die zurichtung des gegenstandes durch die didaktik. anfragen an die rechtfertigung des...
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Die Zurichtung des Gegenstandes durch die Didaktik.
Anfragen an die Rechtfertigung des Unvermeidlichen.
Überblick
Trans-Disziplinärer Diskussionsanstoß an der Grenze der Disziplin Bildungswissenschaft
Annahme: Gem. Interesse an der Analyse der Normativität schulischer Wissensbildungsprozesse
Frage nach den Konstruktionsprinzipien der Repräsentation
Voraussetzung: Ent-Selbstverständlichung didaktischer Transformation
Methode: Legitimationsanalytisch - durch Blick auf deren jeweiligen Begründungen, in exemplarischem Vorgehen
Ziel: Aufzeigen einer – vor dem Hintergrund einer bildenden Interpretation neuzeitlicher Wissenschaft – angemessenen Begründung.
Ines M.Breinbauer Didaktik am Donnerstag 13.12.2012
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Zur Frage der Normativität schulischer Wissensbildungsprozesse
• Es ist nicht gleichgültig, welche Art von didaktischer Veränderung dem Gegenstand widerfährt; weder beliebige noch willkürliche, noch gedankenlose, noch „fälschende“ können wir uns wünschen.
• Reichweite und Grenze des Wissens steht und fällt mit den Prämissen der jeweils eingesetzten Forschungsmethoden, ist gewissermaßen an die Akzeptanz des jeweiligen Paradigmas gebunden.
Ines M.Breinbauer Didaktik am Donnerstag 13.12.2012
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Mögliche Rechtfertigungshorizonte
• Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von problematischen didaktischen Moden
• Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis
• Plädoyer für Änderung der Transformation aufgrund von verändertem innerwissenschaftlichen Problembewusstsein
• Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund veränderter Rahmenvorgaben für Unterricht (Bildungsstandards) oder neuer Möglichkeiten im Rahmen der Schulautonomie (Public private partnership)
Ines M.Breinbauer Didaktik am Donnerstag 13.12.2012
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Didaktische Transformation: Vom „In Form Bringen“ und „Zurichten“
• Didaktische Reduktion ist eine Tätigkeit des Lehrenden mit dem Ziel, Fachinhalte entsprechend aufzubereiten, um ihre Fasslichkeit/Verständlichkeit zu verbessern.
• Die Annahme ist, dass es aufgrund von Elementarisierung, Partikularisierung, Generalisierung gelingt, „Kulturgüter in Bildungsgüter umzuwandeln“.
• „Didaktische Transformation“ ist das Kunststück, mit dem die Lehrperson die Vermittlung zwischen der Sachstruktur der Fachinhalte und den angenommenen (!) Lernstrukturen des Lernenden anstrebt.
Ines M.Breinbauer Didaktik am Donnerstag 13.12.2012
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Didaktische Transformation: Vom „In Form Bringen“ und „Zurichten“
• Hoffnungsvoll wird auch von „Konkordanz“ gesprochen.• Nach dieser Überlegung bezieht sie ihre Legitimation
daraus, dass diese Vermittlung gelingt.• Diese Denkfigur kann man grundsätzlich bezweifeln (z.B.
Johannes Giesingers (2012) Interpretation von Augustinus und Wittgenstein, Hartmut Meyer-Wolters (2012) Interpretation von Weitergabe resp. Aneignung von geistigem Besitz als Widerstreit, Klaus Holzkamps (1991) Kritik an der Annahme, dass sich Lernen wesentlich über das Lehren vermittelt vollziehe.)
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Didaktische Transformation: Vom „In Form Bringen“ und „Zurichten“
• Dieses Ansinnen ist bekanntlich von ADORNO als „Problem der immanenten Unwahrheit der Pädagogik“ bezeichnet worden, weil „ die Sache, die man betreibt, auf die Rezipienten zugeschnitten wird, keine rein sachliche Arbeit um der Sache Willen ist. Diese wird vielmehr pädagogisiert…“ (Adorno, „Tabus über dem Lehrberuf“, 1969, S.73)
• GRUSCHKA (2002, S.419) bezeichnet es als einen der großen Mythen der Schule, dass fraglos so getan werde, als ob dieser Transformationsprozess unvermeidbar, unhintergehbar sei; dass behauptet werde, allein im Durchgang durch die didaktisierende Transformation der Sachen seien diese lehrbar.
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Vom „In Form Bringen“ und „Zurichten“
Mich interessieren (hier) zwei Fragen: • Wie ändert sich die Struktur des Gegenstandes bei
diesem Bemühen? Das bezeichne ich als „didaktische Zurichtung des Gegenstandes“. Das müsste natürlich konsequent empirisch beforscht werden, kann aber hier nahe liegendes Weise nur an Beispielen aufgezeigt und problematisiert werden.
• Wie wird diese „didaktische Zurichtung des Gegenstandes“ legitimiert. Der „Definition“ nach: Mit seiner besseren Verständlichkeit. Das mag eine naheliegende Begründung sein, - doch ist diese Begründung auch hinreichend?
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von problematischen didaktischen Moden
• Bsp. KLIPPERT: Entsorgung des fachlichen Inhalts zu Gunsten überfachlichen Methodentrainings
–die Inhaltlichkeit des Unterrichts bleibt auf der Strecke
–der Gegenstand ist nur mehr Material zum „Lernen des
Lernens“
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von problematischen didaktischen Moden
• Beispiele medialer Zurichtung zu Lasten der sachlichen Richtigkeit
– Schulbuchanalysen: „die Welt wird auf Illustrationsmaterial
für die Richtigkeit von Glaubenssätzen hin abgetastet“ (Rumpf)
–Präsentieren: paradoxe Rückkehr des Frontalunterrichts
zum Trainieren überfachlicher Kompetenzen aus Anlass eines
selbsterarbeiteten Themas
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis • Bsp.: Reibungsloser Unterricht mit sachlich falsch
schematisierendem Tafelbild
–Hauptcharakteristikum – und m.E. auch die heimliche
Legitimation des unterrichtlichen Vorgehens wie der
didaktischen Zurichtung des Gegenstandes - ist: Der Unterricht
verläuft störungsfrei, reibungslos, bereitwillig kooperativ;
keinerlei Disziplinprobleme.
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis
–„Schmiermittel“ ist ein Frage- und Antwortspiel zu einem
vorgegebenen Schema als Tafelbild.
–Entsprechend der Frage nach den „Vor- und Nachteilen der
Moose an Land“ ein 4-Felder-Schema.
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis
–Die Schüler tragen mit ihrem Vorwissen zum Füllen des
Schemas bei, sind als „potenzielle Experten und
Naturbeobachter gefragt“. „Sofern es sich in den Augen der
Lehrerin lohnt, wird die Antwort (oder ihre Lesart der Antwort)
durch die Aufnahme der Bemerkungen der Schüler in das
Tafelbild offizialisiert.“(Gruschka 2005)
–Aufgrund des Tafelbildes wird der Eindruck erweckt, als
seien die Moose angesichts des Übergewichtes von Nachteilen
im Wasser zu dem Beschluss gekommen, an Land zu gehen.
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis
–Die Lehrerin steuert durch Fragen den Unterricht; jede
Aussage gilt als lobenswerter Beitrag zum Thema.
–Dieses Lob wird von der Klasse als Urteil über die Gültigkeit
der Aussagen aufgenommen.
–Eine Fülle von Fragen und Antworten der Lehrerin und der
Schüler verweisen (indes) auf ein fehlendes Verständnis des
jeweils verhandelten Sachverhalts.“(S.2/10)
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis
–Der Unterricht differenziert nicht zwischen Genese von
Ideen und Übergang von Umgangserfahrung zu biologie-
typischer Prüfung von Erfahrungen
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis
–Statt nach „Vor- und Nachteilen“ hätte wohl nach
„ökologischen Lebensbedingungen“ gefragt werden müssen (=
andere Konstitution des Gegenstandes).
– „Unter dem Gesichtspunkt der Evolution der Pflanzen kann
davon die Rede sein, dass u.a. infolge von Mutationen ein Teil
dieser Spezies sich an die veränderten Lebensbedingungen als
angepasster erwies. Aber in diesen Fällen ist nicht mehr von
den konkreten ‚handelnden’ Moosen auszugehen, die sich bei
ihrem ‚Landgang’ angepasst haben, sondern von der
Geschichte der Arten. (…) (Gruschka 2005, S.9/10)
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis
• Bsp.: Oral History im Unterricht- politisch inkorrekte Zeitzeugen stören den Erziehungszweck
–die authentische Rolle der ZeitzeugInnen (etwa in
Schulklassen) wird häufig mit einer Erhabenheit über Kritik
verknüpft.
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund von Üblichkeiten der Praxis
–die Chance, ein Bewusstsein über die Konstruiertheit von
Erinnerung zu vermitteln, wird von Lehrpersonen vielfach nicht
dazu genützt, die Einsicht zu vermitteln, dass Erzählungen von
ZeitzeugInnen ebenso wenig „objektiv wahr“ sind und
Veränderungen in der Erinnerung wie auch der Erzählung
festzustellen sind. (Alexander v. Plato)
– Lehrer suchen eher nach Zeitzeugen, die ein bestimmtes
Ereignis politisch korrekt mit der Würde des Alters in 20 Minuten
eindrucksvoll illustrieren können.
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Plädoyer für Änderung der Transformation aufgrund von verändertem innerwissenschaftlichen Problembewusstsein
• Bsp.: Erinnerungskultur - Forderung nach veränderter didaktischer Transformation des Holokaustgedenkens
–Inhalte haben nicht transtemporale Gültigkeit
–in der Erinnerungskultur ist die strikte Unterscheidung von
Tätern und Zuschauern aufzulösen
– man muss damit aufhören, die Verantwortung die des
Nationalsozialismus zu externalisieren.
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Plädoyer für Änderung der Transformation aufgrund von verändertem innerwissenschaftlichen Problembewusstsein
–Welzer (2011) plädiert für eine Neuakzentuierung der
erinnerungskulturellen Arbeit;
–Sie „kann die nationalsozialistischen Verbrechen und den
Holocaust als das Gesellschaftsverbrechen nicht museal ins
Zentrum stellen, sondern muss vermehrt Gegenwartsbezüge
thematisieren, um ein emanzipatorisches
Geschichtsbewusstsein entstehen zu lassen, das auch für
kommende Generationen von Schülerinnen und Schülern,
besonders aus nicht-deutschen Herkunftsgesellschaften,
anschlussfähig ist.“ (ebd., S.3/6)
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund neuer Möglichkeiten im Rahmen der Schulautonomie (Public private partnership)
• Bsp.: Neoliberale Transformation von Bildungseinrichtungen (Liesner/Lohmann) – Schulsponsoring
–wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing
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Transformation/Zurichtung des Gegenstandes aufgrund veränderter Rahmenvorgaben für Unterricht (Bildungsstandards)
• Bsp.: Bildungsstandards – Funktionserfüllung schlägt
Sinnermessen
–Transparenz und Vergleichbarkeit von
Bildungsabschlüssen für Kontrolle und Vermarktung deckt die
Aufgabe der Pädagogik nicht ab
–Denkfehler 1: der Vollzug der Lernbewegung ist nicht vom
Lernenden ablösbar
–Denkfehler 2: für Lern- und Bildungsvorgänge wird so
etwas wie eine Funktionsgesetzlichkeit unterstellt
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Welche Begründungen wären – vor dem Hintergrund einer bildenden Interpretation neuzeitlicher Wissenschaft – wünschenswert?
• Wissenschaftspropädeutischer Unterricht
– ist ein Unterricht, in dem die vermittelten Inhalte als
Wissenschaften zugehörig thematisiert,
– die Methoden wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung
exemplarisch erarbeitet und problematisiert werden
–und der Gesellschaftsbezug wissenschaftlicher Erkenntnis
reflektiert wird (merke: den Gesellschaftsbezug reflektieren
heißt nicht, anwendungsorientiert zu unterrichten).•
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Welche Begründungen wären – vor dem Hintergrund einer bildenden Interpretation neuzeitlicher Wissenschaft – wünschenswert?
• Wissenschaft und Bildung stehen unter der Voraussetzung neuzeitlicher Wissenschaft
–nicht in einem linearen (nach der Vorstellung: durch
Wissenschaft zu Bildung), harmonischen Verhältnis
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Welche Begründungen wären – vor dem Hintergrund einer bildenden Interpretation neuzeitlicher Wissenschaft – wünschenswert?
–sondern in einem aporetischen,
–insofern Bildung „auf ein Selbst- und Weltverhältnis zielt, das
über alle uns bekannten Formen des Wissens, über das
Erfahrungs- und Umgangswissen ebenso wie über das
szientifische Wissen und auch über das philosophische Wissen,
hinausweist.“(Benner 1990, S.598)
–Vor diesem Hintergrund verbieten sich bestimmte
didaktische Transformationen als sachlich unangemessen,
d.h. neuzeitliche Wissenschaft verkennend.
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Kritierien zur Limitierung von unterrichtsmethodischen Einfällen und Maßnahmen
• Unterricht muss in erster Linie hinsichtlich der Ansprüche der Bezugswissenschaft methodisch korrekt durchgeführt werden.
• Das heißt auch, kein wissenschaftliches Aussagesystem darf unter Absehung von den methodischen Fundamenten gelehrt werden, die ja zugleich Reichweite und Grenze der Gültigkeit von Aussagen zu beurteilen erlauben.
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Kritierien zur Limitierung von unterrichtsmethodischen Einfällen und Maßnahmen
• Unterricht dürfte sodann nicht vom historisch-gesellschaftlichen Entstehungs- und Anwendungskontext wissenschaftlicher Aussagesysteme absehen
• Nicht zuletzt sind Aussagesysteme positiver Wissenschaften sind so zu lehren und zu lernen, dass vermieden wird, Wirklichkeit und deren theoretische Modellierung gleich zu setzen.
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Schule der Bildung in Abgrenzung zum Haus des Lernens
• Bemüht sich um die Erschließung, um das Verständnis, das Durchdenken, das Wissen und die kritische Beurteilung der grundlegenden Bedeutungsdifferenzen, die unsere geschichtliche Welt ausmachen.
• Bedeutungsdifferenzierendes Verstehen, Wissen und Können eröffnet uns Sachverhalte, Ordnungszusammenhänge, dingliche und mitmenschliche Verhältnisse , die unabhängig von unserem subjektiven Meinen und Belieben bestehen.
• Von diesen geht ein verbindlicher, wenn auch nicht fragloser Anspruch aus.
• Schule sollte Kinder und Jugendliche erst einmal in den tragenden Sinnstrukturen der Welt der (gebildeten) Erwachsenen, auch in deren Fragwürdigkeit, ankommen lassen. (Ruhloff 2002, S.52f)
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