befürch-
tung hervor, dass die Schuldenkrise von EU-Staaten für Deutschlands Steuerzahler
teuer wird. 49 Prozent sind dieser Auffassung. Auch die Angst vor steigender Ar-
beitslosigkeit in Deutschland spielt 2020 wieder eine größere Rolle. Knapp 40 Prozent
der Befragten sind dieser Meinung – erheblich mehr als in den Vorjahren, die noch
im Zeichen einer wachsenden Beschäftigung gestanden hatten (Tabelle 2).
In früheren Ängste-Studien waren das liebe Geld, die persönliche Gesundheit und
die Umwelt Top-Themen. 2020 sind diese Themen nicht verschwunden. Doch sie
sind mittlerweile nicht mehr Top-Ängste, sondern Sorgen mittlerer Größe. Unter den
mittelgroßen Ängsten finden sich 2020 weitere altbekannte Themen. Etwa die popu-
läre Meinung, die Politiker würden von ihren Aufgaben überfordert. Oder die Be-
fürchtung, man werde im Alter zum Pflegefall. Mittelgroße Bedeutung im Sorgen-
haushalt der Bevölkerung kommt auch dem politischen Extremismus zu. Wie die
erstmals 2019 durchgeführte Aufschlüsselung zeigt, werten die Befragten – im Un-
terschied zum Vorjahr – nicht mehr den islamischen Extremismus als besonders ge-
fährlich, sondern den Rechtsextremismus gefolgt vom islamischen Terrorismus und
mit größerer Distanz vom Linksextremismus.
Als Ängste mittlerer Größe zählen 2020 auch die neu in die Studie aufgenommenen
„Corona-Fragen“. Befürchten die Leute häufigere Pandemien infolge der Globalisie-
rung? So lautete eine der Fragen. 42 Prozent der Befragten bejahten diese Frage. Das
war ein relativ niedriger Wert – angesichts der weltweiten Wucht und ihrer globali-
sierungsbedingten Beschleunigung der Corona-Seuche.
Noch mehr überraschten die Antworten auf die zweite „Corona-Frage“ in der 2020-
er Erhebung. Die Frage lautete: „Ich habe Angst davor, dass das Coronavirus mich,
meine Familie oder meine Freunde infiziert.“ Nur ein Drittel der Befragten hatte gro-
ße Angst vor der Infektion; und zwei Drittel stuften das Risiko offenbar als kleiner
ein – wiederum keine Selbstverständlichkeit angesichts alarmierender Infektionszah-
len hierzulande und in etlichen anderen Ländern.
3 Überdurchschnittlich hohe Ängste verzeichnen SPD-Sympathisanten unter den Befragten. Quelle: Ipsos-Datei 20-044028-
Ängste-Gesamt-NEU, S. 88
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Tabelle 2: Ängste mittlerer Größe 2020
Ängste mittlerer Größe 2020
Prozent-
anteil
der Be-
fragten
Bereich
Hohe Kosten der Schuldenkrise von EU-Staaten für
Deutschlands Steuerzahler
48,7 Wirtschaft
Wirtschaftslage Deutschlands: Verschlechterung 47,7 Wirtschaft
Zunehmende Wetterextreme in Deutschland 44,2 Ökologie
Weiterer Zuzug von Ausländern/Asylbewerbern beein-
trächtigt Zusammenleben von In- und Ausländern
43,4 Migration
Zunehmende Zahl von Naturkatastrophen 43,1 Ökologie
Hohe Zahl von Flüchtlingen überfordert die deutsche Be-
völkerung und ihre Behörden
42,7 Migration
Nahrungsmittel Schadstoffbelastung 42,2 Ökologie
Häufigere Pandemien infolge von Globalisierung? 41,8 Corona
Pflegefall im Alter 41,0 Soziales
Schuldenkrise schwächt Euro 40,1 Wirtschaft
Klimawandel: dramatische Folgen für die Menschheit 40,0 Ökologie
Überforderung der Politiker durch ihre Aufgaben 39,9 Politik
Arbeitslosigkeit in Deutschland steigend 39,7 Wirtschaft
Terroristische Anschläge 38,1 Politik
Ausbreitung des politischen Extremismus 37,1 Politik
Befürchtung, das Coronavirus infiziere mich, meine Fami-
lie oder meine Freunde 32,2 Corona
Anm. zu Tabelle 2: Reihung der Ängste mittlerer Größe nach einem Anteil der Befragten mit ziemlich großen,
großen oder sehr große Ängsten (Werte von 5, 6 oder 7 auf der Ängste-Skala) unter 50,0 und über 30,0 Prozent.
Alle anderen Ängste liegen 2020 unter der 30,0 %-Marke. Die Zahlen in der Tabelle spiegeln den bundesweiten
Trend wider – also ohne Differenzierung nach Ost und West.
Wie erwähnt, ist die Bandbreite der Sorgen in Deutschland groß. Manche Sorgen be-
schäftigen nur vergleichsweise kleine Minderheiten. Darüber informiert die Tabelle 3
im Detail.
Ein Beispiel: Weniger als 30 Prozent der Befragten bekümmern in ihrem privaten
Umfeld Kalamitäten wie Unfall, Betrug, Diebstahl, Zerbrechen der Partnerschaft o-
der Drogenkonsum der Kinder.
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- Einen Krieg mit deutscher Beteiligung befürchtet nur eine Minderheit von rund 19
Prozent. Deutschlands überwiegend pazifistische Gesellschaft hat das angstbesetzte
Thema Krieg somit weitgehend ausgeklammert.
- Beim Thema Arbeitslosigkeit signalisiert die 2020-er Ängste-Studie eine auffällige
Spreizung zwischen gesamtwirtschaftlicher und individueller Bedrohungslage. Ei-
nerseits befürchten fast 40 Prozent der Interviewten, die Arbeitslosigkeit in Deutsch-
land werde steigen (siehe Tabelle 2). Andererseits äußern nur knapp 25 Prozent aller
Befragten die Angst, selber arbeitslos zu werden (Tabelle 3). Das ist unwesentlich
mehr als in den Jahren vor Corona, in denen die Beschäftigung kräftig zunahm.
- Noch auffälliger ist die relativ geringe Angst vor Beschäftigungsverlust im Unter-
schied zur Angst vor Arbeitslosigkeit im letzten Jahr der christ-demokratisch-
liberalen Regierung Kohl (1998) und im letzten Jahr der rot-grünen Regierung
Schröder (2005). Der Unterschied zu 2020 könnte kaum größer sein. 1998, am Ende
der Ära Kohl, befürchteten 65 Prozent eine höhere Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Und 2005, im letzten Jahr der Kanzlerschaft von Schröder, waren es 68 Prozent. Fer-
ner gaben 1998 52 Prozent der Befragten zu Protokoll, sie befürchteten, arbeitslos zu
werden. 2005 sagten dies sogar 65 Prozent.
Tabelle 3: Die Liste der geringsten Sorgen 2020 (<30 Prozent)
Ängste
Prozentanteil
der Befragten
- Verkehrsunfall 12,6
- Zerbrechen der Partnerschaft 16,2
- Opfer einer Straftat 17,1
- Krieg mit deutscher Beteiligung 23,5
- Eigene Arbeitslosigkeit 24,8
- Drogen- o. Alkoholkonsum der Kinder 24,9
- Schwere Störfälle in Atomkraftwerken 25,4
- Atomausstieg: Energieversorgung? 25,6
Anmerkung: Die Zahlen in der Tabelle spiegeln den bundesweiten Trend wider – also ohne Differen-
zierung nach Ost und West.
3. Die Ängste der Deutschen: Kontinuität und Diskontinuität
Bei den Ängsten der Deutschen gibt es Kontinuität und Diskontinuität. Etliche Ängs-
te sind beständig, ändern sich wenig. Wenig ändern sich die privaten Sorgen, wie die
Angst vor Diebstahl, vor Unfall oder Überfällen.
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Wieder andere Ängste wandeln sich. Manche Ängste nehmen mit beträchtlichem
Tempo ab, andere nehmen zu. Details zeigt die Tabelle 4.4 Sie ordnet die Ängste nach
der Größe der Veränderungen gegenüber dem Jahr 2019. Besonders auffällig ist der
starke Bedeutungsaufschwung von wirtschaftlichen Ängsten. Sie nehmen die vorde-
ren fünf Plätze ein – angeführt von der Befürchtung einer sich verschlechternden
Wirtschaftslage (+ 13 Prozentpunkte).
Umwelt- und klimapolitische Probleme hingegen gehörten 2020 bei den Ängsten
nicht zu den Wachstumsbranchen. Gewiss: Umwelt- und Klimaanliegen gehören seit
mehreren Dekaden zur politisch-kulturellen Grundausstattung der Bundesrepublik
Deutschland. Umwelt- und Klimaanliegen haben, wie die Langzeitbeobachtung der
Ängste-Studien zeigt, mitunter etwas mehr als die Hälfte der Befragten mobilisiert.
Mittlerweile sind die Werte freilich niedriger – sie liegen im mittleren oder unteren
40-Prozent-Bereich. Die Befürchtung, der Klimawandel habe „dramatische Folgen für
die Menschheit“, so der Wortlaut des Fragebogens, nimmt mit 40 Prozent nur den 12.
Rangplatz der Ängste von 2020 ein (siehe Tabellen 1 und 2).5
Die Veränderung der Ängste gegenüber 2019 spricht nicht für einen Bedeutungsauf-
schwung der Umwelt- und Klimaängste, sondern für Stagnation oder Bedeutungs-
rückgang. Ein auffälliger Unterschied zur verbreiteten Umweltkatastrophenstim-
mung in größeren Teilen der Medien und der Politik!
An Beispielen für stagnierende oder abnehmende Bedeutung der Umwelt- und Kli-
maschutzängste mangelt es nicht. Beispiele sind der Klimawandel – Rückgang um
einen Prozentpunkt – oder die abnehmende Befürchtung von Störfällen in Atom-
kraftwerken (-7 Punkte). Noch unbeschwerter geht die Bevölkerungsmehrheit mit
dem Ausstieg aus der Atomenergie um. Dass dieser Ausstieg schwere Nebenwir-
kungen hat – wie längere Laufzeit der besonders emissionsstarken Kohlekraftwerke
– scheint ebenso wenig zu beunruhigen wie ausstiegsbedingte potentielle Engpässe
in der Energieversorgung (- 5 Punkte).
Am stärksten schrumpften 2020 die Ängste um die „Flüchtlingskrise“, insbesondere
im Westen des Landes – allerdings von einem sehr hohen Niveau aus, so dass das
Zuwanderungsproblem in Deutschland immer noch 43 Prozent der Deutschen um-
treibt (siehe Tabellen 2 und 4)
4 Der Auskunft von Ipsos von 2019 zufolge sind die Methoden der Ängste-Studie 2020 identisch mit den Metho-
den, die in den Ängste-Studien vor 2020 zur Anwendung kamen. Folgt man dieser Aussage, ist die Veränderung
der Ängste von 2020 gegenüber 2019 im Kern nicht methodenbedingt, sondern real. 5 Wie bei vielen Ökologie-Fragen ist auch bei dieser Frage der Ängste-Wert bei Sympathisanten von Bündnis 90/Die Grünen
besonders hoch. Quelle: Ipsos-Datei 20-044028-Ängste-Gesamt-NEU, S. 88.
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Tabelle 4: Veränderung der Ängste – 2020 im Vergleich zu 2019
Ängste
Differenz zum
Vorjahr in Pro-
zentpunkten
Problemfeld
Schlechtere Wirtschaftslage +13 Wirtschaft
Höhere Arbeitslosigkeit in Deutschland +12 Wirtschaft
Steigende Lebenshaltungskosten +8 Wirtschaft
Kosten für Steuerzahler durch EU-Schuldenkrise +5 Wirtschaft
Gefährdung des Euro durch Schuldenkrise +4 Wirtschaft
Naturkatastrophen/Wetterextreme +3 Ökologie
Eigene Arbeitslosigkeit +1 Wirtschaft
Schadstoffe in Nahrungsmitteln 0 Ökologie
Drogensucht der eigenen Kinder 0 Privates
Missbrauch durch Gentechnologie 0 Ökologie
Klimawandel als Problem -1 Ökologie
Gefährlichere Welt durch Trump-Politik -2 Außenpolitik
Sinkender Lebensstandard im Alter -2 Soziales
Datenmissbrauch im Internet -3 Datenschutz
Pflegefall im Alter -4 Soziales
Krieg mit deutscher Beteiligung -5 Politik
Opfer von Straftaten -5 Privat
Gefährdete Energieversorgung wg. Atomaus-
stieg
-5 Ökologie
Verkehrsunfall -6 Privat
Überforderung der Politiker -7 Politik
Störfälle durch Atomkraftwerke -7 Ökologie
Zerbrechen der Partnerschaft -8 Privat
Terrorismus -9 Politik
Politischer Extremismus -10 Politik
Spannungen durch Zuzug von Ausländern -12 Migration
Überforderung der Deutschen + Behörden durch
Flüchtlinge
-13 Migration
Anmerkung: Die Zahlen in der Tabelle spiegeln den bundesweiten Trend wider – also ohne Differen-
zierung nach Ost und West.
4. Warum Kontinuität, warum Diskontinuität?
Warum Kontinuität, warum Diskontinuität bei den Ängsten von 2020 im Vergleich
zu 2019? Diese Fragen können mit den Daten der Ängste-Studie nicht beantwortet
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werden, weil diese Studie keine Ursachenforschung betreibt.6 Deshalb müssen be-
gründete Vermutungen über Anlässe und Ursachen von Kontinuität und Diskonti-
nuität mit Hilfe von Beobachtungen außerhalb der Ängste-Studie gesucht werden.
Hierfür dienen unter anderem die in der Anmerkung 2 genannten Werke sowie die
Berichterstattung über die Politik in Deutschland in den Medien. Mit den Hypothe-
sen, die von dort abgeleitet werden können, lassen sich Kontinuität und Diskontinui-
tät der Ängste von 2020 anhand ausgewählter Fälle zumindest stichwortartig erläu-
tern.
4.1 Trump
Die Politik des US-amerikanischen Präsidenten Trump wird von den befragten
Deutschen 2020 als Top-Problem eingestuft – wie 2019 und 2018. Diese Sicht fin-
det ihre Berechtigung in zahlreichen internationalen Verwicklungen infolge der
Trump´schen Außenpolitik – mit handelskriegsartigen Konflikten mit China,
massiver Konfrontation mit dem Iran und Rückzug aus internationaler Koopera-
tion als besonders weit herausragenden Fällen. Geschürt wird die kritisch-
negative Sicht auf Trump von deutschlandspezifischen Problemen. Trumps rabia-
te „America first!“-Politik, seine Aggression nicht nur gegen multilaterale interna-
tionale Arrangements, sondern auch die aggressive Handels- und Sicherheitspoli-
tik gegenüber Verbündeten, nicht zuletzt die handels- und sicherheitspolitischen
Attacken gegen Deutschland, sowie die Infragestellung militärischen Beistands
für die aus eigenen Kräften derzeit und auf absehbare Zeit verteidigungsunfähige
Bundesrepublik Deutschland treiben die Befragten, namentlich politisch Sach-
kundige, hierzulande verständlicherweise um. Und zwar 2020 in nahezu glei-
chem Maße wie 2019. Und mit ähnlichen Werten in allen Parteien. Mit Ausnahme
der SPD und der AfD-Sympathisanten. SPD Sympathisanten sind überdurch-
schnittlich kritisch auf Trump zu sprechen, AfD-Anhänger unterdurchschnitt-
lich.7
4.2 Wirtschaftssorgen
Der Ängstehaushalt der Deutschen im Jahr 2020 spiegelt einen massiven Bedeu-
tungsaufschwung wirtschaftlicher Probleme wider (Tabelle 4). Anlass und Ursa-
che liegen auf der Hand: Infolge der Corona-Epidemie und des Corona-
Krisenmanagements hierzulande und in nahezu allen Handelspartnerstaaten hat
die Bundesrepublik Deutschland den stärksten Wirtschaftseinbruch ihrer Ge-
schichte erlebt. Von ihr zeugt ein drastischer Niedergang der am BIP ablesbaren 6 Die Standarddemographiedaten in der Ängste Studie – beispielsweise Alter, Geschlecht, Einkommen - und die Abfrage der
parteipolitischen Nähe ermöglichen hilfreiche Korrelationen, aber keine eigentliche Ursachenforschung. Und das Format der
Ängste-Studie als Querschnittsanalyse von Populationen, die von Jahr zu Jahr neu erfasst werden, erlaubt keine Längs-
schnittanalysen wie sie im Falle einer Panel-Studie möglich wäre. 7 Ipsos-Datei 20-044028-Ängste-Gesamt-NEU, S. 88.
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Wirtschaftsleistung, ein dramatischer Einbruch des Export- und Importvolumens,
eine zunehmende Arbeitslosenquote, die nur infolge der auf über 6 Millionen ge-
stiegenen Zahl der Kurzarbeiter viel schwächer als in Staaten ohne nennenswerte
Kurzarbeit (wie den USA) zunahm, und ein steiler Anstieg der Staatsverschul-
dung infolge aufwändiger Konjunkturprogramme und umfänglicher Finanzhil-
fen für Unternehmen von zuvor knapp 60 Prozent des BIP auf einen Wert weit
über 70 Prozent. Die Befürchtung, dass eine zweite Corona-Infektionswelle wo-
möglich einen weiteren noch tieferen Wirtschaftseinbruch bringen würde, trägt
zur weit verbreiteten Unsicherheit über die Zukunft der Wirtschaft bei.
4.3 Umwelt- und Klimaanliegen
Wie schon erwähnt, gehören Umwelt- und Klimaanliegen mittlerweile zur
Grundausstattung der Bundesrepublik Deutschland. Umwelt- und Klimaanliegen
haben, wie viele Studien – auch die Langzeitbeobachtung der Ängste-Studien –
zeigen, einen großen Stellenwert bei vielen Bürgern, insbesondere im postmateri-
alistischen Teil der Gesellschaft. Dass die Umwelt- und Klimaanliegen 2020 je-
doch nicht wuchsen, sondern stagnierten oder abnahmen (siehe Tabelle 4) spie-
gelt vermutlich mehrere Entwicklungen wider. Eine davon ist eine Sättigungs-
grenze im Umwelt- und Klimabereich, deren Hauptursache in den Grenzen des
Wertewandels zu suchen ist.8 Zweitens werden namentlich in Zeiten der Wirt-
schaftskrise, wie 2020, die hohen Kosten einer ehrgeizigen Umwelt- und
Klimapolitik sichtbar. Sie wirken dämpfend bis abschreckend für weiteren Aus-
bau der Umwelt- und Klimaschutzanliegen. Drittens sind schwere Krisen wie die
Corona-Pandemie Zeiten, in denen ein erheblicher Teil der Wähler vor allem um-
sichtige politische Führung wertschätzt und belohnt – was sich nicht nur in einem
Stimmungsumschwung von Wählermassen hin zur stärksten Regierungspartei
äußert, sondern auch in einem Abschwung der Sorgen um Probleme mündet, die
nicht zu den überlebensnotwendigsten „Brot- und Butterfragen“ gehören, son-
dern zu Luxusgütern, die man gerne konsumiert, wenn die materiellen Grundla-
gen es erlauben.
4.4 Zuwanderung
Wirkungsmächtige Ursachen stecken auch hinter den Sorgen, die sich ein erhebli-
cher Teil der deutschen Bevölkerung über die Zuwanderung insbesondere von
Wirtschaftsflüchtlingen und Asylbewerbern macht. Asylbewerber werden im
Grundsatz von einem beträchtlichen Teil der Befragten akzeptiert. Doch Flucht
8 Mit den Grenzen des Wertewandels von den materialistischen und den postmaterialistischen Werten wird der
Anteil der klima- und umweltpolitisch besonders engagierten postmaterialistischen Wählern stagnieren oder
abnehmen.
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nach Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen und motiviert durch Streben
nach Teilhabe an sozialstaatlichen Leistungen stößt vielfach auf Ablehnung.9
Diese Konstellation kennzeichnet im Wesentlichen auch die Lage im Jahr 2020.
Allerdings nahm die relative Wertigkeit der Zuwanderungsproblematik 2020 ab –
wie die Zahlen in der Tabelle 4 zeigen. Wobei der Rückgang vor allem in West-
deutschland zu verzeichnen ist. Wie in den Vorjahren gibt es spürbare Unter-
schiede je nach Parteisympathie: Sympathisanten von Bündnis 90/Die Grünen
sind migrationsfreundlicher, AfD-Sympathisanten zuwanderungskritischer.10
Zu den wichtigsten Gründen der bundesweit rückläufigen Zuwanderungsängste
gehört der insgesamt in quantitativer Hinsicht geringere Zuwanderungsstrom.
Hinzu kommen Gewöhnungseffekte. Ferner hat der nachlassende Streit über die
Migrationspolitik zwischen den Parteien dämpfende Wirkung. Zudem werden –
ähnlich wie im Fall der Klima- und Umweltanliegen – andere Themen wichtiger:
allen voran die Corona-Epidemie und das Corona-Krisenmanagement der Regie-
rungen im Bund und in den Ländern.
4.5 Terrorismus
Manche Veränderungen bei den Ängsten gegenüber 2019 lassen sich relativ ein-
fach erklären: Weil im Berichtszeitraum der Ängste-Studie 2020 keine größeren
Terrorismusanschläge stattfanden, ängstigt der Terrorismus die Leute weniger als
in früheren Jahren – mehr noch gilt das für den Westen des Landes als für den
Osten.
4.6 Politikerbenotung
Andere Veränderungen sind weniger eindeutig. Warum die Politikbenotung 2020
milder als in den Vorjahren ausfällt – die Durchschnittsnote liegt 2020 bundesweit
bei 3,4 und 2019 lag sie bei 4,0 – erschließt sich nicht ohne weiteres. Vermutlich ist
die mildere Beurteilung ein Begleiteffekt der weit verbreiteten Wertschätzung
und Zustimmung der Wählermehrheit zum Corona-Krisenmanagement der Re-
9 Hierzu besonders instruktiv: Czymara, Christian S. und Alexander W. Schmidt-Catran 2016: Wer ist in Deutsch-
land willkommen? Eine Vignettenanalyse zur Akzeptanz von Einwanderern, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie
und Sozialpsychologie 68, S. 193-227. Ein Teil der zugrundeliegenden politisch-kulturellen Grundlagen dieser
Differenzierung wurden im Ängste-Studien-Kommentar zu 2019 und 2018 erörtert. Hier nur der Grundgedanke:
Schwierig gestaltet sich die Integration von Zuwanderern aus fremden Kulturen, insbesondere von Asylbewer-
bern und Wirtschaftsflüchtlingen ohne Deutschkenntnisse und mit geringem Ausbildungsstand, die aus Staaten
mit nicht-christlicher Religion, geringem Säkularisierungsgrad, mittlerem oder niedrigem Stand wirtschaftlicher
Entwicklung, autokratischen Politikstrukturen und repressiven Einstellungen in Menschenrechtsfragen und im
Hinblick auf Genderfragen nach Deutschland gewandert sind. 10 Quelle: Ipsos-Datei 20-044028-Ängste-Gesamt-NEU, S. 88 sowie Auswertungen der SPSS-Datei zu den Ängsten 2020
durch den Verfasser.
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gierungen. Darauf deuten nicht zuletzt die Daten des Politbarometer der For-
schungsgruppe Wahlen hin.
4.7 Corona
Besonders schwierig zu deuten sind die Antworten der Befragten auf die 2020
neu aufgenommen „Corona-Fragen“. Warum schlug Corona – im Spiegel der
Ängste-Studie – weniger mächtig zu Buche als erwartet? Warum war insbesonde-
re die Furcht vor Infektion durch das Coronavirus nur bei einem Drittel der Be-
fragten so groß, dass sie große oder sehr große Furcht spürten? Und zwar im
Westen des Landes ebenso wie in den östlichen Bundesländern. Seriöse Antwor-
ten auf diese Fragen erfordern Spezialuntersuchungen zu den gesundheitspoliti-
schen Präferenzen der Leute. Ohne diese Spezialuntersuchungen wird man nur
mit spekulativen Hypothesen experimentieren können. Eine dieser Hypothesen
basiert auf der weit verbreiteten Wertschätzung des Corona-Krisenmanagements
der Regierungen, von der zuvor mit Blick auf die Politbarometer-Daten die Rede
war. Diese Wertschätzung korreliert mit der Auffassung, dass die politische Be-
kämpfung der Corona-Pandemie jedenfalls in Deutschland alles in allem erfolg-
reich war – und erfolgreicher als in vielen anderen Staaten. Und sie korreliert wei-
terhin mit der durch den Erfolg bestärkten Überzeugung, dass der Staat die Krise
hinreichend weit im Griff habe und demgemäß die Bedrohungslage für die Masse
der Bevölkerung überschaubar sei.
5. Ein „Volk in Angst“?
Was folgt aus der Ängste-Studie 2020 für die populäre Meinung, die Deutschen seien
panikbesessene Angsthasen oder gar „ein Volk in Angst“11, das in einer „Republik
der Angst“12 zuhause ist?
Sorgenvolle gibt es hierzulande schon. Und die „Suche nach Sicherheit“, so der Titel
der Deutschland-Studie des Historikers E. Conze (2009), kennzeichnet Deutschland
tatsächlich – auch 2019. Die Ängste-Studie 2020 stützt diese Diagnose. Doch zeigt
diese Studie – wie ihre Vorgänger –, dass die Ängste der Deutschen in der Regel ei-
nen konkreten Anlass haben.
Mehr noch: Die Ängste sind breit gestreut. Sie existieren in allen Bevölkerungskrei-
sen. Sie gibt es unter reichen Befragten ebenso wie unter armen, bei Jung und Alt,
11 Häusler, Martin 2011: Fürchtet euch nicht! Die Vertreibung der Deutschen Angst, München. 12 Biess, Frank 2019: Republik der Angst. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik, Reinbek bei Hamburg.
Manfred G. Schmidt: Die Ängste-Studie 2020
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Frauen und Männern, bei Anhängern aller politischen Parteien und in allen Bundes-
ländern.
Überängstliche gibt es zweifellos. Zum Alarmismus neigt auch ein Teil der Befragten.
Doch die große Mehrzahl der Befunde spricht gegen die These, die Deutschen seien
ein Volk von Angsthasen.13
- Gegen die Angsthasen-These spricht die Wirklichkeitsnähe der Befragten: Ihre
Ängste sind größtenteils wirklichkeitsnahe Antworten auf Top-Themen der öffentli-
chen Debatte, auf dahinterstehende reale Probleme und – vor allem in Zeiten intensi-
ven Streites zwischen den politischen Parteien – auf die Intensität parteipolitischer
Kontroversen um diese Probleme.
- Milder scheinen die Befragten gestimmt zu sein, wenn Große Koalitionen im Bund
und den Ländern einen Teil der Ängste dämpfen – wie im Falle des Corona-
Krisenmanagements.
- Zeigen sich Große Koalitionen überfordert, wie im Falle der unkontrollierten Mas-
senzuwanderung von Asylbewerbern und Wirtschaftsmigranten, und brechen zu-
dem schwere Konflikte in der Großen Koalition auf, wie zwischen SPD und CDU
einerseits und CSU andererseits in der Flüchtlingspolitik bis 2019, wachsen die Ängs-
te der Bevölkerung in diesen Feldern.
6. Bilanz: Ängste in Deutschland 2020
Ängste gibt es in der Bundesrepublik Deutschland – sie sind keine Erfindung des
englischsprachigen Auslandes, wo die Rede von der „German Angst“ populär ist.
Doch der Sachverhalt ist komplizierter als es die German Angst-These nahelegt. Die
Ängste haben größtenteils reale Anlässe und reale Ursachen.
Insoweit bestätigt die Ängste-Studie von 2020 einen Befund der Vorgängerstudien.
Zudem stützt sie die Ergebnisse zeitgeschichtlicher Analysen und international ver-
gleichender Studien14: Deutschland ist eine nach Sicherheit strebende Gesellschaft,
deren Bürger von vielen Ängsten umgetrieben werden. Ein Teil der Sicherheitsbe-
dürfnisse wird einigermaßen befriedigt, ein anderer bleibt unbefriedigt. Die Sicher-
13 Ganz abgesehen von der Tatsache, dass mittlerweile rund ein Viertel der deutschen Staatsbürger Bürger mit Migrationshin-
tergrund sind. 14 Beispielsweise Conze, Eckart 2009: Die Suche nach Sicherheit: Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von
1949 bis in die Gegenwart, Berlin. Siehe auch Häusler, Martin 2011: Fürchtet euch nicht! Die Vertreibung der Deutschen
Angst, München. Ferner Obinger, Herbert und Manfred G. Schmidt (Hg.), Handbuch Sozialpolitik, Wiesbaden 2019;
Kohl, Jürgen 2013: Hohe Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates trotz kritischer Leistungsbewertung. Wohlfahrtsre-
gime und Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat im europäischen Vergleich, in: ISI (Informationsdienst Soziale Indika-
toren) 50, August, 1-7; Schmidt, Manfred G. 2012: Der deutsche Sozialstaat. Geschichte und Gegenwart, München.
Manfred G. Schmidt: Die Ängste-Studie 2020
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heitsbedürfnisse reichen von privaten Angelegenheiten bis zu großen politischen
und wirtschaftlichen Fragen. Die großen politischen und wirtschaftlichen Probleme
machen allerdings auch 2020 den Befragten insgesamt viel mehr Sorgen als die priva-
ten Ängste. Die Sorgenkinder der Deutschen im Jahr 2020 heißen bei bundesweiter
Betrachtung: Trump und Wirtschaftsprobleme – mit Abstand folgen Klima, Flücht-
linge und Corona.
.-.